Kitabı oku: «Carl Schmitts Gegenrevolution», sayfa 6

Yazı tipi:

III. Die Spanische Grippe und die Lehre von der „kommissarischen Diktatur“
1. Die Spanische Grippe in München

Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs war für Schmitts Sicht der Verfassungsgeschichte und Neigung zur exekutivstaatlichen Diktatur prägend. Huber stellte die Entwicklung detailliert dar. Unter Berufung auf Schmitt betonte er die „epochale Bedeutung des Kriegs-Ermächtigungsgesetzes“ vom 4. August 1914 als „Verfassungsereignis von epochemachendem Rang“ und „Ende des Zeitalters des ‚gewaltenteilenden Konstitutionalismus‘“69 und führte im Einzelnen aus, welche Grundrechte im „einfachen“ und „verschärften“ Kriegszustand ausgesetzt werden durften. Schutzhaft und Aufenthaltsbeschränkungen, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und eine weitreichende Presse- und Briefzensur wurden zulässig. Die Kriegsverfassung organisierte die „Kriegswirtschaft“: die Ernährungsverwaltung, Rüstungswirtschaft, Energie- und Rohstoffwirtschaft und viele andere Aspekte im bis dahin ungeahnten Ausmaß. Von spezifischen hygienepolitischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Spanischen Grippe spricht Huber in seiner detaillierten Darstellung nicht. Die „zweite Welle“ der Herbstepidemie 1918 fiel mit dem Kriegsende, dem Sturz des Wilhelminismus und dem Übergang zur Verfassungsrevolution zusammen, so dass damals statt weitergehender Beschränkungen vielmehr ein „Abbau des Kriegszustands“70 erfolgte. Am 12. November 1918 wurde der seit Kriegsbeginn herrschende „Belagerungszustand“ förmlich aufgehoben.

Schmitt erlebte Krieg und Kriegsende, Revolution, Reichsexekution und Gegenrevolution in München. Die Spanische Grippe erörterte er in seinem Werk nirgends. Eckard Michels71 hat ihre Ausbreitung gut dargestellt und dabei auch militärische Quellen berücksichtigt. Die Grippe kam im März 1918 vermutlich über französische Kriegsgefangene nach Deutschland, bildeten die Kriegsfronten doch gewissermaßen Quarantänegrenzen. In bayerischen Heeren hatte der Juli 1918 den höchsten Krankenstand mit etwa 10 %. Es gab eine Diskrepanz zwischen der internen militärischen Einschätzung und der öffentlichen Kommunikation der Grippe durch die Presse: Für die strategischen Planungen des Militärs spielte die Grippe niemals eine entscheidende Bedeutung; sie wurde medizinisch eher für gering erachtet, demoralisierte aber die Truppe, wurde unter Zensurbedingungen marginalisiert und erst nach der militärischen Niederlage als Ausrede dramatisiert. Dabei war Deutschland infolge der verzögerten Ankunft der Pandemie und des relativ gut funktionierenden medizinischen Systems weniger betroffen als andere Nachbarstaaten. Die medizinische Kenntnis der Grippe war damals noch sehr unvollkommen. Erst 1933 wurde das Influenzavirus entdeckt. Kriegsentscheidend war die Spanische Grippe nicht, die schwere zweite Herbstwelle erreichte Deutschland zudem erst nach der Kapitulation.

Michels betont, dass gerade die Militärverwaltung über die Entwicklung der Pandemie gut informiert war und mit den Befunden strategisch umging. Die Grippe wurde in ihren Folgen nicht überschätzt, obgleich die jüngeren Jahrgänge, anders als 2020, weit stärker als die älteren betroffen waren. Die Presse wurde zensiert und nur sehr wenige behördliche Eindämmungsmaßnahmen wurden beschlossen, um die Moral der Bevölkerung nicht weiter zu schwächen. So wurde die Gastronomie nicht geschlossen, obgleich die Krankenhäuser überfüllt waren und nicht alle Patienten betreut werden konnten. Wirksame Medizin gab es nicht. Michels schreibt:

