Kitabı oku: «Handeln mit Dichtung», sayfa 18

Yazı tipi:

4.4 Háttatal: Eine neue Form für das skaldische Gedicht

Háttatal (Verzeichnis der Versmasse; von nun an Ht) ist der letzte Text in der Handschrift U und schwer zu fassen. Die Forschung diskutiert, ob es sich dabei um einen oder zwei Texte handelt. Die Entscheidungsschwierigkeiten hängen zusammen mit den verschiedenen Dimensionen des Werks, die sowohl sich selbst genügsam sind, als auch im Zusammenhang gelesen werden können. So ist Ht einerseits ein skaldisches Preisgedicht auf den norwegischen König Hákon Hákonarson (1217–1263) und Járl Skúli (1188/9–1240), dieselben Strophen stellen andererseits aber auch ein Lehrgedicht bzw. eine Verslehre aller dem Verfasser bekannten (oder den ihm wichtigen) einheimischen Versmasse dar. Die gelehrte Dimension, die das Preisgedicht durch die Verwendung der verschiedenen Versmasse eröffnet, wird gestärkt durch einen Prosakommentar, der den Strophen beigegeben ist.

Ht ist in allen mittelalterlichen Edda-Handschriften in teils unterschiedlicher Ausgestaltung überliefert.1 In R wird der Text als vollständig erhalten betrachtet, er umfasst da 102 Strophen und lässt sich in drei Teile (kvæði, Lieder) teilen. In U finden sich 56 Strophen, wobei diese den letzten Text der Handschrift darstellen.2 U hat aber auf Blatt 48r vor dem Beginn des Gedichts eine Art Versverzeichnis eingefügt, das die ersten 36 Versmasse nennt und jeweils den dazugehörige Strophenanfang auflistet.3 Dieses Verzeichnis ist aus keiner anderen Handschrift bekannt und wirft einige Fragen auf, die im Hinblick auf die Lektüre von Ht in U interessant sind.

Die Fragen betreffen die Entstehungsgeschichte und die Rezeption des Werks gleichermassen: Wann wurde das Gedicht verfasst und zu welchem Zweck? Steht der Kommentar bereits von Anfang an bei den Strophen oder wird er erst nachträglich eingefügt? Wird das Gedicht tatsächlich als Geschenk zu den beiden Herrschern nach Norwegen gebracht, und wenn ja in mündlicher oder schriftlicher Form? Wird es am Hof auf Pergament (vor-) gelesen oder frei vorgetragen? Und schliesslich (mit einer Perspektive auf den Gesamtkontext), ist das Gedicht der Anfangs- oder der Endpunkt der Abfassung der P-E? Diese Fragen prägten und prägen die Forschung zu Ht.4 In einem ersten Schritt werden das Inhaltsverzeichnis und das Gedicht getrennt betrachtet, anschliessend werden sie in Zusammenhang gestellt.

4.4.1 Das Versverzeichnis: Erinnerungshilfe und Schreibakt

Das Versverzeichnis ist eine weitere Besonderheit der P-E-Version in U. Bevor das Gedicht Ht mit einer Rubrik auf Blatt 48v beginnt, wird auf auf dem Blatt davor eine Art Inhaltsverzeichnis oder Register der im Folgenden präsentierten Versmasse und Verse aufgelistet.1 Das Verzeichnis ist nur in U überliefert, dort passt es aber bestens zu den weiteren schriftlichkeitsspezifischen Innovationen (Diagramme, andere Verzeichnisse etc.). Pálsson präsentiert das Verzeichnis in der Edition als schön formatierte Liste:

Fyrst er dróttkvæðr háttr: Lætr sá er Hákon heitir. Kendr háttr: Fellr um fúra stilli. Rekit: Úlfs bága verr ægis. […]2

Zuerst ist das Versmass der Hofdichtung: Lætr sá er Hákon heitir. Versmass, das Kenningar nutzt: Fellr um fúra stilli. Ausgeweitet: Úlfs bága verr ægis. […]

In der Handschrift selbst entspricht das Verzeichnis nicht heutigen Vorstellungen einer schön untereinander geordneten Liste. Die einzelnen Versmasse werden ähnlich wie Fliesstext hintereinander gereiht und sind nur durch teils grössere Leerräume voneinander zu unterscheiden (vgl. Abbildung 11 unten). Das Verzeichnis hat keinen Titel und beginnt ohne Rubrik. Aber der Anfang eines neuen Textes (oder Abschnitts) nach dem 2. GTR ist deutlich hervorgehoben durch eine grössere rote Initiale F, mit der Fyrst (Zuerst) beginnt. Der Verfasser des Verzeichnisses vollzieht mit dieser Nummerierung bzw. Hervorhebung der ersten Stelle eine Wertung des ersten präsentierten Versmasses, dróttkvæðr háttr (Versmass der Hofdichtung). Die Spitzenstellung des dróttkvæðr háttr ist somit bereits vor dem eigentlichen Gedicht festgesetzt.

Abbildung 12:

Versverzeichnis (DG 11 4to, 48r)

Ab der sechsten Zeile wird der jeweilige Anfangsbuchstabe der Zeile als eine Art Initiale oder Majuskel betont und mit einem vergrösserten Leerraum vor dem ersten Wort abgetrennt. Es scheint, als wäre hier versucht worden, das Verzeichnis leserfreundlicher zu gestalten. Allerdings gilt das nur für die Anfänge der Versmasse, die am Zeilenbeginn stehen. Wird auf einer Zeile ein weiteres Versmass aufgeführt, so fehlt eine spezielle Markierung des Anfangsbuchstabens (und das zweite Versmass wird bloss durch einen grösseren Leerraum zwischen den Wörtern abgetrennt). Diese mediale Gestaltung muss bei der Beantwortung der Frage, was für einen Zweck das Verzeichnis hat, beachtet werden.3

Das Verzeichnis hat keine bekannten Vorlagen und ist in sich nicht ganz stimmig, wie auch Mårtensson zeigt: „Viss variation finns dock i denna struktur; i några fall saknas namnet, och i vissa fall är strofcitatet kortare än första versraden, och i vissa fall är det längre.“4 (Gewisse Variation findet sich jedoch in dieser Struktur; in einigen Fällen fehlt der Name, und in gewissen Fällen ist das Strophenzitat kürzer als die erste Verszeile, und in gewissen Fällen ist es länger.)

Aus einer inhaltlichen Sicht ist das Verzeichnis von grossem Wert für unser Verständnis von Ht im Speziellen und der skaldischen Dichtung im Allgemeinen. Die Namen der verschiedenen Versformen werden im Kommentar zum Gedicht Ht nicht vollständig thematisiert und sind auch aus anderen Quellen nicht bekannt. So wird das Verzeichnis in U für die heutige Zeit zu einem hilfreichen Text, der zeigt, wie mit skaldischer Terminologie umgegangen worden ist und so einen Blick auf die Entstehungszeit der Terminologie ermöglicht. Welche Funktion hat das Verzeichnis der Versmasse in U aber zur Zeit der Abfassung, aus welchem Grund wurde es in U integriert? Eine Möglichkeit wäre, die Funktion auf der Seite des Rezipienten zu suchen: Ein Skalde kann die Liste als Hilfestellung beim Dichten nutzen. Aus dem gelehrten Kontext der Handschrift U lässt sich aber die wahrscheinlichere These aufstellen, dass es sich beim Rezipienten eher um eine Lehrperson handelt, die in einer Unterrichtssituation auf eine schnelle Übersicht der Versmasse angewiesen ist oder sich an eine bestimmte Reihenfolge der Versmasse erinnern möchte. Diese Meinung vertritt z.B. Anthony Faulkes, er findet es:

[…] difficult to see any possible purpose in this arrangement of the text other than as an aide-mémoire to someone who knew the text of the poem by heart, but wanted to be reminded of the order of the verses and of the names of the verse-forms. It may have been used either in conjunction with performance, or, perhaps more likely, in conjunction with an oral discussion or lecture on the various metres represented.5

Das Verzeichnis hätte so die Funktion eines externen Gedächtnisses bzw. einer Erinnerungshilfe, die metrisches Wissen schnell verfügbar macht. Doch das oben gezeigte Layout der Liste könnte ein Hinweis darauf sein, dass eine derartige rezeptionsorientierte Funktion nicht zentral ist oder zumindest nicht die einzig angestrebte Funktion darstellt.

