Kitabı oku: «Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4», sayfa 6

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„Uns geht es doch wieder gut. Wir sind wieder wer!“ – der Zeitgeist des Wirtschaftswunders

Die Industriestadt Oberhausen erreicht einhundert Jahre nach ihrer Gründung, um das Jahr 1962, das Allzeit-Hoch von Bevölkerung und Beschäftigung in der Stadtgeschichte. Von 260.570 Einwohnern (1963) gehen 108.600 (1962) einer Erwerbstätigkeit nach. Die Zeiten sind schnelllebig und unvorstellbar dynamisch: Beim Kriegsende im April 1945 lebten in Oberhausen gerade einmal 102.000 Menschen, gemessen an 195.500 im Jahr 1939. Durch Kriegseinsatz, Gefangenschaft und Kinderlandverschickung ist die Stadt beinahe zur Hälfte entvölkert. Doch schon zum Jahresbeginn 1946 sind es bereits wieder 160.000 und am Jahresende 1946, die großen Wanderungsbewegungen sind weitgehend abgeschlossen, zählt Oberhausen bereits wieder 180.000 Einwohner.

Über einen kurzen Zeitraum von nur 15 Jahren gewann Oberhausen dann erneut stetig 80.000 Menschen dazu. Kriegsrückkehrer aus Gefangenschaft, Evakuierung und Kinderlandverschickung sind es ebenso wie Flüchtlinge und Vertriebene aus den bisher deutsch besiedelten Gebieten östlich von Oder und Neiße sowie aus der Tschechoslowakei, die einen Anstieg der Stadtbevölkerung in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre auf erneut 200.000 Einwohner (1950) auslösen. Flüchtlinge – als Auswanderer aus der DDR über Berlin – sowie stetig ansteigende Geburtenzahlen sind es daraufhin während der 1950er Jahre, durch die sich das Wachstum der Stadtbevölkerung auf so hohem absoluten Niveau wie niemals zuvor in der Stadtgeschichte fortsetzte. 1957 wird die Marke von 250.000 Bewohnern erreicht und 1962 sind es schließlich 260.000. Im Jahr 1964 setzt dann der ganz allmähliche Bevölkerungsrückgang ein.


Tabelle 1: Bevölkerung 1946 bis 2010

** Fortschreibung auf Grund der VZ vom 27. 5. 1970.

Quelle: Stadt Oberhausen, bereich 4 - 5 Statistik und Wahlen

Ermöglicht wurde diese von den Zeitgenossen als rasant empfundene Phase der Stadtentwicklung von einer beeindruckend großen Neubautätigkeit im Wohnungsbau, in deren Folge die verheerenden Kriegszerstörungen durch Luftangriffe weitaus schneller aus dem Stadtbild verschwanden, als es sich die Trümmerfrauen von 1945 jemals vorzustellen vermochten. Schon 1954 überschritt die Anzahl der Wohnungen das Vorkriegsniveau. Im Jahr 1958 hatte der Wohnungsbestand in Oberhausen dann die Vorkriegszahlen von 1939 (53.500 Wohnungen in 18.500 Wohngebäuden) um 30 Prozent überschritten und 70.500 Wohnungen in 22.800 Wohngebäuden erreicht. Die rege Bautätigkeit setzte sich fort, so dass 1962 bereits 80.500 Wohnungen in 25.500 Wohngebäuden zur Verfügung standen. Damit konnte die große Wohnungsnot der ersten Nachkriegsjahre mit vielfachen Doppelbelegungen von Wohnungen mit zwei Haushalten vollständig behoben werden, so dass in den 1960er Jahren die Zunahme der Wohnstandards über die Ausgangslage von 1939 (3,9 Personen pro Wohnung; 1,1 Personen pro Raum) einsetzte. 1948 hatten diese Werte noch 4,8 Personen pro Wohnung bei 1,4 Personen pro Raum betragen, um bis 1959 auf 3,5 Personen pro Wohnung und 1,0 Person pro Raum zu sinken.