„Die Berichte der Stimmung in der Bevölkerung der drei stellvertretenden bayerischen Generalkommandos im Herbst 1918 jedenfalls erwähnen nur einmal die Grippe: ‚Der Abfall Bulgariens, der Zerfall der Donaumonarchie, der Rücktritt Ludendorffs, die Preisgabe der nordfranzösischen Städte an der flandrischen Küste, die Bargeldknappheit und die Ernährungsschwierigkeiten, sowie die Furcht vor einer feindlichen Invasion haben bei der Bevölkerung großen Schrecken und große Sorge ausgelöst; das Auftreten der Spanischen Grippe mit zahlreichen Todesfällen mehrt die Ängstigung.‘“72

Der Bericht stammt aus dem II. bayerischen Armeekorps. Schmitt war damals im I. Generalkommando tätig, dort auch für die Presseüberwachung und ähnliche Aufgaben zuständig. Die Spanische Grippe flaute nach 1918 langsam ab. Es gab eine dritte Welle im Frühjahr 1919, danach folgten noch „Trailerwellen eines sich erst langsam abschwächenden Virus“.73 Michels spricht insgesamt von einer „Exzessmortalität von etwa 320 000 bis 350 000 Personen“74 und einer Ansteckungsquote von „etwa 20 bis 25 Prozent“ allein 1918. Schmitt thematisierte den pandemischen Ausnahmezustand in seinen Schriften nicht, obgleich er dem Problem vor und nach 1918 in München begegnete. Medizinisch war das Virus aber noch nicht identifiziert. Irrtümlich wurde es deshalb auch mit der Mangelernährung bei Kriegsende verbunden. Auch deshalb erschien es nicht prioritär. Als Verwaltungsjurist im Generalkommando hatte Schmitt damals spezifische Einsichten in die Virus-Politik. Die Spanische Grippe wurde medizinisch, militärisch und strategisch aber nicht priorisiert. Als die Weimarer Verfassung im Sommer 1919 dann in Kraft trat, war die Grippewelle bereits abgeklungen.

2. Jenaer Auslegung der „kommissarischen Diktatur“

Schmitt begann erst 1924 mit der näheren verfassungsrechtlichen Analyse des Art. 48 WRV, ohne die Spanische Grippe oder die Hyperinflation von 1923 eigens zu erwähnen. Seine erste positivrechtliche Analyse präsentierte er 1924 auf der 2. Tagung der Staatsrechtslehrervereinigung in Jena. Schmitt war kurzfristig eingesprungen. Sein Jenaer Referat geht nur mit wenigen verfassungsgeschichtlichen Bemerkungen auf die Vorgeschichte des Art. 48 ein. Schmitt geht von einem Widerspruch zwischen der „üblichen Auslegung“ und der neueren Praxis aus und versucht die Verfassungskonformität der Praxis durch eine buchstäbliche Auslegung des Textes zu erweisen, die Satz 1 Art. 48 Abs. 2 von Satz 2 entkoppelt:

„Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.“ (Art. 48 Abs. 2WRV)

Die gängige Praxis suspendierte nicht nur einzelne Grundrechte, meint Schmitt, sondern führte auch zu einer „Machtkonzentration“ bei der Exekutive, die durch die „übliche Auslegung“ nicht gedeckt sei. Schmitt unterscheidet die beiden Sätze des Art. 48 Abs. 2 nach ihrer historischen und systematischen Bedeutung und entkoppelt das Maßnahmehandeln des Reichspräsidenten so von der Einschränkung auf einzelne Grundrechte. Das Wissen um den historischen und systematischen Bedeutungsunterschied der beiden Sätze findet Schmitt durch die Entstehungsgeschichte des Textes von 1919 bestätigt. Als Zwischenergebnis formuliert er:

„Der Wortlaut des Art. 48 Abs. 2 ergibt also, daß der Reichspräsident eine allgemeine Befugnis hat, alle nötigen Maßnahmen zu treffen, und eine besondere Befugnis, gewisse aufgezählte Grundrechte außer Kraft zu setzen.“ (D 229)

Diesen Befund spitzte Schmitt schon 1921 kritisch zu. Dort heißt es:

„Es ist sinnlos, den Reichspräsidenten, der Städte mit giftigen Gasen belegen, Todesstrafen androhen und durch außerordentliche Kommissionen aussprechen darf, außerdem noch eigens darüber zu vergewissern, daß er z.B. den Behörden Zeitungsverbote freigeben kann. Das Recht über Leben und Tod wird implicite, das Recht zur Aufhebung der Pressfreiheit explicite erteilt.“ (D 203)

Für diesen Befund, einen Widersinn zwischen Satz 1 und 2 von Art 48 Abs. 2 WRV, entwickelt Schmitt 1924 nun eine doppelte Lösung: Einerseits fordert er die schnelle Ergänzung des „Provisoriums“ durch ein „Ausführungsgesetz“, das die Gesetzeslücke schließt; das wird er auch in späteren Texten75 immer wieder fordern; andererseits limitiert er eine missbräuchliche Extension der Maßnahmekompetenz als „Staatsnotrecht“ durch eine systematische Erörterung der „Grenzen“ des Maßnahmebegriffs. Schmitt schreibt hier:

„Die Eigenart der Maßnahme aber besteht in ihrer Zweckabhängigkeit von der konkreten Sachlage. Die Maßnahme ist also ihrem Begriffe nach durchaus beherrscht von der clausula rebus sic stantibus. Ihr Maß, d.h. Inhalt, Verfahren und Wirkung bestimmen sich von Fall zu Fall nach Lage der Sache.“ (D 248)

Schmitt sucht also rechtsstaatliche Grenzen des Maßnahmehandelns aus dem Begriff der Maßnahme selbst zu gewinnen. Er unterscheidet die Maßnahmen für den Einzelfall dabei vom allgemeinen Geltungsanspruch des Gesetzes. 1924 schreibt er noch: „Der Reichspräsident ist kein Gesetzgeber.“ (D 250) Seine Verfassungslehre wird 1928 dann ausführen, dass der „rechtsstaatliche Gesetzesbegriff“ mit dem Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes die rechtsstaatliche Gewaltenunterscheidung trägt. Die Legislative ist für allgemeine Gesetze zuständig, die Exekutive für Maßnahmehandeln. Schmitt wird in den folgenden Jahren detailliert analysieren, dass die exekutivstaatlichen Tendenzen die klare Unterscheidung von Gesetz und Maßnahme unterlaufen und die weitere Entwicklung des Rechtsetzungsprozesses zu einer Paralyse der Form des Gesetzesbegriffs führte. Schmitt zeigt das nach 1933 mit einigen Artikeln und Aufsätzen auch für die nationalsozialistische Paralyse des Gesetzgebungsprozesses und führt es in seiner Schrift Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft dann im weiten Bogen aus. 1924 suchte er Grenzen des Maßnahmehandelns im Begriff der Maßnahme selbst auf und betonte das Kriterium der Zweckmäßigkeit „von Fall zu Fall nach Lage der Sache“. In seiner frühen Studie Diktatur und Belagerungszustand meinte er 1917 dazu schon sehr grundsätzlich:

„Beim Belagerungszustand tritt unter Aufrechterhaltung der Trennung von Gesetzgebung und Vollzug eine Konzentration innerhalb der Exekutive ein; bei der Diktatur bleibt der Unterschied von Gesetzgebung und Vollzug zwar bestehen, aber die Trennung wird beseitigt, indem die gleiche Stelle den Erlaß wie den Vollzug hat“ (SGN 17). „Die rechtliche Behandlung des rein tatsächlichen Zustandes einer konkreten Gefahr erfolgt also in der Weise, daß vom Recht ein rechtsfreier Raum abgesteckt wird, innerhalb dessen der Militärbefehlshaber jedes ihm geeignet erscheinende Mittel anwenden darf. […] Innerhalb des Raumes tritt sozusagen eine Rückkehr zum Urzustand ein, der Militärbefehlshaber bestätigt sich darin wie der verwaltende Staat vor der Trennung der Gewalten: er trifft konkrete Maßnahmen als Mittel zu einem konkreten Zweck, ohne durch gesetzliche Schranken behindert zu werden. […] Insoweit besteht die Teilung der Gewalten nicht mehr: innerhalb des dem Militärbefehlshaber überlassenen Spielraums ist die Rechtslage so, als hätte es eine Teilung nie gegeben. Bei der Diktatur aber bleibt die Teilung bestehen, die beiden Funktionen Gesetzgebung und Verwaltung werden jedoch von derselben Zentralstelle ausgefüllt“ (SGN 18f).

Vermutlich traf Schmitts Jenaer Vortrag 1924 auch deshalb auf erbitterten Widerspruch, weil die Hörer die Nähe zur älteren Auslegung des Belagerungszustandes sahen. Für die frühere Unterscheidung zwischen „Belagerungszustand und Diktatur“ sprach Schmitt ab 1921, seit seiner Monographie Die Diktatur, terminologisch dann von „kommissarischer“ und „souveräner“ Diktatur.

IV. Gegen romantischen Utopismus: Schmitts Novalis-Bild
1. Das Buch Politische Romantik

Schmitt pflegte einen eminent politischen und aktualistischen Umgang mit Geistesgeschichte. Er stellte sich zwar in die Reihen der „Gegenrevolution“, verhielt sich hier aber nicht epigonal. Nur wenige Zeilen hat er über Bonald und de Maistre geschrieben, die er als Vorgänger von Donoso Cortés nannte. Und selbst Donoso Cortés rezipierte er eigentlich nur als Spiegel einer Konstellation. Jenseits von Donoso Cortés zitierte er eigentlich niemanden: weder Nietzsche noch andere mehr oder weniger erlesene „Klassiker“ des modernen Konservatismus, Nationalismus, Imperialismus oder gar Rassismus und Antisemitismus vor 1918. Nur Hobbes und Donoso Cortés stilisierte er eigentlich zu plakativen Vorgängern seines Werkes. Wenn er Romantiker der Goethezeit zitierte, meinte er auch die zeitgenössischen Romantiker,76 hier vor allem die Schwabinger Bohème. Sein präsentistischer Umgang mit Geistesgeschichte resultierte primär aus seinen politischen Absichten und der juristischen Manier, die eigenen Positionsnahmen hinter geistesgeschichtlichen Masken zu verstecken. Die Autorenmasken, die er sich über die Jahrzehnte aufsetzte, sind kaum zu zählen. Sein kanonpolitischer Umgang mit der Geistesgeschichte war dabei letztlich verfassungsgeschichtlich begründet: Schmitt äußerte sich über Autoren nicht deshalb, weil sie ihn intellektuell ansprachen, sondern weil sie ihm eine individuelle Perspektive auf eine Konstellation artikulierten. Seine Geistesgeschichte geht also von den verfassungspolitischen Konstellationen aus. Und hier interessierte Schmitt sich vor allem für die Weichenstellungen der frühen Neuzeit und des Jahres 1848. Nach Abschluss des Frühwerks hat er sich deshalb über die Goethezeit nur noch selten geäußert. Das erklärt, weshalb er sich nach 1925, nach der erweiterten Neuauflage seiner Politischen Romantik, über die Romantik kaum noch äußerte.

Die Monographie gehört in Schmitts katholisierende Phase, die spätestens 1925 mit der Publikation der zweiten Fassung des Essays Römischer Katholizismus und politische Form endete. Während dieser Katholizismus-Essay sich aber nicht theologisch auf die Kirche bezieht, sondern lediglich die autoritäre Form preist, befasste sich Schmitt in den Münchner Jahren, auch im Gespräch mit Franz Blei, mit einer theologischen Rechtfertigung der Kirche. Blei war ein Novalis-Kenner. Schon früh hatte er eine Auswahl der Gedichte veranstaltet und ein bibliophil ausgestattetes, biographisch einführendes Novalis-Büchlein publiziert. Darin nennt Blei Novalis einen Vorläufer des zeitgenössischen „Dandysmus“.77 Und er schließt: „Der Tempel des dritten Reiches hebt sich langsam. An sein Fundament legten die Romantiker den ersten Stein.“78 Ob Schmitt jemals mit Blei über Novalis gesprochen hat, ist nicht bekannt. Unter dem Eindruck des Weltkriegs neigte er aber religiöser Apokalyptik zu. Das ist für seine Politische Romantik wichtig, die zwischen Gegenrevolution und ästhetisierender Romantik strikt unterscheidet und nicht zuletzt gegen modernistische Romantisierungen der Kirche zielt. Diese „katholische“ Kritik der Romantik ist neben der starken Rezeption der französischen Literatur eine Eigenart von Schmitts Schrift. Sie richtet sich gegen eine Romantisierung des Katholizismus und romantische Auffassungen der „organischen“ Staatslehre. Schmitt steht also in anderen Rezeptionslinien und Fronten als etwa ein zeitgenössischer Germanist und wandte sich mehr an die innerkatholische Debatte.

Schmitt kritisiert die politische Romantik 1919 exemplarisch vor allem am „Typus“ und Beispiel Adam Müller. Novalis und Friedrich Schlegel zieht er nur ergänzend heran. Er erörtert Novalis nicht als Hauptvertreter, weil er sich auf die Spätromantik nach 1815 konzentriert und die Frühromantik nicht näher erörtern möchte. Zwei Müller-Kapitel umklammern zwei Kapitel zur „Struktur des romantischen Geistes“. Mit der Formel vom „subjektiven Okkasionalismus“ streicht Schmitt die Epigonalität der Romantik als „Reaktionsform“ (PR 84) heraus. So profiliert er die katholische Kirche, Ontologie und Theologie, der er nahe steht, gegen die Romantik. Burke, Bonald und de Maistre, Gentz, Haller und auch Stahl rechnet er nicht zur Romantik. Donoso Cortés ist noch nicht erwähnt und es gibt noch keine klare Absage an die dynastische Legitimität und Restauration. Damit erscheint die Schrift als ein letztes Abwehrgefecht in der Option für die Gegenrevolution. Die Taine-Dissertation seiner geliebten Kathleen Murray, die Schmitt vermutlich in erheblichen Teilen – „jedes Wort von mir“ (TB 1921/24, 87, vgl. 468) – selbst schrieb, zeigt dann die Grenzen einer soziologischen Deutung der Romantik, als Ausdruck bürgerlicher Bewegung und Demokratisierung,79 die Taine mit einer unzulänglichen „Rassen- und Milieutheorie“80 zu übertünchen suchte. Diese Abgrenzung von Taines Soziologismus geht dann ins Vorwort von 1924 zur erweiterten Fassung der Politischen Romantik ein.

2. Novalis-Erwähnungen in der Politischen Romantik

Schmitt hat sich nur beiläufig mit Novalis beschäftigt. In den Tagebüchern der 1920er Jahre wird er gelegentlich erwähnt, in den Publikationen und Briefwechseln spielt er aber fast keinerlei Rolle. Das vierte Kapitel der Politischen Theologie eröffnet: „Den deutschen Romantikern ist eine originelle Vorstellung eigentümlich: das ewige Gespräch; Novalis und Adam Müller bewegen sich darin als der eigentlichen Realisierung ihres Geistes.“ (PT 69) Novalis wird in der Schrift aber nicht weiter erwähnt. Ein wichtiger Nachtrag zur Politischen Romantik findet sich in der Verfassungslehre von 1928, die für die „Lehre von der Monarchie“ verschiedene Begründungen unterscheidet. Schmitt schreibt hier eingehender:

„Im 19. Jahrhundert tritt die echte Idee der Monarchie zurück. […] In der Rechts- und Staatsphilosophie von Fr. J. Stahl sind verschiedene Gesichtspunkte miteinander verbunden, aber selbst hier fehlt das spezifisch Monarchische des Gedankenganges und die Argumentation wirkt wie ein kluges Plädoyer. […] Noch viel weniger sind die romantischen Poetisierungen von Königen, wie sie bei Novalis und Adam Müller vorkommen, eine monarchische Staatstheorie. Sie machen aus dem Monarchen einen Anknüpfungspunkt für Stimmungen und Gefühle […] Der Gedanke der Repräsentation des Staates, das politische Formprinzip der Monarchie, verflüchtigt sich in die Vorstellung, daß der König ein Symbol oder eine Art Fahne ist“ (VL 284f).

Der Begriff der Repräsentation ist für Novalis tatsächlich wichtig. Wenn Schmitt die Lehre vom König als „Symbol“ aber auf eine „Art Fahne“ reduziert, bagatellisiert und banalisiert er die Überlegungen polemisch. In der Politischen Romantik findet sich Novalis häufiger im Schulterschluss mit Müller erwähnt. Das Buch konzentriert sich aber mehr auf das Verhältnis zur Restaurationspolitik nach 1815 und die Spätromantik. Schon deshalb setzt es sich nicht näher mit Novalis auseinander. Schmitt hat das Buch für die zweite Auflage von 1925 erheblich überarbeitet und erweitert. Ein Textvergleich zeigt, dass dies nicht zuletzt die Novalis-Erwähnungen betraf. Schmitt ergänzt und illustriert seine Pauschalkritik mit einigen prägnanten Zitaten, ohne sich näher auf Novalis einzulassen. Er interessiert sich überhaupt erstaunlich wenig für die politische Biographie oder juristische Ausbildung des Novalis und kontextualisiert die Frühromantik nicht in den Wendejahren um 1800 beim Aufstieg Napoleons. Ein Grund für dieses Desinteresse wurde bereits genannt: Schmitt konzentriert sich auf Müller und belastet sein Werk nicht mit dem historischen Vergleich zwischen Früh- und Spätromantik; er bestreitet der Politischen Romantik vielmehr pauschal die Produktivität und erklärt die Romantiker zu Wendehälsen und Opportunisten, die vor der Politik in Poesie flüchteten. Dieser These ist alles untergeordnet.

So findet sich im Buch keine starke Kontextualisierung und Differenzierung zwischen den Antworten auf 1789 und 1815. Schmitt rührt diverse Autoren im Prototyp Adam Müller zusammen. Obgleich Novalis im Buch vergleichsweise häufig erwähnt ist, ist die Funktion seines Namens im Werk deshalb leicht überschaubar. Schmitt erwähnt Novalis häufiger mit wiederholenden Schlüsselformulierungen. Den Ofterdingen- Roman erwähnt er nicht und zitiert meist nur aus wenigen Fragmenten nach der vierbändigen Ausgabe von Jacob Minor. Novalis fungiert im Buch als Pionier der Ästhetisierung und Poetisierung. Im Vorwort zur erweiterten Auflage schreibt Schmitt dazu:

„Im Romantischen wird alles zum ‚Anfang eines unendlichen Romans‘. Diese auf Novalis zurückgehende, den sprachlichen Sinn des Wortes wieder zur Geltung bringende Formulierung bezeichnet am besten die spezifisch romantische Beziehung zur Welt.“ (PR 26)

Im Haupttext ergänzt Schmitt 1925: „Dieses Fragment (Nr. 66) gibt die eigentliche Formel des Romantischen.“ (PR 121, vgl. 122) Schmitt bezieht sich vermutlich auf folgende Bemerkungen aus Novalis’ Blütenstaub-Fragmenten:

„Alle Zufälle unseres Lebens sind Materialien, aus denen wir machen können, was wir wollen. Wer viel Geist hat macht viel aus seinem Leben – jede Bekanntschaft, jeder Vorfall wäre für den durchaus Geistigen – erstes Glied einer unendlichen Reihe – Anfang eines unendlichen Romans.“81

Es wäre Schmitt leicht möglich gewesen, diese Bemerkungen näher auszulegen und von der romantischen „Formel“ vom „magischen Idealismus“ her zu entwickeln. Der apodiktische Ansatz beim Okkasionalismus ist dagegen alles andere als naheliegend und plausibel. Schmitt ignorierte aber die idealistische Grundlegung der Romantik und wählte einen externen, polemisch charakterisierenden Zugang. Er suchte die „eigentliche Formel“ des Novalis nicht aus den Voraussetzungen des magischen Idealismus zu explizieren, sondern setzte eine gänzlich andere „Formel“ voraus:

„Romantik ist subjektiver Occasionalismus, d.h. im Romantischen behandelt das romantische Subjekt die Welt als Anlass und Gelegenheit seiner romantischen Produktivität.“ (PR 23)

Man könnte Schmitts Alternativformel als polemische Strategie verstehen, sich auf die romantische Philosophie nicht einzulassen. Mit seiner Gegenformel ist der Explikationsverzicht beschlossen. Seine weiteren Novalis-Erwähnungen variieren und exemplifizieren meist nur den Satz vom „Anfang eines unendlichen Romans“. Schmitt verzichtete auf die nähere Auseinandersetzung mit Novalis, weil er sich buchstäblich ganz auf die exemplarische Hinrichtung Adam Müllers konzentrierte. Für die zweite Auflage weitete er die Belege unter dem Eindruck der Kritik zwar etwas aus, ohne jedoch sein homogenisierendes Verfahren aufzugeben und genauer zwischen Früh- und Spätromantik zu differenzieren. Deshalb rückte Novalis nicht aus dem Schatten Adam Müllers heraus und verblieb in seiner marginalen und illustrativen Rolle. Eine nähere Auseinandersetzung etwa mit dem Europabild oder der Philosophie des Novalis fehlt 1919 wie 1925. Das heißt nicht, dass Schmitt dazu keine Meinung gehabt hätte; er wollte aber offenbar nicht in die nähere Auseinandersetzung eintreten, weil dies der literarischen Anlage des Buches widersprach: Die exemplarische, prototypische Auseinandersetzung mit Adam Müller sollte im Zentrum bleiben.

1925 grenzte Schmitt Joseph de Maistre in einer Rezension von der Romantik ab.82 Eine ätzende Besprechung von Paul Kluckhohns Studien zur Staatsanschauung der deutschen Romantik kann dann als letztes Gefecht gelten: Schmitt attestiert Kluckhohn hier, „dass eine Kompetenz auf dem Gebiet der romantischen Liebe noch keinerlei Kompetenz auf dem Gebiet der Staatsauffassung zu begründen vermag.“83 Schmitt kritisierte, dass Teile der Forschung ihren Gegenstand immanent, aktualisierend, mimetisch und romantisch erörterten. Seine eigenen Versuche, sich dagegen in katholische Traditionen der Gegenrevolution zu stellen, wurden vom Mehrheitskatholizismus niemals akzeptiert. Als Schmitt infolge seiner Scheidung und erneuten Heirat 1926 dann förmlich exkommuniziert wurde, brach er mit der Kirche und verschob die konfessionelle Stereotypisierung in den Antisemitismus. Polemische Abgrenzungen vom Protestantismus finden sich zwar weiterhin gelegentlich, Schmitt verzichtete aber fortan auf starke katholische Identifikationen und beteiligte sich nicht weiter an der innerkatholischen Diskussion. Damit hatte er auch das Interesse an der Romantik eigentlich verloren, das stellvertretend für seine Stellung zum Mehrheitskatholizismus stand. Seine Ablehnung der Politischen Romantik stellte Schmitt nach 1925 nicht mehr ernstlich in Frage und er positionierte sich auch nicht weiter im Feld der Romantikkritik.

₺658,36

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
701 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783863935771
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre