Kitabı oku: «Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen», sayfa 4

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Ordnungsstrukturen und Emergenz

Philippson (2012 S. 87) beschreibt (unter Rückgriff auf Kauff man 1995 und Prigogine & Stengers 1984 zit. nach Philippson 2012) das Auft auchen höherer Ordnungsgrade auf der Grundlage einfacherer Ordnungsstrukturen. Die höheren Ordnungsstrukturen gehorchen den Regeln der einfacheren Ordnungsstrukturen, lassen sich aber nicht auf diese reduzieren. Dies ist eine neuere Variante des aristotelischen Grundsatzes, »das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile6«, der auch von Wertheim und Ehrenfels7 für die Gestaltpsychologie prägnant verwendet wurde. In der aktuellen entwicklungspsychologischen Diskussion wird diese Thematik unter dem Begriff der selbstorganisierenden Systeme oder der Emergenz von Entwicklungsprozessen (Holodinsky 2006, zit. nach Philippson) behandelt8. Auf die Neurologie übertragen schreibt Philippson mit Verweis auf Goldstein, dass ein bereits auf einer einfachen neuronalen Ebene zu sehr geschädigtes Gehirn auch nicht mehr seine höheren Funktionen zur Verfügung hat. Umgekehrt lässt sich aber die höhere Funktion eines Gedankens nicht auf das Funktionieren einzelner Neurone reduzieren (vgl. ebd.). Insgesamt bestätigen die aktuellen neuropsychologischen Forschungsergebnisse die zentralen Grundannahmen der Gestalttherapie in entwicklungstheoretischer Hinsicht weitgehend.

Neuropsychologische Entwicklungsprinzipien:

Als Bestätigung der Gestalttherapie gelten diese neuropsychologischen Erkenntnisse:

1. Der Mensch ist von Anbeginn an mit all seinen Sinnen auf andere Menschen bezogen.

2. Besonders für die Wahrnehmung emotionaler Qualitäten im Ausdruck anderer Menschen ist von Anbeginn eine spezialisierte neurophysiologische Grundausstattung gegeben.

3. Kontaktvollzüge verlaufen bereits bei Neugeborenen zyklisch – Aufmerksamkeitsprozesse und Wahrnehmungsverarbeitungsprozesse zeigen die Form der Kontaktkurve der Gestalttherapie.

4. Das Gehirns des menschlichen Organismus entwickelt sich im Einklang mit dem Umfeld und bildet es ab, entwickelt es aber auch mit.

5. Wenn ausreichende Strukturen differenziert und aufgebaut werden konnten, kommt es zu Emergenzprozessen, dem Auftauchen von Figuren, Gestalten auf einer nächsthöheren Entwicklungsebene.

Feldtheorie

Malcolm Parlett (2011, S. 54) fasst seine Sicht der Feldtheorie zusammen:

»The whole point of the field theory is to recognise the layered features of contexts, their complex and interrelated qualities, and how these are intimately related to individual and collective experiences.« Parlett gibt ein starkes Plädoyer für die Einnahme einer Feldperspektive ab (ebd.): »Self and field – those two central Gestalt concepts which admittedly are difficult to define, let alone measure are intertwined. We can still find ourselves, even as Gestalt specialists, being drawn into a more dualistic frame –splitting person from context, finding hard to hold both in a single frame, as unitary. We need to resist this tendency.«

