Kitabı oku: «Der Hund, der die Welt rettet», sayfa 3

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7. Kapitel

In der finsteren Kuppel leuchtet der Metallbügel vor meinen Augen plötzlich auf. Das blau-weiße Licht ist so grell, dass es fast wehtut und ich blinzeln muss. Nachdem sich die Helligkeit ein wenig gelegt hat, werden Formen sichtbar. Innerhalb von Sekunden verwandeln sich dünne Pfähle in Palmen und aus dem dunklen Boden wird ein weißer Sandstrand.

Und ich meine damit, es sieht richtig nach Strand aus, nicht nach so einem kitschig gelben Strand mit pixeliger Auflösung, den man durch ein klobiges Headset betrachtet. Virtuell habe ich noch nie einen so realistischen Strand gesehen, noch nie.

Ich lasse Ramzys Hand los und er ruft erstaunt: »Boahhhhh!«

Vor uns befindet sich der Liegestuhl und zu beiden Seiten davon erstreckt sich halbmondförmig ein mit Palmen gesäumter cremeweißer Sandstrand. Dahinter kräuselt sich ein türkisfarbenes Meer.

Ich drehe mich einmal um die eigene Achse. Die Illusion ist perfekt. Über mir ein blauer Himmel mit Schäfchenwolken, weiter hinten am Horizont eine dunklere, graue Wolke.

Dann nehme ich die Geräusche wahr: die Brise, das Rascheln der Palmen im Wind, das Brechen der kleinen Wellen, ein altes Moped, das in der Ferne vorbeiknattert. Hinter mir schallt blecherne Musik. Als ich mich umdrehe, ist da eine Hütte, aus der die Musik kommt und in der man Getränke kaufen kann. Hinter dem Tresen steht ein Barmann und lächelt. Ich erwidere das Lächeln und winke ihm zu.

Er winkt zurück, dabei sind seine Bewegungen kein bisschen abgehackt, nur sein Arm ist ein wenig pixelig und ihn umgibt eine dunkle Kontur.

Okay, denke ich. Das ist ziemlich gut, mehr als gut, großartig, aber ihr wisst schon …

Ich will ja nicht zynisch oder verwöhnt klingen, aber ich habe schon Virtual-Reality-Spiele gespielt. Das hier ist gut und garantiert besser als die in Disneyland, aber … was soll die ganze Geheimnistuerei?

»Das ist ziemlich gut!«, rufe ich und schaue mich um.

»Ziemlich gut?« Dr. Pretorius’ Stimme schallt so laut durch die Kopfhörer, dass ich zusammenzucke. Fast hätte ich vergessen, dass ich in der großen, dunklen Kuppel von Whitley Bay stehe. »Ziemlich gut? Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Ziemlich gut?« Ihre sonst so dunkle Stimme klingt auf einmal schrill.

»Es … es tut mir leid. Ich meine toll. Es ist …«

»Fass mal den Sand an. Los, der beißt schon nicht! Fass den Sand an!«

Als ich mich hinhocke und den Sand berühre, quieke ich überrascht auf. Ich weiß ja, dass unter mir ein halber Meter winziger Kugellager aufgeschüttet ist. Doch berühren tue ich …

Sand. Jedenfalls fühlt es sich so an.

Die Körner rieseln mir durch die Finger. Ich schnappe nach Luft und Dr. Pretorius kichert heiser. »Es ist besser als ziemlich gut, was?«

Ich nicke. »Ja. Es ist … perfekt.«

»Ha! Noch nicht ganz, aber danke. Nimm dir noch mal Sand und sage mir, was du fühlst.«

Ich nehme mir eine Handvoll Sand. Ramzy tut das Gleiche und sagt: »Fühlt sich … kalt an? Sollte der Sand in der Sonne nicht wärmer sein?«

»Hhm«, sagt Dr. Pretorius und hämmert auf der Tastatur herum. »Wie ist es jetzt?«

Auf einmal fühlt sich der Sand wärmer an. »Ist er auch nicht zu warm?«, fragte sie. Stumm vor Staunen schüttle ich den Kopf.

»Was zum …?« Ramzys Gesicht ist pures Entsetzen. »Georgie! Hinter dir!«

Ich wirble herum und schreie. Ein Skorpion von der Größe eines Couchtisches hebt drohend seine riesigen Scheren, der Schwanz ragt zitternd in die Höhe. Er ist noch fünf Meter entfernt und kommt auf mich zu.

8. Kapitel

Skorpione habe ich bislang nur auf Fotos und im Fernsehen gesehen. Und ich bin froh, vermelden zu können, dass sie an der Nordostküste Englands nicht heimisch sind. Aber so viel weiß ich über Skorpione: Sie sind nicht größer als eine Hand und normalerweise giftig.

Dieser Skorpion erinnert mich an einen riesigen, glänzend schwarzen Hummer, leicht rötlich, mit einem extra langen Gliederschwanz, der sich über den Rücken nach oben biegt. Am Ende befindet sich eine orangerote Blase mit einem langen Stachel. Die Scheren sehen aus wie bei einem Krebs und klappern bedrohlich, während der Skorpion auf seinen acht Beinen im Zickzack auf mich zustakst. An den Rändern ist die Illusion nicht perfekt, da verschwimmen die Konturen, wenn er sich bewegt, so wie beim Barmann.

Doch dass der Skorpion nur virtuell existiert, macht ihn leider nicht weniger furchterregend.

»Dr. Pretorius!«, brülle ich. »Ramzy!«

Ramzy ist vor Angst wie gelähmt. Sonst höre ich bloß Dr. Pretorius murmeln: »Ach, du Schande, nicht der schon von wieder.«

Als der Skorpion noch zwei Schritte auf mich zumacht, trete ich verzweifelt mit dem Fuß nach ihm. Zu meiner Überraschung treffe ich die Schere. Ich spüre die Berührung, aber dennoch rückt der Skorpion näher und richtet sich drohend auf. Ohne groß zu überlegen, laufe ich davon. Statt Augen hat das Tier offenbar bloß Erhebungen auf dem Kopf, schwarz glänzende halbe Fußbälle, trotzdem hat es mich damit direkt angesehen.

Das Laufen fühlt sich seltsam an, der Sand unter meinen Füßen kommt mir eher vor wie winzige Metallkugeln, die sich beim Drüberlaufen drehen. Aber Hauptsache, ich komme möglichst weit weg von dem riesigen schwarzen Skorpion.

»Dr. Pretorius! Was ist das für ein Ungetüm?«, brülle ich. Ramzy hat sich den Liegestuhl geschnappt und schleudert ihn. Er zielt nicht schlecht, bloß dass der Stuhl durch den Skorpion durchsegelt, als wäre er ein Geist.

»Tsss. Keine Angst«, erklingt Dr. Pretorius’ Stimme über die Kopfhörer. Sie klingt eher genervt als besorgt. »Was soll das, du kleines …«, doch ich glaube, sie spricht mit dem Skorpion.

Ramzy und ich laufen den Strand weiter hoch, aber der Skorpion lässt nicht von uns ab, krabbelt immer wieder zwei oder drei Schritte über den Sand.

Dann öffnet er ohne Vorwarnung die Scheren, stellt sich auf die haarigen Hinterbeine und geht auf mich los. Ich stolpere und lande genau in dem Moment mit dem Gesicht im Sand, als der silberne Bügel vor meinen Augen schwarz wird.

Alles ist still.

Als kurz darauf die Strahler in der Kuppel aufflammen, liege ich noch immer keuchend mitten im Studio. Ramzy kniet neben dem umgedrehten Liegestuhl am Boden, wo sich gerade eben noch der Skorpion befand. Dr. Pretorius kommt aus dem Kontrollraum und stapft freudestrahlend über die winzigen Metallkugeln auf uns zu.

»Willkommen in der MSVR, der multisensorischen virtuellen Realität! Herzlichen Glückwunsch, ihr seid die Allerersten, die diese Welt erfahren.« Sie faltet ihre knochigen Hände und schüttelt den Kopf, sodass ihr Heiligenschein aus weißem Haar bebt. »Es ist fast so weit«, sagt sie. »Fast!«

Ich bin noch immer außer Atem von meiner Begegnung mit dem Riesenskorpion. Dr. Pretorius bemerkt es. »Hey, Schätzchen. Tut mir leid wegen Buster! Ein Bug, den ich noch beseitigen muss. Aber er hätte dir nichts getan.« Dann fügt sie hinzu: »Glaube ich wenigstens nicht, ha!«

Ramzy und ich sitzen auf dem langen Holztisch im Kontrollraum, während Dr. Pretorius neben uns auf die bunte Tastatur eindrischt, als würde sie Schlag-den-Maulwurf spielen. Jeder von uns hat eine Dose No-Name-Cola und eine Kekspackung vor sich. Falls Ramzy enttäuscht ist, weil ich ihm selbst gebackene Scones versprochen habe, lässt er sich nichts anmerken und stopft sich gerade noch zwei weitere Kekse in den Mund. Zu unseren Füßen schnüffelt Mister Masch nach Krümeln.

Dr. Pretorius sieht uns beim Sprechen nicht an.

»Ihr beide« – bam, bam, klack – »bleibt da mal schön sitzen« – klack, klack, BAMM – »ich bin gleich bei euch« – klickklack – klickklack – bamm – BAMM – »hol dich doch der Kuckuck! Nein, nein, euch meine ich nicht. Ach, verflixt, ich kümmere mich später drum.« Noch einmal drischt sie auf die Tastatur ein, bevor sie in ihrem Drehstuhl zu uns herumschwingt. »Dieser verdammte Skorpion. Der macht, was er will. Dabei sollte es ihn nicht mal geben.«

Ramzy und ich nicken, als würden wir jedes Wort verstehen.

Betretenes Schweigen. Dann fragt Dr. Pretorius: »Wie war es denn in diesem Virtuellen Erlebnisraum in Disneyland?« Sie haut uns die Frage quasi um die Ohren und widmet sich dann wieder ihrer Tastatur, als würde sie die Antwort eigentlich nicht interessieren, was natürlich nicht stimmt.

»Überwältigend«, setze ich an, rudere aber lieber ein wenig zurück. »Na ja, überwältigend ist vielleicht zu viel gesagt. Es war gut. Sehr gut. Ziemlich gut. Wahrscheinlich gibt es noch bessere VRs. Also …« Was stammle ich eigentlich so blöde rum?

Ramzy kommt mir zuhilfe. »Kennen Sie den Virtuellen Erlebnisraum dort, Dr. Pretorius?«, fragt er im Plauderton.

»Ob ich ihn kenne? Ein wenig.« Dr. Pretorius tut, als wäre es ihr egal.

Ramzy und ich tauschen Blicke. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie ihn mehr als nur ein wenig kennt.

»Ich habe bloß einen Teil des Programms dafür geschrieben«, sagt sie. »Das Programm, ihr wisst schon. Die visuellen Darstellungen, die Akustik … so was. Die dicke Brille, die man tragen muss, habe ich auch entwickelt. Der 360°-Grad-Regenwald … war für mich wie ein Kind. Ein Kind, das nie erwachsen wurde.«

Urplötzlich springt sie auf und ihre Stimme wird lauter, die Worte purzeln nur so heraus. »Wisst ihr noch, wie sich der Sand angefühlt hat? Ihr konntet ihn fühlen, obwohl nichts da war.« Ich nicke. »Und der Skorpion? Als du nach ihm getreten hast, hast du ihn berührt, nicht wahr? Du hast es gespürt. Aber als du«, nun deutet sie auf Ramzy, der zusammenzuckt, »den Liegestuhl nach Buster geworfen hast, ist er glatt durch ihn durchgegangen. Hat euch das nicht gewundert?«

»Ja?«, sagen wir beide zögerlich. Klar habe ich mich darüber gewundert, aber ich habe mich die letzten zehn Minuten pausenlos gewundert. Da fiel das auch nicht mehr groß ins Gewicht.

Dr. Pretorius schnappt sich den Fahrradhelm, den ich getragen habe, und dreht ihn herum. Der Helm ist innen voller kleiner Metallhubbel.

»Alles, was wir hören, sehen und anfassen, wird im Gehirn verarbeitet. Ohne unser Gehirn geht gar nichts. Könnt ihr mir folgen?«

Ramzy und ich sehen uns an. Worauf will sie hinaus? Dr. Pretorius ist so in ihrem Element, dass sie nicht auf uns achtet.

»Doch das Gehirn lässt sich austricksen. Optische Täuschungen, Zauberkunststücke, Déjà-vu-Erlebnisse – all das führt den Verstand in die Irre. Das haben schon die Höhlenmenschen gemacht. Und jetzt gibt’s das hier!«

Dr. Pretorius hält den Helm wie eine Trophäe hoch und funkelt uns an.

»Das hier, meine Lieben, ist die größte Illusion überhaupt. Oder wird es werden. Dieser Projektor da«, mit dem Finger fährt sie über den Metallbügel, »täuscht die Augen mit vorprogrammierten Szenen. Keine klobigen Brillen mehr! Aber das Besondere sind eigentlich die da, diese Kontakte, da und da und da …« Dr. Pretorius zeigt auf die Metallhubbel auf der Innenseite des Helms, die an meinem Schädel lagen. »Die senden Signale an den Parietallappen und …«

»Moment mal«, sagt Ramzy. »Wohin?« Ich bin froh, dass Ramzy dabei ist. Endlich ist seine nervige Angewohnheit, alles infrage zu stellen, mal zu was nütze.

Dr. Pretorius wirkt nicht gerade glücklich über die Unterbrechung, aber dann lenkt sie ein. »Na gut. Ich habe mich ein Leben lang damit beschäftigt, um es zu verstehen. Im Parietallappen werden alle Sinneseindrücke, die das Fühlen betreffen, verarbeitet. Man kann den Computer so programmieren, dass er Signale an die Kontakte sendet, die wiederum elektrische Impulse an den Parietallappen weiterleiten und dem Gehirn zum Beispiel die Wärme einer virtuellen Sonne vorgaukeln. Das ist sogar ziemlich einfach. Sand ist da schon schwieriger. Zu fühlen, wie einem die feinen Körner durch die Finger gleiten, erfordert einiges an Illusion. Darauf bin ich ziemlich stolz. Wollt ihr noch einen Keks?«

Verständnislos sehe ich sie an. Noch immer versuche ich zu begreifen, was sie uns da gerade erklärt. Da helfen auch keine Kekse. Ramzy sieht es anders und nimmt gleich zwei.

»Als ich dieses … Skorpion-Wesen getreten habe, war das also auch eine Illusion?«

»Richtig! Genau wie beim Sand. Das Programm hat dir vorgegaukelt, dass der Skorpion aus fester Materie besteht. Und mit dem Fuß hast du den Widerstand gespürt, so wie du mit den Händen den Sand gespürt hast, obwohl beides nicht existiert.«

»Aber als ich den Liegestuhl nach dem Skorpion geworfen habe«, sagt Ramzy und spuckt Krümel, »ist er natürlich einfach durch ihn durchgeflogen.«

Dr. Pretorius zwinkert. »Kluges Köpfchen. Daran arbeite ich noch.« Dann klatscht sie plötzlich in die Hände und erhebt sich. »Für heute reicht’s! Ich hab noch eine Menge zu tun.«

»Es ist also noch nicht fertig?« Ramzy nimmt sich den letzten Keks und springt vom Tisch.

Dazu sagt Dr. Pretorius nichts. Ramzy und ich folgen ihr schweigend mit Mister Masch aus dem Studio, die Stahltreppe hinunter bis zum Lagerraum und der verlassenen Laderampe. Statt aber dieselbe Tür wie vorhin zu nehmen, dreht sich Dr. Pretorius um und schließt eine andere Tür mit einem großen altmodischen Schlüssel auf.

»Abkürzung«, sagt sie.

Die Tür führt direkt in die Arkaden von Spanish City. Hier gibt es einen lärmigen Raum voller Spielautomaten und Kinderkarussels, die Gelateria (ein protziger Name für eine simple Eisdiele, wenn ihr mich fragt), eine teure Fish & Chips-Bude und Polly Donkins Tea Rooms. Mir kommt es vor, als hätten wir einen Geheimgang genommen, obwohl es doch bloß eine verschlossene Tür war.

Der Hauptgang liegt ein paar Meter vor uns, und wir drängen uns durch die Menge, doch plötzlich bin ich gezwungen, stehen zu bleiben. Sass Hennesseys Mum bringt gerade einen Teller Pommes an einen Tisch draußen, als sie mich entdeckt.

»Hallo, Georgie!«, ruft sie, als wären Sass und ich die besten Freundinnen. Ramzy grinst breit, obwohl er sie nicht mal kennt. »Schön, dich zu sehen. Und, ähm …« Neugierig sieht sie Dr. Pretorius an. Wahrscheinlich fragt sie sich, wer das wohl ist.

»Hallo«, murmle ich.

»Was macht Sankt Bello? Saskia hat mir ja so viel davon erzählt«, sagt Sass’ Mum und räumt dabei die Gläser vom Tisch. Aber ich bin schon halb am Ausgang und antworte nicht mehr. Mir hat nicht gefallen, wie sie Dr. Pretorius gemustert hat. Vielleicht täusche ich mich und Mrs Hennessey kennt sie doch. Vielleicht ist Dr. Pretorius hier Stammgast. Was weiß ich.

Dr. Pretorius führt uns hinaus auf die belebte Straße. »Kommt morgen um die gleiche Zeit. Und denkt dran: Das ist unser Geheimnis! Was ihr gesehen habt, war noch gar nichts.« Damit dreht sie sich um und verschwindet auf dem gleichen Weg, den wir gekommen sind. Ramzy und ich sehen ihren weißen Schopf über die Menschenmenge schweben.

»Na? War das jetzt ein Abenteuer oder nicht? He, Erde an Georgie!«

Ich bin ganz woanders in Gedanken. Schaue hinauf zu den verdunkelten Fenstern der Kuppel.

»Was ihr gesehen habt, war noch gar nichts. Was meint sie wohl damit, Ramzy?«

»Keine Ahnung. Wahrscheinlich dürfen wir demnächst Waffen testen: der Kampf der Riesenskorpione! Oder …«

»Nein, das glaube ich nicht. Mit Spielen hat das nichts zu tun. Da geht es um was anderes.«

Ramzy sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Traust du ihr nicht?«

Ich denke darüber nach.

Trau keinem, der keine Hunde mag.

Dr. Pretorius kam mit Mister Masch klar. Jedenfalls hatte sie keine Antipathie gegen ihn. Sie hat sogar seinen Gestank hingenommen. (Im Kontrollraum hat er eine üble Stinkbombe abgelassen, wie Dad es nennen würde. Und Dr. Pretorius hat so getan, als bemerke sie es nicht. Fand ich echt nett.)

Andererseits kennen wir sie erst seit heute Morgen und schon hat sie mich und Ramzy zu Stillschweigen verpflichtet.

»Ich weiß nicht«, antworte ich schließlich. »Aber irgendwas hat sie vor.«

»Dann lass es uns herausfinden«, sagt er. »Morgen um die gleiche Zeit. Das wird ein richtiges Abenteuer.«

Ich lächle ihn an. »Okay.«

Damit wäre das geklärt. Fürs Erste trauen wir Dr. Pretorius.

Und verrückte Wissenschaftler sind nicht grundlos verrückt, stimmt’s?

9. Kapitel

In den nächsten Wochen wird es zur festen Gewohnheit, nach der Schule immer zu Dr. Pretorius zu gehen. Nie ruft sie uns auf dem Handy an, und wir können sie auch nur erreichen, indem wir am verabredeten Tag zur verabredeten Zeit mit dem Wolfskopf an ihre Tür klopfen. Alles ziemlich »oldschool«, wie Ramzy begeistert sagt.

Mal testen wir eine neue MSVR-Umgebung. Dann wieder hängen wir bloß im Kontrollraum ab und sehen fasziniert zu, wie Dr. Pretorius am Computer für uns neue Welten programmiert.

Einmal hatte ich anschließend Kopfschmerzen, aber die hielten nicht lange an. Ramzy auch. Dr. Pretorius wirkte nicht weiter besorgt und gab uns bloß eine Schmerztablette.

(Übrigens befindet sich unter der blauen Plane tatsächlich ein Multi-Copter. Einmal habe ich die Drohne gesehen: ein Schalensitz inmitten von zehn Speichen, an deren Enden Rotoren sitzen. Offensichtlich ein Eigenbau, denn überall schauen Kabel heraus, die Schweißnähte sind uneben und der Boden unterm Sitz ist der zurechtgebogene Deckel einer Keksdose von McVitie’s. Dr. Pretorius hat sofort mein Interesse bemerkt: »Ja, das ist mein neues Projekt. Solarbetrieben mit unbegrenzter Reichweite.«)

Und immer wieder sagt sie zu uns: »Was ihr gesehen habt, war ja noch gar nichts.« Vom Großen Experiment spricht sie, wobei sie nichts weiter verraten will. Außerdem vergewissert sie sich, dass wir alles geheim halten:

»Und ihr habt auch wirklich nichts verraten? Ihr beide seid meine Mitverschwörer. Außer uns dreien weiß keiner was. So ein Spaß!«

Vielleicht klingt das jetzt für euch ein wenig unheimlich, aber so fühlt es sich für uns zu diesem Zeitpunkt nicht an. Wie Ramzy so schön sagt, wobei er mir damit allmählich auf den Wecker geht: Es fühlt sich wie ein großes Abenteuer an.

Um Dr. Pretorius zu besuchen, müssen wir schon ein wenig tricksen, was mir nicht so gefällt, aber immerhin muss ich nicht wirklich lügen:

1. Ich habe ja Sankt Bello und außerdem helfe ich in der Schulbibliothek, da komme ich oft später nach Hause.

2. Jessica arbeitet im Moment viel und hat sich noch nie dafür interessiert, was ich in der Schule mache.

3. Clem ist gerade mitten in den Abschlussprüfungen und kommt nur aus seiner Teenagerhöhle, um dreckige Teetassen in der Spüle zu stapeln. Der fragt also auch nie.

4. Und Dad? Dad ist glücklich, wenn ich glücklich bin. Und das bin ich also, hurra!

Ramzy hat es da schon schwerer. Was aber nicht an seinem Vater liegt, der ist nämlich Lkw-Fahrer und meist auf langen Touren unterwegs, sondern an seiner gruseligen Tante Nush. Ich bin ihr erst einmal begegnet. Sie kümmert sich um Ramzy und seine beiden kleinen Brüder und spricht kaum Englisch. Sie ist super streng. Deshalb muss Ramzy oft schwindeln. Meistens erfindet er irgendwelche Extra-Schulstunden.

»Ramzy, du bist erst zehn. Da gibt es in der Schule keine ›Überstunden‹.«

Als wir nach der Schule zu dem kleinen Tante-Emma-Laden laufen, flattern Ramzys Schulshorts im Wind. Er sieht beschämt drein. »Weiß ich doch, aber sie kann ja schlecht in der Schule anrufen und nachfragen. Sie bringt ja kaum ein Hallo raus. Jedenfalls sind wir ein Team, nur dass du Bescheid weißt.«

»Na toll. Jetzt ziehst du mich da noch mit rein!«

»Was soll ich denn machen? Meine Tante ist die Hölle. Ich musste einen Peilsender tragen, bis der kaputt war. Wenn ich nicht so ein museumsreifes Handy hätte, würde sie auch das mit einem Sender versehen.« Er hält ein uraltes Prepaid-Teil hoch, das wie ein Überbleibsel aus den 90ern wirkt.

Vor dem Laden fegt der Besitzer Eymann Nurrswei den Gehweg. Wütend funkelt er uns an und folgt uns nach drinnen. (Anfunkeln tut er jeden, nicht nur uns. Und Eymann Nurrswei ist natürlich nicht sein richtiger Name. Alle nennen ihn bloß so, weil er nie mehr als zwei Schüler im Laden duldet, falls die ihm die ganzen Süßigkeiten klauen wollen. Ständig brüllt er »Ey, Mann, nur zwei!« mit einer schrillen Stimme und einem starken Akzent, den wir nicht einordnen können.)

Ramzy lädt sein Guthaben auf dem Handy auf. Dabei bezahlt er mit einer Tüte Kleingeld, woraufhin Eymann wütend vor sich hin murmelt.

Mir tut Ramzy immer ein bisschen leid. Wegen seinen großen Hundeaugen, den Hasenzähnen, den Segelohren und … na ja. Ich nehme mein Bibliotheksabzeichen ab und reiche es ihm. »Da. Jetzt kannst du sagen, dass du auch Bibliothekshelfer bist. So hast du eine Ausrede fürs Zuspätkommen.«

Ramzy grinst mich breit an. »Danke, Partner!«

»Lass dich bloß nicht von Mr. Springham mit dem Abzeichen erwischen.«

Er steckt sich das Abzeichen an sein verblichenes Schulhemd. »Man darf aber auch nicht vergessen, dass Dr. Pretorius alt und sehr einsam ist! Wir tun also Gutes!« Damit sind auch meine letzten Schuldgefühle beseitigt, die ich wegen der Schwindelei noch hatte.

Wie immer machen wir uns nach Spanish City auf.

Wie immer gehen wir hoch in die Kuppel, wie immer hockt Dr. Pretorius vorm Computer.

Wie immer spielen wir ein VR-Spiel.

Doch dann nehmen wir die Helme ab, und Dr. Pretorius sagt etwas, das sie nicht immer sagt.

»Ihr wollt bestimmt wissen, worum es bei der ganzen Sache geht, was?«

Ramzy und ich sehen uns an. Klar wollen wir das wissen. Aber wie sollen wir das erfragen?

Nachdem sie ein letztes Mal entschlossen auf die Tasten eingeschlagen hat und auf den Bildschirmen eine riesige römische Arena mit Gladiatoren und Streitwagen erscheint, schwingt sie ihren Stuhl herum und mustert uns eingehend.

Es herrscht Stille, während wir darauf warten, dass sie was sagt. Dabei betrachte ich ihr altes, faltiges Gesicht. Ihre himmelblauen Augen blicken so wach wie immer, aber ihre Haut kommt mir auf einmal so bleich und fahl vor. Und als sie dann auch noch heftig hustet, begreife ich’s gleich.

»Ich habe nicht mehr lange, Kids. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, und ich habe noch einiges zu tun, bevor ich … bevor ich euch verlasse.«

Ramzy runzelt die Stirn. »Ähh. Ziehen Sie weg?«

Ich rolle die Augen. Selbst ich habe kapiert, was sie meint.

Dr. Pretorius bellt: »Umziehen? Ha! Muss ich denn noch deutlicher werden, Junge? Ich sterbe. Ich habe ein tödliches Herzleiden, gegen das selbst die besten Ärzte im Land machtlos sind. Und bevor ich einen Abgang mache, will ich noch sicherstellen, dass mein Leben nicht völlig sinnlos war. Verstehst du jetzt?«

»Oh!« Ramzy schaut auf seine abgestoßenen Schuhe.

»Ja. Oh, kann man wohl laut sagen. Was ihr gesehen habt, war ja noch gar nichts!«

Schon wieder dieser Satz: Was ihr gesehen habt, war ja noch gar nichts. Was in aller Welt kann so wichtig und großartig sein?

»Ich sag’s euch, Kids. Das wird ganz außergewöhnlich. Und ihr dürft’s als Erste ausprobieren.«

Irgendwie scheint sie zu erwarten, dass wir »Wow!« sagen oder uns zumindest bedanken.

»Wow.« Sehr überzeugend klinge ich nicht. Und um das darauffolgende betretene Schweigen zu brechen, stelle ich die Frage, die mich schon die ganze Zeit beschäftigt.

»Warum ausgerechnet wir?«

Auf ihrem Gesicht breitet sich ein wölfisches Grinsen aus. »Wollt ihr das wirklich wissen? Wollt ihr die ganze Wahrheit?«

Wenn jemand einen so fragt, bleibt einem ja nur eine Antwort übrig, auch wenn vielleicht nichts Gutes dabei herauskommt. Ich zucke mit einer Schulter und sage: »Glaub schon.«

Dr. Pretorius wendet sich wieder ihrer Tastatur zu und kurz darauf erscheint eine Reihe von Fotos. Es sind Luftaufnahmen vom Marine Drive, der Straße hier vor der Tür, die auch zu unserer Schule führt. Nach ein paar Klicks sind Fotos von mir und Ramzy zu sehen, zwar aus weiter Entfernung aufgenommen, aber dennoch ziemlich scharf. Ein Bild nach dem anderen flimmert über den Monitor: Ramzy in seiner dicken, viel zu großen Winterjacke, wir beide auf Leihrädern, ich in einem rot-weiß-blauen Kostüm zum internationalen Flaggentag in der Schule … und so weiter.

Als Ramzy sich zu Wort meldet, schwingt leichte Empörung in seiner Stimme mit: »Sie … Sie haben uns ausspioniert?« Ein bisschen gruselig ist das schon.

»Ach, entspann dich, Junge! Schaut mal genau hin. Fällt euch was auf?«

Ramzy und ich sehen uns die Bilder an, aber mir fällt nichts auf (außer natürlich, dass es sehr seltsam ist, heimlich fotografiert zu werden). Schließlich sagt Dr. Pretorius: »Ihr beide seid die einzigen Kinder, die allein unterwegs sind! Alle anderen sind in Begleitung ihrer Eltern, einer Tagesmutter oder sonstwem. Also die Kinder, die nicht ohnehin mit dem Auto oder einem Taxi abgeholt werden.«

Das stimmt. Ramzy und ich sind tatsächlich die einzigen, die allein nach Hause laufen.

»Daraus habe ich meine Schlüsse gezogen. Und als ihr dann auch noch meinen Bauarbeiter ausgefragt habt, dachte ich mir, hmm, neugierige Kinder. Ihr Kinder wachst heutzutage so behütet auf. Ihr spielt nicht mehr auf der Straße, ihre werdet überallhin kutschiert, ihr beide seid da eine Ausnahme. Dann habe ich euch immer unten am Strand mit den Hunden gesehen. Und na ja … so was wie euch habe ich gesucht. Außerdem tragt ihr keine Brille. Multisensorische virtuelle Realität erfordert ein nahezu perfektes Sehvermögen.«

»Was … was ist denn mit der Begegnung am Strand?«, fragt Ramzy misstrauisch.

»Alles eingefädelt. Nur, dass der Hund die Badekappe gefressen hat, war nicht geplant. Das war einfach Glück.«

»Ihre Uhr?«, frage ich.

»War schon zerkratzt.«

»Ihr Handgelenk?«

Da senkt sie den Blick und sieht sogar ein wenig verschämt aus. »Tut mir leid.« Als sie aufschaut und unsere entsetzten Gesichter sieht, sagt sie schnell: »He, lasst mich ja nicht im Stich. Wir sind so nah dran.«

»Nah dran an was?«, frage ich. Ich kann die Ungeduld kaum aus meiner Stimme verbannen.

Dr. Pretorius kneift die Augen zusammen. »Ihr werdet schon sehen. Vertraut mir. Ihr werdet sehen. Bald ist es so weit für das Große Experiment.«

»Heute?« Ramzy ist noch ganz aufgekratzt, weil er vorhin im VR-Spiel einen Hubschrauber mit angsteinflößenden Aliens abgeschossen hat.

Ohne direkt zu antworten, sagt Dr. Pretorius: »Gebt mir noch ’ne Woche, Kids. Eine Woche. Wo ich euch hinbringe, ist noch keiner gewesen.« Sie öffnet die Tür, die zu den Arkaden und Polly Donkins führt. Rasch sehe ich mich nach Sass Hennesseys Mutter um, die ist zum Glück aber nicht da. Ein paarmal hat sie mich bestimmt schon gesehen, auch wenn sie bislang nichts gesagt hat, fürchte ich mich davor.

Doch mich erwarten schon bald andere Sorgen.

Denn in dieser Woche geht alles schief.

In dieser Woche erfahren wir alle von der Seuche.

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
268 s. 15 illüstrasyon
ISBN:
9783649636434
Telif hakkı:
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