Kitabı oku: «Die verkannten Grundlagen der Ökonomie», sayfa 2
Kapitel 1: Warum wir Wirtschaft neu denken müssen
Jim Cross schloss seinen Kurs in Angewandter Informatik als Jahrgangsbester ab und war begeistert, als er kurz darauf einen Job im aufstrebenden kalifornischen Silicon Valley fand. Doch obwohl sein Einkommen weit über dem eines durchschnittlichen US-amerikanischen Arbeitnehmers liegt, ist Jim auf unabsehbare Zeit hoch verschuldet, denn die Wohnkosten in dieser Gegend sind enorm und er muss ein beachtliches Studiendarlehen abbezahlen.
In Nigeria beerdigt Marian Mfunde gerade ihr zweites Kind. Ihre fünf Monate alte Tochter starb, ebenso wie Marians erstes Kind, an Hunger. Marian selbst ist an HIV erkrankt. Sie hat sich bei ihrem Ehemann angesteckt, bevor dieser zur Arbeitssuche in die Hauptstadt aufbrach. Seitdem hat sie nichts mehr von ihm gehört.
Die neun Jahre alte Rosario Menen haust in den Straßen von Rio de Janeiro. Sie lebt in ständiger Angst vor Ratten und Vergewaltigern, aber auch vor Polizeitruppen, die regelmäßig auftauchen und die Straßenkinder unter brutaler Gewaltanwendung vertreiben. Rosario ist eines von vielen Tausend Kindern in Brasilien, die kein Zuhause haben und niemanden, der sich um sie kümmert.
In Riad hat sich der achtzehn Jahre alte Ahmad Haman gerade einer fundamentalistischen Terrorgruppe angeschlossen. In seinem Heimatland Saudi-Arabien gibt es für ihn wirtschaftlich kaum eine Perspektive.1 Die Bevölkerung im Nahen Osten hat sich im Zeitraum von 1950 bis 2000 von 100 Millionen auf 380 Millionen mehr als verdreifacht — und fast zwei Drittel der 380 Millionen Menschen im Nahen Osten sind jünger als 25 Jahre. Die Arbeitsmarktsituation ist prekär: Laut einem Bericht des Brooking-Instituts aus dem Jahr 2019 liegt die Arbeitslosenquote in Saudi-Arabien bei 42 Prozent (und das im Vergleich zur weltweiten Quote von 13 Prozent).2 Vor diesem Hintergrund erscheint es Ahmad vielversprechender, auf die Verheißung eines Lebens nach dem Tod im Paradies mit 72 Jungfrauen zu hoffen und sich bei einem Selbstmordattentat in die Luft zu sprengen, als auf eine irdische Zukunft in seinem Heimatland zu bauen, obwohl dieses doch so reich an Erdöl ist.3
Inmitten solch unfassbarer Missstände, unsagbarem Elend und einem überbordenden Wahnsinn führt man in den Wirtschaftswissenschaften endlose Diskussionen über das Für und Wider von freien Märkten gegenüber staatlichen Regulierungen oder von Privatisierungen gegenüber staatlich gelenkten Unternehmen. Man spricht über Unternehmensgewinne, internationale Handelsabkommen, Outsourcing von Arbeitsplätzen, Beschäftigungszahlen, Zinssätze, Inflation und das Bruttoinlandsprodukt (bis 1999 als Bruttosozialprodukt bezeichnet). Diese Themen, die in Nachrichten, Wirtschaftsakademien und Tausenden von Wirtschaftsverträgen gewöhnlich in einer für Laien unverständlichen Sprache behandelt werden, erscheinen den meisten Menschen als frustrierend weit entfernt von ihren tatsächlichen Problemen und Bedürfnissen.
