Kitabı oku: «Traumzeit für Millionäre», sayfa 10

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Das Zeitalter der Maschinen

Österreichs Maschinenindustrie rangierte am Vorabend des Krieges unter den führenden Erzeugern der Welt, hinter den USA, Großbritannien und Deutschland. Die Zentren waren in Niederösterreich und im benachbarten Böhmen und Mähren: Die Nachfrage kam von den großen Treibern des wirtschaftlichen Wachstums, den Eisenbahnen, mechanischen Webereien, Hüttenwerken, Zuckerfabriken, Bierbrauereien, Dampfmühlen und Papierfabriken und nicht zuletzt vom wachsenden Bedarf an landwirtschaftlichen Maschinen für den großen Agrarsektor der Monarchie.

Böhmen und Niederösterreich beherbergten jeweils etwa ein Drittel des österreichischen Maschinenbaus. Die Maschinenindustrie ihrerseits beanspruchte etwa ein Drittel des österreichischen Stahlverbrauchs. Ihr Produktionswert lag 1912 in 21 Aktiengesellschaften und 259 Fabriken mit 34.000 Arbeitern bei etwa 640 Mio. Kronen. Es waren nicht nur die großen Maschinenfabriken, die Brünner Maschinenfabrik, Waagner-Biro in Wien oder die Andritzer Maschinenfabrik, sondern eine ganze Reihe von Nischenbetrieben, wo Wiener Produzenten Weltruf erlangt hatten.

Maximilian und Louis Friedmann besetzten mit der Dampfstrahlpumpe und mit ihrer Armaturenfabrik solch eine Nische, ebenso der Techniker Alfred Collmann, der 1876 die erste zwangsläufige Steuerung für Kolbendampfmaschinen entwickelt hatte, die sogenannte Collmann-Steuerung. Die Maschinenfabrik der Brüder Josef und William Hardy profitierte von der Erfindung ihrers Vaters, der sogenannten Hardyschen Vacuumbremse. Anton Freissler war der erste Hersteller elektrischer Personen- und Lastenaufzüge in Österreich. Aber auch Franz Wertheim, der als Werkzeugproduzent und Erzeuger von feuerfesten Kassen Weltruf erlangt hatte, schuf sich im Aufzugbau ein weiteres Standbein. Karl Schember war der größte Waagenproduzent. Sein Vater, der 1836 als Lokomotivführer in den Dienst der Kaiser Ferdinands-Nordbahn eingetreten war, hatte sich 1852 selbständig gemacht und begonnen, eine Werkstätte zur Erzeugung von Brückenwaagen zu errichten.176 Schember & Söhne stellte 1888 erstmals auch Münzwaagen auf. Das Zeitalter der Münzautomaten war angebrochen: für Schokolade, Zigaretten und eben auch zum Abwägen der eigenen Körperfülle. Ein besonderes Geschäft waren feuerfeste Tresore, die Wertheim mit geschicktem Marketing anbot, oder die Soldkassen für das kaiserliche Heer, die Theodor Braun erzeugte. Später weitete er seine Fabrik für Briefkästen und Metallwaren auf Münzautomaten aus. In den 1980er Jahren wurde die inzwischen recht klein gewordene Firma von dem damaligen Automatenkönig Ferry Ebert übernommen, der von ihr seine Kondomautomaten bezogen hatte. 1993 wurde das Unternehmen liquidiert. Nicht immer waren es technische Wunderdinge: Auch so kleine Dinge wie der Priemsche Druckknopf-Verschluss oder mechanische Feuerzeuge konnten reich machen.

Einige Unternehmen haben ihre Erfolgsgeschichte bis heute fortgesetzt. Aus den Patenterlösen für seinen Reflexions-Flüssigkeitsstandzeiger errichtete Richard Klinger 1893 die „Gumpoldskirchner Maschinen- und Metallwarenfabrik“, wo er ein neues, druck- und temperaturbeständigeres Dichtungsmaterial entwickelte, das später „Klingerit“ genannt wurde und noch heute hergestellt wird. Die Gumpoldskirchener Maschinen- und Metallwarenfabrik Richard Klinger, in der später auch Azetylen-Beleuchtungsanlagen, Stopfbüchsenpackungen sowie verschiedene Arten von Pumpen (Rundlauf-, Feuerlösch-, Öl- und Fettschmierpumpen) erzeugt wurden, wurde 1912 in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt und hatte bei Klingers Tod 600 Beschäftigte. Heute arbeiten für die Klinger-Gruppe, deren Sitz inzwischen in der Schweiz ist, mehr als 1.800 Beschäftigte, davon etwa 400 in Gumpoldskirchen. Auch die Krauseco Werkzeugmaschinen GmbH, 1905 von Ernst Krause, Gesellschafter der Fa. Schuchardt & Schütte, gegründet, blickt inzwischen auf eine mehr als 100-jährige Geschichte zurück. Ihr Gründer, der aus Solingen gebürtige Ernst Krause, versteuerte 1910 bereits die Riesensumme von 304.000 Kronen.

Der aufgehende Stern der Autoindustrie

Die Königin der Maschinen des 19. Jahrhunderts war die Dampfmaschine. Doch ihr Stern war bereits im Sinken. Ein neuer Stern tauchte am Industriehimmel auf: die Fahrrad- und Automobilindustrie. Die ersten inländischen Fahrräder stammten von der Wiener Firma K. Greger, die 1884 die Erzeugung von Hochrädern und 1886 auch von Niederrädern aufgenommen hatte. Greger wurde Millionär. Um 1900 zählte man mehr als 20 Fahrraderzeuger im Land. Doch eine Weltmacht im Fahrradbau wurde Österreich nie. Die österreichische Jahresproduktion wurde 1900 mit etwa 175.000 Stück angegeben. Das waren nur etwa 3 Prozent der damaligen Welterzeugung.177 In Wien war der Kutschen- und Pferdewagenbau, der auf dem Land ein einfaches Gewerbe darstellte, zu einer auf einen überregionalen Markt orientierten Industrie geworden. Jacob Lohner & Comp. war die größte Fuhrwerksfabrik Wiens und das Aushängeschild des österreichischen Kutschenbaus. Es wundert nicht, dass Jakob Lohners Sohn Ludwig die Chancen des Automobilbaus ganz frühzeitig erkannten. Nach einem Technikstudium übernahm er 1887 die Unternehmensleitung und begann nach dem Tod des Vaters mit der Umgestaltung der damals größten Pferdewagenfabrik Österreich-Ungarns auf Automobile und später Flugzeuge. Er setzte auf Elektroautos, denen er wie viele damalige Experten eine wesentlich größere Zukunftschance einräumte als den Verbrennungsmotoren. Elektromobile vermieden zweifellos manche Anfangsschwächen der Benzinkutschen: das Starterproblem, die Lärm- und Geruchsbelästigung und die große Störungsanfälligkeit der Motoren. Sie waren Mobile für kurze Distanzen und gemütliche Fortbewegung. Daher wurden sie auch als „Frauenautos“ beworben.

Der junge Ferdinand Porsche, dem der Maffersdorfer Industrielle Wilhelm Ginzkey 1893 eine Stelle beim Wiener Elektropionier Béla Egger vermittelt hatte, begann für Lohner Elektrofahrzeuge mit Radnabenmotoren zu bauen. 1900 wurde der Lohner-Porsche mit Elektroantrieb auf der Weltausstellung in Paris vorgestellt. Als Lohner-Porsche „Mixte“ und ab 1906 als „Mercedes Electrique“ brachte Ferdinand Porsche sein Konzept des Hybridantriebs zur Serienreife. Der Geschäftserfolg der Elektromobile blieb aber aus. In den Jahren 1900 bis 1904 verkaufte Lohner nur 33 Elektromobile. Damit erreichten sie etwa 15 Prozent des Lohnerschen Jahresumsatzes. Der durchschnittliche Jahresumsatz bei Lohner in den Jahren 1900 bis 1904 betrug 547.000 Kronen. 1906 entschied sich Lohner für den Rückzug aus der Automobilproduktion und verkaufte seine Patente an Emil Jellinek und die Oesterreichische Daimler-Motoren-Gesellschaft in Wiener Neustadt. Ferdinand Porsche wurde deren Direktor und setzte nunmehr auf schnelle Rennautos und Militärfahrzeuge. Lohner selbst widmete sich nur mehr dem Karosseriebau und den elektrischen Oberleitungsbussen. 1909 stieg er mit einem Doppeldecker, der mit einem 40-PS-Anzani-Motor ausgestattet war, in den Flugzeugbau ein. Die k. u. k. Heeresleitung bestellte bei ihm 36 Flugzeuge des Typs Etrich Taube. Dann folgte der Lohner Pfeilflieger, der sowohl als Land- als auch als Wasserflugzeug eingesetzt werden konnte. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde das Werk in Floridsdorf wesentlich erweitert. Im Jahr 1916 wurde das 500. Lohner-Flugzeug gefertigt. Bis zum Ende Krieges kamen noch 185 weitere dazu.178 Bis 1910 konnte Lohner den Umsatz von etwa 500.000 auf 800.000 Kronen heben, ein Niveau, das die Firma schon Mitte der 1890er Jahre am Höhepunkt des Kutschenbaus erzielt hatte. Mit Einsetzen des Flugzeugbaus verdoppelte sich Lohners Umsatz bis 1913 auf etwa 2 Mio. Kronen.

Die galizischen Ölmillionäre

Österreichs Texas oder Arabien lag im Osten. Die galizischen Erdölbarone waren vor dem Ersten Weltkrieg zu einem Begriff geworden. Die Habsburgermonarchie belegte Rang fünf in der weltweiten Erdölförderung. Allerdings darf das nicht überschätzt werden. Es waren höchstens fünf Prozent der damaligen Weltproduktion. Und diese war verglichen zu heute lächerlich niedrig. Die Hindernisse der Pionierzeit waren groß. Es war nicht nur schwierig, erfahrene Bohrtechniker zu rekrutieren und den Abtransport und die Verarbeitung des Öls zu organisieren, sondern auch die nötige Nachfrage für das Produkt zu haben. Denn vorerst waren die Petroleumlampen die größten Verbraucher. Und das Petroleumlicht erhielt immer mehr Konkurrenz durch Leuchtgas und Elektrizität. Und am Land brannten immer noch die Kerzen und Kienspäne. Doch im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte sich für den Mineralöl- und Petroleumsektor eine ganz neue Perspektive eröffnet: Mit dem Automobil entstand ein neuer Energieverbraucher, der eine völlig neue Nachfrage schuf, aber auch eine ganz andere Vertriebsorganisation benötigte.

Die galizische Mineralölindustrie hatte vor dem Ersten Weltkrieg bereits eine äußerst turbulente Entwicklung hinter sich. Der Ölboom, der im galizischen Borysław in den späten 1850er Jahren ausgebrochen war, brachte für die gesamte Region einen Industrialisierungsschub. Die Pioniere wurden reich, darunter die legendären Brüder Lazar und Moses Gartenberg und der Kanadier William Henry McGarvey. Dieser brachte 1883 das kanadische Bohrsystem nach Österreich. Er blieb im Land und gründete die Galizische Karpathen-Petroleum AG, vormals Bergheim & McGarvey. Durch seine Erfindung, den Exzentrik-Bohrmeißel, waren erstmals größere Bohrtiefen erreichbar.179 1911 gab es 329 Erdölbaue mit 7.000 Arbeitern und 82 Raffinerien mit 8.000 Beschäftigten. Die Rohölförderung war mit 1,4 Millionen t aus heutiger Sicht eine Quantité negligeable. Die Raffinerien produzierten 800.000 t, davon drei Viertel Petroleum, ein Viertel Schmieröl. 1907 zerbrach das Rohöl- und Raffineriekartell. 1911 gab es wieder ein Kartell. Inzwischen hatte sich die Situation grundlegend geändert.

Im Erdölgeschäft brauchte es hemdsärmelige Typen. David Fanto hatte als Lehrling bei einem Wiener Petroleumhändler begonnen, begründete die erste Österreichische Raffinerie, brachte es zu Ölfeldern in Galizien, Rumänien und Polen und war an Bohrungen im Orient beteiligt. 1889/​90 errichtete er eine Raffinierie in Pardubitz. Das verarbeitete Öl stammte zuerst aus der Kaukasusregion, dann aus Galizien. Um 1900 beschäftigte Fanto etwa 500 Leute mit einem Vertriebsnetz über ganz Europa. 1907 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Wien umgewandelt. 1916 kaufte er das Schloss Pottenbrunn, 1917 ließ er sich von Ernst von Gotthilf-Miskolczy und Alexander Neumann ein imposantes Palais am Schwarzenbergplatz 6 errichten.180


