Kitabı oku: «Die verkannten Grundlagen der Ökonomie», sayfa 3
1.3 Kultur, Wirtschaft und Werte
Wirtschaftssysteme werden von Menschen geschaffen. Sie ändern sich und können geändert werden. Im Lauf der vergangenen 500 Jahre und der technologischen Entwicklung entstanden im Westen unterschiedliche Wirtschaftssysteme. Während des Wandels von einer fast reinen Agrarwirtschaft zur Industriewirtschaft wurde der Feudalismus Schritt für Schritt durch den Kapitalismus und in manchen Ländern durch den Sozialismus ersetzt. Heute befinden wir uns mitten in einer weiteren großen Umwälzungsphase, doch der Übergang von der industriellen in eine postindustrielle Gesellschaft unterscheidet sich von früheren Transformationen.
Dieser Übergang in eine von technologischen Entwicklungen in den Bereichen Elektronik, Biochemie und Nuklearforschung geprägte postindustrielle Gesellschaft vollzieht sich nicht wie frühere Übergänge im Lauf mehrerer Jahrhunderte, sondern innerhalb weniger Jahrzehnte. Und anders als frühere Übergänge wird er bereits intensiv erforscht, noch während er sich vollzieht. Außerdem handelt es sich dabei um eine globale Entwicklung, in deren Rahmen uns immer bewusster wird, dass es so nicht weitergehen kann, weil unsere Zukunft auf dem Spiel steht, wenn wir keine grundlegenden Veränderungen in die Wege leiten.
Historisch gesehen hat die Einführung neuer Technologien auch immer einen gewissen Wertewandel zur Folge gehabt. Zum Beispiel galt in einer Agrargesellschaft Landbesitz als höchstes Gut, was sich mit dem Übergang zur Industriegesellschaft änderte, bei dem Maschinen und andere Anlagegegenstände zunehmend an Wert gewannen.
Doch Werte, die – wie im Beispiel oben – von technischen Faktoren bestimmt werden, sind nur eine (vergleichsweise unbedeutende) Variable in der Gesamtwirtschaftsrechnung. Viel bedeutender und änderungsresistenter sind die zugrunde liegenden kulturellen Werte und die sozialen Strukturen, zu denen die jeweiligen Wirtschaftssysteme gehören. Unsere Vorstellungen davon, was wertvoll ist und was nicht, sind meist unbewusst. Wie wir sehen werden, hängen sie stark von Annahmen ab, die wir aus früheren Zeiten übernommen haben. Damals galt alles, was mit der weiblichen Hälfte der Menschheit assoziiert wurde – wie zum Beispiel Fürsorge und Care-Arbeit – als weniger wertvoll. Heute ist die Gleichwertigkeit von Mann und Frau zu einem westlichen Ideal geworden, und immer mehr Männer lassen sich auf »weibliche« Tätigkeiten ein: So kümmern sich heute zum Beispiel viele Väter in einer Weise um ihre Säuglinge und Kleinkinder, die früher als »unmännlich« gegolten hätte. Dennoch lassen die meisten aktuellen Wirtschaftssysteme immer noch Fürsorge und Care-Arbeit in Familie und Gesellschaft unberücksichtigt, was zu massiver Ungleichheit und zu dysfunktionalen wirtschaftlichen Verhältnissen führt.
Tatsächlich beruht die Absurdität, die unsere Wirtschaft prägt, auf dieser systematischen Entwertung der Tätigkeiten, die am meisten zum menschlichen Wohlergehen und der menschlichen Entwicklung beitragen. So wird der Großteil der Care-Arbeit bei der Messung der Wirtschaftsproduktivität, zum Beispiel bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) oder des Bruttonationaleinkommens (BNE), überhaupt nicht berücksichtigt.15
Und das ist noch nicht alles: Die Wirtschaftspolitik versagt nicht nur darin, Care-Arbeit zu unterstützen, die unbezahlt in Privathaushalten geleistet wird – auch in der Marktwirtschaft erhalten Erwerbstätige in Care-Berufen unterdurchschnittliche Löhne. In den USA sind die Menschen mit Selbstverständlichkeit bereit, einem Installateur, der sich um ihre Abwasserrohre kümmert, 50 bis 100 Dollar pro Stunde zu zahlen, während die Erzieher, die sich um ihre Kinder kümmern, nach Angaben des US-Arbeitsministeriums im Schnitt nur einen Stundenlohn von unter 12 Dollar erhalten.16 Auch setzt man in den USA bei Installateuren eine Ausbildung voraus, während es akzeptiert wird, dass auch Menschen ohne entsprechende Ausbildung in der Kinderbetreuung arbeiten. Das ist nicht logisch, sondern pathologisch, und wenn wir etwas daran ändern wollen, müssen wir über die üblicherweise in Wirtschaftsanalysen betrachteten Bereiche hinausschauen.
1.4 Der Care-Wert
Derzeit wird in der Wirtschaftstheorie davon ausgegangen, dass sich der Wert eines Produkts oder einer Dienstleistung aus Angebot und Nachfrage ergibt, also knappe Güter oder Dienstleistungen wertvoller sind als solche, die reichlich zur Verfügung stehen. Dabei werden jedoch zwei wichtige Punkte übersehen: Zum einen schaffen die aktuelle Wirtschaftspolitik und -praxis, wie in den folgenden Kapiteln gezeigt wird, häufig künstliche Knappheit. Zum anderen – und auch hierauf wird noch ausführlicher eingegangen – wird die Nachfrage zum großen Teil davon bestimmt, was nach den kulturellen Überzeugungen wertvoll bzw. nicht wertvoll ist.
Sehr viel vernünftiger und realistischer wäre es, Standards für den wirtschaftlichen Wert von Produkten oder Dienstleistungen danach zu bestimmen, ob diese dem Überleben und der Weiterentwicklung der Menschen dienen oder nicht. Nach einem solchen Standard würde einer Care-Kultur – also einer Kultur, die unser Wohlergehen und unsere Entwicklung sowie das Wohlergehen und die Entwicklung unserer Mitmenschen und unserer Mitwelt berücksichtigt – ein hoher Wert beigemessen. Und das gälte auch für Care-Arbeit und die Schaffung menschen- und mitweltfreundlicher Umfelder 17 in Haushalten, Unternehmen, Kommunen und Staaten.
Das bedeutet keineswegs, dass jegliche Fürsorge oder Care-Arbeit finanziell entlohnt werden müsste. Es gibt sehr viele andere Möglichkeiten, wie diese Arbeit anerkannt und belohnt werden kann (und muss) — angefangen von informellen Tauschbörsen, in denen Fürsorgeleistungen ausgetauscht werden können, bis hin zu einer Unternehmens- und Regierungspolitik, die Fürsorge und Care-Arbeit unterstützt und fördert.
In den folgenden Kapiteln wird näher auf eine Caring Economy eingegangen. In diesem Zusammenhang soll noch einmal klargestellt werden, dass Care-Arbeit oder Fürsorgearbeit hier Tätigkeiten bezeichnet, die von Empathie, Verantwortungsbewusstsein und der Sorge um das Wohlergehen der Menschen und ihre optimale Entwicklung getragen werden. Außerdem wird in einer Care-Kultur Fürsorge und Care-Arbeit in allen Lebensbereichen sichtbar gemacht und wertgeschätzt – von den Privathaushalten und Kommunen bis hin zu den Unternehmen und der Politik.
1.5 Die Schaffung einer Caring Economy
Wir befinden uns an einem Kipppunkt, einem Wendepunkt der Weltgeschichte, der nicht weniger verlangt als einen grundlegenden Wandel. Wenn wir die wirtschaftlichen Kenngrößen betrachten, die auf den folgenden Seiten aufgeführt werden, erkennen wir, dass wir in der Weltwirtschaft gigantische Verluste zu verzeichnen haben. Es wird mehr als deutlich, dass wir unser natürliches Umfeld nicht weiterhin so ausbeuten und verschmutzen können wie bisher. Und es wird klar, dass wir – wenn wir ein erfüllteres und sorgenfreieres Leben führen wollen – Fürsorge und Care-Arbeit angemessen wertschätzen müssen, und zwar nicht nur die im Rahmen der Marktwirtschaft geleistete Care-Arbeit, sondern auch die Care-Arbeit in allen anderen Wirtschaftssektoren – angefangen bei den Privathaushalten bis hin zur Ressourcenwirtschaft.
Wir erliegen einer Selbsttäuschung, wenn wir glauben, wir könnten unsere Umweltprobleme allein durch weniger umweltschädliche Technologien oder eine Änderung unseres Konsumverhaltens lösen. Selbst wenn wir in dieser Hinsicht Erfolg hätten – was eher zweifelhaft ist, wenn wir uns nicht tiefergehend mit den Ursachen auseinandersetzen – würden immer wieder neue Krisen entstehen, solange wir keine fundamentalen Veränderungen vornehmen.
Voraussetzung für solche Veränderungen ist, dass wir uns bewusst werden, dass sich die ökonomischen Strukturen und Regeln sowie das Wertesystem einer Gesellschaft und ihrer Institutionen wie in einer Endlosschleife ständig wechselseitig beeinflussen. In Zeiten sozialen Gleichgewichts ist diese Schleife recht stabil und das dahinterstehende Wertesystem wird für so selbstverständlich erachtet, dass es gar nicht mehr bewusst wahrgenommen wird. In Zeiten starker Unbeständigkeit oder Ungleichheit wie den unseren treten die dem System zugrunde liegenden Strukturen und Werte jedoch deutlicher hervor. Deshalb sind heute grundlegende Veränderungen möglich – also Veränderungen, die das System transformieren, anstatt es einfach nur in gewissem Grade zu modifizieren.
Um eine Caring Economy zu entwickeln, müssen wir uns nicht nur auf die Wirtschaftstheorie und -praxis konzentrieren, sondern auch auf kulturelle Werte und gesellschaftliche Institutionen. Als Ausgangspunkt hierfür dienen drei Fragen:
1 1. Welchen Eigenschaften, Tätigkeiten, Dienstleistungen und Produkten wollen wir einen hohen bzw. einen niedrigen wirtschaftlichen Wert zuerkennen?
2 2. Können wir tatsächlich eine soziale und umweltfreundliche Wirtschaftspolitik und -praxis erwarten, solange Fürsorge nicht gesellschaftlich wertgeschätzt und finanziell anerkannt wird?
3 3. Welche wirtschaftlichen Konstrukte sind nötig, um ein Wirtschaftssystem zu schaffen, das stärker auf Fürsorge basiert und effektiver, innovativer und nachhaltiger ist als unser aktuelles?
Sämtliche wirtschaftlichen Institutionen sind Konstrukte – angefangen von Banken über Aktienbörsen, Sozialversicherungssysteme und Gesundheitsfürsorge bis hin zu Kolonialismus, Sweatshops und Kinderarbeit. Arbeitslosenversicherung und Elternzeit sind wirtschaftliche Konstrukte, die eine stärkere Fürsorge für alle Mitglieder einer Gruppe garantieren sollen. Aber auch Sklaverei und Zwangsarbeitslager sind wirtschaftliche Konstrukte – diese sind jedoch wie Sweatshops, Kolonialismus und Kinderarbeit darauf ausgerichtet, bestimmte Mitglieder einer Gruppe effektiver auszubeuten oder sie sogar, falls »nötig«, umzubringen.
Anders ausgedrückt ist ein wirtschaftliches Konstrukt eine Möglichkeit, natürliche, menschliche und menschengemachte Ressourcen zu nutzen und zu verteilen. Aber welcher Art diese Konstrukte sind – und welche Konsequenzen sie nach sich ziehen – hängt vom herrschenden Wertesystem und den auf diesem Wertesystem basierenden gesellschaftlichen Institutionen ab. In unserer Zeit, in der wir – von Werten wie Eroberung, Ausbeutung und Dominanz geleitet – unser Überleben durch Fortschrittstechnologien gefährden, brauchen wir einen Wandel zu einem Fürsorge-Ethos sowie wirtschaftliche Konstrukte, die von einem solchen Ethos getragen werden. Wir brauchen eine Care-Revolution.
Wir müssen entscheiden, welche bestehenden wirtschaftlichen Konstrukte wir beibehalten und welche wir verwerfen wollen. Außerdem müssen wir neue wirtschaftliche Kennzahlen und Regeln sowie politische Strategien und Praktiken entwickeln, die sich an Werten orientieren, die der gerechteren und nachhaltigeren Zukunft entsprechen, die wir uns wünschen und die wir brauchen. Vor allem aber müssen wir das kulturelle Fundament, auf dem sowohl das kapitalistische als auch das kommunistische Wirtschaftssystem basieren, neu errichten und darauf aufbauend ein neues Wirtschaftssystem entwickeln, in dem die grundlegendste menschliche Tätigkeit – die Care-Arbeit – echte Wertschätzung erfährt.
Eine Caring Economy fördert Fürsorge und Care-Arbeit im privaten Bereich ebenso wie in Organisationen, in der Gesellschaft und in Hinblick auf unsere Mitwelt. Sie berücksichtigt das vollständige Spektrum der menschlichen Bedürfnisse, also nicht nur unsere materiellen Bedürfnisse wie Nahrung und Unterkunft, sondern auch unser Bedürfnis nach sinnvoller Betätigung und Lebenssinn. Dieses Wirtschaftssystem ist in ein Gesellschaftssystem integrierbar, das auf Partnerschaft, also gegenseitigem Respekt und Verantwortlichkeit beruht (Partnerschaftssystem), und passt nicht zu einem hierarchischen Gesellschaftssystem der Dominanz (Dominanzsystem).
Die unterschiedlichen Strukturen dieser beiden Modelle (des Partnerschafts- und des Dominanzsystems), die über die herkömmlichen Kategorien von rechts/links, kapitalistisch/sozialistisch und religiös/weltlich hinausgehen, werden in Kapitel 2 beschrieben.
1.6 Die sechs Grundpfeiler einer Caring Economy
Eine Caring Economy beruht auf sechs Pfeilern: einem ganzheitlichen Wirtschaftsmodell; kulturellen Überzeugungen und Institutionen, die Fürsorge und Care-Arbeit wertschätzen; einer Wirtschaftsordnung, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftspraxis, die auf Fürsorge basieren; umfassenden und realitätsgetreuen wirtschaftlichen Kennzahlen; partnerschaftlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen sowie einer Wirtschaftstheorie, die hier als Partnerismus bezeichnet wird, da sie sowohl die partnerschaftlichen Elemente des Kapitalismus als auch die des Sozialismus beinhaltet, aber zugleich über diese beiden Systeme hinausgeht, indem sie die essenzielle wirtschaftliche Bedeutung der Fürsorge für uns, unsere Mitmenschen und unsere Mitwelt (an)erkennt.
Der Wandel hin zu einer Caring Economy wird sich nicht abrupt, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg vollziehen. Er wird schrittweise erfolgen, und jede Verbesserung in einem Bereich wird eine Kaskade von Änderungen in allen anderen Bereichen anstoßen. Wenn sich unsere Vorstellungen davon ändern, was wirtschaftlich als produktiv gilt und was nicht, werden wir Wirtschaft neu denken – und das wiederum wird zu realitätsgetreueren wirtschaftlichen Kennzahlen führen. Diese geänderten Überzeugungen und Kennzahlen werden eine Entwicklung hin zu einer stärker auf Fürsorge basierenden Wirtschaftspolitik und -praxis beflügeln, was wiederum zu mehr partnerschaftlich orientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen führt sowie zur Entwicklung eines ganzheitlichen Wirtschaftsmodells, umfassenderen wirtschaftlichen Theorien und Kennzahlen sowie kulturellen Überzeugungen und Institutionen, die Fürsorge und Care-Arbeit wertschätzen.
Anders ausgedrückt: Jeder Fortschritt auf einem dieser Gebiete treibt den Fortschritt in den anderen Bereichen voran. Je weiter wir in einem der Bereiche voranschreiten, desto schneller werden wir Veränderungen im gesamten Wirtschaftssystem beobachten können.
Der erste Schritt besteht darin, dass wir im öffentlichen Diskurs den Begriff »Care« mit dem Wirtschaftsbegriff verknüpfen und ein Bewusstsein dafür schaffen, welche wirtschaftliche Bedeutung Fürsorge hat. Das ist etwas, das jeder von uns tun kann.
Dass die aktuellen Wirtschaftstheorien und die gegenwärtige Wirtschaftspolitik versagen, wenn es darum geht, Fürsorge und Care-Arbeit als integralen Bestandteil der Gesundheit von Individuen, Wirtschaft, Ökologie und Gesellschaft zu begreifen, hat direkte Auswirkungen auf unser Leben und die Zukunft unserer Kinder: Uns wurden aus der Vergangenheit dysfunktionale Wirtschaftsmodelle und Bewertungsmaßstäbe aufgebürdet, die wiederum zu dysfunktionalen Praktiken und einer dysfunktionalen Politik geführt haben. Und diese Praktiken und diese Politik sind die Hauptursachen für scheinbar unlösbare globale Probleme wie Armut, Überbevölkerung und Umweltzerstörung. In der postindustriellen Wirtschaft sind diese Praktiken und diese Politik Erfolgshindernisse, denn das wichtigste Kapital in der postindustriellen Wirtschaft bilden weder Geld, noch Märkte oder mit neuester Computertechnik ausgestattete Büros – sondern Menschen, sogenanntes »Humankapital«. Außerdem wird dadurch ein unausgewogenes und ungesundes Wertesystem aufrechterhalten.
Dabei ist die Alternative dazu offensichtlich, sobald man nur einen Moment innehält und seinen Blick auf die Wirtschaft einmal nicht darauf ausrichtet, was uns bislang darüber gelehrt wurde, sondern auf das, was uns in unserem Leben und in unserem Zuhause am wichtigsten erscheint. Dann wird nämlich klar: Solange Gerechtigkeit, Fürsorge und Care-Arbeit nicht als wertvoll betrachtet werden, ist es unrealistisch auf die Entwicklung von Gesellschaften zu hoffen, die auf Fürsorge, Frieden, einer gesunden Mitwelt und Gerechtigkeit beruhen und in denen Menschen ein sinnvolles, kreatives und erfülltes Leben führen können.
Das ist keine graue Theorie, sondern von immenser praktischer Bedeutung für unser Alltagsleben – angefangen beim Familienleben über die Erziehung und Bildung unserer Kinder bis hin zu unserem Arbeits- und Geschäftsleben und letztlich dem Überleben unserer Spezies.
Wir können keinen wirklichen Rückgang der weltweiten Armutsrate erwarten, solange wir nichts dagegen unternehmen, dass in der Wirtschaft, was Männer und Frauen anbelangt, mit zweierlei Maß gemessen wird. Solange Frauen und alles, was mit Frauen assoziiert wird, eine Abwertung erfahren, werden Frauen und Kinder das Heer der Armen in der Welt weiter anwachsen lassen.17
Das bedeutet nicht, dass die auf dem Geschlecht beruhende wirtschaftliche Ungleichheit gravierender ist als die Ungleichheit, die auf sozialer oder ethnischer Herkunft oder anderen Faktoren basiert. Aber eines der grundlegenden Muster für die Einteilung der Menschheit in Über- und Untergeordnete, die Kinder von klein auf verinnerlichen, ist die für unsere Spezies typische Vorstellung des »übergeordneten Mannes« und der ihm »untergeordneten Frau«. Solange Menschen dieses geistige Bild als Muster für ihre Beziehungen vor Augen haben, ist es unrealistisch, auf Änderungen im schablonenhaften Ingroup-versus-Outgroup-Denken zu hoffen, das zu so viel Leid und Ungerechtigkeit geführt hat und führt.
Zudem gibt es keine berechtigte Hoffnung für eine auf Fürsorge abzielende Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik, solange die lebensfördernde Care-Arbeit als »Familie und Gedöns«18abgewertet wird. Solange Care-Arbeit keine gesellschaftliche Wertschätzung erfährt, wird sie auch in der Wirtschaftspolitik und -praxis keine erfahren.
In diesem Zusammenhang muss klargestellt werden, dass die Bezeichnung von Fürsorge und Care-Arbeit als »Frauenarbeit« hier nur ein Widerhall herkömmlicher Überzeugungen aus Zeiten ist, in denen die Geschlechterrollen sehr viel stärker festgelegt waren. Das Ziel ist eine Gesellschaft, in der nicht nur Frauen Fürsorge leisten, sondern in der sie gleichberechtigte Erwerbsarbeitschancen haben und sich Männer und Frauen die Fürsorgeverantwortlichkeit teilen. Anders ausgedrückt: Ziel ist ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das Frauen nicht länger aus Bereichen ausschließt, die traditionell Männern vorbehalten waren, und in dem Fürsorge und Care-Arbeit nicht länger als reine Frauensache betrachtet werden bzw. Männer, die diese Aufgaben übernehmen, als »verweiblicht« gelten.
Es soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass die Sichtbarmachung und die Wertschätzung von Fürsorge und Care-Arbeit für sich allein genommen unsere globalen Probleme nicht lösen können. Wie wir sehen werden, ist der Transformationsprozess von einem Dominanz- zu einem Partnerschaftssystem sehr viel komplexer. Doch es ist von grundlegender Bedeutung, dass wir aufhören, Frauen und Männer und das, was wir mit ihnen assoziieren, mit zweierlei Maß zu messen, denn erst dann kann der Wandel von einem Dominanz- zu einem Partnerschaftssystem stattfinden.
Wenn hier über die Abwertung von Frauen und dem »Weiblichen« geschrieben wird, soll damit nicht den Männern die Schuld an den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Missständen in unserer Welt gegeben werden. Die Traditionen, von denen hier die Rede ist, haben nicht nur auf Frauen, sondern auch auf Männer verheerende Auswirkungen. Natürlich sind Frauen davon besonders hart betroffen, aber letztlich leiden wir alle darunter.
Die Globalisierung und der Übergang hin zu einem postindustriellen Zeitalter haben zu großen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen geführt, die bei vielen Menschen Ängste auslösen. Doch diese Verwerfungen eröffnen auch nie dagewesene Anknüpfungspunkte für neue und bessere Lebens- und Denkweisen. Sie geben uns die Gelegenheit, unsere Vorstellungskraft und unseren Einfallsreichtum dazu zu nutzen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedingungen zu schaffen, die unsere Weiterentwicklung fördern – sei es in Hinblick auf den Einzelnen, auf unsere Spezies oder auf die Erde insgesamt.
Die folgenden Kapitel zeigen, wie es uns besser gelingen kann, unsere menschlichen Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen und die Schönheit und den Reichtum unseres Planeten zu bewahren.