Die Wohnungserstellung wie die Bevölkerungszunahme wiederum basierten entscheidend auf einer stark prosperierenden Wirtschaft. Diese erzielte nicht allein in den allerersten Nachkriegsjahren enorme Steigerungsraten, als schließlich die Beseitigung von Kriegsfolgen eine außergewöhnliche Nachfrage auslöste. Begünstigt von ordnungspolitischen Rahmensetzungen – so die Währungsreform zur D-Mark 1948 als Meilenstein in der kollektiven Erinnerung der Nachkriegzeit – und genau so wichtig, von einer lang anhaltenden Hochkonjunktur der Weltwirtschaft seit dem Koreaboom ab 1951 getragen, wuchsen die Ruhrwirtschaft – und Oberhausen mitten darin – kräftig und beinahe stetig. 1951 fiel ein großer Teil der US-Industrie zur Versorgung des größten Binnenmarktes der Welt aus, als eine exorbitante Rüstungsproduktion für den heißen Krieg in Korea und den kalten Krieg weltweit einsetzte. S. stieg die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutschland Mitte der 1950er Jahre um bis zu neun Prozent jährlich, aber auch um 1960 betrug das Wachstum noch rund sechs Prozent im Jahresdurchschnitt. In Oberhausen kletterte die Zahl der Beschäftigten allein im Jahr nach dem Koreakrieg, 1954, um 4.000 von 85.000 auf 89.000.1

Es stimmt angesichts einer solch stürmischen Nachkriegsentwicklung nicht mehr verwunderlich, wenn die Zeitgenossen im Oberhausen des Jahres 1960 sich nach den harten Lebensumständen bis etwa 1948 endlich einmal als die von den Zeitläufen Begünstigten wähnten – und dieses Glücksgefühl als Generation des deutschen Wirtschaftswunders, als Wiederaufbaugeneration im wirtschaftlichen Kraftzentrum Deutschlands, nämlich im Ruhrgebiet, in vollen Zügen – im Alltag, in der Freizeit, im Urlaub – genossen. Welch einen Kontrast bildeten diese 1950er Jahre im Vergleich zu der außerordentlich schwierigen und für heutige Verhältnisse kaum vorstellbar ungeordneten ersten Zeit nach Kriegsende. Darüber schreibt der renommierte Kölner Wirtschaftshistoriker Toni Pierenkemper sehr eindrucksvoll:

„Die ersten Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen in den alliierten Besatzungszonen unter dem Signum von Not, Hunger und Chaos. Eine geordnete Wirtschaftstätigkeit war unter diesen Bedingungen kaum möglich und auch an einen Wiederaufbau von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft noch längst nicht zu denken. Die Menschen in Deutschland waren mit der notdürftigen Sicherung ihrer unmittelbaren Lebensbedürfnisse vollauf beschäftigt. Die deutsche Gesellschaft war durch die Zerstörungen des Krieges und die sozialen Verwerfungen auf ein Entwicklungsniveau zurückgeworfen, das demjenigen von 100 Jahren zuvor nicht unähnlich schien. Geregelte Erwerbsarbeit war unter diesen Umständen kaum sinnvoll und wenig lohnend, doch pro forma zum Bezug von Lebensmittelkarten notwendig. Die offizielle Arbeitslosenrate lag daher 1947 mit rund 5 % nicht überraschend auf einem bemerkenswert geringen Niveau, da sich reguläre Arbeit kaum lohnte und die zur Verfügung stehende Zeit effektiver für Selbstversorgungsaktivitäten und Schwarzmarktgeschäfte genutzt werden konnte. Schwarzmärkte und Hamsterreisen spielten neben Hilfslieferungen der ehemaligen Kriegsgegner in der Überlebensgesellschaft der 1940er Jahre eine bedeutsame Rolle für die Lebensgestaltung der Bevölkerung, die Bedeutung einer geregelten Erwerbstätigkeit trat demgegenüber zurück. Die Fabriken, sofern sie nicht zerstört waren, standen zunächst weitgehend still. ‚Es fuhr keine Eisenbahn, keine Tram, kein Postkasten wurde geleert, alle Telefone waren tot‘, so die Schilderung von Zeitzeugen. Rohstoffmangel und Zerstörungen standen der Aufnahme einer geregelten Produktion noch entgegen. Beschlagnahmungen Demontagen verschärften die Situation zusätzlich. Die Löhne waren so gering, dass es sich kaum lohnte zu arbeiten, zumal entwertetes Geld in großem Umfang zur Verfügung stand. Die offiziellen Preise waren auf niedrigem Niveau festgehalten, Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs unterlagen weiterhin wie in der NS-Zeit einer strikten Bewirtschaftung und waren nur gegen Marken zu erhalten, so dass ihr Kauf angesichts des ungeheuren inflationären Geldüberhangs finanziell keine Schwierigkeiten bildete. Anders war es auf den schwarzen Märkten, wo die Preise ein Vielfaches der administrierten Preise betrugen. Eine grundlegende Veränderung wurde erst nach der Neuordnung der Währungsverhältnisse möglich.“2

Der Zeitgeist des Wirtschaftswunders wird zudem nicht verständlich ohne zu berücksichtigen, dass die Menschen in Deutschland Erfolge in der Wirtschaft als Mittelpunkt ihrer kollektiven Identität begriffen, nachdem sich als Folge des Nationalsozialismus Themen der nationalen Politik und des Nationalbewusstseins dazu kaum eigneten. Und die Oberhausener waren voller Zuversicht und Selbstbewusstsein beim Wirtschaftswunder mitten dabei! Die „Wiege der Ruhrindustrie“ stellte weit mehr als eines der sprichwörtlichen „kleinen Rädchen“ im mächtigen Gefüge von Europas größter Industrieregion dar: 4,5 Prozent der deutschen Steinkohlenförderung, 6,5 Prozent der deutschen Kokserzeugung und sogar rund 9 Prozent der deutschen Roheisen- und Stahlerzeugung wurden in Oberhausen gefördert bzw. produziert. S. können wir nachvollziehen, warum und wie sehr die Menschen selbstbewusst und zuversichtlich die Gegenwart erlebten und in die Zukunft sahen. Kaum ein historisches Dokument bringt diesen Zeitgeist, diesen Optimismus und dieses Selbstbewusstsein der Menschen in Oberhausen eindrucksvoller, plastischer zum Ausdruck als Oberhausens legendärer Stadtwerbefilm „Schichten unter der Dunstglocke“ von 1958/​59. Rauchende Schlote und sich schwungvoll drehende Seilscheiben der Fördertürme, verschwitzt glänzende, nackte Arbeiter-Oberkörper und schier endlos wimmelnde Menschenmassen vor Werkstoren beim Schichtwechsel, auf Schulhöfen oder auch auf der Marktstraße beim Einkaufsbummel am Samstag bringen die stolze, ein wenig urbane Zufriedenheit zum Ausdruck, die den Oberhausener und die Oberhausenerin von 1959 mehrheitlich bestimmte. Nun können wir besser verstehen, dass die Stimmungslage der Stadt eine positive, meist persönlich zufriedene, hoffnungsfrohe war. Aber dennoch: Warum vermochten die Zeitgenossen von 1960 als Generation, weit mehrheitlich, als städtisch kommunizierende Öffentlichkeit offenbar noch nicht zu erkennen, dass sich da vor ihren Augen, in ihren Tagen ein umfassender Wandel von bisher ungekannter und unvorstellbarer Dimension Bahn zu brechen begann? Dieser Frage werden wir nur mit Hilfe eines Blicks in die Geschichte des Wandels auch schon vor 1960 auf den Grund gehen können.3

Der Wandel in Oberhausen hat eine lange Geschichte

1890 wechselte der Ruhrbergbau großflächig über die Emscherniederung nach Norden und löste damit auch im Oberhausener Raum eine neue Dimension von Bergbau- und Siedlungstätigkeit im Sterkrader und Osterfelder Norden aus.

1902 ging der große mittelständische Eisenhersteller „AG für Styrumer Eisenindustrie“ mit kurz zuvor noch 700 Beschäftigten in der Mitte der Oberhausener Innenstadt in Liquidation. Die Aufgabe des Werkes machte den Weg frei für die großstädtische Bebauung des Quartiers vom Bert-Brecht-Haus bis zum Amtsgericht, von der Elsässer Straße bis zum Elsa-Brandström-Gymnasium. Das Ende der Styrumer Eisenindustrie ist Spiegelbild eines rasanten Konzentrations- und Kartellierungsprozesses in der deutschen Schwerindustrie. Von 1890 bis etwa 1925 wuchsen einige Unternehmen zu Weltkonzernen. Krupp, Thyssen, Stinnes und auch die Gutehoffnungshütte (GHH) sind die bedeutendsten Innovationsträger der Montanindustrie an der Ruhr. Die Oberhausener GHH erweist sich mehrmals als Trendsetter. Zuerst bildete sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als erstes Unternehmen der Ruhrwirtschaft den vertikalen Montankonzern von der Kohle über Eisen- und Stahl bis zur Metallverarbeitung erfolgreich aus. Seit 1900 errichtete die Sterkrader Brückenbauanstalt Bauwerke in der ganzen Welt. 1921 dann bildete die GHH, begünstigt von den vollen Kassen der Inflationszeit bei gleichzeitigem Drang in die Sachwerte, aus der starken Position der Konzernmutter den Metallkonzern mit der MAN, der bis heute trägt. Oberhausen steht damit wiederholt an der Spitze der internationalen Wirtschaftsentwicklung.

1924 endete mit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg eine stabile industrielle Hochkonjunktur und die Schwerindustrie im Ruhrgebiet wurde erstmals mit einer Konkurrenzsituation konfrontiert, in der weltweite Überkapazitäten einen Preisverfall bewirkten.

1927 entstand mit der Ruhrchemie im Holtener Bruch in Oberhausen ein neues Großunternehmen, und nun sogar auch noch in einer ganz neuen Branche, der Chemie, die für die Menschen im Oberhausener Norden bislang keinerlei Bedeutung besessen hatte.

Zwischen 1930 und 1932 wurden in der Oberhausener Stadtgeschichte im Zuge der Weltwirtschaftskrise erstmals Bergbaubetriebe geschlossen. Dass ab dem 1. April 1931 auf den Zechen Oberhausen im Osten der GHH-Eisenhütte an der Essener Straße, oder Hugo im Norden, dem Holtener Waldteich, nie mehr Kohle gefördert wurde, obgleich in 600 und 1.000 Meter Tiefe noch wertvolle Vorräte lagerten, wollte den Menschen in der zu 75 Prozent von Arbeitern bewohnten Industriestadt verständlicherweise nicht in den Kopf. 1930 legte die GHH die Kokerei Vondern, 1931 die Kokereien Sterkrade und Jacobi still. Ferner folgte die Stilllegung der Förderschächte Vondern 1932, Sterkrade und Jacobi 1933. Das bedeutete eine krasse, bislang ungekannte und unvorstellbare Krisenerfahrung von der Gefährdung schwerindustrieller Betriebe und Arbeitsplätze in Oberhausen.

Seit 1946 fand der eben skizzierte Wiederaufbau von einmaliger Geschwindigkeit und Dimension statt, mit dem die Produktions- wie die Beschäftigungsziffern in Oberhausens Leitbranchen Kohle, Eisen und Stahl alle Rekorde der Vorkriegszeiten vor beiden Weltkriegen deutlich in den Schatten stellten.

Die 1950er Jahre schließlich erleben neben dem Boom der Schwerindustrien den Aufschwung vieler weiterer Wirtschaftszweige, die den Zeitgenossen als zukunftsweisend gelten. Traditionsreiche Konsumgüterindustrien erreichen den Höchststand von Produktion und Beschäftigung. Dafür stehen im Bewusstsein der Zeitgenossen des Wirtschaftswunders in Oberhausen vor allem zwei Unternehmen, die zu den größten Fabriken ihrer Art in Deutschland zählten: Die Rheinischen Polstermöbelwerke Carl Hemmers beschäftigten 1961 insgesamt 1.800 Mitarbeiter, die Oberhausener Glasfabrik 600 Menschen.

Was diese schlaglichtartige Betrachtung der Oberhausener Wirtschaftsgeschichte vor allem zeigt, ist die stetige Verlässlichkeit von Wachstum und Veränderung in der 1962 schließlich einhundertjährigen Geschichte der Industriestadt Oberhausen. Zu jener Zeit blickten die Menschen in Oberhausen bereits auf einen anscheinend immerwährenden Wandel zurück. Seit rund einem dreiviertel Jahrhundert bestimmten Dynamik und Veränderung, im Sinne von Wachstum und ständiger Schaffung neuer Strukturen, die Oberhausener Industrie mit Kohle und Stahl sowie ihrer Weiterverarbeitung im Mittelpunkt. Doch beruhte der Optimismus der Zeitgenossen um 1960, dass sich Wandel auch zukünftig mit einem Wachstum von Stadt, Wirtschaft und Wohlstand verbinden würde, nicht minder auf der Erfahrung eines stetigen Bedeutungszuwachses der Dienstleistungen. Von der Tertiärisierung – den Dienstleistungen als drittem volkswirtschaftlichen Sektor – sprachen die Menschen bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert, und dieser Schwung nahm um 1960 spürbar zu:


Abb. 1: Die Marktstraße um 1900 mit Straßenbahn

Um 1890 erfuhr die Oberhausener Innenstadt mit ihren privaten und öffentlichen Dienstleistungen als der vollständig ausgebildete Mittelpunkt einer neuen Stadt einen ersten Abschluss. Damals betrug der Anteil der Dienstleistungen an der Beschäftigung in der Stadt etwa acht Prozent. Die statistischen Grundlagen der damaligen Zeit lassen keine seriösen Angaben hinter dem Komma zu, weil insbesondere Selbstständige und mithelfende Familienangehörige noch nicht nach den Maßstäben des 20. Jahrhunderts erfasst wurden. Danach expandierten die Dienstleistungen spürbar – und sichtbar: Neue Behörden wie Amtsgericht, Polizei und staatliches Gymnasium, die Ausweitung städtischer Aufgaben, neue Geschäfte in der Innenstadt bis hin zu Woolworth und dem Ruhrwachthaus mit dem Kaufhaus Leonhard Tietz prägten das erste Drittel des 20. Jahrhunderts in der Oberhausener Innenstadt. S. betrug der Anteil der Dienstleistungen an Oberhausens Wirtschaft vor der Weltwirtschaftskrise 1929 schon rund 15 Prozent. Zwanzig Jahre später, in der Gründungsstunde der Bundesrepublik 1949, hatte sich der Anteil auf etwa 20 Prozent ausgeweitet. Die 1950er Jahre dann erlebten – trotz des starken Zuwachses an Produktion und Beschäftigung in der Industrie – einen signifikanten Bedeutungsanstieg der Dienstleistungen. Mehr Wohlstand für die breite Bevölkerung ließ Handel, Gastronomie und private Dienstleistungen aufblühen. Neuartige öffentliche Aufgaben in Bildung, Kultur und Sozialem schufen ebenso Arbeitsplätze wie das Wachstum von Firmenverwaltungen im Zuge von wachsenden weltweiten Handelsverflechtungen. S. zeigt sich Oberhausen 1961 recht eindrucksvoll auf dem Weg zur Dienstleistungsstadt. Etwa 33 Prozent der gut 108.000 Erwerbstätigen waren in den Dienstleistungen beschäftigt, davon zwölf Prozent im Handel, ein Prozent in der Kredit- und Versicherungswirtschaft, fünf Prozent in öffentlichen Einrichtungen, fünf Prozent in der Verkehrswirtschaft und Nachrichtenübermittlung, die restlichen zehn Prozent in sonstigen Dienstleistungen.


