Kitabı oku: «Mehrsprachigkeit und das Politische», sayfa 14
2 Theoretische und methodische Grundlagen
Für die Analyse des SprachwechselsSprachwechsel, so wie er sich in der litauischenLitauenlitauisch Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität und speziell im Roman Stasys Šaltoka manifestiert, bieten zwei Studien eine haltbare methodische Grundlage, nämlich Gulia Radaellis Literarische MehrsprachigkeitMehrsprachigkeitliterarische Mehrsprachigkeit (2011) und WernerWerner, Johannes Helmichs Ästhetik der Mehrsprachigkeit (2016). Beide Forscher haben ausführliche Beschreibungsmodelle für mehrsprachigeMehrsprachigkeitmehrsprachig literarische Texte entwickelt, obwohl sie ein unterschiedliches Verständnis des Phänomens haben und voneinander abweichende Herangehensweisen an die konkreten Texte vorschlagen. Beiden ist aber gemeinsam, dass sie den Begriff Mehrsprachigkeit nicht auf das Nebeneinander verschiedensprachigerverschiedensprachig Texte innerhalb einer Nationalliteratur, auch nicht auf das Nebeneinander verschiedensprachigerverschiedensprachig Texte im Werk eines Autors oder einer Autorin, sondern auf die innertextuelle Mehrsprachigkeit beziehen (Radaelli 2011: 48; Helmich 2016: 14). Wenn es um das Vorkommen anderssprachigeranderssprachig Elemente innerhalb eines Textes geht, sind SprachwechselSprachwechsel und SprachmischungSprachmischung die entscheidenden Phänomene, die sich aber nicht scharf, eher nach der Art der Betrachtung (quantitativ oder qualitativ) voneinander unterscheiden lassen (Helmich 2016: 18). Auch in dem vorliegenden Beitrag werden die Begriffe parallel benutzt, wobei grundsätzlich die von Dembeck vorgeschlagene Definition gilt: „Als Sprachwechsel ist zu bezeichnen, wenn in einem Text Segmente, die unterschiedlichen IdiomenIdiom zuzuordnen sind, aufeinander folgen, wohingegen man von Sprachmischung bei solchen Texten oder Textteilen sprechen kann, in denen zwei IdiomeIdiom zu unterscheiden sind, ohne dass sie sich einzelnen Segmenten zuordnen ließen“ (Dembeck 2020: 125).
Der wichtigste Unterschied zwischen Radaelli und Helmich besteht in der Wahrnehmbarkeit und der Auffassung der in einem Text enthaltenen Sprachen, was nicht zuletzt mit ihrem Untersuchungsgegenstand zusammenhängt. Helmich versucht, einen umfangreichen Textkorpus zu bearbeiten, weshalb er sich alleine schon aus pragmatischen Gründen dafür entscheidet, von SprachwechselSprachwechsel nur dann zu sprechen, wenn die involvierten Sprachen im Text manifest sind (Helmich 2016: 17). Radaelli beschäftigt sich detailliert mit einigen ausgewählten Texten CanettisCanetti, Elias und Bachmanns (in dem Sinne ist ihre Vorgehensweise auch für den vorliegenden Beitrag relevant) und geht von einem viel breiteren Begriff des SprachwechselsSprachwechsel bzw. der SprachmischungSprachmischung aus. Zur systematischen Einteilung, Differenzierung und deskriptiven Erfassung der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit literarischer Texte schlägt sie drei heuristische Grundkriterien vor: der Fokus (mehrsprachigesMehrsprachigkeitmehrsprachig Einzelwerk oder mehrsprachigesMehrsprachigkeitmehrsprachig Gesamtwerk eines Autors), die Wahrnehmbarkeit (manifeste oder latentelatent Mehrsprachigkeit) und die Sprachen (EinzelsprachenEinzelsprache bzw. NationalsprachenNationNationalsprache, SprachvarietätenVarietätSprachvarietät oder erfundene Sprachen) (Radaelli 2011: 47).