Erster Schallplattenstar: Selma Kurz-Halban. Foto: Nathaniel Rothschild

Insgesamt war das Ölgeschäft noch eine sehr kleine Sparte. Erdöl war noch kein konstituierender Bestandteil der chemischen Industrie. Diese war in Österreich zwar nicht unbedeutend, aber sehr zersplittert, so dass kein dominierender Konzern mit wirklich innovativen Entwicklungen entstehen konnte, weder in der Schwerchemie oder im Düngemittelbereich noch in der Farbenchemie. Aber die Gewinne, die gemacht wurden, waren auch in Österreich sehr respektabel. Alfred Kraus machte sein Vermögen im Handel mit Ultrama- rin und leitete die Vereinigten Papier- und Ultramarin-Fabriken Jacob Kraus. Sein Bruder Karl Kraus kritisierte den Rückstand der Chemiewissenschaft an der Wiener Technischen Hochschule, deren Professoren die Farbchemie für einen „reichsdeutschen Schwindel“ halten würden.181 Johann Medinger sen. errichtete 1850 in Gumpoldskirchen eine Mühle zum Zermahlen von Farbholzgattungen, aus der eine wichtige Farbenfabrik entstand. Wilhelm Neuber wandelte eine Farbwarenhandlung in einen Handels- und Produktionsbetrieb um und begann mit der Extraktion des gerbstoffreichen und färbenden Kernholzes der Catechu-Akazie. Die Mainzer Lackfabrik von Carl Ludwig Marx war vor dem Ersten Weltkrieg unter dem Enkel des Firmengründers zur bedeutendsten Lackfabrik in Europa herangewachsen. Das Zweigwerk in Gaaden bei Wien war 1873 begründet worden. Den Anstoß gaben die Harz liefernden Föhrenwälder im südlichen Wienerwald. Daraus entstand ein rechtlich selbständiges Unternehmen, das seinerseits Zweigwerke in Milkendorf (Moravskoslezsky Kraj), Domzale (Slowenien) und Budapest eröffnete. Mit dem Bedarf für den neuen Sektor Schallplatte entstand für die Lackindustrie ein völlig neues Produktsegment, das sich schon deutlich in den Einkommen nicht nur der Materialerzeuger, sondern auch der Sänger, etwa von Selma Kurz-Halban oder Leo Slezak, niederschlug.182


Mit Reifen zu Reichtum: 1910 stellen die zwei Linien der Firma Reithoffer bereits eine Reihe von Millionären.

Egal, ob man die Zündholzbranche nun der Holzindustrie oder der chemischen Industrie zuordnet, für Österreich im 19. Jahrhundert war sie eine wichtige Branche. Eine chemieindustrielle Wachstumsbranche, die gar nicht so neu war, war die Kautschukverarbeitung. Der Aufstieg der Familie Reithoffer war dem aus Feldsberg gebürtigen Schneider Johann Nepomuk Reithoffer zu verdanken, der 1824 ein Privileg auf wasserdichte Stoffe und später auch für elastische Bänder erhalten hatte und die Kautschukfabrik in Wimpassing begründete. 1832 begann auch sein Cousin Josef Reithoffer mit einem Unternehmen zur Herstellung von Gummiwaren, dessen Hauptsitz sich im späten 19. Jahrhundert nach Steyr verlagerte. Die zwei Linien der Familie Reithoffer sind 1910 mit einer Reihe von Millionären vertreten. Mit der Reifenerzeugung eröffnete sich für sie ein ganz neues Feld. Der Konzentrationsprozess führte dazu, dass in der Zwischenkriegszeit alle Reithoffer-Betriebe im Semperit-Konzern vereint wurden. Neue Produkte entwickelte auch Emanuel Grab v. Hermannswörth mit seiner Ledertuch-, Wachstuch-, Fußtapeten und Gummistoff-Fabrik in Prag-Lieben und Györ. Auch Heilpern & Haas war von Beginn an ein sehr innovatives Unternehmen und wusste den Aufschwung des beginnenden 20. Jahrhunderts mit Gummi- und Asbestwaren, Linoleum, Kautschuk, Zelluloid, Kunstharz und Kunstharzwaren mit etwa 50 Zweigstellen im In- und Ausland zu nutzen. Auf den hinteren Millionärsrängen findet man auch Johann Zacherl, der ein Naturprodukt, die Chrysantheme, zu seinem Insektenpulver verarbeitete, aber in den 1920er Jahren den Anschluss an die neue Pestizidchemie verpasste und ebenfalls der Wirtschaftskrise zum Opfer fiel.

