Kitabı oku: «Handbuch der Soziologie», sayfa 7
Der zuvor kurz erwähnte Begriff des kritischen Realismus wird noch in anderen Kontexten verwendet. Gelegentlich zieht man den Begriff auch heran, um die – von Bhaskars Auffassung deutlich abweichende – Realismusposition des kritischen Rationalismus von Karl Popper und Hans Albert zu bezeichnen. Von einer kritischen Variante des Realismus ist deshalb die Rede, weil Popper und Albert zwar die These einer beobachterunabhängigen Außenwelt stark machen, zugleich jedoch auf Distanz zu den Prämissen eines Abbildrealismus gehen: Die Wirklichkeit ist danach aufgrund der Theorie- bzw. Beobachterabhängigkeit wissenschaftlicher Aussagen nicht [57]direkt erkennbar; doch mittels entsprechender methodischer Vorkehrungen lässt sich erreichen, dass sich die Wissenschaften einer wahren Darstellung der Außenwelt sukzessive annähern. Diese Wahrheitsapproximation erfolgt dabei, so Popper und Albert, durch eine Eliminierung des Falschen, d. h. durch eine fortlaufende Falsifikation unwahrer Aussagen. Anders als Albert (1987), der den Begriff des kritischen Realismus favorisiert, spricht Popper (1998: 40) von einem metaphysischen Realismus, da die Realismusannahme nicht empirisch prüfbar ist, seines Erachtens jedoch von wissenschaftlichen Theorien vorausgesetzt wird.
Es würde eine unzulässige Verkürzung darstellen, wenn in diesem Zusammenhang nicht zugleich, wie angedeutet, auf die seit einigen Jahrzehnten zu beobachtende immense Ausweitung konstruktivistischer Ansätze in der Soziologie bzw. in den Sozialwissenschaften aufmerksam gemacht würde. Eine besondere Beachtung namentlich in der deutschsprachigen Soziologie hat dabei die von Niklas Luhmann formulierte Konzeption einer konstruktivistisch ansetzenden Systemtheorie gefunden. Luhmann beschreibt soziale Gebilde (Interaktionen, Organisationen, Gesellschaften) als autopoietische, operativ geschlossene Systeme, die ihre kommunikativen Elemente, aus denen sie bestehen, in einem rekursiven Prozess selbst herstellen. Das damit angedeutete Theorem der operativen Geschlossenheit wird ergänzt durch die Annahme einer kognitiven Geschlossenheit. Kognition gilt dabei als ein systeminterner Zustand, der mittels Beobachtungen, d. h. Bezeichnungen im Rahmen von Unterscheidungen, produziert bzw. geändert wird. Auch bei Beobachtungen handelt es sich um endogene Operationen, die das System mit eigenen Mitteln bewerkstelligt. Insofern besagt die Annahme einer kognitiven Geschlossenheit, dass es keinen Input von Informationen aus der Umwelt in das System oder einen Output von Informationen aus dem System in die Umwelt des Systems gibt. Informationen stellen in dieser Sicht interne Konstruktionen dar, die soziale Systeme autonom, d. h. im selbstreferenziellen Vor- und Rückgriff auf weitere Informationen erzeugen und verarbeiten. Das Gesagte gilt, so Luhmann, für alle (sozialen) Systeme, gilt also auch für die Wissenschaft als Funktionssystem der modernen Gesellschaft und gilt ebenso für die Soziologie als Subsystem der Wissenschaft. In dieser Sicht stellt sich wissenschaftliches bzw. soziologisches Wissen als ein Wissen dar, dass vom System autonom produziert wird – womit gemeint ist, dass von der Wissenschaft »keine Vorgaben anerkannt werden, die nicht im System selbst erarbeitet sind. Erkenntnisse können daher nur zirkulär begründet werden.« (Luhmann 1990a: 294)
Luhmanns These einer selbstreferenziellen Konstruktion und damit strikten Selbstproduktion wissenschaftlichen Wissens ist Gegenstand zahlreicher, bis heute andauernder Debatten. Von verschiedenen Seiten ist kritisch dagegen vorgebracht worden, dass die Systemtheorie eine antirealistische Sichtweise vertritt, die keinerlei Einflussnahme der externen Umwelt auf interne Systemprozesse vorsieht. Luhmann selbst hat diesen Antirealismusvorwurf freilich bestritten. »Tatsächlich steht der Realismus des Konstruktivismus auf sicheren Beinen.« (Luhmann 1990b: 9) Zur Erläuterung seiner Auffassung, dass es sich bei dem systemtheoretischen Konstruktivismus um eine Spielart des Realismus handelt, führt er mehrere Überlegungen an; unter anderem verweist er darauf, dass der Theorie zufolge Erkenntnis eine Selbstkonstruktion real operierender Systeme darstellt, ohne dass damit kausale Wechselwirkungen zwischen System und Umwelt oder gar die Wirklichkeit der Außenwelt bestritten würden. »Das heißt nicht, daß die Realität geleugnet würde, denn sonst gäbe es nichts, was operieren, nichts, was beobachten, und nichts was man mit Unterscheidungen greifen könnte. Bestritten wird nur die erkenntnistheoretische Relevanz einer ontologischen Darstellung der Realität.« (Ebd.: 37) Daneben findet sich eine dritte Lesart. Diese begreift Luhmanns Theorie sozialer Systeme (ebenso wie eine Reihe ähnlich ansetzender Varianten eines sozialtheoretischen Konstruktivismus) als eine theoretische Position, die gewissermaßen quer zu dem Schema von Realismus und Antirealismus steht. In dieser Sicht ist mit Sozialkonst-ruktivismus [58]ein Forschungsprogramm gemeint, das sich dafür interessiert, auf welche Weise Wirklichkeitsbeschreibungen soziale Verbindlichkeit erlangen. Behauptet wird zugleich, dass die (ergebnislose) Auseinandersetzung zwischen Realisten und Antirealisten ein ganz anderes (fundamentalistisches) Anliegen betrifft, nämlich die Frage nach einem letzten Einheitsgrund unseres Erkennens und Wissens. Für das sozialkonstruktivistische Theorieprogramm ist diese Fragestellung jedoch, so die Schlussfolgerung, eine Frage ohne praktischen Wert (Kneer 2009).
Die Kontroverse über Realismus und Konstruktivismus hat in jüngerer Zeit auf dem Feld der sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsforschung bzw. der so genannten science studies eine Fortsetzung und zugleich weitere Zuspitzung gefunden. Einen viel beachteten Ansatz stellt die maßgeblich von Bruno Latour formulierte Akteur-Netzwerk-Theorie dar. Latours Theorieunternehmen geht auf deutliche Distanz sowohl zu den Prämissen des (Abbild-)Realismus als auch des (Sozial-)Konstruktivismus. Im Gegensatz zu einem realistischen Selbstverständnis betont Latour, dass (natur-)wissenschaftliche Tatsachen nicht schlicht entdeckt, sondern fabriziert, produziert und damit konstruiert werden – »les faits sont faits« (Latour 2003: 195). An die Adresse der konstruktivistischen Wissenssoziologie richtet er den Vorwurf, dass diese in kurzschlüssiger Weise (natur-)wissenschaftliches Wissen allein im Rekurs auf die interpretative Tätigkeit der Wissenschaftler, also »die harten Fakten der Naturwissenschaft durch die weichen Fakten der Sozialwissenschaft« (ebd.: 187) erklärt und damit den Eigenanteil der Dinge und Gegenstände am Zustandekommen wissenschaftlicher Tatsachen unterschlägt.11 In seiner Sicht ist der Vorgang der Wirklichkeitskonstruktion ein dynamisches Geschehen, an dem naturale, gesellschaftliche und technische Komponenten gleichermaßen beteiligt sind. Um die mitwirkende Rolle von natürlichen und artifiziellen Dingen bei der Herstellung wissenschaftlicher Fakten herauszuarbeiten, nimmt Latour eine Ausweitung der Akteurskategorie vor. Jede wirkmächtige Einheit wird als Akteur begriffen: Menschen aus Fleisch und Blut ebenso wie Mikroben, Schlüsselanhänger, Muscheln oder Fahrbahnschwellen. Akteure handeln in Netzwerken, also dank der Verknüpfung mit weiteren Akteuren; Handlungsfähigkeit ist somit das Resultat einer Netzwerkbildung, bei der die Beteiligten ihre Ziele, Rollen sowie Funktionen aushandeln und wechselseitig zuweisen. Ausgehend hiervon gelangt Latour zu einer Neubeschreibung des Sozialen als Gegenstand der Soziologie: Die soziale Welt gilt ihm als Ort des Versammelns bzw. Assoziierens menschlicher und nichtmenschlicher Entitäten; das Soziale ist, kurz gesagt, bevölkert von eigenartigen Mischwesen, Hybriden aus Natur, Kultur und Technik (vgl. Latour 2007).
Die vorstehenden Ausführungen haben verschiedene Kontroversen bzw. Positionen zu der Frage vorgestellt, wie sich die Soziologie zu ihrem Gegenstand verhält. Manches konnte dabei nur [59]angedeutet oder allenfalls umrisshaft skizziert, vieles musste schlicht ignoriert werden. Wiederholt wurde dabei die Vielfalt an Sichtweisen und Standpunkten betont. Verschiedene Beobachter haben mit Blick auf diese Mannigfaltigkeit bzw. die scheinbare Uferlosigkeit der Auseinandersetzungen die grundsätzliche Frage nach dem Nutzen einer wissenschaftstheoretischen Reflexion aufgeworfen. In aller Kürze wird man hierzu sagen können, dass »die« Wissenschaftstheorie nicht (länger) das Ziel verfolgt, Wissenschaften zu begründen. Ein ähnlich lautender Eintrag findet sich bereits bei Weber: »Nur durch Aufzeigung und Lösung sachlicher Probleme wurden Wissenschaften begründet und wird ihre Methode fortentwickelt, noch niemals dagegen sind daran rein erkenntnistheoretische oder methodologische Erwägungen entscheidend beteiligt gewesen.« (Weber 1988: 217) Die wissenschaftstheoretische Reflexion geht den Wissenschaften nicht voraus, sondern begleitet sie. Und schon gar nicht liefert sie ein stabiles Fundament, auf dem die fachwissenschaftliche Arbeit ausruhen könnte. Eine der Hauptaufgaben der Wissenschaftstheorie dürfte es vielmehr sein, die Kontingenz wissenschaftlichen Wissens herauszuarbeiten und damit zugleich auf mögliche Alternativen bei der wissenschaftlichen Begriffs-, Theorie- und Methodenwahl aufmerksam zu machen.
Literatur
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Kneer, Georg (2010): Die Debatte über Konstruktivismus und Postkonstruktivismus. In: Kneer, Georg/Moebius, Stephan (Hg.): Soziologische Kontroversen. Beiträge zu einer anderen Geschichte der Wissenschaft vom Sozialen, Berlin, 314–341.
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[60]Latour, Bruno (2007): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt/M.
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Simmel, Georg (1989): Die Probleme der Geschichtsphilosophie. In: ders.: Gesamtausgabe, Band 2. Frankfurt/M., 297–423.
Simmel, Georg (1999): Vom Wesen des historischen Verstehens. In: ders.: Gesamtausgabe, Band 16. Frankfurt/M., 151–179.
Weber, Max (1988): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 7. Aufl., Tübingen.
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Winch, Peter (1974): Die Idee der Sozialwissenschaft und ihr Verhältnis zur Philosophie, Frankfurt/M.
Wright, Georg Henrik von (2000): Erklären und Verstehen, 4. Aufl., Berlin.
