Kitabı oku: «Literatur und Mehrsprachigkeit», sayfa 9

Yazı tipi:

II. Sprachliche Rahmenbedingungen literarischer Mehrsprachigkeit
1. Ebenen der Sprachstandardisierung

Heinz Sieburg

Begriffe für Einzelsprachen wie Deutsch, Französisch, Englisch oder Arabisch sind unter varietätenlinguistischer Perspektive Sammelbegriffe, die von nationalen, regionalen, sozialen und medialen Differenzierungen und damit den sie konstituierenden Varietäten abstrahieren. Die spezifische Ausgestaltung der Varietätensysteme, verstanden als komplexe Struktur unterschiedlicher Sprachausprägungen (Varietäten), kann nach den je einzelsprachlichen Gegebenheiten (vor allem aufgrund unterschiedlicher historischer, kultureller und politischer Bedingungen) unterschiedlich sein. Aus pragmatischen Gründen liegt das Hauptaugenmerk nachstehend auf den deutschsprachigen Verhältnissen.

a) Standardsprache, Nationalsprache, Literatursprache

Seit den 1970er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich in der (deutschen) Sprachwissenschaft, dabei dem englischen bzw. amerikanischen Wortmuster folgend, der Begriff der Standardsprache als mehr oder weniger synonym zu Begriffen wie Hochsprache, Nationalsprache, Literatursprache, Gemeinsprache oder Einheitssprache etabliert bzw. diesen gegenüber durchgesetzt. Standardsprache steht für die überregionale (und damit die Dialekte überdachende) historisch etablierte, schriftliche wie mündliche Sprachform, die stilistisch differenziert und in Hinblick auf das Spektrum ihrer Verwendungsweisen polyvalent ist. Sie ist u.a. Orientierungsgröße des Deutschunterrichtes, und obwohl eine de facto Orientierung (vor allem) an der Sprache der Mittelschicht kaum zu leugnen ist, ist eine soziale Markierung intentional ausgeklammert. Unter diachroner – die Aspekte der überregionalen Vereinheitlichung und zunehmenden Schriftsprachlichkeit (neben der Mündlichkeit) beto­nender – Perspektive kann Standardsprache auch als letzter Entwicklungsschritt einer Abfolge von Dialekt, Schreibdialekt und Schriftsprache verstanden werden (vgl. BeschBesch, Werner, Dialekt, Schreibdialekt).

Der Wortteil Standard weist dabei auf die Allgemeinverbindlichkeit, die durch Normenkodifikation auf unterschiedlichen grammatischen Ebenen bzw. durch Rechtschreibung (Orthografie) und Hochlautung (Orthoepie) etabliert wurde. Demgegenüber ist der weniger neutrale Begriff Hochsprache stärker wertend (und abgrenzend), ebenso wie der alltagssprachlich weit verbreitete Parallelbegriff Hochdeutsch. Besonders letzterer ist mit Bezug auf die sprachwissenschaftliche Verwendung von Hochdeutsch mehrdeutig und damit problematisch: Sowohl in sprachhistorischer als auch in areallinguistischer (dialektologischer) Hinsicht ist hoch geografisch bzw. topografisch aufzufassen und dient der Bezeichnung der eben hochdeutschen Varietäten des (gebirgigen) Südens, dem die niederdeutschen des flachen Nordens gegenübergestellt sind. Entsprechend zu unterscheiden sind etwa hochdeutsche von niederdeutschen (plattdeutschen) Dialekten oder etwa, bezogen auf historische Sprach- und Literaturverhältnisse, die mittelhochdeutsche von einer mittelniederdeutschen Literatur und Sprache.

In Abgrenzung zur Standardsprache betont der Begriff Nationalsprache die nationale, auch politische, kulturelle oder auch ideologische Ausrichtung und Relevanz der hierdurch bezeichneten Varietät (vgl. ReichmannReichmann, Oskar, »Nationalsprache als Konzept der Sprachwissenschaft«). Grundlage hierfür sind vor allem im 19. Jahrhundert verbreitete Vorstellungen entsprechend dem im Kern heute überholten, romantischen Konzept der Brüder JacobGrimm, Jacob und Wilhelm GrimmGrimm, Wilhelm, welches eine Gleichsetzung von Sprache und Nation zum Zweck der Etablierung einer Kulturnation propagierte. Nationalsprachen können politisch gefördert und künstlich geschaffen werden, um ein Nationalbewusstsein zu etablieren oder zu stärken. Die damit mitunter verbundene Abwertung und Zurückdrängung von Minderheitensprachen macht diesen Ansatz fragwürdig. Problematisch ist der Begriff zudem nicht nur aufgrund der verbreiteten Tatsache, dass zahlreiche Länder (Nationen) mehrere offizielle Amtssprachen (in diesem Sinne Nationalsprachen) haben können (z.B. Belgien, Kanada), sondern auch, weil in vielen Fällen in nationaler Hinsicht unterschiedliche Länder einer Sprache zugeordnet sind. So ist das Deutsche etwa alleinige Amtssprache in Deutschland, Österreich und Liechtenstein und Co-Amtssprache in der Schweiz, in Luxemburg, (Ost-)Belgien und (Nord-)Italien. Dem etwa von Michel ClyneClyne, Michael und Ulrich AmmonAmmon, Ulrich entwickelten Plurizentrizitätskonzept folgend (vgl. AmmonAmmon, Ulrich u.a., Variantenwörterbuch des Deutschen), das die Eigenständigkeit und Gleichwertigkeit unterschiedlicher nationaler Ausformungen betont, wäre hier in weiterer Differenzierung von nationalen Varietäten der (deutschen) Standardsprache zu sprechen, was als ›einzelsprachliche Mehrsprachigkeit‹ beschrieben werden könnte. Beispiel hierfür ist das Schweizer Hochdeutsch (oder Schriftdeutsch), das zumeist in formellen Kommunikationssituationen (Nachrichtensprecher), vor allem aber in der Schriftlichkeit verwendet wird, und dem das auf alemannischen Dialekten basierende, zumeist mündlich verwendete Schweizerdeutsch (Schwytzerdütsch) gegenübersteht. Auch die ›Standardsprache in Deutschland‹ (deutschländisches Deutsch) ist in diesem Sinne nur eine Standardausprägung neben anderen, eine unreflektierte Gleichsetzung mit ›deutscher Standardsprache‹ verbietet sich demzufolge. Unterschiedliche nationale Ausformungen von Standardsprachen (meist bezogen auf Unterschiede in der Lexik) sind weit verbreitet und beziehen sich auf diverse Sprachen (z.B. auch Englisch, Französisch, Niederländisch, Spanisch). Das Beispiel Luxemburg steht für ein mehrsprachiges Land, das eine Sprache (das Luxemburgische) 1984 per Sprachgesetzgebung als Nationalsprache gegenüber den beiden flankierenden offiziellen Sprachen (Französisch und Deutsch) erhoben hat, und damit den identitätsstiftenden Gehalt des Begriffs Nationalsprache unterstreicht.

Der Begriff Literatursprache steht dem der Standardsprache – je nach Verwendungsweise – synonymisch oder antonymisch gegenüber. Als Parallel- bzw. Konkurrenzbegriff zu Standardsprache etablierte sich in der DDR der vor allem nach russischem Vorbild (литературный язык, literaturnyj jazyk) gebildete Terminus Literatursprache in Hinsicht auf die Betonung der engen Verbindung des sprachlichen Standards zur geschriebenen Sprache. Dagegen hebt sich die Verwendung des Begriffs Literatursprache für die Sprache der (schöngeistigen) Literatur ab. Die hierdurch markierte funktionale und ästhetische Sonderstellung (unter Einbeziehung der durch dichterische Freiheit sanktionierten Sprachkreativität und Normüberschreitung) erweist Literatursprache hier als Gegenbegriff zur polyvalenten Standardsprache. Literatursprache in diesem Sinne betont zugleich die Differenz gegenüber anderen (schriftlichen) Sprachausprägungen (z.B. Pressesprache, Verwaltungssprache, Sprache von Gebrauchstexten; siehe II.5).

Gemeinsprache und Einheitssprache sind Termini, die einer deutschsprachigen Benennungs-Tradition folgen und den sprachhistorischen Prozess zur Etablierung allgemeinverbindlicher bzw. einheitlicher Sprachstandards gegenüber regionalen oder auch sozialen Ausprägungen (Subvarietäten) betonen. Beide Begriffe sind heute eher ungebräuchlich. Auch der Begriff Volkssprache ist historisch fundiert und bezeichnet die im Mittelalter aufkommenden, (nur) in der Schriftlichkeit überlieferten Varietäten, die sich allmählich in Abgrenzung zum Latein der Kleriker etablierten. Erste volkssprachliche Zeugnisse datieren bezogen auf die deutsche Sprache um die Mitte des 8. Jahrhunderts, bezogen auf die französische Sprache etwa hundert Jahre später.

b) Dialekt, Soziolekt

Im Gegensatz zur Standardsprache (bzw. den genannten Parallelbegriffen) verweist der Terminus Dialekt auf Sprachausprägungen, die vornehmlich durch areale Begrenztheit und mediale Einschränkung auf die Mündlichkeit bestimmt sind. Letzteres wird durch den meist synonym verwendeten (jüngeren) Begriff Mundart betont, der Resultat der Verdeutschungsarbeit Philipp ZesenZesen, Philipp vons (17. Jahrhundert) ist. Da unterschiedliche Dialekte einer Standardsprache zugeordnet sind und damit von dieser überdacht werden, sind Dialekte auch als Substandardvarietäten zu bezeichnen. Im Vergleich zur Standardsprache fehlt ihnen eine Normenkodifikation, wiewohl auch Dialekte eigenen Sprachnormen (im Sinne einer langue) folgen und sich demnach linguistisch wie jede Standardsprache auf allen Ebenen beschreiben lassen. Insbesondere die zum Teil immer noch vorherrschende, linguistisch aber unhaltbare Ansicht, Dialekte seien ›Verwilderungen‹ der Hochsprache bzw. stünden dem Schulerfolg und dem sozialen Aufstieg entgegen, führte zeitweilig zu einer verbreiteten Negativbewertung der Dialekte (und ihrer Sprecher) und damit mittelbar zum Dialektabbau. Bedeutsam in diesem Zusammenhang war die problematische BernsteinBernstein, Basilrezeption (›schichtenspezifische Sprachverwendung‹, ›Sprachbarrierendiskussion‹) in Deutschland, die den von Basil BernsteinBernstein, Basil bezogen auf die soziolinguistischen Verhältnisse in London in den 1960er Jahren entwickelten Begriff des ›restringierten Codes‹ auf die Dialekte bezog und diesen die Standardsprache als ›elaborierten Code‹ gegenüberstellte. Gegenüber der Standardsprache ist die kommunikative Reichweite von Dialekten nicht nur areal und medial begrenzt, sondern auch in Hinsicht auf die Leistungsfähigkeit in bestimmten Relevanzfeldern wie Wissenschaft und (›hoher‹) Literatur. Der Mehrwert der Dialekte liegt demgegenüber in ihrer Funktion als ›Nähesprache‹ (innerhalb der Familie, im nahen Bekanntenkreis etc.). Eine ›binnensprachliche Zweisprachigkeit‹ (BeschBesch, Werner, Dialekt, Schreibdialekt, 984) von Standardsprache und Dialekt kann in diesem Sinne durchaus als Kompetenzerweiterung (gegenüber nur standardsprachkompetenten Sprechern) betrachtet werden.

Nicht nur bezogen auf das Beispiel der deutschen Sprache gilt das im Vergleich zu Standardsprachen höhere Alter der Dialekte. Bezogen auf den deutschen Sprachraum ergibt sich ein entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang mit den vormaligen germanischen Stammessprachen, der in Bezeichnungen wie Sächsisch, Fränkisch, Alemannisch und dergleichen nachwirkt. Wie oben angedeutet, bilden die Dialekte historisch den Ausgangspunkt der sich über mehrere Stufen (›Schreibdialekte‹ des Mittelalters, ›Schriftsprachen‹ des 16. bis 18. Jahrhunderts) vollziehenden – dabei insgesamt hochkomplexen – Entwicklung zur deutschen Standardsprache.

Die heutige sprachareale Gliederung des deutschen Sprachraumes setzt im Kern dialektale (bzw. stammessprachliche) Differenzierungen fort, die bereits seit den Anfängen einer deutschen Volkssprachigkeit im 8. Jahrhundert existierten. Prägende Grundlage sind die durch die sog. 2. oder hochdeutsche Lautverschiebung bewirkten räumlich differenzierten Veränderungen im Bereich der stimmlosen Plosivreihe p, t, k (Tenuesverschiebung) zu – abhängig vom Lautkontext – Affrikaten (pf, tz, kch) oder Doppelfrikativen (ff, ss, hh) sowie die Entwicklung von b, d, g zu p, t, k (Medienverschiebung). Demgemäß trennt die sog. maken-machen-Linie (Benrather Linie) das südliche Hochdeutsche vom nördlich angrenzenden Niederdeutschen. Innerhalb des hochdeutschen Sprachraumes ist das Mitteldeutsche vom südlichen Oberdeutschen durch die Appel-Apfel-Linie (Speyrer-Linie) getrennt. Weitere Differenzierungen führen zu einer mehr oder weniger engmaschigen Netzstruktur, in die die gebräuchlichen Dialektbezeichnungen eingebunden sind. So ist das Ripuarische etwa Teil des westmitteldeutsch-mittelfränkischen Dialektraumes, während das Bairische im ostoberdeutschen Dialektraum zu situieren ist (und im Wesentlichen das Bundesland Bayern sowie Österreich umfasst). Grundlage der heutigen Dialektkarten sind die auf einer indirekten Fragemethode basierenden Erhebungen Georg WenkerWenker, Georgs (ab 1876) und die Arbeiten des daraus hervorgegangenen Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas (DSA).

Eine nur binäre Gegenüberstellung von Standardsprache und Dialekt greift bezogen auf die reale Varietätenstruktur zu kurz, vielmehr ist von Zwischenstufen auszugehen, die als Umgangssprachen bezeichnet werden. Umgangssprachen verbinden Ausprägungen der Standardsprache mit denen von Dialekten (oder auch Soziolekten), fungieren damit als Ausgleichsvarietäten, wobei die Nähe zur einen oder anderen Seite variieren kann, so dass letztlich von einem Varietätenkontinuum zwischen beiden Polen auszugehen ist. Während umgangssprachliche Elemente in der geschriebenen Sprache als markiert und stilistisch unangebracht gelten, sind sie in der gesprochenen Sprache eher toleriert und auch verbreiteter bzw. können dort auch als (soziolektal) positiv wahrgenommen werden (z.B. Honoratiorenschwäbisch, Hanseatendeutsch). Regionale Umgangssprachen werden im Laienurteil häufig mit Dialekten gleichgesetzt, was Erhebungen auf der Grundlage von Selbsteinschätzungsdaten problematisch macht. Daneben wird der Begriff Umgangssprache auch auf eine Sprachlage in eher informellen, privaten Kommunikationszusammenhängen bezogen, die dort unter Umständen angemessener erscheint als die formelle, stilistisch höherstehende und in eher formellen situativen Kontexten verwendete Sprachlage.

Soziolekte (auch Gruppensprachen) können sich von ihrem Begriffsinhalt her zwar mit den Dialekten und (regionalen) Umgangssprachen berühren, sie rekurrieren aber nicht auf regionale, sondern auf soziale Stratifizierungen von Sprachgemeinschaften. Dabei sind nicht nur die – je nach Gesellschaft kaum praktikabel bestimmbaren – Strata wie Unterschicht, Mittelschicht, Oberschicht im Blick, sondern auch Differenzierungen nach Alter (z.B. Jugendsprache), Geschlecht (Genderlekt) oder Herkunft (Migrantensprache). Eine begriffliche Nähe zeigt sich gegenüber den Fachsprachen (im Sinne von Berufsgruppensprachen) (vgl. II.6) sowie den Pidgin- und Kreolsprachen (vgl. II.3).

Zur Verdeutlichung zwei Beispiele: Jugendsprache (auch Slang oder Jargon) gehört als ›transitorischer Soziolekt‹ (LöfflerLöffler, Heinrich, Germanistische Soziolinguistik) zu den (wechselnden) ›Lebensalter-Sprachen‹, die durch Sprachspezifikationen unterschiedlicher Lebensphasen (Kindersprache, Schüler-/Jugendsprache, Erwachsenensprache, Seniorensprache) bestimmt sind. Schon aufgrund gravierender Unterschiede nach z.B. Bildungsvoraussetzungen oder regionalen bzw. städtischen/dörflichen (biografischen) Hintergründen der Jugendlichen kann von einer einheitlichen Jugendsprache nicht die Rede sein. Allgemeinkonstitutive Elemente sind aber eine bewusst saloppe, die Standards unterlaufende, dabei durchaus sprachspielerisch-kreative Sprachverwendung. Ihre Funktion ist die Gruppenbildung (Inklusion) nach innen bei gleichzeitiger Exklusion (der Erwachsenenwelt) nach außen.

Wie beim Alter interessiert unter soziolinguistischer Perspektive auch beim Geschlecht weniger die biologisch‐physiologische als vielmehr die soziale Komponente. Die lange Zeit fast exklusive Hinwendung zur ›Frauensprache‹ implizierte deren (vermeintlichen) Status als markierte Sondersprache, der die Sprache der Männer als Normalsprache gegenübergestellt wurde. Innerhalb der (vorwissenschaftlichen) Ethnolinguistik wurden Frauensprachen insbesondere bei den sog. primitiven Völkern beobachtet. Eine auch sozialpolitische Relevanz kommt dem Thema ›Sprache und Geschlecht‹ im Rahmen der feministischen Linguistik zu, wobei in einer frühen radikalen Phase viele Sprachen (darunter auch Deutsch) als ›Männersprachen‹ ›entlarvt‹ werden sollten, die, so die Behauptung, als Instrumente zur Unterdrückung der Frau dienten. Derlei plakative und pauschalisierende Aussagen sind im Zuge differenzierterer Analysemethoden und der Weiterentwicklung der Gendertheorie heute nicht aufrechtzuerhalten. Ein nach wie vor wichtiges Untersuchungsfeld der feministischen (Sozio-)Linguistik ist die Frage der Geschlechtergerechtigkeit von Sprachen, wobei – nicht nur bezogen auf das Deutsche – häufig das sog. generische Maskulinum zum Diskussionspunkt und Streitpunkt wird (vgl. SieburgSieburg, Heinz, »Zur Problematik des generischen Maskulinums«).

Neben den Dialekten und Soziolekten lassen sich weitere Varietäten benennen, die jeweils spezifische Orientierungskriterien in den Mittelpunkt stellen, für die linguistische Begriffsbildungen insgesamt aber weniger relevant sind. Dazu zählt der Begriff Idiolekt, der (meist) für den persönlichen und charakteristischen Sprachgebrauch von Einzelsprechern steht. Zur Bezeichnung der Sprache innerhalb einer Familie wird bisweilen der Begriff Familekt verwendet, durchgesetzt hat sich dieser (bislang) allerdings nicht.

c) Mündlichkeit/Schriftlichkeit

Die beschriebenen Varietäten lassen sich bezogen auf den Grad der Standardisierung ordnen, womit zugleich die Frage von Mündlichkeit und Schriftlichkeit stärker in den Blick kommt. Hochgradig standardisiert sind dabei vor allem die Standardsprachen, wobei Standardisierung im Sinne der Kodifikation von Normen verstanden werden soll, die zugleich einen präskriptiven Charakter haben und damit die Sprachrichtigkeit bestimmen. Diese sollen etwa im Zuge des Schulunterrichts vermittelt und durchgesetzt werden, mit der Folge, dass Normabweichungen hier negativ sanktioniert werden. Die korrekte Beherrschung der Standardsprache ist zudem ein relevanter Faktor in Bezug auf gesellschaftliche Teilhabe, insbesondere mit Blick auf eine akademische Orientierung. Dialekte sind demgegenüber nicht-standardisierte Varietäten, wenngleich das Kriterium der Sprachrichtigkeit auch hier gilt und diese im Spracherwerbsprozess informell (ungesteuert) vermittelt wird. Insbesondere Jugendsprachen zeichnen sich dagegen durch gezielte Überschreitungen der in der Standardsprache gültigen Normen aus.

Die Standardsprache ist zugleich die einzige Varietät, für die Bimedialität, verstanden als Nebeneinander von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, konstitutiv ist, wohingegen Dialekte prinzipiell auf das Medium der Mündlichkeit beschränkt sind (und daher mit den vorhandenen orthografischen Systemen auch nur unzureichend erfasst werden können). Mündlichkeit (gesprochene Sprache) und Schriftlichkeit (geschriebene Sprache) beziehen sich jeweils auf ein identisches Sprachsystem, sind aber kategorial zunächst dadurch unterschieden, dass sie verschiedene mediale Ausdrucksformen (phonisch vs. graphisch) vertreten, die zwar prinzipiell einen kategorial klar abgrenzbaren Kommunikationsrahmen etablieren, Übergangsformen aber dennoch zulassen. Zu den Parametern der Mündlichkeit lassen sich etwa Dialogizität, Sprecherwechsel, face-to-face-Interaktion und Spontaneität zählen, während Schriftlichkeit stärker durch Kriterien der Monologizität, des nicht vorhandenen Sprecherwechsels, der räumlich-zeitlichen Distanz und der Reflektiertheit bestimmbar ist. Eine Differenzierung nach den Gesichtspunkten der Ausdrucksweise bzw. Versprachlichungsstrategie (konzeptionelle Dimension) und Realisierung (mediale Dimension) zeigt unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten, worauf insbesondere Peter KochKoch, Peter und Wulf OesterreicherOesterreicher, Wulf (»Schriftlichkeit und Sprache«) hingewiesen haben. Demnach ist etwa eine Grußkarte oder eine SMS zwar medial der Schriftlichkeit zuzuordnen, konzeptionell aber (eher) der Mündlichkeit, während etwa ein wissenschaftlicher (medial) mündlicher Vortrag als konzeptionell schriftlich zu bestimmen ist. Demgegenüber sind Gespräche unter Freunden sowohl konzeptionell als auch medial mündlich, Gesetzestexte sowohl konzeptionell als auch medial schriftlich. Merkmale gesprochener Sprache (konzeptioneller Mündlichkeit) sind Häufungen parataktischer Satzstrukturen oder auch Konstruktionsabbrüche, ein eher eingeschränkter Wortschatz, häufigere Wiederholungen, regionale/dialektale Merkmale sowie der Einsatz von nonverbalen Mitteln (Mimik, Gestik). Gesprochene Sprache ist insofern weniger stark normiert als geschriebene. Aufgrund der unterschiedlichen situativen Rahmungen (Raum/Zeit-Kontinuum) und sonstiger kategorialer Differenzierungen lässt sich Mündlichkeit eher als ›Sprache der Nähe‹, Schriftlichkeit eher als ›Sprache der Distanz‹ bestimmen. Eine Differenz besteht zudem in Hinblick auf die prinzipielle Flüchtigkeit der mündlichen gegenüber der Festigkeit (im Sinne der Fixierung auf einem Speichermedium und der Archivierbarkeit) der geschriebenen Sprache.

In historischer Sicht ist Schrift gegenüber der Mündlichkeit generell als sekundäres System anzusehen, wobei der Grad der Abhängigkeit deutlich differieren kann. Insbesondere moderne phonetische Schriften (Alphabetschriften), deren nahöstliche Vorläufer etwa 3500 Jahre alt sind, zeigen eine im Verhältnis zu piktografischen oder logografischen Schriften enge Anbindung an die Mündlichkeit durch Nachbildung der Lautlichkeit (siehe II.6). Für die Verschriftlichung vieler europäischer Volkssprachen erfolgte dieser Prozess unter Verwendung lateinischer Buchstaben, wobei über einen langen Zeitraum eine beträchtliche Variabilität erkennbar bleibt, die auch durch die Problematik begründet ist, dass die Lautwerte der (lateinischen) Buchstaben nicht ohne Weiteres mit der Lautlichkeit der Volkssprachen zur Deckung gebracht werden konnte. In der deutschen Sprache erfolgte die allmähliche Etablierung zur voll entwickelten (polyvalenten) Schriftsprache parallel zu einer immer stärkeren Normierung der Rechtschreibung, wobei eine erste allgemeingültige Normierung im Sinne einer Orthografie (bezogen auf das deutsche Kaiserreich) erst 1903 (DudenDuden, Konrad) erfolgte. Zwar unterliegt auch die Aussprache einer Normierung, im Vergleich zur Schriftlichkeit sind in der Mündlichkeit Normabweichungen – zumindest bezogen auf das Deutsche – aber eher tolerabel, bzw. besteht eine größere Normvarianz. So verzeichnet Theodor SiebsSiebs, Theodor (Deutsche Aussprache, 191969) neben einer ›reinen‹ auch eine (durchaus standardgemäße) ›gemäßigte‹ Aussprache, entsprechend auch der Ausspracheduden. Die unterschiedliche Festigkeit der mündlichen und schriftlichen Sprachebene kann im Zuge des allgemeinen Sprachwandels zu einem mehr oder weniger großen Abstand zwischen den medialen Ausprägungen führen, wodurch sich Sprachen (bezogen auf ihre Schriftlichkeit) als mehr oder auch als weniger phonetisch bestimmen lassen: Relativ unphonetisch sind etwa das Französische und Englische, während das Deutsche als eher phonetisch zu betrachten ist. Eine Eins-zu-Eins-Entsprechung bezogen auf Phonem/Graphem-Beziehungen besteht aber auch hier nicht. So hat beispielsweise die Graphie <s>, abhängig vom Lautkontext, (zum Teil) unterschiedliche Lautqualität ([z] in Sonne, [ʃ] in Spiel, [s] in Wespe).

Wenngleich in historischer Sicht vom Primat der Schriftlichkeit gegenüber der Mündlichkeit auszugehen ist, ist eine Umkehrung dieses Verhältnisses durchaus möglich. Beispiel hierfür ist die Etablierung von Nationalsprachen wie das moderne Hebräisch (Ivrit) oder Litauisch, die zunächst in der Schriftlichkeit (normierend) vorgeformt wurden. Eine Vorrangigkeit der Schriftlichkeit zeigt sich daneben insbesondere bei künstlichen Sprachen wie Esperanto (vgl. II.4), die als ›Schreibtischkonstrukte‹ angesehen werden können. Bei natürlichen Sprachen können die Abhängigkeiten im Entwicklungsprozess auch variieren. So folgt bezogen auf das Deutsche die Schriftlichkeit zunächst der Mündlichkeit (in einem engen Sinne bezeichnet durch den Terminus Verschriftung). In späteren Phasen und unter dem Einfluss bewusster Spracharbeit (etwa durch die Grammatiker im Barock) wurde die Schriftsprache dagegen zum Muster der Mündlichkeit bzw. ging die schriftliche Seite bei der Etablierung der Standardsprache voran. In areallinguistischer Hinsicht gilt dies bezogen auf den niederdeutschen Raum auch in Hinblick auf die Etablierung einer überregionalen Standardsprache durch ›Sprechen nach der Schrift‹.

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
971 s. 3 illüstrasyon
ISBN:
9783823300458
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu