Kitabı oku: «Die verkannten Grundlagen der Ökonomie», sayfa 5
Kapitel 3: Der Doppelstandard in der Wirtschaft
Manchmal sind wir blind für das Offensichtliche – besonders, wenn es um Überzeugungen und Werte geht, mit denen wir aufgewachsen sind. Die Überzeugung, dass eklatante Ungerechtigkeiten naturnotwendig und daher auch moralisch gerechtfertigt seien, geht weit über die Geschlechterungerechtigkeit hinaus und wurde zur Grundlage unterschiedlichster Formen der Unterdrückung. Die daraus resultierende Überzeugung, dass die Unterordnung einer Gruppe unter eine andere naturnotwendig, ja sogar moralisch gerechtfertigt sei, diente als Vorwand für die Unterwerfung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder ethnischen Zugehörigkeit. Außerdem wurden so auch Sklaverei, Leibeigenschaft und andere Formen wirtschaftlicher Ausbeutung (kurz: alle Formen sozialer oder wirtschaftlicher Ungerechtigkeit) und darüber hinaus Pogrome, Lynchmorde, Terrorismus und Kriege zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionen und Ethnien gerechtfertigt.
3.1 Blind für das Offensichtliche
Ingroup- und Outgroup-Klassifizierungen sind Dominanzsystemen inhärent. Sie können auf Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Ethnie oder anderen Unterscheidungskriterien beruhen. Alle diese Klassifizierungen verstärken einander gegenseitig und verfestigen zudem auch noch zwei für Dominanzsysteme grundlegende Annahmen: Erstens, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, nämlich über- oder untergeordnet zu sein und zweitens, dass Unterschiede mit Überlegenheit und Unterlegenheit gleichzusetzen sind – angefangen bei dem grundlegendsten Unterschied in unserer Spezies, dem Unterschied zwischen Mann und Frau.
Dieses Bild des überlegenen Mannes gegenüber der unterlegenen Frau verinnerlichen Kinder in dominanzgeprägten Familien von klein auf, da ihnen von Unterordnung gekennzeichnete Beziehungen als normal und moralisch richtig vorgelebt werden. Es dient als Vorlage für die Einordnung von Menschen als über- oder untergeordnet und ist daher von grundlegender Bedeutung für die Errichtung und Aufrechterhaltung eines Systems, das darauf ausgerichtet ist Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu verfestigen.
In den vergangenen Jahrhunderten haben Bewegungen für mehr soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit immer wieder versucht, diesen Doppelstandard für Machthabende und Machtlose abzuschaffen. Allerdings konzentrierten sie sich dabei vornehmlich auf die öffentlichen Bereiche der Politik und der Wirtschaft, die – bis vor kurzem – exklusive Männerdomänen waren.
Tatsächlich war es so, dass die bedeutendsten »Väter« des modernen Egalitarismus den Gender-Doppelstandard nicht etwa infrage stellten, sondern im Gegenteil vehement befürworteten. Die Tatsache, dass Frauen aus dem Menschenrechtsideal explizit ausgeschlossen wurden, wird in der Geschichts- und Politikwissenschaft jedoch weitgehend ignoriert.
John Locke, der wichtigste politische Vordenker in Demokratiefragen im 17. Jahrhundert, forderte, dass die autokratischen Monarchen durch in freien Wahlen gewählte Regierungen ersetzt werden sollten. Dabei begehrte Locke gegen die damals vorherrschende Vorstellung auf, nach der die absolute Monarchie ihre natürliche Berechtigung aus der patriarchalischen Familie ziehe. Gleichzeitig beharrte er jedoch weiterhin rigoros darauf, dass es eine »natürliche Grundlage« (a Foundation in Nature) dafür gäbe, dass Frauen rechtlich und traditionell ihren Ehemännern untergeordnet waren.1
Auch der im 18. Jahrhundert lebende und für seinen Einsatz für Freiheit und Gleichheit berühmte Jean-Jacques Rousseau wandte in dieser Hinsicht zweierlei Maß an. Er erklärte, dass Mädchen von klein auf Einschränkungen unterworfen werden sollten, weil »Fügsamkeit« eine Eigenschaft sei, die Frauen ihr Leben lang benötigten, da sie seiner Ansicht nach immer »entweder einem Mann oder dem Urteil der Männer« unterlegen seien und sein sollten.2
Die beiden Vordenker der modernen Demokratie- und Gleichberechtigungsbewegung erkannten diese Absurdität jedoch nicht: Wie kann jemand ernsthaft von einer freien und demokratischen Gesellschaft sprechen, solange die eine Hälfte der Menschheit der anderen untergeordnet ist?
Auch die beiden führenden Wirtschaftsphilosophen des 19. Jahrhunderts waren in dieser männerzentrierten Gesellschaftssicht verfangen. Zwar war Karl Marx und Friedrich Engels die untergeordnete Rolle der Frau bewusst, denn sie beschrieben die Unterdrückung der Frau durch den Mann als »die erste gesellschaftliche Unterdrückung« – allerdings betrachteten sie die »Frauenfrage« (wie viele heutige Sozialisten auch) als zweitrangig.
Obwohl Robert Owen, William Thompson, Anna Wheeler, August Bebel und einige weitere Sozialisten des 19. Jahrhunderts darauf hinwiesen, dass die ungleiche Verteilung des Wohlstands zwischen Frauen und Männern einen bedeutenden Faktor der wirtschaftlichen Ungleichheit darstelle3, erachteten Marx und Engels diese Problematik angesichts der Unterdrückung der Arbeiterklasse als nachrangig.
Dabei wurde im Jahr 1848 nicht nur das Kommunistische Manifest von Marx und Engels veröffentlicht, sondern auch das Feministische Manifest der US-amerikanischen Philosophin und Aktivistin Elizabeth Cady Stanton – doch Marx und Engels ließen diese Dokumentation der wirtschaftlichen Unterdrückung von Frauen unberücksichtigt. Als eine andere US-amerikanische Feministin, Victoria Woodhall, 1860 gegen die Diskriminierung weiblicher Arbeiterinnen in der entstehenden Arbeiterbewegung protestierte, empfahl Marx, die Gewerkschaft solle die Fraktion ausschließen, welche die Frauenfrage über die Arbeiterfrage stelle.4
Für Marx und Engels zählten nur die Klassenunterschiede. Anstatt also einen systematischen Ansatz zu wählen, der die Gesamtheit der Menschen betrachtet, lag ihr Fokus auf den Männern der Arbeiterklasse, über die sie in ihren revolutionären Traktaten leidenschaftlich schrieben. Das, was sie als »Frauenfrage« bezeichneten, sollte warten, bis das kapitalistische System zerstört war.
Da Marx und Engels alles, was Frauen betraf, als zweitrangig betrachteten, schenkten sie auch der stereotypisch mit Frauen assoziierten Fürsorge und Care-Arbeit wenig Aufmerksamkeit und erkannten daher auch nicht, wie stark die Wirtschaft, die sie doch menschlicher machen wollten, durch die Abwertung von Fürsorge und Care-Arbeit entmenschlicht wurde. Obwohl sie sich für wirtschaftliche Gerechtigkeit einsetzten, waren sie blind dafür, dass der für Männer und Frauen verwendete Doppelstandard nicht nur auf Frauen negative Auswirkungen hatte, sondern auf das gesamte Gesellschafts- und Wirtschaftssystem.
Allerdings ist ihre Blindheit gegenüber diesem Doppelstandard kein Einzelfall, sondern so verbreitet, dass sie die Weltsicht der meisten von uns trübte und trübt.
3.2 Geschichten, mit denen wir leben und sterben
Unser Leben wird von Geschichten bestimmt: Sie sagen uns, ob etwas natürlich oder unnatürlich, möglich oder unmöglich, wertvoll oder wertlos ist. Wir verinnerlichen diese Geschichten, lange bevor unsere kritischen Fähigkeiten und unsere Gehirne sich vollständig entwickelt haben. Deshalb neigen wir dazu, die darin enthaltenen Botschaften als unabänderliche Wahrheiten zu akzeptieren – und eine der Hauptbotschaften dieser überlieferten Geschichten ist die Abwertung von einer Hälfte der Menschheit und allem, was mit ihr assoziiert wird.