Wheeler (2002c) legt ein konsequent relationales Feldmodell vor, in dem der klassische Individuumsbegriff überwunden wird. Das Individuum im klassischen Sinne wird als Körper-Ich beschrieben, die psychische Realität jedoch aus der interaktionellen Feldwirkung heraus verstanden. Das durch Lewin konzipierte und durch McConville (2001) für die Gestalttherapie mit Jugendlichen verdeutlichte feldtheoretische Entwicklungsmodell lässt sich als gut überprüfte, anschauliche und weitreichende Grundlage für Entwicklungsvorstellungen heranziehen. Kontakt = Organisation = Verbindung zwischen den einzelnen Teilen sagt McConville. Kontakt kann auch in Bezug auf die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen und Feldregionen beschrieben werden. Wenn die einzelnen Feldregionen unterschiedlich feste, starre und durchlässige Grenzen zueinander haben, wird dies ihre Kommunikation und Interaktion in hohem Maße beeinflussen. Dann ist ein Wechsel von der einen zur anderen Region u. U. abrupt, klar und deutlich oder aber fließend, unklar und schwer zu lokalisieren. Einzelne Feldregionen können in Form von Polaritäten eine klare und dynamische Aufteilung in jeweils zwei Subregionen, die sich gegenseitig stabilisieren, verstanden werden. Durch explorierendes kommunikatives Pendeln, Erleben und Kommunizieren zwischen den Regionen werden der Gesamtzusammenhang, die Gesamtintegration und die Verbindung von verschiedenen beliebigen Punkten oder Bereichen mit den anderen Bereichen besser, d.h. die Zuordenbarkeit wird deutlicher. Was genau ist dann Entwicklung in diesem Modell und zwar Kindheitsentwicklung? Man könnte sagen, Felderfahrungen sammeln, konkrete Lebenserfahrungen im Lebensraum sammeln, die dann letztlich ihren repräsentativen Niederschlag im Gehirn finden. Was differenziert sich während der Kindheit genau? Die Größe des Lebensraumes erweitert sich. Durch wechselseitige Erfahrungen werden einzelne Regionen prägnanter. Das supportive Feld ist ein Umweltfeld, in dem en miniature als Pars pro Toto die verschiedenen, vor allem unterbesetzten und unterentwickelten Regionen hilfsmitbesetzt werden. Notwendige Differenzierungen von noch undifferenzierten Regionen werden hilfsmitdifferenziert. Die Grenzen zwischen den einzelnen Regionen werden in einem supportiven Feld hilfsmitstabilisiert und die einzelnen Regionen hilfsmitverbunden bzw. hilfsabgegrenzt.


Abb. 1: Feldtheoretische Veranschaulichung der Entwicklung

Kreative Selbstverwirklichung

Kinderspiel nach HPG (2006 S. 46/47) hebt sich durch eine konzentrierte Sinneswahrnehmung und spielerischen Umgang mit dem Material hervor, analog einer künstlerischen Tätigkeit. Darin beinhaltet sind die sensomotorische Integration, das Akzeptieren des Impulses und der aufmerksame Kontakt mit dem neuen Material der Umgebung. Sie finden im »mittleren Modus« statt. »Betrachten wir die erstaunliche Fähigkeit des Kindes beim Spiel zu halluzinieren«, schreiben HPG (S. 118) dazu. Die in der klassischen psychoanalytischen Stufentheorie der Entwicklung beschriebenen Themen können aus dem aktuellen gestalttherapeutischen Verständnis von Entwicklung als Selbstschaffung heraus als zu lösende Herausforderungen angesehen werden. Diese Lebensaufgaben können allerdings mit sehr unterschiedlicher Gewichtung angegangen werden. Dabei spielt die konstitutionell-biografischen Vorgeschichten, aber auch unterschiedliche Motiven, Wünschen und Bedürfnisse eine Rolle. Entwicklung ist daher immer eine kreative und höchst individuelle Begegnung mit der Umwelt.

Funktionsentwicklung

Menschliche Entwicklung wird verstanden als ein Prozess in zeitlichem Verlauf, der durch sehr individuelle Präferenzen geleitet wird. Diese stellen den anhaltenden Lebens- und Entwicklungswillen dar, der aus einem fortwährenden Wechselspiel von innerer und äußerer Berührung zum Aufbau von psychischen und physischen Funktionen und Strukturen führt.

Dieses Wechselspiel besteht aus Kontaktbewegungen zur Erschaffung, Erweiterung, Differenzierung des Körpers, des Gefühls, des Geistes und ihrer Möglichkeiten. Entwicklungsbewegungen können als sich erweiternde konzentrische Kreisbewegungen dargestellt werden (am Beispiel Funktionsentwicklung Abbildung 2).

