Kitabı oku: «Live dabei - Mein Leben mit den Rolling Stones, Grateful Dead und anderen verrückten Gestalten», sayfa 3

Yazı tipi:

3. No Direction Home

Nachdem ich die Schule verlassen hatte, flüchtete ich kurz nach Paris, in der Hoffnung, dass nun endlich mein aufregendes und ereignisreiches Leben beginnen werde. Doch ich erkrankte und musste nach Großbritannien zurückkehren. Natürlich interessierte ich mich noch für Musik, doch während der Genesung fasste ich den Entschluss, die Lehrerlaufbahn einzuschlagen. Zur Überraschung aller bestand ich sogar die Aufnahmeprüfung am College. Zu meiner großen Freude waren fast alle Kommilitonen weiblich! Zeitweise hatte ich das Gefühl, mich eher für die Abschlussprüfung eines Gynäkologen zu qualifizieren als für die eines Lehrers.

Während dieses glückseligen Lebensabschnitts engagierte ich mich für einen kleinen Folk-Club in einem Pub nahe dem College. Unter anderem spielte dort Paul Simon. Ich erinnere mich an ihn als ein kleines Arschloch, das gerade „The Sounds Of Silence“ geschrieben hatte und besser Gitarre spielen konnte als ich. Ich hasste ihn regelrecht, er wusste es, und so beruhte das Gefühl schnell auf Gegenseitigkeit.

Ich legte ein gutes Studium hin, schloss das College mit sehr guten Noten ab und unterrichtete danach an einer Sonderschule für, wie man es damals nannte, „verhaltensgestörte Kinder“. Diese Kids haben kaum soziale Fähigkeiten, und es fällt ihnen schwer, ihre individuellen Bedürfnisse an ein bestehendes Sozialgefüge anzupassen. Für sie ist es fast unmöglich, andere Menschen wahrzunehmen, und sie führen ein egozentrisches Leben. Die „kleinen Piepser“ einer anderen Person gehen im Toben ihrer ungezügelten Individualität unter. Sie sind von klein auf der Einsamkeit ausgeliefert.

Eine Möglichkeit, Zugang zu ihnen zu bekommen, besteht darin, etwas zu finden, an dem sie teilnehmen können und das ihnen Freunde bereitet. Musik wirkt bei den Kindern wahre Wunder und bringt ihnen Freude. Andere Ansätze scheitern oft. Ich dachte immer, dass die Kids in der Zukunft eine tolle Rock’n’Roll-Band gründen sollten. Mal ehrlich – schon Tausende hatten es versucht und viele auch Erfolg gehabt.

In den fünf Jahren meiner Studenten- und Lehrerzeit, also in den Jahren 1963 bis 1968, hatte sich Großbritanniens Populärkultur und der grundlegende Zeitgeist radikal geändert. Seit dem Zweiten Weltkrieg empfanden zunehmend mehr jungen Menschen die Realität des täglichen Lebens als unerträglich langweilig. Sie spürten instinktiv, dass das Leben, das sie erwarteten, gar kein Leben war, einfach nur ein uninspiriertes Gekrieche vom Kinderbett zum Grab. Immer mehr Menschen hassten die Normen, die ihnen von den Eltern übergestülpt wurden, und so suchten sie in den Sechzigern nach Alternativen.

Viele begannen mit bewusstseinserweiternden Drogen zu experimentieren, um die unendlichen Weiten der Psyche zu erkunden. Man hatte den Eindruck, eine Revolution, die sich sonst nur auf der Straße abspielt, finde hinter verschlossenen Türen statt. Die Menschen entschlossen sich, sich selbst zu verändern, um so die Gesellschaft zu verändern. Die besten und hellsten Köpfe nahmen Drogen und sprangen voller Freude und ohne Vorsicht in das auflodernde Feuer einer ungewissen Zukunft. Auch ich nahm an diesem großen Experiment teil – ohne Angst, mit einem offenen und empfänglichen Bewusstsein.

Wir alle glaubten, das kollektive Bewusstsein Großbritanniens bedürfe einer radikalen Gehirnoperation. Die Welt war so grau geworden, beschränkte und verengte sich auf Doris Day, Pat Boone, Winifred Atwell, Mary Poppins, Frank Sinatra und Musicals wie Meine Lieder – meine Träume. Die Künstler, die wir liebten – Bob Dylan, die Rolling Stones, die Beatles, Pink Floyd und viele andere – wiesen uns hingegen auf neue Bestimmungen hin. Wir folgten ihnen, überhaupt nicht besorgt, dass es keinen Rückweg mehr gab.