Ich wuchs in Zeiten auf, in denen der Glaube an die Unterlegenheit der Frau gegenüber dem Mann in den USA noch fest verankert war. Noch in den 1950ern reagierten die Leute auf die Geburt eines Mädchens mit dem Spruch: »Hoffentlich wird es das nächste Mal ein Junge.«
Die überlieferte Angewohnheit, Männerfragen über Frauenfragen zu stellen, ist so tief verwurzelt, dass selbst Menschen, die sich für ihre egalitären Prinzipien rühmen, bei allem, was Frauen anbelangt, oft noch denken, dass es sich dabei »nur um Frauenfragen« handele. Dabei käme selbstverständlich niemand auf den Gedanken, irgendetwas, das die männliche Hälfte der Menschheit anbelangt, als »einfach nur Männerfragen« abzutun.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich noch lebhaft an ein Gespräch mit einem bekannten Menschenrechtsaktivisten, den ich davon zu überzeugen versuchte, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. Nachdem er sich meinen leidenschaftlichen Vortrag unter höflichem, zustimmendem Nicken angehört hatte, erklärte er mir, dass er sein Engagement nicht auf Frauenrechte würde ausweiten können, weil er bereits völlig mit so lebenswichtigen Fragen wie politischer Folter und politischem Mord beschäftigt sei. Als ich ihn darauf hinwies, dass es auch bei Frauenrechten um Leben und Tod ginge – die Gewalt gegen Frauen fordert jährlich Hunderttausende Todesopfer – beharrte er darauf, dass es sich dabei lediglich um »Frauenfragen« handele, derer man sich annehmen könne, wenn »wichtigere Probleme« gelöst seien.
Hier muss hinzugefügt werden, dass nicht nur Männer, sondern auch viele Frauen mit zweierlei Maß messen, wenn es um Geschlechterfragen geht: So entscheiden sich viele Frauen in den USA bei politischen Wahlen lieber für männliche als für weibliche Kandidaten – und in anderen Gegenden der Welt hat dieser Gender-Bias sehr viel extremere Auswirkungen:
In zahlreichen Ländern werden Frauen und Mädchen traditionell, rechtlich und politisch immer noch offen diskriminiert. So sind Frauen in vielen Ländern Afrikas, Südostasiens und des Nahen Ostens nicht berechtigt, Land zu besitzen oder sich als Unternehmerinnen selbstständig zu machen. In manchen Ländern dürfen sie sich nicht einmal frei bewegen. Oft kommt es in diesen Gegenden auch vor, dass Eltern ihren Töchtern den Zugang zu Bildung verwehren oder sie, was Nahrung oder Gesundheitsfürsorge anbelangt, gegenüber den Söhnen benachteiligen.5
Dieser Doppelstandard bei der Ernährung, der oft von Müttern auf die eigenen Töchter angewandt wird, hat direkte Auswirkungen auf die weibliche Sterberate. Laut dem Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Amartya Sen starben in Indien im Jahr 1990 ein Viertel der indischen Mädchen, bevor sie ihr fünfzehntes Lebensjahr erreicht hatten.6 Auch in anderen Ländern der Welt liegt die Sterblichkeitsrate von Mädchen deutlich höher als die von Jungen. Laut einem 1991 veröffentlichten UN-Sonderbericht über Frauen starben in Pakistan pro Jahr von 1000 Personen im Alter von zwei bis fünf Jahren 54,4 Mädchen und 36,9 Jungen. In Haiti waren es 61,2 Mädchen im Vergleich zu 47,8 Jungen, in Thailand 26,8 im Vergleich zu 17,3 und in Syrien 14,6 im Vergleich zu 9,3.7
Dadurch, dass wir diese Fragen als »Frauenfragen« abtun, werden wir blind für das Offensichtliche: Wenn Frauen und Mädchen weniger zu essen bekommen, leiden nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen darunter. Es ist allgemein bekannt, dass Kinder von unterernährten Frauen oft in schlechtem Gesundheitszustand und mit unterentwickeltem Gehirn zur Welt kommen. Wenn Frauen und Mädchen in Hinblick auf Ernährung und Gesundheitsfürsorge benachteiligt werden, dann werden alle Kinder – egal ob männlich oder weiblich – ihres Geburtsrechts beraubt, nämlich ihres Potenzials für eine optimale Entwicklung.
Die Geschlechterdiskriminierung verursacht nicht nur enormes Leid und Unglück, sondern behindert auch massiv die menschliche und wirtschaftliche Entwicklung. So hat sie direkte Auswirkungen auf die Erwerbsbevölkerung, denn sie beeinträchtigt die Fähigkeit von Kindern – also langfristig auch Erwachsenen –, sich an neue Bedingungen anzupassen und Frustrationstoleranz zu entwickeln. Außerdem begünstigt sie gewalttätige Tendenzen. Diese Konsequenzen der Geschlechterdiskriminierung erschweren es, Lösungen für Probleme wie chronischen Hunger, Armut und bewaffnete Konflikte zu finden und Voraussetzungen für eine menschlichere, glücklichere und friedlichere Welt zu schaffen.
In den meisten Ländern erfährt auch die traditionell von Frauen geleistete Care-Arbeit nur wenig bis keine Unterstützung. So gibt es zum Beispiel nur in wenigen Ländern Beihilfen für Familien mit Kindern. In vielen Ländern wird Care-Arbeit selbst dann nur geringer Wert beigemessen, wenn sie innerhalb der Marktwirtschaft erfolgt – und gar keiner, wenn sie privat in Haushalten geleistet wird.
Betrachtet man diese Faktoren vor dem Hintergrund der traditionellen Diskriminierung von Frauen und Mädchen in Bildung, Gesundheitsfragen, Wirtschaft und sogar Ernährung, wundert es einen nicht, dass Frauen und Kinder weltweit die größte Gruppe im Heer der Armen bilden und hier zu den Ärmsten der Armen gehören.
Solange wir in Wirtschaft und Gesellschaft diesen Gender-Doppelstandard verwenden, ist es unrealistisch zu erwarten, dass sich etwas Grundlegendes an der Armutsrate in der Welt ändert, denn solange Frauen und alles, was mit Frauen assoziiert wird, eine Abwertung erfahren, werden Frauen und Kinder das Heer der Armen in der Welt weiter anwachsen lassen.8
Das bedeutet nicht, dass die auf dem Geschlecht basierenden wirtschaftlichen Ungleichheiten gravierender wären als die wirtschaftlichen Ungleichheiten, die auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht oder Ethnie oder anderen Faktoren beruhen. Doch wie oben bereits erwähnt, ist das Bild des überlegenen Mannes gegenüber der unterlegenen Frau ein Grundmuster für die Einteilung der Menschheit in »Unter- und Übergeordnete«, das bereits Kinder in dominanzgeprägten Familien verinnerlichen. Und solange Menschen solche mentalen Kategorien in sich tragen, ist es unrealistisch, irgendwelche Änderungen bezüglich des Ingroup-versus-Outgroup-Denkens zu erwarten, das so viel Ungerechtigkeit und Leid verursacht.
Ebenso wenig können wir ernsthaft auf eine allgemein mehr auf Fürsorge basierende Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik hoffen, solange die überlebensnotwendige, von Männern und Frauen geleistete Fürsorge und Care-Arbeit weiterhin als »bloße Frauenarbeit« abgewertet wird. Solange Fürsorge gesellschaftlich nicht mehr Anerkennung findet, wird sie auch in der Wirtschaftspolitik und -praxis nicht als wertvoll betrachtet werden.
Hier möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass ich – wenn ich von Fürsorge und Care-Arbeit als »Frauenarbeit« spreche – lediglich herkömmliche Überzeugungen wiedergebe, die wir aus Zeiten übernommen haben, in denen die Geschlechterrollen sehr viel rigider festgelegt waren. Das Ziel ist eine Gesellschaft, in der nicht nur Frauen Fürsorge leisten, sondern eine Gesellschaft, in der Frauen gleiche Berufs- und Erwerbschancen haben wie Männer und sich Frauen und Männer die Care-Arbeit teilen. Anders ausgedrückt: Ziel ist ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dem Frauen nicht länger aus Bereichen ausgeschlossen sind, die traditionell Männern vorbehalten waren, und in dem Fürsorge und Care-Arbeit nicht länger als reine Frauensache oder als etwas für »verweiblichte« Männer betrachtet wird.
Außerdem möchte ich noch einmal betonen, dass die Sichtbarmachung und Anerkennung von Fürsorge allein unsere globalen Probleme nicht lösen wird. Wie wir sehen werden, ist der Wandel von einem Dominanz- zu einem Partnerschaftssystem sehr viel komplexer. Es ist allerdings von entscheidender Bedeutung, dass wir aufhören, die Geschlechter mit zweierlei Maß zu messen, denn nur dann kann ein solcher Wandel stattfinden.
Kurz gesagt: Wenn ich hier über die Abwertung der Frauen und des »Weiblichen« berichte, sollen dadurch nicht die Männer für die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Missstände in unserer Welt verantwortlich gemacht werden. Wir sehen uns hier Traditionen gegenüber, die nicht nur Frauen, sondern auch Männer schädigen – natürlich leiden besonders die Frauen darunter, aber letztendlich sind wir alle davon betroffen.
3.3 Die Entfremdung der Care-Arbeit
Als Marx und Engels den Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus forderten, schrieben sie auch über die Entfremdung der Arbeit.9 Sie erklärten, dass die Abwertung und Ausbeutung der Industrie- und Landwirtschaftsarbeiter die Wurzel der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit darstelle. Bei meiner Forderung nach einer Wirtschaftsform, die über Kapitalismus und Sozialismus hinausgeht, verweise ich auf die Entfremdung der Care-Arbeit und benenne die Abwertung und Ausbeutung dieser grundlegenden Arbeit als Hauptfaktor für wirtschaftliche Ungerechtigkeit.10
Die Abwertung und Ausbeutung von Care-Arbeit gehen auf Zeiten zurück, in denen der weibliche Körper und die weibliche Arbeitskraft als männliches Eigentum galten.11 Infolgedessen waren Frauen und alles, was mit ihnen assoziiert wurde, in der Wirtschaftstheorie im Grunde genommen unsichtbar und der Fokus der Wirtschaftsdenker lag auf den Transaktionen zwischen Männern.
Sowohl Adam Smith als auch später Marx ordneten die von Frauen in Haushalten geleistete Care-Arbeit eher dem zweitrangigen Bereich der Reproduktion als dem Produktionsbereich zu und räumten dieser »Frauenarbeit« in ihren umfangreichen Werken nur minimalen Platz ein. Das Versäumnis, die stereotypisch als weiblich betrachtete Care-Arbeit in Wirtschaftstheorien und -modellen sichtbar zu machen, hat bis heute noch direkten negativen Einfluss auf wirtschaftliche Kennzahlen und Praktiken sowie die Wirtschaftspolitik.
Manche werden nun sagen, dass Care-Arbeit sehr wohl wertgeschätzt wird und dabei auf die Blumen und Süßigkeiten zu Muttertag und die traditionelle Anerkennung der mütterlichen Arbeit verweisen. Doch in der Realität erfährt Mutterschaft keine Wertschätzung. Wäre es nämlich so, dann läge in den USA die Armutsrate älterer Frauen – von denen die Mehrheit Mütter sind – nicht deutlich höher als die älterer Männer.12 Dasselbe lässt sich für den deutschen Kontext feststellen.13 Und Frauen und Kinder würden dann auch nicht die Mehrheit der Armen in der Welt stellen.
3.4 Wirtschaftskennzahlen, die Fürsorge und Care-Arbeit berücksichtigen
Das Problem ist also nicht wissenschaftlicher oder technischer Natur. Es besteht vielmehr in der uns überlieferten, tief verwurzelten Dominanzkultur, die mit zweierlei Maß misst und in der Fürsorge und Care-Arbeit wenig bis gar nichts gelten – unabhängig davon, ob es sich um Fürsorge gegenüber anderen Menschen oder gegenüber unserer Mitwelt handelt.
Manche Menschen denken, es sei unmöglich, die in Haushalten und anderen Wirtschaftsbereichen unbezahlt geleistete Care-Arbeit bei der wirtschaftlichen Bewertung mit zu berücksichtigen, da sie jenseits des Marktes stattfindet. Aber obwohl sich tatsächlich nicht alle Aspekte der Care-Arbeit in Geldwert erfassen lassen, ist es angesichts der Faktenlage schlichtweg falsch zu sagen, der wirtschaftliche Wert dieser Arbeit könne überhaupt nicht gemessen werden.
Bereits in den 1930ern zeigte die Wirtschaftswissenschaftlerin Margaret Reid, wie man die unbezahlte Arbeit in den Haushalten statistisch erfassen kann.14 Und wie Marilyn Waring in ihrem grundlegenden Werk If Women Counted darlegt, waren bis zu den 1980ern bereits mehrere Methoden entwickelt worden, um die jenseits des Marktes geleistete Arbeit quantitativ zu erfassen.15
Anfang der 1990er stellte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) drei Methoden vor, mit denen die außerhalb des Marktes in den Haushalten geleistete Arbeit und Produktion gemessen werden kann.16 Ein Ansatz war die Opportunitätskostenmethode. Diese basierte auf den entgangenen Gehaltsmöglichkeiten einer Frau, die sich – anstatt einer Erwerbstätigkeit nachzugehen – um ihre Kinder oder Eltern kümmert, Subsistenzwirtschaft betreibt oder andere unbezahlte Arbeit verrichtet. Dem zweiten Ansatz lag ein weltweiter Vergleich zugrunde, der auf dem marktüblichen Gehalt einer angestellten Hauswirtschafterin basierte (was meines Erachtens eine unzulängliche Methode ist, da der Hausarbeit auf dem Markt ein so geringer Wert beigemessen wird). Der dritte Ansatz bediente sich der Ersatzkostenmethode, die den Wert der Haushaltstätigkeiten misst, indem sie eine Kombination der marktüblichen Gehälter in Gastronomie, Pflege, Gartenbau und anderen Berufen zugrunde legt. Diese Methode wurde 2012 für den Australian Report verwendet, der zeigte, dass die (immer noch hauptsächlich von Frauen geleistete) Care-Arbeit in Haushalten gut 50 Prozent des australischen BIP ausmachen würde – wenn sie denn bei dessen Berechnung berücksichtigt würde.17
Zusätzlich zu diesen inputbasierten Methoden, die den Wert der Hausarbeit am Input wie zum Beispiel den Arbeitsstunden messen, hat das Internationale Forschungs- und Ausbildungsinstitut zur Förderung der Frau (INSTRAW) der Vereinten Nationen auch eine andere, outputbasierte Methode vorgeschlagen. Bei dieser Methode wird die Produktivität der Haushalte anhand des Marktwerts der von diesen zur Verfügung gestellten Produkten und Dienstleistungen gemessen. Als Grundlage dienen zum Beispiel die Preise für Mahlzeiten in einem Restaurant, professionelle Schülerhilfe und so weiter.
Bereits 1985 wurde auf der Internationalen Weltfrauenkonferenz in Nairobi gefordert, dass die von Frauen unentgeltlich geleistete Arbeit in allen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen berücksichtigt werden müsse. Diese Forderung wurde auf der UN-Frauenkonferenz im Jahr 1995 in Peking wieder aufgegriffen und verstärkt, was auch im UN-Bericht über die menschliche Entwicklung von 1995 seinen Ausdruck fand – dieser beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit Frauen und mahnte die Berücksichtigung der von Frauen unentgeltlich geleisteten Arbeit in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen an.
In dem UN-Bericht wird der Wert dieser von Frauen unentgeltlich geleisteten Arbeit auf atemberaubende 11 Billionen US-Dollar pro Jahr geschätzt. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass »die Politik den ›unsichtbaren‹ Beitrag von Frauen nicht mehr wird ignorieren können, wenn die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen diesen vollständig wiedergeben«. Weiter steht in dem Bericht, dass »Frauen mehr Stunden als Männer arbeiten und sich in den meisten Gesellschaften wahrscheinlich als die Hauptversorgenden oder zumindest als ebenbürtige Versorgenden herausstellen würden, wenn ihre unbezahlte Arbeit angemessen bewertet würde.«18
Auf Druck von Frauenorganisationen und der UN-Weltfrauenkonferenz empfahlen die Vereinten Nationen 1993 deutliche Änderungen bei der Erstellung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung: In einem neuen Berechnungssystem sollte die in Haushalten geleistete Arbeit in einem »Satellitenkonto« miteinbezogen werden. Das sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer realistischeren internationalen Wirtschaftsbewertung, denn daran zeigt sich, dass es im Grunde genommen eine politische Frage und keine Frage statistischer Möglichkeiten ist, ob unbezahlte Care-Arbeit in Haushalten in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einbezogen wird oder nicht.
In Kapitel 9 werde ich neue Kennzahlen vorstellen, die vom Center for Partnership Studies entwickelt wurden. Es handelt sich dabei um wirtschaftliche Kennzahlen, die den sozialen Wohlstand messen und den wirtschaftlichen Wert von Care-Arbeit sowohl in der Marktwirtschaft als auch in den anderen Wirtschaftssektoren sichtbar machen. Die von dem Zentrum bereits 1996 durchgeführte Studie Women, Men, and the Global Quality of Life verglich anhand von Statistiken aus 89 Ländern Kennzahlen zum Status von Frauen mit Kennzahlen zur Lebensqualität und zeigte, dass der Status von Frauen aussagekräftige Rückschlüsse auf die allgemeine Lebensqualität eines Landes erlaubt.19
Der Zusammenhang zwischen dem Status von Frauen und der allgemeinen Lebensqualität in einer Gesellschaft wurde auch durch andere Studien bestätigt, unter anderem durch die World Values Survey, die umfangreichste internationale Umfrage zum Thema Wertvorstellungen und deren Wechselspiel mit Wirtschaftsentwicklung und politscher Struktur.20 Auch Ronald Inglehart, Pippa Norris und Christian Wetzel beziehen sich in »Gender Equality and Democracy« auf die Ergebnisse des World Survey 2000 und stellen fest, dass (zusammen mit anderen gesellschaftlichen Veränderungen, die mit einem höheren Status von Frauen einhergehen) eine »Feminisierung des Führungsstils« in engem Zusammenhang mit der Verbreitung demokratischer Institutionen sowie mit einem Wandel der traditionellen autoritären Kindererziehung steht, was wiederum mit zunehmendem gegenseitigem Vertrauen, weniger Abhängigkeit von äußeren Autoritäten und einem wachsenden subjektiven Wohlbefinden sowie einem höheren Lebensstandard verbunden ist.21
Werden in einer Gesellschaft Fürsorge und Care-Arbeit jedoch abgewertet, weil sie mit der »untergeordneten« weiblichen Hälfte unserer Spezies assoziiert werden, dann zeigt sich dort ein allgemein geringeres Maß an Fürsorge in Politik und Praxis. Dabei erfährt nicht nur »Frauenarbeit« wie die Pflege von Kindern, Alten und Kranken weniger Unterstützung, sondern Politik und Praxis weisen auch Defizite in den Bereichen Umweltschutz, Demokratie und Gerechtigkeit auf.
Dieser Mangel an Fürsorge kommt uns wirtschaftlich teuer zu stehen: Hohe Kosten für das Strafvollzugssystem und die Polizeikräfte sowie enorme Unternehmenseinbußen durch Produktivitätsverluste sind lediglich der am deutlichsten erkennbare Preis, den wir gesellschaftlich, wirtschaftlich und menschlich für den Mangel an Fürsorge zahlen. Und dennoch versagen die aktuellen wirtschaftlichen Kennzahlen nicht nur, wenn es darum geht, diese Verluste zu berücksichtigen, sondern sie unterschlagen auch die enormen Gewinne, die eine Gesellschaft durch die von Männern und Frauen geleistete Fürsorge und Care-Arbeit erhält. Und solange Politiker dies nicht begreifen, werden sie eine verzerrte Wahrnehmung dessen haben, was wirtschaftlich produktiv ist.
Eigentlich bräuchten wir keine Statistiken, um zu zeigen, dass Care-Arbeit die wertvollste, elementarste und menschlichste Tätigkeit ist. Ohne Fürsorge sterben wir, mit Fürsorge überleben wir nicht nur, sondern können auch unser Potenzial voll entfalten. Aber was nicht gemessen wird, fließt nicht in die Bewertung mit ein, und solange etwas nicht bewertet wird, wird ihm auch kein Wert beigemessen. Wenn Fürsorge und Care-Arbeit wirklich Wertschätzung erfahren, wird dies ein großer Beitrag zum menschlichen Glück und zur menschlichen Erfüllung sein sowie ein Grundstein für eine reichere, gerechtere und nachhaltigere Zukunft.
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