Den von Stern (2007) als Kernselbst bezeichneten psychischen Ursprungs- oder Ausgangspunkt der menschlichen Entwicklung würde ich in gestalttherapeutischem Sinne noch stärker als Antrieb und Schöpfer seiner eigenen Entwicklung ansehen. Die Entwicklung ist vor allem zu Beginn auf eine spezifische Weise von der Umwelt abhängig. Die Möglichkeiten der Kommunikation mit der Umwelt sind dabei sehr unterschiedlich. Aber auch die Umwelt und Pflegepersonen gehen sehr unterschiedlich auf die ersten Kommunikationsversuche des Babys ein. Ein Baby kann also das Glück haben und Pflegepersonen, mit denen es sich gut austauschen kann, die seine Bedürfnisse und seine Anliegen verstehen. Andere Kinder haben dieses Glück nicht, und wachsen in einer Umwelt auf, mit der es immer wieder Missverständnisse gibt. Dadurch stehen sowohl die innere als auch die äußere Seite eines Feld-Selbsts in ungenügendem und wenig förderlichen Austausch miteinander. In diesem Fall können Entwicklungsstörungen mit höherer Wahrscheinlichkeit entstehen. Die Umweltabhängigkeit von der zufällig gegebenen kommunikativen Kompetenz der Organismus-Umwelt-Partner nimmt mit zunehmender Autonomieentwicklung ab. Der erwachsene Mensch kann sich schließlich, weitgehend seine eigene, seinen Präferenzen entsprechende Umwelt zusammenstellen, soweit die sozialen und politischen Umstände dies zulassen. Vorausgesetzt, er konnte ausreichende Kommunikationserfahrungen machen und lernen, seine Bedürfnisse innerhalb seines jeweiligen Feldes kreativ mit dem der Umwelt auszutauschen. Die hohe Abhängigkeit vom Kommunikationserfolg mit der Umwelt setzt erst mit der Geburt ein. Vor der Geburt erfolgt die Bedürfnisbefriedung des heranwachsenden kleinen Menschen sozusagen von selbst, das Brauchen, das Wollen und das Wünschen laufen noch ohne Kommunikation ab. Der Wechsel aus diesem Reich vollendeter Bedürfnisbefriedigung hinüber in die Welt ungewisser und häufig mangelhafter Bedürfnisbefriedigung nennt Rank das Trauma der Geburt. Den Wunsch, diesen Urzustand wieder herzustellen, hält er für den Ausgangspunkt schöpferischen Schaffens.


Abb. 2: Erweiternde Funktionsentwicklung aus der einzelnen Personperspektive

Die erste Grunderfahrung des ungeborenen Kindes ist, zu sein, zu leben. Die Grunderfahrung des geborenen Säuglings ist ebenfalls, zu sein, leben und atmen. Ausgehend vom lebendigen Sein folgt die zweite Grunderfahrung: Berührung. Berührung findet bereits im Mutterleib statt. Es ist das umspült und berührt Werden von Fruchtwasser und Gebärmutter. Beim Neugeborenen kommt es zum ersten berührt Werden durch andere Menschen. Die dritte Grunderfahrung ist Bewegung. Auch dies geschieht sowohl vorgeburtlich als Eigenbewegungen und passives bewegt werden durch die Bewegungsrythmen der Mutter als auch nachgeburtlich. Auf diese Berührungs-Bewegungserfahrungen folgt vorgeburtlich das Hören. Bereits ab der 17 Woche können Geräusche den Embryo stimulieren oder stressen (Wirth 2012). Das Hören begleitet die Geburt so wie das Fühlen, Schmecken und Spüren von Bewegung, Rhythmus und Gleichgewicht und stellt ein prä-/postnatales sensorisches Kontinuum her. Die Bewegungsentwicklung des Säuglings verläuft in zwei Wellen. Zum einen in der des Erlangens, Greifens, der körperlich und Bewegung gewordenen Sehnsucht nach den Dingen, die voller Neugierde begriffen, befühlt, beschmeckt und beleckt werden wollen. Diese Sehnsucht mündet in immer stärkere Bewegungsanstrengungen und Willensanspannungen, die schließlich dazu führen, den zuvor immobilen Körper selbst in größerem Maße in Bewegung zu setzen und sich fortzubewegen. Fort von dem einen und hin zum anderen. Dies bringt das Thema der räumlichen Trennung und ihrer damit verbundenen Gefahren auf und fordert Sicherungsbemühungen von beiden Seiten.