Die Industriellen stellten etwa ein Drittel der Millionäre Wiens. Das war viel und wenig zugleich. Über Beteiligungen und persönlichen Netzwerke kontrollierten die österreichischen Banken große Teile der Industrie. Bankiers sind mehr an Zinsen als an Dividenden und mehr an Krediten als Innovationen interessiert. Es wurden hohe Ausschüttungen verlangt, aber wenig Investitionen getätigt. Auch fehlte es Österreichs Industrie bei allem Bemühen immer noch am Zugang zum Weltmarkt. Konzerne mit weltweiten Netzwerken waren nur spärlich vertreten, was sich auf die Erträge auswirkte. Der jüdische Anteil war unter den Industriellen zwar deutlich geringer als unter den Bankiers. Dennoch wirkte sich der Antisemitismus im Industriebereich stärker aus als im Bankbereich. Ein Beispiel ist etwa die Elektroindustrie, die naturgemäß von öffentlichen Aufträgen in hohem Maße abhängig war. Der deutsche Siemens-Konzern konnte gegenüber den Firmen Johann Kremenezkys oder Bela Eggers gerade deswegen Aufträge an sich ziehen und seine bis heute dominierende Stellung in Österreich festigen.

Unter den Industriemillionären dominierten im Unterschied zu den Bankiers immer noch ganz eindeutig die Eigentümer-Unternehmer. Nur ausnahmsweise konnten Manager und Direktoren in derartige Einkommenshöhen aufschließen. Als man Isidor Mautner einmal als Herrn Generaldirektor ansprach, soll er lachend erwidert haben: Ich bin kein Generaldirektor – ich halte mir welche.183

Die Interessen der Industrie waren sehr unterschiedlich, ob Konsumgüter oder Investitionsgüter, ob am Binnen- oder Weltmarkt orientiert, ob Rohstoffe oder Finalprodukte. Eine gemeinsame Linie in der Interessenspolitik war schwer zu finden. Die einen forderten Schutzzölle, die anderen Freihandel. Daher konkurrierten mehrere Industriellenverbände, der Industrielle Club, der Zentralverband der Industriellen und der Bund Österreichischer Industrieller. Das Haus der Industrie, das 1906 bis 1909 am Schwarzenbergplatz errichtet und am 5. März 1911 durch Kaiser Franz Joseph eröffnet wurde, sollte ein Zeichen setzen: mitten in jenem kleinen Bereich, wo die größten Industriellen ihre Palais angesiedelt hatten, direkt gegenüber dem Haus des Handels und als Symbol einer geeinten Industrievertretung, die 1918 ganz am Ende des Habsburgerstaates dann auch tatsächlich zustande kam. Man wünschte sich ein „Wahrzeichen der Industrie“, nicht von einem modernen Architekten wie Otto Wagner oder gar Adolf Loos, sondern von einem „soliden“ Architekten wie Karl König, traditionsverhaftet, aber technikaffin.184

DER GROSSE BAUBOOM

Nie ist in Wien so viel gebaut worden wie vor dem Ersten Weltkrieg, nicht nur öffentliche Repräsentationsvorhaben und private Prunkpalais, sondern auch Infrastrukturprojekte und Wohnanlagen in einer innerhalb von einer Generation zur Zweimillionenstadt angewachsenen Metropole. Verbunden war der Bauboom mit einer Kostenexplosion im Baugewerbe. Während die meisten Industrie- und Gewerbeprodukte im Verlauf des 19. Jahrhunderts deutlich billiger wurden, stieg der Baukostenindex kontinuierlich an. Verursacht war dies zum Hauptteil von den durch Lohnsteigerungen und Arbeitszeitverkürzung angetriebenen Arbeitskosten. Der arbeitssparende technische Fortschritt hingegen war im Baubereich noch recht gering. Damals beruhten die Fortschritte in der Bautechnik vor allem auf neuen Stoffen und Konstruktionselementen, wie z. B. hydraulischem Zement, gewalzten Stahlträgern und industriell gefertigtem Glas. Die Wiener Bauwirtschaft war um 1910 immer noch vom Klein- und Kleinstgewerbe dominiert. Erfolgreich wurden jene, die sich den technischen Fortschritt nutzbar machten, insbesondere im Stahl- und Stahlbetonbau.185

Der Höhepunkt des Eisenbahnbaus, wo so viele Vermögen geschaffen worden waren, war um 1900 längst vorbei. Aber von der Regierung unter Ministerpräsident Körber war zwischen 1900 und 1904 eine letzte Welle von großen Bahnbauten über die Alpen eingeleitet worden: die Gasteiner Bahn, Pyhrnbahn, Aspangbahn und Wocheinerbahn. Die ebenfalls vorgesehenen Kanalbauprojekte zwischen Donau, Rhein, Oder und Weichsel hingegen kamen nicht in Schwung.186 Die zukunftsträchtigen Bereiche, der Kraftwerksbau, der Straßenbau und der Seilbahnbau, standen erst am Anfang. In die städtische Infrastruktur Wiens wurde von der Luegerschen Verwaltung viel investiert: Staßenbahnen, Kanalisierungen, Elektrizitäts- und Wasserversorgung, Schulen, Spitäler und Sozialeinrichtungen. Die Provinzhauptstädte suchten es dem Wiener Vorbild gleichzutun. Die Wiener Baufirmen und Stararchitekten fanden ein vielfältiges Betätigungsfeld zwischen Triest, Graz, Krakau, Lemberg und Czernowitz.

Die berühmten Architekten der Gründerzeit, die das Bild der Wiener Ringstraße prägten, waren 1910 schon tot: Heinrich von Ferstel, Theophil Hansen, August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, Carl von Hasenauer, Gottfried Semper, Friedrich von Schmidt. Ob sie unter den Millionären zu finden gewesen wären, darf bezweifelt werden. Nach van der Nülls Selbstmord stand seine Witwe nahezu mittellos da. Auch Heinrich Ferstel hatte kein so beachtliches Vermögen erwirtschaftet, dass es die hohen Einkommen seiner Söhne erklären könnte. Diese hatten vielmehr in die Finanzaristokratie der Habsburgermonarchie eingeheiratet. Auch bei den 1910 noch aktiven Baumeistern und Architekten brachten es jene, die den Ruhm der Nachwelt haben, etwa Otto Wagner, Josef Maria Olbrich, Jože Plečnik oder Adolf Loos, nicht zu Spitzeneinkommen. Wer reich werden wollte, musste viel und industriell bauen. Denn die üblichen Architektenhonorare waren niedrig. Mehr als 4.000 bis 5.000 Kronen im Jahr konnte man mit Hausplänen und Bauführungen nur schwer verdienen. Von den rund 700 Architekten und Planern, die im Zeitraum zwischen 1880 und 1945 so bedeutsam waren, dass sie in Wien mehrere Projekte oder zumindest ein öffentliches Monumentalgebäude realisieren und sich im Architekturlexikon damit einen Eintrag sichern konnten, schaffte es kaum ein Prozent in den Einkommensolymp der 1.000 Reichsten des Jahres 1910. Bedeutsamkeit und Einkommen müssen einfach nicht zusammenfallen. Dass auch ein so vielbeschäftigter, aber durch und durch konventioneller Architekt wie Ludwig Baumann, der Berndorf prägte, in den Jahren 1908 bis 1910 das Kriegsministerium errichtete, ab 1910 in der Hofburg den Neubau des Festsaaltraktes durchführte und auch den Auftrag für das Konzerthaus und das Akademietheater erhalten hatte, nicht unter den Spitzenverdienern zu finden ist, überrascht allerdings. Umgekehrt: Über das Schaffen der Baumeister Eduard und Emanuel Schweinburg ist wenig bekannt. Im Wiener Architektenlexikon 1770 – 1940 haben sie keinen Eintrag.187 Dasselbe gilt für Josef Seichert und eine Reihe weiterer Baumeister. Zu den Einkommensmillionären zählten sie sehr wohl.

Den bis heute bleibendsten Eindruck im architektonischen Erscheinungsbild der späten Habsburgermonarchie hat wohl das Architekturbüro Fellner & Helmer hinterlassen, mit mehr als 60 Theater-, Hotel-, Rathaus- und anderen Repräsentativbauten quer durch das gesamte Reich. Der k. k. Oberbaurat Ferdinand Fellner, der 1873 mit seinem ehemaligen Mitschüler Hermann Helmer eine Architektengemeinschaft gebildet hatte, wurde zum bedeutendsten Theaterbaumeister der Doppelmonarchie. Mit einem Jahreseinkommen von 111.015 Kronen lag er dennoch ziemlich weit hinten: an 792. Stelle. Hermann Helmer brachte es überhaupt nicht über die 100.000er-Grenze.