Verändert man die Perspektive vom Rezipenten auf den Produzenten bzw. Verfasser des Verzeichnisses, ergeben sich neue Funktionsmöglichkeiten und das Layout lässt sich besser einordnen. Liest man das Verzeichnis der Versformen im Kontext von Ht, so zeigt sich in den beiden Texten ein jeweils anderer Stand der Entwicklung auf metatextueller Ebene: Während das Gedicht selbst implizit und ausschliesslich im unkommentierten Wechsel der verschiedenen Versarten dichterisches Wissen ausstellt, fügt der Prosakommentar dem Gedicht theoretisches Wissen dazu oder formuliert dieses sogar erstmals explizit. Das Verzeichnis der Versmasse geht noch einen Schritt weiter und versucht für die expliziten Definitionen und qualitativen Wertungen adäquate Namen zu finden: Denn erst mit dem Schritt der Benennung ist ein Wissensgebiet gänzlich durchdrungen. Auf der Pergamentseite ist es möglich, vom Einfachen zum Abstrakten zu wechseln bzw. ausgehend von einem Strophenbeispiel zu einer theoretischen Fassung und Kategorisierung zu gelangen. Man könnte sich einen Verfasser vorstellen, der während der Abschrift von Ht die einzelnen Versmasse sammelt und auf einer separaten Seite zusammenstellt.6

Ist diese Annahme stimmig, würde das bedeuten, dass zumindest das Verzeichnis erst in einem nachträglichen Schritt des Denkprozesses an das Gedicht angefügt worden ist. Ob sich dasselbe auch für den Kommentar aussagen lässt, ist schwieriger zu entscheiden und wird weiter unten diskutiert. Es ist aber deutlich, dass sich dem Verfasser bei der Produktion des Lehr-Preis-Gedichts neue Fragen stellen, die aber nicht in der Form eines klassischen skaldischen Gedichts behandelt werden können. Werden die Strophenbeispiele theoretisch beschrieben und bewertet, so kann man diese neu entstandenen Wissensbestände am besten strukturieren, wenn man sie mit einem Namen bezeichnet. Dieser Schritt wird mit dem Verzeichnis für die einheimischen Versmasse vollzogen. Dem Schreiber kann der „Schreib-Akt“ auch als „Erinnerungsakt“ dienen, das eigenhändig Geschriebene prägt sich besser in das Gedächtnis ein. Die Schriftlichkeit schafft die Voraussetzung für neue Denkformen, die sich medial unterschiedlich gestalten lassen. Das schriftlich organisierte Verzeichnis weist somit in beide angedachten Richtungen, es ist sowohl rezipienten- wie auch produzentenorientiert. Ein individueller Schreib-Erinnerungsakt wird in einem zweiten Schritt durch die Fixierung auf dem Pergament und dank der performativen Wirkung des Gesamtwerks zu festem Wissen, das durch das Medium der Handschrift U in das kollektive kulturelle Gedächtnis eingeht.

Ein Problem des Verzeichnisses stellt seine vermeintliche Unvollständigkeit dar. Es listet nur 36 Versmasse auf, obwohl in Ht in U 56 verschiedene Versmasse präsentiert werden.7 Auf Blatt 48r wäre durchaus mehr Platz frei gewesen und vielleicht sollten in einem späteren Schritt auch noch weitere Versmasse aufgeführt werden. Eine konträre Forschungsthese besagt, dass das Verzeichnis der erste Schritt in der Produktion von Ht gewesen sei und der Verfasser zuerst gar nicht die Absicht hatte, ein ganzes Lehrgedicht mit Kommentar zu verfassen. Während der Arbeit am Verzeichnis sei dann das Bedürfnis aufgekommen, sich ausführlicher mit dem Thema zu beschäftigen, woraus schliesslich Ht entstanden sei.8 Nach Pálsson lassen sich die fehlenden Versmassen im Verzeichnis möglicherweise auch aus handschriftenkundlicher Sicht erklären:

The list of stanzas, as has been said, seems to come from a different source, or at least a different manuscript, from the text of Háttatal in DG 11 4to. The explanation of why the first lines of only thirty-five stanzas were included in the list, could of course be that originally these were written on a verso page and the continuation was later lost, but it is also conceivable that no more were written because, for example, the user (the teacher or the student) did not think that he needed to know any more. About that we obviously cannot know anything further.9

Sowohl das Argument der verso-Seite wie auch dasjenige, dass der Verfasser bewusst nicht weitergeschrieben hat (aus welchem Grund auch immer) leuchten mehr ein als die These, das Verzeichnis sei als Ausgangspunkt der Entstehungsgeschichte von Ht anzusehen. Denn die komplexe Verschränkung der verschiedenen textuellen Einheiten (Verzeichnis, Kommentar, Gedicht) zeigen, dass hier nicht Wissen aufgelistet wird, das bereits gut bekannt und in einem gelehrten Diskurs verankert ist, sondern dass hier jemand neues Wissen generieren und als relevant festsetzen möchte. Das zeigen auch die Klagen der Forschung, die sich über die inkonsistenten und wenig aussagekräftigen Definitionen beschweren. Die Herkunft der Bezeichnungen wird im folgenden Abschnitt im Zusammenhang mit Ht diskutiert. Das Verzeichnis stellt gemeinsam mit Ht neues Wissen her und verkauft es über performative Verfahren wie die Rahmung oder Wiederholung als bedeutungsvoll und damit wert, weiter tradiert zu werden.

4.4.2 Háttatal: Ein didaktisches Lobgedicht

Ein skaldisches Lobgedicht kann als performativer Sprechakt bestimmt werden: Der Skalde will mit seinem Werk etwas erreichen. Ist es ein Preisgedicht und lobt beispielsweise den Kampfmut und die Grosszügigkeit eines Herrschers, so wird es wie ein materielles Geschenk übergeben.1 Im Vortrag des Gedichts wird ein illokutionärer Akt vollzogen und der Skalde erwartet ein Gegengeschenk bzw. Lohn für seine Gabe. Das können materielle Werte, aber auch Titel oder Ämter am Hof sein. Bei der illokutionären Dimension des Gedichts handelt es sich gleichzeitig um eine Bitte um Lohn an den Herrscher wie auch um die Überredung des Publikums, an die im Gedicht genannten grossen Taten und Eigenschaften des Herrschers zu glauben.2 Auch Ht stellt einen derartigen performativen Sprechakt dar, es ist eine Preisdichtung auf den norwegischen König Hákon Hákonarson und den Jarl Skúli.3

Das Gedicht Ht ist der einzige Text in U, der namentlich einem Verfasser zugeordnet ist: Sowohl die Anfangsrubrik im Prolog nennt Snorri Sturluson als Dichter, als auch die Rubrik zu Beginn von Ht selbst: „Háttatal, er Snorri Sturluson orti um Hákon konung ok Skúla hertuga.“4 (Háttatal, das Snorri Sturluson über König Hákon und Jarl Skúli dichtete). Die allgemeine Forschungsmeinung ist, dass Snorri nach seiner ersten Reise nach Norwegen (1218–20) Ht als Geschenk verfasst und dem König und Jarl zukommen lässt.5 Wie bereits erwähnt, ist jedoch umstritten, wie man sich diese Übergabe vorzustellen hat: Wird das Gedicht in schriftlicher oder mündlicher Form überbracht? Wird es (vor-) gelesen oder vorgetragen? Daraus ergeben sich weitere wichtige Fragen: Wie wird das Gedicht am Hof aufgenommen, ist der performative Sprechakt mit der Bitte um Ruhm und Lohn geglückt? Nicht viele Forscher würden diese Frage bejahen. Snorris Lobgedicht wird v.a. in älterer Forschung als zu technisch eingeschätzt, die innovative skaldische Ästhetik fehle dem Werk. Es sei zwar formal herausragend, aber in den dichterischen Umschreibungen nicht wirklich originell.6 Kevin J. Wanner und andere entgegnen berechtigterweise, dass Originalität nicht der Zweck von mittelalterlicher skaldischer Lobdichtung gewesen sei: „Rather, this discourse’s goal is to attest – in ways that others will be persuaded by or at least assent to – that its subjects are exemplary, in the literal sense of instantiating a type: in the present case, that of the praiseworthy ruler.“7 Ein skaldisches Lobgedicht hebt den zu lobenden Herrscher nicht auf originelle Art und Weise hervor, sondern stellt ihn stereotypisch als Höchsten unter Hohen dar. Dazu ist das angemessene Vorgehen die präzise technische Umsetzung.

Die folgende Lektüre interessiert sich dafür, was das Gedicht zusammen mit dem Prosakommentar über sich selbst und über die skaldische Dichtung aussagt. Das aus anderen Quellen unbekannte Zusammenspiel von skaldischem Gedicht und Kommentar zeigt, dass es in Ht nicht mehr im Kern darum geht, ein skaldisches Preisgedicht im Stil der Wikingerzeit zu verfassen. Der Verfasser des Textes bzw. der Schreiber der Handschrift hat erkannt, dass ein Skalde am Hof des norwegischen Königs nicht mehr dieselbe Stellung einnimmt wie im 10. Jahrhundert. Ein Herrscher im 13. Jahrhundert hat andere (mediale) Möglichkeiten, seine Grösse für immer in Erinnerung halten zu lassen. Bjarne Fidjestøl schliesst seine Analyse von Ht mit den Worten:

Ein moderne fyrste som Håkon Håkonarsson med sin europeiske kulturpolitikk hadde ikkje lenger bruk for skaldens hylling qua skald, og fyrstediktet tenderer konsequent nok mot å ringe seg om seg sjølv og bli tømt for innhald ok funksjon, bli til ei metadikting som er i ferd med å bli rein form. Det synte seg då òg til slutt at diktet hadde mista si kraft, og Snorre makta ikkje å løyse hovudet sitt med versekunster, slik hans store ættefar hadde gjort.8

Ein moderner Fürst wie Håkon Håkonarsson mit seiner europäischen Kulturpolitik hatte nicht länger Verwendung für skaldische Verehrung, und das Fürstengedicht tendiert konsequent genug in die Richtung, sich um sich selbst zu drehen und wird leer in Bezug auf Inhalt und Funktion, es wird ein Metagedicht, das auf dem Weg ist zur reinen Form zu werden. Das zeigte sich da und am Schluss hatte das Gedicht seine Kraft verloren, und Snorri konnte seinen Kopf nicht lösen mit der Verskunst, so wie seine grossen Vorfahren es gemacht hatten.

Ht und die dadurch propagierte skaldische Dichtung erfüllen nicht mehr die Funktion des Erinnerungsmediums, sondern wandeln sich in ein Medium der Gelehrsamkeit, das nicht aus der lateinischen Schriftlichkeit stammt, in dieser Kultur aber einen berechtigten Platz einnehmen kann. Das skaldische Gedicht Ht leitet seine Bedeutung aus der Vergangenheit ab, es zeigt aber auch das Bewusstsein, dass es einen neuen Geltungsrahmen und neue Vermittlungsformen benötigt, um relevant zu bleiben: Man trägt es nicht mehr mündlich am Hof vor, sondern es gehört in schriftlicher Form in ein gelehrtes Werk integriert. Ht in U ist eine Momentaufnahme des Wandels von wikingerzeitlicher Skaldik in mittelalterliche Skaldik. Es ist zu gleichen Teilen ein Lobgedicht auf die beiden norwegischen Herrscher und auf die Skaldik bzw. die Lobdichtung selbst.9

4.4.2.1 Das skaldische Gedicht

In U hat Ht 56 Strophen, in der als vollständig betrachteten Version von R sind es 102 Strophen. Es sieht allerdings nicht so aus, als ob die in RTW enthaltenen Strophen in U verloren gegangen wären. Lasse Mårtensson sagt:

Háttatal, som i DG 11 endast består av 56 strofer […], inleds längst upp på fol. 48v, och fortsätter sedan till rad 10 på fol. 56r. Därefter är texten slut i denna handskrift, och den avslutas med ett skiljetecken som i denna handskrift ofta används för att avsluta större avsnitt […].1

Háttatal, das in DG 11 lediglich aus 56 Strophen besteht […], beginnt ganz oben auf fol. 48v, und wird dann bis Zeile 10 auf fol. 56r fortgesetzt. Danach endet der Text in dieser Handschrift und wird abgeschlossen mit einem Satzzeichen, das in dieser Handschrift häufig verwendet wird, um einen grösseren Abschnitt abzuschliessen.

Auch Pálsson sieht ein bewusst gesetztes Ende: „[…] because the writing stops in the middle of a recto page and the scribe had chosen a gathering of six leaves as the final one in the book. In other words, he had never intended to write any more of the poem.“2 Pálsson fügt als mögliche Gründe für die geringere Strophenanzahl in U an, dass entweder die Vorlage, die dem Schreiber zur Verfügung stand, ebenfalls nur 56 Strophen aufwies, oder dass der Verfasser es in Bezug auf die Versmasse sinnvoll fand, an dieser Stelle aufzuhören: In R wird vor Strophe 68 eine Wertung der Versmasse vorgenommen und gesagt, dass nun die kleineren Formen vorgestellt würden: „Nú skal upp hefja it þriðja kvæði þat er ort er eptir inum smærum háttum, ok eru þeir hættir þó margir áðr í lofkvæðum.“3 (Nun soll das dritte Gedicht beginnen, das in kleineren/unbedeutenderen Versmassen gedichtet ist, obwohl diese Versmasse häufig in früherer Lobdichtung vorkommen.) Für U kann eine solche Unterscheidung von „wichtigeren“ und „kleineren“ Versmassen ein Grund gewesen sein, letztere wegzulassen. Nur dróttkvætt (Hofton), das wichtigste Versmass bzw. dasjenige, das im Text als wichtigstes Versmass dargestellt wird, bekommt Platz in U.4

Diejenigen Strophen, die in beiden Versionen überliefert sind, weisen teils grosse Unterschiede auf. U zeigt zudem viele Fehler in den Strophen und der Terminologie.5

Aus der unterschiedlichen Strophenanzahl in R und U ergibt sich auch eine inhaltliche Differenz. Für die Ht-Version in R ist allgemein anerkannt, dass das Gedicht mehr Strophen für Jarl Skúli aufweist, wodurch er höher gepriesen werde als König Hákon. Faulkes fasst die 102 Strophen wie folgt zusammen: „The first section, stt. 1–30, is about Hákon, the second, stt. 31–67, is about Skúli, except for st. 67, which is about both rulers; in the third, stt. 68–95 are also mainly about Skúli, stt. 96–102 again seem to relate to both rulers.“6 Das potenziell gefährliche Ungleichgewicht zwischen dem Lob für den König und demjenigen für den Jarl wird damit erklärt, dass der Altersunterschied zum jugendlichen König Hákon zu gross war und Snorri Sturluson sich mit Skúli besser verstand. Die dichterische Bevorzugung wird schliesslich meist als Vorausblick auf die historischen Vorgänge rund um den Tod von Snorri Sturluson gelesen.7 Eine derartige Problematik stellt sich in U nicht. Mit nur 56 Strophen ist das Verhältnis der Strophen in Bezug auf die beiden Herrscher ziemlich ausgeglichen: Nach anfänglichen 30 Strophen für den König folgen 26 für den Jarl.8

