Kitabı oku: «Mehrsprachigkeit und das Politische», sayfa 13
Ja. Ach. Am Morgen war alles in Ordnung. Und der Teufel hat dich geritten, Penelope, am anderen Ende anzufangen. Wärst du gleich hierher gekommen, wärst du jetzt gewaschen und appetitlich wie Ferkel Tschunja. Dabei hast du es nicht weit, zwei Häuserblocks! Bei Gott, das hat etwas Fatales. […] Aber was jetzt tun? Klagen und beten? Wir reichen uns die Hände und adieu – ihr widmet euch euren Angelegenheiten und Wünschen und ich meinen, genauer, ich hoffnungsloser armer Teufel gehe beten… . (P, 256)
Der Roman Helena dagegen nimmt Bezug auf Michail BulgakovsBulgakov, Michail Meister und Margarita (1928–1940). Die Parallelen im Aufbau dieser Romane sind sofort zu sehen. Bulgakovs Roman spielt parallel in Moskau in den 1930er Jahren und in Jerusalem um Ostern im Jahr 33 unserer Zeitrechnung; dargestellt wird einerseits ein satirisches Bild des Lebens in der Stalin-Ära und andererseits die „wahre“ Geschichte des Martyriums Jesu (bzw. Ha-Notsri). Der Roman Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohars spielt in Jerewan, Moskau und Tallinn gegen Ende der 1980er Jahre und parallel dazu wird die Geschichte einer Heldin der Antike, der Schönen Helena, erzählt, so wie sie möglicherweise wirklich war: Eine etwas vernachlässigte und gelangweilte Ehefrau findet einen Liebhaber (Paris) und zieht zu ihm. Dies setzt eine Kette von Ereignissen in Bewegung und hat den Trojanischen Krieg zur Folge.13 Auch wenn Markosjan-Käsper das Leben in Tallinn und Jerewan nicht so hart kritisiert, sind auch in ihrem Roman satirisch-ironische Momente durchaus sichtbar, bei denen oft direkt Bezug auf Bulgakovs Text genommen wird. Beispielsweise wird über die Esten gesagt: „Mit einem Wort, ganz gewöhnliche Menschen, und wie alle auch ein bisschen durch die Wohnungsfrage verdorben.“ (H, 73).14
Des Öfteren wird in diesem Roman auf zahlreiche literarische Werke humorvoll angespielt. Zum Beispiel wird die Liebesgeschichte zwischen Helena und ihrem ersten Mann Abulik als „elend lang, wie ein Roman, etwa Krieg und Frieden oder Der stille Don […]“ (H, 18) charakterisiert. Auf ähnliche Weise werden auch weitere Klassiker der WeltliteraturWeltliteratur erwähnt: Helenas Vater Torgom wird mit Balzacs Vater Goriot verglichen, dabei stellt sich heraus, dass Vater Goriot auch Torgoms Lieblingsbuch ist (H, 25–27). Auch Helena selbst wird an etlichen Stellen durch literarische Anspielungen charakterisiert: Sie wird mit ihrer Namensvetterin in HomersHomer Ilias verglichen (H, 31), wir erfahren, dass sie nach der Scheidung keinen Liebhaber finden wollte, denn selbst die „Heldentat der Lady Chatterley“15 (H, 64) konnte sie nicht dazu inspirieren, dass sie oftmals in Jerewan für die Behandlung von interessanteren Krankheitsfällen kein Honorar nahm „wie Perry Mason“16 (H, 69) und dass sie so ehrlich ist, dass ihr Vater sie ironisch mit Pavlik Morozov17 vergleicht (H, 26). Die intertextuelleintertextuell/intertextual MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit wird also in diesen Romanen durch die Anwendung eines anderen literarischen Werks als Erzählrahmen und durch (oft mehrsprachigeMehrsprachigkeitmehrsprachig) Anspielungen auf andere literarische und nicht-literarische Texte geschaffen. Des Weiteren werden tagespolitische Themen geschickt in einen literaturgeschichtlichen Rahmen gestellt.