1 | Viele Beiträge sowohl zur Erklären/Verstehens-Thematik als auch zum Begriffspaar von Konstruktivismus und Realismus sind nicht allein mit Blick auf die Soziologie formuliert, sondern thematisieren allgemein geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven. |
2 | Beim Verstehen wird etwa zwischen einem rekonstruktiven, produktiven und kritisch-distanzierenden Verstehen unterschieden; ferner wird differenziert, ob mit Verstehen die interpretative Aneignung von subjektiven Motiven bzw. Zwecken oder intersubjektiven Kommunikationen, von logischen Sinnzusammenhängen oder sozial konstituierten Bedeutungen gemeint ist. Beim Erklären ist u. a. vom nomologischen, kausalen, funktionalen, mechanistischen und evolutionären Erklären die Rede. Dabei gilt, dass weder über die genaue begriffliche Ausgestaltung der genannten Verstehens- und Erklärensty-pen noch über ihr Verhältnis untereinander Einigkeit existiert. |
3 | Während die meisten Rekonstruktionsbemühungen den Beginn der Debatten über das Begriffspaar Verstehen/Erklären im 19. Jahrhundert datieren, nehmen einzelne Beobachter eine abweichende, zeitlich (deutlich) weiter zurückgehende Perspektive ein. Für Wright (2000) etwa stehen die Begriffe des (teleologischen) Verstehens und des (kausalen) Erklärens für die zwei Haupttraditionen der (abendländischen) Philosophie und Wissenschaften, deren Anfänge bis in die Antike zurückreichen. |
4 | Die Grundannahmen des einheitswissenschaftlichen Gegenprogramms zum Methodendualismus wurde vom so genannten Wiener Kreis, d. h. einer Gruppe von Philosophen um Moritz Schlick, Rudolf Carnap und Otto Neurath, in den 1920er- und 1930er-Jahren entfaltet. Das Anliegen zielt darauf ab, methodische Zugangsweisen, die sich in der Mathematik und der Physik als erfolgreich bewiesen haben, logisch zu generalisieren, so dass sie in sämtlichen Wissenschaftsdisziplinen zur Anwendung gelangen können. |
5 | Später hat Hempel (1968) das Erklärungsmodell um eine induktiv-statistische Variante erweitert, bei der die Erklärung auf probabilistischen Gesetzen, also auf statistischen Wahrscheinlichkeitsangaben basiert. |
6 | Dem interpretativen Paradigma lassen sich verschiedene Theorieansätze bzw. Schulen zurechnen; zu nennen sind u. a. die phänomenologische Soziologie, der symbolische Interaktionismus, die Ethnomethodologie sowie sozial- und kulturtheoretische Ansätze, die sich an den (späten) Arbeiten von Ludwig Wittgenstein orientieren. |
7 | Zu beachten ist dabei, dass sich die in den 1950er- und 1960er-Jahren prominent werdende Kritik der Wittgensteinianer in erster Linie gegen die Kausaltheorie der Handlungserklärung richtet und nur nachrangig gegen die nomologische Erklärungskonzeption – womit sie sich, explizit oder implizit, die Auffassung von Hempel zu eigen machen, dass eine (wissenschaftliche) Kausalerklärung ohne die Angabe von Gesetzen nicht auskommt und somit einen Spezialfall der deduktiv-nomologischen Erklärung darstellt. Die damit vorgenommene Angleichung von Kausalerklärungen an Gesetzeserklärungen sieht sich in der anschließenden Debatte jedoch einer Reihe von (sowohl wissenschaftstheoretischen als auch handlungstheoretischen) Einwänden ausgesetzt. Mit Blick auf Fragen der Handlungserklärung kommt dabei der Position von Donald Davidson (1990) eine Schlüsselrolle zu, der kausale Erklärungen von Handlungen als eine eigenständige Form der Erklärung begreift, die ohne Bezugnahme auf Gesetze auskommt bzw. auskommen muss, da es Davidson zufolge keine universalen Handlungsgesetze gibt. |
