Kitabı oku: «Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen», sayfa 2
1.3 Paul Goodman
Paul Goodman haben wir vielleicht den wichtigsten Entwicklungsgedanken zu verdanken, nämlich das Streben nach dem Eigenen im Gegensatz zum Entfremdeten in einer entfremdeten Welt. »Das Heranwachsen erfordert wie jede andauernde Funktion angemessene Ziele in der Umwelt, die den Bedürfnissen und Fähigkeiten des heranwachsenden Kindes, des Buben, des Jugendlichen und des jungen Mannes entsprechen, bis er selbst wählen und seine eigene Umwelt gestalten kann.« (Goodman 1960, S. 44) Bei der Suche nach dem Eigenen ist die kreative Selbstverwirklichung im Vordergrund und Hintergrund das treibende Motiv. Es sind das Herausfinden der inneren Wirklichkeit und die Entwicklung im ureigensten Sinne, die als ein Ausrollen des noch nicht geschriebenen Urtextes unserer Selbst, unserer Seele, der erst durch diesen Akt festgelegt wird, begriffen werden. Entwicklung ist in diesem Sinne der suchende und durch eine hohe emotionale Übereinstimmung gefundene Schritt in die eigene Gegenwart, Zukunft und Selbstbestimmung. Diese innere Stimmigkeit mit dem äußeren Tun kennzeichnet das Eigene. Es ist auch das Programm der Selbstverwirklichung, das hier inkorporiert ist, allerdings mehr in dem konzentrierten In-sich-Hineinspüren und Aus-sichheraus-Handeln. Dieses Handeln besteht bei Goodman in äußeren Aktivitäten, im Einfordern von gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, welche die jeweilige Entwicklung des Eigenen ermöglichen und fördern. Dies wird auch in zahlreichen politischen Schriften Goodmans deutlich. In dem Konzept des Eigenen, der Selbstverwirklichung, dem Überwinden von Entfremdung und Selbstbestimmung ist allerdings immer auch der oder die andere/n mitgedacht. Dies sind die Gesellschaft oder die Familie, welche ihr Anderes wollen und dem Eigenen in die Quere kommen, bis hin zur weitgehenden Fremdbestimmung, bei der das Eigene gar nicht mehr gespürt, sondern vergessen wurde, und dieser Verlust nur noch in einer unterschwelligen stumpfen Unzufriedenheit wahrnehmbar bleibt. Das Eigene hat zwei Seiten. Introspektiv betrachtet ist es die Stimmigkeit mit den eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Zielen. Je höher diese Übereinstimmung, desto befriedigender ist für uns unsere Selbstverwirklichung. Von Außen betrachtet kann das Eigene – um einen Anschluss an die aktuelle akademische Entwicklungsforschung zu leisten – als eine stärkere Gewichtung der angeborenen, genetischen Faktoren angesehen werden. Je mehr wir, soweit dies aufgrund der gesellschaftlichen Bedingungen möglich ist, das wählen, was uns entspricht, desto stärker schaffen wir wiederum eine Entwicklungsumgebung für das, was uns entspricht. In gegenseitigem Wechselspiel differenzieren und entwickeln wir zunehmend das Eigene durch das Mitentwickeln und Co-Kreieren eines supportiven Feldes, welches wiederum uns mitentwickelt. Die impliziten Entwicklungsannahmen Goodmans über das Eigene können durch die aktuelle akademische Entwicklungsforschung bestätigt angesehen werden.
1.4 Der Entwicklungsbegriff bei Perls, Hefferline und Goodman
In Kapitel 1 »Die Struktur des Wachstums« formulieren Perls, Hefferline und Goodman:
»Die Kontaktgrenze ist das Organ einer Wachstumsbeziehung zwischen Organismus und Umwelt.« (PHG 2006, S.11)
»Der Organismus überlebt durch Assimilation des Neuen, durch Verwandlung und Wachstum. […] Auf der anderen Seite kann Kontakt nicht rein passiv aufnehmen oder sich lediglich dem neuen anpassen, denn das Neue muss assimiliert werden.« (PHG 2006, S. 12).
