Kitabı oku: «Handeln mit Dichtung», sayfa 15
Dass es dabei nicht nur um die Anpassung an christliches Sprachdenken geht, sondern auch um die Betonung und Stärkung der eigenen Dichtung und Sprache, zeigt sich in den Versuchen theoretischer Argumentation und dem Zusammenspiel mit den weiteren Inhalten von U. Christliche Denkformen wie z.B. die Enzyklopädie haben ihre Spuren hinterlassen: Das Streben nach ganzheitlicher Erfassung und Beschreibung der dichterischen Möglichkeiten und Grenzen ist eine davon. Die Schrift und die damit verbundenen neuen medialen Möglichkeiten helfen, die einzelnen Phänomene möglichst kleinteilig zu kategorisieren, zu benennen und so zu erfassen.
Es scheint aber auch die spezifische Art der Skaldik zu sein, die schliesslich in der P-E zu einer aussergewöhnlich intensiven Beschäftigung mit der Sprache führt. Skaldische Dichtung ist für ihre selbstreflexiven und selbstreferentiellen Aspekte bekannt, die Freude und das Interesse an der Arbeit mit der eigenen Sprache zeigt sich in der isländischen Kultur natürlich auch in anderen Gattungen.
Ein skaldisches Gedicht eröffnet aber gerade durch seine inhärente Komplexität die Möglichkeit, als Ausgangspunkt für die volkssprachliche Beschäftigung mit der eigenen Sprache zu fungieren. Es wird als eine wichtige und bedeutungsvolle Art von Beleg angesehen, der keinesfalls falsch überliefert sein darf. Die hohen metrischen und stylistischen Anforderungen an die Skaldik werden auch als Begründung angeführt, dass sich diese Dichtung so hervorragend als Medium für Lobdichtung und historische Quelle eignet:
As manufactured objects in its own right, a poem was meant to last and accordingly could be criticized by colleagues and patrons if rhymes and quantities were false, refrains omitted, and the total stanza-count deficient […]. Technical blemishes could impair memorability and thereby detract from the poem’s value as a tribute.20
Mit der lateinischen Gelehrsamkeit ergibt sich schliesslich die Möglichkeit, das Interesse am Potenzial der Dichtsprache auf einer diskursiven Ebene auszuweiten. Russel Poole fasst zusammen und hebt die neue Herleitung der Wirkmacht von Skaldik hervor:
Skaldic Poetry was from the outset a highly reflexive, self-conscious form, in which poets could make recurrent allusion to their work as ‚Óðinn’s mead‘ and similar. By the 12th century, however, this reflexiveness seems to have taken on a more broadly educative character in Iceland. Skaldic poetics were grasped as a ‚tool of power‘ by leading families and inculcated side by side with Latin-based learning.21
Die Aktualisierung – und damit die weitere Rezeption – der Skaldik wird durch die Übertragung der mündlichen Gelegenheitsdichtung auf eine abstrakt-diskursive Ebene in der Schrift zu erreichen versucht. Der Wert und die Wirkmacht des skaldischen Sprechaktes wird in den vielen Strophenzitaten wiederholend aufgerufen (wie das bei den Zitaten der eddischen Lieder in Gylf der Fall ist, vgl. Kapitel 3.3.3). Auch der Skalde als historische Figur wird als bedeutungsstiftende Quelle verstanden, praktisch jede Strophe ist namentlich einem Dichter zugeordnet. Durch die elitäre Stellung, die sie sich mit ihren sprachlichen Fähigkeiten erarbeitet haben, verleihen sie einer Strophe auch im schriftlichen Kontext noch Geltung. Doch wie Poole oben sagt, gilt nun nicht mehr (nur) die Fähigkeit dichten zu können als Machtwerkzeug, sondern auch die theoretische Erfassung dieser Dichtung. Man muss wissen, wie man Skaldik neu angemessen vermittelt. Zahlreiche Vorlagen dazu gibt es z.B. in den klassischen Schulpoetiken der lateinischen Gelehrsamkeit. Lateinische und griechische (heidnische) Literatur wird darin mithilfe mythologischer Erzählungen und den dazugehörigen Beispielen aus der Dichtung von sogenannten auctores erklärt. Im enzyklopädischen Denken gehen Mythos und Poetik zusammen. Zu diesem Zusammenspiel sagt Clunies Ross „The relationship between myth and science is thus a collaborative one and implicitly similar to that explicitly enunciated by Bernardus Silvestris as between Physis, Urania, and Natura in the Cosmographia.