Ausgangspunkt der Entwicklung ist ein Kernselbst, für dessen Konzeption zum einen auf die philosophischen Vorstellungen von Salmo Friedlaender zurückgegriffen wird. Friedlaenders Vorstellungen sind auch in die Gestalttherapie eingeflossen, Perls nannte Friedlaender seinen ersten Guru. Friedlaender greift auf Nietzsches Willensvorstellungen zurück. Er konzipiert den schöpferischen Akt als Willensakt. Auch Otto Rank (1932) verweist in seiner Theorie des Schöpferischen Handelns auf Nietzsches Willensakt. Friedlaender sieht darüber hinaus den Ursprungspunkt allen Denkens in der vorpolaren, vordialektischen Undifferenziertheit, im Nullpunkt zwischen möglichen Differenzierungen bzw. an dem Punkt, wo diese Differenzierungen noch aufgehoben sind, noch zusammen sind (Frambach, 1996). Die Vorstellung von Entwicklung als Differenzierung findet sich auch bei Lewin. Wenn diese von Friedlaender geistig-philosophisch gedachte Entwicklungstheorie durch Lewin aber auch für die gesamte Entwicklung postulierte Theorie mit der akademischen Entwicklungsforschung verglichen wird, ergibt sich eine erstaunliche und passende Übereinstimmung. Alle Entwicklung wird als Differenzierung begriffen. Die Theoriebildungen in der Kleinkindforschung in den letzten Jahrzehnten laufen in diese Richtung.

So kann ein Modell von Entwicklung formuliert werden, das als Ausgangspunkt den Lebenswillen hat. Er ist noch vor jeder Kernselbstempfindung die treibende Kraft jeglicher Entwicklung. Wille wird dabei in einem umfassenderen Sinne verstanden als die bewussten Willensentscheidungen des Erwachsenen. Es ist vielmehr der unbedingte Wille, überhaupt nur zu leben! Wenn dieser Lebenswille als treibende Kraft der Entwicklung angesehen wird, verkehrt sich das Bild des Menschen von einem durch genetische innere oder äußere Kräft e bestimmten und zur Reifung gedrängten, gezogenen oder geschobenen Wesens hin zu einem von Beginn an aktiven, wollenden, sich in immer feineren Differenzierungen entwickelnden Selbstschöpfers. Dies soll am Beispiel der motorischen Entwicklung verdeutlicht werden: Wenn ein Kind beginnt, sich zu bewegen, den »unbeweglichen« Körper in Bewegung zu bringen, ist dies mit ungeheuren Willensanstrengungen verbunden. Ähnlich ist es, wenn ein Erwachsener beispielsweise durch einen Unfall oder einen Gehirnschlag einen Teil seiner motorischen Fähigkeiten verliert. Auch er kann u. U. mit großer Willensanstrengung seine Bewegungsfähigkeit wieder zurückerobern und dadurch auch sein Gehirn erneut in die gewünschte Richtung entwickeln.

Integration

Das Konzept der Integration erscheint auf den ersten Blick nahe liegend zu sein. Integration ist die Assimilation von Neuem, der Einbau von neuen Erfahrungen in bestehende Strukturen. Doch welchen Strukturbegriff hat die Gestalttherapie? Unter Verwendung des dynamischen Selbstbegriffes kann ein mit diesem verbundenes Strukturverständnis empfohlen werden. Der Selbstbegriff wird dabei nicht nur im Hier und Jetzt-Augenblick gesehen, sondern die darin stets neu enthaltenen und gewonnenen Erfahrungen werden auch internalisiert. Man kann es so verstehen: das Selbst integriert die Erfahrungen in sich selbst! Es ist also Prozess und Struktur zugleich. Das Selbst ist also auch wieder in Polaritäten geteilt, ähnlich wie in dem Beispiel der dualen Lichtbeschaffenheit als Welle und Partikel. Integration in diesem Sinne ist die Verwendung und Nutzung von Erfahrungen für die Struktur. Erfahrung9 setzt sich aus drei Komponenten zusammen. Erstens aus Wahrnehmung, zweitens aus damit verknüpften Gefühlen, also Empfindungen. Diese beiden bilden ein Erlebnis. Wenn nun zum Erlebnis drittens noch eine kognitive Einschätzung und Bewertung hinzu kommt, wird das Erlebnis zur Erfahrung. Ich finde es hilfreich noch zwei weitere, für eine gute Integration essenzielle Bestandteile aufzuführen. Diese sind zum einen die Sinnorientierung und zum anderen die soziale Bezogenheit der Erfahrung, die sich in der Erstellung eines Narrativs für andere ausdrückt. Hier wird erneut der Feldcharakter unseres Selbsterlebens deutlich. Der Andere wird immer mitgedacht und inkorporiert, sowohl in der Sprache, in der gedacht wird, als auch in den Begrenzungen und Vorgaben, welche die Wege und Bahnen des Denkens und Fühlens bilden.

Das supportive Feld als zentrale Entwicklungsbasis

• Körperlichkeit als erste Feldkraft des supportiven Feldes

Der Lebenswille, der vom ersten Lebensmoment im noch ungeborenen Körper die Entwicklung vorantreibt, ist zunächst eins mit dem Körper, mit all seinen ersten Sensationen, Sinnlichkeiten, Gefühlen, Empfindungen. Befeuert und inspiriert vom Lebenswillen, der von Beginn an auch in ein vom Kind gewolletes Feld eingebettet ist, entwickelt sich zunächst der Körper. Aus der Begegnung, aus dem Kontakt und aus der Wahrnehmung, dem Gewahrsein der äußeren und der inneren Welt und der Gegenposition zwischen innen und außen, fremd und eigen entwickelt der Mensch dabei das Eigene. Das Innere wird als Körper, Geist, Gefühl und Verstand erlebt, das Äußere als die Repräsentationen des Anderen.

