Kitabı oku: «Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag», sayfa 2

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Aufgaben des Bundestages

Damit sind zwei der wichtigsten Funktionen des Bundestages bereits deutlich geworden: Die Wahl- und die Gesetzgebungsfunktion. Der Bundestag entscheidet direkt oder indirekt mit, wer wichtige Staatsorgane, Verwaltungsfunktionen, herausgehobene Richterstellen und die Leitung von Kontrollbehörden übernimmt. Er kreiert also Verantwortlichkeiten, weswegen auch von einer Kreationsfunktion gesprochen wird.

Nicht minder wichtig ist seine Aufgabe als Gesetzgeber. Wie zu Beginn der Wahlperiode deutlich wurde, kann er sie selbstständig wahrnehmen und muss nicht auf Gesetzentwürfe der Regierung warten, obwohl dort natürlich ein großer praktischer und juristischer Sachverstand vorhanden ist. Die Gesetzgebung (lateinisch: legum latio) ist ein derart herausragendes Alleinstellungsmerkmal, dass die Wahlperiode eines Bundestages auch als Legislaturperiode bezeichnet wird, das Parlament auch als Legislative gilt.

Bundestag das oft zitierte „Forum der Nation“.

Ohne die Forumsfunktion des Bundestages sind diese beiden Aufgaben jedoch nicht vorstellbar: Wer vom Volk als Vertreter legitimiert ist, die Regierenden zu bestimmen und Gesetze zu machen, der muss auch nachvollziehbar die dahinter stehenden Beweggründe darlegen. Alle drei Aufgaben stehen unter der Klammer höherer Verbindlichkeit. Es ist ein Unterschied, ob eine Talkshow im Fernsehen mit provokanten, gezielt ausgesuchten Meinungen Einschaltquote erreichen will oder ob der nach dem Wählerwillen repräsentativ zusammengesetzte Bundestag stellvertretend in aller Öffentlichkeit mit der Überzeugungskraft unterschiedlicher Argumente ringt. Hier bildet der Bundestag das oft zitierte „Forum der Nation“. Die Zeiten sind längst vorbei, in denen diese Öffentlichkeit lediglich gegenüber zufälligen Besuchergruppen, über die Berichterstattung der Medien und dicke Wälzer gebundener stenografischer Protokolle hergestellt wurde. Ein paar Klicks reichen nun, und jeder ist per Internet über bundestag.de live dabei, kann sich auch nachträglich noch alle öffentlichen Sitzungen insgesamt anschauen oder zu einzelnen Redebeiträgen scrollen. Wer wissen will, was im Bundestag vor sich geht, wird rund um die Uhr zu jedem Thema fündig.

Die Bedeutung des Parlamentes liegt zudem in seiner Budgetfunktion. Der Bundestag entscheidet, wofür in diesem Staat auf Bundesebene Geld ausgegeben wird. Und wofür nicht. Die Bundesregierung wird zwar gerne mit Hinweisen zitiert, sie habe für dieses oder jenes Projekt Mittel bereitgestellt. Tatsächlich steht dahinter stets der Bundestag als Haushaltsgesetzgeber, der auch den Abfluss der Mittel kontrolliert und unvorhergesehene zusätzliche Ausgaben ebenfalls genehmigen muss. Diese besondere Rolle wird auch durch die Tradition unterstrichen, dass der Vorsitz im einflussreichen Haushaltsausschuss des Bundestages von einem Mitglied der größten Oppositionsfraktion übernommen wird.

Die Kontrollfunktion der Opposition ist also wichtig, damit nichts unter den Teppich gekehrt werden kann.

Damit sind wir bei der Kontrollfunktion des Bundestages. In der öffentlichen Wahrnehmung wird diese vor allem den oppositionellen Fraktionen zugeschrieben. Sie treten oft mit beißender Kritik in Erscheinung, forschen hartnäckig nach Verantwortlichkeiten und Hintergründen, wenn in der Regierung etwas schiefgelaufen ist. Auch deshalb ist es das Parlament gewohnt, ein wenig auf die endgültige Regierungsbildung zu warten, um jedem Ministerium und dem jeweiligen Fachbereich gezielt jeweils mindestens einen Ausschuss spiegelbildlich entgegenstellen zu können. So schauen Umweltpolitiker dem Umweltministerium auf die Finger, Außenpolitiker dem Außenministerium, Gesundheitspolitiker dem Gesundheitsministerium. Das ist in Zeiten des Klimawandels, angesichts eskalierender Konflikte und vor allem auf dem Weg zu Corona-Impfstoffen besonders wichtig. Der Bundestag muss aber nicht auf die Bildung einer neuen Regierung warten. Er ging alleine für die Fachberatungen an den Start und vollzog sodann den neuen Zuschnitt der Ministerien nach. So folgte er dem um die Bereiche Bau und Heimat erweiterten Innenministerium, indem es einerseits den Innenausschuss um die Zuständigkeit für Heimat erweiterte, zugleich aber auch einen Schwerpunkt mit einem eigenen Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen einsetzte.

Kontrolle ist zwar faktisch vor allem Sache der Opposition, auch wenn das Parlament als Ganzes dazu offiziell berufen ist. Doch auch die Regierungsfraktionen sind daran beteiligt – und mitunter sogar besonders wirksam: Veränderungen am Haushaltsentwurf der Regierung kommen vorwiegend aufgrund der Vorstellungen in den Koalitionsfraktionen zum Tragen, und wenn ein Vorhaben der Regierung die eigene Fraktion nicht zu überzeugen vermag, ist es damit schnell zu Ende. Auch Rücktrittsforderungen gegenüber Regierungsmitgliedern sind oft folgenlos, wenn sie nur von der Opposition kommen. Wenn aber auch die Mehrheitsfraktionen die angegriffene Person für nicht mehr tragbar halten, wird sie zumeist abgelöst. Die Kontrollfunktion der Opposition ist also wichtig, damit nichts unter den Teppich gekehrt werden kann.

Parlamente im Parlament: Die Fraktionen

Die Fraktionen bilden eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der parlamentarischen Abläufe. Die Bezeichnung kommt aus dem lateinischen Wort fractio für „Bruchstück“. Es umschreibt ein doppeltes Herausbrechen eines Teiles: Einerseits ist jede Fraktion Teil eines Parlamentes und mit zahlreichen Sonderrechten ausgestattet, um sich über zusätzliche Mitarbeiter arbeitsfähig zu machen und mit Fachwissen auszustatten, die Abläufe im Parlament mit zu gestalten und parlamentarische Initiativen von besonderem Gewicht zu starten. Andererseits ist jede Fraktion faktisch auch ein herausgebrochener Teil jener Partei, der ihre Mitglieder angehören. Bei den Fraktionen von SPD, AfD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ist das leicht ersichtlich. Für die CDU/CSU-Fraktion ist erst zu Beginn jeder Wahlperiode ein neuer Beschluss von CDU und CSU nötig, sich zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammenzuschließen. Das ist so lange möglich, wie die beiden Parteien in keinem Bundesland gegeneinander antreten und gleichgerichtete Ziele verfolgen.

Das Parlament des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern hat 71 Abgeordnete. Fast so viele Abgeordnete stellen im Bundestag allein die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen mit 67 Abgeordneten und Die Linke mit 69 Abgeordneten. Alle anderen Fraktionen liegen noch deutlich darüber. Der größte deutsche Landtag in Nordrhein-Westfalen besteht aus 199 Abgeordneten. Allein die Unionsfraktion im Bundestag besteht jedoch aus 246 Abgeordneten. Schon von diesen Zahlen liegt es daher nahe, dass sich auch innerhalb einer Fraktion im Bundestag unterschiedliche Gruppierungen wiederfinden. Da gibt es die Gruppe der Frauen oder die Gruppe der jungen Abgeordneten, es gibt Zusammenschlüsse entlang politischer Strömungen und solche entsprechend der Landsmannschaften. In allererster Linie beziehen sich die fraktionsinternen Strukturen aber auf Arbeitsgruppen und Arbeitskreise, in denen sich Sozialpolitiker genauso verbinden wie Wirtschaftspolitiker, Finanzpolitiker oder Innenpolitiker. Diese Gremien leisten wichtige Schrittmacherfunktionen und prägen Meinungen und Einstellungen der Kollegen. Sie schlagen ihrer eigenen Fraktion Positionierungen vor, tragen diese in die Detailberatung der Fachausschüsse und koppeln von dort den Beratungsfortschritt zurück in die Fraktion, damit diese rechtzeitig eine einheitliche Meinung festlegen kann.

Natürlich wäre es theoretisch möglich, dass sich alle 709 Abgeordneten allein als Vertreter des ganzen Volkes entsprechend den grundgesetzlichen Vorgaben aus Artikel 38 unbeeinflusst von irgendwelchen Gremien eine Meinung bilden. Aber ist es realistisch, dass sich jeder Abgeordnete in jedes von mehreren tausend Gesetzen mit seinen Hintergründen, Problemen, alternativen Lösungen und Perspektiven einarbeitet? Da ist es schon einfacher, sich innerhalb einer Gruppe von im Grundsatz gleichgesinnten Abgeordneten arbeitsteilig professionell aufzustellen und dem Fachwissen der politisch befreundeten Kollegen zu vertrauen, so wie sich diese auf die Empfehlungen unserer Beispielabgeordneten auf ihren Fachgebieten verlassen.

Der unscharfe Begriff „Fraktionszwang“

Im Laufe dieses Meinungsbildungsprozesses zu jedem einzelnen Gesetzentwurf bildet sich innerhalb jeder Fraktion eine Empfehlung heraus, über die dann abgestimmt wird und deren Mehrheitsentscheidung in der Regel von allen Fraktionsangehörigen akzeptiert werden soll. Das wird in der Öffentlichkeit häufig als „Fraktionszwang“ bezeichnet. Gerade bei umstrittenen Themen und knappen Mehrheiten im Parlament gibt es tatsächlich mehr oder weniger sanften Druck auf diejenigen, die sich entsprechend der Fraktionsregularien beim Fraktionsvorstand melden müssen, wenn sie von der Mehrheitsentscheidung abweichen wollen. Die „Abweichler“ werden dann möglicherweise verstärkt „bearbeitet“ und in „Beichtstuhlgesprächen“ unter vier Augen auf die Konsequenzen ihres Votums hingewiesen. Letztlich verbietet sich jedoch eben aufgrund von Artikel 38 und der darin garantierten Freiheit des Mandates, Abgeordnete zu einer bestimmten Stimmabgabe zu „zwingen“.

Rund 90 Prozent der parlamentarischen Arbeit findet außerhalb des Plenums statt.

Allerdings ist die oft zu hörende Kritik an möglichst einheitlicher Stimmabgabe von Abgeordneten einer Fraktion ebenfalls kritisch zu hinterfragen. Es gibt neben dem Artikel 38 zur Unabhängigkeit der Abgeordneten auch den Artikel 21, demzufolge die Parteien an der Willensbildung mitwirken. Wer Parteien also daran misst, was sie vor der Wahl ankündigen und nach der Wahl davon umsetzen, der sollte auch Verständnis dafür haben, dass Fraktionsführungen jeden einzelnen Abgeordneten von einer gemeinsam gefundenen Linie zu überzeugen versuchen. Und wer die Stabilität einer Regierung danach beurteilt, wie geschlossen sie von den sie tragenden Fraktionen unterstützt wird, der sollte sich auch nicht wundern, wenn die Fraktionsführungen ebenfalls auf diesen Aspekt achten. So greift vieles ineinander und entlarvt oft zu hörende Kritikmuster an bestimmten Vorgängen im Bundestag als in sich widersprüchlich.

Das Arbeitsparlament

. . . weil es ein Erlebnis besonderer Art ist, in der Kuppel bis ganz nach oben zu steigen.

An dieser Stelle lässt sich auch die verbreitete Kritik an leeren Stühlen im Plenum während der meisten Routinedebatten aufgreifen. Wenn Medien die Bilder eines nur spärlich besetzten Plenarsaales mit kritischen Bemerkungen zum angeblich unterentwickelten Arbeitseifer von Abgeordneten veröffentlichen, ist diese Verurteilung nicht nur oberflächlich, sondern auch so lange wohlfeil, so lange nicht gleichzeitig die Pressetribüne gezeigt wird. Hier ist zumeist eine Parallelität zu beobachten. Füllen sich die für Medienvertreter reservierten Zuschauerränge mit Journalisten, sind zumeist auch darunter im Plenum die meisten Plätze besetzt. Geht es dagegen nicht um eine herausragend wichtige, aufwühlende und weichenstellende Beratung, sondern um die Abfolge von Debatten über einzelne Spezialnormen von wenig allgemeinem Interesse, gehen in der Regel sowohl die gerade nicht gefragten, also fachlich zuständigen Abgeordneten als auch die Journalisten außerhalb des Plenarsaales ihrer Arbeit nach.

Der Bundestag darf nämlich nicht auf das Plenum verkürzt werden. Rund 90 Prozent der parlamentarischen Arbeit finden außerhalb statt. Deswegen ist er mit der Bezeichnung Arbeitsparlament insgesamt auch besser umschrieben als mit der eines Redeparlamentes. Sicherlich wäre eine bessere Präsenz des Plenums häufig wünschenswert. Doch Anwesenheitslisten werden nicht nur vor den Eingängen des Plenarsaales ausgelegt, sondern an vielen Stellen in den Häusern des Bundestages. Verschaffen wir uns einmal einen kleinen architektonischen Überblick.

Gang durchs Parlamentsviertel

Im Mittelpunkt steht das historische Reichstagsgebäude. Es gehört zu den attraktivsten touristischen Reisezielen, weil es ein Erlebnis besonderer Art ist, in der Kuppel bis ganz nach oben zu steigen und dabei stets neue Eindrücke von Berlins Mitte zu gewinnen. Zu DDR-Zeiten stand es dicht an der Mauer und wurde nach einer ersten Sanierung und Modernisierung Anfang der 70er Jahre bereits während der deutschen Teilung vom Bundestag für einzelne Gremiensitzungen und eine ständige Ausstellung über Fragen zur deutschen Geschichte genutzt. Die Verhüllung mit 100.000 Quadratmetern spezialbeschichtetem, leicht silbern glänzendem Stoff durch das Künstlerpaar Christo und Jean-Claude markierte 1995 einen weltweit beachteten Neuanfang.

Daraus wurde der vierte Plenarsaal in der Geschichte des Bundestages – nach den ersten Jahrzehnten – alle in Bonn – im Bauhausstil der ehemaligen Pädagogischen Akademie, dem nachfolgenden Provisorium im früheren Wasserwerk und schließlich dem kreisrunden Neubau, der 1992 fertig wurde – und damit über ein Jahr nach dem Beschluss des Parlamentes, nach Berlin zu ziehen. Und zwar in das historische Reichstagsgebäude, das nach den Plänen des Architekten Paul Wallot bis 1894 errichtet worden war und sowohl das Parlament des Kaiserreiches als auch das der Weimarer Republik erlebte, bis es Ende Februar 1933 in Flammen aufging.

Bis zum Umzug von Parlament und Regierung im Jahr 1999 wurde das Gebäude erneut entkernt und – mit besonderem Respekt vor der historischen Bausubstanz – unter der Regie des britischen Architekten Norman Foster an die Bedürfnisse eines modernen und transparenten Parlamentes angepasst. Die Gleichzeitigkeit von traditionellem Erbe und zeitgemäßen Ergänzungen kommt auch in zwei Widmungen zum Ausdruck. Ende 1916 waren aus eingeschmolzenen Kanonen die Buchstaben „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ gegossen und auf dem Westgiebel angebracht worden. Sie bilden für Tagesbesucher auch heute noch die Begrüßung. Hinzu gekommen ist ein Projekt des Künstlers Hans Haacke im nördlichen Innenhof. In einem großen rechteckigen Trog sind hier die Buchstaben „DER BEVÖLKERUNG“ montiert. Rings umher wächst und wuchert es aus Erde, die Abgeordnete aus ihren Wahlkreisen mit nach Berlin brachten.

. . . sondern darüber hinaus weitere 111 Volksvertreter ihren Dienst antraten.

Im Osten schließt sich das ehemalige Reichstagspräsidentenpalais an, in dem die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft untergebracht ist. Hier gibt es Räumlichkeiten für Empfänge, Veranstaltungen und Besprechungen in kleinem oder größerem Kreis. Im Fernsehen sieht man sie insbesondere, wenn – wie 2005, 2013 und auch wieder 2017 – Parteivertreter sondieren, ob sie in Koalitionsgespräche eintreten sollen. Hinter dem Palais beginnt das Jakob-Kaiser-Haus, das an beiden Seiten der Dorotheenstraße viele Abgeordnetenbüros enthält. Eigentlich handelt es sich um acht, jeweils sechsgeschossige Gebäude, die miteinander verbunden sind und bis zur Wilhelmstraße reichen. Spaziergänger sehen entlang der Spree auch etwas von der Kunst am Bau, etwa Glaswände mit den Grundrechten im 1949er Original.

Wer sich an dieser Stelle rumdreht, sieht auf der anderen Flussseite zwei weitere prägnante Bauwerke: Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit Räumen für die Verwaltung, die Bibliothek oder das Archiv und vor allem mit einem großen Anhörungssaal, aus dem die Medien bei wichtigen Sitzungen von Untersuchungsausschüssen berichten. Über zwei Fußgängerbrücken ist dieses Gebäude auf der anderen Spreeseite mit dem Paul-Löbe-Haus verbunden. Hier gibt es weitere Abgeordnetenbüros, die sich um Sitzungssäle für die Fachausschüsse gruppieren. Weil sich diese in vier Rundbauten auf der nördlichen und vier weiteren auf der südlichen Seite befinden, kann insgesamt von einem „Achtzylinder“ gesprochen werden. Ein sinniges Bild, wenn wir daran denken, dass die Ausschussarbeit sozusagen als Motor der parlamentarischen Demokratie betrachtet werden kann. Als in der Sommerpause 2019 der Plenarsaal gerade grundüberholt wurde und dafür auch alle Sitze ausgebaut wurden, bestand das Paul-Löbe-Haus eine weitere Prüfung: Im langgezogenen Atrium versammelte sich der Bundestag zu einer zusätzlichen Sitzung, damit nach dem Ausscheiden von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer an ungewöhnlichem Ort vereidigt werden konnte.

„Spreesprung“

Das Paul-Löbe-Haus schließt nach Westen mit einer großen Glasfassade ab, in der sich das gegenüberliegende Kanzleramt spiegelt. Städtebaulich ist diese architektonische Verbindung von Exekutive und Legislative nicht nur interessant für die deutsche Praxis der parlamentarischen Demokratie. Es ergibt sich in der Ausrichtung und Abfolge der Bauwerke auch ein „Band des Bundes“, das bereits im Kanzlergarten beginnt und zwei Mal über die Spree „springt“. Diese von den Berliner Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank schon kurz nach dem Hauptstadtbeschluss entworfene Konzeption ist ein starkes Ausrufezeichen an die Adresse der deutschen Geschichte: Die klare West-Ost-Linie überwindet die deutsche Teilung an der Spree. Wo früher die Grenzer patrouillierten und auf Flüchtlinge schossen, flanieren heute die Spaziergänger über eine luftige Brücke oder wechseln weiter oben Abgeordnete und ihre Mitarbeiter vom Paul-Löbe-Haus ins Marie-Elisabeth-Lüders-Haus.

Im Bereich von Wilhelm- und Dorotheenstraße sowie am Boulevard Unter den Linden befinden sich weitere Gebäude des Bundestages, in denen Abgeordnete und Einrichtungen der Verwaltung untergebracht sind. Gerade zu Beginn dieser Wahlperiode war viel zu organisieren, hatte das Wahlrecht doch dazu geführt, dass nicht nur die gesetzlich vorgesehene Zahl von 598 Abgeordneten erreicht wurde, sondern darüber hinaus weitere 111 Volksvertreter ihren Dienst antraten.

Der Weg in den Bundestag

Wie konnte es dazu kommen? In einem Satz: Als Spätfolge verfassungsrechtlicher Vorgaben für ein Wahlrecht, das sich an dem Grundsatz orientiert, jeder abgegebenen Stimme gleich viel Gewicht zu geben und dabei die Vorteile zweier unterschiedlicher Wahlsysteme zu verknüpfen. Es gibt Demokratien, in denen ausschließlich diejenigen das Volk repräsentieren, die in den einzelnen Wahlkreisen die Nase vorn haben. Das ist ein Mehrheitswahlrecht. Sein Vorteil liegt in der Nähe des Gewählten zum Bürger. Der Nachteil liegt darin, dass alle Stimmen für sämtliche anderen Kandidaten und politischen Konzepte unter den Tisch fallen.

Es gäbe auch die Möglichkeit, bundesweit nur Parteien zu wählen, die vorher zentrale Listen mit Bewerbern aufgestellt haben. Von diesen Listen zögen dann der Reihe nach so viele Politiker ins Parlament, wie den einzelnen Parteien im Verhältnis der abgegebenen Stimmen zueinander zustehen. Das nennt man Verhältniswahlrecht. Der Vorteil ist, dass jede Stimme gleich zählt, der Nachteil besteht darin, dass vor Ort eine Identifikation mit einem Volksvertreter immens schwerfällt. Deutschland versucht diese unterschiedlichen Auswahlprinzipien miteinander zu verschmelzen, indem es sich für ein „personalisiertes Verhältniswahlrecht“ entschieden hat.

Das Problem des negativen Stimmengewichtes

Das ist vom Grundsatz her leicht verständlich. Mit der Erststimme wird vor Ort derjenige gewählt, der den Wahlkreis direkt vertreten soll, mit der Zweitstimme wird geklärt, in welchem Stärkeverhältnis die Parteien im Bundestag insgesamt vertreten sein sollen. Dafür ist Deutschland in 299 Wahlkreise aufgeteilt, in denen jeweils annähernd gleich viele Menschen wohnen. Dann wird nach Einwohnerzahl der Bundesländer und nach Wahlbeteiligung ermittelt, wie viele Sitze (einschließlich Direktmandate) auf welche Partei aus den einzelnen Bundesländern entfallen.

Für 276 Abgeordnete ist es die erste Wahlperiode, das sind fast 40 Prozent.

Das alte Wahlrecht trug lediglich dem Umstand Rechnung, dass eine Partei in einem Bundesland sehr viele Mandate direkt über die Erststimme gewinnen kann, obwohl ihr nach der Berechnung der Zweitstimmen gar nicht so viele zustehen. Würde man als Folge Direktmandate einfach streichen, wären Mehrheiten für Erststimmen unterschiedlich viel wert. Also entstanden „Überhangmandate“. Die direkt gewählten Abgeordneten saßen alle im Bundestag, wodurch die betroffene Partei dann entsprechend stärker vertreten war. Dieses Prinzip lässt Verschiebungen zu. Wie unter einem Brennglas war das 2005 zu besichtigen, als wegen des Todes eines Bewerbers in Dresden eine Nachwahl nach der eigentlichen Bundestagswahl nötig wurde. Die Wähler konnten einer Partei zu mehr Sitzen verhelfen, indem sie sie nicht mit der Zweitstimme wählten. Das Bundesverfassungsgericht entschied daraufhin, dass es ein derartiges „negatives Stimmengewicht“ nicht geben dürfe.

Um das künftig auszuschließen, wurde ein komplizierter Mechanismus entwickelt. Wo immer ein Überhangmandat entsteht, muss der Verstärkungs-Effekt durch Ausgleichsmandate für andere Parteien wieder aufgefangen werden. Die Gefahr einer zusätzlichen Aufblähung ist dann besonders groß, wenn mehr Parteien über die Fünf-Prozent-Hürde kommen und Anspruch auf zusätzliche Ausgleichsmandate haben. Und sie wächst noch mehr, wenn die traditionell großen Parteien deutlich schwächer abschneiden bei den Zweitstimmen, dennoch aber in den meisten Wahlkreisen knapp vorne liegen und ihre Bewerber direkt durchbringen. Beides geschah 2017: Die Union gewann 43 Überhangmandate, die SPD drei. Dadurch wurden 65 Ausgleichsmandate fällig: 19 für die SPD, 15 für die FDP, elf für die AfD und je zehn für Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Alles in allem sind das 111 Abgeordnete mehr als eigentlich vorgesehen – da verstand es sich fast von selbst, dass schnell Forderung nach einer zügigen Überarbeitung des Wahlrechts laut wurden. Am 8. Oktober 2020 beschloss der Bundestag eine Änderung in zwei Schritten. Bei der nächsten Bundestagswahl am 26. September 2021 wird es kleinere Veränderungen bei den Berechnungen und der Zahl der Überhangmandate geben. Die Zahl der Wahlkreise wird für die übernächste Wahl verringert.

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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
Hacim:
1044 s. 741 illüstrasyon
ISBN:
9783958791404
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