Die Möglichkeit, dass die gesamte Menschheit durch einen nuklearen Holocaust von diesem Planeten verschwindet, war in den Nachkriegsjahren ein wichtiges Diskussionsthema. Wenn also eine neue Droge in der Szene auftauchte, nutzten einige sie als ideales Betäubungsmittel gegen die Vision des gefürchteten Massensterbens. Junge Menschen begannen sie zuerst zögerlich, doch dann entschieden zu nehmen. Diese Droge hieß LSD, auch bekannt als Acid, und wurde im Geheimen verteilt. Ich verglich dieses Versteckspielchen oft mit dem Christentum, dass das Römische Reich unterwanderte.

Chemiker in den USA stellten LSD im Untergrund her, und ihre Landsleute, mit einer klaren Vision, erklärten, sie wollten das Bewusstsein der ganzen Welt verändern. Die psychedelischen Missionare aus Kalifornien kamen mit reinem Acid nach Großbritannien, und die Zollbeamten hatten nicht den blassesten Schimmer, wonach sie eigentlich suchen sollten. Als klare, wasserähnliche Flüssigkeit war LSD so gut wie gar nicht zu entdecken. Auch konnte es in kristalliner, salzähnlicher Form geschmuggelt werden oder auf einem vorher getränktem Löschblatt und sogar in Zuckerwürfeln.

Die Politiker hatten keine Ahnung, was da vor sich ging, und so entwich der Geist eines alternativen Bewusstseins langsam, aber sicher aus der Wunderlampe. Einmal heraus, konnte er nicht mehr gebannt werden. Schon bald stellten die frisch examinierten Chemiker meiner Generation in den Laboratorien der Universitäten von Brighton bis Liverpool und von Edinburgh über Oxford bis Cambridge Drogen her.

Das Establishment – dieser kuriose Herrschaftsapparat aus Mächtigen und Einflussreichen, der in Großbritannien seit Generationen das Sagen hatte – handelte auf seine verschlafene, alte und kolonialistische Art und versuchte, bei den „Anführern“ der Jugendkultur, wie zum Beispiel den Beatles und den Rolling Stones, die Millionen Kids beeinflussten, ein Exempel zu statuieren. Sie verfolgten die angeblichen „Aufrührer“ und steckten sie wegen Drogenbesitzes in den Knast. Dadurch sollten die Kids in die Ecke gedrängt und eingeschüchtert werden. Natürlich funktionierte das nicht. Durch die Fehlkalkulation wurden die Feinde der Stagnation und Tradition nur noch gestärkt.

Die vielköpfige Hydra der Jugend vereinigte sich in einem Underground, ohne Anführer und erkennbares Zentrum. Dort herrschten unterschiedlichste Strömungen und kleine, geheime Mechanismen, die von der herrschenden Schicht nicht auf konventionelle Art und Weise unterdrückt werden konnte. Wie sollte etwas erstickt werden, das man überhaupt nicht verstand? Großbritannien hatte nicht einen Timothy Leary, den amerikanischen LSD-Pionier – es hatte Hunderte LSD-Gurus.

Ein Freund stellte mich einem der Amerikaner vor, der uns mit dem heiligen Sakrament erleuchten wollte. Er kam aus San Francisco. In einer Bude in der Upper Montague Street offenbarte uns dieser „Zauberer“ die „Waffen der Revolution“. Wir hockten um einen Beistelltisch auf dem Boden und kifften, während er uns von den jüngsten Entwicklungen in „Yankville, USA“ berichtete. Die CIA, so behauptete er zumindest, steckte tief in der Drogenproduktion, und Polizeispitzel halfen bei der Distribution, aus bislang unerklärlichen Gründen. Seiner Meinung nach hatten verschiedene Agenten die Droge ausprobiert und hatten ihre eigenen Grenzen überwunden. Aufgrund dieser Erfahrung glaubten sie an den Nutzen und die Vorzüge von LSD.

Wir hingen an den Lippen des befremdlichen, kleinen Mannes mit der „nepalesischen“ Rauchkrone. Er hatte fünf Gramm kristallines LSD eingeschmuggelt, genug, wie er sagte, um damit einige Hunderttausend Trips herzustellen. Wir waren sichtlich beeindruckt und ziemlich verblüfft.