• Zwischenmenschliche Beziehung als zweite Feldkraft des supportiven Feldes

Die Natur des Menschen kann als zweifach angesehen werden. Er ist räumlich getrenntes Einzelwesen und zugleich zutiefst mit Artgenossen verbunden. Diese Doppelnatur ist kein Sowohl-als-auch, sondern ein Gleichzeitiges. Diese Bezogenheit wird in dem Stern’schen Modell der Selbstentwicklung und Beziehungsentwicklung erst später angesetzt (Stern 2007), vielleicht wird die Forschung der nächsten Jahre hier eine noch genauere Differenzierung bringen können. Festzuhalten ist, dass die Kleinkindforschung der letzten Jahre durch genauere methodische Beobachtungsmöglichkeiten unser Wissen von den bereits erstaunlichen Kompetenzen des Kleinkindes in immer noch frühere Lebensabschnitte erweitert hat. So wissen wir inzwischen, dass Neugeborene kurz nach der Geburt bereits die Stimme ihrer Mutter erkennen können (De Casper & Fifer 1990), ihre Muttersprache erkennen können oder auch Texte, die sie vor der Geburt im Mutterleib vorgetragen bekommen hatte (DeCasper & Spencer 1986). Auch sind Neugeborene sofort in der Lage, wichtige emotionale Gesichtsausdrücke von Erwachsenen mimisch nachzuahmen (Meltzoff & Moore 1977). Es ist zu vermuten, dass für Geruch, Geschmack, Bewegung und Rhythmus ähnlich frühe Kompetenzen vorliegen. Diese Kompetenzen zielen alle auf Beziehung ab, auf das Wiedererkennen und Einschätzen der emotionalen Befindlichkeit der ersten Bezugspersonen. Auch die Entwicklung des Sehens orientiert sich zunächst vor allem daran, dass Gesichtsausdrücke entschlüsselt werden. Manche Kleinkindforscher nennen dies den Conspec-Effekt, das Erkennen von Angehörigen der gleichen Spezies. Inzwischen kann gesagt werden, dass die frühe Entwicklung des Menschen in sehr hohem Maße darauf ausgerichtet ist, in sozialen Prozessen die Gefühle anderer Menschen zu erkennen und eigene Gefühle zu zeigen, also in emotionalen Austausch zu gelangen. Durch die tiefste leibliche Eingebundenheit unserer Gefühle hat das Erkennen und zeigen von Emotionen die entscheidende Orientierungs- und Kommunikationsfunktion (Dreitzel 2004). Auf der Grundlage dieses sozial angelegten Erkennungssystems sind Kleinkinder mit wachsender Erfahrung zunehmend in der Lage, das Handeln des Anderen, des Gegenübers, zu erkennen und verstehen. Dieses Erkennen der Motivation als des Willens des Anderen wird unter dem Begriff »theory of mind« besonders von Fonagy (2006), aber vermehrt auch von der akademischen Kleinkindforschung untersucht und bestätigt. Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass Menschen vermutlich von Beginn ihres Daseins, nachgewiesenermaßen zumindest ab kurz vor ihrer Geburt, in enger erlebter Bezogenheit mit anderen Menschen leben. Wenn dieses Beziehungsdasein möglich ist und gelingt, kann sich Entwicklung gut vollziehen. Ich verstehe in diesem Sinn den Menschen als eine Art bewegliches Element, das in einen weiteren sozialen Organismus in ein lebendiges soziales Feld dynamisch und beweglich eingebettet ist. Wenn erfolgreich innere und äußere Gegebenheiten in Einklang gebracht werden können, wenn das Umweltfeld sich nährend, fördernd und gleichermaßen herausfordernd gegenüber den Bedürfnissen und Potenzialen verhält, sind wichtige Voraussetzungen für eine gesunde psychische Entwicklung gegeben. Die durch Lewin (1946) beobachteten und beschriebenen Phänomene der Felddynamik bestätigt die gestalttherapeutische Theoriebildung einer engen menschlichen Einbettung in ein umgebendes soziales Feld, die mit der Organismus-Umwelt-Begrifflichkeit allein noch nicht die notwendige soziale Betonung beinhaltet. Doch kann auch die Buber’sche Begegnungspolarität in dieses Feld hineingedacht werden. So kann der zentrale, dialogische, ichdu-orientierte Modus (im Buber’schen Sinne) wie auch der verdinglichend objektivierende Ich-Es-Zugang zur Welt im Rahmen der Feldbegrifflichkeit des Lebensraumes gesehen werden. Der Ich-Du-Modus stellt sozusagen den intensiven, feinfühligen Begegnungsmodus dar, den wir Menschen brauchen. Er ist die Art zwischenmenschlicher Begegnung und zwischenmenschlichen Kontaktes, die uns nährt, kräft igt und an andere anbindet. Aber auch der andere verdinglichend objektivierende Ich-Es-Kontaktmodus ist uns im Umgang mit anderen Menschen geläufig, sei es wenn sie uns als störende Hindernisse im Weg sind oder wir sie manipulativ unseren Zwecken unterordnen wollen. Wenn es Störungen im umgebenden Beziehungsfeld gibt, kann eine Vielzahl von Entwicklungsproblemen auft reten. Damit wird die dichte interdependente Verwobenheit des Organismusfeldes deutlich, aber auch die Abhängigkeit des Einzelnen von einer guten Einbettung in ein soziales, supportives Feld. Wenn gute Erfahrungen einer solchen Passung von einem Kind assimiliert wurden, baut sich ein durch manche Widrigkeiten tragender Grund auf.


