Kitabı oku: «Identitätskonzepte in der Literatur», sayfa 8

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V. Deutsche:r – Europäer:in – Weltbürger:in? Lenz’ Neuer Menoza als „Mischmasch“ unterschiedlicher Identitätsentwürfe

Entstanden in der Zeit, die gemeinhin als ‚Gründungsstunde‘ einer wenn nicht politischen, so doch geistig-kulturellen deutschen Nationalidentität gilt, erweist sich Lenz’ Neuer Menoza als ein Drama, das sich einer einfachen Deutung nach dem Muster Konstitution eines Eigenen in Abgrenzung zum Anderem merklich entzieht. Mit der Trias Deutsche:r – Europäer:in – Weltbürger:in entwirft Lenz’ Stück gleich mehrere, teils durchaus skeptische, sich wechselseitig ergänzende und aufhebende Identitätskonzepte. Wenngleich das Drama zunächst analog zu entsprechenden Tendenzen im Kontext der deutschen ‚Nationenbildung‘, das Eigene zu sakralisieren und absolut zu setzen, „die eigene Identität stabilisierende kontrastive Oppositionen“ aufzurufen und fortzuschreiben scheint,1 hält es letztlich denjenigen, die in einer solchen Weise argumentieren, den Spiegel vor. Über den Zusammenhang von Familie und Weltbürgertum wird zugleich ein Identitätsentwurf jenseits der Logik nationaler Eigenheiten geschaffen. Die Familienkonstellation, die das Stück über den Handlungsverlauf entwirft, entspricht damit dem „Mischmasch“,2 von dem Lenz in seiner Selbstrezension spricht: Die Familie setzt sich letztlich aus Eigenem und Fremdem, Bekanntem und Unbekanntem zusammen. Schwiegertochter Wilhelmine – auf Familienebene gedacht als lediglich Eingeheiratete das jüngste und ‚fremdeste‘ Familienmitglied – erweist sich für das Ehepaar von Biederling als das vertrauteste und bekannteste. Der Entwurf von Weltbürgerlichkeit, für den diese Familienkonstellation Modell steht, ist nicht derjenige eines elitäreren Zirkels, dessen gelebtes Weltbürgertum nicht über philosophische Reflexionen hinausreicht,3 sondern inkludiert mit der exzentrischen vermeintlichen Spanierin auch die wortwörtlich lästige und unangenehme Verwandtschaft. Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Zufälligkeiten und seiner scheinbaren Unwahrscheinlichkeiten kann Lenz’ Neuer Menoza damit einen Identitätsentwurf formulieren, der ohne erhobenen Zeigefinger auskommt.

Das Faustische Streben als Vermittlung von Identität und Differenz

Die Rolle von Johann Gottlieb Fichtes früher Wissenschaftslehre für Goethes Faust I

Michael Steinmetz und Dominik Zink, Trier

I. Goethe und Fichte

Johann Gottlieb Fichtes Ruf an die Universität nach Jena als Nachfolger des berühmten Kantianers Carl Leonhard Reinhold wurde auch aufgrund von Bestrebungen Goethes ermöglicht.1 Der damals erst 32-jährige Fichte hatte von seinem philosophischen Hauptwerk, der Wissenschaftslehre, noch nichts publiziert. Erst im Zuge der Berufung auf die Professur veröffentlichte er vor deren Antritt die Schrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, in der er sein philosophisches Programm darlegte. Während seines ersten Semesters 1794/95 publizierte er dann in einzelnen Bögen für die Hörer seiner Vorlesung die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), wobei deren letzter Teil, die Grundlage der Wissenschaft des Praktischen, erst im Sommer 1795 gedruckt wurde.2 Fichte stellte sicher, dass sowohl der Begriff als auch die Grundlage unverzüglich nach Erscheinen zu Goethe gesandt wurden,3 der sich sogar persönlich um einen Verlag für die Grundlage bemüht hatte4 und die Schriften Fichtes aufmerksam und mit Interesse rezipierte. Dies belegt z.B. Goethes Handexemplar mit Anstreichungen des Begriffs, das zusammen mit seinem Exemplar der Grundlage im Goethe-Nationalmuseum in Weimar archiviert ist.5 Eine zeitlich unmittelbare Rezeption von Fichtes Arbeit durch Goethe kann bis 1798 nachgewiesen werden. Goethe las und diskutierte die von 1796–99 von Fichte gehaltene Wissenschaftslehre nova methodo mit W. v. Humboldt und Schiller.6 Der im Herbst 1798 losgetretene Skandal um den vermeintlichen Atheismus der Fichte’schen Philosophie, der das Ende seiner Karriere in Jena bedeutete, weil er in dessen Zuge den Landesfürsten Carl August Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach beleidigte, ließ Goethe keine andere Wahl, als sich gegen Fichte zu positionieren. Dass dennoch eine gegenseitige Wertschätzung der Arbeit des jeweils anderen erhalten blieb, bezeugen verschiedene Aussagen. Goethe sagte zu Karl Friedrich Zelter am 8. August 1810 in Karlsbad, als sie Fichte vorüber gehen sahen, über diesen: „Da geht der Mann, dem wir alles verdanken!“7 Fichte auf der anderen Seite urteilte in einem Brief über Goethes Natürliche Tochter, sie sei ein „unsterbliches Meisterwerk“.8 Auch dass Goethe trotz seiner bekannten Abneigung gegen die Metaphysik und spekulative Philosophie einen recht guten Einblick in Fichtes Wissenschaftslehre hatte, bezeugen verschiedene Aussagen, wie z.B. die von Fichte selbst, der laut Humboldt sagte: „Neulich […] hat er [Goethe] mein System so bündig und klar dargelegt, daß ichs selbst nicht hätte klarer darstellen können.“9 Besonders interessant ist, dass in der Zeit relativ kurz nach Lektüre der Wissenschaftslehre die Wiederaufnahme der Arbeit am Faust beginnt (bezeugt durch einen Brief an Schiller vom 22.6.1797),10 worunter sehr wahrscheinlich auch die Szenen Prolog im Himmel und Studierzimmer I fallen, die hier besonders in den Blick geraten werden. Das Datum post quem für das früheste Paralipomenon zu den Versen 243–331 aus dem Prolog liegt sogar im Jahr 1795.11

Der Rückbezug auf Fichte, so die hier zu entwickelnde These, ermöglicht eine Neuinterpretation des Faustischen Strebens. Denn bereits Fichte deutet die Essenz endlicher Existenz als Streben. Dabei zeichnet sich Fichtes Entwurf wesentlich dadurch aus, dass das menschliche Bewusstsein darin als ein irreduzibel paradoxes Phänomen beschrieben wird, insofern das Ziel des Strebens – absolute Selbstidentität – nur in der Überwindung der das Bewusstsein überhaupt erst konstituierenden Differenz bestehen kann. Denn dieses Streben wird begriffen als praktische unendliche Vermittlung des Absoluten, das als Setzung reiner Selbstidentität bestimmt wird, und seiner Negation, d.h. der Inauguration einer bewusstseinskonstitutiven Differenz. Dieser Beitrag wird argumentieren, dass die paradoxe Struktur jener Anthropologie der Endlichkeit, die einen zentralen Übergangspunkt zur Moderne ausmacht, gleichsam das Grundgerüst des Endlichkeitsdramas im Faust bildet.

II. Methode und Forschungsüberblick

In einer Untersuchung, die das Verhältnis zweier Autoren zum Gegenstand hat,1 muss auch die Frage mitverhandelt werden, von welcher Vorstellung, der gegen- oder auch einseitigen Möglichkeit der Beeinflussung überhaupt ausgegangen wird. Dieter Henrich hat in seinem Konstellationenprojekt die immer noch – nicht nur für Jena und Weimar um 1800 – plausible These vorgebracht, dass gerade in einer geographisch wie intellektuell so dicht gedrängten Situation wie der in Jena vor 1800 sinnvollerweise nicht von einer naiven Rezeptionssituation gesprochen werden darf, in der ein Autor einen Gedanken eines anderen rein weitergeben oder überhaupt erst aufnehmen könne. Henrich zeigt überzeugend, dass überhaupt schon die Vorstellung von der abgeschotteten Entwicklung eines Gedankens im Werk eines einzelnen Autors als ein Produkt der idealisierenden Rezeptionsgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts beurteilt werden muss.2 Nichtsdestotrotz gibt er die Überzeugung nicht auf, dass es Autoren und Texte gibt, die als unumgängliche Bezugsgrößen im Diskurs zu neuralgischen Punkten werden und deswegen für die philologische, diskursanalytische und hermeneutisch-ideengeschichtliche Forschung ausgezeichnete Gegenstände sind. Das Verhältnis des Einzeltexts zum sich in ihm manifestierenden Diskurs beschreibt Henrich wie folgt:

Trotz der großen Bedeutung persönlicher und freundschaftlicher Verständigung für den Gang des Denkens in dieser Zeit waren zwar die philosophischen Konzeptionen immer Leistungen von Einzelnen. Innerhalb dieser Konzeptionen wirken sich aber viele Faktoren aus, die nur in Beziehung auf das den Konzeptionen vorgängige Kräftefeld eine Erklärung finden können.3

Für Jena, so urteilt Henrich, ist in der Phase des Frühidealismus kein Autor in dieser Hinsicht dem Rang Fichtes gleichzusetzen: „Mit der Veröffentlichung der Schriften Fichtes des Jahres 1794 war ein Bezugspunkt gesetzt, auf den sich alle folgenden philosophischen Theorieversuche einzustellen hatten.“4 Der Name Konstellationenforschung, den Henrich für die von ihm entwickelte Interpretationsmethode vorgeschlagen hat, verwendet die kosmologische Metapher der Sternen-Konstellation, um deutlich zu machen, dass Texte oder Einzelautoren nicht als „ptolemäisch fixiert[…]“5 gedacht werden dürfen, sondern als in einem Kräftefeld eingespannte Elemente, die als Gravitationszentren ein dynamisches Feld wechselseitiger Beeinflussung ausmachen.

Obwohl von Eckehard Förster bereits in seiner 1996 gehaltenen und ein Jahr später veröffentlichten Antrittsvorlesung als Desiderat benannt worden ist, dass die Untersuchungen Henrichs die Rolle Goethes unterschätzen, ist dieser Mangel immer noch nicht befriedigend behoben worden. Zwar ist die von Förster im gleichen Atemzug bemängelte „völlige Ausblendung“6 der Frühromantiker von Manfred Frank in mehreren sehr umfangreichen und an Henrich anschließenden Publikationen aufgearbeitet worden.7 Dennoch spielt das Verhältnis von Fichte zu Goethe weiterhin kaum eine Rolle in der Forschung; und das, obwohl die Arbeiten Henrichs den Entstehungskontext von Fichtes Philosophie und komplementär dazu diejenigen Franks die Wirkung von und Reaktionen auf Fichte sehr ausführlich aufgearbeitet haben, wodurch Fichte auch in der Germanistik als ein maßgeblicher Impulsgeber für die literarische Produktion im Jena des ausgehenden 18. Jahrhunderts gesehen wird.8 Man kann also durchaus sagen, dass Fichte und Goethe – um in der kosmologischen Metapher Henrichs zu sprechen – wahrlich Sonnen in der Jenaer Konstellation sind. Es stellt sich also die Frage, weswegen die Beziehung beider in der Forschung eine so geringe Rolle spielt. Henrichs Untersuchungsinteresse war es, die Vorbedingungen der sich rasant vollziehenden Entstehung des Deutschen Idealismus zu klären, weswegen es von seiner Warte aus nicht unbedingt notwendig erscheint, sich mit Goethe auseinanderzusetzen. Nicht verständlich scheint dagegen, dass die Goethe-Forschung so wenig Interesse an Fichte zeigt.

Die Forschung zum Verhältnis von Goethe zu Fichte ist denn auch sehr überschaubar; vor allem, wenn man sie im Kontrast zu teilweise sehr intensiv geführten Spezialdebatten in der Goethe-Forschung sieht. Im Goethe-Handbuch wird das Verhältnis der zwei Denker auf etwas mehr als zwei Seiten abgehandelt. Dort wird überhaupt kein inhaltliches Interesse Goethes an Fichte beschrieben, sondern es werden Gründe für Goethes vermeintliche „Distanz gegenüber Fichtes Philosophie“9 genannt. Trotz dieses überraschend und ungerechtfertigt geringen Interesses der Forschung lassen sich die Arbeiten, die zu diesem Thema tatsächlich erschienen sind, grob in zwei Kategorien teilen: Die erste dieser Kategorien ist die umfangreichere und umfasst Arbeiten zum Verhältnis von Fichte’scher Philosophie und den naturwissenschaftlichen Schriften und Überlegungen Goethes, wobei meistens die Goethe’schen Einschätzungen des philosophischen Dreiecks Spinoza-Kant-Fichte nachzuzeichnen versucht wird. Der zweite Forschungsstrang beschäftigt sich mit den Spuren der Wissenschaftslehre im Faust.

Unter die erste Kategorie fällt die ideengeschichtlich ambitionierteste Arbeit, die sich mit Goethe und Fichte beschäftigt: Serenella Iovinos Aufsatz „Ich ist Nicht-Ich“ = „Alles ist Alles“. Goethe als Leser der ‚Wissenschaftslehre‘.10 Dort findet sich ein sehr detaillierter Forschungsüberblick bis zum Jahr 2000, weswegen von den dort genannten Arbeiten weiter unten nur die zentrale Arbeit von Géza von Molnár Goethes Einblick in die „Wissenschaftslehre“11 angesprochen werden soll. Iovinos These ist, dass Goethe auf der Suche nach einem Prinzip war, das den spinozistischen All-Einheitsgedanken mit der in Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft dargestellten Polarität in der Natur versöhnt. Dieses Prinzip, das für Goethe grundlegend für seine Naturvorstellung und im Speziellen für seine Farbenlehre und seine Morphologie wichtig war, hat er in Fichtes Wissenschaftslehre zu finden geglaubt. Die wichtigste Veröffentlichung nach Iovino zu diesem Forschungsthema war die Ausgabe des Goethe Yearbooks XVIII (2011), das sich mit Goethes Verhältnis zum Idealismus beschäftigt.12 Auch die Faksimile-Ausgabe des Handexemplars von Goethes Begriff aus dem Jahr 200413 wurde als Beitrag zu dieser Forschung geplant und durchgeführt. So ist der Herausgeber Wolf von Engelhardt von Haus aus Geologe und hat wissenschaftsgeschichtlich hauptsächlich zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften gearbeitet. Sein Kommentar hat denn auch einen deutlich naturwissenschaftlichen Fokus.

Der vorliegende Beitrag ist freilich der zweiten Goethe-Fichte-Forschungslinie, der zu Fichte und Faust, zuzuordnen.14 Géza von Molnár, der Herausgeber von Goethes Kantstudien, hat die bis jetzt detaillierteste Untersuchung zu Fichtes Einfluss auf Goethes Faustprojekt vorgelegt.15 Auch er beginnt mit dem Einfluss, den Fichtes Begriff auf Goethes Farbenlehre hatte, und bespricht in einem close reading einiger zentraler Stellen die Annotationen in Goethes Ausgabe des Begriffs, um dann jedoch in Hinblick auf den Faust die These zu vertreten, dass dieser analog zu Goethes naturwissenschaftlichen Experimenten als ein literarisches Experiment gelesen werden kann.16 Die in Anlehnung an Fichte in Bezug auf die Farbenlehre von Goethe eingeführten Begriffe Licht und Nicht-Licht werden strukturanalog zu den Strukturmomenten interpretiert, die der Herr und Mephisto im Prolog im Himmel repräsentieren. Die in diesem Beitrag vorgeschlagene Interpretation stimmt mit Molnár in diesem Punkt überein, will jedoch vor allem zeigen, dass die Parallelen zu Fichte noch sehr viel tiefgreifender sind.

Der einzige Aufsatz, der sich exklusiv mit dem Einfluss Fichtes auf Goethes Faust beschäftigt, ist Christian Maria Stadlers Beitrag Johann Gottlieb Fichte und das faustische Streben.17 Wie der Titel bereits nahelegt, zielt seine These darauf ab, dass es in Bezug auf das Streben, von dem sicher niemand behaupten wolle, es wäre im Faust nicht zentral, Parallelen bei Fichte gibt. Obwohl er eine in der Kürze sehr instruktive Zusammenfassung des Fichte’schen Projekts und auch eine seine These plausibilisierende Darstellung der biographischen Koinzidenzen gibt, beschränkt sich der Teil des Beitrags, in dem die These tatsächlich belegt werden müsste, größtenteils auf das Nebeneinanderstellen von Zitaten. So kommentiert er Fausts Übersetzung der Schöpfungsgeschichte aus dem Johannesevangelium mit dem Satz „Diese Passage ist die kürzeste Fassung der Fichte’schen Lehre, die mir bekannt ist“,18 ohne jedoch darzulegen, weswegen er zu genau diesem Schluss kommt. Den Behauptungen, die Stadler aufstellt, kann durchaus zugestimmt werden, ihr literaturwissenschaftlicher Mehrwert allerdings ist sehr stark eingeschränkt, weil er lediglich auf Parallelen hinweist, ohne diese inhaltlich aufzubereiten oder gar für eine Interpretation nutzbar zu machen. Das Anliegen dieses Beitrags hingegen ist ein genuin literaturwissenschaftliches: Es soll in einem ersten Schritt gezeigt werden, dass die Texte der Wissenschaftslehre tatsächlich wichtige Intertexte des Faust sind, indem deutlich gemacht wird, dass im Faust eine spezifische Deutung des Strebens als Vermittlung von Identität und Differenz entwickelt wird, die bereits bei Fichte vorgezeichnet ist. In einem zweiten und wichtigeren Schritt soll dann anhand des Beispiels der Wetten im Faust gezeigt werden, welche Konsequenzen diese Erkenntnis für die Faust-Interpretation hat.

III. Das erkenntnistheoretische Programm der Wissenschaftslehre

Um in die für diesen Beitrag fundamentale Verhältnisbestimmung von Identität und Differenz bei Fichte einzuleiten, wird zunächst das programmatische Anliegen der Wissenschaftslehre skizziert. Dieses entwickelt Fichte in seiner Schrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre. Darin beschreibt er die Einzelwissenschaften als Systeme, die eines obersten Prinzips – eines Grundsatzes – bedürfen, das die verschiedenen Sätze einer Wissenschaft verbindet und ihre Gewissheit innerhalb des Systems garantiert.1 Die Grundsätze der Einzelwissenschaften können ihre eigene Gewissheit jedoch nicht aus dem System schöpfen, welches sie zuerst fundieren sollen, sodass sie selbst eines Ausweises bedürfen. Die Möglichkeit einer solchen Fundierung der Grundsätze der Einzelwissenschaften sieht Fichte in der Entwicklung der Wissenschaftslehre als einer Wissenschaft der Wissenschaften überhaupt gegeben.2 Es ergibt sich jedoch das Problem, dass auch die Wissenschaftslehre als System des Wissens überhaupt eines Einheitsgrundes bedarf, der in ihr nicht erwiesen werden kann, sondern zum Behuf ihrer Möglichkeit vorausgesetzt werden muss. „Aber dieser Grundsatz kann auch in keiner andern höhern Wissenschaft erwiesen werden […]. Dieser Grundsatz […] ist daher schlechterdings keines Beweises fähig […]. [E]r muß unmittelbar gewiß seyn.“3

Einen Grundsatz, der dem Anspruch unmittelbarer Evidenz genügt, findet Fichte – in Anlehnung an die neuzeitliche Subjektphilosophie seit Descartes – in der unmittelbaren Gewissheit des Ich bin. Die neuzeitliche Philosophie kann beginnend mit Descartes in ihrer Gesamtheit als eine um den Begriff selbstbewusster Subjektivität zentrierte Philosophie beschrieben werden. So schreibt etwa Gerhard Funke zur historischen Bedeutung des Begriffs des Selbstbewusstseins, die Neuzeit zeige „in ihrem Gesamtverlauf einen Zug zur Entfaltung des autonomen Selbstbewußtseins, zur Herausstellung der Immanenz des Bewusstseins überhaupt.“4 Selbstbewusstsein als das einzig sich selbst ausweisende und letztbegründende Prinzip gewinnt in zunehmendem Maß die Funktion eines „fundamentum inconcussum alles wahrheitsfähigen Vorstellens.“5

Die Fundierung jeglicher Erkenntnis in einem einheitlichen Prinzip ist für Fichte jedoch mit dem fundamentalen Problem verbunden, dass er Erkenntnis grundsätzlich als Beziehung eines vorstellenden Subjekts auf ein vorgestelltes Objekt auffasst. Die Alterität von Subjekt und Objekt ist neben der Fundierung allen wahrheitsmäßigen Vorstellens im Selbstbewusstsein ein weiteres fundamentales Merkmal neuzeitlicher Bewusstseinsphilosophie.6 Sie implementiert jedoch einen Dualismus an der Wurzel jeglicher Erkenntnis, der – soll der Erkenntnis durch ein einheitliches Prinzip ein sicheres Fundament gegeben werden – überwunden werden muss.7 Fichte betont im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797/98), dass die Auflösung des Dualismus von Subjekt und Objekt nur möglich ist, wenn eines seiner beiden Relata als Erklärungsgrund des anderen bestimmt wird.8 Die Alterität der Erfahrungsmomente von Subjekt und Objekt muss gemäß Fichtes subjektzentrierter Grundüberzeugung also in der Identität des Subjekts fundiert werden.

Die Genese der beiden Momente der Erfahrung, Subjekt und Objekt, wird von Fichte innerhalb der ersten beiden Grundsätze der Grundlage beschrieben. Da die Position der Subjekt-Objekt-Differenz in der Identität des Ich jedoch auf einen Widerspruch führt, bedürfen beide Grundsätze einer Vermittlung, welche den Widerspruch aufhebt. Diese Vermittlung erfolgt im dritten Grundsatz, der eine Dialektik von Subjekt, Objekt und der übergeordneten Totalität der Subjekt-Objekt-Identität inauguriert. Fichte ist insofern ein Exponent neuzeitlich dialektischer Philosophie, als deren Grundanliegen die Vermittlung der widersprüchlichen Annahmen einer Subjekt-Objekt-Differenz und einer Subjekt-Objekt-Identität beschrieben werden kann.9

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