Kitabı oku: «transformers», sayfa 5

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NB: Ich fand die Arbeit sehr beeindruckend, weil es euch mit diesem partizipativen Ansatz gelungen ist, Komplexität erfahrbar zu machen. Man konnte spüren, wie anstrengend das Ringen der Welt um eine Lösung ist, die für alle Staaten funktionieren muss. Dass das nicht von heute auf morgen geht, ist klar. Aber reicht es heute noch, auf die Komplexität aufmerksam zu machen? Eure Inszenierung ist von 2015; Greta Thunberg sprach das erste Mal öffentlich 2018. Sind wir jetzt nicht eigentlich an einem anderen Punkt, der da lautet: Jetzt reicht’s aber mal?!

JP: Ich würde das nicht gegeneinanderstellen. Einerseits reicht es doch wirklich langsam mal mit der ganzen Empathie den Politiker*innen gegenüber. Das muss ich schon sagen, liebe Helgard. Wir haben das doch alle längst verstanden: Die Politik ist ein schwerer Job, ja. Aber deswegen jetzt einfach die UN zu besetzen, das wäre andererseits, glaube ich, ein simpler Kurzschluss. Lasst uns lieber über die Theaterlandschaft reden. Ich bin schon enttäuscht, traurig, ratlos, dass die Theater in der Corona-Zeit sehr viel Energie drauf verwenden, wie sie ihre Streams gut inszenieren können, und einfach weitermachen mit diesen Bretterbodeninszenierungen. Jetzt eben abgefilmt. Anstatt zu sagen: O. k., die Schauspieler*innen dürfen nicht mehr schauspielern, die Amazon-Warehouse-Arbeiter*innen müssen aber schon arbeiten –also: ab ins Warehouse, dort spielen und live streamen. Mit einem Punkrockmusical Amazon lahmlegen. Das wäre eine Intervention, die wäre gerade thematisch passend. Und die wäre sogar coronakonform, weil man ja dort sein darf, soll, muss. Das ist eine verpasste Chance. Ich glaub, es gibt ganz viele andere Orte, an denen sich Theater konzeptionell neu denken ließe. Ganz viele Kooperationen, die vielleicht sonst nicht üblich sind. Ganz viele Themen, die jetzt wichtig sind: Seien das die europäischen Grenzen oder die ganze postkoloniale Dimension. Aber da passiert auf der Mal-was-Tun-Seite definitiv zu wenig. Ich wünsche mir ein bisschen weniger Hamlet. Ich meine: Hamlet ist cool; ist auch bestimmt spannend, das noch mal gestreamt zu inszenieren. Aber vielleicht meldet sich nach diesem Interview ein Haus bei mir, um bei Amazon zu intervenieren!

HH: Nur kurz: Es ging mir nicht darum, Empathie für die Politiker*innen zu entwickeln, sondern präzise hinzuschauen und einen Vorgang zu verstehen. Auch das kann die Aufgabe von Theater sein. Die Welt auf die Bühne holen, sodass ich sie betrachten kann: in ihrer Komplexität.

NB: Ist das Betrachten von Komplexität am Ende nicht auch eine Frage der Zielgruppe? Wen erreiche ich mit meiner Kunst, wen erreiche ich mit meiner Intervention? Muss ich Theater anders denken, wenn ich es im subkulturellen Kontext mache oder für ein Abo-Publikum, weil ich da vielleicht ganz andere Hebel ansetze? Oder ist euch das egal?

JP: Will man was bewegen, hilft es nicht, darüber nachzudenken, wie man es dem Abo-Publikum recht macht oder wie man einen Theaterpreis gewinnt. Wenn wir jetzt über Dringlichkeiten reden, dann bitte: Ignoriert die alten Intendant*innen, die noch in diesen Kategorien von Zielgruppen denken!

NB: Ich persönlich bin ja eine Verfechterin des Theaters als moralischer Anstalt. Das ist zwar gerade nicht besonders en vogue. Aber ich finde die Idee attraktiv, dass wir es schaffen können, mit Kunst, mit Theater, Menschen emotional so zu erreichen, dass sie ihr Verhalten verändern. Schiller und Lessing gehen noch einen Schritt weiter und sind davon überzeugt, dass wir die Zuschauer*innen mithilfe des Theaters auch zu besseren Menschen erziehen könnten. Würdet ihr das unterschreiben, oder ist das der falsche Weg?