Für die Analyse manifester Formen des SprachwechselsSprachwechsel bzw. der SprachmischungSprachmischung in einem konkreten Text bieten sich die von Helmich übersichtlich zusammengestellten Kriterien (Helmich 2016: 30ff) an, die später auch bei der Erläuterung der fremdsprachigen Elemente im Roman Stasys Šaltoka zu Hilfe gezogen werden: 1) Markierung bzw. graphische Hervorhebung (Kursivsatz, Anführungszeichen, Übernahmen fremderFremdheitfremd Schriftzeichen, etc.); 2) Lokalisierung im Werk (Fremdsprachiges entweder im Text selbst oder in verschiedenen paratextuellen Elementen, wie z.B. Titel, Widmung oder Motto); 3) Einzelgröße und Gesamtumfang (Einzellexeme, Syntagmen, Sätze, Transphrastisches unbegrenzten Umfangs und ihr Gesamtanteil am Text); 4) Durchdringungs- oder Vermischungsgrad (verschiedene Grade der Heterogenität der einzelnen Sprachelemente wie auch des Gesamttexts, wie z.B. SprachwechselSprachwechsel/Sprachmischung, additive/synthetische MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit); 5) Figuren- und Erzählerrede (die fremdsprachige Mimesis der Figurenrede vs. die fremdsprachige oder mischsprachigeMischsprachemischsprachig Erzählerrede); 6) Verständnishilfen (ÜbersetzungenÜbersetzung/translation im Text, in den Fußnoten oder einem beigegebenen Glossar, aber auch die bilingualebilingual Synonymie); 7) Konnotationen einzelner FremdsprachenFremdsprache (Bildungs- und Renommee-Sprachen, Reflexe der realen Sprachdominanz in bestimmten Sektoren, etc.); 8) Korrektheitsgrad (Normverstöße hängen von der fremdsprachlichenFremdsprachefremdsprachlich Kompetenz des Autors, aber vor allem von der Motiviertheit im Text ab).
Im Unterschied zu Helmich berücksichtigt Radaelli auch die latentelatent MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit, bei der „andere Sprachen nur unterschwellig vorhanden und nicht unmittelbar wahrnehmbar sind“, und betrachtet diese als die häufigste Form von literarischer Mehrsprachigkeit überhaupt (Radaelli 2011: 61). Zu solchen latentenlatent Formen zählen die ÜbersetzungÜbersetzung/translation, die SprachreflexionSprachreflexion sowie die im Text auftretenden Sprachverweise (ebd.: 61f). Über die ÜbersetzungÜbersetzung/translation bzw. den Sprachverweis hinaus können literarische Texte auf eine andere Sprache oder auf Mehrsprachigkeit Bezug nehmen, indem sie mehrsprachigeMehrsprachigkeitmehrsprachig Begegnungen und Räume schildern. Aufenthalte im Ausland oder an mehrsprachigenMehrsprachigkeitmehrsprachig Orten, Reise oder Auswanderung stellen laut Radaelli wichtige Topoi mehrsprachigerMehrsprachigkeitmehrsprachig Literatur dar (ebd.: 65), was auch am Beispiel von Stasys Šaltoka zu zeigen sein wird.
Neben den besonders sichtbaren Fällen, bei denen der SprachwechselSprachwechsel zwischen zwei oder mehreren EinzelsprachenEinzelsprache stattfindet, sollten im Sinne des Beschreibungsmodells von Radaelli auch sprachliche VarietätenVarietät wie DialekteDialekt/Mundart, Idiolekte, SoziolekteSoziolekt etc. beachtet werden (Radaelli 2011: 70). Dabei solle auch gefragt werden, welche Bedeutung den jeweiligen EinzelsprachenEinzelsprache oder VarietätenVarietät im mehrsprachigenMehrsprachigkeitmehrsprachig Text zukommt, so etwa wenn eine Sprache an einen bestimmten topischen bzw. stereotypen Inhalt gekoppelt ist und der Darstellung von National- oder Berufscharakteren dienen soll (ebd.). Für Helmich reicht weder die bloße Erwähnung aus, dass eine Figur in einer anderen Sprache spricht, als derjenigen, in der ihre Rede wiedergegeben wird, um Sprachwechsel oder SprachmischungSprachmischung zu konstatieren, noch gilt ihm der Wechsel zwischen DialektenDialekt/Mundart oder SoziolektenSoziolekt als Sprachwechsel (Helmich 2016: 17). Ähnlich argumentiert Dembeck, wenn er bemerkt, dass mit den Begriffen „Sprachwechsel“ und „Sprachmischung“ solche Formen der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit nicht abgedeckt werden, bei denen eine Differenz zwischen unterschiedlichen IdiomenIdiom nur latent wahrzunehmen ist (Dembeck 2020: 167–192). Keiner der Forscher leugnet aber mögliche Berührungspunkte zwischen manifester und latenterlatent, auf EinzelsprachenEinzelsprache begrenzter oder auf VarietätenVarietät ausgedehnter Mehrsprachigkeit der Texte oder den „Erkenntnisnutzen einer anderen Grenzziehung“ (Helmich 2016: 17), was sich bei der Analyse eines kleineren Untersuchungsobjekts als besonders produktiv erweisen kann.