Mit Fidjestøl wurde oben bemerkt, dass Ht fast nur noch Form sei und keinen typisch skaldischen Inhalt mehr aufweise. Ganz inhaltsleer ist das Gedicht aber nicht: Beide Herrscher werden als grosse und weise Anführer und Kriegsleute beschrieben, ihre Grosszügigkeit gelobt und ihnen ewige, glückliche Herrschaft gewünscht. In U fehlen einige interessante Strophen, die als eine poetologische Reflexion auf die Skaldik selbst verstanden werden können. In R wird mit diesen Strophen die Stimme des Skalden stärker sicht- bzw. hörbar, die nicht nur über den grossen Herrscher, sondern auch über sich selber und das Potenzial seines Gedichts spricht.9 So heisst es:

Gløggva grein hefi ek gert til bragar, svá er tírœtt hundrað talit; hróðrs ørv‹er›ðr skala maðr heitinn vera ef sá fær alla háttu ort.10

Close account have I given of poetic form so that ten tens are told. A man must not be called unworthy of renown if he is able to compose in all verse-forms.11

Der Skalde preist am Ende seines Werks die eigene dichterische Fähigkeit und bezieht sich dabei – passend für die Versmasslehre – auf das Vermögen, möglichst viele Versmasse benützen zu können. Abschliessend äussert er sich nochmals zu den zu preisenden Herrschern, stärkt deren Bedeutung aber durch das Lob auf sein Gedicht, das bis in die Ewigkeit erhalten bleibt:

Njóti aldrs ok auðsala konungr ok jarl. Þat er kvæðis lok. Falli fyrr fold í ægi steini studd en stillis lof.12

May king and earl enjoy age and halls of wealth. This is the end of the poem. May earth, stone-supported, first sink into the sea before the ruler’s praise [cease].13

Die selbstbewusste Sprache der Skaldik überträgt sich auch auf den gelehrten Kontext des Gedichts. Auch in anderer skaldischer Dichtung ist Eigenlob in Bezug auf die dichterischen Fähigkeiten ein gängiges Mittel, um das Werk zu erhöhen. Doch in Ht weitet sich diese Dimension im Zusammenspiel mit dem gelehrten Kommentar aus: Das semantische Bezugsfeld der Skaldik verschiebt sich vom Herrscher zum Dichter, wobei das Herrscherlob immer noch Thema ist, allerdings nur noch als „leere Form“, die mit dichtungstheoretischem Wissen gefüllt und dadurch aktualisiert werden kann.

Thomas Krömmelbein untersucht Ht als eigenständiges Gedicht und arbeitet weitere Stellen heraus, die auch mit dem performativen Verfahren der Wiederholung beschrieben werden können. Einerseits werden in kenningar viele Anspielungen auf mythologische Inhalte gemacht (was ein gängiges Verfahren in der skaldischen Dichtung ist). Mit Hilfe solcher Umschreibungen wird z.B. für Jarl Skúli eine Abstammung aus mythologischer Vorzeit sowie aus dem grössten dänischen Heldengeschlecht entworfen.14 Dieser Ansippungsgedanke hat legitimatorische Funktion und findet sich in zahlreichen skaldischen Lobgedichten. Auch die kenningar selber werden in Ht neu gedacht:

In einigen Fällen übernimmt er [Snorri] überlieferte, als klassisch empfundene Kenningausdrücke, d.h. er zitiert sie in mittelalterlicher Zitierweise und verfertigt so etwas wie eine ‚Kenningcollage‘, indem er eine ‚neue‘ Kenning schafft, die aus Umschreibungen verschiedener Vorgänger zusammengesetzt ist […].15