Aus dem Eisenbahn- und Hochbauboom der ersten Gründerzeit hatte die Habsburgermonarchie zwar eine ganze Reihe fest etablierter Baugesellschaften geerbt. Die großen Einkommen um 1910 wurden aber von Neueinsteigern erzielt, die die Chancen und technischen Innovationen der „Zweiten“ Gründerzeit zu nutzen verstanden. Durch seinen Sohn Heimito in den Olymp der literarischen Erinnerung aufgestiegen ist Wilhelm Ritter v. Doderer. „Doderer, Göhl & Sager“ war durch Bahnbauten zu einem der größten Bauunternehmen der späten Donau-Monarchie aufgestiegen. Neben großen Aufträgen bei der Wientalregulierung und im Wiener Stadtbahnbau waren es vor allem die Tauern- und die Karawanken-Bahn, von denen das Unternehmen profitierte. Die Bausummen, die Wilhelm v. Doderer in einem Rückblick nannte, waren gewaltig: 4,5 Millionen Kronen für das Teilstück der Karawankenbahn von Klagenfurt nach Rosenbachtal, 3 Millionen für jenes der Tauernbahn von Obervellach nach Pusarnitz, schließlich der enorme Auftrag für die Mittenwaldbahn (rund 28 Millionen). Doderer zählte nach Einschätzung seines Biographen mit einem Vermögen von rund 12 Millionen Kronen zu den reichsten Männern der Doppelmonarchie.188 Mit 132.538 Kronen Jahreseinkommen lag er an 601. Stelle der Wiener Millionäre im Jahr 1910. Doch Doderer veranlagte sein erhebliches Vermögen zu einem großen Teil in Kriegsanleihen und gehörte zu den größten Kriegsverlierern, so dass sein Sohn Heimito auf die Unterstützung durch seinen in der Tschechoslowakei von der Geldentwertung weniger betroffenen Onkel angewiesen war.

Vom ererbten Ruhm und Reichtum des Eisenbahnbaus zehrten Nina von Fröhlich-Feldau, die Witwe des 1896 verstorbenen Bahnbauunternehmers Moritz Fröhlich Edler von Feldau, oder auch Dr. Hubert Freiherr von Klein-Wisenberg. Die Brüder Klein, die aus einer Erdarbeiterfamilie in Wisenberg den Aufstieg von ganz unten nach ganz oben geschafft hatten, hatten sich zu Ende des Jahrhunderts auf ein Rentiersdasein zurückgezogen. Von der ersten Bahnstrecke von Wien nach Gänserndorf im Jahr 1837 bis zum Börsenkrachjahr 1873 hatten sie über 3.500 Bahnkilometer im gesamten Gebiet der Monarchie errichtet. Hubert gab 1910 als Beruf nur mehr Gutsbesitzer an, mit etwa 8.000 ha in Mähren.


Erbaut 1884 – 1889 im Neo-Louis-XIII-Stil für Nathaniel Meyer Freiherr von Rothschild: Schloss Rothschild in Reichenau an der Rax. Foto: A. Wintschalek.

Die großen Einkommen in der Baubranche erzielten 1910 die Betonbaupioniere: Viktor Brausewetter gründete 1870 zuerst in Pressburg, ab 1878 in Wien mit Adolph Freiherr von Pittel die Betonbaufirma Pittel und Brausewetter. Rudolf Nemetschke hatte 1902 die Geschäftsführung der Baufirma Rella & Co. übernommen, die unter seiner Leitung zu einem der führenden Großbauunternehmen wurde. 1898 gründete der junge Eduard Ast unter dem Namen „Ed. Ast & Co., Ingenieure“ eine Gesellschaft „für Betonbau, Betoneisenbau und Wasserkraftanlagen“, die innerhalb weniger Jahre zu den führenden Baufirmen der Monarchie aufschloss. Ast war einer der Vorreiter der Einführung des Stahlbetonbaus und der Verwendung von Spannbeton im Brückenbau. Aber er war kein Betonierer. Er stand den Künstlern und Architekten des Wiener Jugendstils und der Wiener Werkstätte nahe. Die für ihn errichteten Villen auf der Hohen Warte in Wien und am Wörtherseee zählen zu den bedeutendsten Privatbauten des 20. Jahrhunderts. Der nach Österreich zugewanderte Gustav Adolf Wayss gilt mit den von ihm zusammen mit Conrad Freytag erworbenen Patenten für Eiseneinlagen in Zement als der bedeutendste Pionier des deutschen und österreichischen Stahlbetonbaus. 1903 übersiedelte Wayss von Berlin nach Wien, wo er die Firma G. A. Wayss & Cie. gründete und zum k. k. Baurat ernannt wurde. Besonders eng verbunden war er mit Waidhofen an der Ybbs, das er zu seinem Sommersitz wählte.

Für Baumeister waren Netzwerke und familiäre Kontinuitäten wichtig. Im Jahre 1902 gründete der junge Baumeister Felix Sauer seine eigene Baufirma. Er stammte aus einer alten Baumeisterfamilie und errichtete bis zum 1. Weltkrieg eine umfangreiche Zahl von größeren privaten und öffentlichen Gebäuden. Sein Onkel Alois Schu(h)macher war einer der bedeutendsten Baumeister der Ringstraßenära, der vor allem für den kommunalen und infrastrukturellen Bereich arbeitete. Baurat Ferdinand Dehm war Architekt, Hofbaumeister und liberaler Politiker. Die Firma war mit der Errichtung zahlreicher öffentlicher und privater Gebäude und im Geschäft mit Grundstücken sehr erfolgreich. Beide Söhne des Baumeisters Franz Glaser sen. übernahmen das Gewerbe ihres Vaters. Nach dem Tod des Vaters gründeten die Brüder die gemeinsame Baufirma „Heinrich und Franz Glaser“. Heinrich scheint der dynamischere und kaufmännisch präsentere der beiden Brüder gewesen zu sein. Er ist es, der in den verschiedenen Standesvertretungen aufscheint, ebenso engagierte er sich – wie der Vater – in der Gemeinde Dornbach. Die guten Kontakte, die schon seit Franz Glaser sen. zu der Familie Rothschild bestanden, konnten von den Söhnen noch vertieft werden. Neben verschiedenen Adaptionen und Umbauten in Wien waren sie vor allem mit der Bauausführung des Rothschild-Schlosses Reichenau an der Rax betraut. Wie die Brüder Glaser setzte auch Julius Goldschläger ganz auf einen konservativen, dem Historismus verbundenen Architekturstil, unbeirrt von neueren Strömungen, etwa um Otto Wagner und den Jugendstil. Auch Karl Hofmeier entsprach dem Repräsentationsanspruch des Großbürgertums und verstand es, diesen mittels des alle Möglichkeiten des Späthistorismus nutzenden bauplastischen „Gesamtkunstwerks“ wirkungsvoll in Szene zu setzen. Eduard Frauenfeld, der 1897 die Firma Frauenfeld & Berghof gegründet hatte, errichtete vor allem Gebäude, die von anderen Architekten geplant wurden.

Der Stadtbaumeister Wenzel König erbaute für die Gemeinde Wien und den Staat Kasernen, Schulen, Krankenhäuser und Ähnliches; nach 1900 galt er als einer der größten Baumeister Wiens. König trat auch selbst als Bauherr auf und schuf sich einen ansehnlichen Immobilienbesitz, dessen Administration er selbst übernahm. Auch Anton von Krones, Edler von Lichtenhausen, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, arbeitete sich vom Maurergehilfen zum Polier hoch und erwarb Baugründe, zum Beispiel 350 Parzellen nördlich der Schmelz, mit der Absicht, ein neues Stadtviertel zu errichten. Kajetan Miserowsky, der das gemeinsame Bauunternehmen Luckeneder & Miserowsky zu einem der florierendsten Betriebe in der Baubranche machte und es nach dem Tod Oswald Luckeneders im Jahr 1900 unter seinem Namen alleine weiterführte, war so bekannt, dass er immer wieder zu literarischen Ehren kam, etwa in Heimito v. Doderers Strudlhofstiege.

Besondere Erwähnung verdienen Karl König und Wilhelm Stiassny. Karl König, aus armen Verhältnissen in Pressburg stammend, 1878 aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten und konfessionslos, war Professor der Baukunst des klassischen Altertums und der Renaissance an der Technischen Hochschule Wien. Sein vielleicht bekanntestes Bauwerk ist das Haus der Industrie, das 1906 bis 1910 nach seinen Plänen errichtet und am 5. März 1911 durch Kaiser Franz Joseph feierlich eröffnet wurde. Ende 1905, als man erste Kostenschätzungen vornahm, ging man von 900.000 Kronen aus, dann von 2,2 Millionen, am Ende waren es knapp drei Millionen. König sollte als Honorar 4,5 Prozent der Baukosten erhalten. Aufgrund der gewaltigen Baukostenüberschreitungen hätte sich sein Honorar entsprechend erhöht. Man einigte sich schließlich bei der Endabrechnung auf ein Honorar von 94.299,14 Kronen.189 Nicht in die nähere Auswahl für das Industriehaus und auch nicht unter die Millionäre gelangte der Architekt des gegenüberliegenden, ebenfalls neobarocken Hauses der Kaufmannschaft, Ernst von Gotthilf. Er war der Architekt zahlreicher Bankgebäude, etwa des Bankvereins in der Schottengasse, der Länderbank am Hof und der Creditanstalt auf der Freyung.

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22 aralık 2023
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