Abb. 3: Ausschnitt Individuum im Feld

Der Kontaktprozess kann als Bewegung begriffen werden, als Balanceakt im Organismus-Umweltfeld. Ich möchte ihn in Anlehnung an Sterns Bild eines mimisch-gestischen Tanzes zwischen Mutter und Säugling (Stern 1994) als Tanz der Annäherung und des Rückzugs beschreiben, um das spielerisch-leichte aber auch das zwangsläufige auf den anderen zu und von ihm weg Bewegen zu charakterisieren. Dieser Tanz, der äußerlich in der Bewegung und innerlich im korrespondierenden Erleben erfolgt, bedeutet, lebendig zu sein. Support ist sowohl das Eigene als auch das hilfreiche aufnehmbare Fremde. Support baut sich aus beidem auf, im Kontakttanz bei dem sich das Erleben sowohl ins Fremde als auch wieder ins Eigene bewegt und aus beidem schöpft, beides verarbeitet und zusammenführt und auf dessen Grundlage der Entwicklungsweg von Jetzt zu Jetzt10 gelingen mag.

• Differenzierung und Entwicklung

Die Differenzierung und Ausweitung des Lebensraumes führt zu einer korrespondierenden Differenzierung und Ausweitung der psychischen Struktur. Daher kann zunehmende Differenzierung als eine Reihe von Entwicklungsbewegung angesehen werden. In der Gestalttherapie liegt ein Fokus auf der Wahrnehmung von Polaritäten. Polaritäten sind prägnante Differenzierungen. Durch diese differenzierenden Wahrnehmungsprozesse kommt es zu einer Differenzierung des Erlebens der Welt und dadurch zu einer fortschreitenden Ausdifferenzierung der psychischen Struktur. Diese Ausdifferenzierung scheint dem Postulat der schöpferischen Indifferenz zu widersprechen. Bei der schöpferischen Indifferenz wird ja auf den noch vereinigten undifferenzierten Null oder Ursprungspunkt zurückgegriffen, also auf einen vordifferenzierten Zustand. Tatsächlich werden bei Veränderungsprozessen bisweilen (fehl-) entwickelte Strukturen wieder mühsam aufgelöst und nach besseren, eigeneren Seinsmöglichkeiten gesucht. Ungünstige oder sich gegenseitig behindernde innere Strukturierungen, Differenzierungen können durch das Einnehmen des Nullpunktes oder vordifferenzierten Punktes für die neue Schaff ung einer passenderen Ausdifferenzierung aufgelöst werden. Dies kann nur in einem supportiven Feld gelingen. Die Einnahme der vordifferenzierten Perspektive bedeutet auch eine Destabilisierung, eine Gefährdung innerer Differenzierung. Sie löst durch den Wegfall stabilisierender Bereichsgrenzen Erschütterung aus, die als Angst vor Auflösung erlebt wird. Auch Friedlaender schreibt, dass diese Position gefährlich und bedrohlich ist und einen verrückt machen kann. Das heißt, in dem Moment, wo psychische Stützen wegfallen, besteht durch die psychische Destabilisierung die Gefahr angstvoller oder gar psychotischer Erregung. Das supportive Feld bildet vorübergehend die zu verinnerlichende Außenstütze, welche dann zu einer inneren Stütze werden kann. Wenn es dem Therapeuten gelingt, die notwendigen Differenzierungen zu antizipieren, nimmt er die Differenzierung für den Patienten vorweg. Der Therapeut taucht in dem Entwicklungsfeld gewissermaßen in die Zone der nächsten Entwicklung des Patienten ein. Aus dieser Position heraus kann er beobachtend und spürend seine nächsten Interventionen setzen. Diese können anstehende Differenzierungsschritte sein oder aber er versteht schweigend die Differenzierungserkenntnisse des Patienten. Er kann aber auch verbalisierend, über Polaritätenarbeit oder über Experimente, sinnvolle Differenzierungsschritte einbringen. Er unterstützt, den Patienten Differenzierungsarbeit zu leisten, übernimmt, besetzt oder spricht wichtige Feldpositionen an, ruft sie ins Bewusstsein und trägt insgesamt zur Ausbalancierung des Feldes bei.

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
707 s. 30 illüstrasyon
ISBN:
9783897975620
Telif hakkı:
Bookwire
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