Das geschah im September 1965, einer Zeit, in der sich alle noch allzu gut an die Kuba-Krise erinnern konnten. Der Vietnamkrieg nahm damals an Brutalität zu, und Dylan schuf in einer kreativen Supernova die beiden Alben Bringing It All Back Home und Highway 61 Revisited. Alles veränderte sich schnell und radikal, und wir wollten ein Teil des Umbruchs sein. Ich war 22.

Wir sahen uns als wegbereitende Visionäre, wie das häufig bei jungen Menschen der Fall ist. Die Leute kamen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten. Die Wohnung gehörte einem jungen und sexy Mädchen, das mich immer am Wochenende nach London einlud – sie war die Tochter eines Generals! Einige von uns studierten, und ich erinnere mich an einen Mann, der uns verriet, dass er als Journalist bei der Times arbeitete, was alle überraschte.

Ein Arzt namens Ronnie laberte mit einem starken schottischen Akzent, den kaum einer verstand. Zwei jüngere Typen studierten an der Hornsey School of Art und tauchten in Begleitung zweier großer, toller Frauen auf, die unsere Ideen aber eher langweilig fanden. Eine ältere amerikanische Lady saß in einem Sessel und lächelte nachsichtig, ähnlich einer Übermutter aus dem Underground, während ein „Normalo“ meinte, dass er sich den Lebensunterhalt als Bürogehilfe bei einem Rechtsanwalt verdiene. Wir wollten uns das LSD einwerfen und dann in einem nahe gelegenen Park spazieren gehen.

Gespannt beobachten wir den Amerikaner, der feierlich einen Tropfen der Flüssigkeit auf jeweils einen der Zuckerwürfel träufelte, die auf dem Tisch aneinandergereiht standen. Er erklärte uns, dass wir keine Angst haben müssten, was mich aber verdammt nervös machte.

Wir sollten uns nicht vor einem miesen Trip fürchten, denn in dem Fall könnten er und die Lady aus dem Sessel uns helfen. Ich holte tief Luft und bereitete mich vor. Wir nahmen alle einen Zuckerwürfel und warteten gespannt darauf, was passieren würde.

Die Leute setzten sich auf die Kissen am Boden, und Dylans „Desolation Row“ lief quasi in einer Endlosschleife. Keiner konnte das sich in die Unendlichkeit erstreckende Panorama des Songs verstehen, seine poetische Bildhaftigkeit und die kämpferische Botschaft. Fast alles, was ich bislang gehört hatte, schien mir hohl und bedeutungslos – sinnlose Pappmusik für die Massen. Ich steigerte mich in Dylans apokalyptische Visionen hinein. Wir verließen die Ebene der simplen Worte.

Alles, was die konservative Gesellschaft als wichtig empfand, alles, an das wir jemals geglaubt hatten, wurde neu aufgezeichnet, neu definiert, radikal niedergerissen und neu aufgebaut. Noahs großer Regenbogen schwebte von der Decke herunter, die Gesichter der Leute zerflossen und formten sich neu, eins der Mädchen schluchzte stoßweise vor Glückseligkeit, und der kleine Amerikaner lächelte uns durch seine Brille wohlwollend an.

Ich trank Wasser, das sich dickflüssig anfühlte, ähnlich geschmolzenem Blei. Die metallischen Moleküle knallten aneinander und verursachten ein merkwürdiges Geräusch in meinem Magen. Ich kroch zu der Lady im Sessel, legte den Kopf in ihren Schoß, und sie streichelte mir durchs Haar.

Ich zerfiel in tausend Stücke. Mein altes Ich hatte sich aufgelöst.

Die Nacht verbrachte ich fröstelnd mit einigen der Leute in den Parliament Hill Fields, wo wir die Sterne betrachteten. Ich fühlte mich so hungrig, dass ich am liebsten die komplette Milchstraße in mich aufgesogen hätte. Die riesige Himmelskuppe streckte in ihrer gütigen Endlosigkeit die funkelnde Arme herab, um mich, das traurige Kind, zu umschließen und sanft zu wiegen.

Jedes bislang erlebte Gefühl rauschte mit unglaublicher Geschwindigkeit an mir vorbei. In der gleichen Rasanz schüttelte ich diese Emotionen ab. Ich musste das bisher Gelernte wie nutzlosen Ballast hinter mir lassen.

Ich war absolut überzeugt, dass neues und revolutionäres Wissen in mich eindrang, und aß ein wenig Gras, um zu erfahren, wie man sich als Kuh fühlt. Kurz danach musste ich kotzen. Als ein kalter und trüber Londoner Morgen anbrach, gingen wir durch die leeren Straßen in Richtung Covent Garden und setzten uns dort in ein Arbeitercafé. Ich starrte in den verqualmten Laden, beobachtete die Leute und hatte das Gefühl, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein.

Ich versuchte einige Eier zu verputzen, doch als ich das Eigelb näher betrachtete, spielte mir die Wahrnehmung einen Streich. Ich sah Reste von Geflügelfedern, die in der Mitte herumflatterten, und konnte allein die Vorstellung nicht ertragen, mir das einzuverleiben. Der Tee hatte die Farbe tiefroten Bluts angenommen, der Toast schmeckte wie die harte Haut einer unbekannten Tierart. Ich musste schleunigst hier weg.

Irgendwie gelang es mir, einen Zug in der Liverpool Station zu erreichen, der mich nach Hause beförderte. Während die Kirchglocken schrill läuteten, hetzte ich mit zitternden Lippen und kalten Schweiß auf der Stirn zu meiner Wohnung. Niemand scherte sich um mich – typisch britisch! Endlich erreichte ich meine kleine Wohnung, kroch ins Bett und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Nach Trillionen von Gedankenfetzen, die in meinem Gehirn einen wahren Aufstand veranstalteten, schlief ich endlich ein.

Tags darauf wollte ich nicht unterrichten und entschied mich für einen Spaziergang durchs Grün. Ich musste frische Luft schnappen und die intensivste Erfahrung verdauen, die ich jemals gemacht hatte. Ich schlenderte über die schmalen Straßen in Essex und machte mir mit einer beeindruckenden, nie zuvor erlebten Klarheit Gedanken über meine Zukunft. Ich war überzeugt, dass mich die Bäume verstanden, die Pflanzen auf den Feldern unterstützten und sogar die Vögel durch ihr instinktives Verhalten verehrten. Ich fühlte mich so lebendig wie nie zuvor. Mein Entschluss stand fest: Ich wollte die Entdeckungsreise fortsetzen, mich weiter auf die Musik konzentrieren und alles, was mir während des Trips über meine Zukunft enthüllt worden war, in meine Entscheidungen einfließen lassen. Für mich stellte das neue psychische Empfinden ein wichtiges Element dar, eine Straße, die mich zu einem höheren Bewusstsein führte, das ich erforschen wollte. In ganz Europa und den USA zogen jungen Menschen dieselben Schlüsse.

4. Schatten und Licht

Der unmittelbare Effekt des LSD bewirkte aber auch einen leichten „Knick“ meines Selbstbewusstseins. Mein Verständnis der Welt war schlagartig auf den Kopf gestellt. Ich erkannte, dass ich keine Ahnung von der subjektiven Natur der individuellen Wahrnehmung der Realität hatte. Mein Ich schien Zuflucht bei einem neuen Bewusstsein gefunden zu haben, und ich musste täglich kämpfen, um die gerade gemachten Erfahrungen mit dem täglichen Leben eines Lehrers in Einklang zu bringen.

Nach einem zweijährigen Kampf zwischen meinen Lust-Dämonen und der Knochenmühle des Lebens gab ich den Lehrerjob auf. Das Gehalt reichte kaum zum Leben, außerdem konnte ich die anderen Lehrer nicht leiden.

Na ja, um ehrlich zu sein, erschienen mir Genuss und Hedonismus attraktiver und machten auch mehr Spaß! Der ursprüngliche Enthusiasmus und Idealismus waren wie weggefegt, hatten sich an den von Natur aus konservativen Richtlinien des Bildungssystems abgerieben. Die Kids interessierten mich, die Erwachsenen hingegen langweilten mich zu Tode. Nachdem ich die Schule verlassen hatte, vermisste ich die Kinder, und ich hoffte, auch sie würden noch oft an mich denken.

Ich zog mit Freunden in eine Wohngemeinschaft an der Inverness Terrace im Herzen Londons und widmete meine ganze Energie den Aktivitäten des Musikgeschäfts und dem wohl wichtigsten Faktor im Leben eines jungen Mannes – Spaßhaben.

London war ein brodelnder Hexenkessel, dessen süßliche Rauschwaden gen Himmel zogen. Meine neue Bude lag gleich links um die Ecke von der U-Bahn-Station Queensway aus gesehen. Über die Straße hinweg erstreckte sich das Grün des Hydeparks. Dort bemerkte ich kleine Gruppen junger Leute, die sich in wahnsinnig bunten Klamotten wie feminin wirkende Dandys aus der Regency-Zeit kleideten, den Tag an sich vorbeiziehen ließen und insgeheim Joints rauchten. Man konnte sich ganz ungezwungen zu einer Gruppe Fremder setzen und mit ihnen einige Worte wechseln. Die Leute teilten gerne das, was sie besaßen – außer man war ein Langeweiler oder ein Polizeibeamter.

Im Richmond Park, im Westen Londons, graste eine große Herde Hirsche. Nach verregneten Nächten gingen wir schleunigst in den Park, um Magic Mushrooms zu suchen, die auf dem Kot der Tiere wuchsen, die gemächlich auf dem Grün grasten. Die kleinen, glockenförmigen Pilze sprossen in ungeahnter Geschwindigkeit empor und wackelten auf den spindeldürren Stämmchen. Kein Problem, die Dinger zu finden.

Im frühen Morgennebel schlichen jungen Menschen lachend und kichernd durch das nasse Gras. Die Polizei hatte natürlich keine Ahnung von diesen „frühen Vögeln“, die „neue Würmer“ fingen.

Dann fuhren die Leute nach Wales, um Pilze zu sammmeln; hier waren diese im Übermaß zu finden. Schnell bildete sich eine ganze Bewegung ehemaliger Stadtbewohner, die nun in den walisischen Tälern lebten. Plötzlich standen Indianerzelte zwischen den Hügeln, die schon seit einer Generation kaum ein Mensch betreten hatte, weil die Farmen unwirtschaftlich geworden waren. Haschisch wie Schwarzer Afghane oder Roter Libanese waren in London und den angrenzenden Grafschaften an jeder Ecke zu haben. Bei einem Spaziergang über den Kensington Market oder die Kings Road hinunter roch man überall Joints. Fast von Minute zu Minute wurde die Mode flippiger und abgedrehter. Nie sahen die Frauen schöner aus.

Wir steckten mitten in einem Generationswechsel. Die Veteranen des Zweiten Weltkriegs rissen nun die Macht an sich.

Die politische Ausrichtung der Studenten in Großbritannien verlief synchron mit den Geschehnissen in Paris, wo im Mai 1968 der Protest junger Menschen mit Unterstützung von Gewerkschaftlern in gewalttätige Demonstrationen mündete und in die Besetzung von Universitäten und Fabriken. Die amerikanische Vietnampolitik radikalisierte dekadente Popstars, und sogar Mick Jagger – das rechne ich ihm bis in alle Ewigkeiten hoch an – nahm an einer riesigen Demonstration gegen den Vietnamkrieg teil, bei der ich mit meinem Freund Hubert aus Paris in der ersten Reihe das Banner trug. Das Logo der Kampagne für nukleare Abrüstung war überall zu sehen.

In Notting Hill konnte ich die Veränderungen hautnah miterleben. Die Menschen schienen diese grimmige Verdrossenheit abgelegt zu haben, mit der die Briten der Welt gegenübertreten. Auf den Londoner Häuserwänden tauchten merkwürdige Slogans auf: „Wenn Wahlen etwas veränderten, würde man sie sofort abschaffen.“ Oder: „Haschisch ist das neue Opium des Volkes.“

Scheinbar jeder diskutierte über radikale Alternativen zu den alten Systemen, junge Menschen beäugten die Musikindustrie mit Argwohn und spekulierten über einen neuen Ansatz. Wir hatten den Eindruck, dass das Musikbusiness nur von alten Säcken bestimmt wurde, die auf Fotos mit ihren dicken Zigarren arrogant posieren. Der Management-Ansatz von Larry Parnes/Tito Burns/Larry Parnell schien hoffnungslos überaltert zu sein, weil nur noch greise „Betonköpfe“ die Fäden zogen. Einige der alten Manager tricksten nicht nur mit dubiosen Geschäftsmethoden, sondern arbeiteten auf die gleiche Art und Weise wie schon seit Millionen von Jahren. Für uns waren das nur noch Fossilien.

Als naiv konnte uns niemand bezeichnen. Jeder wusste, dass einige dieser Typen die Künstler in jeglicher Hinsicht kontrollierten und nicht viel besser als sexuelle Raubtiere agierten. Ihnen lag viel daran, einen „Stall“ junger Männer als Stars aufzubauen und davon zu profitieren – in welcher Hinsicht auch immer. Wir fanden das alles hochverdächtig.

Eine Zeitlang bestimmten gut aussehende Jungs in Röhrenhosen mit ausgebeultem Schritt das Geschehen, die den Massen musikalische Pappgerichte servierten. Sie tauchten im Fernsehen auf, und ihre Platten schossen in die Charts. Wenn wir die „Künstler“ sahen, zogen alle verächtlich die Oberlippe hoch und kicherten: „Voll eins auf den Arsch, es trifft den Richtigen.“ Wir führten uns wie besserwisserische Lehrer auf, die den Dummen den Hintern verdreschen können.

All diese Papp- und Plastikmusik wirkte sich glücklicherweise nicht auf die Acts aus, die nach Alternativen suchten: Soft Machine, Pink Floyd und Arthur Brown, der Bandleader von The Crazy World of Arthur Brown. Diese Bands waren viel zu „far out“ für die alten Knacker, die das Musikbusiness leiteten. Sie hatten panische Angst, eine Beziehung zu diesen drogenschluckenden, langhaarigen Typen werde einen Hauch des Skandals in ihr sonst „grundanständiges“ und allgemein akzeptiertes Leben bringen.

Die alternative Musik benötigte zumindest zu Beginn ein alternatives Management, doch es dauerte nicht allzu lange, bis die Haie der Industrie ihre Zähne in einige der psychedelischen Bands schlugen. Glücklicherweise befand ich mich da schon in den USA und führte ein tolles Leben.

Die All Saints Church Hall, nahe der Westbourne Grove in Notting Hill, gehörte zu den ersten Orten, an denen die alternative Musikszene aufblühte. Dort spielten die Bands nur so aus Spaß, und die Zuschauer zahlten am Eingang einen beliebigen Betrag. Ich arbeitete dort umsonst und war zufrieden, wie all die anderen auch. Die All Saints Church Hall entwickelte sich in der Zeit ihres Bestehens zu einem legendären Veranstaltungsort. Musiker wie Arthur Brown und Charlie Watts traten dort vor einem aufnahmebereiten und zahlreich erschienenen Publikum auf. Ich freundete mich dort mit Nick Mason an, dem Schlagzeuger von Pink Floyd.

Ganz kurz glaubte ich, dass ich mich total in die Schwester der Frau verknallt hätte, die später Nick heiraten sollte, doch damals liebte ich eigentlich alle Mädchen, die sich in der Musikszene tummelten. Ein Hauch göttlicher Erhabenheit umgab sie, sie waren begehrenswert, und ich wollte mit allen ins Bett! Ich liebte die Liebe und musste nur noch herausfinden, was ich mit meinem Herzen anstelle.

Zu den Pink-Floyd-Konzerten erschienen regelmäßig die schärfsten Frauen, besonders als noch Syd Barrett, ihr erster Sänger und Frontmann, in der Band spielte. Wann immer ich Syd traf, der manchmal wie ein verängstigtes Reh in den Scheinwerfern eines Wagens aussah, wurde er von einer bezaubernden Dame begleitet, die wie eine Göttin durch den Raum schwebte. Wir freuten uns für ihn und sein Glück. Ich beobachtete, wie die „andersweltigen“ Frauen Syd ausnahmslos und ohne zu zögern ins Visier nahmen. Er schenkte ihnen wenig Aufmerksamkeit und war mit seinen launenhaften Stimmungsschwankungen beschäftigt, obwohl er ihrer Fürsorge bedurfte. Syd wirkte wie ein Kind, und wir nannten ihn eher abfällig einen „Space Cadet“. Ich zweifelte, ob dieser Mann sich einen Toast zubereiten konnte, doch als ich ihn zuerst kennenlernte, merkte ich schnell, was für ein guter Gitarrist er war. Wenn die Band an neuem Material arbeitete, rief er ihnen die Akkordwechsel zu.

Ohne Zweifel war Syd der erste, wenn auch eher schüchterne und vorsichtige Star der Psychedelic-Szene Großbritanniens. Ihn umgab eine merkwürdige Fremdartigkeit. Oft beschäftige er sich mit den unbedeutendsten Dingen, starrte wie ein Besessener auf belanglose Gegenstände. „Der ist total durchgeknallt“, meinte meine damalige Freundin, und die musste es wissen, denn sie wohnte in Kingsley Hall und wurde von Ronnie Lang behandelt wurde, dem weltbekannten Psychiater und Experten auf dem Gebiet der psychischen Störungen und Krankheiten. Verrückt oder nicht, Syd konnte wenigstens seine Gitarre stimmen, obwohl er manchmal vergaß, das verdammte Ding zu spielen.

Freunde erzählten mir die Geschichte von einer gemeinsamen Autofahrt aufs Land. Syd hielt plötzlich an und latschte einfach weg. Als meine Kumpels kapierten, was da vor sich ging, konnten sie Syd nicht mehr finden und mussten sich auch auf den Fußmarsch begeben, weil er die Autoschlüssel mitgenommen hatte. Als sie ihn das nächste Mal trafen, erinnerte er sich gar nicht mehr an die Fahrt.

Niemand wollte Syd hart rannehmen und ihm gehörig die Meinung sagen, weil er überhaupt nicht wusste, was vor sich ging. Er war unschuldig wie ein Kind. Die Mädchen taten ihr Möglichstes, ihn zu umsorgen und zu beschützen, bis zum Zeitpunkt, an dem er sich völlig in sein Innerstes verkrochen hatte und ihm niemand mehr helfen konnte.

Die anderen Musiker von Pink Floyd verhielten sich unter den gegebenen Umständen ungewöhnlich nett gegenüber ihrem Bandkollegen. Aus einem einstmals klaren und strahlenden Diamanten war eine stumpfe, durch Drogen vernebelte Persiflage des früheren Ich geworden. Jeder empfand das als zutiefst traurig und bewegend, doch niemandem gelang es, ihm zu helfen, obwohl viele es versuchten.

Meine quirlige und wunderbare Freundin hatte mich auf die All Saints Hall gebracht. Ich liebte den Ort und lud meinen Freund Ron Geesin ein, damit er die Szene dort erleben konnte. Ron und ich trafen uns bei einem gemeinsamen Kumpel und freundeten uns sofort an, was wohl daran gelegen haben mag, dass ich seine Musik mochte, eine abgefahrene Art und Weise der Vertonung des „Theaters der Grausamkeit“. Er gehörte zu den angesagten Typen.

Ron war ein geschickter, klassisch ausgebildeter Musiker, doch sein persönlicher Geschmack führte ihn zu höchst ungewöhnlichen Instrumenten und bizarren Klangeffekten, die er mit absurden Texten krönte und mit einem unverständlichen schottischen Akzent vortrug. Die Klangkaskaden wirkten auf die Zuhörer beängstigend und beunruhigend. Er spielte Klavier mit der Leidenschaft eines Wahnsinnigen Es war eine Erfahrung der ganz besonderen Art, seine Vision der Entfremdung vom Herkömmlichen zu erleben. Man erstarrte fast vor Furcht. Trotzdem war Ron einer der geselligsten Menschen, und nachdem ihn die Musiker von Pink Floyd näher kennengelernt hatten, mochten sie ihn wegen seiner außergewöhnlichen Exzentrik. Uns verband eine enge Freundschaft.

Ron nahm keine Drogen, schlug sogar einen Joint aus, doch konnte sich trotzdem auf die Musik von Floyd einlassen. Schon bald schloss er Freundschaft mit dem Keyboarder Rick Wright und dem Bassisten Roger Waters. Ron spielte eine wichtige Rolle, denn er transzendierte und öffnete den musikalischen Ansatz der Band. Sein Einfluss kann auf der ersten LP The Piper At The Gates Of Dawn (1967) über Dark Side Of The Moon (1973), Animals (1977) bis hin zu The Wall (1979) wahrgenommen werden. The Wall wird zwar offiziell Roger Waters und Floyd zugeschrieben, doch die Atmosphäre der Vereinsamung und des von Angst ausgelösten Wahnsinns stammen sicherlich von den frühen surrealen Themen meines Freundes Ron.

Nick Mason und Ron Geesin unterstützen mich bei einem eigenen Musikprojekt, wofür ich ihnen für alle Zeiten danke, da ihre Beiträge dem Experiment eine gewisse Schwere und Tiefgründigkeit gaben. Einige Freunde hatten sich entschlossen, eine Gruppe mit dem Namen Screw zu gründen, eine Punk-Band, mehr als ein Jahrzehnt vor Malcolm McLaren und den Sex Pistols und lange bevor einer wusste, was der Begriff Punk nun bedeutet. Ron und Nick fanden die Musik sowohl schrecklich als auch faszinierend. Wir hatten unseren Spaß, konnten alles rauslassen und frech sein, doch die Band verschwand schnell von der Bildfläche.

Screw gehörte zu den wenigen Formationen, die ihre Zuhörer an die Wand spielten und sie verwirrt und betäubt zurückließen. Nachdem die Leute ein Konzert gehörte hatten, wussten sie nicht, was man davon halten, geschweige denn darüber sagen sollte. Screw verschlug ihnen die Sprache, und das war – wie wir damals dachten – eine nennenswerte Leistung.

Sogar John Peel, der Kult-DJ, der in seiner BBC-Radio-Show die merkwürdigsten, abgefahrensten Sachen auflegte, bekam bei einem Gig von Srew kein Wort mehr über die Lippen. Ich lud ihn zu einem der Happenings ein. Während des Sets schlug Chris Turner, der Mundharmonika-Mann, ein wenig über die Stränge. Seine Lippen platzen auf, und das Blut spritze über die ganze Bühne. Der Sänger Pete Hossell eilte ihm zur Hilfe und besudelte sich die Hände und das Mikro mit Blut. Das wirkte alles schon ziemlich bedrohlich. Nach dem Konzert ging ein besorgter John Peel in den Backstage-Bereich, um seine Hilfe anzubieten. Er war wohl ziemlich schockiert, als er Pete Hossell dabei beobachtete, wie er Chris’ blutende Lippen mit einer seiner dreckigen Socken (in Bier getränkt) abwusch und dabei noch eine tiefen Schluck nahm, als sei nichts gewesen.

Chris war ein erstaunlicher Typ. Er spielte mitreißende Soli auf seiner Blues-Harp und spuckte manchmal einen abgebrochenen Zahn aus, während ihm das Blut in kleinen Rinnsalen das Kinn hinablief. Damit schickte er das Publikum natürlich auf einen Horrortrip. Gelegentlich meinten die Leute, dass er auf der Bühne bei einem seiner emotionalen Ausbrüche verblute. Manchmal musste er auf der Bühne wiederbelebt werden, und einmal rief der Veranstalter bei einem Konzert sogar den Krankenwagen, im festen Glauben, dass der Harp-Mann nun wirklich zu viel Blut verloren habe. (Natürlich war das alles ein Show-Act, denn Chris zerbiss Filmblutkapseln und spuckte künstliche Zähne aus, doch Screw überzeugte das Publikum. Kaum jemand kannte die ganze Wahrheit!)

Nick Mason half bei der Produktion einiger Srew-Songs, die am 13. Mai 1969 in den Lansdowne Studios in London aufgenommen wurden. Die Bänder verstaubten dann 30 Jahre lang in einem Lager für Audiobedarf. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich Nick zu dem ungewöhnlichen Projekt überredete, und nur die Götter wissen, warum Ron Geesin die Bänder überspielte und masterte. Doch Ron hatte stets eine Schwäche für das Ungewöhnliche und Schockierende. Er war der einzige Mann in der ganzen Stadt, der die Dagenham Girl Pipers mochte, weibliche Dudelsack-Spieler, die damals in London lebten.

Aus heutiger Sicht engagierte sich Nick wahrscheinlich für Screw, weil sie ihm eine Pause von der Komplexität und dem cleveren Ansatz seiner eigenen Band ermöglichten. Die offensive und direkte Herangehensweise von Screw stellte für ihn ein heilsames Gegengift zu einem Roger Waters dar, der ihn ständig belehrte, was er denn nun spielen solle. Ich versuchte alles, damit die Screw beim Free Concert der Rolling Stones im Hyde Park auftreten konnten (mehr zu dem Thema später). Bei dem Konzert spielten sie vor 500.000 Zuschauern. Ich erinnern mich noch gerne an den Jazz/Blues-Musiker Alexis Korner, der sich die Show vom Bühnenrand aus ansah und ungläubig den Kopf schüttelte. Kurz darauf flog ich in die USA, und Screw mussten sich andere Vertreter suchen.

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
436 s. 27 illüstrasyon
ISBN:
9783854454007
Tercüman:
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu