Kitabı oku: «Kreativität und Hermeneutik in der Translation», sayfa 11

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Bibliographie
Verwendete Ausgaben von Raymond Queneaus Exercices de style und ihrer deutschen Übersetzungen

Queneau, Raymond (1947): Exercices de style. Paris: Gallimard.

Queneau, Raymond (2012): Exercices de style. Édition à tirage limité établie et présentée par Emmanuël Souchier. Paris: Gallimard.

Harig, Ludwig / Helmlé, Eugen (1961/2007): Raymond Queneau: Stilübungen. Aus dem Französischen von Ludwig Harig und Eugen Helmlé. Mit einem Nachwort von Ludwig Harig. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Heibert, Frank / Schmidt-Henkel, Hinrich (2016a): Raymond Queneau: Stilübungen. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Berlin: Suhrkamp.

Weitere Quellen und Sekundärliteratur

Arbex, Márcia (2010): „Les exercices de style brésiliens: Luiz Rezende lecteur de Raymond Queneau“. In: Synergies Brésil, No. spécial 2/2010, 119–126.

Assises de la traduction littéraire (1986): „Les « Exercices de Style » de Raymond Queneau: Table ronde présidée par Jacques Roubaud, avec Alš Berger, Ludwig Harig, Eugen Helmlé, Jan Ivarsson, Achilleas Kyriakidis, Barbara Wright“. In: Actes des Troisièmes Assises de la traduction littéraire (Arles 1986): Arles: Actes Sud, 99–125.

Bellos, David (2013): „The Artist on Her Trapeze: Barbara Wright’s 99 Variations on a Theme by Raymond Queneau“. In: Renouard, Madeleine / Kelly, Debra (eds.): Barbara Wright. Translation as Art. Champaign / London / Dublin: Dalkey Archive Press, 69–75.

Enzensberger, Hans Magnus (1961): „Varieté am Abgrund: Zu: Raymond Queneau: Stilübungen. Autobus S“. In: Beiblatt zur Erstveröffentlichung der Übersetzung. Frankfurt am Main. Unpaginiert.

Frank, Armin Paul (1986): „Wo Übersetzen Erfinden heißt: Vom Zwang zur übersetzerischen Freiheit“. In: Mitteilungsblatt für Dolmetscher und Übersetzer 3, 1–8.

Harig, Ludwig (1961): „Raymond Queneau – übersetzt im Saarland. Die Stilübungen und ihre Schwierigkeiten“. In: Saarbrücker Zeitung, Nr. 110, 13. Mai. Wieder aufgenommen in: Ludwig Harig: Wer schreibt, der bleibt. Aufsätze und Reden (= Gesammelte Werke, Bd. 8). Hrsg. von Werner Jung. München 2004, 281–287.

Harig, Ludwig (1971): „Spiel mit dem Stil: Zur Übersetzung von Texten Raymond Queneaus“. In: Saarheimat. Zeitschrift für Kultur, Landschaft, Volkstum, Nr. 15/1971, 222–226.

Harig, Ludwig (1990/2007): „Auf dem pataphysischen Hochseil. Zur Übersetzung der Stilübungen von Raymond Queneau“ [Erstmals veröffentlicht in der Neuausgabe von 1990, wieder aufgenommen in die Ausgabe von 2007]. In: Raymond Queneau: Stilübungen. Aus dem Französischen von Ludwig Harig und Eugen Helmlé. Mit einem Nachwort von Ludwig Harig. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 161–168.

Heibert, Frank / Schmidt-Henkel, Hinrich (2016b): „Spielerisch und subversiv: Das befreiende Lachen über erfüllte und übererfüllte Regeln. Nachwort des Übersetzers“. In: Raymond Queneau: Stilübungen. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Berlin: Suhrkamp, 195–207.

Heibert, Frank / Schmidt-Henkel, Hinrich (2016c): „Mein anderes Ich. Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel über gefährliche Lektüren, kunstvoll zerknüllte Sätze und das Bedürfnis nach einem frischen Hemd“. Interview: Alex Rühle und Christopher Schmidt. Süddeutsche Zeitung, Nr. 169, 23./24. Juli 2016, 18.

Humboldt, Wilhelm von (1820): „Ueber das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung“. In: Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften (1905), Bd. 4. Hrsg. von Albert Leitzmann und der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin: Behr, 1–34.