4 Zum Schluss
Die vorliegende Studie hat gezeigt, dass der „Kopf eines zweisprachigenZweisprachigkeitzweisprachig Menschen […] immer eine Raumerweiterung erfahren“ hat (ŞenocakŞenocak, Zafer 2011: 20). Diese Feststellung konvergiert mit der neuesten Diskussion in der literarischen Öffentlichkeit in ArmenienArmenien sowie in EstlandEstland/Estonia. Laut Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohar gebe es ziemlich viele neue Autoren in der armenischenArmenienarmenisch Diaspora, die in ihren Werken eher internationale Trends pflegen und die außer auf RussischRusslandRussisch/Russian auch auf EnglischEnglisch/English, FranzösischFrankreichFranzösisch oder SpanischSpanienSpanisch schreiben. Trotzdem werden sie als armenischeArmenienarmenisch Autoren betrachtet (Markosjan-Käsper 2006: 70). Auch in EstlandEstland/Estonia sieht man besonders die jüngeren russischsprachigen Schriftsteller als eher international orientierte Autoren an, die die russischeRusslandrussisch Literaturtraditionen nicht mehr als Vorbild nehmen (KotjuhKotjuh, Igor 2012: 138–139; Kotjuh 2013: 69–77). Daher ist es lohnend, Gohar Markosjan-Käspers Werke sowie die Texte anderer estnischer russischsprachiger Autoren aus transkulturellTranskulturalitättranskulturell und multilingualMehrsprachigkeitmultilingual besetzter Perspektive zu untersuchen.
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Sprachwechsel in der neuesten litauischen Migrations- und Mobilitätsliteratur
Rūta Eidukevičienė
Abstract: Wenn es um die Erforschung literarischer MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit innerhalb des litauischenLitauenlitauisch Literaturbetriebs geht, sind damit in erster Linie die Autoren und Autorinnen gemeint, die unmittelbar nach dem Zweiten WeltkriegWeltkriegZweiter Weltkrieg im Ausland geboren und sozialisiert wurden oder LitauenLitauen im Zuge des politischenPolitik/politicspolitisch/political Wandels um bzw. nach 1990 verlassen haben und die ihre Texte in anderssprachigenanderssprachig Kontexten, aber durchgehend in einer einzigen Sprache (EnglischEnglisch/English im ersten Fall, LitauischLitauenLitauisch im zweiten) verfassen. In der jüngsten Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität lassen sich jedoch auch Beispiele für innertextuelle ZweisprachigkeitZweisprachigkeit bzw. Mehrsprachigkeit in Form des literarischen SprachwechselsSprachwechsel feststellen, die Integrationsprobleme litauischerLitauenlitauisch (Arbeits-)MigrantenMigrant/in oder die Herausbildung von globalen IdentitätenIdentität/identity illustrieren. Letzteres wird im vorliegenden Fall am Beispiel des Romans Stasys Šaltoka (2017) von Gabija Grušaitė Grušaitė, Gabija untersucht, wobei die strukturelle Gestaltung und die zentralen Funktionen des innertextuellen SprachwechselsSprachwechsel ausführlich diskutiert werden.
Keywords: Migration, Mobilitätsliteratur, Sprachwechsel, Litauen, Gabija Grušaitė
1 Einleitung
Im Jahr 2017 fand die Vilniusser Buchmesse unter dem Motto „Litauische Zeichen in der Welt“ statt, womit die Veranstalter den Versuch unternommen haben, das Lesepublikum mit den weltweit zerstreuten Spuren litauischerLitauenlitauisch Literatur vertraut zu machen. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei jenen Autoren litauischerLitauenlitauisch Abstammung, die unmittelbar nach dem Zweiten WeltkriegWeltkriegZweiter Weltkrieg in den DP-Lagern, den USA oder Kanada geboren und dort sozialisiert wurden, sich häufig litauischerLitauenlitauisch Themen und Motive bedienen, aber ihre Texte auf EnglischEnglisch/English und in erster Linie für ein englischsprachigesEnglisch/English Lesepublikum schreiben, wie z.B. Birutė PutriusPutrius, Birutė, Antanas ŠileikaŠileika, Antanas, Irena Mačiulytė-GuilfordMačiulytė-Guilford, Irena, um nur einige prominente Namen zu nennen. Die Autorengeneration, die LitauenLitauen um bzw. nach 1990 verlassen hat, z.B. die seit 1989 auf Zypern ansässige Autorin Dalia Staponkutė Staponkutė, Dalia oder der in FrankreichFrankreich lebende Nationalpreisträger Valdas PapievisPapievis, Valdas, schreiben hingegen ausschließlich in litauischerLitauenlitauisch Sprache, auch wenn sie in ihren Texten Themen wie MigrationMigrant/inMigration, IdentitätIdentität/identity oder TranskulturalitätTranskulturalität behandeln. Staponkutė, die den Themenkomplex SprachreflexionSprachreflexion, SprachkritikSprachkritik, ZweisprachigkeitZweisprachigkeit und MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit besonders konsequent diskutiert (vgl. Das Schweigen der Mütter, 2007), behauptet, „die Sprache sei ein Verhandlungsraum“, sie selbst sei „ein gespaltener Mensch und Autorin“ und „das Sprechen über die Sprache sei die einzige Möglichkeit, diese Spaltung zu überwinden“, aber sie sei skeptisch, ob das Schreiben in einer FremdspracheFremdsprache für sie als Autorin in Frage käme (Interview am 23.2.2017).
Gerade in Hinblick darauf, dass sich in der neuen litauischenLitauenlitauisch Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität1 keine SprachgrenzüberschreitungenSprachgrenzüberschreitung verzeichnen lassen, die anderen Sprachen die Identität der Autoren und Autorinnen nicht entscheidend durchdringen und „die Möglichkeit, in einer anderen Sprache als der ErstspracheErstsprache zu schreiben, nur theoretisch existiert“, stellt die Literaturwissenschaftlerin Dalia Satkauskytė die berechtigte Frage, ob sich für die Analyse dieser Literatur theoretische Ansätze hybriderHybriditäthybrid kultureller IdentitätenIdentität/identity, so wie sie von Homi K. Bhabha oder Gayatri Spivak formuliert wurden, überhaupt eignen, obwohl sie in der litauischenLitauenlitauisch Forschung am häufigsten Anwendung finden (Satkauskytė 2011: 122). Eine ähnliche Position vertritt Eglė Kačkutė, die ebenfalls das Fehlen der Belege für sprachliche HybriditätHybridität in der litauischenLitauenlitauisch Literatur konstatiert und dazu rät, in dem Fall nicht von sprachlich und kulturell hybridenHybriditäthybrid IdentitätenIdentität/identity, sondern nur von einzelnen „Erscheinungsformen der Hybridität“ zu sprechen (Kačkutė 2013).
Nach dem EU-Beitritt (2004) hat sich LitauenLitauen zu einer der mobilstenMobilitätmobil NationenNation in der EU entwickelt (vgl. Eurostat-Bericht 06/2020), was auch einen enormen Aufschwung der neuen Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität zur Folge hatte. Diese Literatur ist in den letzten Jahren zu einem populären Forschungsgegenstand litauischerLitauenlitauisch LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft geworden (Beiträge von Dalia Satkauskytė, Žydronė Kolevinskienė, Dalia Kuizinienė, Laura Laurušaitė, etc.), aber aus den oben erwähnten Gründen wird sie kaum unter dem Aspekt der ZweisprachigkeitZweisprachigkeit bzw. MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit, sei es auf der Autoren- oder Textebene, diskutiert. Zu erwähnen ist an dieser Stelle der Aufsatz von Laura Laurušaitė Transformationskraft der Sprache in der litauischenLitauenlitauisch und lettischenLettland/Latvialettisch (E)Migrationsprosa (2019), der sich in Anlehnung an postkolonialeKolonialismuspostkolonial Theorieansätze mit den Einstellungen der MigrantenMigrant/in zur ErstspracheErstsprache und FremdspracheFremdsprache sowie sprachlich motivierten Diskriminierungs- bzw. Dominanzverhältnissen in der jüngsten litauischenLitauenlitauisch und lettischenLettland/Latvialettisch MigrationsliteraturMigrant/inMigrationsliteratur beschäftigt. Laurušaitė diskutiert ausführlich nicht nur die fehlende FremdsprachenkompetenzSprachkompetenzFremdsprachenkompetenz und dadurch bedingte Handlungsunfähigkeit der baltischenBaltikumBaltisch (Arbeits-)MigrantenMigrant/in, sondern auch die zusammen mit der Erlangung neuer SprachkenntnisseSprachkenntnisse einhergehende Transformation ihrer kulturellen IdentitätIdentität/identity sowie ihre (angebliche) Entfremdung von der Erstsprache, die für die Hauptursache kultureller Ortslosigkeit, ja sogar des „kulturellen Todes“, erklärt wird. Es ist der Forscherin zuzustimmen, dass in den Migrationskontexten der Sprache eine viel größere Bedeutung denn als bloßes KommunikationsmittelKommunikation zukommt. Etwas verkürzt werden jedoch in dem Aufsatz die komplexen SprachkontakteSprachkontakt auf Konfliktsituationen reduziert und die baltischenBaltikumBaltisch (Arbeits-)MigrantenMigrant/in in die Rolle der Sprachlosen hineinversetzt, die sich nur innerhalb ihres SprachkollektivesSprachkollektiv bewegen oder sich in die Aufnahmegesellschaft auf Kosten ihrer Erstsprache und ihres kulturellen Selbstbewusstseins integrieren.
Während sich Laurušaitė auf die KommunikationsproblemeKommunikation konzentriert und die zentrale Funktion literarischer MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in der Erzeugung von Irritation sieht, bleiben andere MobilitätsmodelleMobilität und literarische Entwürfe sprachlicher und kultureller IdentitätIdentität/identity außer Acht. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang der Erfolgsroman Stasys Šaltoka von Gabija Grušaitė Grušaitė, Gabija (2017), der ein neuartiges flexibles Selbstverständnis eines jungen LitauersLitauenLitauer/-in mit MigrationshintergrundMigrant/inMigrationshintergrund präsentiert. In den von Laurušaitė untersuchten Texten gehen die Protagonisten ins Ausland, um Geld zu verdienen; sie übernehmen niedrigqualifizierte Arbeiten, kommunizieren vornehmlich unter sich und bleiben dem Rest der Gesellschaft fremdFremdheitfremd. Der Protagonist in Stasys Šaltoka, ein New Yorker Hipster und aktiver Nutzer von Social Media, hat dagegen keine finanziellen Probleme, keine Schwierigkeiten mit der (englischenEnglisch/English) Sprache und ist sowohl im realen Leben als auch virtuell bestens sozial vernetzt. Er präsentiert den Typus eines Globetrotters bzw. neuen Weltbürgers, der verschiedene Sprachen spricht, darüber aber kaum reflektiert, denn ZweisprachigkeitZweisprachigkeit bzw. Mehrsprachigkeit scheint für ihn eine Selbstverständlichkeit zu sein. So werden in den litauischenLitauenlitauisch Text, gegen jegliche Normen des SprachpurismusSprachpurismus verstoßend, englischsprachigeEnglisch/English Elemente integriert, ohne diese speziell zu markieren oder zu kommentieren.
Eben diesem neuen Typus sprachlicher HybriditätHybridität sowie dem textästhetischen Verfahren des SprachwechselsSprachwechsel in der neuesten litauischenLitauenlitauisch Migrations- und MobilitätsliteraturMobilität soll in dem vorliegenden Beitrag die größte Aufmerksamkeit gelten. Die Fragestellung ist unter anderem durch die Bemerkung Till Dembecks motiviert, dass „eine Darstellung von SprachwechselSprachwechsel und -mischung in postkolonialenKolonialismuspostkolonial und postmigratorischen Texten […] über die Grenzen der (west-)europäischenEuropaeuropäisch und amerikanischenAmerika/USAamerikanisch Literatur hinausgehen“ müsste (Dembeck 2020: 144). Wie von Dembeck bemerkt, wird die Interpretation des SprachwechselsSprachwechsel „sowohl die allgemeine soziokulturelle Wertigkeit der verwendeten Sprachen als auch die vom Text selbst erzeugte Sprach- und Kommunikationssituation“ (ebd.: 146) genau in den Blick nehmen und die Funktionen eines derartigen Verfahrens am Beispiel eines Romans diskutieren.