Kitabı oku: «Strafrecht Besonderer Teil», sayfa 3

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b) Tatobjekt »Mensch«

3Die Tötungsdelikte im engeren Sinne (zur systematischen Einteilung noch Rn. 9ff.) haben gemeinsam, dass sie sich gegen einen bereits geborenen und noch nicht verstorbenen Menschen richten. Die Grenzen des Anwendungsbereichs |2|der §§ 211ff. StGB werden daher durch die Zeitpunkte des Lebensbeginns und des Lebensendes markiert.

aa) Beginn des Lebens

4Die genaue Ermittlung des Beginns des menschlichen Lebens hat maßgebliche Bedeutung für die Abgrenzung der Tötungsdelikte zu den Bestimmungen des Schwangerschaftsabbruchs (§§ 218ff. StGB), die dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen. Tatobjekt ist dort die Leibesfrucht, deren Abtötung durch bloß fahrlässiges Verhalten (in Abweichung zu § 222 StGB) nicht sanktioniert wird. »Der im Vergleich zu dem des geborenen Menschen geringere Lebensschutz des ungeborenen Kindes folgt aus den mit seinen Rechten – möglicherweise – kollidierenden Rechtspositionen seiner Mutter, aus deren Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihrer Menschenwürde.«[4]

5Als den den Lebensbeginn markierenden Zeitpunkt wird von Seiten der Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur auf den Beginn des Geburtsvorgangs abgestellt. Hiernach beginnt das Menschsein bereits mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen.[5] Teilweise wird im Schrifttum aber auch erwogen, die Tötungsdelikte erst zu einem späteren Zeitpunkt eingreifen zu lassen, etwa mit Beginn der Presswehen[6] oder (in Übereinstimmung mit der Regelung zur Rechtsfähigkeit in § 1BGB) mit Vollendung der Geburt[7]. Um einen möglichst umfassenden Lebensschutz zu gewährleisten, ist an dieser Stelle jedoch dem von der Rechtsprechung vertretenen Ansatz der Vorzug zu geben. Im Übrigen wird auch nach aktuellen medizinischen Erkenntnissen der Beginn des menschlichen Lebens überwiegend mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen gleichgesetzt.[8]

6Im Fall eines Kaiserschnitts stellt die Öffnung des Uterus den maßgeblichen Zeitpunkt dar.[9] Vereinzelt wird stattdessen auf die Öffnung der Bauchdecke abgestellt, wobei jedoch übersehen wird, dass diese auch anderen Zwecken dienen kann.[10] Die (Über-)Lebensfähigkeit des Neugeborenen ist für die Zuerkennung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes nicht maßgeblich. Denn eine »Leibesfrucht kann auch dann, wenn sie vorzeitig zur Welt kommt, ein Mensch im Sinne des § 212 StGB sein. Ob sie es ist, hängt davon ab, ob sie unabhängig |3|vom Leben der Mutter in menschlicher Weise lebt, sei es auch nur kurze Zeit«[11].

7Schwierigkeiten begegnen bei der Abgrenzung der §§ 211f. StGB zu §§ 218ff. StGB insbesondere dann, wenn eine vor Beginn der Eröffnungswehen ausgeführte Einwirkung auf die Leibesfrucht den Tod des Kindes nach Geburtsbeginn verursacht. Zutreffend hält der BGH für die Beantwortung der Frage, ob in dieser Konstellation eine vorsätzliche Tötung eines Menschen oder ein Schwangerschaftsabbruch anzunehmen ist, den Zeitpunkt der Einwirkung auf das Opfer und nicht den des Todeseintritts für maßgebend. Diese »Rechtsprechung vermeidet, daß es von dem für den Täter ganz zufälligen Ablauf des physiologischen Vorgangs – Eintritt des Todes vor oder nach Beginn der Geburt – abhängt, ob er ggf. wegen Mordes oder wegen Abtreibung zu bestrafen ist.«[12] Aus demselben Grund kann für die Abgrenzung auch nicht entscheidend sein, ob das wegen eines Schwangerschaftsabbruchs ausgestoßene Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits lebensfähig gewesen wäre. »Zwar ist der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Fall der Verwirklichung des Abtreibungstatbestands durch die Herbeiführung der Ausstoßung aus dem Mutterleib die Einschränkung zu entnehmen, diese Art der Tatbestandsverwirklichung setze voraus, dass das Kind in Folge des verfrühten Fruchtabgangs alsbald nach dem Austritt aus dem Mutterleib stirbt […]. Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, dass der Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB nur bis zu dem Zeitpunkt verwirklicht werden könne, zu dem das ungeborene Kind bereits genügend ausgereift ist, um im Falle seiner Ausstoßung aus dem Mutterleib bereits selbständig weiterleben zu können. Vielmehr erfasst der Tatbestand gerade auch diejenigen Fälle, in denen die Einwirkung des Täters auf eine bereits selbständig lebensfähige Leibesfrucht zunächst zu einer Lebendgeburt geführt, das Kind jedoch die Verletzungen, die es durch die auf den verfrühten Abgang gerichteten Handlungen erlitten hatte, nicht überlebt.«[13]

bb) Ende des Lebens

8Das Leben endet mit Eintritt des Hirntods; dieser kennzeichnet sich durch den irreversiblen und totalen Ausfall der Gehirnfunktionen.[14] Ab diesem Zeitpunkt kommt ein vollendetes Tötungsdelikt nicht mehr in Betracht, wohl aber (bei irrtümlicher Vorstellung, der Verstorbene lebe noch), ein strafbarer untauglicher Versuch.

|4|c) Systematik und Reformbestrebungen

9Die Tötungsdelikte im engeren Sinne umfassen die Straftatbestände des Totschlags (§ 212 StGB; ggf. als besonders oder minder schwerer Fall nach § 212 Abs. 2 bzw. § 213 StGB), des Mordes (§ 211 StGB), der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) sowie der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB). Es handelt sich hierbei um klassische Erfolgsdelikte, die allesamt als Mindesterfordernis voraussetzen, dass der Täter den Tod eines Menschen verursacht. Eine Sonderstellung nimmt insoweit die Aussetzung nach § 221 StGB ein, die als konkretes Gefährdungsdelikt ausgestaltet ist und im Grundtatbestand lediglich voraussetzt, dass das Tatopfer durch die Tathandlung in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird. Die Systematik der Tötungsdelikte hat ebenso wie der Regelungsgehalt des § 211 StGB von Seiten der Literatur, aber auch aus Teilen der Rechtsprechung, wiederholt beachtliche Kritik erfahren. So ist teilweise darauf hingewiesen worden, die seit ihrer Einführung im Jahr 1941 weitgehend unverändert gebliebenen Fassungen der §§ 211, 212 StGB bewirkten ein Fortwirken nationalsozialistischen Unrechts. Dieses spiegle sich insbesondere darin wider, dass die Tatbestände der Charakterisierung des Täters als »Totschläger« bzw. »Mörder« größeres Gewicht einräumten als der Beschreibung der Tat als solcher, wodurch der »Tätertypenlehre« auch im heutigen StGB noch Raum gelassen würde.[15] Vor dem Hintergrund, dass die für die Anwendung und Abgrenzung der §§ 211, 212 StGB maßgeblichen Mordmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB überwiegend gar nicht nationalsozialistischen Ursprungs, sondern aus einem Vorentwurf des Schweizerischen Strafgesetzbuches von 1894 übernommen sind, und angesichts der Tatsache, dass auch Motivlagen wie Rassenhass und Ausländerfeindlichkeit seitens der Rechtsprechung teilweise als »niedrige Beweggründe« i.S.d. § 211 Abs. 2 StGB eingestuft werden, wird man zwar von einem spürbaren Einfluss nationalsozialistischer Ideologie auf die Anwendungspraxis der §§ 211, 212 StGB nicht ausgehen müssen.[16] Nicht von der Hand zu weisen ist demgegenüber, dass nicht nur die Auslegung der teils bedenklich weit gefassten Mordmerkmale in § 211 Abs. 2 StGB erhebliche Schwierigkeiten bereitet (vgl. noch Rn. 34ff.), vielmehr sind die Gerichte durch den Umstand, dass § 211 Abs. 1 StGB bei Verwirklichung des gesetzlich normierten Tatbestandes als einzige Sanktionsform die lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht, darüber hinaus wiederholt vor erhebliche Herausforderungen gestellt worden. Augenfällig wird dies etwa in den viel zitierten »Familientyrannen-Fällen«, die sich dadurch kennzeichnen, dass die Tötung eines schlafenden Familienmitgliedes erfolgt, nachdem dieses den Ehepartner sowie die gemeinsamen Kinder über den Zeitraum mehrerer Jahre erheblichen körperlichen und psychischen Demütigungen ausgesetzt |5|hat.[17] Ausgehend von der ganz herrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist im Falle der Tötung eines Schlafenden in der Regel das Mordmerkmal der »Heimtücke« verwirklicht (vgl. noch Rn. 58), so dass auch in dieser Fallkonstellation zumindest im Ausgangspunkt allein die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß § 211 Abs. 1 StGB in Betracht käme. Es sind diese und weitere Fallkonstellationen, die die Rechtsprechung wiederholt veranlasst haben, richterliche Rechtsfortbildungen zu betreiben, um einer extensiven Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafen entgegenzuwirken.[18] Diese (hier lediglich angedeuteten) und weitere Bedenken an der Fassung der Delikte gegen das Leben haben schon lange den Ruf nach einer Novellierung der §§ 211ff. StGB nach sich gezogen, auf den die Politik nachhaltig aber erst in jüngster Vergangenheit mit der Ankündigung durchgreifender Gesetzesänderungen reagiert hat.[19] Infolgedessen werden gegenwärtig zahlreiche Reformmodelle diskutiert, die von der rein »kosmetischen« Ersetzung der Begriffe »Totschläger« und »Mörder«, bis hin zu einer ersatzlosen Streichung des Mordtatbestandes reichen.[20] Wohin sich die weitere Diskussion und ein sich anschließendes Gesetzgebungsverfahren entwickeln werden, kann gegenwärtig nicht sicher prognostiziert werden, wobei am wahrscheinlichsten wohl davon auszugehen sein dürfte, dass die lebenslange Freiheitsstrafe zumindest als alleinige Rechtsfolge des Mordtatbestandes keinen Bestand haben wird. Bis zum Abschluss der Reformdiskussion behält die nachfolgende Darstellung zu den Delikten gegen das Leben ihre Gültigkeit, die Entwicklung in Rechtsprechung und Gesetzgebung bleibt jedoch im Auge zu behalten.

10Rechtsprechung und Literatur vertreten unterschiedliche Ansichten zum Verhältnis zwischen Mord und Totschlag sowie der Tötung auf Verlangen,[21] obgleich eine jüngere Entscheidung des BGH Anlass zu der Vermutung gibt, er könne künftig auf die Linie der Literatur umschwenken. Die Unterschiede im systematischen Verständnis werden primär im Bereich der Beteiligung relevant und insbesondere dort, wo bei mehreren Tatbeteiligten unterschiedliche Mordmerkmale nach § 211 Abs. 2 StGB vorliegen bzw. nicht vorliegen. Die Problematik ist in der Fallbearbeitung im Rahmen der Anwendung von § 28|6|StGB aufzugreifen und zu erörtern. Im Übrigen gilt für den Prüfungsaufbau, dass ohne weitere Darstellung der Auseinandersetzung der unter Rn. 13f. skizzierten Literaturansicht gefolgt werden sollte.

aa) Ansatz des BGH

11Der BGH behandelt die §§ 211, 212 und 216 StGB[22] als eigenständige Tatbestände und begründet dies vorrangig mit dem Wortlaut der Tötungsdelikte. Denn wer »in einer in § 211 StGB beschriebenen Weise einen Menschen tötet, wird nach dieser Bestimmung ›als Mörder‹ bestraft, wer vorsätzlich tötet, nach § 212 StGB ›als Totschläger‹. Das Gesetz [stelle] also zwei selbständige Tatbestände mit verschiedenem Unrechtsgehalt auf [und kennzeichne] die in § 211 StGB aufgeführten Begehungsweisen der Tötung nicht als schwere Fälle des Totschlags, sondern als eine andere Straftat, als Mord.«[23] Dieser formelle Begründungsansatz beruht maßgeblich auf der Annahme, dass der sich vorrangig aus der inneren Einstellung zur Tat ergebende Unrechtsgehalt eines Mordes strukturell grundlegend von demjenigen eines Totschlags unterscheide.

12In einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 hat der BGH nachhaltige Zweifel an seiner vorstehend skizzierten Rechtsprechung geäußert, ohne diese jedoch endgültig aufzugeben. Denn der »bisherigen Rechtsprechung des BGH zum Verhältnis von Mord und Totschlag [würden] gewichtige Argumente entgegengehalten: Sie führe zu schwer überbrückbaren Wertungswidersprüchen und unausgewogenen Ergebnissen, widerspreche der sonst üblichen Systematik und sei unnötig kompliziert«[24]. Insbesondere in Fällen gemeinschaftlich begangener Tötungen, bei denen nur einer der Mittäter ein Mordmerkmal erfüllt, könne die Tötung »schwerlich als Verwirklichung zweierlei verschiedenen Unrechts und zweier selbstständiger Tatbestände verstanden werden, sondern [stelle] sich als ein Tötungsunrecht i.S.v. § 212 StGB dar, zu dem lediglich bei einem der Täter mit dem Mordmerkmal […] besonders erschwerende persönliche Umstände (vgl. § 28 Abs. 2 StGB) [hinzukämen]; ein solches Verhältnis [entspräche] nach der üblichen Systematik demjenigen zwischen Grunddelikt und Qualifikation.«[25] Ob der BGH mit diesem obiter dictum tatsächlich eine grundlegende Änderung seiner Rechtsprechung zum Verhältnis von Mord und Totschlag eingeleitet hat, bleibt indes abzuwarten.[26] Bis zu einer neuen Grundsatzentscheidung ist die alte Rechtsprechung jedenfalls nicht als überholt zu betrachten.

|7|bb) Auffassung der Literatur

13Das Schrifttum geht nahezu einhellig davon aus, dass § 212 StGB den Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung darstellt, zu dem § 211 StGB im Verhältnis eines Qualifikationstatbestandes steht, während § 216 StGB einen privilegierten Fall des Totschlags enthält. Zwischen §§ 216, 212 und 211 StGB besteht nach dieser Auffassung ein Stufenverhältnis.[27]

14Für die Auffassung der Literatur spricht zunächst, dass der dogmatische Ansatz des BGH maßgeblich an die vermeintliche Existenz unterschiedlicher Tätertypen (»Mörder« – »Totschläger«) anknüpft und damit auf der längst überholten Tätertypenlehre beruht.[28] Die negative Formulierung in § 212 StGB (»ohne Mörder zu sein«) stellt kein eigenes Tatbestandsmerkmal dar, sondern dient nur der Klarstellung und Abgrenzung zu § 211 StGB und dessen im Vergleich zum Totschlag zusätzlichen Tatbestandsmerkmalen.[29] Zudem beinhaltet § 211 StGB den gesamten Unrechtsgehalt von § 212 StGB und schützt das identische Rechtsgut.[30] Die zusätzlichen Merkmale des § 211 StGB fügen lediglich weitere unrechtssteigernde Merkmale zum Tatbestand des Totschlags hinzu, sodass die §§ 211, 212 StGB vom typischen Verhältnis zwischen Grund- und Qualifikationstatbestand nicht abweichen.[31] Dafür, dass zwischen den verschiedenen Stufen keine qualitative Differenz im (Tötungs-)Unrecht besteht, spricht auch die Abstufung der Rechtsfolgen zwischen den §§ 211, 212, 216 StGB.[32] Die ungewöhnliche Stellung der Qualifikation (§ 211 StGB) vor dem Grundtatbestand (§ 212 StGB) hat keine dogmatischen, sondern historische Gründe.[33]

cc) Konsequenzen für die Fallbearbeitung

15Die Frage, ob der Mord im Verhältnis zum Totschlag ein eigenständiges Delikt darstellt, hat maßgebliche Auswirkungen für den Aufbau des Gutachtens. Folgt man der vorzugswürdigen Literaturauffassung, sollte mit der Prüfung des Grundtatbestandes in § 212 StGB begonnen und im Falle dessen Verwirklichung anschließend der Frage nachgegangen werden, ob der Täter eines der in § 211 StGB bezeichneten Mordmerkmale erfüllt hat. Ist bereits § 212 StGB nicht verwirklicht, entfällt demgegenüber die Prüfung von § 211 StGB.[34] Ist |8|§ 212 StGB unproblematisch gegeben und liegen die Schwerpunkte des Sachverhaltes eindeutig auf der Prüfung einzelner Mordmerkmale, kann auch eine gemeinsame Prüfung der §§ 212, 211 StGB angezeigt sein, wobei sich der Aufbau in diesem Fall danach richtet, ob täter- oder tatbezogene Mordmerkmale zu prüfen sind. Wer der Auffassung der Rechtsprechung folgt, muss wegen der höheren Strafandrohung des § 211 StGB konsequenterweise mit der Prüfung des (dann als eigenständig zu betrachtenden) Mordtatbestandes beginnen.

16Die sich im Übrigen aus der Auseinandersetzung ergebenden Fragestellungen im Zusammenhang mit der Anwendung von § 28 StGB werden detailliert in Rn. 85ff. dargestellt.

2. Totschlag (§§ 212f. StGB)

17§ 212 StGB sanktioniert die vorsätzlich begangene Tötung eines Menschen. Die Tatbestandsmäßigkeit beschränkt sich auf die vom Vorsatz des Täters umfasste Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges; die im Gesetz genannten Merkmale »Totschläger« und »ohne Mörder zu sein« sind ohne Bedeutung und bedürfen keiner eigenständigen Prüfung.[35] § 212 Abs. 1 StGB stellt ein Verbrechen dar und kann daher auch in Form des strafbaren Versuchs begegnen. Abs. 2 der Vorschrift enthält einen unbenannten besonders schweren Fall, bei dessen Vorliegen auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen ist. Demgegenüber sieht § 213 StGB eine obligatorische Strafmilderung bei Vorliegen des darin ausdrücklich benannten oder eines sonstigen minder schweren Falles vor.

18Tab. 1: Prüfungsaufbau §§ 212f. StGB


|9|a) Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung
aa) Objektiver Tatbestand

19Die Prüfung des objektiven Tatbestandes ist auf die Feststellung beschränkt, dass der Täter den Tod einen anderen Menschen in objektiv zurechenbarer Weise verursacht hat. Hierbei reichen kurzfristige Lebensverkürzungen aus, so dass auch die Tötung eines bereits im Sterben Liegenden grundsätzlich von § 212 StGB erfasst wird, soweit durch die Tathandlung dessen Leben weiter verkürzt wird.[36] Im Übrigen sind Probleme im Bereich des objektiven Tatbestandes von § 212 StGB in der Regel im Bereich der Kausalität und objektiven Zurechnung und damit im Allgemeinen Teil des Strafrechts angesiedelt.[37] In diesem Zusammenhang kann auch eine Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen zu prüfen sein, wenn ein Garant unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 StGB den Eintritt des Todeserfolges nicht verhindert.

bb) Subjektiver Tatbestand

20(1) Einführung in die Problemstellung: In subjektiver Hinsicht setzt § 212 StGB vorsätzliches Handeln voraus. Die Feststellung des zumindest erforderlichen dolus eventualis und die damit einhergehende Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit bereiten häufig erhebliche Schwierigkeiten. In der gerichtlichen Praxis wird die Problematik insbesondere dann virulent, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Täter eines der in § 211 StGB normierten Mordmerkmale erfüllt hat. Da in diesem Fall bei Bejahung des Tötungsvorsatzes allein die Verhängung der in § 211 StGB angeordneten lebenslangen Freiheitsstrafe in Betracht kommt, ist vor dem Hintergrund der hieran geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken (hierzu noch Rn. 30ff.) eine besonders sorgfältige Prüfung der subjektiven Strafbarkeitsvoraussetzungen angezeigt.

21(2) Zur »Hemmschwellentheorie«: Im Ausgangspunkt ist die Abgrenzung zwischen dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit auch an dieser Stelle auf der Grundlage der vorherrschenden Ernstnahme- oder Billigungstheorie vorzunehmen. Hiernach handelt der Täter grundsätzlich dann vorsätzlich, wenn er den für möglich gehaltenen Erfolgseintritt billigend in Kauf nimmt, wobei auch ein an sich unerwünschter Erfolg im Rechtssinn gebilligt werden kann.[38] Als wesentliches Indiz für die Billigung eines für möglich gehaltenen Todeseintritts dient den Gerichten häufig eine gesteigerte Gefährlichkeit der Tathandlung. So liegt es nach »der ständigen Rechtsprechung des BGH […] bei äußert gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er |10|gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt.«[39] Als besonders gefährliche Gewalthandlungen in diesem Sinne sind beispielsweise kräftig ausgeführte Messerstiche in die Herzgegend bzw. aus nächster Nähe abgegebene Schüsse auf den Kopf des Tatopfers einzustufen.[40] Der Rückschluss von der Gefährlichkeit der Tathandlung auf das Vorliegen des Tötungsvorsatzes soll jedoch nicht uneingeschränkt zulässig sein. Denn es ist stets »in Betracht zu ziehen, dass der Täter im Einzelfall die Gefahr der Tötung nicht erkannt hat oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht stets geschlossen werden, das auch das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist.«[41] Den hierin zum Ausdruck gebrachten Standpunkt, die besondere Gefährlichkeit einer Tathandlung reiche für sich genommen nicht aus, um den Tötungsvorsatz ohne Weiteres zu bejahen, hat der BGH in anderem Zusammenhang damit begründet, dass »vor dem Tötungsvorsatz eine viel höhere Hemmschwelle [stehe] als vor dem Gefährdungs- oder Verletzungsvorsatz.«[42] Dieser verbreitet als »Hemmschwellentheorie« titulierte Ansatz, wonach die Tötung eines Menschen die Überwindung einer besonders hohen psychologischen Schwelle erfordere, die von Seiten des Gerichts stets einer besonders intensiven Prüfung bedürfe,[43] ist in der Literatur verbreitet auf Ablehnung gestoßen. Kritisiert wurde vornehmlich, dass weitgehende Unklarheit über die Ausgestaltung der Tötungshemmschwelle bestehe und dass das vom BGH postulierte Erfordernis einer besonders »intensiven« Prüfung wegen dessen Unbestimmtheit ein potenzielles Einfallstor für eine willkürliche und uneinheitliche Entscheidungspraxis darstelle.[44]

22In einer viel beachteten Entscheidung aus dem Jahr 2012 hat der 4. Strafsenat des BGH erstmals klargestellt, dass durch die Betonung der im Zusammenhang mit der Tötung eines Menschen bestehenden Hemmschwelle weder eine eigenständige »Theorie« noch ein besonderes Prüfprogramm für den Nachweis des Tatbestandsvorsatzes begründet werden sollte. So habe der BGH stets »hervorgehoben, dass durch [die Hemmschwellentheorie] die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als |11|ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen […] in der praktischen Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle. […] Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelementes [bedürfe] es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen.«[45] Nach der Lesart des 4. Strafsenates soll sich der Aussagegehalt der »Hemmschwellentheorie« demnach in einem Hinweis auf die in § 261 StPO niedergelegten Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung beschränken.[46] Dies hat zur Folge, dass es zwar auch bei Vornahme besonders gefährlicher Gewalthandlungen am Tötungsvorsatz fehlen, dieser aber nicht durch den bloßen Hinweis auf die vermeintliche Existenz einer »Hemmschwellentheorie« verneint werden kann.[47] Vielmehr obliegt es dem Tatrichter, unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände das Vorliegen des Tötungsvorsatzes sorgfältig zu prüfen, wobei der offensichtlichen Lebensgefährlichkeit der Tathandlung stets vorrangige Bedeutung bei der anzustellenden Gesamtabwägung beizumessen ist. Nach diesen Maßstäben beanstandete der 4. Strafsenat die Entscheidung des zuständigen Schwurgerichts, welches im konkreten Fall den Tötungsvorsatz unter pauschalem Hinweis auf die »Hemmschwellentheorie« sowie die »moderate« Alkoholisierung des Angeklagten verneinte, der ein Messer mit 11 cm langer Klingenlänge derart heftig in den Rücken des Opfers gerammt hatte, dass dessen achte Rippe durchtrennt wurde und die Klinge anschließend noch in die Lunge des Opfers eintrat.[48]

23Die vorstehend skizzierte Relativierung der »Hemmschwellentheorie« durch den 4. Strafsenat verdient uneingeschränkte Zustimmung, da sie zutreffend herausarbeitet, dass die Prüfung des Tötungsvorsatzes stets einer besonders sorgfältigen Gesamtabwägung aller vorhandenen Tatumstände bedarf, wobei verbleibende Zweifel entsprechend den allgemeinen Regeln nach dem in dubio pro reo Grundsatz zugunsten des Täters aufzulösen sind.[49] Keinesfalls darf der Tötungsvorsatz aber unter bloßem Hinweis auf die (fehlende) Überwindung einer in ihren Konturen weitgehend unklaren »Tötungshemmschwelle« bejaht bzw. verneint werden.

24Ob die Entscheidung des 4. Strafsenates tatsächlich eine endgültige Abkehr der Rechtsprechung vom Hemmschwellentopos eingeleitet hat, muss vor dem Hintergrund eines nur kurz darauf vom 5. Strafsenat verabschiedeten Urteils bezweifelt werden. Diesem lag ein Fall zugrunde, in dem die Täter das Tatopfer mit ½ Liter Terpentinersatzmittel übergossen und anschließend mit einem Feuerzeug anzündeten.[50] Dass das zuständige Schwurgericht den Tötungsvorsatz |12|unter Hinweis auf die Alkoholisierung der Täter und dem Umstand verneint hatte, diese hätten kein Interesse am Tod des Tatopfers gehabt, da dieses ihnen regelmäßig Unterkunft in seiner Wohnung gewährte, hielt der 5. Strafsenat für unbedenklich und verwies (ohne Auseinandersetzung mit der Entscheidung des 4. Strafsenates) auf seine Rechtsprechung zu den Grenzen der Zulässigkeit eines Rückschlusses von einer besonderen Gefährlichkeit der Tathandlung auf das Bestehen eines Tötungsvorsatzes.[51] Bedenkt man hingegen die evidente Lebensgefahr, die von der Entzündung eines großflächig auf dem menschlichen Körper aufgebrachten Brandbeschleunigers ausgeht, hätte es zumindest bei Zugrundelegung des vom 4. Strafsenates entwickelten Prüfmaßstabes wohl größerer argumentativer Bemühungen bedurft, um den Tötungsvorsatz zu verneinen.[52] Insoweit steht zu befürchten, dass die Rechtsprechung zur Abgrenzung des dolus eventualis von der bewussten Fahrlässigkeit in Tötungsfällen auch weiterhin einen wenig einheitlichen und teils unberechenbar erscheinenden Charakter[53] aufweisen wird. In der juristischen Fallbearbeitung sollte der Hemmschwellengedanke künftig aber nicht mehr ohne Hinweis auf die distanzierende Tendenz in der jüngeren Rechtsprechung des BGH erwähnt werden.[54]

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