An dieser Stelle soll etwas näher auf die Aufsätze hingewiesen werden, die sich mit Funktionen der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in literarischen Texten auseinandersetzen. Wie in einem älteren Aufsatz von András Horn erläutert, kann der SprachwechselSprachwechsel der Figurencharakterisierung, der Förderung der „Illusion größerer Wirklichkeitsnähe“, der Erzeugung von Komik, der Kommentierung des Geschehens, der Vermittlung anderssprachig besser auszudrückender Bedeutungsnuancen, der Wiedergabe lautlicher Schönheit oder anderssprachigeranderssprachig ZitateZitat dienen (Horn 1981: 226ff). In der neueren Forschung ist meistens von „erfahrener“ und „ästhetischer“ Funktion die Rede ist: Man unterscheidet „zwischen solchen Formen literarischer Mehrsprachigkeit, die ihren Dreh- und Angelpunkt im Leben selbst, sprich in der mehrsprachigenMehrsprachigkeitmehrsprachig Erfahrung je unterschiedlicher Gruppen haben; und solchen Formen, die in erster Linie aus einem ästhetischen Willen heraus erklärt werden können“ (Dembeck/Uhrmacher 2016: 10). Dembeck und Uhrmacher kritisieren diese Unterscheidung, insbesondere wenn einer von diesen Formen (meistens der „erfahrenen“ und somit „politischPolitik/politicspolitisch/political relevanteren“) eine Priorität eingeräumt wird, und raten – was aus unserer Perspektive viel Sinn macht – dazu, beide Aspekte in den Blick zu nehmen:
Denn zum einen besteht der Verdacht, dass Ansätze, die allein dem Populären eine kollektive und lebensunmittelbare Herkunft unterstellen, dabei die Fähigkeiten literarischer Werke unterschätzen. Diese können wirkmächtig alternativeAlternativealternativ Weltentwürfe ins Spiel bringen und dürfen nicht als individualistisches Glasperlenspiel abgewertet werden. Zum anderen ist klar, dass kein literarisches Werk seinen Umgang mit SprachdifferenzenSprachdifferenz im luftleeren Raum pflegt. Im Gegenteil: Ihre kulturelle und soziale Wertigkeit ist unmittelbar Teil jeder ästhetischen Konstruktion von SprachdifferenzenSprachdifferenz. (ebd.: 11)
Diese Bemerkung soll insbesondere für die Beschäftigung mit der mehrsprachigenMehrsprachigkeitmehrsprachig Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität gelten, denn bei solchen Texten, die sich mit verschiedenen Formen sozialer Integration bzw. Exklusion, darunter auch mit sprachpolitischenSprachpolitiksprachpolitisch Machtfragen beschäftigen, ist die Neigung groß, das sprachliche Leben unserer Gesellschaften den individuellen „ästhetischen Spielen“ vorzuziehen.
Ohne die gewonnene Erkenntnis, dass mehrsprachigeMehrsprachigkeitmehrsprachig Texte sowohl hinsichtlich ihrer gesellschaftlicher Relevanz als auch ihrer ästhetischen Gestaltung zu bewerten sind, ganz aus den Augen zu verlieren, soll hier ein kurzer Blick auf die Studie Global Playing in der Literatur von Elke Sturm-Trigonakis (2007) geworfen werden, in der die Forscherin das transnationaletransnational, kosmopolitische Bewusstsein mehrsprachigerMehrsprachigkeitmehrsprachig Werke als Reflex der Globalisierungsthematik in den Werken selbst interpretiert und es in ihre Definition von „Neuer WeltliteraturWeltliteratur“ mit hineinnimmt. Für die „Neue Weltliteratur“ sollen Sturm-Trigonakis zufolge solche Merkmale gelten, wie eine weit definierte, auf SprachvarietätenVarietätSprachvarietät wie SoziolekteSoziolekt und DialekteDialekt/Mundart ausgedehnte MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit der Texte, die „Verarbeitung eines wie auch immer gearteten Globalisierungsdiskurses“, aber auch die „Hinwendung zum Regionalen und Lokalen“ (Sturm-Trigonakis 2007: 20 und 109). Die Forscherin bemerkt, dass in der von ihr untersuchten Literatur sowohl die Menge als auch die Komplexität der Texte, die SprachwechselSprachwechsel und SprachmischungSprachmischung als Verfahren benutzen, stark gestiegen ist (ebd.: 160–163). Ähnliche Beobachtungen findet man bei Helmich, so etwa: „In jüngeren Erzähltexten, die Weltläufigkeit signalisieren und deren Handlung darum gern an möglichst weitgestreuten fremdenFremdheitfremd Orten angesiedelt ist, gibt es fast durchgehend ein gewisses polyglottespolyglott – heute überwiegend englischsprachigesEnglisch/English – ‚Rauschen‘, das sich etwa in Grußformeln, sonstigen Ausdruckspatterns und kurzen literarischen oder lebensweltlichen ZitatenZitat äußert“ (Helmich 2016: 42f). Dembeck weist auch darauf hin, dass die Texte, die sich mit MigrationMigrant/inMigration oder mit einem (post-)kolonialen Kontext in Verbindung bringen lassen, mit Blick auf Sprachwechsel und Sprachmischung derzeit das größte Interesse von Seiten der Forschung erhalten (Dembeck 2020: 143). Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive gelte es dabei, „sich mit der Frage auseinanderzusetzen, in welchen einzelnen literarischen Texten sich unter welchen Rahmenbedingungen und wann welche Formen von Sprachwechsel und/oder Sprachmischung finden, welche kulturpolitischePolitik/politicskulturpolitisch Relevanz sie haben und wie sie in einen historischenhistorisch Zusammenhang gebracht werden können“ (ebd.: 127). Eben um eine ausführliche Erläuterung von verschiedenen Manifestationen des SprachwechselsSprachwechsel bzw. der Sprachmischung und ihren in einem konkreten Text angelegten gesellschaftlich relevanten, aber auch ästhetischen Funktionen, die sich nur mit Hilfe einer gründlichen Textanalyse herausarbeiten lassen, soll es in einem späteren Schritt gehen.
3 Kontextuelle Hintergründe: litauischeLitauenlitauisch Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität nach 2000
Die mehrsprachigeMehrsprachigkeitmehrsprachig Literatur setzt eine gewisse fremdsprachlicheFremdsprachefremdsprachlich Kompetenz eines Autors oder einer Autorin voraus, „[m]ehrsprachige Autoren erzeugen aber keineswegs eo ipso mehrsprachigeMehrsprachigkeitmehrsprachig Literatur“ (Helmich 2016: 15). Dies trifft vor allem auf die Autoren und Autorinnen litauischerLitauenlitauisch Abstammung zu, die ihre MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit durch die frühkindliche Sozialisation und die Schulbildung in den USA, Kanada oder anderen Ländern erworben haben, dort leben und ihre Texte ausschließlich in englischerEnglisch/English Sprache verfassen (PutriusPutrius, Birutė, Šileika und andere). Dies gilt aber genauso für die, die durch eine bestimmte Familienkonstellation oder aufgrund von neuen Migrationsprozessen, nämlich nach 1990, LitauenLitauen verlassen haben, mit ihrer Umgebung mehrsprachigMehrsprachigkeitmehrsprachig kommunizieren, jedoch ihre Texte nur auf LitauischLitauenLitauisch schreiben (PapievisPapievis, Valdas, Staponkutė Staponkutė, Dalia und andere). Es kann sein, dass auch in diesen Fällen neben der zentralen Arbeitssprache andere Sprachen mitschreiben, aber solange die Mehrsprachigkeit keinen ästhetischen Ausdruck in den Texten selbst bekommt, soll sie hier nicht weiter diskutiert werden.