AHR: Ich habe per se nichts gegen Moral, würde aber den Gedanken der Erziehung ersetzen durch die Idee, dem Publikum auf Augenhöhe zu begegnen, nicht von oben herab zu predigen.

HH: Mir stellen sich beim Stichwort moralische Anstalt, ehrlich gesagt, die Nackenhaare auf. Das setzt ja voraus, dass wir es besser wissen als das Publikum. Ich vermute, im Publikum sitzen Leute, die viel mehr wissen als ich. Wenn es gut läuft, erarbeitet man sich ja etwas zusammen. Man stellt quasi ein Spielbrett auf und sagt: O. k., jetzt spielen und erleben wir etwas gemeinsam. Ich arbeite immer aus einem Defizit heraus. Wenn ich etwas nicht kapiere, dann ist das für mich ein guter Anlass, ein Projekt zu machen. Und bei dieser Reise nehmen wir die Zuschauer*innen mit. Wenn ich als Zuschauer*in merke: Ah jaja, klar, die wollen mir jetzt was verklickern, also … dann steig ich aus.

JP: Das unterschreibe ich 100-prozentig. Wir verkleiden uns als Waffenhändler*innen und sagen, das ist unsere Position! Ich gehe davon aus, dass sich die Menschen das sehr kritisch angucken und dann sagen: Wo stehe ich eigentlich diesbezüglich? Ist das nicht eine Art von postmoderner Moral? Ich kaue die Erkenntnis nicht vor, trotzdem öffne ich einen moralischen Raum.

AG: Ich seh das ähnlich. Meine Programmhefte bestehen meistens aus Fragen und nicht aus Antworten. Wer bin ich, dass ich so tue, als hätte ich’s irgendwie verstanden oder wär’ irgendwie besser, nur weil ich jetzt seit zwei Jahren nicht mehr fliege, das ist totaler Quatsch. Trotzdem: Ein riesengroßes Thema ist der Generationskonflikt, der auch das Theaterpublikum komplett verändert. Die Jugend, die mit den digitalen Medien groß geworden ist, tickt einfach anders als das Abo-Publikum. Ich verstehe mich daher eher als Simultanübersetzer zwischen zwei Generationen und zwischen zwei Welten. Moral interessiert mich einfach nicht so wirklich. Im besten Falle transportiert sich die Transformation anders.

NB: Vielleicht muss man da ein bisschen differenzieren. Ihr macht ganz unterschiedliche Projekte, habt ganz unterschiedliche ästhetische Ansätze. Helgard: Das, was du beschreibst, hat viel damit zu tun, dass ihr grundsätzlich das Prinzip der Mimesis ablehnt, dass ihr nicht Stellvertreter*innen auf die Bühne stellt, die Texte sprechen, die sie nicht selber gedacht haben, sondern dass bei euch Expert*innen auftreten, die für sich selbst stehen. Jean, bei euch ist es so, dass ihr die Mittel der Schauspielerei nutzt, aber die Bühnen verlasst, in der realen Welt aktiv seid, mit darstellerischen Mitteln. Und ihr, Anta und Alexander, arbeitet mit dem klassischen szenischen Apparat. Bei euch sprechen und spielen Schauspieler*innen Texte, und es kommt zu einer künstlerischen Verdichtung. Das sind ja drei ganz unterschiedliche Methoden und Ansätze. Deshalb habe ich euch heute auch in dieser Konstellation zusammengebracht. Ich würde gerne ausloten, worin die Qualität der jeweiligen Ästhetik besteht, mit welchem Ansatz ihr was beim Publikum bewirkt – in Bezug auf die Klimakrise.

AHR: Ich bin extrem weit davon entfernt – und hoffe, ehrlich gesagt, es zu bleiben– sagen zu können: Das ist meine Ästhetik, so sieht die aus – und dann weiß jeder, was gemeint ist. Ich will in Bewegung bleiben, immer.

AG: Beim Visual Poem schaut man lange hin, sehr assoziativ. Es ist ein Spiel mit den Theatermitteln, ein Ausloten, was mit diesen Mitteln möglich ist. Es spielt mit den Sehgewohnheiten, die man über Jahrzehnte im klassischen Theater gelernt hat, und fügt subtile Verschiebungen ein. Zum Beispiel die Langsamkeit: Ein Aspekt der gegenwärtigen Klimakatastrophe ist ja ihre Dauer, die messbar ist, aber immer erst dann wahrnehmbar wird, wenn es schon zu spät ist. Mir geht’s gar nicht darum, den Leuten zu sagen: Jaja, wir schaffen das. Wahrscheinlich ist es dafür fast zu spät. Ich finde, wir müssen darauf schauen, wie wir miteinander umgehen, wie wir aufeinander aufpassen und wie wir uns an der Hand durch diese Zeiten führen. Aktuell probe ich an der Nachfolgearbeit zum Holozän, die ich auf keinen Fall für den Stream denken wollte. Deshalb findet sie in kompletter Dunkelheit statt. Da kann kein Intendant sagen: Das müssen wir filmen. Wir haben uns ein Bild von Greta Thunberg geklaut: The House is on Fire; wir haben Nebelmaschinen unter dem Bühnenboden; die Podesterie ist ausgebaut. Das Publikum sitzt im Kreis, es nebelt durch die Ritzen, und die Schauspieler sind alle Feuerwehrmänner oder Feuerwehrfrauen … Keine Ahnung, wohin das führt. Ich kann das immer erst im Nachhinein betrachten, folge da meinem Bauchgefühl, meiner Intuition, und im besten Falle kommuniziert die Arbeit dann irgendwie mit dem Publikum.

JP: Wir machen unsere Schauspieler*innen ungefragt zu Schauspieler*innen. Geheimdienstmitarbeiter*innen werden plötzlich Schauspieler*innen, weil sie mit unserem Publikum telefonieren. Waffenhändler*innen befinden sich plötzlich auf einer Bühne und bekommen einen Friedenspreis. Die dachten, das sei ein echter Friedenspreis, und dann finden sie sich plötzlich im Theaterkontext wieder. Ich bin sehr vorsichtig, Ästhetik zu sehr mit Politik vermischen zu wollen. Das ist schon mal beträchtlich schiefgegangen in Deutschland. Die Frage ist eher: Was haben wir für eine hegemoniale Ästhetik? Die ganzen Start-ups, Unternehmen, PR-Agenturen, wie kommunizieren die? Das hat eine Kraft, und die klauen wir. Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Dramaturg*innen und fitte Leute haben, die uns dabei noch mehr helfen. Denn da geht noch einiges, glaube ich. Mich interessieren die machtvollen ästhetischen Bildwelten, die Marketingperformance: die zu imitieren und diese Sehgewohnheiten, die sehr dominant sind, zu nutzen. Genau da will ich intervenieren und die Inhalte verschieben.

HH: Ein Motor unserer Arbeiten ist die Frage „Was wäre, wenn?“. Was wäre, wenn Bürger*innen ihre gewählten Politiker*innen im verlassenen Bonner Plenarsaal live reenacten, also ihre Reden nachsprechen? Was wäre, wenn wir eine Hauptversammlung zum Theaterstück erklären? Es geht uns darum, Vorzeichen zu verändern, in verschiedene Richtungen. Ein anderer Motor ist, Komplexität erfahrbar zu machen – also verschiedene Positionen zu einem Thema innerhalb eines Projekts abzubilden. Bei Situation Rooms, zum Beispiel, haben wir uns mit Waffenhandel auseinandergesetzt. Alle sieben Minuten zog man eine andere Haut über: die eines Managers einer Waffenfabrik, die eines Kindersoldaten, die eines Friedensaktivisten, die eines Politikers usw. … Alle sind Teil dieses Problems – auch du! Da gibt es keinen kritischen Außenblick mehr. Das war eine immersive Installation. Ich finde es super spannend, die Logik, gemäß der andere Menschen agieren, zu begreifen.

NB: Aber ist es nicht ein Unterschied, ob man über Waffenhandel spricht oder über die Klimakrise, gerade auch aus einer ästhetischen Perspektive? Waffenhandel ist ziemlich konkret. Ich stelle mal – im Sinne der Kulturwissenschaftlerin Eva Horn – die These auf, dass die Klimakrise eine Krise der Vorstellungskraft ist. Die Krise kommt schleichend und ist schwer abbildbar. Ich begegne in der Auseinandersetzung bei SAVE THE WORLD seit 2014 vielen Wissenschaftler*innen und Expert*innen, die händeringend auf der Suche nach Menschen sind, die ihre komplexen Inhalte emotional und sinnlich transportieren. Das können im Idealfall auch Künstler*innen sein. Aber relativ wenige Künstler*innen finden einen ästhetischen Schlüssel, dieses komplexe Thema zu greifen.

HH: Das hat sich überholt, finde ich. Man muss ja nur mit dem Rad durch Brandenburg fahren und sieht überall die kaputten Wälder – eine Konsequenz des Klimawandels. Es ist doch eher so, wie Alexander es beschrieben hat: Wir leben auf einer Bühne, die vor sich hinschmort, ein permanenter Schwelbrand. Das hat doch mittlerweile der letzte Skeptiker vor Augen, auch wenn er auf sein Auto einen „Fuck-You-Greta-Sticker“ klebt.

AG: Ich glaub auch: Vorstellen können sich das alle. Aber die Frage ist dennoch: Wenn ich ein Stück mache, das sich damit beschäftigt, verbrauchen wir wieder diese Massen an Ressourcen, die feuerfest sein müssen, mit Chemikalien besprüht …

JP:… die Brandschutzbeauftragten, oh Gott! …

AG: … Genau! Deshalb hat man Respekt, sich völlig in den Dienst der Nachhaltigkeit zu stellen, weil man merkt, man wird handlungsunfähig. Selbstverständlich kann man sich dann immer noch einreden, dass man jeden Abend 400 Leute erreicht, die im besten Fall ihr Leben ändern. Aber bei White Out schneite es den ganzen Abend schwarzen Schnee, schwarzes Plastik. Die Technik hatte mir im Vorfeld aber nicht gesagt, dass das Material nicht wiederverwendet werden kann, weil da Schrauben drin sein könnten. Also wurde für jede Vorstellung wieder ein neues Plastik benutzt – ein Albtraum! Es muss immer effizienter werden im Betrieb: Bühnenbilder noch schneller aufgebaut, noch schneller abgebaut werden. Da kommt das Theater relativ schnell ans Ende seiner Möglichkeiten. Wie kann das Theater integer sein und nicht von der Bühne predigen, was es selbst nicht einhält? Dieser Teufelskreis ist gefährlich, allzu schnell kommen die Beteiligten an einen toten Punkt: Wir können ja eh nichts tun, also bleiben wir einfach bei den bestehenden Erfahrungsmustern und Abläufen. Genau die haben aber dazu geführt, dass der Theaterbetrieb sich hochgeschraubt hat und so viel verschwendet, wie er es aktuell tut.

JP: Die Frage ist gar nicht so sehr: Wie wollen wir die Klimakrise erlebbar machen, damit die Leute betroffen sind? Sondern viel mehr: Wie können wir soziale Kämpfe erlebbar machen? Wie können wir dem Publikum zeigen: Ein sozialer Kampf führt zu was!? So können die Leute etwas machen, etwas bewegen. Und plötzlich: „Ach, das Amazon Warehouse wurde lahmgelegt; ah krass, das ist ja abgefahren!“ Das geht, und ich bin eingeladen. Das empowert die Leute mehr als die Ohnmacht, die Alexander gerade beschrieben hat. Zynisch gesagt ist diese Energie auch ästhetisch total interessant: die Energie der sozialen Proteste, von Wut und Verzweiflung. Eine Vermischung von Realität und Fiktion ist am Ende auch immer Realität, insofern sie etwas bewirkt. Und doch bleibt sie künstlerisch relevant.

NB: Practice what you Preach: Davon hat Alexander gerade gesprochen. Müssen wir uns denn an unseren eigenen Maßstäben messen lassen? Dürfen wir noch Plastikschnee benutzen?

AHR: Wenn jemand fragt: Darf man? Dann muss man ganz klar sagen: Ja, man darf. Die Verbote, von denen so oft die Rede ist, die existieren in den meisten Fällen nicht. Wir dürfen fast alles, was wir wollen. Die richtige Frage ist: Was möchten wir tun und lassen?

HH: Wenn du, Alexander, vorher gewusst hättest, was es bedeutet, schwarzen Schnee auf der Bühne einzusetzen, hättest du es dann wirklich nicht gemacht?

NB: Gute Frage! Ich schließe noch ein Beispiel an: Jérôme Bel hat gesagt, er fliege nicht mehr. Das ist ein Impuls, für den er viel gelobt wurde. Dann hat der mexikanische Künstler Lazaro Gabino Rodriguez einen offenen Brief geschrieben und darin gefragt: Was ist mit den Künstler*innen aus dem globalen Süden, die nicht zur Klimakrise beigetragen haben, weil ihre Länder im Verhältnis zu den großen Industriestaaten viel weniger Emissionen produzieren? Sollen diese Künstler*innen jetzt auch alle nicht mehr reisen dürfen? Stellen wir damit das gesamte internationale Touringsystem infrage?

HH: Ich finde es gut, den Energieverbrauch für Touring auszurechnen. Sich das zu vergegenwärtigen, ist total wichtig. Auf dieser Grundlage müsste man dann aber schon auch in der Lage sein, bewusste Entscheidungen zu treffen. Und wenn es dann heißt: Ich will aber, dass dieses verdammte Stück in Australien gezeigt wird, dass das Bühnenbild in zwei gigantische Container auf ein Schiff geladen wird und ein ganzes Team ins Flugzeug steigt – ich will diesen ganzen Wahnsinn, das ist wichtig – dann macht es trotzdem, aber eben bewusst. Das auf die Waagschale zu legen, das ist, glaube ich, schon wichtig. Nur so wird man handlungsfähig.

JP: Zu der Frage „Practice what you Preach“: Heute können wir doch längst klimaneutrales Theater machen! Na klar können wir das, genauso wie wir längst auch ein antirassistisches Theater machen können, antisexistisches und antikapitalistisches Theater machen können. Diese Prozesse hängen an den Systemen, in denen diese Theater stecken. Und an den Intendant*innen, die diese Systeme leiten und ihre Veränderung wollen, oder nicht.

AHR: Wir stehen an einem Punkt, an dem es durchaus möglich wäre, sehr übergreifend, strukturell an staatlich geförderten Theatern einen Paradigmenwechsel einzuläuten. Wir könnten über unsere Bühnenbilder nachdenken, zu alternativen Baumaterialien wie Pilzen, Maisstärke oder Pappe forschen. Wie lassen sich grundsätzlich andere Lösungen finden? Ich glaube, das würde sich total lohnen. Warum machen wir das nicht, jetzt sofort? Warum üben wir keinen Druck aus, um einen geordneten Prozess der Transformation einzuläuten?

AG: Diese Transformation ist ein riesenhafter Prozess. Ich merke, wie schwierig es ist, alleine eine Theaterschreinerei davon zu überzeugen, die Möbel nur aus recyceltem Holz zu bauen. Der Prozess der Transformation braucht extrem viel Zeit, und auch großes Vertrauen. Ich versuche im Moment, dafür Strategien zu erarbeiten. Zum Beispiel: Ich brauche fünf neue Monitore auf der Bühne; wie schaffe ich es nun, das Haus dazu zu bringen, dass, wenn die Inszenierung mit den fünf Monitoren läuft, die Temperatur im Foyer um zwei Grad gesenkt wird? Einerseits, um als Energiesparmaßnahme die Heizung runterzudrehen – andererseits aber auch, um spürbar zu machen, dass zwei Grad Klimaerwärmung einen Unterschied machen! Ich sehe in solchen Interventionen Chancen. Aber wir brauchen für all diese Dinge noch einige Zeit.

HH: Da ist die Freie Szene den institutionellen Theatern weit voraus. Wir haben 2009 mit dem Künstlerkollektiv Kaltwasser/Köbberling ein Bühnenbild aus recycelten Messebauten von der ICC-Messe gemacht. Aber welcher Bühnenarbeiter würde nachts zur Messe fahren und altes Material abholen? Das macht man Kamikaze und voller Überzeugung. Die Frage ist doch: Wie kriegt man den Gedanken der Nachhaltigkeit und des Recyclings innerhalb der Betriebe implementiert?

NB: Der Zweck heiligt die Mittel – an dieser Frage kann man sich gut abarbeiten …

HH: Bei unserer neuen Produktion, der Konferenz der Abwesenden, reist niemand und nichts mehr. Nur noch ein Konzept, das dann mit dem lokalen Team, den Zuschauer*innen und aus den Ressourcen vor Ort zum Leben erweckt wird. Ein Versuch, es mal radikal anders zu machen. Wir schaffen uns bei diesem Stück praktisch selbst ab. Das ist natürlich schade, ich bin, ehrlich gesagt, immer wahnsinnig gern auf Gastspielreisen gefahren und möchte das auch nicht zum New Normal erklären, schon gar nicht für andere. Da verstehe ich die Kritik von Lazaro Gabino Rodriguez nur zu gut.

NB: Es ist und bleibt ein komplexes Thema. Die künstlerische Leiterin Feimatta Conteh des weltweit ersten CO 2 -neutralen Arcola Theatre hat gesagt: „Don’t let perfect get in the way of good.“ In diesem Sinne danke ich euch für eure Offenheit und euren Mut, sich künstlerisch mit dem Thema Theater und Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Vielen Dank für das Gespräch.


NOTATION_SFBODIES 23‘51~

katharina warda
wir, die unsichtbaren:

ostdeutsche of color zwischen marginalisierung und regimen der sichtbarkeit

Ich habe 36 Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass ich nicht allein bin. Vielleicht war ich es auch nie. Wer weiß das schon. Denn meine Leute sind die Unsichtbaren dieser Gesellschaft.

Was ich damit meine, wird anhand meiner Biografie klarer: 1985 werde ich in Wernigerode geboren. Meine Mutter ist weiße deutsche Fabrikarbeiterin, mein Vater Schwarzer südafrikanischer Student. Er ist über Mandelas ANC in die DDR gekommen, ein politischer Partner des sich als dezidiert anti-rassistisch verstehenden Staates. Der Staat, der Angela Davis als politische Ikone feiert. Das Land, dessen Bevölkerung sich bis heute erinnert, ihr eine Million Rosen auf Postkarten und Briefen geschickt zu haben, um ihren Freispruch aus der unrechtmäßigen Haft zu erwirken. Das Land, in das die Schwarze Feministin, Antifaschistin und Panafrikanistin Eslanda Goode Robeson und ihr Mann, der berühmte Musiker Paul Robeson aus Harlem, New York, für viele Jahre emigrierten, um auf Freunde wie den jüdischen Intellektuellen und Antifaschisten Franz Loeser zu treffen. Eines der wenigen westlichen Länder, das offiziell die Antiapartheid-Bewegung Südafrikas unterstützte und verfolgten Aktivist*innen Asyl gewährte. Es ist das Land, in dem sich aus diesem Grund meine Mutter und mein Vater kennen- und lieben lernten und in dem ich geboren wurde. Es ist aber auch das Land, unter dessen Bevölkerung die Beziehung meiner Eltern als interracial relationship nicht gern gesehen wird und daran auseinandergeht. Meinen Vater habe ich dadurch nie kennengelernt.

„Nicht gern gesehen“, so beschreibt es mir meine Mutter, wenn ich sie vorsichtig nach meinem Vater frage. „Nicht gern gesehen war die Beziehung“, ist das Einzige, was sie dazu sagen möchte. Eine vage Formulierung, die fast mein einziges Wissen über meinen Vater bis heute ausmacht. Mehr wissen sie selbst nicht mehr, beteuert sie patzig, wenn ich sie heute nach den alten Geschichten frage. „Nicht gern gesehen“, als hätte sie das damals wörtlich genommen und so internalisiert, bis selbst ihre Erinnerungen an die Beziehung und meinen Vater, einen Schwarzen Mann in der DDR, nicht mehr gesehen werden, unsichtbar wurden.

Diese Unsichtbarkeit ist ein wesentlicher Part von Rassismus allgemein. Gleichzeitig sehe ich ihn als bezeichnend für den Umgang mit People of Color (PoC) in der DDR. Die DDR als deutscher Teilstaat wurde als Konsequenz aus dem Sieg über den deutschen Faschismus gegründet. Der wiederum schloss sich nahtlos an die deutsche Kolonialgeschichte bzw. das koloniale Erbe an. Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde aus der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland die DDR, ein sogenannter sozialistischer deutscher Teilstaat gegenüber der kapitalistischen BRD auf der anderen Seite. Auch wenn die DDR in ihren Gründungsjahren einen gründlicheren Antifaschismus betrieb als die BRD und alte Nazis es hier anfangs schwerer hatten, sich in die Gesellschaft zu integrieren, wurde das faschistische wie auch das koloniale Erbe nie wirklich aufgearbeitet. Vielmehr wurde hier, im nun explizit antifaschistischen Land, Rassismus als nicht mehr existent erklärt, weil ihm nun der ideologische Boden fehle. Leider löst sich Rassismus, indem man ihn ignoriert, aber nicht einfach auf. So wurde er zu einem Teil der DDR, obwohl es ihn offiziell nicht gab. Ein Paradox, das sich auf verschiedenen Ebenen zeigt: Institutionell, zum Beispiel durch die staatliche Ausbeutung von Vertragsarbeiter*innen. Oder durch die alltägliche Separierung von zumeist Vertragsarbeiter*innen vom Rest der weißen Bevölkerung. Ein Phänomen, das zu mehr Unsichtbarkeit migrantischen Lebens führte und von vielen Betroffenen als Isolation beschrieben wird. Paulino Miguel, der selbst ursprünglich als Vertragsarbeiter in die DDR kam, beschreibt das in seiner Forschung als „doppelte Mauer“. Einerseits die Mauer als Grenze zwischen den beiden Deutschlands, DDR und BRD. Andererseits eine unsichtbare Grenze innerhalb der DDR-Bevölkerung zwischen weißer Bevölkerung und Migrant*innen bzw. PoC. Auch innerhalb der Bevölkerung setzt sich Rassismus fort, in Form von Unverständnis, Anfeindungen und Übergriffen bis hin zu tödlicher Gewalt. Beziehungen zwischen weißen DDR-Bürger*innen und Migrant*innen oder Bürger*innen of Color gelten häufig als unerwünscht und werden geradezu auseinandergetrieben, erzählen einige.

Auch meine Mutter deutet in ihren kurzen Erinnerungsfetzen über meinen Vater und deren Beziehung an, dass die Leiterin ihres Wohnheims geradezu dazwischengegangen sei. Sie habe Geschichten über meinen Vater verbreitet. Man wolle nicht, dass sie sich weiter sehen. Nach Erzählungen meiner Mutter habe das schlussendlich dazu geführt, dass die Beziehung auseinanderging und sie und mein Vater sich fortan wie Fremde in der Öffentlichkeit begegnen mussten. Sie sah ihn, sagt sie, aber sie sah ihn auch nicht mehr.

1989 blickt die DDR dennoch auf eine reiche, vielseitige und kontinuierliche Migrationsgeschichte zurück. Im Jahr des Mauerfalls leben neben den 380.000 sowjetischen Soldaten, die in Statistiken nicht mitgerechnet werden, da sie nicht zur DDR-Wohnbevölkerung zählen, insgesamt 192.000 Ausländer. Das ist gut ein Prozent der Bevölkerung. Darunter waren 90.000 Vertragsarbeiter*innen, von denen wiederum 60.000 aus Vietnam kamen und der Rest vor allem aus Angola, Mosambik und Kuba. Hinzu kamen nach staatlicher Statistik 40.000 Ehepartner*innen von DDR-Bürger*innen, die überwiegend aus Osteuropa stammten, 13.000 nichtdeutsche Studierende, Arbeitspendler*innen aus Polen und Ungarn und politische Emigranten beispielsweise aus Chile, Südafrika, Griechenland, Spanien, der Türkei und dem Iran sowie Künstler*innen wie der serbischstämmige Schauspieler Gojko Mitić, dessen Name bis heute Leuchten in Augen treibt und der nach wie vor als Filmikone gefeiert wird.

Diese Vielfalt änderte sich schlagartig mit dem Ende der DDR. Migration erfolgte in die Deutsche Demokratische Republik nicht individuell, sondern war stets an staatliche Verträge gebunden, die mit dem Ende des Staates ebenfalls endeten. Für viele Migrant*innen war die sich 1989 langsam ankündigende Wende mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus, unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen und erheblichen Existenzängsten verbunden. Keinesfalls unbegründet. Mit der Maueröffnung am 9. November 1989 und den Monaten danach minimierte sich die Zahl der Vertragsarbeiter*innen um fast 80 Prozent auf weniger als 20.000 Menschen, die wiederum nach der Wende die Ersten waren, die ihren Arbeits- und häufig auch Wohnplatz verloren. Internationale Studierende, wie zum Beispiel aus Nordkorea, mussten zum Teil das Land innerhalb weniger Stunden verlassen und verschwanden wie viele andere aus dem Blick ihrer Kommiliton*innen und aus der heutigen Wahrnehmung der DDR und Ostdeutschland. Die Unsichtbarkeit, die sie zum Teil in der DDR erleben, übersetzt sich, verstärkt sich in der heutigen Unsichtbarkeit der Migrationsgeschichte der DDR und der Alltagsgeschichte der DDR allgemein sowie im Irrglauben, der heutige Osten sei homogen weiß.

Ich hingegen bekomme damals von all dem gar nichts mit. Im Herbst 1989 bin ich fünf Jahre alt, bin Schlafkind im Kindergarten, mache erste Leseversuche in Bummi-Heften und träume davon, Pionierin zu werden. Dann wird die Mauer geöffnet, und mein Leben stellt sich wie für die Mehrheit der Ostdeutschen erst mal ganz positiv auf den Kopf.

In meiner Erinnerung klingt das in etwa so:

Und ab jetzt geht alles ganz schnell und mit viel Euphorie: Die Grenzen sind erstmals seit fast dreißig Jahren offen, das Land wird aus einem konsumarmen Tiefschlaf gerissen, neue Produkte überschwemmen das Stadtbild und meinen kindlichen Alltag. Ich esse das erste Mal Bifi und Fruchtzwerge, trinke Saft aus Tetrapacks und esse Eis aus Schokowaffeln, aus bunten Aluverpackungen und aus der Kühltruhe im Supermarkt. Der nun nicht mehr Konsum oder Kaufhalle heißt und nun bunt und prall gefüllt ist, jeden Tag der Woche. Ich gucke das erste Mal Werbung im TV und glaube ihr jedes Wort. Verliere mich in bunten Trickfilmen und Bim Bam Bino. Der Samowar im Kindergarten verstaubt und verliert an Glanz, genauso wie der sozialistische Bruderstaat, aus dem er stammt. Das kapitalistische Amerika ist nicht mehr Feind. Nein, nun Freund. Ich möchte Cindy heißen, Peggy oder Mandy, wie die coolen Kinder um mich herum. Ich möchte Coca Cola trinken und eines Tages nach New York. Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Eine Propaganda ersetzt die nächste. Die Welt steht nun offen, heißt es, und mit ihr ein neues Leben. Ein altes, nun endlich eingelöstes Heilsversprechen. Aber schnell, ganz schnell, möchte ich nichts mehr davon, sondern verschwinden. Nicht nach Amerika, nicht in die weite Welt, sondern in die Unsichtbarkeit.

Nach den ersten Jahren Euphorie und Konsum-Wonderland kommen die Jahre, die mir bis heute als „Wende“ in Erinnerung bleiben. Die Arbeitslosigkeit steigt enorm an, vor allem unter Frauen. Auch meine Mutter und mein Stiefvater sind betroffen. Ihre Fabrik schließt. Mein Stiefvater findet eine neue Anstellung als Mülllader. Meine Mutter arbeitet als Putzfrau für die Abfallwirtschaft. Als sie auch diese Arbeit verliert, schleppt sie sich von einer ABM zur nächsten und wird schließlich depressiv und langzeiterwerbslos. Auch an meinem Stiefvater gehen der soziale Abstieg, die Unsicherheit und Perspektivlosigkeit nicht spurlos vorbei. Er wird Alkoholiker und nimmt sich später das Leben. Für mich als Kind sind diese Wendejahre die Hölle. Ich wachse in existenzieller Unsicherheit und emotionaler Vernachlässigung auf. Zudem wird mir im TV gespiegelt, dass Lebensverläufe wie in meiner Familie nicht normal seien. Ostdeutsche, vor allem mit Abstiegserfahrungen, tauchen hier maximal als Witzfiguren auf. Dabei geht es in dieser Zeit vielen Ostdeutschen so oder ähnlich. Für viele sind die Wendejahre keine Erfolgsgeschichte. Erfahrungen, die damals nicht im Diskurs auftauchten oder mit Bezeichnungen wie „Jammerossi“ kleingeredet wurden und in meiner Erinnerung sich zum Beispiel so anhören:

1995 bin ich zehn Jahre alt. Jeden Tag nach der Schule gehe ich meiner einzigen Beschäftigung nach: fernsehen. Der kleine Farbfernseher in meinem Zimmer, einst Erziehungsmittel meiner Eltern, um mich ruhigzustellen, wird schnell mein Tor zur Welt. Stundenlang studiere ich die Welt da draußen in Trickfilmen, Nachrichten und Talkshows von Arabella bis Vera am Mittag. Ich lerne richtig und falsch, gut und böse und die scheinbar wichtigste Unterscheidung dieser Tage: normal und asozial. „Kinderreich, arbeitslos und ohne Perspektive, Tage aus Fernsehprogramm, Schnaps und ein ostdeutscher Dialekt“, das sind die Asozialen. Ich erkenne sie zum ersten Mal wieder: „Die Asozialen“, das sind auch wir, meine Familie, mein Umkreis, meine Heimat und somit auch ich. Ich bin „asozial“ und möchte vor Scham verschwinden.

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