Kitabı oku: «Rassismus», sayfa 3
Europa und die islamische Welt
Bevor die Interessen der Feudalmonarchien und des Handelskapitals im westlichen Europa sich miteinander verbanden, um vom fünfzehnten Jahrhundert an die beiden Amerika zu kolonisieren, lag der Hauptbrennpunkt des außereuropäischen Interesses (und der Besorgnis) im Bereich des Mittleren Ostens, Nordafrikas und Indiens, also in dem, was damals als Orient bekannt war. In diesem Zusammenhang kommt Daniel zu der Beobachtung, dass »Europas Idee des ›Fremden‹ viele entscheidende Jahrhunderte lang sich ausschließlich auf die arabische Welt bezog« (Daniel 1975: 322). Dergestalt brachten die Europäer nicht nur den Diskurs über einen fiktiven Anderen am Rand der europäischen Zivilisation hervor, sondern sie produzierten auch den Diskurs über einen wirklichen Anderen, der das Resultat von materiellen und politischen Interessen war, die im Gegensatz zu den Interessen derjenigen standen, welche räumlich und dem Bewusstsein nach zum Markstein für die Grenze Europas wurden: die Araber.
Das feudale Europa war im Entstehen begriffen und die Klassenherrschaft wurde zum Teil durch das Christentum abgesichert. Von daher ist man sich seit der Mitte des siebten bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein in verstärktem Maße der Existenz des Islam bewusst, seiner Religion wie auch seiner Vorherrschaft in Ländern, die innerhalb Europas oder in seiner unmittelbaren Nachbarschaft liegen. Die Folge war, dass man den Islam und die islamische Welt als Quelle der religiösen und politischen Schwierigkeiten Europas definierte (Southern 1962: 3, 13). Geographisch gesehen fand der stabilste Kontakt zwischen Europa und der islamischen Welt in den mittelmeerischen Regionen, vor allem in Spanien, statt, doch wiesen Handelsbeziehungen noch darüber hinaus (Daniel 1975: 109, 220,229). Zu Beginn dieser Epoche gab es hauptsächlich Verbindungen zur arabischen Welt, doch im vierzehnten Jahrhundert sah man die islamische »Bedrohung« in wachsendem Maße von den ottomanischen Türken ausgehen. Allerdings unterlag die Form, in der der islamische Andere dargestellt wurde, keiner einschneidenden Veränderung (ebd.: 314ff.). Das Bild des wilden Sarazenen wurde durch das des wilden Türken ersetzt, aber in Europa betrachtete man beide Gruppen als Moslems und baute den Diskurs über den Anderen um diesen Ausgangspunkt herum auf.
Das europäische Bild des Islam und seiner Anhänger erreichte im zwölften und dreizehnten Jahrhundert ein bemerkenswertes Maß an Kohärenz, wobei allerdings eine ganze Reihe von Schlüsselthemen, die im Lauf der Jahrhunderte immer wieder aufgegriffen werden, schon sehr viel früher offen zu Tage lagen (Daniel 1960: 275, 1975: 31-39). Der islamische Andere galt als barbarisch, degeneriert, und tyrannisch, und man nahm an, dass diese unterstellten Charakterzüge im Wesen des Islam als einer falschen und häretischen Religion verwurzelt waren. Viele Angriffe richteten sich gegen den Propheten Mohammed, der als Betrüger dargestellt wurde, behauptete man doch, sein Leben sei durch Gewalt und Sexualität geprägt gewesen (Daniel 1960: 78, 107). Dies wurde ihm nicht als rein persönliche Verfehlung angerechnet, vielmehr hieß es, die von ihm für seine eigenen Zwecke geschaffene Religion verkörpere Gewalt und Sexualität, was zur Folge habe, dass die Anhänger dieser Religion sich unvermeidlich auf ähnliche Weise verhalten würden. Dergestalt gründe sich der Islam auf Aggression und Krieg, mittels derer er sich auch ausbreiten würde. Er erlaube und fördere Polygamie, Sodomie und allgemeine sexuelle Promiskuität. Er hege die Vorstellung von einem »heiligen Krieg« gegen alle, die nicht moslemischen Glaubens seien, um sie brutal ermorden oder versklaven zu können. Das Paradies aber sei für ihn ein Garten sexueller Freuden und Leidenschaften (Daniel 1960: 123ff., 136-54, 1966: 5, 1975: 234, 243).
Die Gleichsetzung des Islam mit Gewalt wurde mit agitatorischem Eifer von der christlichen Kirche betrieben. Diese Kampagne fand ihren Höhepunkt in den Kreuzzügen des elften Jahrhunderts. Die islamische Besetzung des Heiligen Landes galt als unrechtmäßig und von daher als Beweis für eine aggressive Haltung (Lewis 1982: 22). Demzufolge wurde der Krieg gegen die Sarazenen zur Rückeroberung des Heiligen Landes im Namen des christlichen Gottes theologisch gerechtfertigt. Der islamische Widerstand gegen die europäischen Heere wurde als weiterer Beweis für eine dem Islam innewohnende Neigung zu Grausamkeit und Gewalt gewertet, während die gleichen Kriegshandlungen seitens der Christen natürlich nur Gottes höherem Ruhm dienten (Daniel 1960: 109-13, 1975: 111-39). Erst im späten siebzehnten Jahrhundert wurde die islamische Welt in Europa nicht mehr als von außen kommende Bedrohung empfunden (Harbsmeir 1985: 73).
Zu einer Zeit, da die materielle Welt und die zwischenmenschlichen Beziehungen auf religiöse Weise erklärt und strukturiert wurden, waren auch die europäischen Darstellungsformen außereuropäischer Bevölkerungen religiös motiviert. So geriet die Darstellungsform des Anderen, da sie auf einer alternativen Religion (nämlich dem Christentum) beruhte, zu einer durchgängigen Verzerrung des Islam. Die christliche Literatur über den Islam setzte sich das Ziel,
die Verschiedenheit der moslemischen Araber und der christlichen Europäer nachzuweisen. Dies fand seinen Ausdruck vor allem in theologischen Begrifflichkeiten, weil darin die Einheitlichkeit Europas sich bezeichnete. Zu einer Zeit, da Europa in aggressiver und expansiver Stimmung war, schuf seine überschüssige Energie eine Haltung gegenüber seinen arabischen und arabisch sprechenden Nachbarn, die nicht darauf beruhte, wie die Araber wirklich waren, sondern darauf, wie sie (aus theologischen Gründen) zu sein hatten. (Daniel 1975: 248)
Der theologische Charakter dieser Darstellungsform des Anderen verdeutlichte sich an der Charakterisierung des Islam als Häresie: er war ihre kollektive Verkörperung und ihr unüberbietbarer Ausdruck.
Summa summarum »galt der Islam als Negation der Christenheit und Mohammed als Betrüger, als ein böser Sensualist, als Antichrist, der mit dem Teufel im Bunde war. Man sah die islamische Welt als Anti-Europa und gab diesem Verdacht reichlich Nahrung« (Kabbani 1986: 5). Der Andere wurde als eine Seite einer binären Struktur dargestellt, deren Achse die Religion bildete, während er inhaltlich gesehen als rückständig, wesenhaft grausam, gewalttätig und von irrationaler Sexualität besessen galt (Said 1985: 167, 188, Kabbani: 6, 15,41). So markierte die Darstellungsform ihrem Gehalt nach den Anderen als von Natur aus unterschiedlich; ein Entwurf, der der Dualität zwischen dem »Selbst« und dem »Anderen« Ausdruck verlieh und sie zugleich verstärkte.
Die Epoche der europäischen Expansion und des Kolonialismus
Im fünfzehnten Jahrhundert hatte sich das Zentrum wirtschaftlicher und politischer Macht in den entstehenden Nationalstaaten des nördlichen und westlichen Europa konsolidiert (Kiernan 1972: 12f., Wallerstein 1974). Die herrschenden Klassen des Feudalsystems unternahmen den Versuch, eine größere ökonomische Krise zu überwinden, wobei Handel, Reisen und Entdeckungsfahrten voneinander abhängige Elemente bildeten (Fox- Genovese und Genovese 1983: 10). Zusammengenommen erweiterten sie den Bereich von Kontakten mit außereuropäischen Bevölkerungen. Dies führte zu einer umfassenden Veränderung des strukturellen Zusammenhangs, in dem Darstellungsformen des Anderen entstanden und reproduziert wurden. Bis dahin war der nicht-islamische Andere jenseits und außerhalb des europäischen Bereichs gewesen. Darüber hinaus handelte es sich bei dem Diskurs über den islamischen Anderen für lange Zeit um eine Darstellungsform, die unter den Bedingungen der Unterordnung eines Teils von Europa unter eine überlegene Militär- und Wirtschaftsmacht entstanden war.
Als aber nun die entstehenden europäischen Stadt- und Nationalstaaten ihre wirtschaftlichen und politischen Grenzen zu erweitern begannen, um andere Teile der Welt in ein internationales Handelssystem einzubeziehen (Braudel 1984: 89-174) – ein System, das sich in der Folge mit kolonialistischer Besiedlungspolitik verband – lagen die Bevölkerungen, denen sie gegenübertraten, im politischen wie wirtschaftlichen (wenngleich nicht geographischen) Sinne im Bereich Europas. Und mit der Kolonisierung setzte eine Klasse von Europäern ein neues Zeitalter der Kontaktaufnahme und der Beziehungen zu eingeborenen Bevölkerungen in Gang, wobei diese Kontaktaufnahme in zunehmendem Maße durch Konkurrenzkämpfe um Ländereien, die Einführung des Rechts auf Privatbesitz, die Nachfrage nach Arbeitskräften und die Verpflichtung auf Konversion zum Christentum bestimmt wurde. Alle diese Elemente bildeten die Grundlagen des Zivilisationsdiskurses.
Die Europäer, die bei ihren Reisen bestimmte Interessen verfolgten (Handel, militärische Vorteile, missionarische Sendung, Neugier), hatten bestimmte Erwartungen darüber, wer und was ihnen begegnen könnte; Erwartungen, die sie aus bereits vorhandenen schriftlichen und mündlichen Berichten über den Anderen gewonnen hatten (vgl. etwa Dickason 1984: 18, 80). Ihre Intentionen und Zielvorstellungen beeinflussten die Wahrnehmung der Bevölkerungen, die ihnen begegneten, und das galt auch für den Diskurs über den Anderen, der zugleich bestärkt und grundlegend umgearbeitet wurde. So sprach Kolumbus anlässlich der »Entdeckung« der »Neuen Welt« von »wilden«, nicht aber von »monströsen« Menschen (Friedman 1981: 198). Durch Darstellungsformen, die in empirischer Erfahrung gründeten, konnte der Gehalt der Bilder des Anderen einer Transformation unterzogen werden, doch blieb seine Existenz als eines Spiegels all dessen, was der Europäer nicht war, im Großen und Ganzen unhinterfragt.
Vom sechzehnten Jahrhundert an wurden Reiseberichte eine zunehmend wichtige Quelle für Darstellungsformen, denn die Entwicklung der Drucktechnik und des Buchhandels erweiterte, wenn auch zunächst nur in geringem Maße, ihre Zirkulationssphäre (Febvre und Martin 1976: 180-97, 278-82). Reisebücher wurden in ganz Europa veröffentlicht, allerdings war der Grad ihrer Verbreitung und Popularität in England am größten (Dickason 1984: 6f., Curtin 1965: 10-14, Cole 1972: 59-63). Sie wurden vorwiegend aus Profitinteressen, in zweiter Linie aus Bildungs- und Unterhaltungsgründen veröffentlicht, und das »Massen«-publikum, auf das sie zielten, schloss die nur teilweise Gebildeten ebenso ein wie die herrschende Klasse. Vielfach handelte es sich um Übersetzungen aus anderen europäischen Sprachen, so dass zum Beispiel spanisch-portugiesische Erfahrungen und Darstellungsformen indianischer Bevölkerungen der Karibik und Südamerikas in anderen europäischen Ländern Verbreitung fanden.
In den Darstellungsformen des Anderen diente das Gefühl des Reisenden für das »Normale« dazu, die als abnorm empfundenen Charakterzüge der außereuropäischen Menschen und ihrer Lebensweise zu definieren. So hebt etwa Curtin mit Bezug auf Afrika hervor, dass »die Berichte oftmals genau jene Aspekte afrikanischen Lebens betonten, die im Westen als äußerst abstoßend gelten mussten, und somit die Neigung bestand, die Anzeichen für eine allen gemeinsame Menschlichkeit zu unterschlagen« (Curtin 1965: 23). So diente eine negative Darstellungsform des Anderen dazu, die unterstellten positiven Eigenschaften des Lesers wie auch des Autors zu definieren und zu legitimieren.
Eine wohlbekannte englische Sammlung von Reiseberichten aus der Epoche der europäischen Expansion ist der von Richard Hakluyt zuerst 1589-90 herausgegebene Band, dessen zweite, erweiterte Ausgabe zwischen 1598 und 1600 unter dem Titel The Principal Navigations, Voyages, Traffiques and Discoveries of the English Nation erschien (Febvre und Martin 1976: 281). Diese Sammlung diente dazu, die maritime Überlegenheit Englands zu demonstrieren.
Gleich wie sie [die Engländer, d.U.] unleugbar schon in früheren Zeitaltern Männer voller Wagemut, Abenteurer in fernen Ländern und Erkunder fernster Erdteile gewesen sind, so gilt auch für diese hochberühmte und unvergleichliche Regierung Ihrer hervorragendsten Majestät, dass deren Untertanen, indem sie den weiten Erdball mehr als einmal umrundeten, alle Nationen und Völker der Erde übertroffen haben. (Hakluyt 1972: 33)
Und wie wurden nun die »weniger hervorragenden Völker der Erde« in diesen Berichten und anderen Schriften dargestellt?
Die Darstellung nicht-europäischer Völker war in sich nicht homogen, außer in der sehr allgemeinen Hinsicht, sie seien definitionsgemäß »weniger hervorragend« als die Engländer. Reiseberichte aus dem Osten, aus Russland und Zentralasien benutzen bei der Beschreibung der dort lebenden Menschen des Öfteren Worte wie »barbarisch«, »tyrannisch«, »ungläubig« (Hakluyt 1972: 63, 80, 86, 123, 245). Ihre physische Erscheinung wird kaum je erwähnt (eine Ausnahme bei Hakluyt 1972: 101) und man erfährt wenig über ihre Kultur. Der Diskurs über Tyrannei und Unglauben nahm das wieder auf, was in früherer Zeit bereits zum Islam gesagt worden war und machte die Religion zum Bedeutungsträger, mittels derer eine dialektische Beziehung zwischen dem »Selbst« und dem »Anderen« hergestellt werden konnte.
Anders die Reisenden, die nach Amerika, Afrika und Indien segelten. Hier finden wir regelmäßig Bemerkungen über die Hautfarbe (und andere körperliche Eigenschaften, wie etwa die Beschaffenheit des Haares) und, wenn auch nicht generell, über die Nacktheit oder Halbnacktheit der eingeborenen Bevölkerungen (Jordan 1968: 4, Cole 1972: 64f., ebenso Sanders 1978: 211-25). So beschrieb etwa John Hawkins die westafrikanischen Menschen folgendermaßen:
Die Menschen in jenem Teil von Afrika sind kupferfarben, tragen langes Haar und sind, mit Ausnahme ihrer Geschlechtsteile, unbekleidet. […] Den 29. gelangten wir nach Kap Verde. Hier sind die Menschen alle schwarz und werden Neger genannt. Außer vor ihren Geschlechtsteilen tragen sie kein Kleidungsstück: von der Statur her sind sie gut gewachsen. (Hakluyt 1972: 105f.)
Über die Menschen, denen er auf dem südamerikanischen Festland begegnete, schrieb er:
Diese Indianer haben eine kupferfarbene Haut wie eine Olive, das Haar der Männer und Frauen ist ausnahmslos schwarz und sie dulden kein Haar an irgendeiner Stelle ihres Körpers, sondern reißen es jeden Tag heraus, wenn es nachwächst. Sie gehen alle nackt umher; die Männer bedecken keinen Teil ihres Körpers mit Ausnahme des Penis, über dem sie einen Flaschenkürbis oder ein Stück Bambus tragen, das mit einem um ihre Hüften geschlungenen Band befestigt ist. Die übrigen Geschlechtsteile bleiben unbedeckt und sie schämen sich dessen nicht. Auch die Frauen sind unbekleidet, mit Ausnahme eines Tuches von Handbreite, mit dem sie ihre Schamteile vorn und hinten bedecken. (Hakluyt 1972: 107f.)
Ralph Fitch stellte die Bevölkerung von Ceylon folgendermaßen dar: »Ihre Frauen haben ein Stück Tuch umgebunden, das vom Nabel bis zu den Knien reicht: alles andere ist unbedeckt. Alle, Männer wie Frauen, sind schwarz und sehr klein von Wuchs« (ebd.: 267).
Recht häufig wurden die Bevölkerungen dieser Erdteile als Wilde und/ oder Kannibalen dargestellt (Dickason 1984). John Hawkins beschrieb Dominica als »Kannibaleninsel« (in Hakluyt 1972: 107) und Thomas Cavendish schrieb über eine Bevölkerung auf dem südamerikanischen Festland: »In diesem Flussgebiet gab es eine große Anzahl von Wilden, die wir sahen; wir sprachen mit ihnen: es waren Menschenfresser, die ausnahmslos von rohem Fleisch und anderer widerwärtiger Nahrung lebten« (ebd.: 279). James Lancaster beschrieb die Bewohner des Kaps der Guten Hoffnung als »schwarze, sehr brutale Wilde« (in ebd.: 361); eine Ansicht, der von Reisenden des siebzehnten Jahrhunderts beigepflichtet wurde. Diese Reisenden sprachen von »Tieren in Menschengestalt« und von Wesen, die zwischen Mensch und Affe angesiedelt seien (Novak 1972: 188). Auf der Suche nach der Nordwest-Passage kam Martin Frobisher in Kontakt mit den Menschen, die in der nördlichen Polarregion zu Hause sind. Er beschrieb sie als ungezähmt und grausam und berichtete des Langen und Breiten von ihrer Erscheinung und ihrer Kultur. Frobisher behauptete unter anderem:
Ihr Körperbau ist groß und Wohlgestalt: ihre Hautfarbe gleicht der des sonnengebräunten Landmannes, der im Freien arbeitend sein täglich Brot erwirbt. […] Ich denke, es sind Anthropophagen, die menschliches Fleisch allem anderen vorziehen, denn was immer sie an Fleisch oder Fisch finden (und rieche es auch noch so widerwärtig), essen sie so auf, wie es ist, ohne weitere Zutat. (Hakluyt 1972: 186)
Der Gebrauch des Ausdrucks anthropophagi ist ein Beispiel dafür, auf welche Weise die Kategorien des älteren Plinius noch Jahrhunderte später die Darstellungsformen in Reiseberichten geprägt haben, und befindet sich in Übereinstimmung mit der Behauptung, dass das Kannibalenetikett in westlichen Darstellungen des Anderen immer wieder Verwendung gefunden hat (Arens 1979).
Aber diese Hinweise auf Wildheit und Kannibalismus waren nicht die einzigen Darstellungsformen, die mit den Bedeutungselementen von Hautfarbe und Nacktheit einhergingen. Kolumbus unterschied zwischen canibales und indios; Letztere erscheinen in seiner Darstellung als freundlich, respektvoll und ohne irgendein Anzeichen tierischer Wildheit (Sanders 1978: 93f., 123f.). Francis Drake beschrieb die Bevölkerung der Molukkeninsel Batjan wie folgt:
Körperbau und Statur der Menschen auf dieser Insel sind wohlgestaltet, ihr Verhalten ist zuvorkommend, beim Handel betrügen sie nicht und Fremden gegenüber sind sie höflich. Die Männer gehen nackt einher, mit Ausnahme ihrer Häupter und Geschlechtsteile; jeder Mann trägt die eine oder andere Art von Ohrgehängen. Die Frauen sind vom Nabel bis zum Fuß bedeckt und tragen viele Armringe. (Hakluyt 1972: 186).
Zwei Engländer, die Virginia bereisten, bezeichneten die Indianer, die sie trafen, als »höchst freundlich, liebevoll und treu, weder betrügerisch noch verräterisch; ihre Lebensweise gleicht der des Goldenen Zeitalters« (in ebd.: 274). Tatsächlich wurden einige, die man als »Wilde« bezeichnete, als »harmlos« beschrieben, wie etwa in dem Bericht von Sir Gilbert Humphrey über die Eingeborenen von Neufundland (vgl. ebd.: 236).
Nach anfänglichen Kontakten kam es im Verlauf der Kolonisierung zu komplexeren Darstellungsformen, die positiv bewertete Elemente enthielten. So entwickelte sich etwa eine Achtung für bestimmte Aspekte der Lebensweise nordamerikanischer Indianer, vor allem was ihre Stärke und Gewandtheit und ihre Geschicklichkeit beim Fischen und Jagen anging (Nash 1972: 68). Gleichermaßen wurden die Indianer der Karibik zwar als durch den (ihnen unterstellten) Kannibalismus depraviert dargestellt, doch schrieb man ihnen auch Charaktereigenschaften wie Mut und Stärke zu (Robe 1972: 45). Bisweilen sah man auch in Indianerbevölkerungen das Paradies verkörpert, d. h. ein Leben in ursprünglicher Harmonie und Gleichheit und absoluter Erfüllung (Baudet 1976: 26ff., 35f.). Dergestalt wurden die Nicht-Europäer zum Maßstab dessen, was Europa an einem früheren »Goldenen« oder »paradiesischen« Zeitalter verloren hatte (vgl. Popkin 1974: 129, Baudet 1976: 10f.). Dieser Diskurs sollte zeigen, dass der europäische Beobachter in unnatürlichen und degenerierten Umständen lebte und danach verlangte, zu den idealen Bedingungen, die vor dem Sündenfall geherrscht hatten, zurückzufinden. Damit wird zugleich die Behauptung gestützt, dass das Denkbild des »edlen Wilden« schon lange vor Rousseau entworfen worden war (Symcox 1972: 227f., Baudet 1976: 11, Friedman 1981: 163-77, Dickason 1984: 59, 81).
Aber diese positiven Darstellungsformen müssen im Gesamtzusammenhang gesehen werden, und man kommt an der Tatsache nicht vorbei, dass die Mehrheit der Beschreibungen in Haykluts Sammlung von Reiseberichten abwertende Ausdrücke enthält (vgl. Friedman 1981: 164). In Ergänzung zu den bereits zitierten Beispielen hier noch ein paar weitere: südamerikanische Indianer wurden als »ein kriegerischer Menschenschlag« bezeichnet, der »sehr hässlich und schrecklich anzusehen« sei (Hayklut 1972: 139), indische Brahmanen galten als »listige Menschen, schlimmer als die Juden« (ebd.: 259), die Javaner waren »heidnisch« (ebd.: 293) und die Bevölkerung einer Insel vor der afrikanischen Küste war »verräterisch« (ebd.: 362). Es gab weder eine einheitliche Darstellungsform, noch eine Gleichrangigkeit positiver und negativer Bedeutungen. Die Vielfalt der Darstellungsformen ordnete sich hierarchisch um eine Sichtweise, die besagte, dass die Europäer kraft ihrer »Zivilisation« und ihrer Errungenschaften (zu denen unter anderem Reisen und Handeltreiben gehörten) allen anderen überlegen waren; die Daseinsbedingungen des Anderen galten als Beweis für diese Auslegung.
Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert wurden die Kategorisierungen des Plinius und anderer durch die Konfrontation mit unmittelbarer Erfahrung in ihrem mythischen Charakter deutlich. Zugleich erwiesen diese Erfahrungen sich als weder universell noch einheitlich, und die daraus resultierenden Darstellungsformen waren vielgestaltig, umkämpft und widersprüchlich. Dennoch waren sie, wiewohl empirisch begründet, nicht völlig neu, denn sie enthielten Umgestaltungen früherer Darstellungsformen. Das gilt zum Beispiel für die Bilder des »Wilden« und der Monster mit ihrer langen Vorgeschichte: sie formten die europäische Erfahrung in der Begegnung mit vielen eingeborenen Bevölkerungen Afrikas, Amerikas und selbst der Polarregionen ebenso, wie sie durch diese Erfahrung neu belebt wurden (Friedman 1981: 203f., Fryer 1984: 137). Die ungezähmte Aggressivität, Sexualität und Bestialität des zuvor in den Waldgebieten am Rande (und innerhalb) Europas angesiedelten mythischen »Wilden« fand nun eine genauere geographische Verortung in der Neuen Welt. Darüber hinaus trat die Hautfarbe als Unterscheidungsmerkmal hinzu, so dass der »weiße« Europäer sich gegen den als »schwarz« bezeichneten Anderen abgrenzen konnte.
In besonderen Fällen wurden bestimmte Gruppen als anthropophagi etikettiert, was indes auf eine neue Art und Weise geschah. Von Kolumbus stammt die Vorstellung, dass jene Indianer, die »Kariben« genannt wurden, gewohnheitsmäßig Menschenfleisch verzehrten. Dieser Name wurde dann durch linguistische Prozesse in die – Westeuropäern vertrautere – Bezeichnung »Kannibalen« umgewandelt. In Mexiko und der Karibik verwendeten spanische Entdecker und Kolonisatoren den Ausdruck in zunehmendem Maße für die Völker, mit denen sie in Kontakt gerieten, obwohl es in den schriftlichen Aufzeichnungen jener Epoche keinen einzigen Augenzeugenbericht für »kannibalische« Handlungen gibt. Die zunehmende Verwendung des Ausdrucks scheint Hand in Hand zu gehen mit dem Widerstand der eingeborenen Bevölkerungen gegen die Anwesenheit der Spanier, gegen ihre militärischen Unterwerfungsversuche ebenso wie gegen die Praxis, die Einheimischen zu Zwangsarbeit heranzuziehen (Sanders 1978: 101, Arens 1979: 44-77).
So führte die direkte Begegnung und Auseinandersetzung mit außereuropäischen Bevölkerungen zu einer gleichzeitigen Bestätigung und Rekonstruktion früherer Darstellungsformen (Walvin 1986: 72). Als Europa das entdeckte, was es in eurozentrischer Weise die »Neue Welt« nannte (die für die dort Lebenden ja keineswegs neu war), spiegelten diese Darstellungsformen in zunehmendem Maße neue Zielsetzungen wider: der Entdeckung folgte die Besiedlung und dieser die Einführung von Systemen unfreier Arbeit (Miles 1987a), um die natürlichen Ressourcen zum Nutzen der herrschenden Klassen des europäischen Feudalismus auszubeuten. Von daher fanden Begegnung und Auseinandersetzung nicht unter neutralen oder beiderseitig gleichen Bedingungen statt. Vielmehr vollzog sich die Kolonisierung im Zeichen von widerstreitenden Interessen und ungleichen militärischen Mitteln; zudem wurde sie gemeinhin, (wenn auch nicht generell) unter Anwendung verschiedener Formen und Abstufungen direkter Gewalt durchgesetzt. Die von den in diesen Prozess involvierten europäischen Klassen betriebene (Re-) Konstruktion der Darstellungsformen dieser Bevölkerungen ergab sich zum einen aus der Reaktion auf die Erfahrungen, die sie mit den Bevölkerungen machten und diente zum anderen zur Begründung und Rechtfertigung ihrer Vorgehensweise. Das Resultat war eine vielschichtige Verknüpfung zwischen der Rechtfertigung klassenbedingter Interessen und Strategien und der empirischen Beobachtung in wechselnden Situationen. Die daraus sich ergebenden Darstellungsformen des Anderen waren weder statisch noch homogen (vgl. etwa George 1958, Walvin 1986: 77), und zwar aus folgenden Gründen.
Erstens war die Kolonisierung weder ihren Wesenszügen noch ihrem Verlauf nach einheitlich. Anhand von Mittel- und Nordamerika wie auch der Karibik lässt sich zeigen, dass die Kolonisierung für gewöhnlich von blutigen Auseinandersetzungen, Zwangsarbeit und politischer Unterwerfung begleitet wurde (vgl. etwa Williams 1964: 3-29, Wolf 1982: 131-57), doch benutzte man auch andere Strategien. So herrschten zumindest in bestimmten Zeiträumen Anpassungs- und Austauschstrukturen vor, die sich für beide Seiten (wenn auch nicht in gleicher Weise) auszahlten, so dass die einheimischen Produktionsweisen und die damit zusammenhängenden sozialen Verhältnisse in veränderter Form weiter bestehen konnten. (Dies gilt z. B. für Neuseeland und Kanada; vgl. Oliver 1981: 172, Wolf 1982: 158-94.) Überall dort konnten sich Interdependenzverhältnisse herstellen, wo die Tätigkeit der Kolonisierten Gebrauchswerte produzierte, die als Waren Verwendung finden konnten (wie beim kanadischen Pelzhandel) oder wo, als Reaktion auf die Anwesenheit von Europäern, Gebrauchswerte für die Kolonisatoren (oftmals in der Form von Nahrungsmitteln) hergestellt wurden.
Unter solchen Umständen waren negative Darstellungsformen des Anderen obsolet und die Kolonisatoren zeigten sich, in ihrer Sorge um den Aufbau gewinnträchtiger Handelsnetze, bestrebt, die ökonomischen und sozialen Verhältnisse der Kolonisierten zu studieren und zu verstehen, was oft so weit ging, dass sie ihre Gewohnheiten übernahmen (vgl. Trigger 1985: 195, 224f., 298, 341f.). Darüber hinaus wurde die Kolonisierung oftmals mit der Absicht begonnen, die eingeborene Bevölkerung in die »Zivilisation«, die die Kolonisatoren zu schaffen glaubten, einzubinden. In Australien glaubte man anfänglich, dass die Aborigines für körperliche Arbeit zur Verfügung stehen würden, und erst, als sich dagegen Widerstand erhob, wurde eine in Unterwerfung und Genozid kulminierende Strategie betrieben. Die Darstellungsformen des Anderen passten sich dem auf adäquate Weise an (Miles 1987a: 107, 189ff.).
Zweitens führte die Kolonisierung zu bestimmten politisch-ideologischen Rückwirkungen in den entstehenden europäischen Nationalstaaten. Sowohl die Prinzipien als auch die bestimmten Praktiken der Kolonisierung riefen politischen Widerstand hervor. Im Verlauf solcher Auseinandersetzungen wurden widersprüchliche Darstellungsformen des kolonisierten Anderen hervorgebracht. Dergestalt wurden die Bilder und Vorstellungen von kolonisierten Bevölkerungen zum Gegenstand von Auseinandersetzungen, bei denen der Gehalt miteinander konkurrierender (sich jedoch oft überschneidender) Darstellungsformen sich verschob. So wurde etwa seit dem späten achtzehnten Jahrhundert die von Afrikanern in der Karibik und in Nordamerika geleistete Sklavenarbeit wie auch der Sklavenhandel zum Brennpunkt einer größeren Oppositionskampagne in Großbritannien (vgl. Bolt 1969, Temperley 1972, Anstey 1975, Davis 1984). Dies war der Anlass für eine umfassende Diskussion über das Wesen und die Fähigkeiten afrikanischer Bevölkerungen, in deren Verlauf sehr unterschiedliche Darstellungsformen des Afrikaners als Anderem zur Äußerung kamen (z. B. Davis 1984: 225f.) Darunter fanden sich auch Darstellungsformen von Gegnern der Sklaverei (Abolitionisten), die den Afrikanern die Fähigkeit zuschrieben, das Christentum und englische Heiratsformen zu übernehmen (Walvin 1986: 151f.), wobei die Folgen der Abolition jedoch großenteils negativ interpretiert wurden (ebd.: 84).
Angesichts der räumlichen und zeitlichen Spannweite der Kolonisierung ist es, in Kombination mit diesen Faktoren, nicht möglich, hier eine zusammenfassende Analyse der Darstellungsformen des kolonisierten Anderen zu leisten. Es gibt gute Gründe dafür, sich kurz mit den englischen Darstellungsformen afrikanischer Bevölkerungen auseinanderzusetzen (hinsichtlich anderer kolonisierter Bevölkerungen vgl. etwa Kiernan 1972, Bearce 1982). Zum einen spielte Afrika über vierhundert Jahre lang in vielen verschiedenen Phasen des britischen Kolonialismus eine Rolle, und von daher bilden Darstellungsformen afrikanischer Völker einen der wichtigsten Stützpfeiler in der kolonialen Erbschaft Großbritanniens. Zum anderen verwoben sich diese Darstellungsformen in zunehmendem Maße mit Rechtfertigungsversuchen für wie auch oppositionellen Bestrebungen gegen die Sklaverei der Afrikaner in Nord- und Südamerika. Dies führte zu über-deterministischen Behauptungen, die besagten, dass ökonomische Interessen zur Rechtfertigung der Sklaverei einer Theorie der angeborenen Unterlegenheit bedurft hätten (vgl. Fryer 1984: 134). Ein solcher Funktionalismus wirft wichtige theoretische Fragen auf.
Vor dem Hintergrund des historischen Beweismaterials können solche Behauptungen in ihrer scharfen Form nur unter Schwierigkeiten aufrechterhalten werden, nicht zuletzt deshalb, weil sie die Entwicklung früherer Darstellungsformen von Afrikanern unerklärt lassen. Von daher sind die funktionalistischen Deutungsversuche sicher nicht grundsätzlich falsch, sondern, aufgrund ihrer undialektischen Vereinfachungen, eher unvollständig. Dennoch sollte bei aller Konzentration auf Darstellungsformen afrikanischer Bevölkerungen bemerkt werden, dass Darstellungen anderer kolonisierter Anderer mit den Ersteren neben Differenzen auch gewisse Übereinstimmungen aufweisen. So gibt es etwa in den britischen Darstellungsformen des kolonisierten Anderen einen bemerkenswerten roten Faden, nämlich die exzessive und ungezügelte Sexualität, die einer ganzen Reihe kolonisierter Bevölkerungen zugeschrieben wird (vgl. Kiernan 1972: 59, 255-60).