Zusätzlich zu der „Arbeit am Mythos“16 in Bezug auf die kenningar werden in Ht, wie auch in Gylf und Skpm, intertextuelle Verbindungen zu eddischen Liedern und anderen skaldischen Gedichten17 hergestellt. Es sind wiederum die eddischen Lieder Hávamál und Vǫluspá auf die am häufigsten angespielt wird.18 Zitate auf beide Lieder kann man z.B. in der oben erwähnten letzten Strophe erkennen:

Njóti aldrs ok auðsala konungr ok jarl. Þat er kvæðis lok. Falli fyrr fold í ægi steini studd en stillis lof.19

May king and earl enjoy age and halls of wealth. This is the end of the poem. May earth, stone-supportet, first sink into the sea before the ruler’s praise [cease].20

Aufforderungen etwas zu nutzen mit dem Begriff „njóti“, sind in Hávamál zentral. In der letzten Strophe von Ht bezieht sich die Aufforderung umfassender auf das Leben der beiden Herrscher, wohingegen es sich in Hávamál um alltäglichere Verhaltensregeln handelt. Krömmelbein verbindet den letzten Abschnitt der Strophe mit Vǫluspá: „Der 2. Helming dieser Strophe spielt auf das Endzeitgeschehen nach Vsp. an, hier, wenn ich recht sehe, in direktem Verweis auf Str. 57 mit der Schilderung des Weltendes (Ragnarök) unmittelbar vor Auftauchen der neuen Welt Gimle […].“21

Krömmelbein sieht in den Kenning-Collagen und den Anspielungen auf die Lieder-Edda Snorris literarisches Interesse. Dass sich im Verfahren des Zitierens alleine literarisches Interesse zeigt, wird durch die vorangegangenen Lektüren widerlegt: Die aktualisierende Wiederholung ist ein performativer Akt, in dem Bedeutung aus der Vergangenheit als Legitimation einer bestimmten Neuerung gestiftet werden soll.

Da Ht in U nur bis Strophe 56 geht, fehlen einige der oben thematisierten Stellen. In der Tendenz stimmen die beiden Versionen jedoch überein. Aber auch die Lektüre der Strophen in der Version von U bietet interessante Einblicke. Das Gedicht ist einer der wenigen Texte in U, der auf historische Ereignisse verweist: Aus der Ansprache von Jarl Skuli mit dem Titel hertogi (Jarl) und der Nennung seiner letzten Schlacht kann man eine ungefähre Verfasserzeit des Gedichts errechnen. hertogi ist zuerst nur eine Bezeichnung für einen Heer- oder Kriegsführer, später wird es zum Titel. Skúli wird im Jahr 1237 zum Jarl ernannt, also erst viel später nach der angenommenen Abfassung von Ht. Faulkes begründet die zeitliche Diskrepanz damit, dass die Rubrik in U, die Skúli als Jarl benennt, erst später eingefügt worden ist.22 Solche impliziten Verweise in die reale Welt ergeben sich in U ansonsten nur aus den drei Listen vor Skpm. In der Liste der Gesetzessprecher wird nur das Anfangsdatum von Snorris zweiter Amtszeit aufgeführt, was als Hinweis auf die Niederschrift der Liste verstanden werden kann.23

Ht ist aber nicht als alleinstehendes Gedicht überliefert. In allen erhaltenen Versionen wird es von einem Prosakommentar ergänzt und gerahmt. Deshalb lässt sich diskutieren, ob das Gedicht überhaupt ohne diesen Kommentar geplant und präsentiert worden ist. Da die beiden Textsorten in der Version in U eindeutig zusammengehörig und auch von derselben Hand verfasst sind, ist die Einzelbetrachtung etwas problematisch. Sie hilft aber eine vergleichende bzw. ganzheitliche Lektüre vorzubereiten.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
391 s. 19 illüstrasyon
ISBN:
9783772001192
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi: