Kitabı oku: «TITANROT», sayfa 5

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Fehltritte

»Evolution ist doch nichts anderes, als die Akkumulation nicht letaler Fehler. Fehler, die sich unter bestimmten Umständen als Vorteile herausstellen können.«

Aus dem Ordner: Diskussionen mit dem Selbst; Erinnerungen des Kollektivs

Irgendein Inneneinrichter hatte es für eine gute Idee gehalten, einen der größten Übungsräume im Haupthabitat des Zwergplaneten Inua schwarz zu lackieren. Eine Deckenleuchte warf einen Lichtkegel in die Mitte des Raums, der nicht bis an die Wände reichte. Das gab dem Raum zugleich etwas Beengendes und das Gefühl der Freiheit von jeglichen Begrenzungen. Die Wände hoben sich nicht von dem sie umgebenden Dunkel ab und schienen sich vor Karas Augen aufzulösen.

Sie blieb an der Türschwelle stehen. Selbst der graue Flur kam ihr gegen die Schwärze da drin hell und einladend vor. Nur ein bleicher Mann im grauen Anzug und eine Inderin im schwarzen Sari füllten die Leere zwischen den dunklen Wänden. Sie saßen am Rand des Lichtkegels auf großen Kissen. Die Hände des Mannes ruhten auf einer mit Fell bespannten Trommel, die zwischen seinen Oberschenkeln klemmte. Die Frau stellte ihre Teeschale auf einem niedrigen Holztisch ab. Dampf entstieg einer Glaskanne daneben. Schatten verbargen die Augen der beiden tief in ihren Höhlen.

Kara trat mit einem großen Schritt in den Raum. Ohne sie aus den Augen zu lassen, schlug der Trommler einen monotonen Rhythmus an. Die Inderin starrte geradeaus, als hätte sie nicht bemerkt, dass jemand eingetreten war. Kara straffte die Schultern, setzte ihr Tänzerlächeln auf und ging in die Mitte des Raumes. Sie unterwarf sich nicht zum ersten Mal den richtenden Blicken anderer bei einem Vortanzen. Und falls sie es heute nicht schaffte, diese Leute mit einer vollendeten Leistung zu überzeugen, würde es nicht das letzte Mal sein. Es kam ihr vor, als steckte sie in einer Schleife aus endlosen Versuchen und dem dazugehörigen Versagen fest. Immer wieder unterliefen ihr Fehler. Mal streckte sie das Bein nicht genügend. Mal fiel ihre Haltung zusammen. Mal kam sie aus dem Takt. Mal vergaß sie die Choreografie. Einmal war sie gestürzt. Die Erinnerung daran brachte sie nachts um den Schlaf.

Das Geräusch ihrer Schritte mischte sich unter die Trommelschläge. Kara blieb stehen und zog ihren Pferdeschwanz noch einmal fest. Eine nervöse Geste, die sie zu spät bemerkte. Das fing gut an. Diese Leute suchten nach perfekten Mädchen für ihre perfekten Vorstellungen. Unsicherheit, Nervosität und sonstige Makel standen einer Tänzerkarriere im Weg, weder die Tanzmeister noch die Choreografen konnten Abweichungen in ihren Vorführungen gebrauchen.

Sie stellte sich in der Anfangsposition auf. Die Füße hüftbreit aufgestellt, eine Hand vor ihrer Brust erhoben, wartete sie auf das Zeichen, zu beginnen. Noch immer trommelte der Mann und die Frau nippte an ihrem Tee. Anscheinend musste Kara von selbst beginnen. Sie nahm drei Schritte Anlauf und sprang in die erste Figur. Die Choreografie enthielt Elemente des Balletts und modernen Tanzes des zwanzigsten Jahrhunderts auf der Erde. Aber die geringe Schwerkraft des Zwergplaneten erlaubte höhere, weitere und spektakulärere Sprünge, als die Menschen damals auf der Erde je zu Gesicht bekommen hatten.

Sie beendete ihren Flug mit einem Spagat in der Luft, und kam auf einem Fußballen auf, die Arme geöffnet, das Kinn erhoben, ein Lächeln auf dem Gesicht. Sie kannte jede Figur dieser Choreografie so gut, sie hätte sie im Schlaf durchtanzen können. Automatisch passte sie ihre Bewegungen den Trommelschlägen an.

Bumm. Einen Fuß nach vorne. Bumm. Gewicht verlagern. Bumm. Das andere Bein in die Höhe. Bumm. Drehung. Bumm. Arme ausbreiten. Bumm. Absprung.

Sie erhaschte einen Blick auf das Gesicht der Inderin. Die Frau zog verächtlich einen Mundwinkel nach oben und schwenkte desinteressiert ihre Teeschale. Kara kam mit dem falschen Fuß auf, stolperte in die nächste Drehung und nahm genügend Schwung mit, um sich der Länge nach hinzulegen. Ihre Schulter knallte auf den Boden.

Sie sprang auf und stellte sich wieder in Position. Aber die Uhr ließ sich nicht zurückdrehen. Sie hatte beim Vortanzen eine Bruchlandung hingelegt und ihre Aussichten auf eine Festanstellung in der Tanzgruppe damit zunichtegemacht.

Unsicher sah sie von der Frau zum Trommler. Am liebsten hätte sie sich selbst eine geknallt. Wie hatte sie sich so aus dem Konzept bringen lassen?

Der Trommler räusperte sich. Noch immer schlug er langsam auf sein Instrument ein, als führten seine Hände ein Eigenleben.

»Das war wohl wieder nichts«, sagte er. Ihre Wangen glühten.

Die Tanzmeisterin warf Kara einen Blick zu, der die Gletscher Inuas zum Frösteln gebracht hätte. Sie spürte die Scham über ihren Sturz schmerzhaft in ihrer Brust. Was hatte sie denn erwartet? Natürlich wollte die Frau sie nicht. Sie hatte sich gerade beim Vortanzen hingelegt. Schlimmer ging es kaum.

Der Trommler öffnete den Mund. Vermutlich, um das nächste Mädchen hereinzurufen. Noch immer hallten die rhythmischen Schläge zwischen den Wänden. Kara hob eine Hand vor ihre Brust. Ihre Fingerspitzen zitterten und der Versuch, das verräterische Zeichen ihrer Nervosität zu unterbinden, verstärkte den Tremor noch. Die Tücher an ihren Handgelenken schienen plötzlich aus Blei gewebt zu sein. Sie schluckte den letzten Tropfen Unsicherheit herunter. Niederlagen der Vergangenheit galt es, zu akzeptieren, und ihre Aufmerksamkeit sollte dem nächsten Schritt gelten. Und sie tat den nächsten Schritt. Wieder begann sie, sich zu drehen und zu springen. Jede Bewegung explodierte aus ihr.

Die Tanzmeisterin bohrte ihren Blick ohne jede Gefühlsregung in die Darbietung. In Kara wuchs Widerstand. Die Inderin hatte sie bereits als unpassend befunden. Eines der perfekten Tanzmädchen würde das neue Mitglied der Tanzgruppe werden.

Karas Tänzerlächeln schmolz von ihren Wangen. Sie lauschte dem monotonen Trommelschlag, schloss die Augen und vergaß die Fremden, die ihr Urteil bereits gefällt hatten.

Ihre Haltung verlor die Perfektion. Ihre Drehungen verloren an Unsicherheit. Ihre Hände die lange antrainierte Steife. Dafür brachte jeder Schlag ihre Mitte zum Vibrieren. Mit jeder Faser verschmolz sie mit dem Tanz und vergaß die Erwartungen der Beobachter. Noch immer folgte ihr Körper den einstudierten Mustern. Aber in ihren Sprüngen steckte eine Leichtigkeit, die ihre Lehrer nicht vorgesehen hatten, und ihre Arme verwandelten sich in Flügel, die sie der Schwerkraft enthoben. Sie fand sich selbst in ihren Bewegungen. In den letzten Jahren war das Tanzen zu einer Pflichtübung geworden, die sie gewissenhaft erledigte. Auf ihrer Suche nach Perfektion war die Leidenschaft verloren gegangen. Und sie hatte die Schönheit, die darin lag, und all die Geschichten, die sich in schiefen Figuren und unsauberen Landungen versteckten, einfach vergessen.

Die Choreografie nahm in ihrem Geist eine eigene Gestalt an. Lichter verwirbelten zu Nebeln, Farben und Schatten. Sie tanzte nicht nach der Führung durch die Trommel, sie tanzte mit ihr. Der nächste Schlag, die nächste Bewegung, sie waren die Folge des Vorhergewesenen. Sollten die sie wegschicken, wie all die anderen. Dieser Moment gehörte ihr. Sie tanzte nicht länger für die Anerkennung durch die anderen oder die Bestätigung durch die Tanzmeister. Nicht einmal für den Beifall eines Publikums. Sie tanzte für sich. Weil es ihr gefiel.

Bumm. Sprung. Bumm. Drehung. Bumm. Nach hinten fallen lassen. Bumm. Aufkommen. Bumm. Nicht verbeugen.

Langsam öffnete sie die Augen. Im ersten Moment blendete die Welt sie. Doch dann nahmen die Beurteiler im Grau des Raums wieder Gestalt an. Der Trommler verzog keine Miene.

Kara begegnete seinem Blick. Was hatte sie sich dabei gedacht? Die beiden würden jedem, den sie kannten, von ihrer seltsamen Vorstellung erzählen. Wieder würden Geschichten über einen Sturz und unmögliches Betragen erzählt werden und Leute würden über sie lachen.

Ihr Trotz kehrte zurück. Warum störte sie, was Langweiler dachten? Sie hatte getanzt. Wirklich getanzt.

»Finden Sie sich morgen um neun Uhr im Übungsraum ein.« Die Stimme des Trommlers war leise. Bloß ein Flüstern, doch es brachte ihr Innerstes zum Beben.

»Sie nehmen mich?« Ein Schauder durchlief ihren Körper von den Haarwurzeln bis zu den Fußspitzen. Sie stand kurz davor, ein neues Kapitel ihres Lebens zu schreiben. Sie spürte den Sog der Zukunft.

Die Frau antwortete mit frostiger Stimme. »Wir ziehen es in Erwägung. Sie werden sich zu einer Übungsstunde mit unserem Trommler einfinden. Danach sehen wir weiter.«

Vorschuss

Raumhafen der Nomaden im Orbit des Zwergplaneten Amarok

Der Ort, an dem Glenn, laut Dans Aussage, Abhilfe für seine Geldsorgen finden würde, sah seriös aus. Und das beunruhigte ihn. Sehr.

Über der Glastür hing ein Metallschild, das »Raumfahrerausstattung« anpries. Direkt darunter prangte ein Aufkleber: »VdR verbürgte Qualität in Zusammenarbeit mit der QdK und VPH«.

VdR stand für den Verband der nomadischen Raumhäfen. Glenn kratzte sich am Kopf. Sollte diese Bürgschaft Leute etwa davon überzeugen, dieser Laden sei vertrauenswürdig? Bei den Nomaden galt es, Versprechungen mit Vorsicht zu genießen. Die meisten bezeichneten sich als Händler oder Piraten. Beide verkauften ihre eigenen Kinder, wenn sie sich dadurch Gewinn erhofften.

Die QdK und VPH, die Qualitätssicherung der Konglomerate und Vereinigung von Planeten und Habitaten, verdienten noch weniger Vertrauen. Die schnitten ihre Kinder vor dem Verkauf in Scheibchen, wenn das den Gewinn maximierte. Vielleicht stellte das Schild eine Warnung dar. Vor allem für Leute, die vor Kurzem einem der Konglomerate einen Wissenschaftler geklaut hatten. Auf wie viel Vertrautheit mit den Konglos wies so ein Schild hin?

»Hier willst du hin?« Nance musterte das Schild mit großen Augen. Überdimensionierte Goldohrringe schaukelten von ihren Ohrläppchen und verhedderten sich in den grünen Zöpfchen, die ihr bis auf die Schultern fielen.

»Wir müssen neue Mineralkartuschen und Vorräte für den Drucker besorgen. Und du sagtest doch, du bräuchtest einen neuen Nukleuschip.«

Glenn atmete durch den Mund, um dem süßlichen Gestank des Haaröls zu entgehen, das Nomaden so gerne benutzten. Der Geruch hing wie eine schwüle Wolke über den Köpfen der Vorbeiziehenden in der Hauptstraße der Raumstation und schien ihn gemeinsam mit der Stationsschwerkraft zu erdrücken.

»Ich meine: Warum müssen wir das persönlich tun?« Nance rollte mit den Augen. »Wieso hast du das Zeug nicht wie ein normaler Mensch über Hafenfunk bestellt? Du weißt, dass die Drohnen im Hafeneinzugsgebiet ohne Aufpreis liefern?«

»Vielleicht wollte ich mir ein wenig die Füße vertreten und den Duft der Zivilisation schnuppern.«

Glenn bekam einen heftigen Hieb gegen die Schulter, als eine ganze Gruppe Nomaden in abgerissenen Raumanzügen an ihm vorbeirempelte. Nance verkniff sich ein Lachen und grunzte stattdessen.

»Klar, Käpt’n. Gedränge und Trubel ziehen dich magisch an.«

Glenn sehnte sich tatsächlich nach dem Gefühl echter Beschleunigung, das ihn weit von diesem überlaufenen Hafenquartier fortbrachte. Dazu brauchten sie allerdings neue Vorräte und einen neuen Chip. Ein gut trainierter Nukleuschip allein konnte die Heuerkosten für eine ganze Mannschaft übersteigen. Aber ein billiger Chip zweifelhafter Herkunft stellte ein Risiko dar, das kein verantwortungsbewusster Nomade einging. Also brauchte er Geld. Und deshalb musste er den Auftrag abschließen. Wozu er noch mehr Geld brauchte, weil er vorher Kroll auftauen musste. Seine Eingeweide drohten, dem Ruf der Schwerkraft zu folgen und sich in Richtung Füße davonzumachen.

»Dan meinte, er kennt hier jemanden. Mir wurde ein kostengünstiger Kontakt in ein Krankenhaus versprochen, wenn ich hier persönlich aufkreuze. Wir sollten Kroll auftauen, wenn’s geht.«

Nance sah zu dem Schild und schüttelte den Kopf. Ihre Ohrringe schaukelten wild. »Hier drin? Wirklich? Das klingt dubios. Nach Konglo, oder so.«

»Wir werden sehen.« Sein Kopf fühlte sich mehrere Nummern zu groß und zu leicht an. »Außerdem hat Dan die Kommunikationskanäle überprüft. Lehrsinn-Bode hat kein Kopfgeld ausgesetzt. Vermutlich hatten die Angst, dass das Aufmerksamkeit auf ihr Geheimlabor lenkt.«

»Ich weiß echt nicht, was daran beruhigend sein soll, Käpt’n.« Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper. »Die haben Spione und Attentäter und so was.«

Glenn stieß die Tür auf und ein angenehm kühler Luftstrom umwehte sein Gesicht. Der Allbedarfsladen bestand aus einem Verkaufsraum, dessen einseitig verspiegelte Fenster vor neugierigen Blicken schützten, jedoch einen Ausblick auf das Treiben in der Gasse boten. Ein paar Birkenfeigen unter künstlichen Sonnen, sowie ein niedriger Tresen stellten die gesamte Einrichtung dar.

Er atmete erleichtert auf. Die frische Luft hier drin beruhigte seine mit der Stationsschwerkraft kämpfende Verdauung auf den ersten Atemzug. Das stete Gefühl zu fallen, während er stand, trieb ihm bittere Galle in den Rachen. Allgang nannten die Nomaden das und hielten es für eine Auszeichnung echter Allbewohner. Er bezeichnete sich ab heute mit Freuden als Felsenkleber, wenn er damit dieser Auszeichnung entginge.

Ein Händler stand hinter dem Tresen und grüßte sie mit einer Hand. Die Bewegung ließ bunte Pailletten an seinen Ärmeln im Licht schillern. In der anderen hielt er einen Becher, aus dem süßlicher Dampf aufstieg.

»Nicht so schüchtern. Kommen Sie nur rein.« Der Mann stellte seinen Becher ab und musterte Glenn fachmännisch. Dann pochte er mit der anderen Hand auf eine der Tafeln. Das Angebot veränderte sich und funkelnde Raumanzüge an unnatürlich gut gelaunten Menschen strahlten von der Wand.

»Interesse am neuesten Modell von Lehrsinn-Bode?«, fragte der Mann. »Ist heute reingekommen. Neueste Thermoregulierung und Liquidaufbereitungsmodule sind bereits eingebaut. Autoreparationsmodus ist aktiv, sobald die Dinger Saft haben. Die Alltauglichkeit ist für zehn Jahre garantiert. Der Helm ist im Preis inbegriffen. Für Felsenhocker und Leute aus dem Inneren kostet das Teil dreizehntausend Kuben. Aber unter uns Nomaden, gebe ich’s für schlappe siebentausend her.«

»Sparen Sie Ihren Atem«, sagte Glenn. Wen wollte der mit dem Versprechen einer Selbstzerstörung in zehn Jahren zum Kauf überreden? »Wir sind wegen der Mineralkartuschen, Kalorieneinheiten, Aromen, des Nukleuschips und Dans Freund im Krankenhaus da.«

Der Händler runzelte die Stirn und warf ihm einen abschätzenden Blick zu. Dann tippte er wieder gegen die Tafel und das Bild verschwand. »Von der Sonnenwind?«

Glenn nickte. Dan hatte ihm andere Zahlungsmodalitäten versprochen und sie schwammig gehalten. Die genauen »Modalitäten« galt es, jetzt zu klären.

Die Lässigkeit fiel augenblicklich von dem Mann ab und in seinem Blick glitzerte ein Funkeln, das Glenn nicht gefiel. Nance schien davon nichts mitzubekommen.

»Fünfte Generation für den Chip reicht vollkommen. Aber nichts unter Dritter«, erklärte sie geschäftsmäßig. Dann hob sie die Hand. »Oh und kein Vanillezeug in den Kartuschen, wenn’s geht. Das ganze Schiff stinkt davon. Und ich brauche Ergänzungsmittel.«

»Ergänzungsmittel?« Glenn blinzelte sie verwirrt an. »Wozu? Bist du krank?«

»Herzlichen Glückwunsch!«, rief der Händler scheinbar zutiefst erfreut und schlüpfte wieder in seine Händlerpersönlichkeit. Auf eine beiläufige Geste von ihm öffnete sich in der Wand hinter ihm eine Klappe. Darin blitzten Dutzende Chips in ihren Schutzhüllen. Der Mann legte sie auf den Tresen und wandte sich an Nance. »Haben Sie schon eine Erstausstattung für das Kleine?«

»Wie bitte?« Glenn starrte Nance mit offenem Mund an.

Der Händler schnippte und auf einer der Wandtafeln grinsten Kinder wie blöde, weil eine dunkelhaarige Frau sie in einen Medisarg steckte. Die Werbetreibenden hatten offensichtlich noch nie versucht, Kinder einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Selbst Glenn wusste, dass das nicht ohne Gebrüll ablief.

»Wie Sie wissen, arbeiten wir mit einer wunderbaren Klinik zusammen. Die Preise sind niedrig und die Dienstleistung erstklassig. Eine bessere Versorgung gibt’s selbst im Kernsektor des Planeten nicht. Komplette Diagnose und Verbesserung des Erbguts, Alltauglichkeit vom ersten Trimester an …«

»Ein Baby an Bord?«, unterbrach Glenn den überglücklichen Händler und starrte Nance mit offenem Mund an. »Und wann wolltest du mir das sagen?«

»Das Wunder des Lebens«, rief der Händler, als hätte er noch nie etwas Ergreifenderes gehört. »Ein stolzer Nomade von morgen, der …«

»Wie hast du überhaupt?«, Glenn stöhnte auf. »Wann?«

»Heute Morgen nach dem Einlaufen. Die haben in jedem Dock ‘ne Samenbank. Das ist keine große Sache«, erklärte sie. Sie nagte an ihrer Unterlippe. Seine Reaktion traf sie sichtlich unvorbereitet. Was hatte sie erwartet? Dass er in Begeisterung ausbrechen würde, weil sie ihm ein Balg aufs Schiff setzte?

»Keine große Sache? Du bist erst zwanzig!«, rief er. »Was hast du dir dabei gedacht?«

»Dreiundzwanzig«, korrigierte sie ihn. »Ich brauche nur ‘ne Behandlung, um reisefähig zu sein.«

Ihre Stimme klang plötzlich dünn. Offensichtlich hatte sie sich nichts dabei gedacht. »Wir wollten doch sowieso nach Akna weiterfliegen. Ich geh da von Bord, wenn du willst. In der Zwischenzeit kannst du jemand Neues finden.«

»Das hast du schon alles durchdacht, was?«, fragte er ruhiger. Er hätte nicht so aufbrausen sollen. Andererseits hätte sie ihn vorwarnen können. Wer schwängerte sich denn bitte aus einer Laune heraus? Die Menschheit hatte den Verstand verloren. »Wegen der Behandlung …«

»Wie gesagt die Klinik ist gleich da vorne«, fiel der Händler ihm ins Wort. »Kann ich wärmstens empfehlen. Die gehören zu den lizenzierten Partnern der QdK. Und das können wir auf die gleiche Liste schreiben, wie den Chip, den Auftaudienst und die Vorräte.«

Es bedeutete nichts Gutes, wenn dieser Typ völlig sicher war, das Darlehen von ihm zurückzukriegen. Egal, welche Höhe es erreichte.

»Rücken die auch die Rohdaten, für die Weiterverwendung im Medisarg an Bord raus, oder nur die Analysen?«, fragte Nance und vermied es, Glenn anzusehen.

»Ein Baby«, stammelte er. In seinem Bauch schien es vor lebendigen Mehlwürmern zu wimmeln. Vermutlich leuchtete sein Gesicht mittlerweile grün. »Unser Medisarg bräuchte dann auch ein Update. Schwangerschaften sind definitiv nicht im Basispaket drin …«

»Wie gesagt, ich geh von Bord. Wenn du willst.« Nance hob die Schultern.

Sie war so jung. Wie kam sie dazu, sich zu schwängern? Ob Lena, Dan oder Tian schon Bescheid wussten? Zumindest würde das erklären, warum alle so unheimlich beschäftigt gewesen waren, als er aufbrechen wollte.

»Ich bin der Letzte, der das erfährt, oder?«, fragte er und seufzte. »Was sagen die anderen denn?«

»Lena sagt, es sei deine Entscheidung, ob du Kinder an Bord willst. Dan denkt, wir könnten einen der Gemeinschaftsräume zum Spielraum umgestalten. Er hat irgendwas von Hologrammbildern erzählt«, sagte sie und grinste plötzlich verschmitzt. »Und Tian meinte, er hoffe auf Drillinge.«

»Drillinge?« Der Allgang drohte mittlerweile, ihn von den Füßen zu werfen.

»Ich hab drei befruchten lassen. Die schlagen ja nicht immer alle an.«

Zum Allwal mit ihr. Seine Beinmuskulatur fühlte sich an, als bestünde sie aus Algenpaste. Wieso hatte sie sich in den Kopf gesetzt, jetzt Kinder zu kriegen? Musste irgendein Hormondings sein. Vermutlich hätte er bei der Anschaffung des Medisargs nicht so knauserig sein sollen. Das rächte sich jetzt.

»Also wegen der Behandlung …«, stammelte er. Verdammt. Schwanger werden sollte schwieriger sein. »Das wird teuer.«

Nance lächelte. »Na, das ist ja wohl Kleinvieh. Dank des Finderlohns für den Wissensch…« Sie sah zu dem Händler und räusperte sich. »Also mein Anteil am letzten Lohn für unsere … ähm … überaus ehrliche Arbeit. Der reicht, um nicht nur Kinder zu kriegen, sondern auch, sie alltauglich zu machen. Und ich habe ja noch ein paar Jahre Zeit, bevor sie in die Ausbildung müssen.«

»Ich nehme auch personenbezogene Kontodaten auf Kredit«, erklärte der Händler. »Außerdem nehme ich Schiffsausrüstung als Pfand. Bis sie das mit Raka geklärt ha…«

Glenn fuhr zu dem Händler herum. Dans Kontakt hieß Raka? Etwa die berüchtigte Androidin? Das fehlte ihm gerade noch. Von so einer hielten sich anständige Nomaden fern.

»Raka?«, fragte Nance. »Wissen Lena und Dan das? Und Tian erst … Der wird dich umbringen, wenn er hört, dass er seine Kohle erst kriegt, wenn eine Blechbüchse ihm hilft. Du weißt, wie seine Leute über die Dinger denken.«

Der Händler drehte sich um und begann geschäftig, die Chips in der Schublade umzusortieren.

»Von mir aus kann er zu seinen Träumern gehen«, erklärte Glenn. »Ist nicht meine Schuld, wenn die Clans sich aufs Kaffeesatzlesen in Trümmerfeldern versteigen.«

»Lass das lieber keinen von denen hören. Die Nomadenflotten betreiben ernsthafte Archäologie da drin«, warf Nance ein. »Ich hab da mal einen Vortrag zu gehört, der die Verwicklungen einer KI in Vertuschungsprogramme von Konglomeraten und Regierungen aufgedeckt hat.«

»Deren alternative Geschichtsschreibung ist reine Verschwörungstheorie«, erklärte Glenn. »Wir haben gerade echte Probleme zu klären.«

Der Händler zog ein Tuch aus der Hosentasche und wischte damit die Schublade ab. Die Chips lagen genauso, wie vor seiner Sortieraktion. Er sah für Glenns Geschmack allzu zufrieden aus. Kaufleute und Politiker. Es gab keine hinterlistigeren Schauspieler und Lügner im Sonnenlicht.

»Wie sehen die alternativen Zahlungsmodalitäten aus, von denen Dan gesprochen hatte?«, fragte Glenn.

»Ich habe bereits ein Treffen mit Raka für euch ausgemacht.« Der Mann wandte sich ihnen wieder zu und zeigte aus dem Fenster. »Einfach durch den Torbogen auf der anderen Straßenseite. Ist nicht zu verfehlen. Grüßt sie von mir. Eure Einkäufe lass ich euch liefern, sobald sie für eure Finanzen bürgt.«

Anscheinend gab es da, zumindest dem Händler nach, nicht mehr viel zu klären. Glenn stopfte seine Hände in die Hosentaschen. Er hätte definitiv mit dem Schlimmsten rechnen sollen, als Dan von anderen Zahlungsmodalitäten zu faseln begonnen hatte. Und Tian würde definitiv ausflippen, wenn er erfuhr, dass sie vielleicht mit einer Blechbüchse zusammenarbeiteten.

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