Kitabı oku: «Kyla – Kriegerin der grünen Wasser», sayfa 3

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Das schien Kyla einleuchtend. Dennoch bezweifelte sie, dass man sie tatsächlich erkennen würde. Der Wächter am Stadttor hatte sie jedenfalls nicht auf Anhieb erkannt – sie schöpfte Hoffnung, dass Lopal übertrieb. Er sah sie aufmerksam an und hatte wohl das Wechselbad ihrer Gefühle erraten.

»Du möchtest das gar nicht, nicht wahr? Du bist hergekommen, weil du glaubtest, die Stadt in Ruhe und unerkannt entdecken zu können. Oder bist du hier gar mit einem Mann verabredet? Es gibt viele ansehnliche Männer in dieser Stadt, die zudem gebildet sind. Und hier ist mehr los, als rund um den Palast. Ich könnte es verstehen, wenn du hergekommen bist, um eine stürmische Romanze ohne die gesellschaftlichen Zwänge zu erleben.« Er zwinkerte ihr zu, und sein Gesicht errötete ein wenig bei diesem aufregenden Gedanken. Kyla wunderte sich ein wenig über die Fantasie des Mannes.

»Tatsächlich ist ein Mann der Grund, warum ich herkam. Aber es handelt sich nicht um eine Romanze, sondern um einen Flüchtigen.« Lopal schien enttäuscht zu sein. »Dann besteht dein Leben also nur aus Pflichten?« Kyla dachte nach. »Ich weiß nicht ... Es ist eine lebenslange Verpflichtung, die ich eingegangen bin. Ich diene meiner Herrscherin, und meine Pflicht steht immer an erster Stelle. Aber du hast recht, ich wollte gerne unerkannt bleiben und die Stadt mit eigenen Augen sehen, statt ständig von Chyrrta umgeben zu sein, die mir die Sicht auf diese herrlichen Gebäude und das alltägliche Leben hier verwehren.«

»Das verstehe ich. Ich wünsche dir, dass dieser Plan gelingt, aber ich bezweifle es. Tritam ist wirklich eindrucksvoll. Du wolltest wissen, warum ich hier bin und wie es den Bewohnern von Lam Olhana erging?« Kyla nickte. »Unser Dorf hat sich sehr verändert, seit du es zuletzt gesehen hast. Dank der Unterstützung der Reiter, die du mir geschickt hattest, konnten wir uns lange Zeit gegen die Eindringlinge zur Wehr setzen. Doch schließlich war unser Dorf nur eines unter vielen, die ständig aufs Neue den Ansturm der Feinde erdulden mussten. Ich will nicht klagen, dass schließlich immer weniger Unterstützer vom Palast ausgesandt wurden. Auch in den anderen Ortschaften bangten die Chyrrta um ihr Leben.

Als unsere Mauer schließlich fiel, hatte ich bereits die Taschen gepackt und für mich, meine Frau und Zindra – unsere Tochter – Pferde besorgt. Wir ritten davon, während Lam Olhana in Flammen aufging. Alles, was ich viele Jahreszeitläufe hindurch beschützt hatte, verschwand unter der grenzenlosen Gewalt der Eindringlinge. Während wir durch die Wälder ritten – einem unbekannten Ziel entgegen – brach eine ganze Reiterarmee der Herrscherin durch den Wald. Sie kamen zu spät, um unser Dorf zu schützen, aber sie töteten wohl jeden, der von der anderen Seite der Undurchdringlichen Mauern kam. Ich hörte, das zerstörte Bauwerk wurde nicht nur repariert, sondern auch mit einer ganzen Menge tödlicher Fallen versehen.

Der Ort, an dem sich einst mein Heimatdorf befand, ist nun eine unpassierbare Todeszone. Wir konnten nicht mehr dorthin zurück. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und brachte meine Frau und meine Tochter hierher nach Tritam. Es gab eine Anfrage im Palast, ob ich mir ein Leben hier verdient hätte – Herrscherin Paraila stimmte zu, und so wurden meine Familie und ich aufgenommen. Hat sie dir nie von dieser Anfrage erzählt?«

Kyla schüttelte den Kopf. »Nein, sie spricht mit mir meist nur über Dinge, die mich direkt etwas angehen – deine Umsiedlung gehörte ihrer Ansicht nach wohl nicht dazu.«

»Vermutlich war ihr nicht klar, wie wichtig wir damals füreinander waren. Und, um ehrlich zu sein, muss sie das auch nicht wissen. Ihr war bewusst, dass ich ein Wächter war, der sein Dorf lange Zeit geschützt hatte – lange genug, um mir ein Leben in der Sicherheit der Stadt zu erarbeiten. Und ich bin sehr dankbar dafür, denn meine kleine Familie ist hier sehr glücklich. Ich habe die Überwachung der Wasserstellen übernommen. Allerdings bin ich längst nicht der einzige, der ein Auge auf die Brunnen und Tanks hat. Die Gefahr, dass jemand sich daran zu schaffen macht, scheint mir eher gering zu sein. Dennoch nehme ich meine Aufgabe natürlich ernst«, erläuterte er rasch.

Kyla nickte, denn sie war überzeugt, dass er auch hier stets wachsam war. Sie gönnte ihm dieses neue Leben. Es musste schwer sein, alles zu verlieren und neu anzufangen. Zwangsläufig kam ihr Quyntyr in den Sinn. Auch er hatte ein neues Leben begonnen, und sie fragte sich, ob er es freiwillig getan hatte, wie Paraila glaubte. Vielleicht war er wirklich ein Verräter, der alles von langer Hand geplant hatte. Doch Kyla wurde den Verdacht nicht los, dass er nur gegangen war, weil sie ihn gezwungen hatte, sie vor Zeugen zur Frau zu machen.

Dass ihr Befehl ihn wirklich verletzt hatte, hatte sie ihm ansehen können. Und dass er ihre langjährige Freundschaft aufgekündigt hatte, sprach ebenfalls dafür, dass er den Palast wegen dieses Vorfalls verlassen hatte. Es musste eine Katastrophe für ihn gewesen sein, zu begreifen, dass er seine angebetete Paraila niemals für sich würde erwärmen können. Natürlich hatte er vorgegeben, das längst zu wissen, aber der Funke Hoffnung war wohl nie erloschen – bis Kyla ihn dazu gezwungen hatte. Zumindest musste es ihm so vorkommen, als habe sie endgültig einen Schlussstrich unter die Möglichkeit gezogen, dass Paraila ihn irgendwann erwählen könnte. Denn natürlich hätte die Herrscherin niemals einen Mann gewählt, mit dem Kyla sich bereits vereinigt hatte. Dass sie Quyntyr aber ohnehin niemals erwählt hätte, war Kyla klar geworden, als sie Parailas Hass auf ihn gespürt hatte.

Paraila hatte Quyntyr schon immer argwöhnisch betrachtet und seine Anwesenheit im Palast nur geduldet, weil ihre Mutter es einst so entschieden hatte. Dass er sich jetzt in ihren Augen als Feind entpuppte, war wohl ihrer schwelenden Unzufriedenheit über die Situation geschuldet. Und nun wollte sie ihn sogar in aller Öffentlichkeit hinrichten lassen.

Kyla war der Gedanke ein Gräuel, denn Quyntyr hatte bereits ein Leben voller Qualen hinter sich, und ihn so enden zu sehen, war ihr unerträglich. Aber was, wenn die Herrscherin recht hatte und durch sein Zutun viele Chyrrta ihr Leben verloren hatten? Sie würde es herausfinden müssen. Das schlechte Gewissen begann sich zu regen, als sie sich eingestehen musste, dass sie besser sofort zum Berg Ultay geritten wäre. Doch wenn sie es getan hätte, ohne sich zuvor – wie von Paraila befohlen – in Tritam blicken zu lassen, wäre der Herrscherin sofort klar gewesen, dass Kyla mehr wusste, als sie ihr gesagt hatte. Ihr Gewissen beruhigte sich wieder. Was machten schon ein oder zwei Tage Verzögerung aus? Quyntyr würde ja auf sie warten. Sie musste einfach sichergehen, dass Paraila glaubte, sie habe die Spur zu ihm erst hier gefunden, nicht bereits im Palast, in seinen Räumen, als sie seine Nachricht gelesen hatte. Immerhin hatte Quyntyr darin angekündigt, ihr weit mehr über ihre Vergangenheit mitteilen zu können, als sie bislang erfahren hatte. Es war also eine ganz persönliche Angelegenheit, dass sie seinen Aufenthaltsort nicht preisgeben wollte, bevor er die Möglichkeit fand, ihr zu sagen, was er angekündigt hatte.

»Ich habe dich nun lange genug aufgehalten. Es war schön, dich wiederzusehen. Ich wünsche dir, dass du noch mehr schöne Erinnerungen sammeln kannst, damit du einen Ausgleich zu den Schlachten findest, die du schlagen musst.« Lopal erhob sich und legte ein paar Münzen auf den Tisch. »Nein, lass! Ich möchte bezahlen.« Er zögerte kurz, dann steckte er sein Geld wieder ein. »Mutig, schön und auch noch großzügig – du solltest den besten Mann in ganz Chyrrta bekommen, denn jeder andere wäre zu wenig für dich.«

Kyla wusste nicht recht, wie sie mit seinem Wunsch umgehen sollte; sie murmelte einen unsicheren Dank. Als er sich zum Gehen wandte, legte sie eine bei weitem ausreichende Menge Münzen auf den Tisch und brach ebenfalls auf. Das Tageslicht blendete sie, als sie auf die Straße trat, denn im Schankraum war es wirklich recht düster gewesen. Kyla fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr. Das Gespräch mit Lopal hatte ihr gut getan, und der ganze Tag lag noch vor ihr. Da sie den Mut aufgebracht hatte, unhöflich zu sein, drohte auch nicht ein erzwungenes Abendessen in großer Gesellschaft ihr die Laune zu verderben. Kyla ging zur ‘Kriegerin der grünen Wasser’ zurück, jedoch nur, um sich zu vergewissern, dass es Golan gut ging und er bestens versorgt wurde. Sie streichelte dem Tier den Hals und sagte: »Ruh dich noch ein wenig aus. Wir haben einen beschwerlichen Weg vor uns. Ich werde die Stadt zu Fuß erkunden. Vor Anbruch der Nacht reiten wir los, dann erreichen wir das gefährliche Ödland, wenn das Tageslicht anbricht und uns einen besseren Überblick bietet. Wir werden uns dann am Abend nach einem sicheren Lager umsehen. Ja, ich denke, so wird es besser sein, als wenn wir bei einsetzender Dunkelheit in die tückischen Gebiete kommen.«

Golan schien dazu keine besondere Meinung zu haben. Kyla streichelte ihm noch einmal den Hals und verließ dann den Stall. Nur wenige Augenblicke später stand sie im Getümmel des Marktplatzes. Sie tastete mit einer Hand nach ihrem Münzbeutel und mit der anderen nach ihrem Messer. In dieser Menschenmenge musste sie sich einfach versichern, dass sie auf alles vorbereitet war. Sie ging langsam an den Ständen vorbei und betrachtete die angebotenen Waren.

Ab und zu blieb sie stehen und erwarb etwas, das sie für ihre Reise benötigen würde: Nahrungsmittel, neue Stiefel, Flickzeug, zusätzliche Behälter für Wasser, ein Tongefäß und ein Armband für Lanari. Das Schmuckstück war aus kunstvoll geschliffenen grünen Steinen gefertigt. Es leuchtete im Sonnenschein so hübsch, dass Kyla davon völlig hingerissen war. Für sich selbst wollte sie aber keines kaufen, denn sie hatte ohnehin keine Gelegenheit, es zu tragen. Für Lanari schien es ihr jedoch wie gemacht. Ebenso wie der hübsche Schal, den sie für die Freundin gekauft hatte. Kyla musste die Traurigkeit verdrängen, als ihr einfiel, dass sie nicht einmal absehen konnte, wann sie Lanari ihre Geschenke überreichen würde. Nur zu gerne hätte sie die Tochter ihrer Dienerin, die ihr so viel bedeutete, an diesem Abenteuer in Tritam teilhaben lassen. Aber natürlich war das nicht möglich gewesen, denn unmittelbar im Anschluss an den Besuch in der Stadt musste Kyla sich auf den gefährlichen Weg zum Berg Ultay machen. Dazu galt es, die große Einöde zu passieren, in der Überfälle durch die dort zahlreichen Banden nur allzu häufig waren.

Man sprach davon, dass niemand, der sich auf diesen Weg begab, je zurückkehrte. Wenn das stimmte, konnte es gut sein, dass auch Kyla dort ihr Ende finden würde. Warum hatte Quyntyr den Berg Ultay also ausgerechnet zu ihrem Treffpunkt erklärt? Wollte er vielleicht, dass sie starb? Aus Rache, weil sie ihn in seinen Augen benutzt hatte? Aber wenn er sie tot hätte sehen wollen, warum dann dieser Umstand? Er hätte ihr auch einfach während des Trainings einen tödlichen Hieb zukommen lassen können. Und vermutlich hätte es durch seine Kampfkunst überzeugend wie einen Unfall ausgesehen. Doch das hatte er nicht getan, und ihr Bauchgefühl sagte der jungen Frau, dass er sie keineswegs tot sehen wollte. Vielleicht wollte er Rache für das, was geschehen war, aber Quyntyr würde sie auf seinem eigenen Wege erlangen wollen, und Kyla würde es hinnehmen, denn die Schuld lastete schwer auf ihrer Seele. Mit ihrer Entscheidung, ihn zu erwählen, hatte sie das komplette Leben ihres Kampflehrers zerstört. Damals, als sie noch ein Kind gewesen war, hatte er bereits geahnt, dass sie eines Tages die Macht haben würde, über seinen Verbleib im Palast zu entscheiden. Und doch war es anders gekommen, denn er hatte selbst entschieden, den Ort zu verlassen, an dem er damals so gerne hatte bleiben wollen.

Kyla dachte über all das nach, während sie über den Markt ging und die Chyrrta dieser Stadt beobachtete. Die meisten von ihnen waren mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt und achteten gar nicht auf sie. Das konnte Kyla nur recht sein. Ab und an wehten Düfte von den Ständen zu ihr herüber, die sie neugierig machten. Geräuchertes Fleisch, süße Teigfladen, würziges Danath, das unter Speisen gemischt werden konnte, um ihnen einen kräftigen Geschmack zu verleihen, Duftwässer und Seifen. Immer wieder atmete Kyla tief ein, um die Eindrücke in ihrem Gedächtnis zu bewahren.

Dann entdeckte sie ein kleines Geschäft, das sich im Schatten des großen Marktplatzes unter einem ausladenden Dach befand, das mit dunklen Schindeln gedeckt war. Erst dachte sie, es wäre geschlossen, doch dann erkannte sie, dass sie durch die Türöffnung auf eine Wand voller Bücher blickte. Die meisten der Einbände waren in Brauntönen gehalten, sodass Kyla geglaubt hatte, es wäre eine hölzerne Tür. Nun steuerte sie auf den Eingang zu, denn ihr kamen Parailas Worte wieder in den Sinn. Die Herrscherin hatte die Vermutung geäußert, Quyntyr habe womöglich einen Teil seiner kostbaren Bücher in Tritam zum Kauf angeboten, um Geld für seine Flucht und für die Unterstützung der Feinde des Reiches zu erhalten. Eigentlich glaubte Kyla nicht daran, doch sie wollte sichergehen und ihrer Herrscherin ehrliches Zeugnis darüber ablegen, was sie diesbezüglich in Erfahrung bringen konnte.

Die Luft im Geschäft war staubig und abgestanden. Nach dem grellen Sonnenlicht mussten sich Kylas Augen an die Düsternis darin erst einmal gewöhnen. Sie blickte sich um und staunte über wahre Bücherberge, die an zahlreichen Stellen aufgestapelt waren. Es schien ihr unmöglich, hier auf die Schnelle einen Überblick über die vorhandenen Titel zu erlangen. Als sie ein Räuspern vernahm, erkannte sie einen alten Mann, der in einer winzigen Ecke hockte und mit einem Vergrößerungsglas eine Landkarte betrachtete.

Er hatte aufgeblickt. Ohne förmlichen Willkommensgruß fragte er: »Was begehrt dein Geist? Wünschst du eine unterhaltsame Geschichte mit einem schmucken Kerl, der das Herz einer jungen Dame erfreut? Nun, die Liebesgeschichten findest du in der Ecke dort hinten. Sieh sie dir an, aber bring mir nichts durcheinander!« Kyla sah in die Richtung, in die der alte Mann mit seinem knorrigen Finger deutete. Er hustete und spuckte etwas Auswurf in ein Tuch, das er wohl eigens zu diesem Zweck in der Tasche seiner Weste getragen hatte.

»Ich suche keine Liebesgeschichten«, erwiderte Kyla und überlegte, wie sie den Mann am besten über ihr Anliegen in Kenntnis setzte, als er ihr erneut zuvorkam.

»Nun denn, willst du wissen, welche Krankheit dich ereilt hat? Ein Brennen im Schritt? Pelzige Zunge? Oder gar ein übler Geruch aus deinen Eingeweiden? Rat findest du in diesen beiden Bänden dort.« Er zeigte auf ein Regal, das ihm schräg gegenüber stand. Kyla spürte, dass sie wegen seiner vorlauten Art ärgerlich wurde.

»Du scheinst selbst ein oder zwei Bücher zu viel über die Kunst der Wahrsagerei gelesen zu haben. Doch glaube mir, sie taugen nichts, denn deine Vermutungen, was ich begehre, sind allesamt falsch.«

Der Mann zog die Augenbrauen zusammen, als überlege er, ob er zu erkennen geben sollte, dass er wusste, dass sie einen Scherz mit ihm getrieben hatte. Er entschied sich jedoch dagegen. Stattdessen bekam er einen neuerlichen Hustenanfall, von dem Kyla das Gefühl hatte, er wäre nur vorgetäuscht, um Zeit zu schinden. Endlich entschloss er sich, seine mögliche Kundin wegen ihres Anliegens selbst zu Wort kommen zu lassen, und machte eine auffordernde Geste.

»Ich wollte mich erkundigen, ob ein Mann hier war, um Bücher zum Verkauf anzubieten.«

Der Verkäufer lachte auf. »So etwa ein Dutzend, wenn ich allein den letzten Mondzyklus rechne.«

»Ich meine jemanden, der dich erst während der letzten paar Sonnenlichter aufgesucht hat. Er wäre dir aufgefallen. Seine Haut ist sehr blass. Sein Haar und seine Augen sind ungewöhnlich hell.«

»Ein Albino also?«, fragte der Mann und nickte wissend.

»Ja, ein Albino! War er hier?« Kyla war aufgeregt, weil Quyntyr offenbar tatsächlich Kontakt mit dem Verkäufer aufgenommen hatte. Zugleich spürte sie, dass sie darüber entsetzt war, denn es bedeutete vermutlich, dass Paraila mit ihrer Einschätzung von ihm nicht gänzlich verkehrt lag.

»Selbst wenn so jemand hier gewesen wäre, hätte ich ihn nicht erkannt. Meine Augen sind so schlecht, dass ich praktisch blind bin. Ich erkenne Chyrrta vor allem an ihrer Stimme.«

»Aber du hast in mir offenbar eine junge Frau erkannt, ohne dass ich auch nur ein Wort gesagt hatte«, gab Kyla zu bedenken.

»Das liegt an deiner Körperhaltung und an den Formen, die ich an deinem Körper ausmachen kann.«

Kyla ignorierte das lüsterne Lächeln, das kurz die Mundwinkel des alten Mannes umspielte. Sie versuchte, ihre Stimme so gelassen wie möglich klingen zu lassen.

»Immerhin betrachtest du eine Landkarte. Mit einem Vergrößerungsglas zwar, aber so blind kannst du dann doch gar nicht sein. Bitte erinnere dich, ob du mit dem Mann gesprochen hast, den ich beschrieb.«

Nun seufzte der Verkäufer tief und legte das Vergrößerungsglas auf den Tisch.

»Auch wenn ich die Karte betrachte, so sehe ich selbst mit dem Glas nicht mehr, als ein paar Linien. Ich weiß nur aus der Erinnerung, wie sie aussieht.«

Kyla konnte es einfach nicht glauben. Sie trat näher an den Tisch heran und betrachtete den Mann, der ihr Starren jedoch gar nicht zu bemerken schien. Seine Augen waren trüb. Kyla verspürte Mitleid. Es musste schwer sein, ein Leben zwischen Büchern zu führen, wenn man nicht mehr in der Lage war, sie selbst lesen zu können. Offenbar kannte er seinen Laden so gut, dass er sich in der Lage fühlte, weiterhin Kunden zu beraten. Jedoch nicht, ohne sie zu ermahnen, nichts durcheinander zu bringen, denn nur so fand er sich offenbar selbst noch zurecht.

Ihr Blick fiel auf die Karte. Sie zeigte zu ihrem Erstaunen das komplette Reich und auch noch Gebiete darüber hinaus, die jenseits der Undurchdringlichen Mauern lagen. Doch das Merkwürdige war, dass eben jene Mauern auf der Karte überhaupt nicht verzeichnet waren.

»Von wann ist diese Karte?«, fragte sie und wollte danach greifen. Der Mann zog sie ihr jedoch unter den Händen weg, bevor Kylas Finger sie berühren konnten.

»Sie ist alt.«

»Wie alt?«

»Sehr alt.«

»Und woher hast du sie?«, fragte Kyla nur mühsam beherrscht.

Der Mann presste die Lippen aufeinander, als wolle er ihr keine Antwort mehr geben, und tatsächlich schwieg er nun. Einen Moment lang überlegte Kyla, ihn durch die Offenbarung ihrer Identität dazu zu zwingen. Der fast blinde Mann hatte natürlich keine Ahnung, wen er da vor sich hatte. Aber Kyla entschied, ihn nicht durch ihren Status unter Druck zu setzen, sondern sich lieber in Diplomatie zu üben.

»Wenn du mir sagen kannst, von wann sie ist und woher sie stammt, würde ich sie dir für einen guten Preis abkaufen.«

»Sie ist unverkäuflich«, stellte der Mann klar. Kyla war ratlos. In Diplomatie hatte sie offensichtlich noch Defizite. Sie entschied, auf ihr eigentliches Anliegen zurückzukommen.

»Wurden dir in letzter Zeit besonders kostbare Bücher angeboten? Daran würdest du dich doch bestimmt erinnern.«

»Alle Bücher, die ich annehme, sind kostbar.«

Kyla spürte, dass ihre Geduld sie verließ. »Dann zählst du die Liebesgeschichten dazu, die du dort hinten in dem wackeligen und staubigen Regal untergebracht hast?«

Der Mann verzog das Gesicht. Kyla verspürte ein wenig Triumph, weil sie ihn in Verlegenheit gebracht hatte.

»Für Chyrrta mit einfachem Gemüt sind sie kostbar. Bei manchen meiner Kundinnen habe ich sogar das Gefühl, ihr gesamtes Wohlergehen hängt vom Erwerb dieser romantischen Bücher ab.«

»Mag sein, dass diese Damen es so empfinden. Dennoch – hast du kürzlich Bücher mit anderen Themen erworben? Wissenschaftliche Ausgaben? Werke über Kampfkunst? Waffenverzeichnisse oder Ähnliches?«

Der Mann überlegte. »Ich erwarb vor drei oder vier Sonnenlichtern eine Kiste Bücher, die sich mit dem Thema Holzbearbeitung und Hüttenbau beschäftigen. Meinst du so etwas?«

Kyla seufzte. »Nein, eher nicht. Hast du sonst noch etwas in dieser Art in letzter Zeit erworben?«

Der Verkäufer kratzte sich an der Stirn und grübelte. »Viehzucht. Ein kleines Bändchen, das vom Verkäufer selbst verfasst wurde.«

»Auch das stammt mit Sicherheit nicht von dem Mann, den ich suche. Gibt es noch andere Läden oder vielleicht Markthändler hier, die bereit wären, für Bücher, wie ich sie genannt habe, viel Geld auszugeben?«

»Meines Wissens nach nicht. Ich bin der einzige, der mit literarischen Werken handelt. Zu meinem Leidwesen muss ich sagen, dass in dieser Stadt das meiste Geld für Tand wie Schmuck oder auch Gemälde ausgegeben wird. Naschwerk und berauschende Getränke sind ebenfalls hoch begehrt. Bücher werden nicht ganz so oft verlangt – aber diejenigen, die daran Gefallen finden, zählen wohl ausnahmslos zu meinen Kunden.«

»Danke, dass du Zeit für mich hattest. Nun denn ...« Kyla wollte schon wieder aufbrechen, als ihr noch etwas anderes einfiel.

»Hast du schon mal von einem Buch gehört, das die Zukunft von Chyrrta in seinem Text birgt. Ein Buch, das gut bewacht wird, und das – «, sie zögerte kurz und hoffte, ihre nächsten Worte würden sie nicht verraten, »von einer Kriegerin berichtet?«

»Von der Existenz eines solchen Buches habe ich in der Tat gehört. Doch ich habe es nie zu Gesicht bekommen.«

»Weißt du, wo man es versteckt hält?«

Der Mann zuckte mit den Schultern und gab sich einem ausgiebigen Hustenanfall hin. Als er das Taschentuch wieder sinken ließ, sagte er: »Man möchte annehmen, es wird in Parailas Palast aufbewahrt. Aber ich hörte auch Gerüchte, dass es an einem Ort aufbewahrt wird, der innerhalb dieser Stadtmauern liegt. Ich mag den Gedanken, dass etwas so Wichtiges in meiner Nähe weilt. Aber ob dem wirklich so ist, kann ich beim besten Willen nicht sagen.«

Kyla begriff, dass der alte Mann tatsächlich viel dafür gegeben hätte, in diesem Punkt selbst Klarheit zu haben. Dass er ihr jedoch nicht weiterhelfen konnte, enttäuschte sie. Andererseits war sie erleichtert, dass Paraila mit ihrer Vermutung, Quyntyr habe seine wertvollen Bücher verkauft, offenbar falsch lag.

»Und du möchtest nicht doch einen Roman mit romantischer Handlung erwerben?«, fragte der Verkäufer.

»Nein. Vielleicht ein Buch über Kriegsführung.«

»Kriegsführung?«, fragte der Mann pikiert. »So ein Buch gibt es nicht. Wenn es so etwas einst gab, so ist es jetzt verboten. Die Herrscherinnen wünschen seit langer Zeit schon keine Literatur dieser Art mehr. Es erstaunt mich, dass du nach so etwas verlangst. Bereits deine Frage nach einem Buch über Kampfkunst und Waffen hat mich erstaunt. Wenn mir so etwas angeboten worden wäre, hätte ich es natürlich unverzüglich dem Palast gemeldet.«

Kyla begriff, dass der Mann wohl die Wahrheit sagte, denn er schien tatsächlich entsetzt darüber zu sein, dass es Literatur geben sollte, die diese Dinge zum Thema hatte. Paraila und ihre Vorgängerinnen hatten ganze Arbeit geleistet, die Chyrrta ihres Reiches von Kämpfen und gewalttätigen Auseinandersetzungen untereinander abzuhalten. Kyla war froh, dass sie sich dem Mann gegenüber nicht als Kriegerin zu erkennen gegeben hatte, denn sie war sich sicher, dass er sie geringschätzen würde, selbst wenn sie das Töten der Feinde im Namen der Herrscherin durchführte.

»Dann kommen wir wohl nicht ins Geschäft. Es sei denn, du möchtest die Landkarte doch noch verkaufen, für die du im Grunde keine Verwendung mehr hast.«

Kaum hatte sie die Worte gesagt, legte der Mann seine Hand flach auf die Karte vor ihm, als wolle er sie schützen. Kyla bemerkte, dass eine Veränderung in ihm vorging. Er senkte die Stimme, als er nun zu ihr sprach.

»Ich mag blind sein, aber ich bin nicht dumm. Die Frage nach dem geheimen Buch, in dem über die Kriegerin der Herrscherin berichtet wird, hat mich aufhorchen lassen. Kein Chyrrta war so dreist, sich jemals danach zu erkundigen, denn jeder weiß, dass es nur diejenige etwas angeht, von der es vornehmlich handelt. Zudem hat noch keine junge Frau jemals nach Büchern über Waffen, Kriegsführung oder Kampftechniken gefragt. Sag mir, bist du Kyla – Kriegerin der grünen Wasser?«

Leugnen schien ihr nun zwecklos. Und der Mann hatte es ohnehin nicht verdient, von ihr belogen zu werden. Also erwiderte Kyla: »Ja, die bin ich.«

Der Mann wurde bleich. Er wollte etwas sagen, aber stattdessen meldete sich der Husten schlimmer als zuvor zurück. Kyla wartete geduldig, bis er sich wieder beruhigt hatte.

»Nun ist es wohl zu spät, Euch mit dem gebührenden Respekt zu behandeln.« Er schien wirklich unglücklich über diesen Umstand zu sein.

»Ich kam nicht her, um Respekt einzufordern. Ich kam nur her, um dir Fragen zu stellen, wie ich es tat. Gibt es vielleicht eine, auf die du nun anders antworten möchtest, nachdem du weißt, wer ich bin?«

Der Verkäufer schüttelte den Kopf. »Ich sagte Euch die Wahrheit, was den von Euch gesuchten Mann angeht. Niemand hat mir solche Bücher angeboten. Und ich sagte nichts als die Wahrheit, als Ihr nach dem Buch fragtet, das man gut verborgen hält.«

»Ich glaube dir«, beschwichtigte Kyla, doch dann ließ sie ihre Stimme schneidend klingen, als sie fragte: »Und was hat es mit der Karte auf sich? Bist du nun bereit, mir über ihr Alter und ihre Herkunft mehr zu erzählen?«

»Um ehrlich zu sein, ich weiß weder das eine, noch das andere.«

Kyla zog verärgert die Augenbrauen zusammen. »Du willst mir weismachen, du wüsstest nicht, woher du sie hast?«

»Doch, doch! Aber ich kann keine Auskunft über den Vorbesitzer oder ihre Geschichte geben. Ich fand sie hier in diesen Räumen, als ich vor etlichen Jahreszeiten hier meinen Laden einrichtete. Ich war damals noch ein junger Mann und voller Tatendrang. Als ich eine Wand einriss, um den Verkaufsraum so groß wie möglich zu gestalten, entdeckte ich hinter einer Holzvertäfelung diese Karte. Zunächst glaubte ich, der Vorbesitzer habe sie versteckt, doch er schwor, nichts von ihrer Existenz gewusst zu haben.

Möglicherweise ist sie also noch viel älter, als man es, ihrem Zustand nach, glauben könnte. Vielleicht stammt sie sogar noch aus der Zeit, bevor die Undurchdringlichen Mauern entstanden. Einiges lässt darauf schließen, denn abgesehen vom offensichtlichen Fehlen der Mauern sind darauf Ortschaften verzeichnet, an die sich längst niemand mehr erinnern kann. Tritam selbst ist darauf etwa nur ein Viertel so groß, wie wir es heute kennen.

Du siehst also, sie ist wertlos, weil man sich heute nicht mehr nach ihr orientieren kann. Aber mein Herz hängt an ihr, denn damals malte ich mir aus, wie es wäre, in einem solchen Chyrrta zu leben. Einem ohne Mauern und mit viel Weideland für Vieh. Mit Seen und Flüssen, die womöglich nicht verunreinigt waren. Den Namen der Ortschaften nach konnte man in diesen Gewässern sogar Tiere fangen, die sich Fische nannten. Sogenannte Fischerdörfer gab es zuhauf. Man stelle sich ein solches Chyrrta einmal vor!

Es gab sogar ein Gewässer, das so riesig war, dass es vier Tritams der heutigen Zeit hätte verschlucken können. Aber all das gibt es schon seit sehr langer Zeit nicht mehr – möglicherweise hat es das alles auch nie gegeben. Vielleicht ist die Karte reine Erfindung. Dann wäre sie jedoch nicht ungefährlicher. Sicher ist es verboten, eine solche Karte zu verkaufen. Aber ich verkaufe sie ja auch nicht. Ich träume nur ... Bitte verwehrt mir das nicht.«

»Das tue ich nicht. Ich werde nicht über dich richten, denn ich sehe kein Vergehen darin, von einer Welt zu träumen, wie sie sein könnte. Jedoch rate ich dir, sie gut zu verstecken. Du magst fast blind sein, doch jeder, der hier herein kommt und dich damit sieht, könnte dich im Palast melden.«

Der Mann schien bislang noch nicht über diese Möglichkeit nachgedacht zu haben und blickte nun verängstigt. Dann hellte sein Gesicht sich jedoch auf.

»Vielleicht war es Schicksal, dass Ihr mich ausgerechnet heute aufgesucht habt. Ich habe die Karte nämlich schon lange nicht mehr hervorgeholt. Bei Tagesanbruch hatte ich jedoch das Gefühl, ich solle es unbedingt tun. Nur deshalb war ich so töricht, sie für Eure Augen offenzulegen. Und möglicherweise sollte es genau so sein. Wenn ich es recht bedenke, möchte ich sie Euch doch überlassen. Mir selbst ist sie ja im Gedächtnis, und ich brauche sie eigentlich nicht mehr.«

»Bist du dir sicher?«, fragte Kyla, die von der Entwicklung des Gesprächs überrascht war. Sie hatte dem Mann nicht drohen wollen, um ihn zur Herausgabe der Karte zu drängen. Aber er schien ihr tatsächlich von der Idee selbst ganz angetan zu sein, sie ihr zu überlassen. Vielleicht hatte er recht damit, dass das Schicksal es so gewollt hatte. Er faltete sie zusammen und griff nach einem Buch, das neben ihm lag. An irgendeiner Stelle schlug er es auf und legte die Karte hinein.

»Sie ist von nun an Euer Eigentum. Und auch dieser Schmöker, in dem ein feuriger Jüngling das Herz seiner Auserwählten mit Liedern und Gedichten erobert. Vielleicht findet Ihr ja doch irgendwann Gefallen daran.«

Kyla bezweifelte es, doch sie dankte ihm und holte ihre Münzen hervor.

»Nein, gebt mir kein Geld für die Karte. Das Schicksal möchte keine Entlohnung.«

»Das Schicksal vielleicht nicht, aber du ganz sicher. Doch wenn dir das wichtig ist, dann zahle ich nicht für die Karte, sondern für das Buch.« Sie legte ihm eine stattliche Summe in die Handfläche und hoffte, seine Krankheit war nicht ansteckend.

»Das ist zu viel«, wandte der Mann beschämt ein.

»Ich denke nicht. Sollten die Chyrrta dieser Stadt sich gänzlich aufs Naschen und das bequeme Leben verlegen, so kannst du mit etwas Wohlstand weiterhin träumen – vor allem, wenn deine Bücher und Karten nur noch in deiner Erinnerung leben.«

»Habt Dank, dass Ihr einem alten Kauz wie mir seine anfängliche Knurrigkeit nachseht. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?«

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