Kitabı oku: «transformers», sayfa 4
Natürlich kann Automatisierung keine zentrale Debatte über Nachhaltigkeit, die Schonung und den sinnstiftenden Einsatz von Mitarbeitenden ersetzen. Man kann soziale Probleme letztendlich nicht mit Technik lösen. Aber Digitalisierung kann einen Anstoß geben und einen Baustein bilden in einem nachhaltigeren und achtsameren Betrieb. Das sind die Baustellen, die uns erwarten, wenn wir aus dem Pandemiechaos wieder in eine Form der Normalität gehen, die hoffentlich nie wieder so wird, wie sie vorher war. Ab hier kann es nur besser werden.
3 https://12.re-publica.de/panel/theater-inter-action/index.html
5 https://www.thalia-theater.de/uploads/Theatercamp,%20Social%20Media%20und%20Theater.pdf
6 https://www.boell.de/de/theater-und-netz
11 https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/twitter-theater-woche-a-938050.html
12 https://www.nmz.de/kiz/nachrichten/buehnenverein-strebt-kulturwandel-an-jahrestagung-in-luebeck
13 https://www.theaterderzeit.de/2020/10/38931/
NOTATION_SFBODIES 05‘11~
NOTATION_SFBODIES 09‘30~
nicola bramkamp
save the world with this melody?
wie wir theater und nachhaltigkeit zusammendenken können
Bei der ersten Ausgabe unseres „Art meets Science“-Festivals SAVE THE WORLD kam die Singer-Songwriterin Bernadette LaHengst freudestrahlend auf mich zu. Sie hätte ihn geschrieben: den ultimativen Weltrettungssong. Jetzt könnte doch nichts mehr schiefgehen, sagte sie ironisch grinsend, mit diesem Hit hätte unsere Erde doch noch eine realistische Chance, nicht unterzugehen.
Als wir 2014 Künstler*innen und Wissenschaftler*innen zusammenbrachten, um gemeinsam die drängenden Zukunftsfragen wie Klimawandel, Welthunger, Nachhaltigkeit und Biodiversität zu erforschen, war die Vision klar. Wir wollten – orientiert und inspiriert von den Nachhaltigkeitszielen der UN – mit den Mitteln der Kunst eine breite Öffentlichkeit für globale Zusammenhänge und komplexe Inhalte begeistern. Wir wollten aufklären, spielerisch und lustvoll vermitteln, was die Welt im Innersten – in Atem hält.
Art meets Science – a perfect match!
Als Theatermacher*innen haben wir ja häufig wenig Zeit, um uns intensiv mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen. Schnell springen wir von Projekt zu Projekt, von Thema zu Thema, und auf der Strecke bleibt die inhaltliche, auf Fakten basierte Recherche, der deep dive. Wissenschaftler*innen hingegen mahnten schon seit Jahren, dass wir auf eine Klimakatastrophe zusteuern, aber niemand hörte ihnen zu. Weil sie – im Gegensatz zu uns – keine gute öffentliche Performance hinlegten. Zu spröde, zu dröge, zu apokalyptisch waren ihre Erzählungen. Also kamen wir auf die Idee, beide Welten miteinander zu verknüpfen, wir matchten Expert*innen mit Künstler*innen und gaben ihnen Zeit, Geld und einen Raum, um gemeinsam eine Performance zu entwickeln.
Seit 2014 entstehen so regelmäßig künstlerische Formate der Wissensvermittlung. Was als jährliches Festival begann, ist mittlerweile eine internationale Initiative, ein Netzwerk von renommierten Expert*innen und Künstler*innen, die sich dem Thema Nachhaltigkeit widmen.
In diesem Kontext entstand der Song „Save the World With This Melody“ in Ko-Kreation von Bernadette LaHengst und Nick Nuttall, dem damaligen Pressesprecher des UN-Klimasekretariats (UNFCCC). Er war Teil eines theatralen Parcours, an dem noch andere Tandems mitwirkten. Choreograf Jochen Roller zum Beispiel schickte gemeinsam mit Dr. Aline Kühl-Stenzel, der Landtierbeauftragten des UN-Umweltprogramms (UNEP) die Zuschauer auf eine halsbrecherische Zugvögel-Reise, Patrick Wengenroth inszenierte mit Prof. Dr. Jakob Rhyner (Direktor des Instituts für Umwelt der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS)) in der Hauptrolle Becketts Endspiel, und die Puppenspielerin Suse Wächter brachte niemand Geringeren als Gott und Dr. Michael Kühn von der Welthungerhilfe in einen Dialog. Dies sind nur einige Beispiele vielzähliger Projekte, die wir bis heute initiieren und kuratieren.