“22 Auf die Umsetzung dieser Denkform in Skpm bezogen, meint sie weiter: „The vigour and coherence of Skpm as a text, and indeed that of the Edda as a whole, depends on the nexus Snorri maintains between exegesis and narrative.“23
Die P-E geht ähnlich wie die klassischen Poetiken vor, nur dienen in Skpm nicht griechische Dichter als Legitimationsfiguren, sondern frühe Skalden (hǫfuðskáld), die diese Funktion übernehmen.24 Durch eine solche theoretische Einbettung in klassische gelehrte Diskurse und die gleichzeitige Betonung der eigenen kulturellen Vergangenheit versuchen Skpm (und die weiteren Inhalte von U) die Skaldik als relevantes Medium für die gelehrte Gegenwart zu positionieren.
4.2.1 Schreibdenken: Skáldskaparmál als Momentaufnahme eines Denkprozesses
Vielfach werden Skpm als unpräzis, verwirrend in ihren Definitionen oder unklar in der Terminologie bezeichnet: „[…] there are many inconsistencies and much randomness, and it is not possible to dismiss all these as the result of the activity of interpolators or scribal interference.“1 Entgegen der beispielhaften Meinung von Anthony Faulkes sehen andere die Gründe für die Unklarheiten in möglichen späteren Interpolationen oder in einem unfertigen oder in variierter Ausführung vorhandenem Ausgangstext. Auch das schwierige Zusammenspiel der Definitionen in Skpm mit denjenigen von Ht wird hervorgehoben: in beiden Texten werden verschiedene Definitionen der gleichen dichterischen Verfahren gegeben.2 Ganz besonders ungenau sei dabei die Skpm-Version von U. Kenningar und heiti sind in U weniger klar getrennt, ihre Beispiele überschneiden sich manchmal.3 Faulkes stellt die interessante These auf, dass sich die Überschneidungen bei den Definitionen ergeben hätten, weil diese erst im Entstehungsprozess der Textverfassung entstanden seien. Zuerst habe der Verfasser verschiedene Beispiele zusammengestellt, erst in einem zweiten Schritt habe er gesehen, dass sie sich in zwei (oder mehr) Kategorien ordnen lassen.4 Dieser Gedanke soll weiterverfolgt werden, anders als Faulkes sagt, muss dieser sichtbare Denkprozess aber nicht unbedingt damit begründet werden, dass U eine frühere Version der P-E darstellt. Skpm zeigen eine Momentaufnahme in der Geschichte der Beschäftigung mit skaldischer Sprache: Die unklaren oder sich ändernden Definitionen und die (im Gegensatz zu den anderen Texten in U) wenig ausgeführte Struktur machen einen Denkprozess sichtbar, der nicht als abgeschlossen verstanden werden sollte. Die definitorischen Schwierigkeiten und die unfertige Strukturierung zeigen, wie eigenständig und kreativ um eine adäquate Terminologie gerungen wird. Skpm ermöglichen einen Blick darauf, wie schwierig es ist, etwas zum ersten Mal zu denken und in Schrift festzuhalten. Das Ringen um eine angemessene Vermittlung der Skaldik in gelehrtem Kontext zeigt sich in U u.a. an den verschiedenen Methoden, wie ein Begriff eingeführt und erklärt wird. Eine häufige Methode ist es, in einem zusammenfassenden Abschnitt viele kenningar oder heiti nacheinander aufzuführen. Einige dieser Abschnitte werden danach mit beispielhaften Strophen angereichert, andere stehen allein. Die listenhaften Abschnitte können auch mit oder ohne diskursive Anmerkung stehen.
Unterschiede gibt es auch bei der Verwendung der formelhaften Einleitung von Strophenzitaten. Vor allem zu Beginn des Textes wird ein Zitat nur durch den Namen des Dichters eingeführt (svá kvað x). Ab einem gewissen Moment im Text tauchen jedoch immer mehr erweiterte Einleitungsformeln auf. Vor der Nennung des Skalden wird die Umschreibung des folgenden Begriffs bereits gegeben, z.B. als direkte „Kurzantwort“ auf die Dialogfrage.5 So folgt bspw. auf die kurze Zusammenstellung von Umschreibungen für „Mensch/Mann“ nicht wie gerade beschrieben nur eine Reihe von Beispielstrophen. Die einzelnen Umschreibungen werden auch auseinandergenommen und jeweils direkt vor das jeweilige Zitat gestellt: „Viðr ok meiðr sem kvað Kormakr“6 (Baum und Stange wie Kormakr dichtet). Der Unterschied zur Stropheneinleitung ohne direkte Nennung der Umschreibung mag auf den ersten Blick gering erscheinen. Für das Verständnis und das Lesen des Textes hilft die zweite Methode aber enorm. Nur eine Auflistung aller Begriffe, die in den kommenden Strophen genannt werden, ist weniger übersichtlich und scheint gerade für Anfänger der Skaldik nicht sehr geeignet. Es gibt aber keine eindeutige Präferierung einer der beiden Methoden und es ist auch kein einheitliches Schema ersichtlich. Eine weitere Methode der Erklärung oder Belegung einer Umschreibung wird gegen Ende von Skpm verwendet. Zusätzlich zu den Strophen und den diskursiven Ausführungen werden längere Erzählungen als Erkärung v.a. für verschiedene Umschreibungen von Gold benützt. Nachdem der Text bis anhin wenig bis keine narrativen Elemente aufweist (bzw. ja gerade gewisse narrative Teile nach vorne in Gylf ausgelagert hat), wirken die langen Prosateile etwas deplatziert. Man könnte sich vorstellen, dass diese Methode der erklärenden Erzählungen ein erster Versuch der Erfassung von kenningar und heiti darstellte. Weil dieses Vorgehen jedoch sehr viel Platz auf der Seite braucht und der Wunsch nach direkten Strophenzitaten dazukam, versuchte sich der Verfasser an anderen Methoden.7 Es gibt in Skpm keine Entscheidung für die beste Vermittlungsart, sondern man sieht an der gleichzeitigen Verwendung mehrerer Methoden unterschiedliche Stufen im Denk- bzw. Schreibprozess, der gerade durchlaufen wird. Wie es bereits für die Beschäftigung mit dem Mythos in Gylf gezeigt werden konnte, leisten auch Skpm diskursive Arbeit: Sie verschieben die Skaldik von der praktischen Anwendung auf eine gelehrte Ebene, wie es in dieser umfassenden Form noch nicht geleistet worden ist. Wie in Gylf kippt es auch in Skpm zwischen dem „Erfassen“ der Skaldik und dem erstmaligen „Verfassen“ einer Poetik für diese Dichtkunst. Wurde im Prolog und in Gylfaginning die Welt und ihre Bestandteile als durch Sprache entstehend erkannt, soll nun auch die Sprache als weltschöpfendes Werkzeug selbst möglichst genau beschrieben werden. Nur wenn man Sprache und ihre speziellen Funktionen erfasst hat, kann man sie der Situation angemessen anwenden. Mit verschiedenen performativen Verfahren inszeniert sich der Text als Legitimation, um die Skaldik weiterhin relevant zu halten. Dass dieses Vorhaben durchaus gefährdet sein könnte, zeigt sich an den uneindeutigen Stellen und den diskursiven Brüchen im Text. Aber die Überlieferungsituation der Skpm, die von allen Teilen der P-E am häufigsten weiterverwendet worden ist, bezeugt einen gelungengen „Sprech- bzw. Schreibakt“. Die unfertige Form und die innovative Behandlung der eigenen Tradition scheint das sprachliche Interesse weiterer Gelehrter zum Weiterdenken angeregt zu haben.
Sehr viel von dem, was wir heute über skaldische Dichtung wissen, stammt aus der sammelnden und ordnenden Arbeit von Skpm und den anderen Teilen der P-E. Ohne dieses Werk wären unsere Skaldik-Kenntnisse noch lückenhafter, als sie es aufgrund der Überlieferungssituation bereits sind. Zusätzlich zu der reichen Sammlung an Beispielstrophen und der Liste von Skalden (die wir längst nicht alle aus den Sagas oder anderen Zusammenhängen kennen), kommen die theoretisierenden Ansätze, die der Text unternimmt, um die traditionsreiche Art der Dichtung zu erfassen. Das bedeutet, dass für unsere Betrachtung der Skaldik immer die Gefahr eines Zirkelschlusses besteht, was sich z.B. auch in der geläufigen Beschreibung der Skaldik als „selbstreflexive Dichtung“ zeigt: Es kann sein, dass der Verfasser der P-E einen Schwerpunkt der skaldischen Dichtung in ihrer Selbstreflexion sah und durch eine ausführliche Behandlung in der P-E gerade Beispiele für solch poetologische Strophen stark hervorhob.
Mit der nötigen Umsicht gelesen, liefern uns aber die oben zusammengetragenen Beobachtungen wertvolle Einblicke in das altisländische mittelalterliche Sprachdenken, welches sich von Innovations- wie Traditionsgedanken gleichermassen geprägt zeigt.
4.3 Zwischen Bild und Text – Der 2. Grammatische Traktat
Mit dem sogenannten 2. Grammatischen Traktat (2. GTR) kommt ein Text in den Blick, der bis heute wenig Beachtung erfahren hat. Fabrizio D. Raschellà besorgte die neuste Edition des 2. GTR und sagt darüber:
With a few exceptions, SGT [= 2. Grammatischer Traktat] has never been assigned a role of great importance in the history of Icelandic grammatical scholarship, nor has its documentary value vis-à-vis the intellectual life of medieval Iceland ever been much appreciated. This explains, among other things, the scarcity of specific studies to date.1
Im Gegensatz zum 1. Grammatischen Traktat, der als innovativ und in seiner Form einzigartig unter volkssprachlichen Grammatikdiskursen bezeichnet wird, scheint sogar Raschellà als Editor dem 2. GTR einen solch aussergewöhnlichen Charakter abzusprechen: „It did not contain any previously unknown notion or rule, and must therefore be regarded as a simple handbook of orthography, a sort of primer to be used in the schools for the teaching of the first elements of grammar to the students of the Trivium.“2 In letzter Zeit hat sich dieser Eindruck geändert und mit Raschellàs Edition ist es möglich geworden, den Text als eigenständige Quelle wahrzunehmen. Bislang standen v.a. linguistische Fragen in Bezug auf das Altnordische im Zentrum der Text-Analyse. Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Einordnung und der Zusammenhang des 2. GTR in die P-E: Nur in zwei Handschriften des Werks überliefert, stellt sich die Frage, ob und inwiefern der Traktat im Kontext ihrer weiteren Texte gelesen werden kann. Während die linguistischen Analysen hier nicht weiterverfolgt werden, tritt die zweite Frage und damit die Zusammengehörigkeit des Traktats mit der P-E in den Fokus. Nach einem kurzen Überblick auf die Überlieferungsgeschichte und auf den Inhalt des Textes werden ausgewählte Stellen diskutiert, die mit einer performativitätsgeleiteten Lektüre ganz neue Fragen aufwerfen und zeigen, dass dem Traktat durchaus Innovationspotenzial zugesprochen werden kann.
Der 2. GTR ist in zwei Handschriften der P-E überliefert: Im Codex Upsaliensis, wo er sich zwischen Skpm und Ht befindet, sowie in Codex Wormianus, wo er gemeinsam mit drei weiteren grammatischen Traktaten (1., 3., 4. GTR) eingefügt ist. Alle vier Traktate versuchen auf je unterschiedliche Art, die altisländische Sprache systematisch und strukturiert darzustellen. Angela Beuerle hebt die Bedeutung der vier Texte hervor: „Sie stellen einen Ausnahmefall der mittelalterlichen Grammatikschreibung dar, der eine Entsprechung höchstens noch in der auf Irland einige Jahrhunderte früher entstandenen ‚Anleitung für Dichter‘ (Auraicept na n-Éces) findet.“3
In Codex Wormianus werden die vier Traktate durch einen gemeinsamen Prolog eingeleitet. Der Text des 2. GTR weicht in W v.a. am Anfang und am Ende von demjenigen in U ab, indem er die theoretischen Ausführungen in einen stärkeren christlichen Rahmen einbindet. Ein grösserer Unterschied zwischen beiden Versionen liegt aber in der Überlieferung zweier Diagramme, die nur in U in den Text eingefügt sind. Die Datierung des Traktats ist umstritten, ursprünglich ging man davon aus, dass die Reihenfolge der Überlieferung in W auch als Entstehungsgeschichte angesehen werden kann – deshalb nummerierte bzw. benannte man die eigentlich titellosen Texte gemäss ihrer Reihenfolge in W. Zeitlich unterscheiden sich die Datierungsvorschläge zwischen dem Ende des 12. Jahrhunderts und den letzten Dekaden des 13. Jahrhunderts.4 Lasse Mårtensson stellte in seiner umfassenden paläographischen Arbeit zum Codex Upsaliensis fest, dass für U zwei ältere Schichten als Kopiervorlagen dienten: Eine aus dem frühen 13. Jahrhundert und eine zweite von nach 1250. In Bezug auf den 2. GTR sagt er:
The most archaic features are some of the graph-types found in the Second Grammatical Treatise, some of which have their origin round 1200 or soon after. It is of course not certain that the Second Grammatical Treatise as a whole came into being at this time. It is possible that older lists of alphabetical signs were used in the composition of this text.5
Im Zusammenhang mit der Entstehungsfrage ist sich die Forschung auch uneins, was die Funktion des Traktats betrifft. Ein Vorschlag ist, den 2. GTR als eine Art Prolog und Verständnishilfe in Bezug auf den Silbenbau in Ht zu verstehen:
So erklärt sich auch die Plazierung des Grammatischen Traktats im Cod. Upsaliensis von einem späteren Kompilator, nämlich unmittelbar vor dem Háttatal (Háttalykill und Háttatal), weil ihm die Kenntnis der Silbenbauregeln im Rahmen dieses Poetikhandb.s (der Snorra-Edda) als eine theoretische Voraussetzung der Reimbildung erschienen sein mag.6
Eine andere Richtung schlägt Raschellà ein, der keine Verbindung zu Ht sieht und für eine unabhängige Entstehung des Traktats argumentiert. Der 2. GTR stellt für ihn keinen speziellen dichtungstheoretischen Text dar, sondern sei allgemeiner als eine orthographische Abhandlung zu verstehen.7 Ob der Traktat tatsächlich in direktem Zusammenhang mit Ht zu sehen ist, ist schwierig zu belegen. Aber dass der Kompilator von U sinnvolle thematische (d.h. auf die Dichtung bezogene) Zusammenhänge zwischen den beiden Texten sah und sie deshalb zusammenstellte, ist sehr plausibel.8 Auch die den Traktat einführende Rubrik, die auf Blatt 45r ganz unten steht, deutet in diese Richtung: „Hér segir af setningu háttalykilsins“9 (Hier ist von der Beschaffenheit des Versmassschlüssels berichtet). Um die weiteren dichtungstheoretischen Verbindungslinien zu sehen, hilft eine kurze Inhaltsangabe der Traktatversion in U.
Zuerst werden in einer allgemeinen Lauttypologie Geräusche und Klänge von spez. menschlichen Lauten getrennt. Solche Typologien sind aus klassischen antiken und mittelalterlichen Grammatiken bekannt.10 Danach wird anhand eines ersten Diagramms die Verteilung der Buchstaben und deren Eigenschaften im Altisländischen beschrieben. Braunmüller fasst mit heutigen Begriffen zusammen: „Zentral sind die Aussagen zur Struktur der minimalen Einsilber (Langvokal, Diphthong). Vokalische Länge sollte (wie im Ersten Grammatischen Traktat) durch Akut markiert werden.“11
Anschliessend werden dieselben Buchstaben in einem zweiten Diagramm behandelt, wobei die Frage nach Bau und Reimfähigkeit von Silben im Vordergrund steht. Es geht darum, wie die verschiedenen Buchstaben zu Silben kombiniert werden können. Der gesamte Traktat nimmt nur ca. fünf Seiten der ganzen Handschrift ein, die beiden Diagramme füllen aber je knapp eine Seite davon.
Braunmüller hebt (anders als andere) die intellektuelle Leistung des Verfassers auf dieselbe Stufe wie diejenige, des 1. GTR: „[…] handelt es sich bei diesem Traktat […] auch um eine strukturalistische Pionierarbeit, die sich mit der Phonemdistribution, dem Silbenbau und der Struktur der reimfähigen Silben befaßt.“12 Denn der 2. GTR stellt eine eigenständige Arbeit dar, die nicht auf spezielle Vorlagen – lateinisch geprägter – grammatischer Abhandlungen Bezug nimmt:
The Latin tradition apparently has little, if any, part in the composition of the SGT. Apart from the well known question-and-answer pattern in the opening, and from the general division of letters into vowels and consonants, scholars have failed to find precise parallels in Classical tradition.13
Doch man sollte nicht nur rein inhaltlich argumentieren, sondern auch die mediale Gestaltung des Textes beachten, dann wird die intellektuelle Leistung des Verfassers noch deutlicher. Nach Beuerle hat die eigene Beobachtung der Gegebenheiten der Sprache in der isländischen Kultur einen hohen Stellenwert als Quelle des Wissens. Dennoch ist der Traktat ein Ergebnis der Beschäftigung mit lateinischer Gelehrsamkeit, gerade in Bezug auf Fragen der grammatica und ihrer Darstellung. Es ist jedoch nicht eindeutig festzustellen, ob die einheimische oder die lateinische Tradition höher gewichtet wird.14
Der Text des 2. GTR ist formell und unpersönlich gehalten. Nur zu Beginn weist er einen dialogischen Zug auf, der aus den anderen Texten in U bekannt ist. Es scheint, als sei der Text losgelöst von intertextuellen Verbindungen und spreche auch nicht direkt zu einem Rezipienten. Was ihn auszeichnet, sind seine ungewöhnlichen, aber sehr einprägsamen bildlichen Erklärungen: Nicht nur die zwei eingefügten Diagramme sind Zeugnisse dieser Anschaulichkeit, auch der Text selbst ist aussergewöhnlich bildhaft, was sich v.a. im Gebrauch von zwei Metaphern zeigt, die als erstes betrachtet werden. In einem zweiten Schritt werden dann die beiden Diagramme in die Diskussion miteinbezogen.15 So können die Verfahren, die den Text anschaulicher (und damit überzeugender) machen sollen, genauer bestimmt werden. Es wird sich zeigen, dass der Text nicht nur wiederholende oder rahmende Verfahren zur Legitimationsstiftung einsetzt, sondern auch eine bestimmte Art von gelehrtem Denken, das vor allem durch seine mediale Innovationskraft Geltung behaupten will.





