Kitabı oku: «Strafrecht Besonderer Teil», sayfa 7
|46|4. Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) und Sterbehilfe
101Die Strafbarkeit von Tötungshandlungen, die den nach außen kundgetanen Sterbewillen des Tatopfers umsetzen oder das Leben eines Schwerkranken verkürzen, ist Gegenstand kontroverser politischer Diskussionen. Der gegenwärtigen Gesetzesfassung kann insoweit in § 216 StGB lediglich der Grundsatz entnommen werden, dass eine gezielte aktive Lebensverkürzung auch dann unter Strafe steht, wenn sie dem Willen des Getöteten entspricht. Unter welchen Voraussetzungen eine zum Tod führende Handlung nicht als strafbare aktive Lebensverkürzung, sondern als zulässige Sterbebegleitung anzusehen ist, und inwieweit die Tötung eines Schwerkranken trotz der Regelung in § 216 StGB unter Einwilligungsgesichtspunkten gerechtfertigt und damit straflos sein kann, ist jedoch nach wie vor nicht abschließend geklärt. Um einen ersten Überblick über die durchaus klausurrelevante Thematik zu verschaffen, soll nachfolgend zunächst der Anwendungsbereich des § 216 StGB aufgezeigt und anschließend der aktuelle Stand der Diskussion um die Strafbarkeit von »Sterbehilfe«-Maßnahmen skizziert werden.
a) Tötung auf Verlangen – § 216 StGB
aa) Einführung
102Während die Literatur § 216 StGB nahezu einheitlich als Privilegierungstatbestand gegenüber § 212 StGB einordnet, erblickt die Rechtsprechung auch in diesem ein delictum sui generis. Soweit im Fall der Tatbeteiligung mehrerer die in § 216 StGB geschilderte Mitleidsmotivation nur beim Täter bzw. nur beim Teilnehmer vorliegt, gelangt die Rechtsprechung daher zur Anwendung von § 28 Abs. 1 StGB, während nach dem systematischen Verständnis der Literatur § 28 Abs. 2 StGB heranzuziehen ist. Die sich hieraus ergebenden Probleme entsprechen weitgehend denjenigen des Mordtatbestandes, so dass insoweit auf die Ausführungen in Rn. 85ff. verwiesen wird.[183]
103§ 216 StGB sanktioniert das Verhalten desjenigen, der einen anderen Menschen vorsätzlich tötet, d.h. die objektiven und subjektiven Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 212 StGB verwirklicht, aber erst infolge des ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens des Getöteten zur Tötung bestimmt worden ist. Der besonderen Konflikt- und Mitleidsmotivation, in der sich der Täter im Fall des § 216 StGB befindet, wird vom Gesetz durch einen im Vergleich zu § 212 StGB deutlich herabgesetzten Strafrahmen Rechnung getragen. Dass die Tötung trotz des ausdrücklichen Verlangens des Getöteten überhaupt unter Strafe steht, wird teilweise kritisch beurteilt, wobei insbesondere auf die Dispositionsfreiheit des Getöteten sowie die Straflosigkeit des Suizids verwiesen wird.[184] Mehrheitlich wird jedoch davon ausgegangen, dass ein praktisches |47|Bedürfnis für die Regelung in § 216 StGB besteht, wobei zur Begründung u.a. angeführt wird, dass Sterbewillige vor übereilten Entscheidungen geschützt werden müssten.[185] Ferner würde die Streichung des § 216 StGB eine erhebliche Missbrauchsgefahr begründen, da der Täter dann stets behaupten könnte, er habe die Tötung auf Verlangen des Opfers durchgeführt.[186] Ob diese Argumente tatsächlich hinreichen, die Strafbarkeit eines Verhaltens zu legitimieren, das aufgrund eines ausdrücklichen Verlangens des Tatopfers erfolgt, braucht hier nicht abschließend beurteilt zu werden, da die bloße Existenz des § 216 StGB zu dessen Anwendung zwingt.[187] Zumindest das Missbrauchsargument sollte indes kritisch beurteilt werden, da sich dieses auch heranziehen ließe, um dem Täter, der unter den in § 216 StGB geschilderten Voraussetzungen handelt, jegliche Strafmilderung zu versagen. Dies wäre jedoch nur schwerlich mit dem Umstand in Einklang zu bringen, dass die §§ 211ff. StGB primär den Schutz des individuellen Rechtsgutes »Leben« vor Augen haben und daher nicht losgelöst von der inneren Einstellung des jeweils betroffenen Individuums interpretiert werden sollten.
bb) Tatbestandsvoraussetzungen
104Die Prüfung des § 216 StGB entspricht im Ausgangspunkt derjenigen des § 212 StGB, jedoch ist das in Rn. 18 dargestellte Prüfungsschema im objektiven Tatbestand um das Erfordernis eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens des Getöteten zu erweitern, durch das der Täter zur Tötung bestimmt worden sein muss. Verlangen bedeutet in diesem Zusammenhang mehr als bloße Einwilligung. Das Opfer muss sein nachdrückliches Begehren unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben, wovon in der Regel nicht auszugehen ist, wenn er das Verhalten des Täters lediglich passiv duldet.[188]
105|48|Tab. 2: Prüfungsaufbau § 216 StGB

106Hauptproblem im Rahmen der Anwendung des § 216 StGB ist in der Regel die Frage, ob das Sterbeverlangen ernstlich geäußert wurde. Der BGH hatte in diesem Zusammenhang im Jahr 2010 über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Ehefrau, die seit Jahren unter einem Unterleibsgeschwür litt, ihren Ehegatten nach dem Aufstehen in ein längeres Gespräch verwickelte und dazu aufforderte, sie zu erschießen, da sie ihren »Lebensmut verloren« habe. Das erstinstanzlich zuständige LG bejahte hinsichtlich der vom Ehegatten anschließend ausgeführten Tötung die Voraussetzungen des § 216 StGB, beschränkte sich in der Begründung aber weitgehend auf die Wiederholung des Gesetzestextes. Dies beanstandete der BGH und führte aus, dass die Ernsthaftigkeit des Tötungsverlangens zweifelhaft erschiene, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass dieses auf eine lediglich vorübergehende depressive Verstimmung des Tatopfers zurückzuführen sei. Zugleich nahm der Gerichtshof die Entscheidung zum Anlass, einen detaillierten Überblick über den gegenwärtigen Stand der Auseinandersetzung um die Anforderungen an die Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens zu geben: »In der Rechtsprechung des BGH ist die Frage, welche Anforderungen an die Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens zu stellen sind, nicht abschließend geklärt. Allerdings hat der BGH in seinem Urteil vom 22. 1. 1981 (4 StR 480/80, NJW1981, 932) festgehalten, dass ernstlich im Sinne des § 216 StGB nur ein Verlangen sei, das auf fehlerfreier Willensbildung beruhe. Der seinen Tod verlangende Mensch müsse die Urteilskraft besitzen, um Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig zu überblicken und abzuwägen. Es komme deshalb auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Lebensmüden an; sei dieser zu einer freien Selbstbestimmung über sein Leben entweder allgemein oder in der konkreten |49|Situation nicht imstande, z.B. als Geisteskranker oder Jugendlicher […], der nicht die entsprechende Verstandesreife besitze, so fehle es an einem ernstlichen Verlangen. […] Auch das Schrifttum versagt einem Tötungsverlangen dann die Anerkennung, wenn dem Opfer diese Fähigkeit – etwa infolge alters- oder krankheitsbedingter Mängel oder unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen – fehlt (vgl. Fischer 57. Aufl., § 216 Rn 7; Lackner/Kühl 27. Aufl., § 216 Rn; LK-Jähnke 11. Aufl., § 216 Rn 7; MünchKomm-StGB-Schneider § 216 Rn 21; Sch/Sch-Eser 26. Aufl., § 216 Rn 8; SK-StGB-Horn 6. Aufl., § 216 Rn 8). Gleiches gilt für einen Todeswunsch, der deshalb nicht auf einem in freier Eigenverantwortung gefassten Entschluss beruht, weil der Täter ihn durch Zwang, Drohung oder arglistige Täuschung hervorrief, etwa durch Vorspiegelung eigener Suizidabsicht […]. Damit sind die inhaltlichen Anforderungen, die das normative Tatbestandsmerkmal der Ernstlichkeit für die privilegierende Wirkung des Tötungsverlangens voraussetzt, jedoch nicht abschließend umschrieben. Das Fehlen von Willensmängeln der genannten Art ist zwar notwendige, nicht aber auch hinreichende Voraussetzung der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens. […] Welche weiteren Eingrenzungen des Tatbestandsmerkmals danach geboten sind, wird aber […] nicht einheitlich beantwortet. Teils wird einem Todeswunsch die Ernstlichkeit schon dann abgesprochen, wenn er als unüberlegt anzusehen ist (Kühl a.a.O.), ohne diesem Begriff allerdings schärfere Konturen zu geben. Überwiegend wird einem Verlangen die Anerkennung dann versagt, wenn es einer Augenblicksstimmung oder einer vorübergehenden Depression entsprang (Fischer; LK-Jähnke; Sch/Sch-Eser; SK-StGB-Horn – alle a.a.O.). Gelegentlich wird der Wunsch des Opfers, sterben zu wollen, darüber hinaus auch dann für unbeachtlich gehalten, wenn es bei seinem Entschluss von unzutreffenden Voraussetzungen ausging oder einem wesentlichen Motivirrtum unterlag, so etwa bei irriger Annahme einer unheilbaren Erkrankung (Sch/Sch-Eser; SK-StGB-Horn; jew. a.a.O.). Am weitesten geht die Auffassung, das Tötungsverlangen sei ein Unterfall der Einwilligung, weshalb es grundsätzlich schon dann anzuerkennen sei, wenn das Tatopfer keinen einwilligungsrelevanten Willensmängeln unterlag; auch diese Ansicht verlangt aber einschränkend eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit gezeichnete innere Haltung des Lebensmüden, die einem beiläufig oder leichthin artikulierten Tötungsverlangen fehle (MünchKomm-StGB-Schneider a.a.O., Rn 19f.).«[189] Bereits diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass die genauen Anforderungen an die Ernstlichkeit des Tötungsverlangens weitgehend ungeklärt sind. Insoweit dürfte es auch in universitären Prüfungsarbeiten weniger darauf ankommen, welchem der vom BGH skizzierten Lösungswegen gefolgt wird, solange dies nur mit überzeugender Argumentation geschieht und im Übrigen die Voraussetzungen des § 216 StGB in jedem Fall verneint werden, |50|wenn das Tatopfer nicht über die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügte, um die Bedeutung seines Entschlusses zu erfassen.
107Der Täter muss durch das Tötungsverlangen zur Tat bestimmt worden sein, was bedeutet, dass es für ihn handlungsleitend gewesen sein muss.[190] Liegen einer Tötungstat mehrere Motive zugrunde, (»Motivbündel«) so ist festzustellen, welcher der Beweggründe der entscheidende »bewusstseinsdominante« gewesen ist. Hat sich der Täter von dem Wunsch des Tatopfers leiten lassen, wird § 216 nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil daneben noch andere Motive bei dem Tatentschluss mitgespielt haben.[191]
108Gemäß § 216 Abs. 2 StGB steht auch der Versuch einer Tötung auf Verlangen unter Strafe. Die Rechtsprechung bejaht darüber hinaus die Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen,[192] was aber insbesondere dann kritisch zu beurteilen ist, wenn hierdurch der Grundsatz der Straflosigkeit einer Beteiligung am freiverantwortlichen Suizid unterlaufen wird (hierzu noch Rn. 115ff.).[193] Liegt objektiv kein ernstliches Tötungsverlangen vor, geht der Täter jedoch irrtümlich hiervon aus und wird er durch diese fehlerhafte Vorstellung zur Tötung bestimmt, ist er wegen § 16 Abs. 2 StGB lediglich aus § 216 StGB zu bestrafen.
b) Sterbehilfe und Behandlungsabbruch
aa) Traditionelle Differenzierung
109Im Zusammenhang mit lebensverkürzenden Maßnahmen, die den Tod eines Sterbenskranken verursachen bzw. beschleunigen, differenzierte die in Literatur und Rechtsprechung vorherrschende Auffassung ursprünglich zwischen der unzulässigen direkten bzw. aktiven Sterbehilfe auf der einen und den unter bestimmten Voraussetzungen straflosen Formen der indirekten und passiven Sterbehilfe auf der anderen Seite. Aktive Sterbehilfe sollte vorliegen, wenn zielgerichtet und durch aktive Maßnahmen das Leben eines Todkranken verkürzt wird.[194] Grundsätzlich straflos sollte demgegenüber die sog. indirekte Sterbehilfe sein, die sich durch die Verabreichung schmerzlindernder Medikation kennzeichnet, die das Risiko einer Lebensverkürzung als Nebeneffekt mit sich bringt (Hilfe für den Sterbenden beim Sterben).[195] Unter die sog. passive Sterbehilfe sollten zuletzt diejenigen Fälle zu subsumieren sein, in denen Maßnahmen unterlassen werden, die zu einer Lebensverlängerung führen würden, also beispielsweise ein Arzt die künstliche Ernährung eines Komapatienten einstellt. Im Fall der passiven Sterbehilfe wurde eine Rechtfertigung der Tat überwiegend für möglich gehalten, wobei einige vom Vorliegen einer (mutmaßlichen|51|) Einwilligung ausgingen, während andere eine Anwendung von § 34 StGB befürworteten.[196]
bb) Anforderungen an einen gerechtfertigten Behandlungsabbruch
110Im Jahr 2010 hatte sich der BGH erneut mit der Sterbehilfeproblematik zu befassen. Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem das Tatopfer, das gegenüber ihren Angehörigen mehrfach geäußert hatte, im Falle der Einwilligungsunfähigkeit keine lebensverlängernden Maßnahmen in Form künstlicher Ernährung und Beatmung zu wünschen, im Anschluss an eine Hirnblutung im Wachkoma in einem Heim lag. Anwaltlich beraten, aber entgegen dem Wunsch der Heimleitung, durchschnitt die als Betreuerin bestellte Tochter die Magensonde, die das Tatopfer mit Nahrung versorgte. Der BGH widersprach der Einschätzung des erstinstanzlich zuständigen LG, eine Rechtfertigung der Tochter käme schon deshalb nicht in Betracht, weil sie eine aktive auf die Herbeiführung des Todes gerichtete Handlung ausgeführt habe. Im Rahmen der Urteilsbegründung gab der BGH die skizzierte Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Sterbehilfe zwecks Bestimmung der Strafbarkeits- und Rechtfertigungsvoraussetzungen ausdrücklich auf. Zur Begründung führte er aus, dass die bisherige Differenzierung dazu zwinge, Handlungen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eindeutig als Lebensverkürzungen durch aktives Tun erscheinen, nach normativen Gesichtspunkten als Unterlasen zu deuten, beispielsweise um die Straflosigkeit desjenigen begründen zu können, der dem Willen eines Todkranken entsprechend eine Magensonde entfernt oder ein Beatmungsgerät ausschaltet. Denn die »Grenze zwischen erlaubter Sterbehilfe und einer nach den §§ 212, 216 StGB strafbaren Tötung kann nicht sinnvoll nach Maßgabe einer naturalistischen Unterscheidung von aktivem und passivem Handeln bestimmt werden. Die Umdeutung der erlebten Wirklichkeit in eine dieser widersprechende normative Wertung, nämlich eines tatsächlich aktiven Verhaltens, etwa beim Abschalten eines Beatmungsgeräts, in ein ›normativ verstandenes Unterlassen‹ – mit dem Ziel, dieses Verhalten als ›passive Sterbehilfe‹ rechtlich legitimieren zu können – ist in der Vergangenheit zu Recht auf Kritik gestoßen und als dogmatisch unzulässiger ›Kunstgriff‹ abgelehnt worden […]. Eine solche wertende Umdeutung aktiven Tuns in ein normatives Unterlassen wird den auftretenden Problemen nicht gerecht. Ein ›Behandlungsabbruch‹ erschöpft sich nämlich nach seinem natürlichen und sozialen Sinngehalt nicht in bloßer Untätigkeit; er kann und wird vielmehr fast regelmäßig eine Vielzahl von aktiven und passiven Handlungen umfassen, deren Einordnung nach Maßgabe der in der Dogmatik und von der Rechtsprechung zu den Unterlassungstaten des § 13 StGB entwickelten Kriterien problematisch ist und teilweise von bloßen Zufällen abhängen kann. Es ist |52|deshalb sinnvoll und erforderlich, alle Behandlungen, die mit einer solchen Beendigung einer ärztlichen Behandlung im Zusammenhang stehen, in einem normativ-wertenden Oberbegriff des Behandlungsabbruchs zusammenzufassen, der neben objektiven Handlungselementen auch die subjektive Zielsetzung des Handelnden umfasst, eine bereits begonnene medizinische Behandlungsmaßnahme gemäß dem Willen des Patienten insgesamt zu beenden oder ihren Umfang entsprechend dem Willen des Betroffenen oder seines Betreuers nach Maßgabe jeweils indizierter Pflege- und Versorgungserfordernisse zu reduzieren […]. Denn wenn ein Patient das Unterlassen einer Behandlung verlangen kann, muss dies gleichermaßen auch für die Beendigung einer nicht (mehr) gewollten Behandlung gelten, gleich, ob dies durch Unterlassen weiterer Behandlungsmaßnahmen oder durch aktives Tun umzusetzen ist, wie es etwa das Abschalten eines Respirators oder die Entfernung einer Ernährungssonde darstellen.«[197]
111Den Ausführungen des BGH ist zu entnehmen, dass für die Frage, ob eine Sterbehilfe unter Einwilligungsgesichtspunkten gerechtfertigt ist, künftig nicht mehr darauf abzustellen ist, ob das Tatgeschehen äußerlich als Tun oder Unterlassen erscheint. Vielmehr ist der Frage nachzugehen, ob die Anforderungen an einen zulässigen Behandlungsabbruch vorliegen, die der Gerichtshof wie folgt präzisiert: (1) Die betroffene Person muss tatsächlich lebensbedrohlich erkrankt sein. (2) Durch die (aktive oder passive) Tathandlung muss ein Zustand wiederhergestellt werden, der einem bereits begonnenen Krankheitsprozess seinen Lauf lässt, also letztlich der Patient dem Sterben überlassen werden. (3) Der Behandlungsabbruch muss dem geäußerten bzw. ggf. mutmaßlichen Patientenwillen entsprechen. Dieser ist im Ausgangspunkt nach den allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln, die für die rechtfertigende Einwilligung gelten, allerdings sollen nach Ansicht des BGH ergänzend die in §§ 1901a, 1901b BGB aufgestellten Grundsätze Berücksichtigung finden.[198]
112Die Abkehr des BGH von der Differenzierung zwischen grundsätzlich strafbarer aktiver und ggf. strafloser passiver Sterbehilfe ist ausdrücklich zu begrüßen. Die rechtliche Beurteilung des vom Täter verursachten oder von ihm nicht verhinderten Todes einer lebensbedrohlich erkrankten und mit einem Behandlungsabbruch einverstandenen Person kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob sich das Geschehen bei äußerer Betrachtung als aktives Tun oder passives Unterlassen darstellt. Auch die vom BGH aufgestellten Voraussetzungen für das Vorliegen eines gerechtfertigten Behandlungsabbruchs erscheinen im Ausgangspunkt sachgerecht, bedürfen aber noch der weiteren Ausdifferenzierung. So wird von Teilen der Literatur zutreffend darauf hingewiesen, dass die Einhaltung der betreuungsrechtlichen Vorgaben nach den §§ 1901a, 1901b BGB nicht zur notwendigen Voraussetzung für einen strafrechtlich gerechtfertigten Behandlungsabbruch gemacht werden |53|sollte, da andernfalls die bloß formelle Betreuungswidrigkeit eines Behandlungsabbruchs zu seiner Einstufung als rechtswidrige Tötung führen würde.[199] Insoweit bleibt abzuwarten, ob die vom BGH aufgestellten Kriterien in der Rechtsanwendungspraxis tatsächlich zu mehr Einzelfallgerechtigkeit führen werden, wobei insgesamt eine besondere Fokussierung auf den im Voraus verfügten oder mutmaßlichen Willen des Patienten wünschenswert erscheint.[200]
c) Leitentscheidungen
113BGH NStZ 2011, 274, 275f.; Behandlungsabbruch: Die 82-jährige Schwiegermutter des Täters wird wegen einer Sepsis auf die Intensivstation eines Krankenhauses verlegt, wo sie ins künstliche Koma versetzt und an lebenserhaltende Geräte angeschlossen wird. Die behandelnde Ärztin hält den Zustand der Schwiegermutter zwar für kritisch, aber aus medizinischer Sicht nicht für hoffnungslos. Eine von der Schwiegermutter 5 Jahre zuvor verfasste Patientenverfügung, deren Inhalt dem Täter nicht bekannt ist, hat auszugsweise folgenden Inhalt: »An mir sollen keine lebensverlängernden Maßnahmen vorgenommen werden, wenn festgestellt ist, dass ich mich im unmittelbaren Sterbeprozess befinde, bei dem jede lebenserhaltende Maßnahme das Sterben oder Leiden ohne Aussicht auf erfolgreiche Behandlung verlängern würde.« Entgegen der Anweisung der behandelnden Ärztin schaltet der Täter unter Berufung auf den vermeintlichen Willen seiner Schwiegermutter die lebenserhaltenden Geräte ab, um deren Tod herbeizuführen. Nur kurze Zeit später werden die Geräte von der Ärztin wieder in Betrieb gesetzt. – Der Täter ist strafbar wegen versuchten Totschlags. Die Voraussetzungen des Privilegierungstatbestandes in § 216 StGB liegen nicht vor, da es bereits an einem ausdrücklichen und ernstlichen Tötungsverlangen der Schwiegermutter fehlt. Die Tat ist darüber hinaus auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Behandlungsabbruchs gerechtfertigt. Der Täter konnte den Willen der Schwiegermutter schon deshalb nicht umsetzen, weil er die Patientenverfügung im Einzelnen nicht kannte. Darüber hinaus lagen aber auch die in der Patientenverfügung vorgesehenen Bedingungen für einen Behandlungsabbruch nicht vor, da sich die Schwiegermutter nicht im unmittelbaren Sterbeprozess befand und es bei ihr nicht zu einem nicht mehr behebbaren Ausfall lebenswichtiger Körperfunktionen gekommen war.
114BGH NStZ 2012, 85, 86; Tötung auf Verlangen: Eine Ehefrau verliert im Jahr 2009 infolge einer Alkoholerkrankung ihren Arbeitsplatz und erleidet anschließend eine Hirnschädigung, die eine Epilepsie zur Folge hat. Der Zustand der Ehefrau, die von ihrem ebenfalls schwerkranken Ehegatten umsorgt wird, verschlechtert sich in der Folgezeit zunehmend. Sie verbringt die meiste Zeit im Bett und nimmt 20 kg ab. Anfang 2010 erleidet sie innerhalb eines |54|Tages 2 epileptische Anfälle und äußert gegenüber ihrem Ehegatten, dass sie nicht mehr leben wolle. Im Anschluss an einen weiteren epileptischen Anfall trinkt der Ehegatte sich Mut an und tötet seine zuvor betäubte Ehefrau mit 7 Messerstichen in den Hals. – Der Ehegatte ist strafbar wegen Totschlags gemäß § 212 StGB. Die Voraussetzungen des Privilegierungstatbestandes in § 216 StGB liegen nicht vor, da das Tötungsverlangen der Ehefrau nicht als ernstlich anzusehen ist. Die Ernstlichkeit ist in der Regel dann zu verneinen, wenn das Opfer durch eine Erkrankung nicht in der Lage war, die Tragweite seines Entschlusses zu überblicken, oder wenn ein Tötungsverlangen in depressiver Augenblicksstimmung geäußert wird. Nach diesen Maßstäben ist die erstmalige und unbestimmte Äußerung der Ehefrau zwischen mehreren epileptischen Anfällen nicht als ernstliches Verlangen einer Tötung zu bewerten. In Betracht zu ziehen ist allerdings die Annahme eines minder schweren Falles nach § 213 Alt. 2 StGB.