Und Bernadettes Plan funktionierte tatsächlich: Als das Publikum am Ende eines erlebnisreichen, informativen und inspirierenden Abends zusammenkam und gemeinsam den Weltrettungssong schmetterte, da hatte man tatsächlich dieses erhabene Gefühl von Gemeinschaft. Die Erkenntnis, jetzt wirklich etwas tun zu wollen, eine Idee, wie das gehen könnte, und das Bewusstsein: you are not alone. Aristoteles, der alte Wirkungsästhetiker, behielt mal wieder recht: Theater entfaltet von Zeit zu Zeit eine starke, kathartische Wirkung. Und das ist ja immerhin ein guter Anfang für eine Weltrettungsmission.
Kann Kunst also die Welt retten?
Natürlich nicht. Aber sie kann – ganz im Sinne einer moralischen Anstalt – ein Mittel sein, das inhaltlich aufklärt und emotional betrifft. Und den Zuschauer gegebenenfalls zu einem besseren Menschen macht. Diese Schiller’sche Maxime ist in unserer Branche ja gerade ein wenig aus der Mode gekommen.
From empathy to action
In Bezug auf die Klimakatastrophe wissen wir, dass aktives Handeln von uns allen erforderlich ist, um eine Erderwärmung zu vermeiden. Aber wie hängen Katharsis und aktives Handeln zusammen? Wir wissen, nicht nur von Aristoteles und Schiller, sondern auch aus der Sozialforschung, dass der Mensch dann handelt, wenn er emotional involviert ist. Als Theatermacher*innen können wir beim Publikum Emotionen erzeugen: Wut, Trauer, Mitgefühl, Langeweile, Humor – die Bandbreite der künstlich herbeigeführten Reaktionen ist lang. Wieso setzen wir unsere Qualifikation nicht dafür ein, unser Publikum zum Umdenken und Handeln zu animieren? Weil die Gefahr eines moralischen Zeigefingers besteht? Weil man nicht oberlehrerhaft auftreten will?
Wenn die Moral nicht bieder und bigott daherkommt, kann sie sehr effektiv sein. Greta Thunberg als Jeanne D’Arc der Klimakatastrophe zeigt das eindrücklich.
Wie können wir die dramatischen Veränderungen, die auf uns zukommen, so erzählen, dass sie uns nicht von vornherein Angst machen und lähmen? Wie können wir die apokalyptischen Erzählungen der Klimawissenschaft in utopische Botschaften umdeuten?
Obwohl das Theater seit seiner Entstehung von fast nichts anderem als von Krisen und Katastrophen handelt, tun wir uns schwer damit, die richtigen Narrative für die Klimakatastrophe zu finden. Das liegt daran, sagt die Wiener Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Eva Horn, „weil die Klimakrise ein sehr seltsamer Typ von Katastrophe ist, nämlich eine ohne großen Knall“. Unsere Umwelt ändert sich sehr langsam, fast unmerklich und trotzdem sehr tiefgreifend. Obwohl die Klimaforscher hervorragende Arbeit leisten, können wir uns die Veränderungen nicht richtig vorstellen. Die Klimakrise ist eine Krise der Vorstellungskraft.
Künstler*innen wie Katie Mitchell, Rimini Protokoll, Kris Verdonck, Anne Dukhee Jordan, Anna Mendelssohn, Alexander Giesche, das PENG! Kollektiv, Thomas Köck, Tobias Rausch und viele andere zeigen in ihren Arbeiten, dass man diese merkwürdige Krise künstlerisch darstellen kann. Mithilfe von Dokumentation, Provokation, Identifikation entwerfen sie alternative, utopische Entwürfe, bedienen sich emanzipatorischer, kreativer und transformativer Praktiken, modellieren, konstruieren, nehmen Perspektivwechsel vor.
Theater klimaneutral?
