Kitabı oku: «Der Hund, der die Welt rettet», sayfa 2

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4. Kapitel

Es war morgens so gegen neun. Über dem Strand hing noch ein kühler Nebelschleier. Da waren ich, Ramzy, Mister Masch und noch zwei Hunde aus Sankt Bello.

Ich hatte Mister Masch von der Leine gelassen und er war die Stufen hinunter zum Strand gelaufen, denn er frisst so gern die weißen Schaumkronen der kleinen Wellen. Ramzy hielt den hässlichen Dudley, den man nicht frei laufen lassen kann, weil er null Rückruf hat, das heißt, wenn man ihn ruft, kommt er nicht. Einmal ist Dudley bis zum Leuchtturm gelaufen, und er wäre wahrscheinlich auch noch weitergerannt, wenn die Flut nicht gekommen wäre.

Mister Masch war also unten am Wasser, Dudley zog an der Leine und Sally-Ann, die Lhasa Apso Hündin, beschnüffelte widerwillig die Steinstufen. Sally-Ann ist ein »zahlender Gast« im Sankt Bello, ich glaube echt, dass sie sich den anderen Hunden überlegen fühlt, wie eine Herzogin, die in einem billigen Hotel gestrandet ist. Am Ende der Stufen stand eine hochgewachsene alte Dame, die sich ihre weiße Mähne unter eine gelbe Gummibadekappe stopfte.

Ich stieß Ramzy an. »Das ist sie, die Frau von Spanish City«, flüsterte ich. Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, wie sie hieß, gesehen hatten wir sie zwar schon, aber noch nicht kennengelernt.

Wir blieben oben an den Stufen stehen. Die alte Dame setzte sich eine Schwimmbrille auf, warf ihren langen Bademantel ab und lief über den Strand zum Wasser. Es war Flut, also musste sie nicht lange laufen, aber lange genug, dass wir ihr verwundert hinterherstarren konnten.

Ihr Badeanzug war farblich auf die knallgelbe Badekappe abgestimmt, wodurch ihre langen braunen Arme und Beine noch dunkler wirkten. Ihr Hintern war quasi nicht vorhanden, nur eine leichte Wölbung unter dem Rückenausschnitt des Badeanzugs. Langsam, aber selbstsicher lief sie, ohne stehen zu bleiben, ins Wasser, watete bis zur Taille hinein und schwamm dann in ruhigen Zügen die fünfzig Meter bis zur Boje.

Was eine Viertelstunde später geschah, war einzig Mister Maschs Schuld. Mittlerweile waren Ramzy und ich auch am Strand. Wir hatten beobachtet, wie die alte Dame aus dem Wasser gekommen und zu ihren Klamotten gelaufen war. Irgendwie sah sie ein wenig Furcht einflößend aus, und ich wollte auf dem Rückweg nicht noch mal an ihr vorbei, deshalb liefen wir unten am Wasser weiter.

Wie Mister Masch darauf kam, dass man eine gelbe Gummibadekappe fressen könnte, weiß ich nicht, aber er schoss ganz plötzlich den Strand hoch, wo die alte Dame die Kappe neben den Stufen hatte fallen lassen, und schon hatte er sie im Maul.

»Hey! Du! Lass das!«, rief sie. Und dann spurtete ich los.

»Mister Masch! Aus! Aus! Lass los!«, rief auch ich.

»Gib’s her!«, brüllte die alte Dame und damit nahm alles seinen Lauf. Mister Masch sprang mit der Badekappe im Maul an ihr hoch und warf sie um. Dabei knallte sie mit der Hand gegen die Stufen. Ein schürfendes Geräusch ertönte und die alte Dame schrie vor Schmerz auf.

»Tut mir leid, tut mir leid! Er freut sich nur so!«, rief ich.

Die alte Dame setzte sich auf, der Sand klebte ihr an der nassen Haut. Sie rieb sich das Handgelenk, während der verrückte Köter sich hinter ihr langsam die Badekappe einverleibte.

An ihrem Handgelenk prangte eine große Uhr, eine mit Ziffern und Zeigern, und darauf schaute sie. Dann zeigte sie mir den dicken Kratzer auf dem Uhrenglas.

»Das war dein Hund«, sagte sie. »Und was zum Teufel macht er da mit meiner Badekappe?«

»Tut mir wirklich leid«, mehr fiel mir in dem Moment nicht ein. Am liebsten wäre ich weggelaufen.

Ramzy rang die Hände und trippelte im Sand umher, als müsste er mal dringend aufs Klo, sein Mund war vor Angst zu einem schmalen Strich verzogen. Die Schulshorts schlackerten ihm um die dünnen Beine, so zitterte er. Dudley zerrte an der Leine und kläffte aufgeregt, während sich Sally-Ann demonstrativ abwandte, als ginge sie das ganze Theater nichts an.

Die Frau rappelte sich auf und schlang ihren Strickbademantel um sich, der ihr bis zu den Knöcheln reichte. Dabei musterte sie mich. »Da hast du aber Glück gehabt, dass die Uhr nicht kaputt ist«, sagte sie mit heiserem amerikanischem Akzent. »Habe ich euch beide nicht schon vor ein paar Wochen gesehen?«

Ich nickte. »Es … es tut mir leid wegen ihrem Handgelenk. Tut es weh?«

»Und ob es wehtut! Es schmerzt wie Hölle und im Uhrenglas ist ein riesengroßer Kratzer.«

»Tut mir sehr leid.«

»Ja, ja, ja, du wiederholst dich. Ich kapier’s schon. Es tut dir leid. Du liebe Güte, frisst die verdammte Töle etwa das komplette Ding auf? Hat ganz den Anschein.« Ihr gigantischer Afro wippte beim Sprechen. Als sie den sehnigen Hals reckte, um mich besser sehen zu können, muss ich beim Anblick ihrer blassblauen Augen überrascht gequiekt haben. Unwillkürlich starrte ich sie an, denn ich hatte noch nie eine Schwarze mit solchen Augen gesehen. Mühsam riss ich mich von dem Anblicklos und sah zu Mister Masch.

»Aus, Mister Masch!«, sagte ich. Ich versuchte, ihm die Badekappe zu entreißen, aber da war sie schon hinüber. »Tut mir leid!«, stammelte ich wieder. »Aus, Dudley!«, rief ich Dudley zu, der eine tote Möwe im Maul hatte. Es war ziemlich chaotisch.

Die alte Dame setzte sich ihre dicke Brille auf, dann verschränkte sie die dürren Arme mit der Pergamenthaut. Sie musterte mich von oben bis unten. »Wie alt bist du?«, knurrte sie.

»Ich bin elf.«

»Hhmm. Und Mr. Madrid da drüben?« Mit dem Daumen deutete sie auf Ramzy, der vor Angst noch immer von einem Bein aufs andere sprang. Er trug sein schwarzes Real-Madrid-Trikot, wobei er, soweit ich weiß, gar kein großer Fan ist. Es ist auch kein Original-Trikot, sondern eines von Adidas, aber Ramzy stört das nicht.

»Er ist zehn«, antwortete ich.

»Und einssiebenundsechzig«, warf Ramzy ein und sah sofort beschämt drein. Er ist der Jüngste in unserem Jahrgang.

Auf dem Gesicht der alten Dame zeigte sich der Anflug eines Lächelns, ein Mundwinkel ging nach oben, mehr nicht. Da wusste ich noch nicht, dass ich diesen Ausdruck bald häufiger zu sehen bekommen würde. Sie bewegte ihr Handgelenk und verzog das Gesicht. »Einssiebenundsechzig, was? Mein lieber Scholli!« Dann nahm sie einen tiefen Atemzug durch die Nase, als müsste sie gut überlegen, was sie als Nächstes sagt.

»Ich möchte nur ungern eine Anzeige machen.« Ihr Blick war aufs Meer gerichtet, doch sah sie rasch zu mir, um meine Reaktion abzuschätzen. »Ihr wisst schon, eine gestohlene Badekappe, eine womöglich schlimme Verletzung, eine kaputte Uhr, ein Hund, der außer Kontrolle …«

»Oh, Mister Masch ist nicht außer …«

»Wie gesagt, ich möchte ungern eine Anzeige machen. Das wäre doch Mist. Aber ihr zwei könntet mir helfen.« Sie wandte sich uns beiden zu und stemmte die langen Hände in die schmalen Hüften. »Ihr kennt doch Spanish City?«

»Ja, klar.« Ich zeigte zur weißen Kuppel in nicht allzu weiter Ferne.

»Klar, kennt ihr Spanish City. Kommt da heute Abend um sechs hin. Vielleicht können wir dann all das hier … vergessen. Und zu niemandem ein Wort!«

Ramzy nickte wie wild, aber das lag bloß an seiner Tante Nush, bei der er lebt und die super viel Wert auf gutes Benehmen legt. Ich glaube, er kann sich keinen Ärger mehr leisten, da wäre er mit allem einverstanden gewesen. Ich allerdings …

Ich hob die Hand und sagte: »Ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber wir sollen es keinem erzählen, sagen Sie. Nur kennen wir Sie doch gar nicht und …«

Ohne zu blinzeln, sah sie mich an, durch die dicken Brillengläser wirkten ihre blassen Augen noch größer.

»Es gibt eine Regel, die du kennen solltest, Herzchen. Wenn dich ein Erwachsener, den du kaum kennst, bittet, ein Geheimnis vor deinen Eltern zu bewahren, verheißt das nichts Gutes.«

Ich nickte. Warum hörte sie nicht endlich auf, mich anzustarren? Aber auch mir gelang es nicht, den Blick von ihr loszureißen.

»Es ist eine eiserne Regel«, sagte sie. Wieder nickte ich und schluckte. »Und ich bitte euch, sie zu brechen.«

Das mussten wir erst mal verdauen.

»Bis heute Abend um sechs.« In einer einzigen Bewegung sammelte sie ihre Sandalen und ihre gelbe Strandtasche ein und stakste zu den Treppenstufen. Da drehte sie sich noch mal zu uns um. »Pretorius. Dr. Emilia Pretorius. Hat mich gefreut.«

Neben mir würgte Mister Masch gerade die Badekappe in Einzelteilen hervor, nur um sie erneut zu fressen. (Später fügte ich noch Badekappe zu der immer länger werdenden Liste von Dingen hinzu, die Mister Masch gefressen hatte.)

»Was hältst du von ihr?«, fragte Ramzy und sah ihr hinterher.

Ich überlegte ein wenig und zeigte dann auf sein Fußballtrikot. »Wie viele Damen in ihrem Alter würden wohl das Auswärts-Trikot von Real Madrid erkennen?« Mich beeindruckte das. »Außerdem mag Mister Masch sie.«

Also war ich bereit, ihr eine Chance zu geben.

5. Kapitel

So sind wir also am Abend desselben Tages in Spanish City gelandet.

»Hahahahaaa!«, gackert Dr. Pretorius wieder, und ich glaube wirklich nicht, dass sie uns was vorspielt. Sie ist einfach aufgeregt.

Hinter den Flügeltüren ist es dunkel, komplett finster, bis Dr. Pretorius bellt: »Studiolicht!« Hoch, hoch über uns erwachen gleißend helle Strahler zum Leben, die an schmalen Metallschienen kreuz und quer im Gewölbe befestigt sind.

Wir stehen in einem riesengroßen runden Raum ohne Fenster, die Wände sind komplett – von oben bis unten – mit einem matten dunkelgrünen Zeug verkleidet … Schaumstoff? Wirkt schwammartig, aber ich traue mich nicht, es anzufassen. Die Decke und der Boden sind mattschwarz und in der Mitte des Raums steht ein einsamer Liegestuhl, so ein altmodisches Teil mit rot-weiß gestreiftem Segeltuch. Sonst nichts.

Wir befinden uns in der Kuppel von Spanish City, diesem auffälligen moscheeartigen Bau am Strand von Whitley Bay. Und diese Kuppel ist riesig.

»Gefällt’s euch?« Während ihre Stimme durch die gigantische Leere hallt, macht sie stolz eine ausholende Geste.

»Jaa!«, antworte ich, und Ramzy nickt, aber noch bevor meine Stimme verklungen ist, funkelt sie mich an.

»Lügnerin! Wie kann es dir gefallen? Du weißt ja nicht mal, was es ist. Ich habe euch gewarnt. Ihr müsst mir immer die Wahrheit sagen! Also noch mal von vorn. Gefällt’s euch?«

»Ähm …« Diesmal weiß ich wirklich nicht, was ich sagen soll, und ich habe Angst, was falsch zu machen. Diese Frau kann einen ganz schön einschüchtern. Ramzy rettet mich.

»Um ehrlich zu sein, Frau Dr. Pretorius«, sagt er, »da ist ja nicht viel zu mögen da. Aber es ist auf jeden Fall beeindruckend. Imposant. Ähm … außergewöhnlich.«

»Ha! Du lernst schnell! Weiter so. Du kennst eine Menge Wörter. Woher kommst du, mein Junge? In deinem Geordie-Dialekt schwingt noch was anderes mit, nicht wahr?«

Ramzy zögert. »Hhmm, mein Heimatland existiert nicht mehr. Es gab Krieg und …«

»Versteh schon, Junge. Wir suchen alle nach einem Zuhause, was? Das hier ist mein Zuhause. Willkommen in meinem Laboratorium. Ha! Kommt mit. Immer schön am Rand bleiben. Und … Moment mal.« Sie schnuppert. »Riecht ihr das? Wie verbranntes Gummi.«

»Tut mir leid. Das, ähm … das ist Mister Masch. Er hat ein kleines … Verdauungsproblem.«

Dr. Pretorius hält sich die Hand vors Gesicht und ihre Stimme klingt gedämpft. »Was du nicht sagst!« Ihr Blick wandert von Mister Masch zur Tür, als würde sie ihn am liebsten rausschicken, tut sie aber nicht. Womit sie in meiner Achtung steigt.

Während wir ihr am Rand des runden Raums entlang folgen, gewöhnen sich meine Augen an das Schummerlicht. Dr. Pretorius öffnet eine Tür und wir drei plus Mister Masch zwängen uns durch einen schmalen Durchgang.

»Kontrollraumlicht!«

Grelle Neonröhren erhellen einen lang gestreckten Raum mit weißen Fliesen an Boden und Wänden. Hier gibt es Arbeitsflächen aus Aluminium, mehrere Spülen, einen großen Kühlschrank, einen Herd mit acht Platten und einen schwarzen Eisengrill. Offensichtlich war das mal die Restaurantküche.

Über einem langen Schreibtisch aus Holz hängen drei riesige Bildschirme an der Wand, dazu gehört ein großes Pult mit Reglern und bunten Knöpfen. So eines haben wir auch in der Schule im Techniklabor. Und überall – auf jedem Regal, auf sämtlichen Flächen – liegt Zeug, unendlich viel Zeug. Kisten mit Kabeln, Ersatzteilen, winzigem Werkzeug, Rollen mit Klebeband, ein Lötkolben, Kästchen mit Nägeln und Schrauben, eine Auswahl an Schutzbrillen, Helmen, Handschuhen und Brillen für Virtual-Reality-Spiele. Manche sind so verstaubt, als hätten sie schon Jahre da herumgelegen. Auf den Brillen stehen Namen wie Google, Vis-Art, Apple, Ocean Blue, Samsung … Manche kenne ich, aber die meisten nicht.

Auf einer der Arbeitsplatten steht ein Computer mit Monitor, schon ziemlich alt, aus dem letzten Jahrhundert, die Innereien quellen aus dem Gehäuse, als wäre das Gerät mal heruntergefallen und niemand hätte sich die Mühe gemacht, die Teile zusammenzufegen. Hier hat überhaupt schon lange keiner mehr gefegt. Ehrlich gesagt, ist die ganze Bude ziemlich ranzig.

Unter dem Schreibtisch befinden sich etliche Schränke, in denen wohl die intakten Computer stecken. Ein paar Lichter blinken, aber es ist kein Geräusch zu hören, nicht mal ein Summen.

Auf einer weiteren Arbeitsplatte liegt ein Brett mit einem eingewickelten Brot, Butter, Käse und in der Spüle daneben stapeln sich dreckige Tassen. Mister Masch hat am Boden ein paar Krümel entdeckt und fahndet nun nach mehr.

Dr. Pretorius macht es sich mit ihren langen Gliedern in einem Schreibtischstuhl bequem, rückt ihre Brille zurecht und betätigt die Tastatur, woraufhin der mittlere Bildschirm anspringt.

»Entschuldigt die Unordnung«, sagt sie, aber es klingt nicht sehr reumütig.

Während sie eifrig tippt, öffnet sich eine Seite nach der anderen. Nun leuchten auch die beiden anderen Monitore auf. Eine Flut von Bildern rauscht vorbei, viel zu schnell, um was zu erkennen, bis ein Strand zu sehen ist.

Es ist ein bewegliches Bild, das aus drei verschiedenen Perspektiven aufgenommen wurde und jetzt über die Bildschirme ineinander projiziert wird.

Ich schaue zu Ramzy, der schon seit einer Weile nichts mehr von sich gibt. Mit offenem Mund starrt er auf die Monitore.

»Keine Sorge«, sagt Dr. Pretorius hinter uns, »das ist noch längst nicht alles. Da.« In jeder Hand hält sie einen Fahrradhelm und wartet, wie wir reagieren. »Macht schon, setzt sie auf«, sagt sie schließlich. »Stellt euch den Helm auf eure Größe ein und zurrt die Riemen fest, fester als sonst.«

Ein winziger Kopfhörer schmiegt sich bequem in jedes Ohr. Dr. Pretorius hilft uns mit den Riemen und Schnallen, zieht und zerrt, bis Ramzy ruft: »Au, das ist zu eng!«

»Kriegst du noch Luft?«

»Ja.«

»Dann ist es nicht zu eng. Okay, nun folgt mir. Der Hund bleibt hier.« Sie führt uns zurück in die Kuppel, wo wir mit dem Rücken zur grünen Schaumstoffwand stehen.

Als ich genauer auf den Boden schaue, merke ich, dass er in der Mitte anders ist und wir auf einer Art äußerem Ring stehen. Und dass die Scheibe in der Mitte nicht glatt ist, sondern …? Ich beuge mich dichter drüber.

»Ein Millimeter große mattschwarze Kugellager«, sagt Dr. Pretorius neben mir. »Millionen davon. Sie reichen einen halben Meter tief. Ihr könnt ruhig drauf laufen, kein Problem. Die Kugellager liegen dicht an dicht. Ihr versinkt schon nicht.«

Nachdem Dr. Pretorius noch mal die Helme kontrolliert hat, klappt sie einen gebogenen Stahlbügel herunter, der sich wie ein Visier vor die Augen schiebt. »Das ist der 3-D-Generator«, sagt sie. »Am Anfang blendet es ein wenig. Und wahrscheinlich kribbelt es auch auf der Kopfhaut, aber kümmert euch nicht drum.«

Ramzy sagt: »Ist ja wie im Virtuellen Erlebnisraum in Disneyland!«

Ich habe den Eindruck, dass er das lieber nicht hätte sagen sollen, aber sicher weiß ich es nicht. Dr. Pretorius blinzelt ein paarmal und atmet tief durch die Nase, als würde sie die Antwort gut abwägen. Endlich sagt sie: »Stimmt haargenau, Kleiner. Ist nur vieeel besser. Dieses Spiel wird die Welt verändern. Gut, da geht’s lang.«

Sie führt uns zum Liegestuhl. Über die Kugellager läuft es sich wie über weichen Schotter. Merkwürdig.

»Wenn das Programm startet«, sagt Dr. Pretorius, »bewegt sich der Untergrund ein wenig. Anfangs fühlt es sich vielleicht seltsam an, aber daran gewöhnt ihr euch schnell.« Damit marschiert sie zum Kontrollraum und schließt krachend die Tür. Bei mir knistert es im Ohr und ihre Stimme ertönt: »Bereit? Okay, dann mal los!«

Erst in dem Moment wird mir klar, dass ich überhaupt keinen Schimmer habe, worauf ich mich da einlasse. Ich habe alles blind mitgemacht, habe mir diesen kuriosen Fahrradhelm aufsetzen lassen, bin über ein Bett aus winzigen Kugeln gelaufen und stehe nun unter einer riesigen dunklen Kuppel, während andere Leute draußen in der Sonne Eis essen und …

Genauso erging es mir, als ich das erste Mal Achterbahn gefahren bin. Ich muss so sechs gewesen sein. Dad und ich saßen im ersten Wagen. Und erst nachdem wir die Steigung hochgekrochen waren und ganz oben standen, wurde mir klar, dass ich so hoch nie sein wollte.

Vor nicht mal fünf Minuten habe ich mit einem Wolfskopfklopfer an ein Stahltor geschlagen und jetzt teste ich … ja, was überhaupt? Ein neues Spiel? Wer ist diese Frau?

Ich habe eine Heidenangst. Wie bin ich da nur reingeraten?

»Ramzy? Mir gefällt das nicht.«

Ich greife nach Ramzys Hand und rufe: »Stopp!« Und noch mal lauter: »STOPP!«

Aber zu spät. Die Deckenstrahler gehen aus und alles wird dunkel.

6. Kapitel

Genau hier, wo wir jetzt stehen, befand sich vor einer Weile noch ein Restaurant, in dem ich allerdings nie gewesen bin. Jahre davor war es mal ein Tanzpalast, dann eine Disco mit Cafés und Spielhallen. Draußen gab es einen Vergnügungspark, der das ganze Jahr geöffnet hatte, und mittendrin diese riesige weiße Kuppel. Das Ganze hieß dann Spanish City.

Grandpa, der hier aufgewachsen ist und gelebt hat, bis er mit Gran nach Schottland gezogen ist, erinnert sich noch an eine uralte, klappernde Holzachterbahn, die Großer Wagen hieß. Seit den 90ern ist Spanish City mehr oder minder eine Ruine gewesen und das blieb auch eine ganze Zeit so.

Vor ein paar Jahren wurde dann alles runderneuert und der Große Wagen und der Vergnügungspark existieren seitdem nicht mehr. Aber in den Arkaden, dem Ladenbereich von Spanish City, gibt es nach wie vor Eisdielen und Cafés, so teure Schickimicki-Läden wie Polly Donkin Tea Rooms, bei denen Grandpa aufschreit: »Soll das ein Witz sein? So viel Geld für eine Kanne Tee? Als ich klein war, also das kann ich euch sagen …«, und so weiter.

Einmal hat der König Spanish City einen Besuch abgestattet, bevor er König wurde. Da war ich noch ein Baby. Und es gibt ein Foto von Mum und mir, auf dem es aussieht, als würde mich der König anlächeln, dabei liegt es wohl nur an der Perspektive. Das Lächeln galt nicht mir. Jedenfalls hängt das Foto bei uns im Flur.

Und im letzten Winter schloss das Restaurant in der Kuppel dann urplötzlich. Niemand wusste, warum. Saskia Hennesseys Mutter arbeitete da als Kellnerin und verlor von einem Tag auf den anderen ihren Job. Doch dafür … bekam sie einen Riesenbatzen Geld; die ganze Familie machte Urlaub in Florida, und als sie zurückkamen, hatten alle neue Laptops, und Mrs Hennessey fand gleich einen Job bei Polly Donkin Tea Rooms.

So erging es wohl allen Angestellten, das behauptet Sass zumindest.

Heute: belebtes Restaurant. Morgen: Umzugswagen, die Tische und Stühle abholen. Die Woche darauf: Arbeiter mit Vorschlaghämmern und Containern.

Von außen sieht es noch genauso aus. Aber was drinnen vor sich geht, weiß keiner. Zumindest wusste es keiner, bis Ramzy und ich Dr. Pretorius kennengelernt haben.

Irgendwann kurz vor den Herbstferien liefen Ramzy und ich von der Schule nach Hause, und ich erzählte ihm alles, auch meine Begegnung mit dem König, und ich dachte laut darüber nach, was in Spanish City wohl vor sich geht, da stapfte Ramzy einfach auf einen Typen mit orangefarbener Weste und Schutzhelm zu, der am Hintereingang eine Schubkarre mit Ziegeln und kaputten Brettern schob.

»Entschuldigen Sie, Sir. Was passiert da drinnen?«, fragte Ramzy, während ich vor Scham am liebsten im Boden versunken wäre. (»Sir!«) Unser Lehrer Mr Springham sagt immer, Ramzy hat überhaupt keine Hemmungen, er spricht einfach jeden an.

Der Mann schien ganz froh, seine Ladung mal absetzen zu können.

»Da bin ich überfragt, Junge. Prima Restaurant, alles rausgerissen! Is ’ne Schande, meine Meinung. Guck mal hier …« Er zeigte auf eine große glänzende Steinplatte in der Schubkarre. »1A italienischer Marmor. Ach, eigentlich könnt ich das gebrauchen. Gibt ’nen hübschen Gartentisch!«

»Und … was kommt da jetzt rein?«, Ramzy wieder. Der Mann hatte seinen Schutzhelm abgenommen und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Er sah zur Kuppel hoch.

»Keine Ahnung. ’n Film- oder Musikstudio könnte ich mir vorstellen. Nächste Woche kommt da ’n Haufen teure Teile rein. Weißt schon, Lichter und Projektoren und Computer und so ’n Kram.« Mit dem Kopf deutete er zu einer älteren Dame mit Schutzhelm, die vor einem Stapel silberner Kanister kniete und die Etiketten prüfte. Finster blickte sie zu uns herüber. Im ersten Moment kam sie mir nicht bekannt vor.

»Oh, oh. Muss mich wieder an die Arbeit machen, sonst steigt mir die Frau Doktor aufs Dach.«

Ramzy drehte sich zu mir um. »Siehst du, man braucht bloß zu fragen!«

Im Gehen wandte ich mich noch mal um. Die alte Frau hatte sich erhoben und sah uns nach. Groß und dünn war sie. Ich schaute weg. Nach ein paar Metern riskierte ich einen weiteren Blick und sie guckte noch immer. Ich fühlte mich wie ertappt, als hätte ich was Verbotenes getan.

Und da erst erkannte ich sie wieder. Ich hatte sie manchmal unten am Strand beim Baden gesehen. Sogar im Winter.

Was immer hier entstehen würde, musste gigantisch sein. Denn in den silbernen Kanistern steckte Kaltschweißmasse, ein Metallkleber. Dad benutzte ihn in seiner Autowerkstatt, aber er hatte nur einen Kanister davon. Die alte Dame hatte bestimmt um die zwanzig.

Und als ich mich diesmal umschaute, geschah was. Ein Blick? Eine Verbindung? So genau kann ich es nicht sagen, aber ich hatte das Gefühl, dass sie uns nicht ohne Grund beobachtete. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, doch vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet.

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
268 s. 15 illüstrasyon
ISBN:
9783649636434
Telif hakkı:
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