Puff-Trojan, Andreas (2016): „Stilübungen. Sprachartistik von Raymond Queneau“. ORF, 19. Juni 2016. In: http://oe1.orf.at/artikel/442615 [letzter Abruf am 30. August 2016].

Reichert, Klaus (1976): „Lesbarkeit oder Erhaltung der Komplexität? Thesen zur Praxis des Übersetzens“. In: Ders. (2003): Die unendliche Aufgabe. Zum Übersetzen. München: Edition Akzente. Carl Hanser Verlag, 63–77.

Wright, Barbara (1958/2009): “Preface” (1958). In: Raymond Queneau: Exercises in Style. Translated by Barbara Wright. New York: New Directions, 9–16.

Gustave Roud, „Hinweg, hinweg – Vite, passe le pont“

Irene Weber Henking (Lausanne)

Abstract: The article discusses the creative dimension of the French translation of Wilhelm Müller’s Des Baches Wiegenlied (The Brook’s Lullaby) by the twentieth-century Swiss poet Gustave Roud. This will enable me to confront some concepts derived from the theoretical framework of creative translation research in Translation Studies with the statements of the poet-translator and his own textual practice as a translator. The discrepancy between the dominant model of translation and the translator’s own understanding of his task as a quest for fidelity/equivalence on the one hand, and his actual translation practice as documented by the various versions of his translation on the other, brings to the fore the creative dimension of the translation process and sheds light on Roud’s translation of Müller’s poem as a continuation of the source text (Fortschrift). This example confirms the relevance of the “creative turn” in Translation Studies, and the urgent need to acknowledge the creativity of translation today.

Keywords: Translation Studies, genetic criticism, creative turn, author as translator, Gustave Roud.

Gustave Roud ist dem deutschsprachigen Publikum des 21. Jahrhunderts wohl kaum mehr ein Begriff. Doch zu seinen Lebzeiten (1897–1976) gehörte der Westschweizer zu den bedeutendsten Lyrikern und Übersetzern des französischsprachigen Raumes: Seine Übertragungen von Hölderlin, Poëmes de Hölderlin (1942), von Rilke, Lettres à un jeune poëte, précédées d’Orphée et suivies de deux essais sur la poésie (1947), von Novalis, Les Disciples à Saïs, Hymnes à la nuit, Journal (1948) und schließlich von Georg Trakl, Vingt-quatre poèmes (1978) wurden im frankophonen Raum rege rezipiert und mehrfach aufgelegt. Seit der Herausgabe seines Tagebuches Journal (Roud 2004) kann man nun auch nachvollziehen, welch zentrale Stellung das Übersetzen seit 1930, dem Jahr der ersten Übersetzungen von Gedichten von Novalis, in Rouds Leben eingenommen hat.

Und 1982 publizierte der Lyriker und Freund Philippe Jaccottet in der Reihe Cahiers Gustave Roud eine schmale Anthologie bis dahin unbekannter Übersetzungen, „introuvables, […] inconnues, [voire] tout à fait inédits“1 unter dem Titel Traductions éparses (Roud 1982b: 6). Jaccottet publiziert in diesem Band Rouds Übersetzungen von 14 Autoren, hauptsächlich aus der Romantik (Johann Wolfgang von Goethe, Clemens Brentano, Joseph von Eichendorff, Wilhelm Müller, August von Platen und Heinrich Heine), aber auch einzelne Gedichte von Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Franz Werfel und Werner Bergengrün. Ebenfalls entdeckte dieser Band zum ersten Mal Rouds Arbeit aus dem Italienischen und gab dem Leser Zugang zu zwei Übersetzungen zweier Gedichte von Eugenio Montale, „Les Citrons“ und „L’Arche“.

Im Archiv des Centre de recherche sur les lettres romandes der Universität Lausanne2 befindet sich der Fonds Gustave Roud mit zahlreichen, weiterhin unbekannten und nicht erfassten Dokumenten zu seiner Übersetzungsarbeit. Von den ersten bis zu den letzten Schritten kann hier die Entstehung der Übersetzungen verfolgt werden, angefangen mit den leicht annotierten Bänden aus seiner Privatbibliothek, über kleine, blaue Hefte mit deutsch-französischen Wortschatzlisten und seitenlangen Abschriften von Auszügen aus der Sekundärliteratur, bis hin zu den zahlreichen Typoskripten mit Handkorrekturen und der Korrespondenz mit Verlegern und Schriftstellerkollegen zu einzelnen Übersetzungsfragen. Bei der Durchsicht dieses äußerst reichhaltigen Archivbestandes zeigt sich, dass Roud neben seinen zahlreichen Übersetzungen deutscher Romantiker, viele Gedichte von italienischsprachigen Autoren übersetzte, wie z. B. von Bruno Barilli (1880–1952), Vincenzo Cardarelli (1887–1959) und Carlo Coccioli (1920–2003), aber auch von Gabriele d’Annunzio und einzelne Sonette von Michelangelo.

Und aus dem Vergleich der verschiedenen Stadien seiner Übersetzungen zeichnet sich eine Übersetzungspoetik ab, die sich einerseits durch eine Annäherung an die Sprachform des Originals auszeichnet und sich andererseits die sinnliche Sprachlichkeit des Zieltextes zum Fluchtpunkt macht. Wie diese Arbeit mit den seit Ende des 20. Jahrhunderts in Europa erarbeiteten Theorien der Kreativität im literarischen Übersetzen in Zusammenhang gebracht werden kann, sollen die folgenden Überlegungen und Übersetzungsbeispiele zeigen.

„Translations are derivative and uncreative“ (Brown 2012: 184) und als solche jedem Original unterlegen und unterstellt. Dies gilt zumindest seit der Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst von 1886 und bis zum ‚creative turn‘ der 1990er Jahre. Übersetzungen werden in der Schweiz auch heute noch als sog. „Werke zweiter Hand“ bezeichnet und unterliegen nicht denselben Gesetzen wie die „Werke“, d. h. die „geistige[n] Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben“.3 Denn, so heißt es bei ProLitteris, der Schweizerischen Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und bildende Kunst:

Schwieriger wird der Entscheid [über die Anwendung des Urhebergesetzes] bei kunsthandwerklichen Produkten, bei Kochrezepten, statistischen Aufstellungen, Möbeln usw. Bearbeitungen (Werke zweiter Hand) wie etwa Übersetzungen, Verfilmungen von literarischen Werken etc. können urheberrechtlich ebenfalls geschützt sein, sofern die Bearbeitung die gesetzlichen Voraussetzungen des individuellen Charakters erfüllt.4

Dass die Übersetzungen im 21. Jahrhundert endlich als „geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter“ wahrgenommen werden, ist auch auf die Forschung und Diskussion um die immer schwieriger zu handhabende Dichotomie zwischen Autor und Übersetzer und Original und Übersetzung zurückzuführen. Schreiben und Übersetzen verlangen nach einem kreativen Umgang mit Sprachmaterial. Und die Tatsache, dass der Übersetzer von einem ersten, vorgeformten Text ausgeht, erleichtert oder verringert die kreativ innovative Arbeit keineswegs. Ganz im Gegenteil, wie dies Eugenia Loffredo und Manuela Perthegella in der Einleitung zum Sammelband Translation and Creativity pointiert formulieren:

[…] the exercise of one’s creativity turns out to be directly proportional to the constraints to which one is subject; in other words, the more one is constrained, the more one is creative. (Loffredo/Perthegella 2006: 6)

Überblickt man die übersetzungswissenschaftlichen Publikationen zum Thema der Kreativität, so gibt es sowohl im deutschsprachigen als auch angelsächsischen Raum erste Ansätze, die in die 1990er Jahre zurückgehen: Insbesondere die Arbeiten von Paul Kußmaul (1993, 1995, 1999, 2000a, 2000b) und André Lefevere (1992), später auch von Susan Bassnett/Peter Busch (2008) und Loffredo/Perteghella (2006) haben den creative turn auch in der Übersetzungswissenschaft vollzogen.5

Auch im französischen Kulturraum finden sich Ansätze zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema, die sogar noch etwas weiter zurückliegen und mit dem Gedankengut der deutschen Romantik und dessen hermeneutischer Tradition im Dialog stehen.6 Dabei kann insbesondere auf die Arbeiten von Antoine Berman und Henri Meschonnic verwiesen werden. Beide Autoren scheinen primär dem Übersetzungsprinzip der Formtreue verhaftet zu sein. Doch ist die Bermansche und Meschonnicsche Form einerseits nicht mit der Form des strukturalistischen Zeichens zu verwechseln und andererseits darf deren Treue nicht vorschnell mit dem Prinzip der Äquivalenz verbunden werden.

Berman basiert seine Ausführungen zur eingeforderten Formtreue der Übersetzungen auf den Essay „Die Aufgabe des Übersetzers“ von Walter Benjamin (1923: 9–21) und dessen zentrales Axiom „Übersetzung ist eine Form“ (1923: 9). Benjamin versucht, wie viele andere vor und nach ihm,7 aus der unmittelbaren Erfahrung der Übersetzungspraxis auf einer metatextlichen Ebene das Problem der Übersetzbarkeit und die Frage nach der Autorschaft von Original und Übersetzung zu formulieren. Benjamin erwartet von der Übersetzung keine Mitteilungen, weil sie nur das Unwesentliche der sprachlichen Äußerungen betreffen, sondern verlangt von der Übersetzung die Wiedergabe des Wesentlichen und des Wesens eines Originals: die Form. Diese Einsicht wiederum spricht gegen das die gesamte Übersetzungstheorie strukturalistischer Faktur beherrschende Prinzip der Äquivalenz. Was Benjamin und in seiner Folge Berman und Meschonnic in Frankreich als Ideal der Übersetzung postulieren, ist die Übersetzung als wörtliche Entfaltung der Sprache des Originals, welche dieses nicht ersetzt oder tilgt, sondern kreativ fortschreibt.

Antoine Berman beschreibt in seinem 1985 erschienen Buch La traduction et la lettre ou l’auberge du lointain ein Übersetzungsmodell, das er, in Anlehnung an Benjamins Formprinzip, als „littéralisante“ bezeichnet:

[La traduction] est manifestation d’un original, d’un texte qui n’est pas seulement premier par rapport à ses dérivés translinguistiques, mais premier dans son propre espace de langue. […] La visée éthique, poétique et philosophique de la traduction consiste à manifester dans sa langue cette pure nouveauté en préservant son visage de nouveauté. […] Si la forme de la visée est la fidélité, il faut dire qu’il n’y a de fidélité – dans tous les domaines – qu’à la lettre.

[…] Fidélité et exactitude se rapportent à la littéralité charnelle du texte. En tant que visée éthique, la fin de la traduction est d’accueillir dans la langue maternelle cette littéralité. Car c’est en elle que l’oeuvre déploie sa parlance, sa Sprachlichkeit et accomplit sa manifestation du monde. (Berman 1999: 76–78)

So die Auslegung der idealen Übersetzung von Berman: Die „visée ‚ultime’ de la traduction“ (Berman 1999: 73), das Fernziel der Übersetzung, ist dem französischen Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler zufolge ein ethisches, das darin besteht, „à reconnaître et à recevoir l’Autre en tant qu’Autre“ (Berman 1999: 74), d. h. das Andere als das Andere zu erkennen und aufzunehmen, in seiner auch in der französischen Sprache eigenartig klingenden „parlance“ und der absolute fremden „Sprachlichkeit“. Die Übersetzung muss, so Berman, „accueillir l’Etranger dans sa corporéité charnelle, [et] s’attacher à la lettre de l’œuvre“ (Berman 1999: 77), die Übersetzung muss das Fremde in seiner sinnlichen Körperlichkeit empfangen und sich um die Buchstäblichkeit des Werkes bemühen. Benjamins „Aufgabe des Übersetzers“ klingt hier deutlich an und seine Metaphern der Übersetzung als „Entfaltung“ (bei Berman im Verb „déployer“ wiedergegeben) und als „Arkade“ der Wörtlichkeit („littéralité“), welche das Original „durchscheinen“ lassen, bilden die sichtbare Folie zu Bermans eigenem Text. Was die Bermansche und Benjaminsche Formel der Übersetzung als Entfaltung der Sprache und „[déploiement de la] parlance“ machbar macht, ist die Überzeugung, welche die beiden teilen: Weder Aussage noch Mitteilung gilt es zu übertragen, sondern das Wesen und Wesentliche der Dichtung, d. h. „das Unfaßbare, Geheimnisvolle, ‚Dichterische‘“ (Benjamin 1923: 9), das sich in der Form und seiner Sprache manifestiert. Dabei soll, wie Berman es formuliert, das Antlitz des Neuen in der Übersetzung offen gelegt werden, „manifester dans sa langue cette pure nouveauté en préservant son visage de nouveauté“ (Berman 1999: 76).

Auch Henri Meschonnic, Übersetzer, Schriftsteller und Linguist, der zusammen mit Antoine Berman das Gedankengut der deutschen Romantik und Hermeneutik in die französische, linguistisch-strukturalistisch geprägte Übersetzungswissenschaft gebracht hat, wendet sich von der Übersetzung als simplem Sinntransfer ab. Doch während Berman die „littéralité“ und „Sprachlichkeit“ des Originals als Fluchtpunkt jeder Übersetzung setzt, sieht Meschonnic im Rhythmus das leitende Prinzip jeder Übersetzung.

Traduire selon le poème dans le discours, c’est traduire le récitatif, le récit de la signifiance, la sémantique prosodique et rythmique, non le stupide mot à mot […] Parce que le mode de signifier, beaucoup plus que le sens des mots, est dans le rythme […] C’est pourquoi traduire passe par une écoute du continu. (Meschonnic 1999: 28–29)

Sowohl Meschonnic als auch Berman dürfen jedoch nicht als sourciers verkannt werden und ihre Theorie auf das Niveau einer eingeforderten ‚Originaltreue‘ reduziert werden. Ganz im Gegenteil verlangen sie beide von der Übersetzung eine kreative Bearbeitung und Umformung:

Ainsi le grand transformateur du traduire n’est pas le sens, les différences dans le sens, l’herméneutique. C’est le rythme. Pas le rythme au sens traditionnel, d’alternance formelle du même et du différent, ordonnance, mesure, proportion. Mais le rythme tel que la poétique l’a transformé, organisation d’un discours par un sujet, et mouvement de la parole dans l’écriture, prosodie personnelle, sémantique du continu. (Meschonnic 1999: 165)

Die Texte von Berman und Meschonnic zeigen, dass das Prinzip der Formtreue keineswegs im Gegensatz zu dem ein gutes Jahrzehnt später entwickelten Konzept der übersetzerischen Kreativität steht, sondern aufgrund seiner eigenen romantischen Vorgeschichte an einem in mehrfacher Hinsicht produktiven Übersetzungsmodell anknüpft.

Gustave Roud, Übersetzer der wichtigsten Dichter der deutschen Romantik ins Französische, zeigt mit seinen Ausführungen zum Übersetzen und in den verschiedenen erhaltenen Stufen seiner Arbeiten den Weg und die Spannung zwischen der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Wissenschaft und Leserschaft eingeforderten Originaltreue und dem von den romantischen Originalautoren getragenen Gedanken der absolut produktiv und kreativ gedachten ‚Universalpoesie‘. Trotz des unmittelbaren Erfolgs seiner Übersetzungen zeigt sich Roud von Zweifeln geplagt und unzufrieden mit seiner Arbeit: Er spricht vom „Schiffbruch“ seines Versuchs, einen Gotthelf-Roman zu übersetzen, der „Pleite“ seiner Trakl-Übertragungen8 und seinen zahlreichen Problemen mit den Hölderlin-Übersetzungen, von denen er mit (gespielter) Bescheidenheit behauptet, sogar ein Schüler könnte sie lösen, „un petit collégien [les] résoudrait sans peine“.9 Und immer wieder hebt er in seinem Tagebuch das quälende Gefühl des Ungenügens und die stumpfe Pflicht seiner Übersetzerarbeit im Allgemeinen hervor:

[…] toujours plus intolérable et paralysant, de ne jamais plus pouvoir remonter, désormais, jusqu’au ‘seuil’ […] à partir duquel la création poétique redevient possible, et d’être à jamais incapable de liquider l’amoncellement d’arriéré qui engage mon Futur et lui bouche l’horizon. (Roud 2004: 409)

Roud sieht in seiner Übersetzungsarbeit keine kreative Tätigkeit und stellt sie ganz bewusst der „création poétique“, jenem poetischen Schaffen gegenüber, das vom Übersetzen selbst, dem ‚lästigen Pflichtpensum‘, lediglich verhindert wird. Doch Roud ist kein Kopist und das Übersetzen ist ein (uneingestandener) Teil seines poetischen Schaffens. Diese Spannung zwischen kreativem, ‚originalem‘ Schaffen und der übersetzerischen Wiedergabe wird auch in diesem Zitat aus einer Radiosendung von 1943 sichtbar, da der Sprecher auf die zwölf Lebensjahre verweist, die der Dichter Gustave Roud auf die Übersetzung der Gedichte von Hölderlin verwendet hat:

Monsieur Gustave Roud, l’un de nos meilleurs poètes, l’auteur de trop rares et beaux poèmes, de quelques pages lyriques d’une grande beauté, a consacré douze années de sa vie à traduire les poèmes d’Hölderlin. Nous regrettons de n’avoir pas d’autre mot que celui de traduction – ce mot qui sert à tant de besognes médiocres – pour essayer de définir l’émouvant et grave travail accompli par Monsieur Roud […].10

1943 haftete dem Wort und der Tätigkeit des Übersetzens nicht viel Gutes und noch weniger Kreatives an, und der Sprecher entschuldigte sich dafür, dass die doch geradezu „ergreifend würdevolle Arbeit“ („l’émouvant et grave travail“) mit keiner anderen Bezeichnung als „traduction“ umschrieben werden könne. Dass die Übersetzungsarbeit trotz aller Klagen des Autors und aller Einwände der damaligen Kritik zu Rouds Werk gehört, zeigt die Übersetzung eines Liedtextes von Wilhelm Müller, der Gustave Rouds Schaffen während 40 Jahren begleitet und geprägt hat.11

1935, Gustave Roud steckt mitten in seinen Hölderlin-Übersetzungen, die ein erstes Mal 1942 (Verlag Mermod, Lausanne) und schließlich 1967 (Pléiade, Paris) in verschiedenen Fassungen herauskommen, übersetzt der Zeitgenosse von Charles Ferdinand Ramuz die Lieder von Wilhelm Müller, „le parolier de Schubert“ (Pétermann 2009: 138). In der sehr umfangreichen Korrespondenz mit Georges Nicole, dem Literaturkritiker und Übersetzer von Petrarca, scheint Roud – einmal mehr – an seinen Übersetzungstalenten zu zweifeln und schreibt im Oktober 1935: „J’ai fait des tentatives désespérées pour transposer des lieds de Müller et de Heine. Echec complet“ (Pétermann 2009: 258–259). Auch in seinem Tagebuch finden sich, verstreut zwischen Landschaftsbeschreibungen vereinzelte Hinweise auf diese Übersetzungsarbeit und zeugen von der intensiven Beschäftigung mit den Liedtexten.12 Ein Beispiel dieser Arbeit mit Vorstufen und Varianten, welches die kreative Arbeit von Roud im Umgang mit den deutschen Originaltexten beweist, ist seine Übersetzung des Gedichtes „Des Baches Wiegenlied“ aus dem Zyklus Die schöne Müllerin,13 bekannt durch die Vertonungen von Franz Schubert aus dem Jahre 1823.

Des Baches Wiegenlied

Gute Ruh’, gute Ruh’!

Thu’ die Augen zu!

Wandrer, du müder, du bist zu Haus.

Die Treu’ ist hier,

Sollst liegen bei mir,

Bis das Meer will trinken die Bächlein aus.

Will betten dich kühl,

Auf weichem Pfühl,

In dem blauen krystallenen Kämmerlein.

Heran, heran,

Was wiegen kann,

Woget und wieget den Knaben mir ein!

Wenn ein Jagdhorn schallt

Aus dem grünen Wald,

Will ich sausen und brausen wohl um dich her.

Blickt nicht herein,

Blaue Blümelein!

Ihr macht meinem Schläfer die Träume so schwer.

Hinweg, hinweg

Von dem Mühlensteg,

Böses Mägdlein, daß ihn dein Schatten nicht weckt!

Wirf mir herein

Dein Tüchlein fein,

Daß ich die Augen ihm halte bedeckt!

Gute Nacht, gute Nacht!

Bis Alles wacht,

Schlaf’ aus deine Freude, schlaf’ aus dein Leid!

Der Vollmond steigt,

Der Nebel weicht,

Und der Himmel da oben, wie ist er so weit! (Müller 1906: 21–22)

Die französische Übersetzung von Gustave Roud wird das erste Mal 1982, sechs Jahre nach seinem Tod, von seinem Freund und Herausgeber Philippe Jaccottet im Band Traductions éparses mit folgendem Begleittext veröffentlicht:

Dans les papiers de Roud, une page de titre soigneusement dactylographiée : Lieds de Wilhelm Müller, témoigne encore de ce projet [einer Gesamtübersetzung der Schönen Müllerin] dont il ne nous reste que la dite Berceuse, inédite, […]. (Roud 1982b: 44)

Und Philippe Jaccottet beendet seine einleitenden Worte zum Archivfund mit einem Satz, der unbewusst die Kreativitätstheorie, wie sie sich einige Jahre später auch im Bereich der Übersetzungswissenschaft entwickeln wird, aufnimmt: „On peut juger qu’à cent ans de distance, Roud, en imagination, ajoutait à la poésie de Müller presque autant que ce que Schubert lui a donné par la musique, en la sauvant de l’oubli“ (Roud 1982b: 44). Roud hat den Text von Müller ganz nach dem griffig von Kußmaul formulierten Prinzip „neu“ und „nützlich“ (Kußmaul 2000b: 12)14 übersetzt, oder wie Jaccottet es formuliert, dem Text von Müller fast soviel wie die Musik von Schubert hinzugefügt und ihn damit vor dem Vergessen bewahrt. Die von Jaccottet herausgegebene Version folgt dem letzten handkorrigierten Typoskript, das im Archiv aufbewahrt wird:

Berceuse du ruisseau

Repose toi, repose

Ferme les yeux …

Las voyageur, voici ta maison qui t’accueille !

Je te serai fidèle

Il faut t’étendre ici

Jusqu’au jour où la mer aura bu les ruisseaux.

J’arrangerai pour toi

Le lit frais, l’oreiller tendre

Au cœur du cristal bleu de mon étroite chambre.

Vienne à moi, vienne à moi

Tout ce qui peut bercer !

Bercez jusqu’au sommeil, bercez-moi mon enfant !

Quand le cor sonnera

Hors des vertes ramures

Je saurai t’entourer de rires, de murmures.

Détournez vos yeux bleus,

Vous les fleurs de la berge !

Vous peuplez mon dormeur de songes douloureux.

Vite, passe le pont

O pars, enfant cruelle !

Il ne faut pas que ton ombre l’éveille.

Dénoue et jette-moi

Ton beau fichu de soie

Pour lui couvrir à tout jamais les yeux.

Bonne nuit, mon dormeur

Un jour tout va revivre …

Epuise en ton sommeil ta joie et ta douleur !

Voici mourir la brume

Voici monter la lune

Et le ciel tout là-haut qui s’ouvre à l’infini ! (Roud 1982b: 46)

Doch entgegen der Behauptung des Herausgebers ist diese Version 1982 bereits kein eigentliches Inédit mehr, ein unveröffentlichtes Werk, sondern Spuren und einzelne Verse davon können ab 1935 gefunden werden.15 Im Archiv sind vier Versionen des Gedichtes „Des Baches Wiegenlied“ erhalten und die vergleichende Lektüre dieser Fassungen erlaubt es, das übersetzerische Projekt von Gustave Roud und dessen kreativen Mehrwert näher zu bestimmen. Wie bei (fast) allen seinen Übersetzungen beginnt Roud mit einer ausgedehnten Recherchearbeit zum Autor und zum Text und einer sorgfältigsten Listung des Wortschatzes in zwei Kolonnen: links die deutschen Wörter in Sütterlin-Schrift unterstrichen und rechts davon die französischen, semantischen Äquivalente in seiner Schreibschrift. Die erste Version seines Wiegenliedes ist denn auch durch eine große „littéralité“, eine Buchstabentreue im Sinne von Berman, geprägt: Die „Blümelein“ sind „petites fleurs“ und das „böse Mägdlein“ ist ein „méchante enfant“. Auch auf der syntaktischen Ebene hält sich Roud an die Originalstruktur und nimmt die zahlreichen Wiederholungen einzelner Syntagmata, die das Wiegenlied auch als Gattung charakterisieren, auf und verstärkt sie sogar noch mit einer zusätzlichen Reprise von „jette-moi“ in der vorletzten Strophe. Dieser ersten Version A folgen zwei weitere B und C, auf der Rückseite des gleichen Blattes notiert. An den zwei letzten Strophen kann der Weg zur vierten und letzten, oben zitierten, Fassung nachgelesen werden16:


Roud arbeitet in den drei Arbeitsversionen auf drei verschiedenen Ebenen, um in der vierten Version einen langen Prozess abzuschließen: Er beginnt mit einer wörtlichen Übertragung, welche dem Original möglichst bis in die Wortstellung nahe bleibt. Die Voranstellung des Adjektivs („méchante enfant“), die Position der Negationspartikel („que ton ombre ne le réveille“) und die Wiederholungen ganzer Syntagma („Va-t-en donc, va-t’en“ / „Bonne nuit, bonne nuit“) wird respektiert und sogar noch überzeichnet mit der zusätzlichen Repetition von „Jette-moi, jette-moi“ und „Voici monter la lune / Voici céder la brume“. In der zweiten Version B findet ein sehr komplexer Arbeitsgang statt, welcher den Autor dazu führt, seine Übertragung dem Stil der französischen Literatursprache einzuschreiben und die Blickführung des Originals zu klären. Nun werden die neu eingefügten und in der französischen Literatur wenig beliebten Wortwiederholungen wieder rückgängig gemacht und durch semantische Variationen ersetzt („quitte le pont, va-t-en“, „donne-moi, jette-moi“), die Wortstellung der Norm angeglichen und der Wortschatz literarisiert und stilistisch angehoben (aus dem einfachen „méchante“ ein „cruelle“ und dem „réveille“ ein „éveille“, aus den wörtlichen Übertragungen „fin mouchoir“ wird ein „fichu de soie“, dem „dors toute la douleur“ ein „épuise en ton sommeil“ und aus dem „le ciel […] s’ouvre“ ein poetisches „le ciel […] s’éploie“). Die zweite Version B ist eine sehr hybride Zwischenfassung, die aufgrund der zahlreichen Korrekturen im Text, den Übergang von der Originalform und dessen „Sprachlichkeit“ zur „parlance“ des Zieltextes sichtbar macht. Im Übergang von der zweiten und dritten Version zur letzten Version wird schließlich der von Meschonnic eingeforderte Rhythmus hörbar, der nicht mit der Metrik gleichzustellen ist, sondern jene „organisation d’un discours par un sujet, et mouvement de la parole dans l’écriture, prosodie personnelle, sémantique du continu“ (Meschonnic 1999: 165) umschreibt. Tatsächlich zeichnet sich die Version C bereits durch ein sehr regelmäßiges und klassisches metrisches Versschema aus, das die bis ins 16. Jahrhundert dominierenden Zehnsilber mit den Alexandrinern (die Halbverse teilweise auf zwei Zeilen verteilt) alternierend gebraucht. Erst in der letzten Version wird jedoch der von Meschonnic definierte Rhythmus des Sprechers und Autors Gustave Roud als kreative Neuformung des Originals in den subtilen Umstellungen im Vergleich zur Version C sichtbar. Die erklärende und semantisch verdoppelte Formulierung „quitte le pont, va-t’en“ macht dem gestischen Sprechen „vite, passe le pont“ Platz und gibt dem Ausruf jene Intensität zurück, welche in der deutschen Sprache von der Wiederholung des „hinweg, hinweg“ geschaffen wird. Auch die im Vergleich zur Version C leicht verschobenen End- und Binnenreime tragen nun das Gedicht in seiner Endfassung jener Interpretation zu, die immer deutlicher vom Original abweicht und das eigentliche poetische Projekt von Gustave Roud umschreibt: Während im deutschen Text von Wilhelm Müller der Tod des Wanderers aus der Perspektive des Baches besungen wird, inszeniert Roud einen Dialog zwischen dem Dichter-Ich und dem müden Reisenden, der von einem hoffnungsvollen Ende und einer Wiedergeburt spricht:

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