Kitabı oku: «Maminkas Sommerküche», sayfa 2

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4

Jedes Jahr wurde der Backofen von Maminka eigenhändig repariert und mit Pferdemist verputzt. Für den Mist war ich verantwortlich. Ich verpasste zwar die Morgenportion, da die Herde der Kooperative viel zu früh an unserem Haus vorbei zur Weide zog, aber abends wartete ich genau wie die Nachbarskinder, versteckt hinter der Pforte, die Nase zwischen die Latten gepresst, auf die Herde und zählte jeden Pferdeapfel, der vor unserer Haustür fiel, damit ich ihn, sobald die letzten Tiere vorüber waren, auflesen konnte. Ich war nicht sehr schnell, sodass mir manch kostbarer Pferdeapfel abhandenkam, wenn alle Kinder zugleich ihren Beobachtungsposten verließen und mit Eimern und Schaufeln auf die Straße stürzten. Trotzdem schaffte ich innerhalb einer Woche so viel heran, dass unser Backofen prächtig verputzt werden konnte. Nach ein paar Tagen war er von der bissigen Sonne so weit getrocknet, dass wir das erste Frühjahrsbrot darin backen konnten. Vier Riesenbrote in der Woche. Die Coupons, die uns die Kooperative austeilte, hoben wir für den Winter auf.

Alles läuft immer in gleicher Weise ab: In einer schweren Holzwanne liegt ein Berg aus Mehl. Maminkas Hand gräbt im Vorgebirge eine weiße Grube, in die sie in Blasen aufgequollene Hefe hineingießt. Mit einer regelmäßigen, kreisförmigen Bewegung gräbt sie den Mehlberg unter. Ihre Finger arbeiten sich langsam voran, wie ein Maulwurf, so lange, bis der ganze Berg verschwunden ist. Nur zwei Hände voll Teig sind von ihm übriggeblieben, mickrig, grauweiß. Dann fängt das Kneten an. Ich sehe gespannt zu, wie sich Maminkas Stirn schnell und immer schneller mit kleinen Schweißtropfen bedeckt. Sie sind beinahe kugelrund. Bald ist ihre Oberlippe ganz nass. Die Schweißperlen rollen von der Stirn die Nase herunter und manche landen im Teig. Sie wischt sich das Gesicht mit dem Handrücken und knetet, knetet immer weiter. Ich bin müde vom Zugucken. Fast schlafe ich im Stehen ein. Maminka deckt den Teig liebevoll mit dem schönen handgewebten Tuch aus ihrer Hochzeitstruhe zu. Er muss in der Holzwanne übernachten, »schlafen muss er«, meint sie.

Eines Tages kam mein Großvater herein, volltrunken, wie er es immer um jene Tageszeit war. Er sah Maminka zornig an und schimpfte auf die Kommunisten und ihre ganze Sippe. Sie hätten ihm die Kneipe geraubt und verjubelt. Und er wunderte sich, dass die Amerikaner immer noch nicht da waren, um sie ihm zurückzugeben.

»Möge Gott die Händchen der Kommunisten vergolden, dass sie dir die Kneipe weggenommen haben ... du bist ja auch ohne Kneipe voll ... Und die Amerikaner ...«, fügte Maminka hinzu, »können mir gestohlen bleiben.«

Worauf er mit geballter Faust auf sie losging. Ich sah die fleischige Faust, fühlte den Luftstrom an meinem Gesicht vorbei und streckte den Fuß aus. Djado verlor das Gleichgewicht, und seine Faust landete im Teig.

»Mamka wi!«, fluchte er obszön, irgendeine Mutter betreffend, und schlug zu. Wir rührten uns nicht, platt an die Wand gedrückt. Als ihm die Fäuste wehtaten, nahm er den Teig und schmiss ihn an die Wand. »Mamka wi!«, schrie er dabei, holte den Teig von der Wand herunter, warf ihn in die Holzwanne, schnappte sich die Schaufel und schlug auf ihn ein, bis er selbst, völlig erschöpft, auf den Fußboden sank und – »Mamka wi!« – einschlief.

Maminka pickte die wenigen Holzspäne, die sie fand, aus dem Teig heraus. »So gut war das Brot noch nie durchgeknetet«, meinte sie, legte es vorsichtig wie ein Baby in die Wanne zurück und deckte es wieder zu. Am anderen Morgen war der Teig so aufgegangen, dass er die Holzwanne hinunterlief. Wir mussten ihn vom Boden auflesen und konnten zum ersten Mal fünf statt vier Brote daraus backen.

5

Der Wunsch, etwas länger zu schlafen, war jeden Morgen unwiderstehlich. Wie lange hielt ich es mit geschlossenen Augen aus? Das Zittern der eigenen Wimpern war ein Zeichen des Wachseins, aber solange die Lider geschlossen blieben, war der Tag noch nicht da. Und er blieb draußen, vor dem Tor der Augen, sandte kleine Zeichen an mein Ohr, immer wieder die gleichen Zeichen: das Krähen der Hähne in Baba Penas Hof; das Gurren der Tauben im Geäst des wilden Nussbaumes unterm Fenster; die Stimmen der Frauen der Siebten Brigade, die sich im kurzen Schatten der Trauerweide mitten im Dorf – wie jeden Tag – versammelten, um mit Pferdekarren oder mit einem Laster aufs Feld gefahren zu werden; die Pfeife der Tante Mita, die wieder einmal ihre einzige Milchkuh zum Grasen trieb ... Dann sandte der Tag, jeder Tag von Neuem, seine Gerüche aus. Durch das offene Fenster drang Palatschinkenduft, gemischt mit Rauch und kühler Luft. Dann roch es nach gebranntem Zucker. Ich öffnete die Augen jedes Mal mit dem Gefühl, betrogen zu sein: die Hähne, die Tauben, die Frauen, die Pferdekarren, der Laster, die Mita Maneva mit der Milchkuh ... All das wurde immer zu einem Stück gekalkter Decke über meinem Kopf, wenn ich die Augen öffnete. Die Gewissheit jedoch, dass die Palatschinken noch da waren, ließ mich die Treppe hinuntersausen.

Die Sommerküche war ein dunkles, aus Lehmwänden und zwei winzigen Fenstern bestehendes, viereckiges Loch. Eine Höhle, in der die Gerüche meiner Kindheit dicht aufeinanderprallten, einander bekämpften und durchdrangen: heißes Sonnenblumenöl, Bohnenkraut, Vanille und gebrannter Zucker; Duft nach getrocknetem Mischobst aus Aprikosen, Quitten, Äpfeln und Pflaumen; Duft nach trocknenden Wollsocken und Lindenblüten, Knoblauch und frischgeschnittenen Zwiebeln, brennendem Holz und Essig. Maminka wusch ihr Haar ausschließlich mit Regenwasser und spülte es zum Schluss mit einer dünnen Essiglösung nach. Einmal in der Woche sah ich ihre Haare offen und berührte sie. Sie glänzten, gelöst, in regelmäßigen Wellen.

Ich betrat die Sommerküche. Meine Haut, gespannt von der Kälte der Morgenluft während des kurzen Laufs die offene Treppe hinunter an den Quittenbäumen vorbei, fühlte sich feucht und fast süßklebrig an, sobald mir die mit so vielen Gerüchen getränkte Wärme entgegenschlug. Maminkas Gesicht, verjüngt und gerötet vom Feuer, leuchtet im Halbdunkel der Sommerküche, heute noch, genau wie damals. Maminka schiebt mir gleich zwei Palatschinken auf den Teller. »Iss!«

Ich esse. Ich schaue ihr zu, wie sie die Haare löst, wie sie mit den flinken Bewegungen ihrer Finger die zwei langen Seile von Zöpfen löst und sich in eine Königin verwandelt. Mit dem Holzkamm kämmt sie das fließende Haar, das Haar aus Kupfer.

»Iss weiter, ich muss das ja auch mal machen, später hab’ ich keine Zeit«. Sie fühlt sich schuldig, dass sie die Pracht vor mir ausbreitet, Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter! Ich schaue ihr wie gebannt zu. Ist sie es, die kleine flinke Frau, die immer dem Wind Schulter und Stirn bietet, wenn sie mit leeren Händen den Hof durchquert oder Schweres die Kellertreppe hinaufschleppt, abgearbeitet und überwiegend schweigsam, dem Suff, dem Zorn, der Tyrannei Großvaters ausgesetzt? Ist sie es, meine Maminka, oder ist sie die Loreley oder Rapunzel, oder irgendeine Prinzessin, eine Königin aus den slawischen oder deutschen Märchen, die ich so gern lese?

Die Verwandlung Maminkas verzaubert mich, ich wage es nicht, den Tisch mit den Palatschinken zu verlassen, zu ihr zu gehen und mich umarmen zu lassen, die langen Haare im Gesicht zu spüren, nein, da darf nur die Sonne hin, die den Quittenbaum verlässt, das Fensterglas in tausend Kristallen bricht und in den Kupferhaaren meiner Maminka schwelgt. Ich schaue ihr zu, und mir wird bewusst, wie jung sie ist. Sie ist meine Großmutter, aber sie hätte meine Mutter sein können, denn Maminka ist jung und hübsch mit ihren Kupferhaaren und grünen Augen, mit ihrem schmalen Körper; aber vor lauter Arbeit und Kummer merkt keiner, wie hübsch sie ist. Nur ich.

Ich kaue langsam die Palatschinken mit der doppelt gekochten Quittenmarmelade. So treibt Maminka ihr den Schimmel aus: gekocht, verkocht, bis sie tot wird und von der ganzen Marmelade nichts als Zucker und ein köstlicher Geschmack übrigbleibt. Ich kaue, schaue ihr zu, und erst, wenn es anfängt, nach Essig zu riechen, bleibt vom Zauber nichts mehr übrig, nur zwei Seile von nassen Kupferzöpfen.

Die Sonne kehrt in den Quittenbaum zurück, kittet beim Hinausschlüpfen das Fensterglas; mich erfüllt ein bekanntes Gefühl: Ich habe viel Zeit vor mir, ich habe viel zu tun und weiß nicht, was ich zuerst tun soll. Maminka meint, ich soll zuerst spielen gehen.

»Und die Kamille?«

»Es braucht ja nicht gleich am ersten Tag zu sein«. Sie nippt an ihrem schwergesüßten Lindenblütentee.

Sie weiß, wie unglücklich ich bin, da es Sonntag ist und ich mir keinen Kamillenpflücker ausleihen kann. Beim Abräumen des Tisches verspricht sie mir, mit mir in die Blindengasse zu gehen und dort etwas Brennnesseln zu pflücken, während ich Kamille pflücke. Maminka steht langsam vom Tisch auf. Ihre Hand verselbstständigt sich, greift in die Tasche der ausgebleichten Schürze.

»Nimm ihn ...«, reicht mir ihren Holzkamm, der breite und dicke Zähne hat, »damit kannst du bis morgen Kamille pflücken, dann sehen wir weiter! Verlier ihn bloß nicht, ich habe keinen anderen!«

Ich laufe hinaus, ein letztes Bild im Kopf: Maminka gegen die Tür, im Gegenlicht, ruhig, undurchsichtig. Ein Schatten.

6

Jedes Mal, wenn ich das »andere Zimmer« betrat, hielt ich den Atem an. Es war wirklich anders als alle anderen Zimmer. Es war stets aufgeräumt und wurde nur dann betreten, wenn Maminka etwas aus ihrer Hochzeitstruhe holen musste oder wenn Gäste da waren. Meine Eltern schliefen immer dort, wenn sie uns besuchten. Meine Tanten mit ihren Männern auch.

Eines Tages betrat ich das »andere Zimmer«‚ ohne zu klopfen. Im Bett kämpfte meine jüngste Tante mit ihrem Bräutigam und hatte ein rotes Gesicht, als hätte sie stundenlang vor dem Backofen gestanden. Dabei schien der Kampf nach vorgeschriebenen Regeln zu verlaufen. Die Bewegungen unter der Decke waren heftig und regelmäßig, und der Onkel grunzte und atmete tief. Es berührte mich unangenehm, und ich vergaß es schnell oder versuchte es zu vergessen.

Danach klopfte ich an jede Tür und wartete lange, ehe ich irgendwo eintrat, auch wenn wir keine Gäste hatten.

Ich klopfe an. Ich betrete das »andere Zimmer«. Kühle. Ich bin barfuß. Unter den Fußsohlen das noppige Muster des handgewebten Teppichs. Es riecht nach Mottenpulver und Lindenblüten. Durch die geschlossenen Fenster, verdunkelt mit Reispapier, wird das grelle Licht gefiltert. Auf der Fensterbank die toten Mücken und Fliegen, ausgetrocknet. Das Bett: leer. Auf der Fensterbank: die Schachtel Pralinen. Jeden Tag darf ich nur einmal hinein, jeden Tag nur eine Praline, damit sie bis zum Ende des Monats reichen – bis Mutter und Vater aus der Stadt eine neue Schachtel geschickt haben. Mein Herz schlägt hoch bis in den Hals: Und was wäre, wenn ich mal zwei nähme? Manchmal sind es keine Pralinen. Manchmal sind es Orangen. Dann darf ich nur eine halbe haben, die zweite Hälfte bleibt für den nächsten Tag. Es sind keine Orangen, die auf der Fensterbank auf mich warten, es sind kleine runde Sonnen, die im Mund zergehen und die ich am liebsten mit der Schale essen würde, aber ich darf es nicht.

Ich betrat das »andere Zimmer«, und während ich mit geschlossenen Augen die Praline oder die halbe Orange im Mund zergehen ließ, sah ich Schiffe, beladen mit Orangen und Schokolade. Das Häuschen von Hänsel und Gretel war nichts im Vergleich mit meinen Fantasien, mit meiner Gier nach Süßem. Ich wagte es nie, eine zweite Praline oder die zweite Hälfte der Orange aufzuessen.

Im »anderen Zimmer«, neben der Nähmaschine, steht der Sack mit dem Würfelzucker an die Wand gelehnt. Ein Zentner Zucker in großen, 50 oder 100 Gramm schweren Würfeln lagert dort, und ich hole mir einen Würfel heraus, hocke mich neben den Sack hin und knabbere an dem Zucker, bis Maminka mich ruft. Dann schiebe ich den angeknabberten Würfel in die Schürzentasche und gehe hinaus.

Die Äpfel sind schon faustgroß, aber immer noch sauer. Ich hole mir einen vom Baum, werfe ihn hundertmal gegen die Hauswand, fange ihn auf und immer wieder gegen die Wand, bis er rundum weicher geworden und mit braunen Druckstellen bedeckt ist und der saure Saft an manchen Stellen herausspritzt. Dann eine Untertasse mit zerstampftem Würfelzucker holen, abbeißen, in den Zucker tunken, den sauren Saft, mit Zucker gemischt, durch die Zähne fließen lassen, träumen von Schiffen, beladen mit Schokolade und Orangen.

Neben dem Sack mit dem Würfelzucker im »anderen Zimmer« zu hocken und zu träumen war jedoch weit weniger aufregend, als hinter dem Holzstapel im Hof zu hocken und zu warten. Bis Montag hatte ich mein Problem gelöst. Endlich konnte ich in Ruhe hinter dem Stall verschwinden und darauf warten, dass der Truthahn die Henne bestieg. Ich musste nur aufpassen, dass mich keiner sah, musste so tun, als ob ich spielte! Maminka ahnte meine schlimmen Gedanken nicht und goss gerade das Seifenwasser von der Wäsche an die Quittenbäume. Sie meinte, Seifenwasser sei gut für die Quitten.

Ich hockte mich hinter einen Stapel Holz und wartete. Die Hühner ächzen und beklagen die Mittagshitze, obwohl es noch längst kein Mittag ist. Das Dorf ist leer. Das dumpfe Brummen der Traktoren da draußen im Feld, das Krächzen der Säge, die sich jeden Tag um diese Zeit meldet. Über meinem Kopf die heranreifenden Mirabellen, die Blätter und die grünen, sonnigen Spinnweben. Manchmal kriecht mir ein unsichtbarer Faden übers Gesicht. Ich warte. Ich wage nicht, die Backsteinsplitter umzudrehen, obwohl ich es gerne täte: Unter jedem Backstein wohnt ein Regenwurm.

Da sind sie! Die Truthenne schreitet geziert, passt auf, dass sie nicht in Hühnerkacke tritt, und pickt unentwegt irgendetwas vom Boden auf. Es sieht so aus, als würde sie der Truthahn überhaupt nicht interessieren. Er plustert sich auf. Er ist ganz rot im Gesicht. Er tanzt, er tobt: »Sieh mich an, ich komme!« Mein Herz schlägt schneller. Was ist es denn, dieses Etwas, das sich mit jedem aufgewirbelten Staubwölkchen unter den Füßen des Truthahns in mir breit macht? Ich bücke mich, knie mich hin, stütze mich mit den Händen auf den Boden, liege fast unter dem Stapel Holz. Ich will alles sehen, alles, was sich sehen lässt! Jahrelang glaubte ich, das Geschlecht des Truthahns hinge ihm von der Nase herunter – bis ich eines Tages merkte, dass er genau wie der Hahn die Henne bestieg und seinen Hintern an ihrem Hintern festdrückte. Dass das Weibchen immer dem Männchen unterlag, empfand ich als ungerecht. Und es schmerzte mich, wenn der Truthahn seiner Henne die Federn mit den Krallen auszureißen begann, sobald sie unter ihm lag.

Wenn Maminka einen Hahn geschlachtet hatte, holte sie ihm vorsichtig die Eier heraus. Gekocht schmeckten sie besonders gut, und sie legte sie immer auf meinen Teller. »Ich verstehe nur nicht, warum er seine Eier nicht legt, wenn er welche hat«, sagte ich bei solchen Gelegenheiten zu Maminka, die meine Frage unkommentiert im Raum stehenließ. So schien mir der Truthahn ziemlich unnütz zu sein: bloß fressen, die Henne besteigen und noch nicht mal Eier legen!

Wie oft blieb ich auf dem Boden liegen, während die Steinchen und die trockenen Klümpchen Erde meine nackten Knie und meine Handflächen blutig rissen. So war es gut: über mir die Mirabellen und die grünen Spinnennetze, die Blätter, die unentwegt miteinander tuschelten, der Schmerz an den Knien und den Handflächen. Stummsein. Wehtun. Warten. Das hatte viel miteinander zu tun.

Maminkas langgezogenes »Kooomm!« schreckt mich auf. Ich springe auf, reibe meine Knie, entferne vorsichtig, aber hastig die kleinen Steinchen und die Erdkrümel, verschmiere das Blut. »Ich kooooomme!« Ob Großmutter gemerkt hat, dass ich die zwei da beim Liebesspiel beobachtet habe?

Ich nähere mich Maminka langsam, sehr langsam, am Nussbaum vorbei. Mein Schatten geht mir brav nach, dann geht er Maminkas Schatten nach.

»Ich muss ein Körbchen für die Kamille mitnehmen, nicht wahr?« Mein Schatten steckt den Holzkamm in die Schürze, während Maminkas Schatten beschwichtigend auf ihn einredet: »Nimm lieber eine Tasse mit, Mila! Mehr schaffst du sowieso nicht mit dem Kamm.« Großmutters Schatten breitet verzweifelt die Arme aus, schlägt sich mit beiden Händen an den Kopf: »Sieben Kilo Kamille, Gott sei mit Euch!«

Mein Schatten zuckt mit den Schultern. Er weiß nicht genau, mit wem Gott sein soll. Mit denen, die uns diese Norm auferlegt haben, oder mit mir und den anderen Kindern, die die Norm erfüllen müssen?

7

Maminka kochte die beste Brennnesselsuppe, die ich je gegessen habe. Im Frühjahr, ehe der Spinat noch ans Wachsen dachte, war sie schon da. Wir alle, geplagt vom grünen Hunger, konnten das erste Grün nicht abwarten. Unsere Bäuche, verwöhnt, gereizt und einen Winter lang geplagt durch das sauer eingelegte Gemüse, »den Wintersalat«, wie man es nannte, und durch das Sauerkraut, sehnten uns nach einem frischen Blatt. Und das erste Essbare, das man entlang der Steinmauern und unter den Holzstapeln fand, war die Brennnessel. Wir bereiteten daraus den ersten Frühlingssalat, die erste Frühlingssuppe und sogar den ersten grünen Auflauf mit Reis, Zwiebeln und Eiern. Die Brennnessel gab es fast das ganze Jahr über bis zum späten Herbst, doch sie verlor ihre Anziehungskraft, sobald der Kopfsalat, die Radieschen und die Lauchzwiebeln geerntet wurden. Im Sommer kam es höchst selten vor, dass man eine Brennnesselsuppe vorgesetzt bekam; die gab es nur dann, wenn Großvater großen Hunger hatte und es nicht abwarten könnte, dass das eigentliche Essen auf dem Herd fertig war.

Wir gehen durch das leere Dorf. Es ist heiß und staubig. Wir nähern uns der Blindengasse und ziehen unsere Schuhe aus. Der Staub glüht – ein vertrautes Gefühl. Ich beobachte Großmutters Füße.

»Warum hast du nur vier Zehen, Maminka?«

»Djado Minko, dein Urgroßvater, hat mir den einen Zeh abgeschnitten, als ich klein war ...«

Die Sonne prallt auf meinen Kopf.

»So klein wie du, Mila.«

Und während ihre dünnen Lippen die einzelnen Worte formen, schaudert es mich; sie ist es nicht, die spricht, ich bin es, die von damals ausrückt, und während ich dies heute erzähle, werden die Mila und die Maminka eins. Djado Minko nähert sich, mit dem Taschenmesser in der Hand, dem Kind.

»Es tut nicht weh, pass auf, es tut nicht weh ... Der Zeh muss weg, sonst stirbst du ... mit einem blauen Pickel ist nicht zu spaßen!«

Da schreit ein Kind durch die Blindengasse, der Schmerz zerschellt an den Fensterscheiben, die Fensterscheiben sind mit Reispapier versperrt. Das Dorf ist leer, und der Schrei verdampft an den Wänden der heißen Häuser. Da brüllt ein Kind vierzig Jahre zurück in der Zeit und fast dreißig Jahre vorwärts, bis der Klageton eins wird und zu Buchstaben erstarrt. Da tritt plötzlich die alte Frau aus dem Kind heraus, setzt sich an den Rand der staubigen Straße, aus der einen werden zwei.

»Ist ja gut, mein Kind, es hat nur ganz kurz wehgetan ... hast du denn schon wieder kein Taschentuch? Mila! Wie oft soll ich dir das sagen, der Djado Minko hat es richtig gemacht! Er hat das Messer vorher in den Schnaps getaucht, und wie du siehst, lebe ich noch!«

Ich stand auf. Meine Handflächen waren feucht geworden, und ich merkte, dass ich vor Angst einen steifen Hals bekommen hatte. Maminka zog die Gummigaloschen wieder an, holte die Lederhandschuhe aus dem bunten Säckchen heraus, zog sie an und trat in die Brennnesseln hinein. Sie suchte die jüngsten Pflanzen, die an den Wurzeln seitwärts sprossen, und verstaute sie in ihrem Wollsäckchen. Ich zog meine Schlappen auch an. Die durchgeschwitzten Socken ließ ich in der Sonne lüften. Dann nahm ich den Holzkamm und beugte mich über das kleine Meer Kamille, das die Brennnesseln umgab. Der Kamm hatte vierundzwanzig Zähne; es passten genau dreiundzwanzig Kamillenblüten hinein. Ein Schwung mit dem Kamm durch die Kamille und hochziehen, als würde ich die Blüten kämmen. Die Hälfte fiel sofort wieder auf den Boden. Der Grund meiner Tasse wurde mit dem Rest der Blüten kaum bedeckt. Ob ich schon zehn Gramm gepflückt habe? Ich muss unbedingt einen richtigen Kamillenpflücker haben, sonst bin ich erledigt, dachte ich unentwegt.

Nach einer halben Stunde war meine Tasse fast voll, Maminkas Wollsäckchen mit den Brennnesseln auch, und wir machten uns auf den Weg nach Hause.

»Wie viel hab’ ich denn wohl gepflückt, Maminka?«, versuchte ich das Gewicht in der vollen Tasse zu schätzen. »100 Gramm vielleicht?«

»Höchstens fünfzig, Mila ... doch bis Montag sind es nur noch 25 Gramm.« Maminkas Antwort traf mich völlig unvorbereitet. Die Kamille trocknete schnell aus, das war es! Ich schaute sie verzweifelt an. »... wir packen das schon!«, klang Großmutter sicher, aber ich war untröstlich. Später erfuhr ich, dass man uns drei Kilo getrocknete oder sieben Kilo frische Kamille als erfüllte Norm anerkannte.

Aber erst viel später.

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