Kitabı oku: «Systemische Erlebnispädagogik», sayfa 2
Die Gratwanderung zwischen Ermöglichen (facilitate!) und Manipulieren folgt der Bruchlinie von Vertrauen versus Widerstand (bei den Geführten). Lebendigkeit des Führens hat viel damit zu tun, ob und wie die Leitenden im Biotop ihrer Arbeitsbeziehungen fassbar und transparent sind. Ränkeschmiede, Karrieristen und Graue Eminenzen führen jedenfalls nicht prozessorientiert; sie bleiben an der Peripherie des sozialen Kosmos, den jede Arbeits- und Erwerbsgemeinschaft in ihrem menschlichen Kern darstellt.
Sicher scheint mir zu sein: Die hohe Zeit der Konzepte und generalstäblichen Planung ist zu Ende. Sie macht einem neu verstandenen Lernen-durch-Tun Platz, neu verstanden deswegen, weil es nicht um einen Rückfall in Pragmatismus geht, sondern um die stärkere Gewichtung des Prozesses. In die Handlung gehen, um miteinander zu lernen und zu wachsen. Wie einfach erschien doch Führen noch in den Jahren der Stab-Linien-Organisation: Hier die Vor-Denker, dort die Ausführenden, und dazu die „drei K-Prinzipien“: Kommandieren, Kontrollieren, Korrigieren. Der Chef als Befehlshaber, als Kapitän auf dem Schiff, oder idyllischer: als Kutscher, der die Zügel seiner Pferde fest in Händen hält. Ganz andere Metaphern drängen sich heute auf, zum Beispiel die des Architekten (Führen als Systembau und -gestaltung), das des Orchesterdirigenten (Führen als Anleiten und Inspirieren zur konzertierten Aktion). Gewiss gibt es noch heute auch die Metapher des Spielers: Team-Player, Global Player, Games Man. Doch spätestens im Money-Power-Game wird der gnadenlose Ernst des Spiels unverkennbar.
Zurück zur Führungsachse, zur Haltung, auf die es in jedem Führen ganz wesentlich ankommt. Wer sich die Merkmale dieser Führungsachse näher anschaut (und Führende in ihrem Wirken näher anschaut), erkennt Eigenheiten, die viel mit individueller Lebensgeschichte und Persönlichkeitsstruktur zu tun haben. Wir alle haben im Zusammenhang mit Führen und Geführtwerden unsere persönliche Geschichte, die mit dem ersten Erleben der Eltern begann, sich über die Erfahrung mit Autoritätspersonen in den Jahren des Heranwachsens fortsetzte, bis hin zu den später folgenden Rollen als Untergebene und / oder Führungsverantwortliche.
Schon daraus lässt sich folgern: Führen ist nur teilweise eine Disziplin (eine Methodenkomposition), die man / frau lernt wie irgendeinen Beruf. Vorverständnisse, Beweggründe, Ängste, Erfolgsbedürfnisse usw. wurzeln in der individuellen Geschichte der Führenden wie der Geführten. Damit diese Grunderfahrungen in der Führungssituation nicht zum Störfaktor werden (zum Beziehungsdrama!), müssen sie von den Exponenten (und Exponierten!) mindestens ein Stück weit aufgearbeitet und geklärt werden.
Führen hat immer mit Menschen zu tun, also mit Beziehungsarbeit. Menschen mit Leitungsaufgaben müssen sich als Beziehungsarbeiter verstehen und bewähren. Sind sie darin ungeschickt und unsensibel, wirkt sich dies auf die ganze Atmosphäre im organisatorischen Umfeld aus. Ein Altmeister der Wirtschaftswissenschaft, der Amerikaner Herbert A. Simon, erhielt 1978 (!) den Nobelpreis für seine „Verhaltenstheorie der Unternehmung“. Diese Theorie lässt sich in sechs Punkten wie folgt zusammenfassen:
• Unternehmungen (jedwelcher Art, also nicht nur Firmen) bestehen zuallererst aus Menschen, deren Verhalten durch ihre Individualität (Einmaligkeit) geprägt wird.
• Menschen lassen sich auch in ihren Berufstätigkeiten von ihren persönlichen Wünschen und Zielen leiten (bewusst oder unbewusst).
• Besonders gilt dies für Führungspersonen, das heißt Menschen mit einer Laufbahn-Perspektive und dem Anspruch, auf die Dinge Einfluss zu nehmen.
• Leistung und Entwicklung in einer Organisation hängen somit in erster Linie von menschlichen Beweggründen und deren Dynamik ab. Was wiederum bedeutet: Frustrierte Menschen behindern die Leistung und Entwicklung einer Organisation.
• Jede Art von Struktur und Führungsinstrumenten bleibt dieser psychischen Dynamik nachgeordnet und hat ihr Rechnung zu tragen.
• Die Unternehmung ist also nicht primär ein formales Gebilde, sondern eine Koalition von Menschen, die sich immer wieder entscheiden, ob sie auf eine gemeinsame Aufgabe hin zusammenwirken wollen oder nicht.
Als diese Leitsätze des Nobelpreisträgers publiziert und gefeiert wurden, war ich 45, seit gut zehn Jahren freiberuflich in der Unternehmensberatung tätig und wie viele meiner damaligen Weggefährten davon überzeugt, dass der Erfolg einer jeden Organisation primär von einer menschengerechten Führung und Personalentwicklung (damals als Human-Resource-Development neu definiert) abhängen würde.
Dreißig Jahre später blicke ich in eine Führungslandschaft, in der dieser Vorrang des Menschen von dramatischen Neuentwicklungen in der Wirtschaft, im Management und vorab auch in den öffentlichen Finanzhaushalten abgelöst oder zumindest überlagert wurde. Die sachbezogenen Kriterien der Leistungserbringung und -bewirtschaftung haben ein Gewicht und eine Dringlichkeit bekommen, die schon beinahe als erdrückend bezeichnet werden müssen. Besonders im Bereich der Nonprofitdienstleistungen (öffentlich oder privat) wurden neue Führungsinstrumente eingesetzt, die allesamt auf eine rigorose Transparenz und Messbarkeit der Leistungsprozesse hinzielten.
So verständlich und sogar unumgänglich diese Durchforstung aller Tätigkeiten und Aufwendungen im Zeichen der öffentlichen Sparpolitik sein mochte, so unübersehbar waren die Auswirkungen auf das Arbeitsklima und die Leistungsmotivation bei den Mitarbeitenden. Es soll hier nicht schwarz-weiß gemalt werden. Der anhaltende Druck auf den Leistungs- und Qualitätsnachweis im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen hat auch Gutes bewirkt. Ebenso trifft aber zu, dass unter dem „Ansturm“ neuer Instrumente und Formulare, bis hin zu umwälzenden Reorganisationen der Arbeitsprozesse, vielerorts eine (sogar beabsichtigte!) Entmenschlichung der betrieblichen Kultur Platz gegriffen hat. Die Mitarbeitenden erleben sich manchenorts als Sparpotenzial, als Vollstrecker eines digitalen Perfektionismus, mit dem sie gleichsam den Nachweis ihrer eigenen Überflüssigkeit (Stellenabbau!) erbringen sollen.
Aus Sicht der Führungs- und Teambegleitung fällt mir vor allem auf, dass durch die starke Gewichtung der sachlichen und finanziellen Aspekte im letzten Jahrzehnt die Beziehungsarbeit, der menschenbezogene Teil der Führungsaufgabe erheblich gelitten hat. Das, was die Amerikaner leadership nennen und dabei deutlich von management abgrenzen, ist nun schon als Folge der zeitlichen Beanspruchung der Leitenden durch die neuen „Führungssysteme“ an den Rand gerückt. Vorgesetzte eilen von Sitzung zu Tagung, werden in neue Projekte eingespannt und „erfolgreich“ daran gehindert, der Beziehungsarbeit im eigenen Führungsumfeld den notwendigen Platz einzuräumen. Die Mitarbeitenden wiederum fühlen sich von ihren Vorgesetzten im Stich gelassen, distanziert und schlimmstenfalls verraten an die Sparstrategien der obersten Leitungsgremien. Ich male nicht schwarz, ich sehe auch nicht schwarz, ich blicke nur, kritisch-engagiert, in die derzeitige Führungslandschaft. Und frage mich: Wie kann ich in meinem Wirken als Führungsbegleiter (neudeutsch: Coach!) zu einem Führungsverständnis beitragen, das den einzelnen Menschen mit seinen besten Kräften, seinem Potenzial an Lebendigkeit, seiner Sehnsucht nach dem guten Leben (wieder) in die Mitte rückt?
Dieser Spur bin ich in den letzten Jahren gefolgt, nicht zuletzt mit dem Vermächtnis des Krpg-Lehrgangs in meinem Herzen und in meinem Kopf. In der Einzelarbeit wie auch in zyklisch angelegten Retreats mit Führungspersonen gewann die Leitidee, wonach jede Führungsperson in sich selbst die wichtigste Führungsressource für die Organisation darstellt, an Konturen und Anwendungsbreite: Jede, jeder hat in sich die Ressourcen, die sie / er braucht. In der Hast des Alltags wird dies oft vergessen; wir re-agieren dann nur mehr auf Situationen und Probleme und handeln nicht aus der Fülle unserer Möglichkeiten, unseres wirklichen Potenzials. Burn-out ist dafür eines von vielen Indizien, Burn-in meine Antwort darauf: wieder zum inneren Feuer finden in der Nähe zu sich selbst. Ich konnte darin so etwas wie die Essenz meiner Erkenntnisse und Erfahrungen im weiten Feld des Führens (und der Selbstführung) einfließen lassen, dies nicht so sehr als Experte, sondern als gereifter Mensch mit einer eigenen Lebens- und Führungsgeschichte.
Ich will mich mit diesen Hinweisen nicht brüsten, sondern die Qualität der Begegnung mit meinen Klienten ansprechen: eine Begegnung von Mensch zu Mensch, im gegenseitigen Respekt vor der Einmaligkeit und Würde des anderen.
Als Fazit dieses Bestrebens, „gutes Führen“ und „gutes Leben“ innig aufeinander einzustimmen, mögen die nachfolgenden fünf Kriterien für gutes Führen verstanden sein:
Erstens: Überblick wahren, Zusammenhänge erkennen
Dies bedeutet, mich selbst als Teil des ganzen Feldes, in dem ich arbeite und wirke, zu erkennen. Führen erfordert eine besondere Qualität im Wahrnehmen von Aufgaben, einerseits auf Ziele hin, anderseits in der Wechselwirkung mit anderen Aufgaben. Wem dieser Überblick abgeht, erledigt einfach Pendenzen, lebt von der Hand in den Mund, reagiert nur, ohne zu gestalten.
Zweitens: Die Menschen in meinem Umfeld wertschätzen
Führen ist zu einem bedeutenden Teil Gestaltung von Beziehungen, zu Kollegen, Mitarbeitenden, Vorgesetzten. Diesen Menschen in Wertschätzung zu begegnen, sie mit ihren jeweils besonderen Fähigkeiten, ihren unterschiedlichen Charakteren wahrzunehmen und zu stärken, ist ein Dauerauftrag. Diese Sensibilität für Menschen darf nie so genannten Sachzwängen geopfert werden.
Drittens: Die Sachen klären, um handlungsfähig zu sein
Das Leben ist komplex und letztlich unergründlich. So sind auch Führungsaufgaben häufig komplex, in ihrer Herkunft und Tragweite kaum wirklich auszuloten. Dennoch heißt gut führen: zur Einfachheit und Eindeutigkeit des Tuns zu finden, Komplexität immer wieder auf den Punkt zu bringen. Gelebte Einfachheit inmitten aller Komplexitäten ist die (nur scheinbar paradoxe) Ergänzung zum erstgenannten Kriterium.
Viertens: Die verschiedenen Führungsrollen erkennen und dosiert ausfüllen
Mit den verschiedenen Aufgaben und Situationen des Alltags sind verschiedene Führungsrollen verbunden, so etwa beim Vereinbaren von Zielen, beim Auswerten von Ergebnissen, bei Konfliktinterventionen, im persönlichen Mitarbeitergespräch, usw. Führen erfordert ein gutes Maß an Rollenbewusstsein und -flexibilität. Hinter jeder Rolle muss dennoch die Führungsperson als Mensch erkennbar und spürbar sein.
Fünftens: Mich selbst so führen, dass die Kriterien eins bis vier zum Tragen kommen Wer führt, muss sich selbst gegenüber Sorge tragen. Der Führungsauftrag ist immer auch der Auftrag, sich (beim Führen) zu entwickeln, an Schwierigkeiten zu wachsen, zur eigenen Mitte zu finden, bei sich zu sein. Dies ist kein Egotrip, sondern die Voraussetzung dafür, auch andere in ihrer Entwicklung stärken zu können. Dazu noch eine radikale Aussage: Führen ist nicht primär die Ausübung von Macht, sondern: Ermächtigung anderer (neudeutsch: Empowerment).
Schließen möchte ich diesen Beitrag mit einigen Bemerkungen zum Selbstgebrauch der Krpg. Tatsächlich war meine Anmeldung zu diesem Lehrgang (1997) vor allem vom Wunsch bestimmt, mich in einem für mich ungewohnten Setting neuen Erfahrungen mit dem Lernen und mit mir selbst auszusetzen. Ungewohnt waren die Menschen, denen ich begegnete; die Situationen draußen und drinnen; die Arbeitsweisen und Lebenstechniken; die Erlebnisse, die mich bis zu Grenzerfahrungen hinführten (z. B. im Boot auf dem Meer).
Mein Lernen in diesem Lehrgang war also primär dem Selbstgebrauch zugedacht, meinem Lebensalter entsprechend keine Vorbereitung auf neue Berufsaufgaben, dennoch das beherzte Wagnis eines neuen Anfangs. Dieses Anfangserlebnis, von Tag zu Tag, von Situation zu Situation, war wohl der größte Gewinn, den ich aus dem Lehrgang zog. Erfinderisch leben im Zeichen von Wandel und Vergänglichkeit! Mit dem, was geschieht, leben und arbeiten. Meinen 1001 Vorverständnissen und Vorurteilen entkommen. Die ganze dichte Präsenz der Menschen, der Dinge, der Natur genießen und gegebenenfalls auch erleiden.
So weiß ich jetzt: Kreativ-rituelle Prozessgestaltung kann meinen Alltag befruchten und verändern, wo auch immer und wie auch immer, in der Essenz, in den Grundhaltungen und natürlich auch in einzelnen Methoden. Kleines Beispiel dafür: Wenn ich den Ablauf meiner täglichen Lebenshandlungen, vom ersten Aufstehen bis zur Vorbereitung der Nachtruhe als rituelle Gestaltung auffasse und begleite, entwickelt mein Leben eine höhere Schwingungsfrequenz und Wachheit. Ich erliege dann weniger der Macht meiner Gewohnheiten, den Wiederholungszwängen, den eingespielten Mustern meiner Selbstbegrenzung. So bleibt mir (will‘s hoffen!) einiges von den Trostlosigkeiten erspart, die sich mit dem Älterwerden so oft einschleichen.
Es geht ums Verbundensein! Mich immer wieder verbinden mit dem Leben, das gerade geschieht; mit den guten Kräften; mit der Gnade in jedem Einatmen und Ausatmen. Etwa so kann ich den Auftrag zusammenfassen, den mir dieser Lehrgang mitgab. Ein Auftrag mir selbst und anderen gegenüber. Rose Ausländer, die Dichterin, hat den Auftrag wie folgt in Sprache gegossen: Was du noch nicht warst/ wirst du einmal sein /Nichts bleibt dir erspart/im unendlichen Wandel / Sei was du jetzt bist/ein Mensch.
Edmond Tondeur
Jahrgang 1931, lebt in Zürich (Schweiz)
Bisher: Kaufmännische Ausbildung, zehn Berufsjahre in Werbung und Marketing, Sozialarbeiter bei Pro Juventute, autodidaktische Weiterbildung in Sozial- und Humanwissenschaften, nebenbei freier Journalist und Publizist; ab 1965 selbstständiger Unternehmensberater; 1980 dreijähriges Timeout; anschließend Entwicklungsprozesse in Nonprofitorganisationen begleiten; seit 1985 Berater und Begleiter von Führungspersonen, Führungsgremien, Arbeitsteams; seit 1995 Beschäftigung mit den Themen „Neues Altern“, Reife, Lebenswandel; mehrjährige Ausbildung in Astrologischer Psychologie
Derzeit: Lebens-Wandel-Beratung für Menschen jeder Altersstufe; ‚Erfinderisch leben im Zeichen von Vergänglichkeit‘.
Homepage: www.lebenswandel.ch
E-Mail: tondeur.e@bluewin.ch
Von der Offenheit für das Geheimnis
Robert Hepp, Susanne Doebel
Robert: Wir hatten uns zu einem Trekking in der Wüste entschlossen. Am Morgen des zweiten Tages stellten wir der Gruppe die Aufgabe, die das Vertrauen zueinander und zur natürlichen Umgebung Wüste Sinai stärken sollte. Vor uns lag eine unbekannte und weglose Passage durch ein Wadi (Bergschlucht) hinauf auf eine Hochebene, zu einer kleinen Oase – circa drei Stunden Gehzeit. Die Gruppe hatte eine Stunde Vorbereitungszeit für die selbstverantwortliche Gestaltung dieses Abschnittes. Es sollte eine Leitungsperson installiert werden, ein vorbereitetes Kurzreferat zur dortigen Geologie platziert werden, Lunch und Trinkwasser organisiert sein, und sie sollten den Beduinenguide als Orientierungsressource einbeziehen. Der Titel dieser kleinen Reise hieß „Weg unseres Vertrauens“.
Alles verlief nach Plan: die Vorbereitungen, der Anstieg, der Vortrag, der Lunch, sogar das Erreichen des geografischen Ziels nach vier Stunden. Nur offensichtlich war das der Gruppe so nicht genug. Sie fühlten sich anscheinend unterfordert, vielleicht hielten sie den Auftrag für nicht erfüllt, war der Weg unseres Vertrauens noch nicht zu Ende oder stimmten die Vorstellungen und Bilder, die im Vorfeld entstanden waren, nicht mit dem Ergebnis überein.
„Wo stehen wir? Ich meine, was machen die da? Ich verstehe nicht, was hier passiert. Wo wollen sie hin? Ich habe den Eindruck, hier inszeniert sich etwas, was ich nicht kenne. Warum tun sie das?“, fragend schauten wir uns an, als wir, eine Zeit nach der Gruppe das Ziel erreichten und Folgendes beobachteten:
Sie gehen in einer Schlange hintereinander her, die Hände auf den Schultern des Vordermanns, alle bis auf den Ersten haben verbundene Augen und in einer eigentümlich wirkenden Rhythmik hört man Rufe wie „Stein links“, „großer Stein rechts“, „Steine rechts“ usw. Das alles geschieht mitten in der steinigen Hochgebirgswüste im Sinai. Sozialpädagogen, Jugendhelfer, Kommunikationstrainer, ein Matrose, deren Ziel es ist, als zukünftige Erlebnispädagogen mit anderen Menschen zu arbeiten. Wir werden der Reise dieses fast blinden und ängstlichen 22-Füsslers durch die Steinwüste mit unseren Blicken folgen. Man würde ihn noch weit hören können, Verlustängste kommen da nicht auf. Wie lange mag das wohl noch dauern? Die Sonne geht bald unter, das Abendessen wird gerade von den Beduinen vorbereitet und wir, das Leitungsteam dieser erlebnispädagogischen Zusatzausbildung, wollen eigentlich noch eine zusammenfassende Reflexion zu diesem Tag durchführen. „Vorsicht, großer Stein rechts!“ „Steine links“ …
„Mir reicht es jetzt! Ich finde das anstrengend und nervend!“
Das hört sich nach einer Erlösung für alle an.
„Ich denke, wir sollten das jetzt durchziehen, damit jeder mal vorne war.“
Vielleicht sollten wir doch intervenieren und dem Ganzen ein Ende bereiten, sonst passiert noch etwas. Es ist paradox, genau das wollen wir ja eigentlich, dass etwas passiert! Also lassen wir den Wurm weiterkriechen, auch wenn wir nicht verstehen.
Es dauerte noch eine Weile, bis sich die Rebellion durchsetzte und das „Tier“ zum Stehen kam. Der unbekannte Abschnitt bis zu dieser Oase lief für die Gruppe reibungslos, die vertraute und ohne unseren Auftrag angehängte Übung führte zu Chaos und Streit. Die selbst auferlegte Reflexionsrunde fand im direkten Anschluss statt und war eine Tortur für die Gruppe, aber sie konnten lange kein Ende finden.
„Ich fand diese Vertrauensübung total nervenaufreibend…“ „Jeder sollte vorne einmal in der Leitung sein und das auf seine Art und Weise machen. Dazu muss auch jeder mitmachen, auch wenn es lange dauert…“ „Wer kam überhaupt auf diese Idee?“
Sie waren in eine nicht endend wollende Auseinandersetzung geraten. Wir, die Leitung, saßen bewusst in Hörweite, denn sie sollten wissen, dass wir zuhörten und auf das Ende ihres Projektes warteten. Wir hatten unseren ursprünglichen Plan, eine Reflexionsrunde zu starten, endgültig aufgegeben. Wir warteten. Unwissend, aber mit wohlwollender Neugier, was uns dieser Prozess noch bringen würde, saßen wir im kühler werdenden Abendwind unter einem der seltenen Bäume. Wir hatten Fragen auf den Lippen, aber wir durften nicht fragen, noch nicht. Auf die selbst installierte Leitung konnten wir nicht mehr hoffen, sie hatte sich längst verabschiedet. Es war lange kein Ende abzusehen, aber glücklicherweise riss unser Geduldsfaden nicht. Irgendwann wurde das Schielen zu uns auffälliger, selbstironische Bemerkungen häuften sich und schließlich einigten sie sich darauf, dass der Auftrag erfüllt und damit die Aktion zu Ende sei. Wir waren als kompetente Leitung gewünscht und gefordert, jetzt unseren Beitrag zur Aufklärung ihres Mysteriums „Weg unseres Vertrauens“ zu leisten.
Gerne, aber wie? Was hätten wir sagen können, ohne alles kaputt zu machen, was sie sich hart erarbeitet hatten. Das Ziel für diesen Tag war erreicht. Die Teilnehmer hatten sich in dieser selbst gewählten Übung aneinander gerieben, auch unfreundliche Seiten an sich und den anderen erlebt, was zu tieferem Kennen und damit zu mehr Vertrauen in die Gruppe geführt hatte. Die Wüste ist groß und geduldig, wir waren gemeinsam angekommen. Wenn auch auf anderen Wegen, als wir es in der Leitung „geplant“ hatten.
Susanne: Dieses Beispiel gefällt mir gut. Es verdeutlicht, unter anderem, dass es viel Vertrauen braucht, wenn man in prozessorientierter Haltung leiten will. Es ist fast so, als wäre dieser Prozess ein Wesen, das seinen eigenen Gesetzen folgt. Man bietet ihm einen Rahmen und eine Richtung, und dann macht es, was es will. Man muss aushalten und geschehen lassen können, was man durch den Auftrag oder das momentane Ziel gerufen hat. Letztlich ist der Weg das Ziel. Falls man konkrete Bilder im Sinn hat, wie der Prozess genau vonstattengehen sollte, damit er als erfolgreich gelten kann, gerät man leicht ins Schwitzen, wenn es dann ganz anders läuft. Mir kommt dazu gerade die Metapher des Flusses in den Sinn: Will ich mich auf einem Fluss bewegen, den ich noch nicht kenne, schaue ich vorher auf der Karte, wohin er fließt und wo ich aussteigen will. Später ist es dann aber der Fluss, der meine Bewegung bestimmt und seine Stromschnellen, Hindernisse, Biegungen, Landschaften fordern mich zu Reaktionen und immer neuen Perspektiven heraus, sie verlangen meine Gegenwärtigkeit. Ich kann mich auch am Ufer festhalten, aber auf Dauer muss ich mich doch entscheiden, mich dem Wesen des Flusses hinzugeben oder lieber zurück ans Ufer zu gehen.
Ein weiterer Aspekt, der mir anhand deines Beispiels zur Prozessorientierung in den Sinn kommt, ist das Prinzip der Autopoiese. Dieser Begriff aus der Erkenntnistheorie wurde von der Systemtheorie adaptiert und beschreibt die selbstorganisatorischen Kräfte in Systemen. Ihr habt der Gruppe grundsätzlich einmal Vertrauen entgegengebracht und sie machen lassen. Dadurch, dass ihr nicht interveniert habt, konnten sie sich als Wüsten-Tausendfüßler so lange aushalten, bis sich so etwas durchgesetzt hat wie ein „Sinn für Sinnhaftigkeit“. Dennoch kann man diese Erfahrung ja nicht als sinnlos bezeichnen, denn sie hat – wie du ja auch schreibst – die Begegnung mit Schattenaspekten ermöglicht. Das war offenbar ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Ziel. Würde man sich in der Leitung nur auf drei oder vier Wege beschränken, die man in Bezug auf diese Aufgabe für richtig hält, dann könnte es sein, dass man ihren Sinn nicht erfasst. So gesehen öffnet Prozessorientierung immer wieder Räume für Unerwartetes und vor allem für Lernen – sowohl für die Leitung als auch für die Teilnehmer.
Robert: Für mich ist Prozessorientierung im Grunde ein Anteil der Haltung und setzt eine für Phänomene offene Wahrnehmung voraus. Das gelingt nur, wenn in mir ein neugieriges Fragezeichen angeschaltet ist, manchmal sogar vom Kontext unabhängig. So als ob die Vergangenheit und die Zukunft des „prozessierenden“ Systems undeutlich verschwimmen. In diesen Momenten der Gegenwart nehme ich Auffälligkeiten im besten Fall erst einmal wertneutral wahr, soweit das überhaupt möglich ist. Glücklicherweise gibt es einen Auftrag und damit auch mindestens ein Ziel, die dem System, inklusive der Leitung, Orientierung bieten. An diesem roten Faden spielt sich der differenzierte Umgang mit neuen Informationen ab. „Was nehme ich wahr?“ und dann „Was hat das mit dem Auftrag bzw. Ziel zu tun?“. „Welche Hypothese war entscheidend für die Methodenwahl?“ und „Was verändert es jetzt im System?“. „Welche Lösung liegt in der Luft?“ und „Interveniere ich aktiv oder passiv?“.
Im Krpg-Globo steht die Prozessorientierung ja im Feld der „weichen Wirklichkeiten“, zwischen Menschenbild und Haltung einerseits und Handlungs- und Lösungsorientierung andererseits. Die Interventionsformen sinnvoll anzuwenden, setzt die Fähigkeit voraus, sich am Prozess zu orientieren. Diese nährt sich unter anderem aus einer klaren Haltung und einer geschulten Wahrnehmung. Darin liegt für mich der Unterschied zwischen Methoden „kennen“ und „können“. Wie schnell ist der Wüstenstaub nur aufgewirbelt …
Susanne: Aus deinen Ausführungen ergeben sich für mich zwei weitere Ansatzpunkte zur Prozessorientierung. Du sprichst die Phänomene an, die für die Prozessgestaltung entscheidend sind. Gab es in der Geschichte, die du erzählt hast, solche Phänomene? Oder anders gefragt: Hat die Natur mit einer ihrer Interventionen auf das Geschehen reagiert? Vielleicht fällt dir ja auch noch ein Beispiel ein, in dem Phänomene den weiteren Prozessverlauf bestimmt haben.
Und dann sprichst du von aktiven und passiven Interventionen. Um zu verstehen, wie man passiv intervenieren kann, braucht es sicher systemisches Grundverständnis. Vielleicht kann man sich aber auch an deinem Beispiel orientieren. Die bloße Präsenz der beiden Leitungspersonen in der Nähe des Gruppengeschehens und auch das, was sie nicht aussprechen oder tun, wirkt sich auf den Prozess aus. Ist es das, was du damit meinst?
Robert: Als Zuschauer und Zuhörer danebenzusitzen, war in gewisser Weise eine Intervention. Wir hatten eine Absicht und waren bei der Sache. Also waren wir auch aktiv, aber eben nicht im gewohnten Sinne einer Intervention. Damit wird meistens ein direktes Eingreifen in den Prozess verbunden. Wir hingegen wirkten für die Außenwelt recht passiv – deshalb die von mir vorgenommene Unterscheidung zwischen aktiv und passiv, was auch einen Link zur systemischen Haltung herstellen soll. Die Leitung ist in diesem Verständnis immer Teil des Systems und beeinflusst allein schon durch ihre Zeugenschaft und Beobachtung.
Deine Frage nach einem prozessbestimmenden Phänomen löst in mir Ungläubigkeit und Verunsicherung aus. Es fällt mir nicht ein einziges Beispiel ein. Natürlich haben die Teilnehmer nach ihrem später folgenden Solo so einiges erzählt, was ich dem Feld der Phänomene zuschreiben würde: wenn Felsformationen zu Gestalten und Gesichtern werden oder merkwürdige Tierbegegnungen geschehen, die dann vom Protagonisten in seine Geschichte und sein Thema metaphorisch eingebaut werden, dann beeinflusst dies zumindest den persönlichen Prozess der Teilnehmer. Aber eine Situation, in der wir als Leitung uns von Phänomenen führen ließen?
Vielleicht rührt meine Beispiellosigkeit daher, dass der Begriff Phänomen so ein großes Wort ist und ich die kleinen Hinweise an unserem „Wegrand“ zwar als nützlich angenommen habe, aber nicht den Begriff Phänomen verwenden will, weil es im Allgemeinen zu spektakulär klingen könnte. Vielleicht kann man in diesem Kontext „Auffälligkeiten“ im weitesten Sinn auch dem Begriff Phänomen zuordnen, aber darüber gibt es ja einen anderen Beitrag in diesem Buch.
Tatsächlich erlebten wir eine partielle Sonnenfinsternis gleich zu Beginn unseres Wüstentrekkings. Wir wussten vorher davon, aber nicht, dass der Moment unseres Aufbruchs der gleiche wie jener der Finsternis sein würde. Dieses scheinbar „klassische“ Phänomen hatte aber mit unserem Prozess nichts zu tun. Auf dieser Ebene ist einfach nichts in Resonanz getreten und so haben wir auch nicht versucht, irgendetwas hineinzuinterpretieren. Es war einfach ein beeindruckendes Naturschauspiel, welches die Teilnehmer allenfalls für eine phänomenologisch achtsame Wahrnehmung (im oben erwähnten Sinne) sensibilisierte.
Da fällt mir ein, dass du mir einmal vom Leben und den Überlebensstrategien der noch heute existierenden Naskapi-Indianer erzählt hast. Ich habe in Erinnerung, dass sich diese Menschen an ihren Träumen orientieren, um an ausreichend Lebensmittel zu gelangen. Wie dogmatisch übersetzen sie die geträumten Bilder in ihre Tagesrealität? Was glaubst du, würde ein Naskapi unter Prozessorientierung verstehen?
Susanne: Schön, dass du dieses Beispiel ansprichst. Ich habe tatsächlich gerade heute an die Naskapi gedacht, weil ich in einem Seminar über Traumdeutung von ihnen erzählen möchte. Es handelt sich um einen Indianerstamm im Nordosten Kanadas, der über viele Jahrhunderte unter sehr unwirtlichen Bedingungen auf der Labrador-Halbinsel überlebt hat. Ihre Überlebensstrategie war – und das könnte man vermutlich von vielen Naturvölkern behaupten – völlige Prozessorientierung.
Sie pflegten eine innige Beziehung zu ihrem Mista‘peo, was man mit „großer innerer Mensch“ übersetzen könnte. Er sprach durch Träume oder Ereignisse in der Natur und konnte durch die Trommel, durch Lieder oder Tanz gerufen werden. Mista‘peo war nicht irgendeine abstrakte Idee, sondern eine vitale innere Instanz, die für ihr Überleben von größter Bedeutung war. Im Winter waren die Lebensumstände der Naskapi besonders hart. Die Temperaturen waren extrem streng, die Landschaft unwegsam und die
Karibu-Herden nicht immer in der Nähe. Wenn sie nicht mehr weiterwussten, riefen sie Mista‘peo mit der Trommel oder baten um einen Traum. Tatsächlich gibt es viele eindrückliche Beispiele dafür, wie wirksam dieser Dialog mit dem großen inneren Menschen sein kann und wie konkret und unmittelbar sie die Hinweise befolgten, die ihnen durch Zeichen oder Bilder übermittelt wurden. Eines davon will ich hier erzählen:
Der Schwiegervater von Cimon, ein Jäger von Lake St. John, hatte einen mächtigen Mista‘peo. Einst hielt er sich zusammen mit seiner Familie am nördlichen Ufer des Aschuapmouchouan-Flusses auf, zu einem Zeitpunkt im Frühling, als eben das Eis zu brechen begann. Sie kamen zu spät und konnten den Fluss nicht mehr zu Fuß überqueren. Sie hatten auch kein Kanu. Nachdem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, gab er sich in der Nacht ganz dem Singen und Wünschen hin. Nach kurzer Zeit blieb das Eis an einer bestimmten Stelle des Ufers hängen und türmte sich zu einer Brücke von einem Ufer zum anderen auf, die sechs bis acht Fuß breit war. Sie war gerade breit genug, um ans andere Ufer zu gelangen. Ober- und unterhalb schäumte das angestaute Wasser. Nachdem sie am anderen Ufer angelangt waren, brach die Eisbrücke ein. (Speck)
Naturvölker, wie die Naskapi, sind der Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten hautnah ausgesetzt. Ihr Überleben war und ist davon abhängig, dass sie in einen vitalen Dialog mit Bäumen, Tieren, Steinen, Himmelskörpern eintreten und in Harmonie mit ihnen leben. Sie haben komplexe Formen der Anrufung entwickelt, um mit den geistigen Kräften der Natur in Kontakt zu treten und günstige Bedingungen zu erbitten; und sie wissen, dass sie die Zeichen, die sie erkennen, ernst nehmen müssen.
In unserem Kulturkreis haben wir gelernt, uns von der Natur abzugrenzen und uns vor ihren Bedingungen zu schützen. Wir haben sie entmystifiziert, indem wir ihre Gesetze erklären und sie uns zunutze machen können. Auch ist der rein physische Erhalt unseres Lebens nicht tagtäglich gegenwärtig und so haben wir uns an die Freiheit gewöhnt, unser Leben nach unseren Ideen und Wünschen zu planen und uns Ziele zu setzen, die über den existenziellen Erhalt hinausgehen. Dazu dienen uns Erfahrungswerte, vor allem aber auch ein kausaler Zugang zum Leben, der besagt: „Wenn ich A mache, dann kommt B dabei heraus.“