Kitabı oku: «Carl Schmitts Gegenrevolution», sayfa 7
3. 1815 statt 1798: Hegel statt Novalis, Staat statt Nation
Von Novalis ausgehend sehe ich wenigstens zwei Ansätze einer Entgegnung: die idealistische Aufwertung der Kategorie der „Möglichkeit“ und „Zukunft“ und die Verteidigung der „poetischen“ Staatslehre gegen Schmitts Polemik. Dabei sei geschenkt, dass Novalis seine politische Philosophie nur fragmentarisch ausführen konnte und seine einschlägige Publikation von Glauben und Liebe in den Jahrbüchern der Preußischen Monarchie strategische Kompromisse machte. Novalis hatte einen starken Begriff von der Repräsentation und leitete daraus vieles ab. Im Brouillon schreibt er:
„Die Lehre vom Mittler leidet Anwendung auf die Politik. Auch hier ist der Monarch – oder die Regierungsbeamten – Staatsrepräsentanten – Staatsmittler.“84
Er notiert auch:
„Der Staat ist immer instinktmäßig nach der relativen Einsicht und Kenntnis der menschlichen Natur eingeteilt worden – der Staat ist immer ein Makroanthropos gewesen – die Zünfte = die Glieder und einzelnen Kräfte – die Stände = die Vermögen. Der Adel war das sittliche Vermögen – die Priester das religiöse Vermögen – die Gelehrten die Intelligenz, der König der Wille. Allegorischer Mensch.“85
Manche Parallelstellen ließen sich finden. Novalis betont in seinen theoretischen Schriften und Notizen nicht nur die Analogie von Mensch und Staat, sondern auch die Menschwerdung im Staat. So schreibt er: „Um Mensch zu werden, bedarf es eines Staates.“86 Solchen Formulierungen hätte Schmitt zustimmen können. Er gibt sich aber keine Mühe, das staatstheoretische Argument von der monarchistischen Auslegung zu trennen und in der Lage von 1798 zu situieren. Novalis sieht sich damals in der Alternative „Form oder Unform“ und sucht eine Antwort auf die Revolution. Er meint: „Genau haben die meisten Revolutionisten gewiss nicht gewusst, was sie wollten – Form, oder Unform.“87 Der bürokratischen Maschine und Konstitution stellt er die personalistische Repräsentation entgegen und nennt den König das „Lebensprinzip des Staates“.88 Die Integration des Volkes zur Nation oder Republik erhofft er dabei von einer vorbildlichen Lebensführung des jungen Königspaares. Novalis spricht von „ästhetischer Erziehung“ oder soziomoralischer Identifikation und Integration der Bürger in den Staat: von der Schaffung einer preußischen Nation. Mit Smend gesprochen, betont er die „persönliche Integration“ durch politische Führer. Die strategische Idealisierung seiner Ausführungen ist Novalis klar. So sagt er auch: „Aber die Vortrefflichkeit der repräsentativen Demokratie ist doch unleugbar. Ein natürlicher, musterhafter Mensch ist ein Dichtertraum.“89 Vielen solchen Überlegungen hätte Schmitt zustimmen können. Er hätte dabei zwischen dem staatstheoretischen Grundansatz, der monarchistischen Auslegung und der republikanischen Politisierung unterscheiden können. Den „Divinationssinn“ des „magischen Idealismus“ lehnt er aber ab. Novalis meint:
„Die Philosophie ist von Grund auf antihistorisch. Sie geht vom Zukünftigen, und Notwendigen nach dem Wirklichen – sie ist die Wissenschaft des allgemeinen Divinationssinns. Sie erklärt die Vergangenheit aus der Zukunft“.90
Novalis idealisierte seine Überlegungen in Antizipation einer „neuen Zeit“ und „Zukunft“ des „tausendjährigen Reiches“. Schmitt hielt von einem solchen Utopismus gar nichts und ignorierte deshalb vielleicht auch den Ofterdingen-Roman. Das Mittelalter-Kleid ist nicht zuletzt die Rückprojektion einer Vorprojektion: die Fabel, die der Utopie eine Gestalt geben kann. Mittelalter ist Zwischenzeit, Transformationszeit, Zeit des Übergangs, wie die Lage um 1800. Im zweiten Kapitel des Romans heißt es dazu:
„In allen Übergängen scheint, wie in einem Zwischenreiche, eine höhere, geistliche Macht durchbrechen zu wollen; und wie auf der Oberfläche unseres Wohnplatzes die an unterirdischen und überirdischen Schätzen reichsten Gegenden in der Mitte zwischen den wilden, unwirtlichen Urgebilden und den unermeßlichen Ebenen liegen, so hat sich auch zwischen den rohen Zeiten der Barbarei und dem kunstreichen, vielwissenden und begüterten Weltalter eine tiefsinnige und romantische Zeit niedergelassen, die unter schlichtem Kleide eine höhere Gestalt verbirgt.“91
Das war um 1800 Novalis’ Hoffnung. Schmitt hätte dem zwar grundsätzlich zugestimmt; selbst 1942 zitierte er zum Weltkriegsgeschehen noch Hölderlin: „Auch hier sind Götter und walten, / Groß ist ihr Maß.“ (LM 107; SGN 210) Schmitt verband das 1942, anders als 1933, aber nicht mehr mit dem Reichsmythos, den Novalis im Ofterdingen mit der Kyffhäusersaga zitierte. Literarisch antwortete Novalis mit dem Ofterdingen vor allem auf Goethe; er poetisierte die Romanform über den Wilhelm Meister hinaus, indem er sie ins philosophische Märchen verwandelte; Novalis vertrat die – von Benjamin92 pointierte – romantische Auffassung, dass ein Kunstwerk sich erst wirkungsgeschichtlich durch die Kunstkritik optimiert. In diesem Sinne notierte er: „Der wahre Leser muss der erweiterte Autor sein.“93 Als „wahrer Leser“ transformierte Novalis das Evangelium der „Ökonomie“, das er Wilhelm Meisters Lehrjahren entnahm, unter dem Eindruck der 1795 publizierten Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten und des dort abschließenden Märchens.
Die Literatur weist für den Ofterdingen oft auf Goethes „Märchen“ hin. Dabei ist der Zusammenhang mit den Unterhaltungen zu beachten. Goethe formulierte mitten in den Revolutionsexodus von 1795 hinein Diskursregeln eines zivilen Umgangs mit Flüchtlingsschicksalen: Die gastgebende Baronesse dekretierte ihren Gästen als Umgangsregel für die „gesittete Bildung“94 das Gebot der „geselligen Schonung“: „Lasst uns dahin übereinkommen, dass wir, wenn wir beisammen sind, gänzlich alle Unterhaltung über das Interesse des Tages verbannen!“95 Die Unterhaltungen dokumentieren eine fortschreitende Entpolitisierung der exemplarischen Geschichten in Richtung auf die allegorische und symbolische Übersetzung. Dieser Zug zur Entpolitisierung und Allegorisierung zeigt sich auch im Ofterdingen. Dort meint Heinrich eingangs zu den unterhaltsamen Kaufleuten:
„Ich weiß nicht, aber mich dünkt, ich sähe zwei Wege um zur Wissenschaft der menschlichen Geschichte zu gelangen. Der eine, mühsam und unabsehbar, mit unzähligen Krümmungen, der Weg der Erfahrung; der andere, fast Ein Sprung nur, der Weg der innern Betrachtung.“96
Man sollte die Romangestalt nicht einfach mit Novalis identifizieren und Heinrich auf den „Weg der inneren Betrachtung“ festlegen. Er wandert ja durch die Welt und poetisiert vor allem seine erotische Erfahrung. Auch Novalis war kein Einsiedler und Klosterbruder. Als Dichter beschwor er aber die Liebe als vereinigende Kraft. Politisch proklamierte er ein Friedensreich, auch wenn sein „Europa“ im Ofterdingen vom Kreuzzug gegen das „Morgenland“ und der Rückeroberung des „heiligen Grabes“ lebt. Die Ritter singen: „Wir waschen bald in frohem Mute / Das Heilige Grab mit Heidenblute.“97 Klingsohr erklärt Heinrich: „Der wahre Krieg ist der Religionskrieg“.98 Diese Thematisierung von Ritterschaft und Krieg war auch eine Stellungnahme zu den Revolutionskriegen nach 1789. Das Romanfragment endet aber mit Ausführungen des Sylvester zur Souveränität des Gewissens:
„Alle Bildung führt zu dem, was man nicht anders, wie Freiheit nennen kann, ohnerachtet damit nicht ein bloßer Begriff, sondern der schaffende Grund alles Daseins bezeichnet werden soll. Diese Freiheit ist Meisterschaft. Der Meister übt freie Gewalt nach Absicht und in bestimmter und überdachter Folge aus. Die Gegenstände seiner Kunst sind sein, und stehn in seinem Belieben und er wird von ihnen nicht gefesselt oder gehemmt. Und gerade diese allumfassende Freiheit, Meisterschaft oder Herrschaft ist das Wesen, der Trieb des Gewissens.“99 „Das Gewissen ist der Menschen eigenstes Wesen in voller Verklärung, der himmlische Urmensch.“100
Schiller hatte im Gespräch mit Goethe über den Wilhelm Meister – so im Brief vom 8. Juli 1796 – bereits moniert, die „Idee der Meisterschaft“ sei in den Lehrjahren noch nicht ganz klar. Novalis revidiert Goethes Roman aus seiner religiösen Auffassung von der Souveränität des Gewissens heraus. Dieser starke Gewissensbegriff, für den Novalis auch von „Geist“ und „Gemüt“ spricht, ließe sich theologisch im freikirchlichen Protestantismus und mystischen Traditionen verorten; politisch hätte ihn Schmitt als anarchistisches Denken abgelehnt. Novalis träumte von Selbstherrschaft, charismatischer Herrschaft der reinen Gewissen, von einem Staat ohne die Befugnis, im Modus der Legalität „zu zwingen“.
Auch Schmitt waren solche anarchistische Träume nicht ganz fremd. Er kritisierte die bürokratische Herrschaft des formalen Rechts, Entfremdung von Legalität und Legitimität, und argumentierte für eine Suspension der Legalität im charismatischen Führerstaat; er konstatierte eine Kluft zwischen einem „bürgerlichen Rechtsstaat“ und der „unmittelbaren Gerechtigkeit“ des charismatischen Führers und brauchte Jahre, um den Führerstaat als Leviathan zu erkennen. Zweifellos hätte er aber in den 1920er Jahren schon Novalis entgegnen können: ‚Deine chiliastischen Träume vom „neuen“ und „dritten Reich“ kenne ich! Alle anarchistischen Utopien von der Herrschaftsfreiheit und freien Moral führen in die „Erziehungsdiktatur“. Das zeigt die bolschewistische Sowjetunion! Das war bereits eine Erfahrung der Französischen Revolution!‘
Novalis hat das nicht so gesehen. Sein „Weg der innern Betrachtung“ changiert zwischen entpolitisierender Ausflucht und anarchistischer Idealisierung und Moralisierung der Politik. Novalis betrachtete das als religiöse Utopie. Um der Zukunft willen idealisierte er die bestehende Monarchie. Wahrscheinlich war ihm die Staatsformenfrage sekundär. Gewiss war er kein dogmatischer Anhänger der dynastischen Legitimität, sondern band seinen Monarchismus an idealisierte Voraussetzungen. Was er verfassungspolitisch vor allem forderte, war die republikanische Gesinnung. Wie sehr seine Überlegungen damals auf verlorenem Posten standen, zeigt schon sein vor dem Ofterdingen entstandenes Fragment über Die Christenheit oder Europa, das erst 1826 vollständig publiziert wurde. Eine Wiederkehr des katholischen Mittelalters war damals ebenso unmöglich wie das tausendjährige Reich einer theokratischen „Regierung Gottes auf Erden“.101 Schmitt konnte diese Schrift nur als Märchen betrachten. Mit den damaligen Entscheidungsfragen hatte sie nichts gemein. Gerade löste sich das alte Reich auf und die letzten geistlichen Fürstentümer wurden säkularisiert. Die Trennung von Staat und Religion wurde vollzogen.
Novalis antwortete mit seinen Träumereien auf die Zeit um 1798: die Lage nach den Koalitionskriegen, den Verträgen von Basel und Campoformio, in denen Preußen und Österreich sich mit Frankreich arrangierten, sowie den Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. Das ist für Schmitts Interesse, oder vielmehr: Desinteresse wichtig. Schmitt unterschied verfassungspolitisch zwischen der Lage nach 1789 oder 1798 und der Jahre 1806 oder 1815: der preußischen Erhebung und der Antwort des Wiener Kongresses und der Restaurationsepoche. Er dachte die deutsche Verfassungsgeschichte von den Resultaten von 1815 her. Als Aufbruchzeit interessierte ihn der Vormärz weitaus mehr als die Lage um 1800. Eine komplexe Beschreibung der verfassungspolitischen Lage in Deutschland nach 1789 hat er nirgendwo publiziert. Erst im Spätwerk erörterte er die Lage nach 1806 und der preußischen Erhebung von 1812 eingehender. Das frühromantische Interim oder Interregnum ignorierte er verfassungspolitisch.
Will man verstehen, weshalb er die Romantik von der Restauration nach 1815 her dachte und ablehnte, so sehe ich zwei Ansatzpunkte: Es wurde gesagt, dass Novalis den Staat als eine Nation oder Republik imaginierte, die über ein ideales Königspaar integriert wurde. Einen solchen konstitutionellen Vorrang der Nation vor dem Staat gab es für Schmitt, der primär etatistisch dachte, aber nicht. Die nationalistische Mobilisierung Preußens gegen Napoleon beschäftigte ihn erst im Spätwerk. Wenn Schmitt der Romantik von 1798 einen idealistischen Überschuss zubilligte, so lag dieser weniger im Nationalismus als in der Reichsidee. Der wichtigste Text, den er dazu schrieb, ist seine Kölner Antrittsrede vom Sommer 1933 über Reich – Staat – Bund. Dazu gibt es eine interessante Vortragsfassung vom 22. Februar 1933, vor den Märzwahlen und dem Ermächtigungsgesetz, mit dem erst Hitler, nach Schmitts Kategorien, zum „souveränen“ Diktator wurde. In Köln erklärte Schmitt lapidar: „Der Begriff des Staates hat das alte Reich zerstört.“ (PB 191). Im früheren Vortrag meinte er ausführlicher:
„Es gibt Begriffe, die geradezu eine explosive Kraft haben und umgekehrt: durch Zerstörung eines Begriffs kann ich ein Reich zerstören, und die Wirkungen einer Begriffszerstörung können je nach der historischen Lage der Sache so einer Thronzerstörung selber gleichen. Mit diesen Begriffen ist eine sehr wichtige unmittelbare Frage verbunden, nicht nur, weil sie der Kern von Mythen sein können, um die gekämpft wird, weil sie schließlich zu jedem Katechismus gehören, und ein Staat kann nicht existieren ohne einen Katechismus, und ein Katechismus kann nicht bestehen ohne Begriffe, handhabbare, klare Begriffe“.102 „Aber der Kampf um die Worte Reich und Staat wurde merkwürdigerweise niemals so geführt, daß man sagte, das Reich ist mehr als ein Staat oder das Reich ist etwas anderes als ein Staat, ist eine Art politisches Gebilde für sich, sondern Staat war das selbstverständliche Wort. Die reichstreuen Leute, die zum Ausdruck bringen wollten, daß sie selbst 1797 noch an einem Reich festhielten, fanden dafür kein anderes Wort, als daß sie versicherten, das Reich sei trotz allem doch noch ein Staat“.103
Schmitt konnte hier Novalis als einen der reichstreuen Denker von 1797 meinen, die der Reichsidee nachträumten und doch vom Staat sprachen, denen ein verfassungspolitisch konkreter Reichsbegriff fehlte. Er nennt stattdessen aber immer wieder den jungen Hegel, der in seiner Verfassungsschrift von 1802 schon „aus dem Reich in den Staat“ geflüchtet sei und dann die Konstitutionalisierung Preußens nach 1815 auf den Begriff brachte. Schmitt ging auf Novalis nicht näher ein, weil seine Verfassungsgeschichte an den Epochen der deutschen Antwort nach 1789 nicht historistisch interessiert war, sondern die Entscheidungen von 1815 zum politischen Ausgangspunkt nahm. Schmitt meinte, dass der preußische Konstitutionalismus die Reichsidee beerbt und beerdigt hatte. Novalis hätte er dagegen als einen Versuch der Rettung der Reichsidee durch Nationalisierung betrachtet.
Liest man den Ofterdingen mit Glauben und Liebe zusammen, so wollte Novalis Preußen irgendwie mit der Reichsidee verknüpfen. Ein solcher Transfer war aber unmöglich. Die Reichsinsignien lagen in Wien und eine Übergabe an Berlin war politisch wie konfessionell nahezu ausgeschlossen. Schmitts Befund, dass der Staatsbegriff und territorial-staatliche Separatismus, die Spannung zwischen Preußen und Österreich, auch eine Wiedergeburt des Reiches unter preußischen Vorzeichen ausschloss, war politisch berechtigt. Wenn Schmitt das 1933 ausführte, stellt sich die Frage, ob er den Nationalsozialismus als charismatische Wiedergeburt der Reichsidee betrachtete. Buchstäblich muss man das so sehen, obgleich Schmitt vorsichtig und vorbehaltlich formulierte; es könnte ernstlich so gedacht gewesen sein, war Schmitt doch ein religiöser Ekstatiker wie Novalis, der die religiösen Weihen suchte. Eine Verbindung Preußens mit der Reichsidee lehnte er aber für die Lage um 1800 ab und meinte dagegen mit Hegel, dass die Rettung Deutschlands vor Napoleon nur durch die preußischen Reformen auf dem Weg der Etatisierung erfolgen konnte. Diese Antwort der preußischen Reformen hat Novalis jedoch nicht mehr erlebt. Schmitt unterschied bei politischen Denkern zwischen Siegern und Verlierern. Es wäre aber übertrieben zu sagen, dass er Novalis als einen „Besiegten von 1798“ betrachtete. Dessen politische Schriften hatten überhaupt keine Chance. Die idealistische Verklärung des jungen Königspaars war damals auch wenig überzeugend. Der philosophische Chiliasmus des Novalis ist davon zwar nicht getroffen; Novalis war für Schmitt aber nicht zentral, weil er den philosophischen Idealismus mied und die Lage von 1798 in seiner Verfassungsgeschichte keine Rolle spielte.
V. Gegen den Anarchismus: Fritz Mauthner und Gustav Landauer im Visier
Die letzten Kriegsjahre, der Systemumbruch vom Kaiserreich zur Weimarer Republik und das Scheitern der ersten Ehe Schmitts sind aus den biographischen Quellen nicht detailliert greifbar. Die Ablehnung politischer Romantik und seine Option für Diktatur und Gegenrevolution sind aus den Schriften zwar grundsätzlich klar; seine genaue Wahrnehmung der politischen Lage in Bayern und im Reich ist im Umbruch aber kaum explizit. Schmitt argumentierte bereits indirekt mit den historischen Parallelen zur Moderne und Neuzeit: zur Lage nach 1815 und vor 1648. Er sprach von Wallenstein und Adam Müller, David Friedrich Strauss und Bakunin, statt sich zu Ludendorff oder Ebert, Liebknecht, Eisner oder Leviné klar zu positionieren. Es gibt auch nur wenige rückblickende Äußerungen zu den Akteuren des bayerischen Sonderwegs in die Weimarer Republik. Ob Schmitt etwa die Reichsexekution gegen Bayern und die Gewalt der Freikorps in der Bürgerkriegslage des Frühjahrs 1919 für richtig hielt, ist aus den damaligen Quellen kaum zu sagen. Rückblickende Äußerungen sind unzuverlässig. Auch einige späte Briefe an Hansjörg Viesel, in denen Schmitt sich über seine frühe Münchner Zeit äußert, bleiben vage. Viesel hatte sich über die Erwähnung von Otto Gross in der Politischen Theologie (PT 71) verwundert; Schmitt antwortet dazu 1973: „Sie, lieber Herr Viesel, sind also der Erste und Einzige, der – innerhalb eines halben Jahrhunderts! – das Zeichen bemerkt hat.“104 Im Juli 1973 schreibt er ergänzend:
„Max Weber habe ich erst 1919 persönlich kennengelernt, in München, als Hörer seiner damaligen tumultarischen Vorlesungen und Mitglied seines Dozenten-Seminars (Kurt-Eisner-Zeit); Eisner ist als Modell des ‚Charisma‘ und der ‚charismatischen Legitimität‘ in Webers Soziologie eingegangen. Der von Jaspers und Theodor Heuss aufgebaute Max-Weber-Kult hat einer kritischen Würdigung dieses erstaunlichsten Falles politischer Theologie im Wege gestanden“.105
Weber hatte zum Sommersemester 1919 den Lehrstuhl in München übernommen. Damals war Schmitt noch in der Heeresverwaltung tätig. Erst zum Wintersemester 1919/20 übernahm er seine erste feste Dozentur. Er besuchte damals Webers Veranstaltungen und klebte sich eine Teilnehmerkarte in sein Exemplar von Wirtschaft und Gesellschaft. Dazu ergänzte er handschriftlich: „Die intellektuelle Besorgnis, ein fremdes Charisma zu verkennen, war stärker als die existentielle Angst, das eigene Dasein zu verfehlen. (Dr. Toller, Eisner 1919)“ (TB 1915/19, 495) Weber las im Wintersemester seinen „Abriss der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ und gab samstags ein Seminar „Soziologische Arbeiten und Besprechungen“. Am 21. Februar 1920 zählte Weber in einem Brief an Karl Vossler die regelmäßigen Teilnehmer des Dozentenseminars auf: Rothenbücher, Palyi, Carl Landauer, Christian Janentzky, Ernst von Aster, Friedrich Klausing und Schmitt.106 Wenn Schmitt rückblickend von der Eisner-Zeit sprach, zeigen sich Überformungen der Erinnerung: Weber veranstaltete das Dozenten-Seminar über ein Jahr nach Eisners Ermordung.
Spätestens seit der Politischen Theologie argumentierte Schmitt mit der historischen Parallele von 1848; er spiegelte die Lage der Weimarer Republik im Aufbruch des Vormärz und der Paulskirchen-Politik. Diesen nationalliberalen Weg zur Reichsgründung sah er im Licht des Ausnahmezustands von den extremen Polen der Revolution und Gegenrevolution her skeptisch; die Münchner Lage von 1918/19 spiegelte er verdeckt in der kleinen Parallele von 1848. Nur einmal (D 185) erwähnt er damals Landauers Ausgabe von Kropotkins Buch über Die französische Revolution.107 Diese Nennung war kein gezieltes metonymisches „Zeichen“, wie die Erwähnung von Otto Gross, steht aber für eine anarchistische Linie der Revolution – von Kropotkin zu Landauer – und die Aktualität der Fronten von 1848. Landauer gilt auch heute als einer der wichtigsten Vordenker und Akteure der Revolution. Das folgende Kapitel will zeigen, dass Autoren wie Landauer hinter Schmitts ständiger Erwähnung von Bakunin stehen und Schmitt intime Kenntnisse und Einsichten in diese Kreise hatte. Das zeigt sich schon am Interesse für Fritz Mauthner, dessen mystische Philosophie Landauer anarchistisch übersetzte.