Natürlich ignorieren nicht alle Wirtschaftswissenschaftler die lebensnotwendigen Bedürfnisse von Menschen. Manche, wie zum Beispiel die Nobelpreisträger Amartya Sen und Joseph Stiglitz, verurteilen Praktiken, die Hunger, Gesundheitsschäden und Umweltzerstörung bzw. -verschmutzung verursachen, aufs Heftigste.4 Einige wenige, wie zum Beispiel die MacArthur-Fellows Nancy Folbre und Heidi Hartmann, weisen auch darauf hin, dass erwerbstätige Eltern selbst in einem reichen Land wie den USA unter Druck stehen, weil ihnen nicht ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um sich um ihre Kinder zu kümmern, und selbst Besserverdienende Schwierigkeiten damit haben, Erwerbs- und Familienarbeit zu vereinbaren.5 Bis zum heutigen Tag schenken die meisten etablierten Ökonomen den Auswirkungen von Wirtschaftsmodellen auf unser Alltagsleben jedoch nur wenig Beachtung.6
Die Wirtschaftswissenschaften betrachten Menschen meist nur in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Konsumenten. Und selbst wenn sich Ökonomen mit Umwelt- oder Gesellschaftsproblemen befassen, bleiben sie für gewöhnlich immer noch in ihren Debatten über freie Märkte und Privatisierung vs. Zentralverwaltungswirtschaft und staatliche Regulierungen gefangen – Debatten, die das Grundgerüst für den Konflikt zwischen Kapitalismus und Kommunismus bilden.
Dabei wird die Tatsache ausgeblendet, dass es keinem der kapitalistischen oder kommunistischen Systeme gelungen ist, die chronischen Probleme von Umweltzerstörung, Armut oder kriegerischer und terroristischer Gewalt zu lösen, obwohl dadurch ökonomische Verluste entstehen und so viele Leben zerstört werden. Tatsächlich ist es sogar so, dass sowohl kapitalistische als auch kommunistische Wirtschaftspolitik Ursachen dieser Probleme sind.
Wenn wir unsere Probleme in Zeiten des raschen technologischen und gesellschaftlichen Wandels effektiv angehen wollen, müssen wir sehr viel tiefer gehen und uns mit Themen beschäftigen, die in konventionellen Wirtschaftsanalysen und -theorien bislang ausgeblendet wurden.
Die zunehmenden Probleme von Individuen, Gesellschaft und der natürlichen Umwelt, also unserer Mitwelt, haben eine gemeinsame Ursache: Einen Mangel an Fürsorge bzw. Care.7 Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das uns über Kommunismus, Kapitalismus und andere herkömmliche Ismen hinausträgt. Wir brauchen wirtschaftliche Modelle und Regeln sowie eine Wirtschaftspolitik, die Fürsorge gegenüber uns selbst, gegenüber anderen und gegenüber unserer Mitwelt unterstützen.8
Manchen mag eine auf Fürsorge basierende Wirtschaft unrealistisch erscheinen, tatsächlich ist sie jedoch sehr viel näher an der Realität als die herkömmlichen Wirtschaftsmodelle. Letztere blenden auf befremdliche Art und Weise einige der grundlegenden Voraussetzungen der menschlichen Existenz aus – allen voran die essenzielle Bedeutung von Fürsorge und Care-Arbeit für jegliche ökonomische Aktivität.
Ohne Fürsorge und Care-Arbeit gäbe es keinen von uns. Es gäbe keine Privathaushalte, keine Arbeitskräfte, keine Wirtschaft – nichts davon. Und dennoch wird Fürsorge und Care-Arbeit in kaum einer der aktuellen Wirtschaftsdebatten auch nur erwähnt. Das ist auch deswegen befremdlich, weil der Begriff Ökonomie sich vom griechischen oikonomia herleitet, was »Haushaltsführung« bedeutet, und Fürsorge und Care-Arbeit ein Kernelement der Haushaltsführung sind.9
Dieses Buch zeigt, dass es nicht nur für unser Überleben, sondern auch für ein gutes Leben notwendig ist, Wirtschaft radikal neu zu denken. Dabei wird deutlich, dass das Ausblenden von Fürsorge und Care-Arbeit in der etablierten Wirtschaftstheorie und -praxis verheerende Auswirkungen auf die Lebensqualität von Menschen, auf unsere natürlichen Lebensgrundlagen sowie auf die wirtschaftliche Produktivität, Innovationsfreude und die Anpassungsfähigkeit an neue Bedingungen hatte und hat. Wenn es uns nicht gelingt, Fürsorge und Care-Arbeit in unsere Wirtschaftsmodelle zu integrieren, sind wir in keiner Weise auf die postindustrielle Wirtschaft vorbereitet, in der das wichtigste Kapital aus dem besteht, was Wirtschaftswissenschaftler gerne als »Humankapital« bezeichnen, nämlich aus Menschen. Darüber hinaus ist es unrealistisch, irgendwelche Änderungen einer rücksichtslosen Wirtschaftspolitik oder -praxis zu erwarten, solange Fürsorge und Care-Arbeit nicht mehr Wertschätzung erfahren.
Wie Einstein sagte, können wir Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Wir befinden uns an einem kritischen Punkt, der eine neue Denkweise hinsichtlich unseres Wirtschaftens verlangt.
Unsere Probleme werden sich nicht alle lösen, sobald wir Fürsorge und Care-Arbeit mehr Bedeutung beimessen – aber solange wir dies nicht tun, wird es uns nicht gelingen, Lösungen für die aktuelle globale Krise zu finden, geschweige denn, uns persönlich, wirtschaftlich oder global weiterzuentwickeln. Um etwas an den dysfunktionalen staatlichen Bestimmungen und Wirtschaftspraktiken zu ändern, ist ein neues Herangehen an die Wirtschaft notwendig, bei dem die Forderung nach Fürsorge bzw. allein schon deren Erwähnung kein Tabu mehr darstellt.
1.1 Womit sich die Ökonomie eigentlich beschäftigen sollte
Im Herbst 2004 wurde ich von der Dag Hammarskjöld-Stiftung zu einem Forschungsworkshop zur Zukunft der Wirtschaft eingeladen. Die Veranstaltung fand im Haus meiner langjährigen Freundin und Kollegin Hazel Henderson statt, die zu den Vorreiterinnen auf dem Weg zu einer neuen Art des Wirtschaftens gehört. Die 25 Teilnehmenden, darunter gegenwärtige wie ehemalige Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, sozialen Bewegungen und Regierungspolitik, kamen aus Lateinamerika, Europa, Asien, Afrika, Australien und den USA.
Ausgangspunkt unserer Diskussion war eine Kritik an der sogenannten Neoklassik, also der heute vorherrschenden und oft einzigen Wirtschaftstheorie, die an westlichen Universitäten gelehrt wird. Diese Theorie hat sich aus den früheren klassischen Wirtschaftstheorien von Adam Smith, David Ricardo und anderen »Vätern« der modernen Kapitalismuslehre heraus entwickelt. Sie beschäftigt sich vornehmlich mit der Analyse und Vorhersage dessen, wie der Markt funktioniert. Dabei bedient sie sich hauptsächlich mathematischer Modelle, die eine Art geschlossenen Kreislauf bilden und auf grundlegenden, ja als unantastbar geltenden Annahmen beruhen.
Zu diesen Annahmen gehört unter anderem die Vorstellung eines Homo oeconomicus, der auf Basis rationaler Eigeninteressen fundierte Entscheidungen trifft. Hinzu kommt die Vorstellung, dass der Wettbewerb diese auf Eigeninteressen basierenden Entscheidungen in einer sich selbst organisierenden Dynamik reguliert, was letztendlich dem Allgemeinwohl zugutekäme. Außerdem wird davon ausgegangen, dass die Regierung sich nicht in das Marktgeschehen einmischen solle – eine Ansicht, die als das eigentliche Kernstück der aktuellsten neoklassischen Theorie, dem sogenannten Neoliberalismus, betrachtet werden kann. Diese Theorie wird weltweit von den Vertretern des Neokonservativismus propagiert, die Privatisierungen, Deregulierungen der Märkte und einen von Nationalgrenzen und Nationalinteressen ungehinderten Handel als Wundermittel gegen alle unsere Probleme ansehen.
Zunächst lag der Schwerpunkt des Forschungstreffens der Hammarskjöld-Stiftung darauf, die Defizite der neoklassischen und neoliberalen Wirtschaftstheorien und -modelle zu benennen. Einige Teilnehmende erklärten, dass diese Modelle nicht mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu bringen seien und verwiesen dabei auf Forschungsarbeiten aus der Physik, die Fehler in den computergestützten Analysemethoden und den orthodoxen Wirtschaftsmodellrechnungen offengelegt haben. Diese reduktionistischen Methoden, so ihre Schlussfolgerung, führten zu einem verzerrten Bild der Wirklichkeit. Andere Teilnehmer zeigten auf, wie Märkte heute massiv durch ausgeklügelte Marketingstrategien manipuliert werden, die künstliche Vorlieben und sogar künstliche Bedürfnisse schaffen. Auch die Prämisse, dass Wettbewerb den Markt reguliert, wurde infrage gestellt. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass überall auf der Welt Großkonzerne kleinere Firmen durch Übernahme bzw. Aufkauf schlucken oder sie durch Preisdruck in den Ruin treiben.
Die Diskussion ging dann von der Wirtschaftstheorie zur aktuellen Weltlage über. Viele Teilnehmende kritisierten zum einen den Trend zur Privatisierung von Trinkwasser und anderen lebensnotwendigen Gütern, zum anderen die Anhäufung von immer mehr Vermögen und Macht in multinationalen Konzernen und bei wenigen Superreichen. Andere beanstandeten die fehlende Rechenschaftspflicht für Akteure der Globalisierung (wie zum Beispiel Unternehmen) und internationale Handelsverträge oder das fatale Ausblenden der Umweltzerstörung. Außerdem wurden Neuerungen gefordert, wie zum Beispiel messbare Indikatoren für Lebensqualität (wie der Glücksindex im Königreich Bhutan), aber auch internationale Gerichtshöfe für Produkthaftung sowie neue Lehrbücher und Kurse, in denen alternative ökonomische Sichtweisen dargestellt werden.
Im Laufe der Diskussion wurde allerdings noch etwas anderes immer deutlicher: Trotz zahlreicher gemeinsamer Bedenken und Kritiken gab es in einem Punkt große Unstimmigkeit – und zwar bei der Frage, welchen Bereich die Wirtschaft umfasst bzw. umfassen sollte.
Einige Teilnehmende interessierten sich – ebenso wie die etablierten Wirtschaftswissenschaftler, an denen sie Kritik übten – nur für den schmalen Bereich der ökonomischen Beziehungen innerhalb der Marktwirtschaft. Sie lehnten ökonomische Modelle strikt ab, wenn in diesen auch unbezahlte Care-Arbeit berücksichtigt wurde, die vornehmlich in Privathaushalten und anderen nicht monetären Wirtschaftsbereichen geleistet wird.10 Dies rechtfertigten sie zunächst damit, dass diese Arbeit nicht quantitativ erfassbar sei. Als darauf hingewiesen wurde, dass dies durchaus möglich sei und bereits getan würde, blieben sie dennoch einmütig dabei, dass diese Arbeit nicht miteinbezogen werden solle.11 Während sie sich einerseits also durchaus im Klaren darüber waren, dass fehlerhafte Wirtschaftsmodelle zu fehlerhafter Wirtschaftspolitik führen, machten sie andererseits deutlich, dass sie kein Interesse daran hatten, den Wirtschaftsbegriff auszuweiten oder gar neu zu definieren.
Doch diese Ausweitung und Neudefinition ökonomischer Modelle findet bereits statt. Seit geraumer Zeit haben weltweit Tausende von Männern und Frauen auf die Absurdität hingewiesen, dass die elementarste menschliche Tätigkeit in der Wirtschaftspolitik und der Wirtschaftsgesetzgebung völlig ausgeblendet wird. Bereits 1988 veröffentlichte Marilyn Waring ein bahnbrechendes Buch zu diesem Thema.12 Seitdem haben auch Barbara Brandt, Ann Crittenden, Marianne Ferber, Nancy Folbre, Janet Gornick, Heidi Hartmann, Hazel Henderson, Marcia Meyers, Julie Nelson, Hilkka Pietilä, Genevieve Vaughan und weitere Wirtschaftswissenschaftlerinnen vehement darauf hingewiesen, dass Care-Arbeit in der Wirtschaftstheorie und -praxis berücksichtigt werden muss.13 Weitere Vordenker, wie zum Beispiel Edgar Cahn, Nirmala Banerjee, Herman Daly, Devaki Jain, David Korten, Paul Krugman, Amartya Sen und Thomas Piketty, weisen nachdrücklich darauf hin, dass wir ökonomische Beziehungen aus einem weiteren Blickwinkel heraus betrachten müssen.14 Ihre Arbeiten, besonders die von Pietilä und Henderson, bilden die Grundlage für das erweiterte ökonomische Modell, das für eine Caring Economy notwendig ist.
1.2 Die Wirtschaft neu vermessen
Wenn wir ein neues Wirtschaftsmodell entwickeln wollen, müssen wir ihm eine ganzheitliche Betrachtung der Wirtschaftsbeziehungen zugrunde legen – und zwar angefangen bei der Beziehung der Menschen zu ihrer Mitwelt bis hin zu den ökonomischen Beziehungen in Familien und anderen Lebensgemeinschaften. Hierfür ist eine umfassende und realitätsgetreue Darstellung nötig, die alle Bereiche der Wirtschaft berücksichtigt.
Im Zentrum dieses neuen Wirtschaftsmodells steht der Privathaushalt. Er ist das eigentliche Herzstück der Wirtschaftsproduktivität, denn er ist Grundlage und Voraussetzung für sämtliche anderen Bereiche. Haushalte sind – anders als in den meisten Texten der Ökonomie beschrieben – nicht nur konsumierende Einheiten, sondern vielmehr Produktionsstätten, wobei ihr wichtigstes »Produkt« seit jeher Menschen sind – und dieses »Produkt« ist in der postindustriellen Wirtschaft, in der Unternehmen mantrahaft nach »hoch qualifiziertem Humankapital« verlangen, von größter Bedeutung.
Das neue Wirtschaftsmodell
Unsere Herausforderung besteht darin, eine Caring Economy zu schaffen, die unseren Bedürfnissen und Fähigkeiten gerecht wird, unsere Mitwelt bewahrt und unser großartiges Potenzial an Fürsorge und Kreativität zur Entfaltung bringt.
Wenn in herkömmlichen Wirtschaftsanalysen die Voraussetzungen für hoch qualifiziertes Humankapital untersucht werden, finden Fürsorge und Care-Arbeit in der Regel keine Beachtung. In herkömmlichen Wirtschaftsmodellen werden die grundlegenden Wirtschaftssektoren – Privathaushalte, Non-Profit-Bereich und Ressourcenwirtschaft – ausgeblendet, was zu verzerrter Wahrnehmung und einer verfehlten Politik führt.
Das neue Wirtschaftsmodell beinhaltet alle sechs Wirtschaftssektoren:
• Erster und grundlegender Sektor: Privathaushalte
• Zweiter Sektor: Non-Profit-Bereich
• Dritter Sektor: Marktwirtschaft
• Vierter Sektor: Illegale Schattenwirtschaft
• Fünfter Sektor: Staatswirtschaft
• Sechster Sektor: Ressourcenwirtschaft
Den zweiten Sektor bildet der Non-Profit-Bereich, also die Gemeinwirtschaft, in der anstelle von Gewinn vorrangig nicht-monetäre Ziele verfolgt werden. Dazu zählen das ehrenamtliche Engagement für zivilgesellschaftliche Anliegen wie karitative Zwecke oder Fragen sozialer Gerechtigkeit ebenso wie manche Aspekte der alternativen Tauschwirtschaft, zum Beispiel lokale Tauschringe oder Regionalwährungen, die sich immer stärker verbreiten. Auch in diesem Sektor spielen Fürsorge und Care-Arbeit eine wichtige Rolle.
Die Marktwirtschaft bildet den dritten Sektor. Dieser Sektor steht im Zentrum der konventionellen Wirtschaftsanalysen und -beschreibungen – und obwohl der Markt von den beiden ersten Sektoren angetrieben wird, werden diese bei marktwirtschaftlichen Bewertungen und Regelungen nicht berücksichtigt. Zurzeit ist die Marktwirtschaft oft so aufgebaut, dass sie Fürsorge und Care-Arbeit eher verhindert als fördert – obwohl Studien gezeigt haben, dass Beschäftigte kreativer und produktiver sind, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden.
Zum vierten Sektor, der illegalen Schattenwirtschaft, gehören Drogen-, Sex- und Waffenhandel ebenso wie wirtschaftliche Aktivitäten, die von kriminellen Syndikaten oder Banden kontrolliert werden. In diesem Sektor mangelt es typischerweise an Fürsorge (ganz zu schweigen von den Morden und anderen Gräueltaten, die für ihn charakteristisch sind).
Die Staatswirtschaft bildet den fünften Sektor. Der Staat regelt die Marktwirtschaft durch politische Entscheidungen, Maßnahmen und Gesetze. Außerdem bietet er – entweder direkt oder indirekt über private Unternehmen – Dienstleistungen an, die Care-Tätigkeiten beinhalten, wie zum Beispiel das öffentliche Gesundheitswesen. Doch für unbezahlte Care-Arbeit in Privathaushalten und im Non-Profit-Bereich gibt es in den meisten Staaten nur wenig Unterstützung, obwohl alle anderen Wirtschaftssektoren doch von dieser Arbeit abhängig sind. Außerdem geht Regierungspolitik oft rücksichtslos an den Belangen der Mehrheit vorbei, um die Interessen der Wohlhabenden zu befriedigen, und den meisten Staaten gelingt es nicht, mit ihrer Politik die rücksichtslose Ausbeutung und Verschmutzung unserer Ressourcen zu verhindern.
Dabei ist die Ressourcenwirtschaft, die den sechsten Sektor darstellt, ebenso wie die Haushaltswirtschaft der Privathaushalte von grundlegender Bedeutung, denn unser natürliches Umfeld generiert Rohstoffe, von denen die Marktwirtschaft abhängig ist. Trotzdem findet auch die Natur in herkömmlichen Wirtschaftsmodellen nur wenig Berücksichtigung und dies hat eine Ausbeutung natürlicher Ressourcen zur Folge, deren Auswirkungen durch die Entwicklung immer wirkmächtigerer Technologien zunehmend katastrophaler werden. Lange Zeit wurde Umweltschutz in Wirtschaftstheorien gar nicht berücksichtigt, mittlerweile steht er in Kosten-Nutzen-Analysen üblicherweise auf der Kostenseite.
Die hier beschriebenen sechs Wirtschaftssektoren interagieren beständig miteinander. Wenn wir die Veränderungen herbeiführen möchten, die in unserer Welt heute nötig sind, müssen wir alle diese Sektoren in die Betrachtung miteinbeziehen. Die Herausforderung besteht darin, Wirtschaftsmodelle sowie Maßnahmen und Regeln zu entwickeln, die den ersten, zweiten und sechsten Sektor berücksichtigen und ihnen den gebührenden Wert beimessen – denn das ist die Grundlage für eine Caring Economy, eine Ökonomie, die auf Fürsorge basiert. Wir brauchen ein System, das unseren Bedürfnissen und Fähigkeiten gerecht wird, statt sie auszunutzen, das unsere Mitwelt bewahrt, statt sie zu zerstören, und das unser großartiges Potenzial an Fürsorge und Kreativität zur Entfaltung bringt, statt es einzuschränken.