Kitabı oku: «Sprachgewalt», sayfa 6
Heimat
Marcus Funck
I
Heimat ist ein geradezu allgegenwärtiger Begriff mit vielen Bedeutungen vom variantenreichen Bestandteil in germanischen Orts- und Flurnamen über die Heimatkunde als Schulfach bis hin zu den florierenden Heimat-Krimis oder zur Verkitschung des Regional-Heimatlichen in der Werbeindustrie. Gleichzeitig verweigert sich Heimat, die nur schwer auf einen Begriff zu bringen ist, einer eindeutigen und fixen Definition. Zwar zeugt die Rede von Heimat als einem typisch deutschen, wenn nicht sogar als einem auf das Deutsche beschränkten Begriff, gleichermaßen von Unwissenheit wie von nationsfixierter Borniertheit. Doch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Heimat als Begriff und Konzept einen besonderen Platz in der historisch-politischen Sprache Deutschlands einnimmt.1 Denn Heimat war eben niemals nur eine Orts- oder Herkunftsbezeichnung, sondern wird mit zusätzlichen Bedeutungsinhalten gefüllt. Während wir aufgrund der historischen Wirkmächtigkeit geradezu automatisch eine völkisch-national aufgeladene Heimat-Definition assoziieren, existieren durchaus alternative Heimat-Vorstellungen: In der Arbeiterbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhundert kursierte ein von räumlicher Begrenzung befreiter und auf Solidarität beruhender Heimatbegriff,2 Ernst Bloch präferierte eine humanistische Idee von Heimat als eine in die Kindheit scheinende Utopie,3 auch emanzipatorisch gesinnte Kritiker der Wachstums- und Konsumgesellschaft arbeiten seit den 1970er-Jahren an einem gleichermaßen ökologischen wie inklusiven Heimatbegriff.4 Der Soziologe Hartmut Rosa wiederum verknüpft Heimat mit seiner Resonanztheorie und sieht in der Suche nach Heimat ein Grundbedürfnis nach »Anverwandlung« in der Welt, das auch im Politischen seinen Widerhall finden sollte.5 Und in der politischen Sphäre dominieren mittlerweile (scheinbar unpolitische) Heimatbegriffe, die sich auf einen viel zitierten Gedanken Johann Gottfried Herders beziehen, dass Heimat der Ort sei, an dem man sich nicht erklären müsse. Schon allein diese Offenheit und Vieldeutigkeit macht Heimat durchaus anfällig für absichtsvollen Missbrauch, was die Darstellung der unterschiedlichen Facetten, damit auch alternativen Möglichkeiten des Heimatbegriffes als umso wichtiger erscheinen lässt.6 Insofern erscheint es geradezu fahrlässig, den Heimatbegriff von vornherein zu einem »bis ins Innerste vergifteten Begriff«, dem eine »strukturell völkische Dimension« eignet, zu verengen und dem entsprechend aus dem politischen Vokabular und Gedankenarsenal tilgen zu wollen.7
II
Im Alten Reich war Heimat ein vergleichsweise präziser Rechtsbegriff. Eine Heimat zu haben bedeutete, Haus und Hof in einer Gemeinde zu besitzen. Das Heimatrecht regelte, wer sich in einer Gemeinde niederlassen, dort leben und einer Arbeit nachgehen durfte. Daran geknüpft waren soziale Rechte und Pflichten, insbesondere in der Armenfürsorge. Zwei Leitthemen moderner Heimatkonzeptionen seit dem 19. Jahrhundert sind hier schon angelegt. Zum einen der Zwiespalt zwischen Heimat als inkludierender und exkludierender Kategorie: Denn das Heimatrecht konnte zwar durchaus durch Zuzug, Einheirat oder Hauskauf erworben werden. Doch wurde es größtenteils als regional begrenztes Geburtsrecht ausgelegt, das oftmals zur formalen Abwehr jener Gruppen angewendet wurde, die außerhalb der ständischen Ordnung und in tiefer Armut den Status der Heimatberechtigten bedrohten. Und zum anderen die Dialektik von Verlust und erzwungenem Aufbruch in die Fremde und dem Verharren in der Heimat. Denn aufgrund begrenzter Ressourcen konnten nicht alle Nachfahren einer Familie in der Heimat bleiben. Die nachgeborenen Nichterben wurden meist aus der Heimat entlassen und waren gezwungen, andernorts eine neue Heimat zu finden.
Nach 1800 beginnt die Bedeutung von Heimat sich tiefgreifend zu wandeln und allmählich zu entkonkretisieren. Die Grundlage hierfür bilden Erfahrungen von politischem und gesellschaftlichem, schließlich auch ökonomischem Wandel. Mit der napoleonischen Herrschaft über weite Teile Europas wurde das von unzähligen lokalen Traditionen geprägte Alte Reich unwiederbringlich in neue Formen zentraler Staatlichkeit überführt. Die neuen Zentralbehörden wie auch die von ihnen regierten Menschen mussten die forcierte Vereinheitlichung auf staatlicher Ebene mit den bestehenden lokalen kulturellen Eigenheiten in Einklang bringen. Insofern bedeutete der neue Heimatbezug nicht nur eine nostalgische Rückwendung, sondern eine Vermittlungs- und Integrationsinstanz auf dem Weg zur modernen Nation.8 Heimat und Nation waren jedoch keineswegs deckungsgleich, sondern blieben, letztlich bis heute, eng miteinander verknüpft, doch unterscheidbar. Ein zweiter, zeitlich später einsetzender Wandlungsprozess von eminenter Bedeutung für die Ausbildung des modernen Heimatbegriffs ist die zunehmende Industrialisierung und, daran geknüpft, die Ausbildung kapitalistischer Formen des Wirtschaftens. Auch das Mobilitätsverhalten der Menschen veränderte sich und damit gleichermaßen die Zusammensetzung wie auch der Erfahrungshorizont der Bevölkerung, sowohl in den städtischen wie in den ländlichen Räumen. Je mehr die Lebenswelten der Menschen, ob nun reale oder imaginierte angestammte, von Zerstörung bedroht schienen, desto größer wurde das Bedürfnis, diese noch einmal festzuhalten, gewissermaßen einzufrieren. Bürgerinnen und Bürger besangen und beschrieben, erforschten und rekonstruierten plötzlich ihre unterschiedlichen Heimaten und reagierten damit auf eine tiefgreifende Transformation. Der maßgebliche Ort, wo Heimat alltäglich ausgestaltet wurde, war der lokale Verein. Dort wurde ausgehandelt und festgelegt, zu welchen Bedingungen die Teilhabe an der sich wandelnden Gemeinschaft möglich ist.9 Festzuhalten bleibt, dass die Hinwendung zur Heimat als einem Ort vermeintlich ursprünglicher Sicherheit und Geborgenheit eine Reaktion war auf reale säkulare Wandlungsprozesse und auf die Verwerfungen, die sie begleiten. Es wäre falsch, die Suche nach Heimat ausschließlich als eine antimoderne reaktionäre Bewegung zu deuten. Denn erstens war ihr ein reflexives Moment eigen, ein Nachsinnen über die Unwiederbringlichkeit des Verlustes; und zweitens bewegten sich insbesondere romantische Vorstellung von Heimat in einem widersprüchlichen Spannungsverhältnis zu Fernweh und Aufbruch.10 An dieses Denken in komplexen Widersprüchen und Wechselbeziehungen knüpft das heutige Konzept der »Glocalization« an. Ihm lieg die Vorstellung zugrunde, dass Globalisierung nicht ausschließlich als eine von außen aufgezwungene Sinn- und Handlungsstruktur gedacht werden sollte, sondern dass auch die lokalen Vermittlungsinstanzen berücksichtigt werden müssen. Globalisierung muss also nicht notwendigerweise in eine einheitlich normierte Weltgesellschaft führen, sondern ist immer in einen lokalen Kontext eingebettet, der damit auch verändert wird.11
Der Heimatbegriff verliert am Ende 19. Jahrhundert zusehends seine Komplexität und Widersprüchlichkeit, indem er als völkisch-rassistisch aufgeladener politischer Kampfbegriff eingesetzt wird. Völkische Publikationen, wie die von Paul de Lagarde (Deutsche Schriften) oder Julius Langbehn (Rembrandt als Erzieher), völkische Vereine und Bewegungen, wie der Alldeutsche Verband oder die zahlreichen Krieger- und Militärverbände, formulierten und popularisierten einen rassistisch gegründeten, andere ausschließenden Heimatbegriff mit einer eindeutig antisemitischen Stoßrichtung.12 Heimatvereine transformierten sich zu Trägern einer politischen Bewegung. Der Heimatstil, ein reformistischer gesamteuropäischer Architekturstil, der sich vornehmlich auf ländlich-regionale Traditionen bezog, transformiert um 1900 zum völkisch-national aufgeladenen Antimodernismus. Heimatschutz wurde zu einer Quelle von politischer gegenrevolutionärer Gewalt.13 Die völkische Disposition bildet auch die ideologische Brücke zwischen der Heimatbewegung und dem nach 1918 aufkommenden Nationalsozialismus. Von nun an wurde Heimat zunehmend im Sinne einer Blut-und-Boden-Ideologie als Bollwerk gegen Demokratie, Urbanität, Fremde oder die Moderne schlechthin in Stellung gebracht.14 Der völkische Heimatbegriff ließ sich ebenso mühelos in die nationalsozialistische Ideologie integrieren wie die zahllosen Heimatverbände und Heimatvereine in die Reihen der Volksgenossen. Gleichwohl wurden Heimatdenken und Regionalismus wichtige Quellen für den Konservatismus der Demokratisierung nach 1945. Die Ursachen dafür lagen zum einen in der Allgegenwart von Heimatverlust durch Krieg und Vertreibung nach Kriegsende,15 zum anderen in der Abkehr von zentralistischen Staatsvorstellungen nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reichs«. Vor allem Vertriebenenverbände, konservative Politiker und Unterhaltungsindustrie bedienten sich eines weitgehend unreflektierten Heimatbegriffs, als wäre er frei von jeglicher Affinität zum Nationalsozialismus gewesen.16 Doch ist auch unübersehbar, dass die Bedeutung des Heimatbegriffs im öffentlichen Diskurs schon in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre stark abnahm. In den Parlamentsdebatten des Deutschen Bundestags tauchte der Begriff Heimat vor 1989/90 nur noch einmal prominent auf, und zwar ausgerechnet im Zusammenhang mit den Skandalen um den gewerkschaftseigenen Bau- und Immobilienkonzern »Neue Heimat«.17
Auch in der alten Bundesrepublik lebte das Denken in überlieferten Heimatbegriffen fort – in großzügig bemessenen gesellschaftlichen und politischen Nischen. Doch galt diese Art zu denken als rückschrittlich, als Ausdruck hinterwäldlerischer Provinzialität und war von vornherein als reaktionär-konservativ etikettiert. Wenn überhaupt eine nennenswerte politische Kraft mit dem Heimatbegriff operierte, dann tat dies auf sehr instrumentelle Weise die CSU, die sich damit erfolgreich als bayerische Staatspartei etablierte und obendrein knallhart regionale Interessen im föderalen Staat durchzusetzen wusste.18 Seit den 1970er-Jahren jedoch entstanden insbesondere auf dem Land neue Formen gemeinschaftlicher Zusammenschlüsse, die Heimat in ganz anderer Form thematisierten als zuvor. Als eine Antwort auf die Verheerungen der Umwelt infolge einer ungebändigten Industrialisierung und Technisierung entstand ein bundesweites Netzwerk lokaler Initiativen, die – sicherlich nicht ohne innere Widersprüche – auch an einem neuen Heimatbegriff arbeiteten.19 Zudem entstanden zumeist von Schülern und Studenten getragene Initiativen – sogenannte Geschichtswerkstätten –, welche nach dem Motto »Grabe, wo Du stehst« sich mit der lokalen beziehungsweise regionalen Geschichte befassten, insbesondere mit der im Nationalsozialismus, aber auch die Geschichte jener Themen und Gruppen kritisch in den Blick nahmen, die von Heimatkundlern bislang bewusst ausgespart worden sind.20 Nichts verdeutlicht besser diese neue Hinwendung zur Heimat – allerdings in kritischer Auseinandersetzung mit älteren Heimatkonzepten – als Edgar Reitz’ über drei Jahrzehnte (1981–2012) entstandene Filmreihe »Heimat«. Heimat dort ist sehr viel mehr als nur Schauplatz des Geschehens, das Epos ist nichts weniger als eine Chronik deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert. Sie ist ein Ort der emotionalen Bindung und der herkunftsbedingten Verstrickung (»Heimat«), kann aber auch ein Ort frei gewählter Assoziation sein (»Die zweite Heimat«) und mutiert schließlich zu einem mehrfach gebrochenen und hybriden Ort der Erinnerung (»Heimat 3«).
III
Spätestens seit der deutschen Wiedervereinigung lässt sich der Befund von der relativen Bedeutungslosigkeit des Heimatbegriffes in der politischen Sphäre nicht mehr halten. Vielmehr ist Heimat in vielen widersprüchlichen, gar gegensätzlichen Varianten wieder en vogue und in der breiten Diskussion. Gegenwärtige Heimatkonzeptionen reichen vom Gartenzwergformat der Schrebergärten über die Plattitüden der Werbeindustrie, die schon lange die Heimattümelei als Verkaufsfaktor entdeckt hat, ökologisch begründeten Regionalismus bis hin zu den rechtsradikalen Wiederaneignungen der niemals als zur Gänze verschwundenen nationalistisch-völkischen Ideologie. Es ist wichtig, sich diese Vielfalt von parallel existierenden – mal einschließenden, mal ausschießenden – Heimatbegriffen vor Augen zu führen, weil sich daran erst sinnvoll die Frage anschließen lässt, ob es einen neutralen oder gar »unschuldigen« Heimatbegriff überhaupt gibt und unter welchen Bedingungen »Heimat« zu einem relevanten Konzept in der Demokratie entwickelt werden kann.
Im deutschen Wiedervereinigungsdiskurs haben sich Befürworter wie Gegner immer wieder auf den Heimatbegriff mit seinen historischen Belastungen bezogen. Während die einen die Wiederkehr des völkisch-rassistischen Nationalismus (das »Vierte Reich«) prognostizierten, wertete die große Mehrheit der Deutschen die Vereinigung der beiden deutschen Staaten als eine legitime Rückkehr zu einem Zustand nationalstaatlicher Ursprünglichkeit. Und so lässt sich nicht von der Hand weisen, dass nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten auch der nationsbezogene Heimatdiskurs eine neue Dynamik erlangte. Die politischen Erschütterungen, die ökonomisch-sozialen Verwerfungen und die kulturellen Entwurzelungsprozesse der »Großen Transformation« haben insbesondere in Ostdeutschland soziale Bewegungen entstehen lassen, die in ihrer Suche nach Orientierung und nach Sicherheitsankern auf Angebote vermeintlicher Authentizität zurückgreifen, die scheinbar das ersehnte Gefühl von Übereinstimmung mit der eigenen Umwelt wiederherstellen können. Umgekehrt sind in dieser Phase gravierender, politisch und sozial oft unvermittelter und in sich widersprüchlicher Wandlungsprozesse welthistorischen Ausmaßes, die wir gerade erleben – nationalstaatliche Einheit neben politischer Europäisierung, ökonomische Globalisierung neben dynamischen Migrationsbewegungen – Freiräume für antidemokratische Hasardeure entstanden, indem lokale und regionale Traditionen, Logiken und Interessen aus politischen Entscheidungsprozessen weitgehend ausgeklammert wurden und keine Beachtung fanden.21
Die Rückkehr von Heimat als politischem Begriff lässt sich also ziemlich genau datieren. Das Aufkommen von Pegida und seiner Ableger befeuerte eine neuerliche Debatte über den Verlust und die Wiederaneignung von Heimat, die seit 2014 von der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland in die Parlamente getragen wurde.22 Diese Manifestationen und Proteste, die Bezug nehmen auf ein vermeintlich homogenes und unveränderliches »jüdisch-christliches« Abendland als »europäische Heimat«, hatten allerdings einen eindeutig rassistischen, insbesondere antimuslimischen Grundton.23 Die Verwendung des Heimatbegriffes bei rechtspopulistischen Bewegungen ist jedoch ambivalent. Einerseits greift die rassistisch motivierte Unterscheidung des »Eigenen« (Heimat) und des »Fremden« (Bedrohung der Heimat, die ferngehalten werden muss) zweifellos auf völkische historische Vorbilder zurück. Doch weisen diese Proteste, die mitunter das Ausmaß einer sozialen Bewegung angenommen haben, auch darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Zentrum und Peripherie grundsätzlich gestört ist. In diesem Sinne steht Heimat für den demokratischen Ort, an dem lokale Interessen formuliert und ausgehandelt werden sollen. Die Alternative für Deutschland hat diese Tendenzen am konsequentesten aufgegriffen und für ihre politischen Zwecke zu nutzen gewusst. Mit Wahlkampfslogans wie »Der Heimat eine Zukunft geben« (Niedersachsen 2017), »Unser Land, unsere Heimat« (Sachsen 2019) oder »Hol dir dein Land zurück – vollende die Wende« (Brandenburg 2019) wird zunächst die Gefährdung, teilweise schon der Verlust von Heimat suggeriert. Das bezieht sich aber – anders als zum Beispiel ökologische Heimatbewegungen – nur zum Teil auf landschaftliche Zersiedelung oder städtebaulicher Verschandelung. Für die Anhänger der AfD spielt – insbesondere seit 2015 – der angebliche Verlust einer ethnisch-kulturell homogen Heimat als Ort der Identitätsbildung eine weitaus größere Rolle. Heimat und die angrenzenden Wort- und Bedeutungsfelder sind zu politischen Hochwertwörtern erhoben worden, die die eigenen Anhänger erreichen und mobilisieren sollen.24 Dort, wo Heimat, die eigene kleine Welt, als gefährdet erachtet wird, lohnt es sich zu kämpfen. Die semantische Vielschichtigkeit und bewusste Vagheit des Begriffs Heimat ermöglicht seinen Einsatz auch in sehr widersprüchlicher Weise. Denn einerseits wird mit der Heimat gegen nationale (Berlin!) und internationale (Brüssel!) Bevormundung des eigenen regionalen Raums agitiert, andererseits wird Heimat auch als ein nationaler Raum verstanden, der gegen innere wie äußere Feinde verteidigt werden müsse. So erhob Bernd Höcke 2017 die AfD in Thüringen zur »Heimatpartei« und stellte ein umfassendes »Heimatkonzept« vor, das neben der regionalen Ausrichtung auch stark nationalistische Züge trug. Dass solche Haltungen anschlussfähig für offen rechtsextreme Positionen sind, liegt auf der Hand. So haben sich in den letzten Jahren zahllose rechtsradikale Kleinstgruppen formiert, die sich in irgendeiner Form Heimat auf die Fahnen geschrieben haben und – mal offen, mal verdeckt – mit lokalen Parteigliederungen der Alternative für Deutschland kooperieren.
Das demokratische politische Deutschland hat auf diese Tendenzen mit der Einrichtung von drei »Heimatministerien« reagiert: in Bayern (gekoppelt an das Finanzministerium) 2014, in Nordrhein-Westfalen (gekoppelt an die Bereiche Kommunales, Bau und Gleichstellung) und im Bund (gekoppelt an die Ressorts Inneres und Bau) jeweils 2017. In allen drei Fällen wurde die Schaffung des Teilressorts »Heimat« kontrovers diskutiert, bestenfalls der Lächerlichkeit preisgegeben. Die liberale Wochenzeitung Die Zeit sah darin ebenso wie die linke Tageszeitung taz prinzipiell eine »Chiffre der Ausgrenzung«.25 Die Zielrichtung der Heimatministerien ist politisch nicht ganz eindeutig: Die spärlichen Definitionsversuche der Ministerialleitung und die zugewiesenen Aufgabengebiete einerseits sowie die konkreten politischen Maßnahmen der Ministerien andererseits lassen auf eine Gratwanderung schließen zwischen identitärer Aufladung insbesondere des ländlichen Raums und klassischer Infrastrukturpolitik vor allem in den Bereichen Digitalisierung und Wohnungsbau. So ist mit dem »Heimatministerium« möglicherweise nur ein institutioneller Ort geschaffen worden, der zwar emotionsbeladene Sehnsüchte nach Ursprünglichkeit und Homogenität bedient, ansonsten aber offen ist für eine ganz neue, inkludierende Form des Heimatdenkens.26 »Heimat« ist wieder chic und daher attraktiv für politische Vereinnahmungsversuche jeglicher Couleur. Darin liegt durchaus eine Chance für die Weiterentwicklung und Popularisierung eines offenen, partizipativen und demokratischen Heimatbegriffs, über dessen konkrete Ausgestaltung dann politisch gestritten werden kann. Doch liegt darin ebenso die Gefahr der Re-Normalisierung eines historisch verbrannten Heimatbegriffes, der in einer modernen demokratischen Gesellschaft keinen Platz mehr beanspruchen sollte. Die Verwendung des Heimatbegriffes bleibt also eine zutiefst ambivalente Angelegenheit, die durch Unachtsamkeit oder Vorsatz jederzeit in eine offen antidemokratische Richtung umschlagen kann. Wenn zum Beispiel das Verteidigungsministerium den geplanten Freiwilligen Wehrdienst mit »Heimatschutz« in Verbindung bringt, dann handelt es sich dabei aufgrund der akuten Bedrohungen durch rechtsterroristische Gruppen, die sich einem offen rassistischen und gewalttätigen »Heimatschutz« verschrieben haben, um einen völlig inakzeptablen Vorgang, weil er als fahrlässige Ermunterung verbrecherischer Organisationen gesehen werden könnte.27
IV
In einer viel beachteten Rede zum Tag der Deutschen Einheit 2017 konstatierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine legitime Sehnsucht nach Heimat im Sinne von Sicherheit, Entschleunigung sowie Zusammenhalt in einer sich dynamisch verändernden Welt. Er forderte, gegen den völkisch aufgeladenen Heimatbegriff der Populisten und Rechtsextremen, gegen »den Blödsinn von Blut und Boden«, einen »positiven« Heimatbegriff zu stellen. Steinmeier ging also davon aus, dass ein inkludierendes Heimatkonzept, das frei ist von allen völkischen und kulturalistisch verbrämten Versatzstücken, möglich sei, hält aber an der Idee einer gefühlsmäßigen Bindung an die Heimat fest. Bei dem großen Volkskundler und im besten Sinne des Wortes »Heimatforscher« Hermann Bausinger heißt es in den 1980er-Jahren: »In diesem neuen Verständnis von Heimat werden viele der alten Konzepte in Frage gestellt: Heimat ist nicht mehr Gegenstand passiven Gefühls, sondern Medium und Ziel praktischer Auseinandersetzung; Heimat kann nicht ohne weiteres auf größere staatliche Gebilde bezogen werden, sondern betrifft die unmittelbare Umgebung; Heimat erscheint gelöst von nur-ländlichen Assoziationen und präsentiert sich als urbane Möglichkeit; Heimat ist nichts, das sich konsumieren läßt, sondern sie wird aktiv angeeignet. Heimat hat, wie in der ursprünglich-konkreten Bedeutung des Wortes, wieder sehr viel mit Alltag und alltäglichen Lebensmöglichkeiten zu tun.«28
Bausinger sieht also durchaus die Möglichkeit eines demokratischen Heimatbegriffs in einer offenen Gesellschaft, doch bezieht sich dieser nicht auf ein diffuses Abstammungs- und Zugehörigkeitsgefühl oder eine mythische Vergangenheit, sondern auf einen konkreten Ort, der aktiv ausgestaltet werden will. Das »Wir« konstituiert sich nicht mehr über eine gemeinsame Vergangenheit, sondern über die Gestaltung einer gemeinsamen, prinzipiell allen zugänglichen Zukunft. Und dennoch ist dieser Heimatbegriff einer, der weiß, dass die Gegenwart eine Vorgeschichte hat und den lokalen Akteuren die Möglichkeit gibt, das Verhältnis von Veränderbarkeit und Bewahrung selbst zu bestimmen, und er erlaubt ihnen schließlich auch, sich einen Ort emotional anzueignen.
Ist Heimat ein »missbrauchter Begriff« oder ein missratener, der aus dem Vokabular der politischen Sprache getilgt werden muss? Einen »natürlichen« Heimatbegriff hat es nie gegeben. Also handelt es sich weniger um einen missbrauchten Begriff, dessen ursprünglicher Kern wieder freigelegt werden müsste, als vielmehr um einen mehrfach überformten und bearbeiteten Begriff mit vielen Bedeutungsschichten. Es steht außer Frage, dass Begriff und Konzept »Heimat« eine problematische Geschichte haben: Nationalistische Verengung, völkische Aufladung, antidemokratische Stoßrichtung sind mehr als nur missbräuchliche Verwendungen gewesen, und der herkunftsbezogene Heimatbegriff, der von einem konkreten auf einen mythischen Raum abstrahiert und das Fremde ausschließt, ist prinzipiell empfänglich für derartige Ausdeutungen. Doch hat es dagegen immer auch. So inkludierende, demokratiefähige Alternativkonzepte gegeben war das viel belächelte Vereinswesen im 19. Jahrhundert eben nicht nur der soziale Raum für spießbürgerliche Geselligkeit, sondern auch ein möglicher Ort der Begegnung, des Austausches und der gegenseitigen Anerkennung.29 Und waren es seit dem Sommer 2015 eben nicht auch jene Strukturen, Institutionen und Akteure die ich grob der Sphäre der Heimat, dem kleinen, überschaubaren Raum der Nachbarschaften, zuordnen möchte, die sich in besonderer Weise um die Versorgung einer großen Zahl Geflüchteter verdient gemacht haben und in denen »Integration« am besten zu funktionieren scheint?30 Daran knüpft Bausingers oben geschildertes partizipatives Heimatkonzept an: Heimat ist der Ort, an dem ich bin, den ich im regelhaften Austausch und Widerstreit mit meiner Umwelt gestalte und an dem ich mich im Konkreten solidarisch verhalten kann.
Wenn man auf jene exkludierenden völkischen Prämissen verzichtet, dann ist Heimat ein durchaus noch brauchbarer politischer Begriff. Seine weitere Verwendung basiert auch auf der Einsicht, dass nicht alle Menschen als kosmopolitische »Anywheres« existieren können und wollen.31. Die persönliche Identifikation mit einem spezifischen Raum und seiner Geschichte können mit der Idee von Heimat, bürgerschaftlichem Engagement, Solidarität und Bewahrungsdenken in Einklang gebracht werden. Die missbräuchliche Verwendung des Heimatbegriffes wird man nicht verhindern können, wenn man nicht in einem autoritären Gesinnungsstaat leben möchte. Umso wichtiger sind zukunftsweisende, inkludierende Heimatmodelle. Denn nichts schützt mehr vor dem Missbrauch einer Idee als deren gut begründeter und erfolgreicher Gebrauch.32
1Peter Blickle: Heimat. A Critical Theory of the German Idea of Homeland, Rochester 2002.
2Andrea Bastian: Der Heimat-Begriff. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung in verschiedenen Funktionsbereichen der deutschen Sprache, Tübingen 1995, S. 125-127.
3Markus Metz/Georg Seeßlen: Heimat – Der offene Begriff, Deutschlandfunk, 3.10.2019, ‹https://www.deutschlandfunk.de/heimat-als-utopie-heimat-der-offene-begriff.1184.de.html?dram:article_id=457932› (15.1. 2020); mit Bezug auf eine Stelle in Ernst Blochs Prinzip Hoffnung: »Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.«
4Beispielhaft der bayerische Landtagsabgeordnete der Grünen Sepp Dürr: Lust auf Politik, Recht auf Heimat, Rede vom 6.6.2018, ‹http://sepp-duerr.de/lustauf-politik-recht-auf-heimat/›, (12.2. 2020).
5So mit Bezug auf Adorno und die Kritische Theorie: Hartmut Rosa: Heimat als anverwandelter Weltausschnitt. Ein resonanztheoretischer Versuch, in: Edoardo Costadura et al. (Hg.), Heimat global. Modelle, Praxen und Medien der Heimatkonstruktion, Bielefeld 2019, S. 153-172.
6Vgl. z. B. Hermann Bausinger: Heimat in der offenen Gesellschaft. Begriffsgeschichte als Problemgeschichte, in: Will Cremer/Ansgar Klein (Hg.), Heimat. Analysen, Themen, Perspektiven, Bielefeld 1990, S. 76-90; Beate Binder: Heimat als Begriff der Gegenwartsanalyse, in: Zeitschrift für Volkskunde (104), 2008, S. 1-17. Umfassend, multiperspektivisch und anregend: Martina Hülz et al. (Hg.): Heimat. Ein vielfältiges Konstrukt, Wiesbaden 2019.
7Samuel Salzborn: Heimat: Identität und Ausgrenzung, in: theorieblog, ‹https://www.theorieblog.de/index.php/2018/10/heimat-identitaet-und-ausgrenzung/›, (12.2. 202).
8Celia Applegate: A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkeley 1990.
9Schon in den Rang eines »Klassikers« erhoben und noch immer bedeutender Ausgangspunkt für die Analyse des Vereinswesens in Deutschland: Thomas Nipperdey: Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Modernisierung I, in: ders. (Hg.), Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, Göttingen 1976, S. 174-205.
10Vgl. Susanne Scharnowski: Heimat. Geschichte eines Mißverständnisses, Darmstadt 2019.
11Barbara Seibert: Glokalisierung. Ein Begriff reflektiert gesellschaftliche Realitäten. Einstieg und Debattenbeiträge, Münster 2016.
12Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion, Darmstadt 2001.
13Vgl. zu den bayerischen Heimatschutzverbänden in der Weimarer Republik: Wolfgang Stäbler: Weltwirtschaftskrise und Provinz. Studien zum wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wandel im Osten Altbayerns 1928 bis 1933, Kallmünz 1992.
14Allgemein: Michael Neumeyer: Heimat. Zu Geschichte und Begriff eines Phänomens, Kiel 1992. Anhand eines regionalen Beispiels sehr anschaulich: Andrea-Katharina Hanke: Die niedersächsische Heimatbewegung im ideologisch-politischen Kräftespiel zwischen 1920 und 1945, Hannover 2004.
15Wolfgang Fischer: Heimat-Politiker? Selbstverständnis und politisches Handeln von Vertriebenen als Abgeordnete im Deutschen Bundestag 1949–1974, Düsseldorf 2010.
16Zum Heimatfilm für viele: Wolfgang Kaschuba: Der Deutsche Heimatfilm – Bildwelten als Weltbilder, in: ders. (Hg.), Heimat. Bildwelten und Weltbilder. Bilder, Texte, Analysen zu 70 Jahren deutscher Filmgeschichte, Tübingen 1989, S. 829-851.
17Vgl. Stichwort »Heimat«
18Ironischerweise etablierte sich die CSU in Bayern auch deshalb als unangefochtene Heimatpartei, weil sie die Interessen der »Einheimischen« gegen die Interessen der zugewanderten deutschstämmigen Flüchtlinge aus Mittel- und Osteuropa geschickt auszuspielen wusste. So schon Alf Mintzel: Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei 1945–1972, Wiesbaden 1975. Überblickshaft zusammenfassend: Thomas Schlemmer: Die CSU von 1945 bis 2018. Eine kurze Bilanz, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (51/52), 2018, S. 29-24.
19Reißerisch-polemisch wird häufig auf die vermeintlichen »braunen Wurzeln« der Grünen verwiesen. Sachlich-differenzierter und mit welthistorischem Blick: Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011.
20So (mit allerdings teilweise berechtigten Einwänden) Hans-Ulrich Wehler: Königsweg zu neuen Ufern oder Irrgarten der Illusionen? Die neue deutsche Alltagsgeschichte »von innen« und »von unten«, in: Franz-Josef Brüggemeier/ Jürgen Kocka (Hg.), »Geschichte von unten – Geschichte von innen«. Kontroversen um die Alltagsgeschichte, Hagen 1985, S. 17-47. Zu den Geschichtswerkstätten vgl. Etta Grotrian: Geschichtswerkstätten und alternative Geschichtspraxis in den achtziger Jahren, in: Wolfgang Hardtwig/Alexander Schug (Hg.), History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009, S. 243-253.
21Der Journalist Dirk Kurbjuweit prägte den seitdem kursierenden Begriff des »Wutbürgers«. Die reißerische Aufmachung hält allerdings kritischen wissenschaftlichen Studien nicht stand. Zusammenfassend: Frank Brettschneider/ Wolfgang Schuster (Hg.): Stuttgart 21. Ein Großprojekt zwischen Protest und Akzeptanz, Wiesbaden 2013.