»Wachstum ist die Funktion der Kontaktgrenze im Organismus/Umwelt-Feld; durch schöpferische Anpassung, durch Verwandlung und Wachstum überleben die kompliziertesten organischen Einheiten in der größeren Einheit des Feldes.« (PHG 2006 S. 13)
Der Wachstumsbegriff hier ist ein Prozess, der sich analog dem Piagetschen Assimilations-Akkomodationsprozess als Äquilibrationsprozess bezeichnen lässt und damit ein wichtiges Bindeglied zur Theorie Piagets darstellt. Eine Verbindung aus Goodman-Rank’scher Künstler-Kreativität und Friedlaenders Vorstellung vom indifferenten, kreativen Nullpunkt wird in folgendem Zitat deutlich:
»[Das Gewahrsein des Künstlers im mittleren Modus] wächst der Lösung entgegen.« (PHG 2006 S. 29)
»Und genauso ist es bei Kindern: Ihre hellwache Wahrnehmung und ihr freies scheinbar zielloses Spiel lassen die Energie spontan fließen und so zu zauberhaft en Erfindungen gelangen. In beiden Fällen wirken als Sinnesantrieb die Integration, die Bejahung des Impulses und der wache Kontakt mit neuem Umweltmaterial, aus denen wertvolle Arbeit erwächst.« (PHG 2006 S. 30)
Dieser Wachstumsbegriff basiert zum einen auf dem Lewin’schen Feldkonzept mit seinen Aufforderungscharakteren, die im Zusammentreffen mit dem entwicklungsbereiten, forschungslustigen Kind dessen Entwicklung erst antreibt. Lewin hatte dies in seinem Film »Das Kind und die Welt« (1926) verdeutlicht. Zum anderen klingt hier auch über Goodman die Rank’sche Vorstellung vom Menschen als mit Willen ausgestattete Künstler und Schöpfer des eigenen Lebens durch (Rank 1932, Müller 2006). In dem explizit »Reifung« genannten Kapitel 5 (ebd., S. 77) wird der Entwicklungsbegriff etwas deutlicher.
»Wir haben gesehen, dass das Kind, wenn wir es als integrierenden Teil eines Feldes betrachten, von dem die Erwachsenen ein anderer Teil sind, nicht als hilflos bezeichnet werden kann. Wenn nun seine Kraft und Mitteilungsfähigkeit, seine Kenntnisse und Fertigkeiten wachsen, ändern sich bestimmte Funktionen, die der frühen Ganzheit angehörten zu Funktionen in einer neuen Ganzheit: Zum Beispiel entwickelt sich, sobald das Kind besser auf eigenen Füßen stehen kann, ein bewegungslenkendes Selbst, das man als Eigen-Selbst bezeichnen könnte, so dass Pflegefunktionen aus dem früheren Ganzen nun in vieler Hinsicht zu Selbstversorgungsfunktionen werden.1« (ebd. S. 86)
Und weiter:
»Mit dem Wachstum ändert sich das Feld von Organismus und Umwelt.« (ebd. S. 94)
Dies ist Feldtheorie und gestaltpsychologische Entwicklungsauffassung in Reinform, was auch von Lore Perls (1969) so bestätigt wird. In Kapitel 7 wird anhand der Sprache eine Entwicklungsreihe aufgestellt:
a) Präverbale Sozialbeziehung des Organismus,
b) Herausbildung einer Sprachpersönlichkeit im Organismus/Umweltfeld,
c) daran anschließende Beziehungen der Persönlichkeit zu anderen.
Dabei wird insbesondere die Aggression im positiven Sinne von »Herangehen« (ebd. S. 134) als eine Entwicklungsqualität angesehen.
»Jeder Organismus wächst in seinem Feld, indem er neue Stoffe in sich aufnimmt, sie verdaut und assimiliert, und dies erfordert ein Zerstören der ursprünglichen Form zu assimilierbaren Elementen … »(ebd. S. 133)
Und:
»Die Aggressionstriebe sind von den erotischen Trieben nicht wesensverschieden; es sind vielmehr verschiedene Wachstumsphasen, die sich in Auswählen, Zerstören und Assimilieren oder Genießen, Aufnehmen und Gleichgewichtfinden manifestieren.« (ebd. S. 144)
Eine ähnliche Formulierung wird auch im 10. Kapitel »Theorie des Selbst« verwendet: Der Organismus erhält sich nur, indem er wächst. Selbsterhaltung und Wachstum sind Pole auf einem Kontinuum, denn nur, was sich erhält, kann durch Assimilation wachsen, und nur, was immer wieder Neues assimiliert, kann sich erhalten, ohne zu degenerieren. Dies sind also die Stoffe und Energien des Wachstums: das konservative Bestreben des Organismus, zu bleiben, wie er ist, die neue Umwelt, die Zerstörung früherer Partialgleichgewichte und die Assimilation neuer Stoffe (ebd. S. 166 f.). Entwicklung kann nach Perls/ Hefferline/Goodman (PHG) in gestaltpsychologischem Sinne Goldstein’scher Prägung verstanden werden: Es finden Selbstorganisationsprozesse statt, wobei der Umschlag zu bestimmten emergierenden Organisationsstufen qualitativ erfolgt, analog dem Gestaltbildungsprozess oder dem produktiven Denken Wertheimers (1957).
2. Neuere Entwicklungsansätze in der Gestalttherapie
Die Gestalttherapie hat eine Reihe eigener entwicklungspsychologischer und kindertherapeutischer Modelle vorgelegt, besonders durch Violet Oaklander, und die Sammelbände The heart of development von Marc Conville und Gordon Wheeler, in denen eine Vielzahl von Gestalttherapeuten unterschiedliche Ansätze zur Gestalttherapie in der Kindheit (Bd. 1, 2001) und der Jugend (Bd. 2, 2002) beschrieben werden. In Deutschland wurde ein praxisorientiertes Werk von Ingeborg und Volkmar Baulig publiziert (EHP 2002). Im Handbuch für Gestalttherapie (1999) erschien ferner ein Artikel von Caroll (1999), ein an Ken Wilber orientiertes metatheoretisches Entwicklungsmodell von Fuhr (1999) sowie die Gruppentherapiearbeiten von Franck (1997 zit. nach Baulig 2002) und Rahm (1997 zit. nach Baulig 2002). Mullen (1991) verknüpft in seinem Beitrag die Gestalttherapie mit der konstruktiven Entwicklungspsychologie Piagets, Kohlbergs und Kegans. Auch Kenhofer (2012) hält die Entwicklungsannahmen Piagets als vereinbar mit der Gestalttherapie. Die Entwicklung der Kontaktfunktionen skizziert Salonia (1990) in Auseinandersetzung mit psychoanalytischer Entwicklungstheorie. Der phänomenologisch genau gefasste Kontaktzyklus kann ebenfalls als ein Wachstumskonzept angesehen werden. Die Erweiterung und Verbindung dieses Kontaktzyklus auf Entwicklungsaufgaben leistet Hartmann-Kottek (2004, S. 145 f.). Hartmann-Kottek schlägt dabei neun Wachstumsphasen eines erweiterten Kontaktkreises vor (a. a. O. S. 156), die sich paradigmatisch in Entwicklungsabläufen finden lassen. Für Entwicklungen unter Kriseneinfluss wird ein Wandlungskreis vorgeschlagen, der ebenfalls neun Stadien umfasst. Diese theoretische Orientierung am Kontaktzyklus als Wachstums- und Entwicklungsmodell wird anhand klinischer Beispiele verdeutlicht. Ihre empirische Überprüfung für eine entwicklungspsychologische Theoriebildung ist für genauere Beobachtungsstudien vorgesehen. Pauls (1994) verbindet das Entwicklungsmodell von Daniel Stern mit gestalttherapeutischen Überlegungen.
2.1 Violet Oaklander: Gestaltkindertherapie
Violet Oaklander beschreibt in ihrer 1978 fertig gestellten Dissertation im Fach Psychologie eine unglaublich reiche Fülle an Methoden und Techniken, um den Ausdruck der inneren Befindlichkeit ihrer jungen Klienten zu fördern sowie ihre Transformation. Ihre Arbeit ist unterstützend, Selbstwert steigernd und beinhaltet die Aneignung abgespaltener, verschütteter oder noch nicht entwickelter Anteile. Oaklander führt aus, dass die meisten Kinder, die Hilfe brauchen, eine Beeinträchtigung der Kontaktfunktionen aufweisen (Oaklander 1993 S. 78), häufig ein schwaches Selbstgefühl zeigten.
»Kinder drängt es zum Wachstum. Ist ihre natürliche Funktionsfähigkeit gestört, so werden sie zu irgendeinem Verhalten Zuflucht nehmen, von dem sie glauben, dass es ihnen hilft zu überleben.« (Oaklander 1993, S. 79)
Ein Ziel von Oaklander ist es, »das Selbstwertgefühl eines Kindes aufzubauen, seine Kontaktfunktionen zu stärken, und ihm ein neues Gefühl für die Sinne seines Körpers zu geben.« (Oaklander S. 809) »Indem also das Kind in der Therapie seine Sinne, seinen Körper, seine Gefühle neu erlebt, gewinnt es eine gesunde Haltung zum Leben zurück.« (ebd.) Oaklander setzt gestalttherapeutische Traumarbeit (ebd. S. 185) ein sowie die Leerer-Stuhl-Technik zur Klärung innerer Konflikte in Verbindung mit den topdog / underdog Polaritäten (ebd. S. 192 f.). Sie integriert auch Methoden anderer Schulenprovenienz wie die Sandkistentechnik der Jungianerin Margaret Lowenfeld (zit. nach Oaklander 1993, S. 210 f). Ihr Buch enthält auch eine Reihe von Falldarstellungen zur Therapie bestimmter Störungsbilder wie aggressiver, hyperaktiver, introvertierter Kinder, Kinder mit traumatischen Erfahrungen oder Einzelgänger. Zusammenfassend kann man sagen, Oaklander arbeite am Ausdruck und der Ausdrucksfähigkeit sowie an der Selbstunterstützung und dem Selbstgefühl. Sie geht von einem Entwicklungsmodell aus, das auf das von Goldstein übernommene Wachstumsmodell in Perls, Hefferline und Goodman (1992) aufbaut. Oaklander und Mortola (2011, S. 78, 108) beschreiben die wesentliche Struktur therapeutischer Erfahrung für Patienten in vier Schritten. 1. Zunächst wird eine Vorstellung davon geschaffen, was geschehen soll, eine imaginative Erfahrung z.B. durch Anweisungen wie: »Stell dir einen sicheren Ort vor.« 2. Für diese imaginative Erfahrung wird anschließend ein sinnlicher Ausdruck geschaffen, z.B.: »Male, was du dir vorgestellt hast.« 3. In einem dritten Schritt wird versucht, durch eine metaphorische Überleitung und Beschreibung diese Erfahrung noch stärker subjektiv anzubinden z.B. durch den Vorschlag: »Versuche, dieser sichere Ort zu sein.« 4. Schließlich wird durch die Frage nach der Bedeutung des Erlebten eine Übertragung auf die aktuelle Lebenssituation geleistet. Nach Mortola (2011 S. 145) werden durch die Anregung mittels der Sinne offene, unabgeschlossene Gestalten in den Vordergrund gehoben und werden so einer integrierenden Verarbeitung zugänglich.
2.2 Ruella Frank: Körper und Bewegung
Ruella Frank (2001) untersucht die frühkindliche Bewegungsentwicklung, die sie als Zentrum der gesamten Persönlichkeitsentwicklung versteht. Dabei greift sie besonders auf die Bewegungsstudien von Esther Thelen zurück. Thelen prägte den Begriff der Dynamischen Systemtheorie der Entwicklung (Developmental System Theory). Sie geht davon aus, dass die Bewegungsentwicklung unmittelbar die kognitive Entwicklung beeinflusst (Thelen 2000). Ruella Frank und Frances La Barre (2011) beschreiben auf der Grundlage von Kleinkindstudien Bewegungsentwicklung und ihren Einfluss auf die Gesamtentwicklung. Bewegungen werden als die ersten Ausdrucksformen, die erste Sprache eines Babys angesehen. Über die frühen Bewegungsmuster erfolgen die ersten kommunikativen Austauschprozesse und wird die erste Beziehung aufgebaut. Daher werden diese frühen Bewegungsmuster gewissermaßen als zentraler Bestandteil der Relationalität des Menschen verstanden. Die frühen Bewegungsinteraktionen formen jedes Individuum spezifisch.
»Wenn Eltern und Psychotherapeuten lernen zu beobachten, zu identifizieren und die primären Bezugspersonen diese Bewegungssprache verstehen und fördern, und die Bewegungen ihres Babys… ›anprobieren‹, lernen sie, wie ihre emotionale Resonanz und ihr Verstehen aus der aktuellen Teilhabe an bestimmten Bewegungen und Bewegungsqualitäten entsteht.«2 (ebd. S. 15)
»… diese Bewegungen und ihre Qualitäten vermitteln den Eltern, welche Bewegungen mit welchen Qualitäten und in welchen Dimensionen als Antwort benötigt werden.« (ebd.)
Frank beschreibt und führt die körperliche Basis unseres Organismus-Umweltverhältnisses detailliert aus (20013, 2006, 20111). Sie beschreibt sechs Grundbewegungsmuster, die sich aus drei Bewegungspaaren zusammensetzen (2011, S. 21). Das erste Bewegungspaar ist Nachgeben (yield) und Drücken (push). Das zweite Bewegungspaar besteht aus dem Sich-nach-etwas-Strecken (reach) und dem gezielten Ergreifen eines Gegenstandes (grasp). Das dritte Bewegungspaar schließlich stellt das Ziehen (pull) und sich Entspannen (release) dar. Diese Bewegungstypen sind natürlich immer ineinander verschränkt und daher theoretische Abstraktionen. Mittels dieser sechs Bewegungstypen kommuniziert das Baby mit seiner Umwelt. Sie sind Teil des dynamischen Organismus-Umweltfeldes, entstehen aus dem Organismus, aber auch aus seinen Beziehungen zu seiner Umwelt, besonders zu seinen Bezugspersonen, sie sind daher auch Teil und Ausdruck der Beziehung. Das jeweils typische Bewegungsmuster eines Kindes bleibt während der weiteren Entwicklung erhalten.
Es bestimmt auch die Interaktionen Erwachsener und hat damit einen hohen Einfluss auf die Gestaltung von Beziehungen und auch Partnerschaften.
»Ändert sich unsere Umgebung, spüren wir den Unterschied im Körper. Wenn wir einen gewissen Unterschied im Körper erleben, so subtil er auch sein mag, empfinden wir eine Veränderung in unserer Beziehung zur Umwelt. Es ist nicht möglich, sich getrennt von seiner Umwelt zu erkennen. Indem wir Bewegungen erleben, werden wir der Existenz der anderen vermittels unserer eigenen Reaktion, die wir merken gewahr.« (Frank 2006)
Frank nennt fünf Faktoren, welche die Assimilation von Neuem, aber auch die Offenheit zur schöpferischen Anpassung bei Babys und Therapiepatienten unterstützen. Frank beschreibt als ersten Faktor die fürsorgliche Präsenz der primären Bezugsperson, welche für eine ausreichend sichere Umgebung sorgt. Als zweite wichtige Einflussgröße wird die stützende Unterlage genannt, womit der Untergrund gemeint ist, auf dem der Säugling sitzt oder sich bewegt, und der erst durch ausreichenden psychischen und emotionalen Support für das Kleinkind zur Verfügung steht. Als dritter Entwicklungsfaktor wird eine ko-kreierte Aufgabe angesehen, bei der erst durch eine angemessene, nicht zu intensive und nicht zu schwache Stimulation durch die Umwelt das Baby mit eben dieser Umwelt in fließendem Austausch bleiben kann, ohne aus Überforderungsschutz den Kontakt abbrechen oder einschränken zu müssen. Als vierten Faktor beschreibt Frank den körperlichen Anspannungszustand, der erst in einem optimalen, ausgeglichenen Zustand ein Explorieren der Umgebung ermöglicht. Ist das Baby zu angespannt, wird es vielleicht leichter ängstlich, abwehrend oder vermeidend. Erregung, der es an Unterstützung mangelt, geht leicht in Angst über. Ist der Anspannungszustand und damit der Tonus zu niedrig, das Kind zu passiv, wird es wenig Aktivität zur Exploration seiner Umwelt entwickeln. Als fünfte Entwicklungsgröße wird schließlich eine flexible Antwortbereitschaft auf die Umgebung (»response-ability«, L. Perls 1990) aufgeführt. Sie beinhaltet ein dichtes, aufeinander abgestimmtes Wechselspiel von Körperbewegungen, besonders feinen Kopfbewegungen und Sinneswahrnehmungen.
2.3 Mark McConvilles Feldtheorie und die Entwicklung Jugendlicher
Die Ausführungen dieses Abschnitts sind eng an McConville (2001) angelehnt. McConville (2001) übersetzt die Theorie Lewins in gestalttherapeutische Begrifflichkeiten. Er entfaltet auf der Grundlage der Lewin’schen Feldtheorie ein gestalttherapeutisches Entwicklungsverständnis für Jugendliche. Zunächst stellt er die spezifische Lewin’sche Ausarbeitung der Lebensraumveränderung bei Jugendlichen dar (Lewin 1939). Die noch zu geringe Ausdifferenzierung des Lebensraumes wird zunehmend differenzierter. Verschiedene soziale Gruppeneinteilungen wie Punker, Gangsta, Rapper etc. führen zu einer Differenzierung des sozialen Lebensraums. Auch die Aktivitäten differenzieren sich in Sport, Schule, Familienleben, Wochenendpartys, Online-Rollenspiele, kirchliche Jugendgruppen, privates Fantasy-Leben, Theater, Liebesabenteuer etc. Das soziale Feld des Jugendlichen differenziert sich also in voneinander abgetrennte Teilbereiche aus. Gleichzeitig wird dadurch das Selbstgefühl des Jugendlichen differenzierter und in korrespondierende Teilbereiche strukturiert, da es die innere Entsprechung der Erfahrungen im äußeren Feld darstellt. McConville führte 1995 (zit. nach McConville 2001, S. 33) für diese Teilbereiche kongenial den Begriff der Selbstgestalt (»selfgestalt«) ein, der etwas an Selbstobjekte erinnert. Diese Selbstgestalten oder ausdifferenzierten Teilbereiche erlauben dem Jugendlichen, ein breiteres Repertoire von Persönlichkeitszügen und Kontaktfähigkeiten zu entwickeln. Ein Zeichen für die innere Strukturierung solcher Selbstgestalten ist die Emergenz, das Auftauchen von differenzierenden Polaritäten, sowohl im Feld als auch im Selbst des Jugendlichen (vgl. ebd.). In Polaritäten gegliederte Unterscheidungen tauchen auf, wie kindisch und erwachsen, männlich und weiblich, kooperativ und rebellisch, zielorientiert und verspielt usw. Diese inneren und äußeren Differenzierungen tragen zu einer stärkeren Innerlichkeit bei, dazu, Selbststrukturen zu festigen und stabilisieren. Der Zusammenhang zwischen innerer Erfahrung und äußerem Ausdruck beschäftigt viele Jugendliche. Zeigt sich mein Freund so, wie er wirklich ist? Kennen die anderen mein wahres Ich? Sowohl die Innenseite als auch die Außenseite sind Qualitäten innerhalb des gesamten Lebensraumes. McConville greift auf Lewin zurück, der die Bedeutung der Gliederung und Strukturierung des Lebensraumes betont, um Sicherheit zu erlangen. Je klarer differenziert die äußeren Bereiche sind, desto klarer sind die entsprechenden Selbstgestalten. Jugendliche verstehen die plötzlichen Wechsel in ihrem Verhalten häufig selbst nicht. In diesem Sinne kann die räumliche Gliederung des jugendlichen Bewusstseins direkt die Strukturierung und Gliederung seines Lebensraumes anzeigen. Je unabhängiger die Regionen des Feldes sind, desto eher kommt es zu Brüchen und zum Fehlen von Bewusstsein über sich selbst. Im Sinne Lewins sind diese Segmentierungen eine notwendige und gesunde Folge der Differenzierung und dadurch Entwicklung unseres Lebensraumes. Dies zeigt sich auch bei der Betrachtung des Lebensraumes eines Jugendlichen. Hier sind die mitwirkenden Personen schon stärker voneinander abgegrenzt als bei Kindern. So kennen z.B. die Eltern vielleicht gar nicht mehr alle Lehrer oder Freunde des Jugendlichen. Die innere Situation des Jugendlichen spiegelt sein soziales Feld wider. Ein Jugendlicher, der beispielsweise sein Wollen und Wünschen nicht integrieren kann, also einerseits seinen Wunsch nach schulischem Erfolg und andererseits den, eine Party besuchen zu wollen, lässt häufig Eltern ähnliche Probleme haben. Ein zentrales Entwicklungsprinzip Lewins ist die Differenzierung. Mit fortschreitender Erweiterung des Lebensraumes kommt es zur Ausdifferenzierung verschiedener äußerer und innerer Regionen. Falls diese Ausdifferenzierungen nur schwer integrierbar sind, können sie zu erheblichen psychischen Spannungen des Jugendlichen führen. In der Lewin’schen Terminologie wird die Art, wie einzelne Regionen zu einem Ganzen verbunden werden, mit »Organisation« bezeichnet. Die Organisation, also die Verbindung zwischen verschiedenen Regionen, kann in der Gestalttherapie mit dem Kontaktbegriff erfasst werden. Nach McConville ist durch dieses Verständnis des Kontaktkonzepts ein zentrales Entwicklungsanliegen der Gestalttherapie deutlich gemacht. In einer an Lewin orientierten Gestaltentwicklungstheorie ist nach McConville das Jugendalter durch die Strukturierungsprozesse des Ausfaltens des Verständnisfeldes gekennzeichnet. Diese Ausfaltungsprozesse vollziehen sich bei gleichzeitiger Destrukturierung der Kindheitseinheiten, und gehen mit einer Erweiterung und Differenzierung des Lebensraumes und einer Transformation der Abgrenzprozesse der einzelnen organisatorischen Einheiten des Feldes einher.
»In einem Prozess, der sowohl vorwärts als auch rückwärts abläuft, entwickelt sich das Feld der Kindheitserfahrungen aus einem Zustand verhältnismäßig hoher Einbettung (embeddedness) durch einen Ablösungsprozess (disembedding) der Differenzierung weiter zu einer Neuorganisation des Feldes.« (ebd. S. 38)
Dieser Entwicklungsprozess bedeutet in Gestaltsprache das Reifen und Auft auchen der Kontaktfähigkeit, das reife sich Einlassen der Person auf seine Umgebung (vgl. ebd.). Im Laufe dieser Entwicklung wird der dramatische Verlust des Zusammenhalts der Kindheit erlebt, der »Sturm und Drang« schneller und heftiger Zustandwechsel. Diese Wechselzustände resultieren aus der Veränderung innerer und äußerer Grenzen und damit verknüpft der wechselnden Bezogenheit auf andere. In der Kindheit besteht noch eine Einbettung mit relativ konfluenten, weichen Grenzen zwischen den einzelnen Teilen des äußeren und inneren Feldes. Dadurch formt das familiäre und kulturelle Umfeld das Kind. Im Laufe des Entwicklungsprozesses und der Ausweitung des Lebensraumes des Jugendalters kommt es zur Ablösung aus diesem konfluenten inneren und äußeren Kindheitsfeld. Während das Kind noch fließend und unabgegrenzt in seine Familie eingetaucht ist, dem Einfluss der Erwachsenenwelt offen zugänglich, sondert sich der Jugendliche ab, bezieht sich mehr auf Gleichaltrige, und baut differenzierende Grenzen innerhalb des Feldes auf. Erwachsene werden nun auf Abstand gehalten, und »private« Angelegenheiten werden nicht mehr mit den Eltern besprochen. Dies vollzieht sich auch im innerpsychischen Feld. In einem nicht so ausgereiften Feld stehen die einzelnen Teile in der Art einer einfachen Wechselbeziehung zueinander. Erst in einem weiter entwickelten Feld kommt es zu einer differenzierteren organisierteren Wechselbeziehung der einzelnen Regionen zueinander. Die Entwicklung vom einen Feldmodus zum anderen erfolgt über eine Ablösung (disembedding) aus dem eingebetteten Feld zum differenzierten Feld. McConville zitiert Parlett (1997), der feststellt, dass Veränderungen in einem Teil des Feldes auch Veränderungen in anderen Teilen nach sich ziehen. Daher kommt es durch gestalttherapeutische Experimente, die im Hier und Jetzt erlebt werden, zu Veränderungen in der gesamten Feldstruktur. Daher zielen gestalttherapeutische Experimente in das Kerngeschehen realer Veränderungs- und Entwicklungsprozesse. McConville zitiert Parlett (1997) weiter, dass solche Veränderungsprozesse als Voraussetzung ausreichenden Support im Feld benötigen, verbunden mit der Einladung oder Herausforderung, etwas anderes zu tun. »Größere Veränderungen benötigen eine besondere Art abgestimmten Support und Herausforderung im Feld« (Parlett 1997, S. 25, zit. nach McConville 2001).