Abb. 2: Die Marktstraße um 1970 als Fußgängerzone

Sehr aufschlussreich ist der starke Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit während der 1950er Jahre. Während der Anteil der Frauen in der Produktion bis auf die Konsumgüterindustrie etwa konstant bleibt, wird die Expansion der Dienstleistungen maßgeblich von den Frauen getragen. Im öffentlichen Dienst zeichnet sich sogar bereits eine absolute Abnahme der Männer bei stetig und mäßig ansteigender Gesamtbeschäftigung ab. Während die Anzahl der Erwerbstätigen in Oberhausen von 1950 bis 1955 insgesamt um 34 Prozent zunimmt, klettert die Beschäftigung der Frauen um 63 Prozent!4

Der Aufschwung der Dienstleistungen wurde für die Menschen im Stadtbild sichtbar. Ebenso wie in der Zwischenkriegszeit formt der Städtebau das Dienstleistungszentrum Innenstadt weiter um. Mehr als das, es sind vielfach gerade jene Projekte, deren Ideen bis in die 1920er Jahre zurückreichten, deren Verwirklichung damals jedoch an den knappen Finanzen gescheitert war. Jetzt, unter den erweiterten Handlungsspielräumen des Wirtschaftswunders, gelingt in kürzester Zeit zwischen 1955 und 1962 die Komplettierung der City mit dem Gesundheitsamt (Tannenbergstraße), dem Europahaus, der Luise-Albertz-Halle, dem Finanzamt, dem Hochhaus der Hans-Böckler Berufsschule sowie der Rathauserweiterung.


Abb. 3: Das Stadtzentrum südlich des Hauptbahnhofs mit dem Friedensplatz, um 2000

Betrachten wir den oftmals stürmischen und wechselhaften, jedoch in seinen Charakteristika stetigen, verlässlichen Wandel der Oberhausener Wirtschaft, und damit der gesamten Stadt, so wird nun erst nachvollziehbar, warum die Menschen des Jahres 1960 die seit 1958 in Form von Feierschichten auftretenden ersten, noch recht moderaten Anzeichen der Bergbaukrise nicht als Auftakt zu dramatischen Ereignissen bewerteten. Zwar wurde der Energieträger Öl als preiswerte Konkurrenz zur Steinkohle bewusst. Aber das hatte es schon seit den 1920er Jahren gegeben, dass Kohle vom Weltmarkt, aus Chile, Südafrika oder den USA, preiswerter war als die Ruhrkohle und den Zechen zu schaffen machte. Sogar Zechenschließungen zählten seit der Weltwirtschaftskrise 1931 zum schmerzhaften Erfahrungsschatz der Menschen. Folglich bedurfte es einiger Zeit, tiefgreifender Erkenntnisse und der allmählichen Betrachtung vielfältiger Zusammenhänge in Industrie, Dienstleistungen, Gesellschaft und Bevölkerung, damit die Oberhausenerinnen und Oberhausener fortan im Verlauf der 1960er Jahre allmählich erkannten und verinnerlichten: Auf die Jahrzehnte von Wandel und Wachstum würden von nun an Jahre des Wandels und der Stagnation, später auch der allmählichen Schrumpfung der Stadt folgen. Seit der ersten spürbaren Konjunkturkrise in der Geschichte der noch jungen Bundesrepublik im Jahr 1967 wurde dann klar: Es hatte ein Wandel begonnen, in dessen Folge Oberhausen nicht mehr auf immer mehr Menschen, Wohnungen und Arbeitsplätze abzielte. Es hatte ein Wandel eingesetzt, der allmählich die bislang überragende Bedeutung von Kohle, Eisen und Stahl in der Industriestadt Oberhausen fundamental in Frage stellen würde!

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22 aralık 2023
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1310 s. 235 illüstrasyon
ISBN:
9783874683203
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