Eine gründliche Analyse literarischer Texte und die Beschäftigung mit wissenschaftlichen Studien zur neuesten litauischenLitauenlitauisch Migrations- bzw. MobilitätsliteraturMobilität, übrigens fast ausschließlich von Frauen verfasst (Kačkutė 2018), offenbaren drei unterschiedliche Tendenzen, was den Umgang litauischerLitauenlitauisch Autoren und Autorinnen mit der zum Alltag gewordenen und literarisch reflektierten, explizit oder latentlatent in ihren Texten vorkommenden MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit betrifft. Hier sollen diese Tendenzen skizziert und an einigen ausgewählten Beispielen veranschaulicht werden.
Die erste Gruppe bilden die Texte, in deren Zentrum Reflexionen über SprachdifferenzenSprachdifferenz, das Verhältnis von ErstspracheErstsprache und FremdspracheFremdsprache, also alles latentelatent Formen literarischer MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit, und dadurch bedingte Identitätstransformationen stehen. Eines der prominentesten Beispiele dafür ist die Erzählung Das Schweigen der Mütter (2007) von Staponkutė Staponkutė, Dalia. In der Erzählung werden die Probleme der MigrantinnenMigrant/in thematisiert, die sich nicht mehr mit ihren Kindern verständigen können, weil ihnen die Kenntnisse der lokalen Sprachen fehlen und die Kinder immer weniger die herkömmliche Sprache ihrer Mütter sprechen: „Ich beobachte die Agonie, ja den Todeskampf meiner MutterspracheMuttersprache/mother tongue im Munde des Kindes und ich erkenne das Bild meines eigenen Untergangs…“, heißt es metaphorisch im Text (Staponkutė 2007: 511). Ohne die Möglichkeit, sich ihrer MutterspracheMuttersprache/mother tongue zu bedienen, aber auch ohne ausreichende fremdsprachlicheFremdsprachefremdsprachlich Kompetenz bleiben die MigrantinnenMigrant/in sprachlos, sie verlieren ihr kulturelles Gedächtnis und somit einen Teil von sich selbst. Dies ist z.B. der Fall, wenn im Roman Die Leute von Alkapė von Unė Kaunaitė Kaunaitė, Unė (2015) eine LitauerinLitauenLitauer/-in ihrer Londoner WG-Mitbewohnerin über ein wichtiges Ereignis aus der jüngsten litauischenLitauenlitauisch Geschichte erzählen will, aber die Begriffe dafür fehlen: „Wie heißt es auf EnglischEnglisch/English… ein Soldat? Ein Zusammenstoß? Eine Kundgebung? Die Begriffe waren plötzlich verschwunden, als ob sie zugemauert wären. Sie wusste, dass es sie gibt, sie ahnte ihre Form, sie konnte durch die Spalten einzelne Buchstaben erkennen, aber sie konnte nicht die Mauer durchbrechen.“ (Kaunaitė 2015: 28) In diesem Fall scheint nur die ErstspracheErstsprache die Möglichkeit zu bieten, Dinge bei ihren eigentlichen Namen zu nennen, und der Übergang in die FremdspracheFremdsprache wird als eine Art kultureller Bedrohung, ja Selbstverlust dargestellt.
Während in den genannten Texten SprachdifferenzenSprachdifferenz nur reflektiert werden, aber sich kaum Fremdsprachliches auf der Textoberfläche manifestiert, findet man in den anderen, meistens später erschienenen Texten (Paulina Pukytė Pukytė, Paulina, Elvyra Davainė Davainė, Elvyra, Audronė Urbonaitė, Urbonaitė, Audronė etc.) auch fremdsprachlicheFremdsprachefremdsprachlich Ausdrücke, die jedoch in den meisten Fällen mangelhafte FremdsprachenkompetenzSprachkompetenzFremdsprachenkompetenz illustrieren sollen. Eingeschlossen in ihre SprachkollektiveSprachkollektiv, vermeiden die osteuropäischenOsteuropaosteuropäisch (Arbeits-)MigrantenMigrant/in (LitauerLitauenLitauer/-in, PolenPolen, Ukrainer, etc.) jegliche Kontakte mit der sprachlich differenten (meistens englischsprachigen) Außenwelt, denn solche Begegnungen führen zu Missverständnissen oder haben sogar weiterreichende Folgen, wie Festnahme, Gefängnis, physische Verletzung oder Tod. Wie von Laurušaitė ausführlich erläutert, rücken in diesen Texten paradoxe lapsus linguae ins Zentrum der Betrachtung, die Auswanderer geraten ins Netz politischerPolitik/politicspolitisch/political, sozialer und kultureller Machtverhältnisse und werden in die Rolle von „stummen“ Unberechtigten hineinversetzt (Laurušaitė 2019: 40ff). So einen provokativen, scheinbar unversöhnlichen Sprach- und Kulturkonflikt illustriert Paulina Pukytės Buch Der Schicksalslose und der Wohltätige (2013), eine Sammlung von epischen und dramatischen Kurztexten, in denen klare sprachliche, zugleich auch wirtschaftliche, soziale, kulturelle etc. Grenzen gezogen werden und jegliche Formen produktiver MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit ausgeschlossen bleiben. Hier ein Beispiel für ein sprachlich motiviertes Missverständnis, wie man sie mannigfach im Buch von Pukytė finden kann:
RECHTSANWALT
Die Zeugen behaupten, dass Sie sie rassistisch beschimpft haben.
MANN A
Wir haben jemanden beschimpft? Wie konnten wir sie beschimpft haben?
Wir haben gar nichts über sie gesagt! Wie konnten wir sie beschimpft haben? […]
RECHTSANWALT
Hier steht es, dass Sie „black“ geschrien haben.
MANN A
Wie bitte? Und was heißt das?
FRAU
(automatisch) Schwarz.
RECHTSANWALT
Sie haben über ihre Hautfarbe gesprochen. Das hat sie verletzt.
MANN A
Wie „bliak“? Ich kenne das Wort gar nicht! Warum sollte ich sie beschimpfen? Wir haben andere Wörter, um sie zu beschimpfen… Wir haben wahrscheinlich „bliat“ [ein russischesRusslandrussisch Schimpfort] gesagt. Wir haben geschimpft… (lacht) Ist das Rassismus?! (Pukytė Pukytė, Paulina 2014: 103)
Auf den ersten Blick dienen solche Bedeutungsverwechslungen (EnglischesEnglisch/English „black“ vs. Russisches „bliat“; „cop“ vs. „cab“ etc. ) der Erzeugung von Komik, aber eigentlich werden sprachliche Differenzen als wirksame Machtmittel entlarvt, die eher Schattenseiten der MigrationMigrant/inMigration und des gesellschaftlichen Zusammenlebens als spielerischen Umgang mit der SprachvielfaltSprachvielfalt illustrieren. Bezüglich derjenigen literarischen Texte, die mangelhafte Englischkenntnisse, Aussprachefehler oder Sprechangst der MigrantenMigrant/in betonen, merkt Laurušaitė an: „Ohne SprachkenntnisseSprachkenntnisse der Gastländer werden die litauischenLitauenlitauisch MigrantenMigrant/in zu Outsidern, zu tragischen Protagonisten (Schicksalslosen), die zwischen der verlorenen eigensprachlicheneigensprachlich und der neuen (kaum verständlichen) fremdsprachlichenFremdsprachefremdsprachlich Umgebung gefangen bleiben“ (Laurušaitė 2019: 50).
Der dritten Gruppe, die bis jetzt von der litauischenLitauenlitauisch LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft am wenigsten berücksichtigt wurde, lassen sich die Texte zurechnen, die räumlich, kulturell und sprachlich ungebundene globale IdentitätenIdentität/identity in den Vordergrund rücken und mit der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit frei, entspannt und kreativ umgehen. Diese Texte belegen, dass es auch solche litauischenLitauenlitauisch Auswanderer gibt, die innere und äußere SprachkonflikteSprachkonflikt überwunden zu haben scheinen, quersprachigequersprachig Kompetenz aufweisen und als selbstbewusste Fremdsprach-Benutzer gerne SprachgrenzenSprachgrenze und SprachkonventionenSprachkonvention brechen (Kačkutė 2018). Ein Beispiel dafür ist der Roman Stasys Šaltoka von Grušaitė Grušaitė, Gabija, wo kurze und längere englischsprachigeEnglisch/English Passagen in den litauischenLitauenlitauisch Text eingerückt werden, sodass sowohl der Ich-Erzähler als auch das Buch selbst als explizit zweisprachigZweisprachigkeitzweisprachig bezeichnet werden können.