8 | Insbesondere von funktionalistischen, systemtheoretischen und (post-)strukturalistischen Theorieprogrammen wird der Anspruch vorgetragen, auf Gesichtspunkte aufmerksam zu machen, die sich nicht aus der Teilnehmerperspektive, sondern allein aus einer davon abweichenden Beobachterperspektive beschreiben lassen. Dieser Auffassung halten die Verfechter einer doppelten Hermeneutik zwei Argumente entgegen. Sie verweisen darauf, dass erstens auch die Beiträge dieser konkurrierenden Zugangsweisen gar nicht umhin können, zunächst einmal an den vorgängigen Deutungen der Akteure selbst anzuknüpfen (wobei dies von den genannten Ansätzen unbemerkt bleibt, weil diese die Teilnehmerperspektive in ihrer eigenen Theoriesprache objektivieren und damit verfremden) und zweitens auch eine Vorgehensweise, die sich an den Prämissen einer doppelten Hermeneutik orientiert, nicht bei einer Rekonstruktion der Teilnehmerperspektive stehen bleibt, sondern in einem anschließenden Schritt auch Vorgänge – Stichwort: latente, nicht-intendierte Folgen absichtsvollen Handelns – beschreiben bzw. erklären kann, die von den Akteuren selbst nicht beabsichtigt sind bzw. nicht bemerkt werden. |
9 | Entsprechend heißt es bei Weber Umformung und nicht Formung des Untersuchungsobjekts – d. h. er setzt das unendliche Weltgeschehen, aus dem der Kulturwissenschaftler auswählt, als eine unabhängig existierende, mit bestimmten Kausalstrukturen ausgestattete Wirklichkeit voraus; die epistemologische Frage, die Rickert beschäftigt, nämlich inwieweit diese Wirklichkeit das Produkt einer vorgängigen Konstitutionsleistung erkennender Subjekte darstellt, bleibt bei Weber ausgeklammert. |
10 | In den Debatten über Realismus und Konstruktivismus geht es auch, wie angedeutet, um wahrheitstheoretische Aspekte. Die Realisten werfen, vereinfacht gesagt, den Konstruktivisten vor, Wahrheit zu relativieren, also der These einer beobachterabhängigen Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis – getreu dem Motto: andere Beobachter, also auch andere Wahrheiten – das Wort zu reden. Vielen, wenn auch nicht allen Debattenbeteiligten gilt deshalb die Ablehnung eines relativistischen Wahrheitsbegriffs als Kennzeichen des Realismus. |
11 | Die Protagonisten des Sozialkonstruktivismus sind wiederholt der Kritik Latours entgegen getreten. David Bloor, einer der Begründer und Wortführer des so genannten strong programme der konstruktivistischen Wissenschaftssoziologie, verweist in seiner Antwort auf Latour vor allem auf zwei Punkte: Zum einen betont er, dass nicht die naturale bzw. materielle Wirklichkeit, sondern die Aussagen der Naturwissenschaftler über diese Wirklichkeit den Gegenstand der Soziologie wissenschaftlichen Wissens bilden. »Das Ziel ist nicht, die Natur, sondern kollektiv geteilte Überzeugungen über die Natur zu erklären.« (Bloor 1999: 87; eigene Übersetzung, G. K.). Zum anderen verweist er darauf, dass der Sozialkonstruktivismus keineswegs die Rolle nicht sozialer Faktoren beim Zustandekommen wissenschaftlichen Wissens bestreitet. Aus seiner Sicht trägt der unmittelbare Rekurs auf naturale Faktoren jedoch nichts zu einer Antwort auf die Frage bei, für die sich die Wissenschaftssoziologie interessiert, nämlich die Frage, weshalb wissenschaftliche Aussagen akzeptiert oder bestritten werden – da aus seiner Sicht naturale Faktoren sowohl bei der Anfertigung wahrer als auch falscher Aussagen kausal wirksam sind. Zur Debatte zwischen sozialkonstruktivistischer Wissenschaftssoziologie und Akteur-Netzwerk-Theorie vgl. auch Kneer 2010. |