Kitabı oku: «Literatur und Mehrsprachigkeit», sayfa 18
Diejenigen literarischen Texte aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und aus der Gegenwart, die derzeit mit Blick auf Sprachwechsel und -mischung das wahrscheinlich größte Interesse von Seiten der Forschung erhalten, sind solche, die sich mit Migration und/oder Deportation oder mit einem (post-)kolonialen Kontext in Verbindung bringen lassen. Elke Sturm-TrigonakisSturm-Trigonakis, Elke vertritt die (sicherlich zu präzisierende, wenn nicht gar teils zu relativierende) These, dass in der von ihr so benannten »Neuen Weltliteratur« sowohl die Menge als auch die Komplexität der Texte, die Sprachwechsel und -mischung als Verfahren benutzen, stark gestiegen ist (Sturm-TrigonakisSturm-Trigonakis, Elke, Global Playing, 160–163). Laut HelmichHelmich, Werner entfalten sich in diesem Kontext gänzlich neue Funktionen des Sprachwechsels und teils auch solche der Sprachmischung (HelmichHelmich, Werner, Ästhetik der Mehrsprachigkeit, 548–550): Es geht nun beispielsweise um die gezielte Subversion von Mutter- oder Einsprachigkeitssemantiken, die Beförderung subalterner Sprachigkeit, um eine Kulturpolitik sprachlicher Hybridität, genauer: um den Aufweis der Hybridität jedes sog. ›Eigenen‹ oder um die Darstellung persönlicher wie kollektiver Sprachbiographien unterhalb des Levels ›offiziöser‹ Sprachpolitiken nicht zuletzt des Literaturbetriebs. (Indirekte) Vorläufer der Verfahren von Sprachwechsel und -mischung, die später in Kontexten des Postkolonialismus und der Migration verwendet werden, finden sich nicht zuletzt in selbst kolonialistisch gefärbter oder zumindest in kolonialistischen Kontexten entstandener Literatur oder auch in regionalen, mehrsprachigen Literaturtraditionen (siehe oben). Für die amerikanische Literatur finden sich folgenreiche Beispiele in James Fenimore CoopersCooper, James Fenimore Leatherstocking Tales (1832–1841) (RosenwaldRosenwald, Lawrence A., Multilingual America, 20–47) oder in Herman MelvillesMelville, Herman frühem Globalisierungsroman Moby Dick. Alle diese Texte zeichnen sich dadurch aus, dass sie die mehrsprachige Figurenzeichnung, wenn auch auf je unterschiedliche Weise, kulturpolitisch einsetzen (siehe III.2).
Das Feld der Texte aus der zweiten Hälfte des 20. und den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts, die Sprachwechsel und -mischung mit Postkolonialität und Migration in Verbindung bringen, ist insgesamt kaum überschaubar. Ein wichtiger früher Text ist hier DesaniDesani, G.V.s mehrsprachiger postkolonialer Roman All About H. Hatterr, dessen durch die Rezeptionsgeschichte vollzogene Eingemeindung in die Avantgardeliteratur JoyceJoyce, James’scher Prägung (siehe oben) insofern dem Impuls des Textes selbst zuwiderläuft, als sich dieser (ebenso wie sein Autor) dem Bestreben, ihn übersetzbar und damit kulturpolitisch verbreitbar zu machen, im Grunde verweigert (LennonLennon, Brian, In Babel’s Shadow, 40–51). Eine oft gewählte Form des Schreibens über Migration, die sich des Sprachwechsels bedient, sind ›Sprachbiographien‹ (language memoirs), wie beispielsweise Richard Rodriguez’Rodriguez, Richard Hunger of Memory (1982), Eva HoffmansHoffman, Eva Lost in Translation: Life in a New Language (1989) oder Ilan StavansStavans, Ilan’ On Borrowed Words: A Memoir of Language (2001). Oft zeichnen sich solche Texte, gerade weil sie eine Übersetzung der mehrsprachigen Identität in die Einsprachigkeit leisten (müssen), durch eher ›schwache‹ Formen des Sprachwechsels aus (siehe ebd., 11–14 zu Stavans und RodriguezRodriguez, Richard, 149–153 zu Hoffman). HoffmanHoffman, Eva allerdings schafft es, durch die Nutzung eines einzelnen angeblich unübersetzbaren und konsequent unübersetzt bleibenden Worts, das so als Schibboleth der vormaligen Sprachidentität lesbar wird, kulturelle Inkommensurabilität zumindest zu markieren (ebd.). Ein ähnliches Verfahren des punktuellen Sprachwechsels mit verstörendem Effekt findet sich in Orhan PamuksPamuk, Orhan Istanbul: Memories and the City (ebd., 143–149). Eine demgegenüber ›starke‹, d.h., die Sprachdifferenz nicht durch Übersetzung oder Redundanz auffangende Form von Sprachwechsel findet sich in dem teils autobiographischen Text von Gloria AnzaldúaAnzaldúa, Gloria E., Borderlands/La Frontera: The New Mestiza (1987) (ebd., 83) oder in Junot Díaz’Díaz, Junot Roman The Brief Wonderous Life of Oscar Wao (2007), der den Sprachwechsel zwischen unterschiedlichen Varietäten des Englischen und unterschiedlichen Varietäten des Spanischen (oder zumindest: der romanischen Sprachen) so weit treibt, dass auch einem linguistisch sehr kompetenten Leser oft sogar die Orientierung darüber fehlt, welchem Idiom einzelne Wörter zuzurechnen sein könnten (siehe GramlingGramling, David, The Invention of Monolingualism, 135–139). Insgesamt müsste eine Darstellung von Sprachwechsel und -mischung in postkolonialen und postmigratorischen Texten natürlich weit über die Grenzen der (west-)europäischen und amerikanischen Literatur hinausgehen. Gut erforscht sind in dieser Hinsicht beispielsweise die Literaturen Lateinamerikas (siehe z.B. KnauthKnauth, K. Alfons, »Multilingualisme national et international«; HelmicHelmich, Wernerh, Ästhetik der Mehrsprachigkeit, 153–191).
Für den deutschen Sprachraum prominente Autoren sind etwa Emine Sevgi ÖzdamarÖzdamar, Emine Sevgi, die in vielen ihrer Texte »eine Kunstsprache« entwickelt, die türkische Phraseologismen oder Sprichwörter »als Xenismus im Deutschen nachbildet und dieses dabei bewusst verfremdet« (HelmichHelmich, Werner, Ästhetik der Mehrsprachigkeit, 212 über das Theaterstück Karagöz in Alamania von 1982; siehe auch LennonLennon, Brian, In Babel’s Shadow, 82f., 157–159, sowie YildizYildiz, Yasemin, Beyond the Mother Tongue, 143–168), und zwar in Kombination mit deutsch-türkischem ›insertional code-switching‹; Yoko TawadaTawada, Yoko, die insbesondere Verfahren des mehrsprachigen Sprachspiels ausgebaut hat (YildizYildiz, Yasemin, Beyond the Mother Tongue, 109–142); Peter WaterhouseWaterhouse, Peter, der Sprachwechsel u.a. als Arbeit mit in unterschiedlichen Sprachen homonymen Wörtern betreibt (siehe RadaellRadaelli, Giuliai, »Literarische Mehrsprachigkeit«); Zé do RockRock, Zé do, der gleich eine ganze Reihe hybrider Kunstsprachen wie z.B. kauderdeutsh erfunden hat (siehe KurleninaKurlenina, Vera, »›a multiculti un internacionaliset deutsh‹«); oder Feridun ZaimogluZaimoglu, Feridun, der in seinen frühen Texten eine Kunstsprache entwickelt, die oft als Variante deutsch-türkischen Slangs aufgefasst wird, in Wirklichkeit aber vom Türkischen fast gar nicht beeinflusst ist und stattdessen stark mit dialektalen und soziolektalen Differenzen innerhalb des Deutschen, mit literarisch einordbaren Registern (biblischer Duktus, Sprache der romantischen Lyrik etc.), mit englischen Einsprengseln und teils auch grammatischen Vereinfachungen arbeitet (YildizYildiz, Yasemin, Beyond the Mother Tongue, 169–201; Bürger-KoftisBürger-Koftis, Michaela, »Ethnolekte und McLanguage«, 316–320). Über die Bestimmung des kulturpolitischen Impetus dieser Kunstsprache kann man durchaus streiten, denn die Vorrede zu Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft mag zwar eine neue Form des Writing Back durch die Kinder der Migration in Deutschland postulieren, aber nicht nur gibt es Gründe dafür, dieser Standortsbestimmung zu misstrauen, sondern darüber hinaus ist zu konstatieren, dass die Stimme, die sich hier äußert, in erster Linie eine rein literarische ist. Im französischen Sprachraum sind ähnliche Schreibverfahren in der sog. ›Beurs‹-Literatur verwendet worden. Eine bemerkenswerte junge Entwicklung ist das Schreiben in ›Lernersprachen‹, das teils auch als Sprachmischung aufgefasst werden kann, wenn sich im literarischen Text die zu lernende und die Erstsprache der Erzählinstanz überlagern. Dies ist beispielsweise der Fall in Xiaolu GuoGuo, Xiaolus A Concise Chinese-English Dictionary for Lovers (2008).
c) Forschungsgeschichte
Ähnlich wie für andere Verfahren der literarischen Mehrsprachigkeit gilt auch für Sprachwechsel und Sprachmischung, dass sich die literaturwissenschaftliche Forschung lange Zeit nur sporadisch für sie interessiert hat, da die Einsprachigkeit literarischer Texte als Normalfall galt. Allerdings lassen sich auch Bereiche der linguistischen Forschung als Bestandteil der Forschungsgeschichte ansehen. Dabei gilt es allerdings, die Verwendung der sprachwissenschaftlichen Begriffe ›Code-Switching‹ und ›Kontaktsprache‹ präzise in ihrer Relevanz für literaturwissenschaftliche Methoden und Gegenstände zu erfassen. Zu bedenken ist vor allem, dass für die Philologie immer ein einzelner Textbefund als Ausgangspunkt dient, nicht die Kompetenz von Sprechern oder die Genese sprachlicher Standards. Letztere fällt, selbst wenn sie sich unter anderem in Literatur abspielt oder durch Literatur in besonderem Maße vorangetrieben wird, in den Gegenstandsbereich der Linguistik. Das bedeutet, dass die Ergebnisse der linguistischen Forschung für die Philologie unter anderen Voraussetzungen Geltung haben. Wenn die Linguistik beschreibt, welchen (letztlich statistisch erschlossenen) Regelmäßigkeiten das Code-Switching oder die Entstehung von Kontaktsprachen folgen, so muss die Philologie unter der Voraussetzung arbeiten, dass sich die konkret behandelten Texte Regelmäßigkeiten potentiell immer schon widersetzen – auch wenn sie sich natürlich gerade dadurch zu ihnen in Beziehung setzen. Allerdings lassen sich für einzelne Autoren spezifische Regelmäßigkeiten beobachten, die vom Level der Regularität her zwischen einzelnem Text und übergreifender Sprecherkompetenz anzusiedeln sind.
1. Linguistische Modellbildung
Code-Switching ist in der Linguistik in erster Linie als Phänomen der Interaktion untersucht worden und erst seit sehr kurzer Zeit auch als Phänomen der Schriftlichkeit. Dabei stand über lange Zeit hinweg der Nachweis der Funktionalität und Regelhaftigkeit des Phänomens im Vordergrund, durch die angesichts der Übermacht der langue-orientierten Linguistik gewissermaßen seine ›Würdigkeit‹ als Forschungsgegenstand hervorgehoben werden musste. Systematiken, die entwickelt wurden, um die Motivation für unterschiedliche Formen des Code-Switchings zu erfassen, unterscheiden u.a. den situationsgebundenen, spontanen Wechsel des Codes, etwa um Verständigung sicherzustellen, von solchen Formen des Code-Switchings, die die unterschiedliche soziale und kulturelle Wertigkeit der verwendeten Sprachen ins Spiel bringen und nutzen (siehe z.B. GafarangaGafaranga, Joseph, »Code-Switching«, 297–307; MatrasMatras, Yaron, Language Contact, 114–129). Der Wechsel ins Englische, wenn ich verstehe, dass mein Gegenüber kein Deutsch versteht, ist in diesem Sinne situationsgebundenes Code-Switching, wohingegen die Selbstbezeichnung als ›Senior Manager‹ in einer ansonsten auf Deutsch geführten Konversation den soziokulturellen Wert der englischen Sprache im Bereich der Wirtschaft nutzt, um die eigene Bedeutsamkeit zu unterstreichen. Es ist offenkundig, dass Sprecher den soziokulturellen Wert einer bestimmten Sprache auch situationsgebunden und spontan strategisch einsetzen können, etwa wenn man inmitten einer auf der Standardvarietät geführten Verhandlung plötzlich auf den örtlichen Dialekt zurückgreift, um Verbundenheit mit dem Gegenüber zu signalisieren. Die Markierung der Sprachwahl kann also sowohl als Globalstrategie als auch lokal-diskurssituativ interpretiert werden.
Mit Bezug auf literarische Texte lassen sich aus solchen Beschreibungsansätzen zum einen Modelle für die Analyse der jeweils dargestellten Interaktion entwickeln, womit es um die Analyse der Mehrsprachigkeit in der Figurenrede geht. Darüber hinaus ist die an einem literarischen Text ablesbare Entscheidung über den an einzelnen Stellen verwendeten ›Code‹ aufgrund der Situationsabstraktheit des Textes situativ schwieriger zu erklären, als dies bei der Analyse von Interaktion möglich ist. Die kulturpolitische Interpretation von Sprachwechsel wird aus philologischer Sicht daher immer sowohl die allgemeine soziokulturelle Wertigkeit der verwendeten Sprachen als auch die vom Text selbst erzeugte Sprach- und Kommunikationssituation in den Blick nehmen müssen. Dabei spielt nicht zuletzt auch die Einbindung von Zitaten eine gegenüber der Interaktion und auch gegenüber anderen Textsorten gesteigerte Rolle (siehe III.3).
Die literarische Mehrsprachigkeitsforschung kann auch insofern auf linguistische Arbeiten zum Code-Switching zurückgreifen, als diese auch untersucht haben, wie Code-Switching syntaktisch und morphologisch eingebunden wird. Herausgestellt werden konnte so insbesondere, dass es bestimmte Orte im Satz gibt, an denen ein Sprachwechsel sehr viel wahrscheinlicher ist als an anderen (MatrasMatras, Yaron, Language Contact, 120–136). Eine besondere Rolle spielt insgesamt das sog. ›insertional code-switching‹, also der Einsatz einzelner anderssprachiger Wörter, die zuweilen auch morphosyntaktisch, beispielsweise durch die Anfügung ihnen ursprünglich fremder Flexionsendungen, integriert werden. Besonders häufig ist das insertional code-switching für sog. ›discourse marker‹ und ›utterance modifiers‹ (ebd., 136–145). Natürlich können diese linguistischen Beschreibungsmodelle einzelne philologische Befunde nicht aus sich heraus erklären. Sie erleichtern es aber, abzuschätzen, inwiefern sich ein Text an den linguistischen Gegebenheiten seines Kontextes bzw. des Kontextes der dargestellten Handlung orientiert, inwiefern seine Mehrsprachigkeit also ›akkurat‹ ist (vgl. RosenwaldRosenwald, Lawrence A.s Argument zur ›accuracy‹ von Literatur in »On Linguistic Accuracy in Literature«).
Die linguistische Beschreibung von Kontaktsprachen, die sich als Teil der Forschungsgeschichte zur Sprachmischung verstehen lässt, unterscheidet eine ganze Reihe von typischen Strukturen, die sich etwa nach dem Grad der Stabilität des Codes bestimmen, die sich aus den Entstehungsumständen der jeweiligen Idiome herleiten oder aus dem jeweils bei der Etablierung des neuen Idioms verwendeten ›Material‹. So geht mit der Entstehung von Pidgins (situativen, hybriden Hilfssprachen) und den (auf der ›Grammatikalisierung‹ von Pidgins beruhenden) Kreolsprachen in der Regel eine starke Vereinfachung der morphosyntaktischen Struktur der ursprünglichen Idiome einher, die sich aus ihrer Entstehung als Hilfssprachen erklären lässt (siehe MatrasMatras, Yaron, Language Contact, 277–288). Demgegenüber gibt es sog. ›mixed codes‹, die sich umgekehrt aus dem klaren kulturpolitischen Willen zur Erhaltung eines bedrohten Idioms ergeben und daher nicht notwendig mit Vereinfachungen einhergehen (ebd., 288–291; MuyskenMuysken, Pieter, »Mixed Codes«). Als ›mixed codes‹ werden dabei von einigen Linguisten solche Idiome definiert, die ein geteiltes Lexikon aufweisen, also beispielsweise die Verbalphrase mit Wörtern der einen, die Nominalphrase aber mit Wörtern der anderen Sprache bilden (sog. VP/NP-Split; MuyskenMuysken, Pieter, »Mixed Codes«, 324–326).
Für die literaturwissenschaftliche Erfassung von Phänomenen der Sprachmischung können grundsätzlich alle von der Linguistik zur Verfügung gestellten Beschreibungsmodelle einbezogen werden. Dabei gilt es allerdings zu beachten, das im schriftlich fixierten Text – selbst wenn es sich um die fluide Variante eines handschriftlich überlieferten Textes handelt – grundsätzlich alles stabilisierter Code ist. Damit ist insbesondere die Differenz zwischen situativem ›insertional‹ Code-Switching und Entlehnung, also der Übernahme anderssprachiger Wörter ins Lexikon einer Sprache, die auch in der Linguistik selbst in Zweifel gezogen wird (sog. »codeswitching-borrowing continuum«, MatrasMatras, Yaron, Language Contact, 110), mit Blick auf den literarischen Text erst recht hinfällig. Denn jedes situative Code-Switching ist im Text Teil des Lexikons dieses Textes geworden, das sich aber von demjenigen des Sprachkontextes unterscheiden lässt. Mit anderen Worten: im literarischen Text ist jeder gemischte Code immer schon ›grammatikalisiert‹, wenn auch unter Umständen in sich instabil.
Angesprochen ist damit die Schwierigkeit, Sprachwechsel und Sprachmischung klar voneinander zu unterscheiden, denn aus philologischer Sicht trägt jeder Sprachwechsel dazu bei, das einzigartige Idiom eines Textes zu formieren. Man könnte auch sagen: Aus philologischer Sicht wird ein in der Code-Switching-Forschung als Sonderfall diskutiertes Phänomen, nämlich, dass die Zweisprachigkeit selbst das als selbstverständlich angenommene Medium ist, vor dessen Hintergrund sich das Code-Switching entfaltet, zum Normalfall. Denn philologisch gesehen ist jeder Text potentiell mehrsprachig. Dass dieses Argument vielleicht nicht auf die Philologie beschränkt bleiben muss, zeigen linguistische Überlegungen zur Frage des Übergangs vom Code-Switching zu Mixed Languages. So konstatiert Pieter MuyskenMuysken, Pieter, dass den zwei wichtigsten Strukturmustern des Code-Switchings zwei Arten von Sprachmischung entsprechen: dem insertional code-switching die Relexikalisierung (grammar/lexicon-split) und dem alternational code-switching, bei dem die Sprache am Übergang von Satz(teil) zu Satz(teil) gewechselt wird, der VP/NP-Split (MuyskeMuysken, Pietern, »Mixed Codes«, 331). In diesem Sinne lässt sich das Code-Switching auch linguistisch als Vorstufe zur Etablierung eines eigenständigen Idioms ansehen. Das Kriterium, nach dem sich linguistisch bemessen lässt, ab wann diese Stufe erreicht ist – die statistisch nachweisbare Stabilität des Phänomens – kann umgekehrt wiederum als pragmatische Richtschnur zur Differenzierung von Sprachwechsel und Sprachmischung dienen: Wenn man den Sprachwechsel in einem Text als Sprachmischung beschreiben will, dann setzt dies eine gewisse Insistenz des Phänomens voraus.
2. Philologische Forschung
In der philologischen Forschung gibt es für die systematische Beschreibung von Sprachwechsel und Sprachmischung bislang keinen wirklichen Konsens. Das gilt allerdings auch für die Frage, was literarische Mehrsprachigkeit insgesamt eigentlich ist. Dementsprechend kann sich der hier vorgebrachte Vorschlag, Sprachwechsel in Analogie zum Code-Switching als segmentären Wechsel zwischen unterschiedlichen Sprachen und Sprachmischung als die eine segmentäre Differenzierung überschreitende oder unterlaufende Bildung eines Mischidioms zu bestimmen, kaum auf Vorbilder in der Forschung berufen. Erste systematische, allerdings sehr spezielle und kontextabhängige Überlegungen über Sprachmischung hat Friedrich GentheGenthe, Friedrich Wilhelm in seiner Dissertation von 1829 über makkaronische Poesie vorgelegt (Geschichte der Macaronischen Poesie). Der Philologie des 19. Jahrhunderts ist literarische Mehrsprachigkeit ansonsten weitgehend gleichgültig geblieben. Am Anfang des 20. Jahrhunderts finden sich dann eine Reihe von mediävistischen Beiträgen zum lateinisch-volkssprachlichen Sprachwechsel (siehe ElwertElwert, W. Theodor, »Fremdsprachige Einsprengsel in der Dichtung«, 273). Ein bekannterer Beitrag liegt mit Leo SpitzerSpitzer, Leos Aufsatz über »Sprachmischung als Stilmittel und als Ausdruck der Klangphantasie« von 1923 vor. Auch SpitzerSpitzer, Leos Analysen bleiben begrifflich gesehen eher unscharf; als Sprachmischung oder -mengung beschreibt er in erster Linie die Mischung von Registern oder Stilebenen.
Das Werk von BachtinBachtin, Michail M. bedeutet demgegenüber einen vehementen Reflexionsfortschritt (Bachtin, »Das Wort im Roman«). In seiner Auseinandersetzung mit der Gattungspoetik des Romans hat Bachtin verschiedene Konzepte zur Beschreibung der sprachlichen Vielfalt im literarischen Text entwickelt, die sich allerdings in erster Linie auf dasjenige beziehen, was man auch ›innersprachliche Mehrsprachigkeit‹ nennen könnte (WandruszkaWandruszka, Mario, Die Mehrsprachigkeit des Menschen, 13, spricht von »muttersprachliche[r] Mehrsprachigkeit«). Dabei spricht er einerseits von полифония, also von Vielstimmigkeit, der für den Roman charakteristischen Durchmischung von Stimmen und den von ihnen genutzten (aber immer nur ›geborgten‹) Registern, Stillagen etc. Darüber hinaus entwickelt er andererseits das Konzept der разноречие, im Deutschen meist mit ›Redevielfalt‹, im Englischen mit ›heteroglossia‹ wiedergegeben (HolquistHolquist, Michael, »Glossary«). Damit bezeichnet Bachtin die Eigenschaft aller Wörter, in ihrer Bedeutung grundsätzlich von dem konkreten Kontext abhängig zu sein, in dem sie erscheinen. (Nebenbei bemerkt liegt darin eine strikte Wendung gegen Vorannahmen der langue-Linguistik.) Diese potentielle Bedeutungsverschiebung, die jeder einzelnen Verwendung jedes einzelnen Worts innewohnt, bewirkt damit eine grundsätzliche Vervielfältigung dessen, was man traditioneller Weise Code nennt (HolquistHolquist, Michael, »What Would BakhtinBachtin, Michail M. Do?«; BuschBusch, Brigitta, Mehrsprachigkeit, 10f.). Die Erforschung der sprachstrukturellen Vielfalt, die sich mit BachtinBachtin, Michail M. jedem Text, ja, jeder Äußerung, unterstellen lässt, setzt einen Perspektivenwechsel voraus: Sprachwechsel und -mischung erscheinen dann nicht mehr als Ausnahmephänomene, sondern sind ubiquitär (siehe hierzu z.B. WeningerWeninger, Robert, »Zur Dialektik des Dialekts«).
Mit oder ohne Bezugnahme auf BachtinBachtin, Michail M. hat die Forschung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verstärkt aber in den vergangenen ca. 30 Jahren, versucht, unterschiedliche Strukturebenen und Erscheinungsformen von Sprachwechsel und -mischung zu unterscheiden. Dabei finden sich einerseits Ansätze, die als Sprachdifferenz nur den Unterschied zwischen Idiomen anerkennen, deren Sprecher sich nicht ohne weiteres verständigen können, so dass die Weite der Bachtin’schen Begriffsbildung eingeschränkt wird. Andererseits wird der von BachtinBachtin, Michail M.s Texten ausgehende Denkanstoß bis heute intensiv fortentwickelt.
Im Sinne des ersten Ansatzes hat Paul ZumthorZumthor, Paul in einer Grundlagenarbeit von 1960 Formen des lateinisch-romanischen Sprachwechsels im Mittelalter untersucht und dabei nach dem Umfang der inserierten anderssprachigen Segmente, nach der Regelmäßigkeit ihres Auftauchens, nach ihrer (formalen oder morphosyntaktischen) Integration, nach ihrer Zitathaftigkeit und nach den Formen der Redundanz, durch die sie in der Grundsprache verständlich gemacht werden, unterschieden (ZumthorZumthor, Paul, »Un problème d’esthétique médiévale«). Auch Leonard ForstersForster, Leonard Buch über literarische Mehrsprachigkeit von 1970 und die wegweisenden Artikel von András HornHorn, András und Meir SternbergSternberg, Meir (beide von 1981) lassen bloß dialektale oder soziolektale Sprachdifferenzen außer Acht (ForsterForster, Leonard, The Poet’s Tongues; HornHorn, András, »Ästhetische Funktionen der Sprachmischung«; SternbergSternberg, Meir, »Polylingualism as Reality«). Monika Schmitz-EmansSchmitz-Emans, Monika widmet sich in einem Kapitel ihrer Monographie Die Sprache der modernen Dichtung von 1997 ausgehend von der biblischen Babelerzählung dem Sprachwechsel und der Sprachmischung (die sie allerdings hier nicht systematisch unterscheidet) und setzt damit gerade die Unmöglichkeit der Verständigung über Sprachgrenzen hinweg in den Mittelpunkt ihres Interesses (49–105). Dasselbe gilt für den gesamten Bereich der Erforschung literarischer Translingualität, also des literarischen Schaffens mehrsprachiger Autoren, die teils auch die Schreibsprache gewechselt haben (ChamissoChamisso, Adelbert von, NabokovNabokov, Vladimir usw.). Hier steht allerdings in der Regel die Mehrsprachigkeit der einzelnen Texte selbst nicht unmittelbar im Mittelpunkt des Interesses (siehe etwa KellmanKellman, Steven G., The Translingual Imagination). Sturm-TrigonakisSturm-Trigonakis, Elke hat 2007 im Rahmen einer Studie zur »Neuen Weltliteratur« einen umfassenden Vorschlag zur Klassifizierung unterschiedlicher Formen des Sprachwechsels gemacht, der teils auch Sprachmischung einbezieht und auf linguistische Beschreibungen des Code-Switchings zurückgreift und teils Klassifizierungskriterien nutzt, die bereits ZumthorZumthor, Paul beschreibt (Global Playing, 120–144). Lawrence RosenwaldRosenwald, Lawrence A.s Buch über die Mehrsprachigkeit der amerikanischen Literatur macht dieselbe Voraussetzung (Multilingual America), und auch noch die Überlegungen von Brian LennonLennon, Brian (2010) und Yasemin YildizYildiz, Yasemin (2012) zum Verhältnis von Sprachvielfalt und Publikationsindustrie bzw. zur »postmonolingual condition« (siehe unten) beziehen sich größtenteils auf Differenzen zwischen wechselseitig unverständlichen Idiomen.
Einen expliziten Anschluss an BachtinBachtin, Michail M. und damit an Beschreibungen von Sprachdifferenz, die keine wechselseitige Intransparenz der beteiligten Idiome voraussetzen, suchen, neben dem vor Bachtins Arbeiten erschienenen Aufsatz von SpitzerSpitzer, Leo (siehe oben), vor allem Robert WeningerWeninger, Roberts Analysen zum Dialektgebrauch im deutschen Realismus von 1997 (»Zur Dialektik des Dialekts im deutschen Realismus«) sowie die Beiträge von Rainier GrutmanGrutman, Rainier und Lise GauvinGauvin, Lise. Grutman definiert in seiner Monographie von 1997 den »hétérolinguisme« als »la présence dans un texte d’idiomes étrangers, sous quelque forme que ce soit, aussi bien que de variétés (sociales, régionales ou chronologique) de la langue principale« (Grutman, Des langues qui résonnent, 37). GrutmanGrutman, Rainier schließt dabei an Befunde der Soziolinguistik an und bezieht seine Analysen des literarischen Sprachwechsels, ähnlich wie RosenwaldRosenwald, Lawrence A. (Multilingual America), grundsätzlich auf die in den Texten beschriebenen oder doch vorausgesetzten Sprachgemeinschaften. GauvinGauvin, Lise geht in ihrem Artikel von 1999 in Fortsetzung des Ansatzes von BachtinBachtin, Michail M. davon aus, dass Sprachwechsel und -mischung eine genuine formale Strategie der Gattung Roman darstellen, und bezieht in ihre Analyse ausdrücklich dialektale bzw. soziolektale Differenzen mit ein. Gauvin geht ausdrücklich davon aus, dass man methodisch gesehen die Entscheidung für die Benutzung konkreter Sprachen immer als Selektion des Textes auffassen muss: »Sachant […] que toute langue littéraire est une construction à l’intérieur de la langue commune, je prends pour acquis que le plurilinguisme textuel est d’abord un choix stratégique, c’est-à-dire un choix dont l’enjeu est plus structural que stylistique et dont le premier critère d’évaluation reste la dynamique globale de l’œuvre.« (GauvinGauvin, Lise, »Faits et effets de langue«, 54) Dieses Argument ließe sich zu der Behauptung zuspitzen, dass aus philologischer Perspektive methodisch jedem Text das Potential von Sprachwechsel oder -mischung zugestanden werden muss (siehe Dembeck, »Für eine Philologie der Mehrsprachigkeit«). Dem Titel nach schließt der von Michaela Bürger-KoftisBürger-Koftis, Michaela, Hannes SchweigerSchweiger, Hannes und Sandra VlastaVlasta, Sandra herausgegebene Band über Polyphonie – Mehrsprachigkeit und literarische Kreativität von 2010 an BachtinBachtin, Michail M. an, allerdings findet sich hier keine umfassende Auseinandersetzung mit dem Konzept der Heteroglossie.
Eine Mittelstellung zwischen solchen Ansätzen, die nur ›harte‹ Sprachdifferenzen als Material von Sprachwechsel oder -mischung in Betracht ziehen, und BachtinBachtin, Michail M.’schen Ausweitungen der Perspektive nehmen die umfassenden Monographien von Giulia RadaelliRadaelli, Giulia (2011) und Werner HelmichHelmich, Werner (2016) ein. Radaelli, die die systematische Differenzierung zwischen Sprachwechsel und Sprachmischung vorschlägt, der auch hier gefolgt wird, wenn sie auch Übergänge zwischen den beiden Verfahren einräumt, widmet sich zwar ebenfalls nur Sprachdifferenzen zwischen einander wechselseitig intransparenten Idiomen (Radaelli, Literarische Mehrsprachigkeit; siehe auch RadaelliRadaelli, Giulia, »Literarische Mehrsprachigkeit«). Allerdings gesteht sie zu, dass auch niedrigstufigere Sprachdifferenzen in die Betrachtung einbezogen werden können. HelmicHelmich, Wernerh wiederum entscheidet sich aus letztlich pragmatischen Gründen dafür, von Sprachwechsel nur dann zu sprechen, wenn die involvierten Sprachen im Text manifest sind (Helmich, Ästhetik der Mehrsprachigkeit, 17) und wenn sie zueinander im Verhältnis von ›Abstandsprachen‹ stehen, also »wohlunterschiede[n]« sind (ebd., 21). Für Helmich reicht also weder die bloße Erwähnung, dass eine Figur in einer anderen Sprache spricht, als derjenigen, in der ihre Rede wiedergegeben wird, aus, um Sprachwechsel oder -mischung zu konstatieren, noch gilt ihm der Wechsel zwischen Dialekten, Soziolekten oder Registern als Sprachwechsel. Helmich lehnt seinen Begriff von Sprachwechsel an die Begrifflichkeit des Code-Switchings an (ebd., 17f.), diskutiert aber auch die Möglichkeit, dieses vom »code-mixing« zu unterscheiden (im Sinne der hier gegebenen Bestimmung von Sprachwechsel und Sprachmischung). Letztlich bezieht seine Untersuchung auch solche Phänomene mit ein, ohne jedoch eine scharfe Abtrennung vornehmen zu wollen, da Sprachwechsel häufig mit Phänomenen der Sprachmischung einhergeht oder sie auf einer übergeordneten Ebene erzeugt. Vor allem aber sieht sich HelmichHelmich, Werner in den konkreten Analysen, aus denen sein Buch in weiten Teilen besteht, immer wieder dazu gezwungen, auch auf solche Sprachdifferenzen einzugehen, die man eher als dialektal einstufen würde – beispielsweise in den zitierten Ausführungen über die Kriminalromane von CamilleriCamilleri, Andrea. In dieser unfreiwilligen Ausweitung der Perspektive auf Sprachwechsel bzw. -mischung im literarischen Text kann man eine Folge der funktionalen Äquivalenz sehen, die sich aus der von GauvinGauvin, Lise betonten prinzipiellen Wahlfreiheit jedes einzelnen Texts mit Blick auf die von ihm benutzten Idiome ergibt: Aus der Perspektive des einzelnen Texts, die für die Philologie konstitutiv ist, ist die Auswahl zwischen unterschiedlichen Varietäten einer Sprache zwar nicht gleichrangig, aber doch vergleichbar mit derjenigen zwischen unterschiedlichen nationalen Standardsprachen oder unterschiedlichen ›rhetorischen‹ Selbsteinschränkungen (wie beispielsweise dem grammatischen Lipogramm, dem sich der Roman von Brooke-RoseBrooke-Rose, Christine unterwirft). Insofern ist es sinnvoll, jede Art von Idiomdifferenz in die philologische Untersuchung von Sprachwechsel und -mischung in literarischen Texten einzubeziehen (so Dembeck, »Multilingual Philology and Monolingual Faust«).