Aber müssen wir – um glaubwürdig zu sein – nicht noch einen Schritt weitergehen? Die ästhetische und inhaltliche Auseinandersetzung auf der Bühne ist wichtig, aber auch die Haltung und der gesamte Prozess dahinter gehören mit in das Paket, und zwar unter sozialen, ökonomischen und ökologischen Aspekten.
Klar ist, dass unsere Gesellschaft in Gänze klimaneutral werden muss, und das möglichst bis 2035. Diese Messlatte kann kein Sektor unterlaufen, auch nicht die Kultur. Allein der jährliche CO2-Ausstoß der Stiftung Preußischer Kulturbesitz entspricht mit 30.000 Tonnen etwa sechs Prozent des Jahresverbrauchs von Osttimor oder Burundi.
„Practice what you Preach“ ist daher die Losung der Stunde. Denn gemessen werden wir nicht nur an dem, was wir auf der Bühne predigen, sondern auch an dem, wie wir uns hinter den Kulissen verhalten.
Das Bewusstsein und die Sensibilität dafür nehmen stark zu. Die Theater befinden sich erst am Anfang eines Transformationsprozesses, der neben einer Strukturreform auch zu neuen Formensprachen und Ästhetiken führen wird. Kunst muss Grenzen überschreiten dürfen. Aber Kunst muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob es z. B. notwendig und sinnvoll ist, mit einem Bühnenbild aus riesigen, transparenten und extra gefertigten Plastikobjekten auf die Vermüllung der Meere anzuspielen. So geschehen bei den Salzburger Festspielen. Vor allem dann, wenn der Regisseur Peter Sellars anlässlich seiner Idomeneo-Inszenierung in der Eröffnungsrede explizit die Klimakatastrophe anspricht. Auch wir von SAVE THE WORLD haben erst spät angefangen, unsere eigenen Produktionsprozesse zu hinterfragen.
Das Regiekollektiv Rimini Protokoll musste sich ebenfalls der Frage stellen, ob seine CO2-Bilanz bei der herausragenden Inszenierung Welt-Klimakonferenz am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg dem Thema angemessen war. In ihrem Planspiel von 2015 schicken die drei Theatermacher*innen das Publikum als Delegierte in den Dialog. Die Zuschauer wurden zu Abgeordneten eines Landes erklärt und konnten in dieser fiktiven Rolle an der Weltklimakonferenz teilnehmen und deren Ergebnis aktiv mitgestalten. Als afrikanische Delegation bekam man z. B. sehr eindringlich vermittelt, wie die zunehmende Hitze und der Wassermangel das Leben auf dem Kontinent erschweren. Man lag unter einer riesigen, der Sonne nachempfundenen Scheinwerfer-Konstruktion, und der Schweiß lief einem buchstäblich den Rücken hinunter. Das Dilemma des globalen Südens, als Opfer der Klimaerwärmung massiv betroffen und gleichzeitig als geringer CO2-Immitent nicht schuld an der Misere zu sein, hatte man nie deutlicher vor Augen. Und trotzdem bleibt die Frage, ob der Stromverbrauch dieser Sonne zur Verdeutlichung des Themas angemessen war.
Vielleicht muss manchmal künstlerisch etwas, nicht dem Ideal Entsprechendes getan werden, um speziell darauf hinzuweisen? Vielleicht muss aber auch genau darauf verzichtet werden. Wie lösen wir dieses Dilemma? Die künstlerische Leiterin des weltweit ersten klimaneutralen Arcola Theaters in London, Feimatta Conteh, rät uns: „Don’t let perfect get in the way of good“.
Es ist notwendig, nicht vor den gestellten Aufgaben zu kapitulieren, sondern frisch und energetisch unsere Produktionsprozesse zu überdenken. Das ist ein anstrengender, komplexer Vorgang. Aber: Wir stehen nicht allein vor dieser Herausforderung. Die gesamte Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und auch unser Privatleben sind davon betroffen. Und da ich davon ausgehe, dass wir als kreative Menschen besonders gute Lösungen erarbeiten werden, nützt kein Jammern, nur das Ärmel-Hochkrempeln.
Was brauchen wir für die Transformationsprozesse? Art meets Science!
Wir müssen uns den Raum für Reflexion nehmen und unsere Arbeitsprozesse entschleunigen. Wir brauchen wissenschaftliche Begleitung bei diesem Prozess. Vielfach fehlt es an Zahlen, Daten, Fakten. Eine Möglichkeit wäre die Implementierung von Forschungsprojekten in den Theatern, wie es Sabina Dhein, Rektorin der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bei der Konferenz „Burning Issues Meets Kampnagel“ 2020 vorgeschlagen hat. Wenn wir neue Fragen stellen wollen, statt Lösungen für alte Probleme zu finden, müssen wir die begonnenen Prozesse analysieren, dokumentieren und evaluieren. Das kann kein System alleine leisten. Dafür braucht es Austausch, Dialog, künstlerische Forschung und widerständige Praxis. Viele Mikrorevolutionen haben schon begonnen. Es gilt, diese Erkenntnisse zu bündeln und auch global zu schauen, was es für Best-Practice-Beispiele gibt und wie wir diese adaptieren können.
Aber nicht nur die Kulturschaffenden oder das Publikum müssen sich überlegen, was uns Klimaschutz im Kulturbetrieb wert ist, sondern auch die staatliche Kulturpolitik.
Der Arts Council in England z. B. ist der Überzeugung, dass Kultureinrichtungen eine wichtige Rolle bei der Stärkung des Umweltbewusstseins in der Gesellschaft zukommen. Er entscheidet anhand von festgeschriebenen Kriterien über die Vergabe öffentlicher Gelder zur Förderung von Kultureinrichtungen. Seit 2012 zählt die Nachhaltigkeit einer Organisation zu den Förderungskriterien. Die Auflagen des Arts Council England haben dazu geführt, dass der Energieverbrauch im Kultursektor gegenüber 1990 um 23 Prozent gesenkt werden konnte.
Ebenfalls wichtig, um eine Reduzierung des Energieverbrauchs bei öffentlich subventionierten Betrieben herbeizuführen, ist die Transparenz. In Schweden sind Staatsbetriebe seit 2008 dazu verpflichtet, eine jährliche Berichterstattung zu ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten vorzunehmen. Das hierdurch bewirkte Umdenken sowie der öffentliche Druck führen zu einer strukturellen Umgestaltung der Kulturbetriebe, die wir auch in unserem Land dringend benötigen.
Kultur spielt eine große Rolle in der Sinngebung von Transformation, so formulierte es der Klimaforscher Prof. Schellnhuber. Wir können mit unseren performativen Mitteln einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Aufklärung leisten. Wie gehen wir mit dem Konflikt zwischen der Freiheit der Kunst und dem ökologischen Fußabdruck um?
Können wir also mit Kunst die Welt retten?
Vielleicht nicht. Aber wir können zumindest unsere Kunstform dafür nutzen, eine andere, bessere Welt zu imaginieren. Und so zumindest die Krise der Vorstellungskraft überwinden. Und am Ende versuchen, uns selbst daran zu messen.
„das ist alles von der kunstfreiheit gedeckt …“
über die ästhetik der klimakrise, punkrockmusicals bei amazon, komplexe dilemmata und flugscham
NICOLA BRAMKAMP im Gespräch mit HELGARD HAUG (RIMINI PROTOKOLL), JEAN PETERS (PENG!), ALEXANDER GIESCHE und ANTA HELENA RECKE.
Als Dramaturgin und Kuratorin Nicola Bramkamp diese Runde zusammenbringt, stellt sich aufgrund von Corona zumindest nicht die Frage, ob das Treffen physisch oder per Video stattfindet. Diese versammelten Künstler*innen wissen, wovon sie sprechen, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht: Rimini Protokoll arbeiten seit Jahren zum Thema Theater und Klima; ihre interaktive Inszenierung Welt-Klimakonferenz ist eine der relevantesten Auseinandersetzungen mit der politischen Komplexität dieser gesellschaftlichen Herausforderung. Alexander Giesche, dessen Visual Poems in sinnlicher, assoziativer Weise Themen reflektieren, erschuf in Der Mensch erscheint im Holozän beeindruckende Bilder zur aktuellen gesellschaftlichen Stimmung. Anta Helena Recke öffnet in ihren Arbeiten Erfahrungsräume, lenkt den Blick auf das häufig Verdrängte, so eindringlich geschehen bei Die Kränkungen der Menschheit. Und Jean Peters vom PENG! Kollektiv gelingt es immer wieder, durch Provokation, Fake und gekonnte Inszenierung der Wirklichkeit politischen Aktivismus mit künstlerischen Mitteln zu verbinden. Und so eine nachhaltige Debatte über die großen Fragen der Zeit anzustoßen.
NB:
Die Debatte Theater und Nachhaltigkeit ist in vollem Gange. Anfang April gab es beispielsweise eine große Klimawerkstatt der Bundeskulturstiftung, an der sich Theatermacher*innen aller Professionen beteiligt haben. Es ging um betriebsökologische Fragen, darum, wie die Theater als Institutionen nachhaltiger arbeiten können. Aktuell spreche ich mit Wissenschaftler*innen, Theaterleiter*innen, mit Dramaturg*innen, Technischen Direktor*innen und Kulturpolitiker*innen über das Thema, aber erstaunlich wenig mit Künstler*innen. Ich freue mich deshalb sehr, heute mit euch darüber ins Gespräch zu kommen, wie man der Klimakrise künstlerisch begegnen kann. Ich würde gerne mit einer persönlichen Frage anfangen: Was bedeutet die Klimakrise für euch privat? Was für Gefühle löst sie aus, und was für Konsequenzen zieht ihr daraus? Fliegt ihr zum Beispiel noch mit dem Flugzeug?
AHR:
Ich fliege noch, und ich schäme mich natürlich jedes Mal – ein gelebter Widerspruch.
HH:
Man muss da ganz klar vor und nach Corona unterscheiden, in den letzten zwölf Monaten bin ich fast überhaupt nicht geflogen. Aber normalerweise fliege ich natürlich beruflich. Wir arbeiten international und haben viele Projekte in dieser „easy jet-Mentalität“ geplant, also schnell hin, dann eine kurze intensive Zeit vor Ort arbeiten, Sachen mitnehmen, weiterziehen, wieder zurückkommen. Und das ist natürlich schon mit dem Wissen um die ökologische Katastrophe geschehen, mit Flugscham im Gepäck. Nichtsdestotrotz haben wir aber längst angefangen, nach Alternativen zu gucken. Das ist eine Abwägungsfrage: Wie viel Zeit kannst du investieren, und welche anderen alternativen Reisemöglichkeiten gibt es? Werden die höheren Kosten übernommen? Das muss man jedes Mal abwägen.
AG:
Ich habe mich für das Modell Hausregisseur in Zürich unter anderem deshalb entschieden, weil ich so fünf Jahre an einem Ort sein kann. Und seitdem, also auch schon vor Corona, bin ich überhaupt nicht mehr geflogen, mache alle Reisen innerhalb des deutschsprachigen Raums mit dem Zug. Das ist natürlich eine Entschleunigung. Seitdem ich in Zürich bin, esse ich auch kein Fleisch mehr.
Im Theateralltag ist das natürlich nicht ganz so leicht. Als wir mit Der Mensch erscheint im Holozän zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen waren, war uns klar, dass die ganze Mannschaft mit dem Zug hinfährt, inklusive der Techniker*innen. Das war aber ein richtig großer Kostenmehraufwand, eine richtige Entschleunigungsentscheidung, auch für das Haus, weil dann vor Ort ganz viele Sachen nicht passieren können, das Theater stillsteht. Das wäre lustigerweise auch nur wegen Corona gegangen, weil sowieso nicht so viel gemacht werden konnte … am Ende war die Reise dann aber sogar überhaupt nicht möglich.
JP:
Das mit den Dienstreisen ist ein wichtiger Punkt. Es hat einen großen Effekt, wenn man eingeladen wird und man sagt zu, kommt aber mit dem Zug. Das sind dann – z. B. beim Goethe Institut – schnell mal zwei Tage Zugfahrt, sodass die dann sagen: Das ist viel zu teuer, das hatten wir jetzt nicht eingerechnet, sorry. Oft merken die Institutionen dann aber, dass das moralisch gar nicht geht und versuchen, die Zugfahrt dann irgendwie doch zu realisieren. Ich flieg aber auch noch, würde bei dem Thema ungerne zu sehr auf das Individuelle gucken, schließlich ist es ja ein strukturelles Problem. Der ökologische Fußabdruck und diese ganze Verzichtsrhetorik zerstreuen die Verantwortung auf die Individuen, statt auf Wirtschaft und Politik zu schauen. Und dann schlägt die Scham schnell in Trotz oder Stolz um, das ist gefährlich. Viel besser ist: Wut! Wut darüber, dass wir weniger Fleisch essen sollen, weniger fliegen sollen, egal, wie prekär wir sind, das alles individuell abfedern sollen, bevor wir auch nur ein Mal darüber nachdenken, an den wirtschaftlichen Strukturen zu rühren. Das führt bei mir zu Wut. Wut auf dieses Abwälzen der politischen Verantwortung auf die Individuen. Und Wut auf die Menschen, die die Dringlichkeit immer noch nicht gerafft haben.
HH:
Ja, diese Rhetorik zerstreut und beruhigt, das stimmt. Nach dem Motto: Super, ich bin mit dem Zug gefahren und habe die Welt ein bisschen gerettet – dann kann’s ja jetzt weitergehen. … Man muss sich sowohl selbst überprüfen als auch strukturelle Punkte verändern. Da kommt die Politik ins Spiel. Die Klimaziele, die vereinbart wurden: Wo werden die eingehalten, und wer überprüft das und woran? Wie viel mehr müsste radikal politisch verändert werden?
JP:
Ich würde noch einen Schritt weiter gehen, Helgard. Die Verantwortung wird auf das Individuum geschoben, d. h. du musst immer wieder entscheiden: Hab ich die Kapazitäten? Kann ich es mir leisten, zwei Tage lang mit dem Zug zu fahren? Das ist ja ein krasser Luxus in einer Arbeitswelt, in der man hustlen muss, die ganze Zeit. Oder beim Thema Fairtrade: Will ich eine grüne Banane, die Fairtrade ist, die teurer ist, oder will ich einfach eine Chiquita kaufen, die irgendwie auch geil klingt. Das muss dann hunderttausendfach individuell jeden Tag neu verhandelt werden. Nicht ein Mal, bums: Die sozial-ökologische Ausbeutung ist jetzt verboten, sondern Tausende Male, jeden Tag, für jede*n Einzelne*n. Sonst funktioniert die lähmende Hand des Marktes einfach weiter.
NB:
Ihr beim Peng! Kollektiv versucht, mit euren Aktionen konkrete politische Missstände aufzudecken und etwas zu verändern. In deinem Buch Wenn die Hoffnung stirbt, geht’s trotzdem weiter. Geschichten aus dem Subversiven Widerstand gibst du z. B. strategische Anweisungen, wie man sich organisieren kann, wie man konkret handeln kann. Würdest du sagen, dass das noch Kunst ist, was ihr macht?
JP:
Das ist mir egal. Es kommt auf die Perspektive an. Viele Künstler*innen sagen: Das ist doch keine Kunst. Und viele Journalist*innen sagen: Das ist doch kein Journalismus, wenn ihr da was recherchiert. Solche Sichtweisen sind, glaube ich, stark gespickt von Eitelkeiten, denen ich mich eigentlich gerne entziehen würde. Ich glaube, dass es mittlerweile sehr klar vor unseren Augen steht, dass wir einen radikalen Bruch brauchen. Dass wir ein Denken brauchen, abseits vom engstirnigen ökonomischen Handeln unserer Zeit. Da kann Kunst helfen, neue Perspektiven zu eröffnen. Und Kunst kann auch juristische Reaktionen provozieren, sobald man Grenzen überschreitet, interveniert, um Wandel einzuleiten. Das ist dann – wie es bei Danger Dan heißt – alles von der Kunstfreiheit gedeckt. Aber letztlich geht es mir nicht darum, die Welt irgendwie zu retten, sondern um einen konkreten und radikalen Umbau des ökonomischen und kulturellen Systems.
NB:
Wie ist das bei euch anderen? Was für künstlerische Mittel nutzt ihr, um aktiv zu werden? Habt ihr das Gefühl, dass ihr mit Inszenierungen, die sich mit dem Thema Klimawandel beschäftigen, etwas erreicht? Ist das überhaupt Sinn und Zweck eurer Auseinandersetzung, oder geht es mehr um eine individuelle Verarbeitung von etwas, das einen umtreibt?
AHR:
Die individuelle Konsumentscheidung als Gegensatz zu einer politischen Umwälzung: Das kann wirklich nicht die Lösung sein. Und trotzdem will ich mich auch noch nicht ganz verabschieden von der Arbeit am Selbst, von einer Arbeit, die doch immer im direkten Zusammenhang mit politischer Willensbildung steht. Letztendlich ist doch so etwas wie Nachfrage zusammengesetzt aus den vielen einzelnen Begehrlichkeiten der Subjekte. Daher bin ich mir einfach nicht sicher, ob es zielführend ist, das Battlefield der Individualität so komplett zu verlassen. Wenn wir Politik und Gesellschaft mit Kunst zusammenbringen, dann interessiere ich mich sehr für die Wahrnehmung meines Publikums: Wie entstehen Widersprüche, Lücken, Diskrepanzen, z. B. zwischen Subjekten und Strukturen, zwischen Wissen und Handeln. Was passiert da eigentlich? Das in einer Aufführung zu untersuchen: Genau da liegt mein Interesse.
NB:
Alexander, wie ist es da bei dir? Der Mensch erscheint im Holozän triggert das Thema Klima thematisch, aber spricht es nicht explizit an. Was willst du mit deinen Inszenierungen politisch erreichen?
AG:
Na ja, erst mal will ich die Leute erreichen. Und wenn ich’s dadurch schaffe, dass deren Perspektive sich irgendwie verändert, ist das doch klasse. Ich sehe das ähnlich wie Anta: Ich glaube, was wir gerade in der jetzigen Krise merken, ist, wie wichtig jede*r Einzelne am Ende dann eben doch ist. Wie groß der Beitrag jede*r Einzelne*n zur Überwindung der Krise sein kann. Es stimmt: Im besten Falle ziehen die Regierungen noch mit. Aber wir haben auch als Einzelne die Kraft, uns für den Buchladen an der Ecke zu entscheiden und nicht für Amazon. Natürlich ist das ein homöopathisches Mittelchen, aber ein wichtiges. Das ist ein Prozess, der erst am Anfang steht. Ich suche eigentlich immer Themen, die mich berühren – in der Hoffnung, dass ich damit auch wieder Leute berühren kann. Meine Bühnenbildnerin und ich, wir wollten uns z. B. mit Naturphänomenen auseinandersetzen und sind für unsere Arbeit White Out – Begegnungen am Ende der Welt nach Island geflogen. White Out sollte eine Arbeit zum Anthropozän werden; 2017 war das. Aber interessanterweise sind wir in Reykjavik angekommen und haben sozusagen das Ende der Welt gesehen: Massentourismus, Globalisierung, Gentrifizierung. Es sieht dort aus wie in jeder anderen Metropole. Und da haben wir entschieden: So was machen wir nicht mehr. Wir versuchen, für die Arbeit einfach gar nicht mehr zu fliegen. Wir müssen echt was verändern an der eigenen Herangehensweise.
Bei Holozän ist es jedenfalls nicht so, dass wir uns schon im Vorfeld gesagt hätten, wir wollen ein Stück zur Klimakrise machen. Es ging eher darum, ein Stück über meinen Vater zu machen, der plötzlich abgehängt war, weil er kein Smartphone mehr hatte. Und es ging um digitale Demenz, das war der Plan. Aber gleichzeitig war ich von Anfang an getriggert vom Regen in Frischs Roman, dem Erdrutsch, und dachte: Dieses Buch hat viel mit dem Klima zu tun.
Schon bei der Vorgängerarbeit Colours of Hope hatten wir Greta Thunbergs erste große TV-Rede verwendet, die uns zu diesem Zeitpunkt ziemlich beeindruckt hat: Der Zuschauer schaut den Performer*innen dabei zu, wie sie sich dieses Video anschauen, und wird damit genau wie die Performer*innen zum rein passiven Betrachter.
Die große Frage, die mich seit Jahren umtreibt: Wie lange schauen wir noch zu? Deshalb spiele ich, glaub ich, auch mit so einer Langsamkeit und so einer Ruhe. Das ist für manche fast nicht auszuhalten; andere finden das wieder total toll, weil sie endlich den Raum haben, ins Meditieren über so ein Thema zu kommen, zu oszillieren, sich wieder zu sich selbst in Bezug zu setzen. Ich hatte nicht vor – und ich fand’s auch nicht hilfreich für den Abend – dass Holozän zu dem großen Klimakatastrophenstück gemacht wird. Dafür ist das Thema darin eigentlich nicht explizit genug. Aber es kommt vor und ist momentan einfach ein Thema, das extrem viele Leute verfolgt oder beschäftigt …
NB:
Wie lange schauen wir zu, das ist eine gute Frage. Jean hat sie eben eindeutig damit beantwortet zu sagen: Es reicht nicht, die Menschen individuell zu adressieren. Alexander und Anta, ihr habt von der individuellen Gestaltungskraft gesprochen. Helgard, ihr habt bei der Welt-Klimakonferenz 2015 mit Wissenschaftler*innen zusammengearbeitet. Was hatte das für einen Einfluss auf eure Arbeit? Diese Expert*innen geben ja durchaus konkrete Anweisungen bezüglich der Frage „Wie lange schauen wir zu“. Wie würdest du eure Arbeit in diesem Spannungsfeld zwischen politischem Appell und individueller Ansprache positionieren?
HH:
Ich finde es gefährlich, wenn man sich mit kleinen, wenn auch total wichtigen, Lösungen beruhigt. In der Summe ergeben viele kleine individuelle Aktionen auch einen Effekt, das ist klar – aber das ist nicht die Lösung: Das Problem ist zu groß. Wir haben 2008 ein Stück gemacht, das hieß Breaking News, und da hat Claus Kleber – der Anchor vom heute journal – bei einem Vorgespräch gesagt, er würde gerne jede Sendung mit der Nachricht eröffnen, dass die Klimakrise existent ist. Ich hab mir vorgestellt, wie großartig wäre das, wenn ein Nachrichtensprecher darauf bestehen würde, dass das, und zwar ab jetzt, für immer das Top-Thema Nr. 1 ist. Egal, welche Kriege toben, wo ein Flugzeug abstürzt, wie hoch die Arbeitslosenzahlen sind – wir setzten immer an erster Stelle dieses Thema, weil es einfach so groß ist und tatsächlich eine globale Auswirkung auf alle hat. Seitdem taucht das Thema in unseren Arbeiten in vielen verschiedenen Formen immer wieder auf. Aktuell in Die Konferenz der Abwesenden, bei der wir tatsächlich versuchen, ein anderes Modell zu schaffen, und versuchen, auf die Anwesenheit zu verzichten. Bei der Welt-Klimakonferenz ging es darum, erst mal erfahrbar zu machen, dass es überhaupt ein Dilemma gibt. Politisches Handeln beruht auf demokratischem Konsens, auf Kompromissen. Wenn wir sagen, wir steigen aus der Kohle aus, ist das erst einmal richtig, hat aber wahnsinnig komplexe Konsequenzen, die alle bedacht und bewertet werden müssen. So ist es bei der globalen Klimafrage auch, nur in einem viel größeren Maßstab. Alle Staaten der Welt müssen einen Konsens finden, der in den jeweiligen Ländern dann auch realistisch umgesetzt werden kann. In der Inszenierung schlüpfen die Zuschauer*innen in die Rollen von Länder-Delegierten und treffen auf Expert*innen, die sich auf spezifische Problemkonstellationen fokussieren. Wie ist die politische und wirtschaftliche Situation? Wie groß ist der Anteil der CO2-Emissionen? Wie sehr leidet man unter den Auswirkungen, obwohl man sie gleichzeitig selbst erzeugt? Man konnte Delegierter irgendeines Landes auf dieser Erde sein und mit anderen Gästen, d. h. mit anderen Länderdelegationen, zusammenkommen, sich austauschen und diskutieren. Man musste aber am Schluss auch eine Entscheidung treffen: Wie viel CO2 wird mein Land einsparen, in 20 Jahren, in 50 Jahren? Und zwar so, dass ich den Preis dafür zu Hause in meinem Land auch vertreten kann. Uns ging es dabei nicht darum, eine Lösung zu präsentieren. Sondern darum, die Komplexität abzubilden, die enorme Schwierigkeit auf die Bühne zu kriegen, ohne sie schrumpfen zu lassen oder mit schnellen Lösungen zu wedeln. Was ist die Weltklimakonferenz für ein diplomatischer Trapezakt! Das Gegenmodell zu Greta, die streikt und sagt: Ist doch ganz simpel, ihr müsst aufhören zu reden, ihr müsst handeln.