Kitabı oku: «Handeln mit Dichtung», sayfa 7
3.2 Prolog – Ein vermeintlich eindeutiger Rahmen
Alle vier Haupthandschriften der P-E überliefern einen Prolog in unterschiedlicher Länge und Ausgestaltung. Im Verhältnis zueinander ist der Prolog in W am längsten,1 derjenige in U am kürzesten, da darin die Erzählung der Herkunft der Asen aus Troja nicht angeführt ist.2 Der Prolog in U stellt Sprache und bestimmte Erzählungsformen als Mittel zur Legitimationssicherung sowie als Machtinstrument aus.
Ein mittelalterlicher Prolog kann ganz allgemein wie folgt bestimmt werden: „Der Prolog soll die Aufmerksamkeit des Lesers (Hörers) gewinnen, in den Sinn der Handlung einführen und die Glaubhaftigkeit des Geschehens durch Angabe von Gewährsleuten oder schriftl. Quellen erhöhen.“3 Aus der Tradition der antiken Gerichtsrede entwickelten sich in mittelalterlichen Poetiken eigenständige rhetorische Konventionen für Vorreden literarischer Werke.4 Zwar lässt sich für den mittelalterlichen Umgang mit Prologen eine grosse Vielfalt feststellen, dennoch sind auch für Prologe des nordischen Mittelalters allgemeine Vorgaben bekannt, wie Sverrir Tómasson herausgearbeitet hat. Gemäss ihm liefert ein Prolog in der altisländischen Prosaliteratur eine Begründung für die Notwendigkeit oder den Anlass des Werks und legt dessen Absichten offen, wozu auch eine Angabe der Quellen gehört.5 Der Prolog der Prosa-Edda tritt aus der Reihe und befolgt keine der genannten Vorgaben:
Snorri fasst weder sein Thema, noch eine wie auch immer geartete Streitsache zusammen, er wendet sich gerade nicht an einen Hörer oder Leser, um dessen Aufmerksamkeit oder dessen Wohlwollen zu erreichen. Sein Text hat den Charakter einer Hintergrundinformation für einen Leserkreis, bei dem Interesse ohne weiteres vorausgesetzt werden kann, und einer Klarlegung der philosophischen Grundlagen seiner Arbeit, ohne dass er den Leser ausdrücklich zur Kenntnis nimmt oder gar anspricht.6
Dass ihr Verfasser mit den Gepflogenheiten der Literatur nicht genügend vertraut gewesen sein könnte, lässt sich mit dem Vergleich des Prologs in der Heimskringla („Weltkreis“) verneinen.7 Denn hier finden sich die oben beschriebenen Vorgaben für Prologe. Gerade, dass der Edda-Prolog so eigenständig gestaltet ist, kann als ein erster Hinweis auf das intendierte Publikum verstanden werden: Der Prolog spricht indirekt ein mit sprachtheoretischen Fragen vertrautes Publikum an oder eines, das sich für solche Fragen interessiert.
Bereits viele Untersuchungen widmen sich dem ersten Teil der Prosa-Edda und tun dies beinahe ausschliesslich im Zusammenhang mit den anderen enthaltenen Texten. Der Blickwinkel bleibt dabei eingeschränkt auf theologisch-religionswissenschaftliche Fragen, auf die Suche nach dem Verfasser oder den möglichen Quellen für den Aufbau des Textes.8 Wie in Bezug auf die gesamte Prosa-Edda steht in dieser Arbeit aber nicht im Vordergrund, ob der Text von Snorri Sturluson verfasst bzw. in die Kompilation eingebracht worden ist oder ob er eine spätere Zutat ist. Zwar gibt es einen textimmanenten Hinweis mit Snorris Namen, auf den im Folgenden eingegangen werden soll, aber Codex Upsaliensis ist knapp 100 Jahre nach einer verlorenen, als „Urfassung“ bezeichneten Version, entstanden und steht in der Form für sich selbst und seine Zeit.9 Somit gehört der Prolog in seiner überlieferten Form zum Codex Upsaliensis und offensichtlich sahen auch die Verfasser der anderen mittelalterlichen Prosa-Edda-Handschriften eine Art dieses Prologs als sinnvollen und von Anfang an zugehörigen Einstieg in das Werk.10
Untersuchungen, die den Prolog ebenfalls als zum Gesamtwerk gehörig zählen, versuchen ihn für ihre jeweilige Interpretation fruchtbar zu machen und ihn als Lektüreanweisung für die folgenden Texte zu verstehen. Arbeiten zum Inhalt der Prosa-Edda als heidnische Mythologie bzw. als Mythographie verstehen den Prolog als Vorrede für Gylfaginning und weniger auf das Gesamtwerk bezogen.11 Umgekehrt fällt der Prolog bei Arbeiten teilweise aus dem Blick, die sich hauptsächlich den dichtungstheoretischen Aspekten der Prosa-Edda widmen. Erst Margaret Clunies Ross stellt die enge Zusammengehörigkeit zwischen Prolog, Gylfaginning und Skáldskaparmál heraus.12 Auch in dieser Arbeit wird der Prolog als Eröffnung der nachfolgenden Inhalte der Edda angesehen, die intertextuellen Bezüge werden aber noch ausgeweitet. Nicht nur die kanonischen Teile müssen als thematisch mit dem Prolog verbunden gedacht werden, auch alle weiteren im Codex Upsaliensis enthaltenen Teile wie z.B. die verschiedenen Listen oder der grammatische Traktat. Der gemeinsame Nenner aller Teile ist das Interesse an Sprache, Literatur und Dichtung als wirkmächtige kulturelle Praktiken.
Zu intertextuellen Verbindungen des Prologs mit Texten ausserhalb der Prosa-Edda (bzw. zur Quellen- oder Vorlagenfrage) schreibt Strerath-Bolz:
Unabhängig von der Frage der Funktion und den Auseinandersetzungen um die Verfasserschaft herrscht Einigkeit darüber, dass der Prolog in seinen theologischen und historischen Spekulationen auf allgemeines mittelalterliches Bildungsgut zurückgreift. Die Quellen dafür werden in kontinentalen Vorbildern der antiken, frühchristlichen und mittelalterlichen Literatur gesucht. Direkte Quellenbeziehungen sind jedoch allenfalls für einzelne Elemente hergestellt worden – der Prolog in der überlieferten Form konnte bisher auf kein konkretes Vorbild zurückgeführt werden.13
3.2.1 Das paradoxe Verfahren der Rahmung
In Kapitel 2 wurde die Rahmung als ein Aspekt literarischer Performativität definiert. Sprachliche Handlungen können nur innerhalb bestimmter Rahmen bzw. Bedingungen funktionieren. Rahmen sind aber insofern paradox, als sie sowohl Bedeutung stiften wie auch den Akt dieser Bedeutungsstiftung sichtbar machen. Rahmungen sind kulturell bestimmt, je nachdem können aber z.B. literarische Werke diese Bestimmungen auch aktualisieren, kommentieren oder unterlaufen. Zwischen Rahmen und „Inhalt“ des Rahmens besteht eine komplexe Beziehung, eine einfache Aufteilung in ein „Innen“ und „Aussen“ gibt es nicht. Derartige rahmentheoretische Beobachtungen lassen sich in der P-E auf verschiedenen Ebenen machen, besonders interessant sind dabei solche, die das eigene paradoxe Wesen reflektieren und damit spielen. Daher werden hier beispielhafte Ausprägungen literarischer Rahmungen näher beleuchtet. Sie sind performative Aspekte der P-E, die bislang in diesem Zusammenhang noch nicht diskutiert wurden, obwohl es in der Forschung bekannte Phänomene sind.
Aber wie bereits im Kapitel 2 dargelegt, kommt es in Bezug auf literarische Performativität nicht nur auf einen Aspekt alleine an, sondern auf das Zusammenspiel verschiedener Aspekte. In diesem Sinne gilt zwar der Schwerpunkt der folgenden Lektüren den unterschiedlichen Rahmungen, daneben werden aber immer auch die performativen Aspekte Sagen als Tun sowie Wiederholung/Wiederholbarkeit diskutiert.
3.2.2 Das Thema der Sprache im Prolog
Der Prolog beginnt auf Bl. 2r im Codex Upsaliensis und lässt sich grob in drei thematische Teile einteilen1: Zuerst wird die biblische Schöpfungsgeschichte und die Entstehung des Heidentums geschildert. Darauf folgt eine Beschreibung zur Beschaffenheit der Welt, die mit naturphilosophischen Erklärungen geschildert wird. Auf diesen beiden Einheiten baut der anschliessende Teil auf, der die Geschichte der Asen erzählt, die von Asien in den Norden eingewandert sind.
Auf der Erzählebene ist die Sprache und ihr Potenzial als durchgehendes Thema präsent: Die Entstehung der Welt wird parallel zur biblischen Entstehungsgeschichte erzählt und folgt dem Text des 1. Buch Mose der Genesis fast wörtlich.
Almáttigr Guð skapaði himin ok jǫrð ok alla hluti er þeim fylgja, ok síðast menn, er ættirnar eru frá komnar, Adam ok Evu, ok dreifðust ættirnar um heiminn síðan.2
Der allmächtige Gott schuf den Himmel und die Erde und alle Dinge darin, und danach Menschen, von denen die Geschlechter abstammen, Adam und Eva, und diese Geschlechter verteilten sich danach über die Welt.
Der Beginn des Prologs wird durch eine grosse grüne Initiale A in Almáttigr hervorgehoben, A als erster Buchstabe des Alphabets und im Wort „allmächtig“ setzt den christlichen Kontext. Der allmächtige Gott steht (fast) am Anfang von allem.3 Der Text beschreibt hier die Weltentstehung und implizit wird angesprochen, dass diese Welt durch Sprechen geschaffen wurde. Unterstützt wird diese Vorstellung durch Ausführungen im Johannes-Evangelium. Dort erschafft Gott die Welt im Sprechen, vor der Welt war folglich Sprache: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“4 Nur durch Sprache wurde Welt: Die Schöpfung wird als göttlicher „Ur-Sprechakt“ dargestellt. Göttliches Sprechen, Wesen und Handeln wird so als Einheit verstanden und ist in diesem Sinne höchst performativ. Das bedeutet weiter, dass Gott nur durch seine Sprache zugänglich ist, nur durch die Kenntnis seines Namens gelangt man zu ihm. Diese Voraussetzungen aus dem Johannes-Evangelium bestimmen den ersten Abschnitt des Edda-Prologs unausgesprochen mit. Die weniger performativ gestaltete, eher beschreibende Schöpfungserzählung der Genesis ist als Vorlage deutlicher zu erkennen, so z.B., wenn die Menschen nach der Sintflut nochmals von Gott abfallen:
En er frá liðu stundir újafnaðist fólkit. Sumir vóru góðir, sumir lifðu eptir girndum sínum. Fyrir þat var drekt heiminum nema þeim er meðr Nóa vóru í ǫrkinni. Eptir þat bygðist enn verǫldin af þeim. En allr fjǫlðinn afrǿktist þá Guð. En hverr mundi þá segja frá Guðs stórmerkjum er þeir týndu Guðs nafni? En þat var víðast um verǫldina er fólkit villtist.5
Aber als die Zeit verging, teilten sich die Menschen. Einige waren gut, andere lebten nach ihren Gelüsten. Deshalb wurde die Welt ertränkt, ausser diesen, die mit Noa in der Arche waren. Danach wurde die Welt von ihnen wieder bewohnt. Aber die grösste Mehrheit verschmähte da Gott. Aber wer konnte da von Gottes Grosstaten sprechen, als sie Gottes Namen vergassen? Und es war in den weitesten Teilen der Welt, dass die Menschen vom rechten Weg abkamen.
Nachdem der Auslöser für die Sintflut nur durch die Aufteilung in „gute“ und „schlechte“ Menschen begründet wird, ohne zu sagen, worin die „Schlechtheit“ liegt, wird der nächste Fall der Menschen ausführlicher beschrieben: Weil der Grossteil der Menschen Gott verschmäht, geht sein Name vergessen. Weiss niemand mehr den Namen Gottes, kann dieser nicht mehr gepriesen und seine Taten nicht mehr verehrt werden. Die Menschen sind verwirrt, weil Wissen verloren geht und sie deshalb den richtigen Weg nicht mehr erkennen.
Der Zusammenhang von Wort bzw. Name Gottes als einziger Weg in die Transzendenz wird in der Genesis (und im Johannes-Evangelium) hergestellt und vom Edda-Prolog aufgenommen. In der Genesis zeigt sich die sprachliche Verfügungsgewalt Gottes, der mit ihr und durch sie die Welt und alle Wesen und Dinge entstehen lassen kann. Sprache wird in diesem kleinen Abschnitt in zwei Arten mit je unterschiedlichem Potenzial aufgeteilt: Einerseits kann göttliche Sprache wirkmächtig und schöpferisch sein, denn die Welt gibt es nicht jenseits von Sprache. Andererseits ist menschliche Sprache ein Mittel gegen das Vergessen, hier gegen das Vergessen des richtigen Namen Gottes und das Wissen bzw. Verständnis der Welt. Für den Menschen dient Sprache als Mittel zur Welterfassung.6
Gott gewährt den Menschen trotz des Vergessens seines Namens genügend Wissen, um weltliche Dinge zu verstehen. Es folgen naturphilosophische Erklärungen und die Schilderung, wie die Menschen ihre Abstammung an die Welt knüpfen. Die eigene Herkunft zu bestimmen zeigt sich als urmenschliches Bedürfnis. Die Menschen erkennen anhand verschiedener Naturphänomene, dass es einen Lenker der Welt (und damit einen Schöpfer) geben muss und sie wollen nun seinen Namen im Gedächtnis behalten:
En eigi vissu þeir hverr hann var. En því trúðu þeir at hann ræðr ǫllum hlutum ok til þess at þeir mætti muna, þá gáfu þeir ǫllum hlutum nafn með sér, ok síðan hefir átrúnaðr breyzt á marga vega, sem menn skiptust eða tungur greindust.7
Aber sie wussten nicht, wer er war. Aber sie glaubten das, dass er alle Dinge steuert, und deshalb, dass sie sich erinnern können, gaben sie allen Dingen unter sich Namen, und seither hat der Glaube sich verändert in vieler Weise, so wie die Menschen sich aufteilten oder Sprachen sich verzweigten.
Die menschliche Sprache dient dazu, die Schöpfung zu erfassen. Den abgefallenen Menschen fehlt jedoch die letzte Erkenntnis bzw. die göttliche Offenbarung. Ohne diese teilen sich die Sprachen und damit die Glaubensformen auf und die Dinge in der Welt werden unterschiedlich benannt.
Ursula und Peter Dronke führen dazu aus: „The implication seems to be that naming was the essential first stage of communicating understanding and, dependent upon understanding, belief.“8
In der Vormoderne sind Namen nicht als arbiträr und „äusserlich“ anzusehen, sondern gehören zum Wesen des Bezeichneten unveräusserlich dazu. Namen gehören für eine Person sozusagen zur anthropologischen Grundausstattung. Man darf von der „Fundamentalität des Namen-Habens“ sprechen […] und mit Blick auf germanische Traditionen formulieren:
„der Name erst schafft seine Person. Darum ist der Name kostbarster Besitz, ohne den ein Mensch nicht wirklich leben kann.“ […] Wie wichtig der Akt der Namengebung ist, lässt sich an den unterschiedlichen, je besonders ausgestalteten Taufzeremonien, ob christlich oder nicht, beobachten. Das Benennen ist ein urtümlicher Vorgang, mit dem mythische Vorstellungen wesenhaft verknüpft sind. Das alte Prinzip des nomen est omen will sagen, dass die mit dem Namen zugesprochene Verheissung im Heissen lebendig ist, dass der Benannte mit seinem Namen grundsätzlich eins wird, Name und Person identisch sind.9
Die Kenntnis eines Namens verleiht also Macht über ein Wesen, dieser Gedanke gilt nicht nur in Märchen oder Zaubersprüchen, sondern auch in der nordischen Mythologie. In christlicher Hinsicht bedeutet die Kenntnis eines Namens „Erkenntnis“ – diese Verbindung macht deutlich, inwiefern z.B. gelehrte Enzyklopädien als Bücher, die die Welt erfassen, verstanden werden können.
Auf der Erzählebene des Prologs der P-E wird dementsprechend eine enzyklopädische Dimension aufgerufen, welche schliesslich noch deutlicher thematisiert wird: Der nächste Abschnitt des Prologs führt gelehrtes Wissen über die Aufteilung der Welt in drei Teile vor. Solches Wissen ist bekannt aus zahlreichen mittelalterlichen Enzyklopädien, die das gesammelte Wissen der Welt darstellen. Die beste und schönste Region der Welt mit den besten Menschen ist Asía (Asien): „Þar er mið verǫldin, ok svá sem þar er betra en í ǫðrum stǫðum, svá er þar ok mannfólkit meirr tignat en í ǫðrum stǫðum at spekt ok afli, fegrð ok ǫllum kostum.“10 (Die Mitte der Welt ist dort, und so wie es dort besser ist als an anderen Orten, so sind dort die Menschen ausgezeichneter als an anderen Orten in Bezug auf Weisheit und Kraft, Schönheit und allen Eigenschaften.) Der Text entwirft eine Welt der Elite mit zwölf Königreichen und zwölf Hauptsprachen. Diese Welt wird dann mit einer genealogischen Aufzählung der Könige belebt, wobei der wichtige Punkt die Ausdehnung des ausgezeichneten Volkes in den Norden ist. Trojá, die Tochter von König Priamus, heiratet König Menon und:
Sonr þeira hét Trór er vér kǫllum Þór. Þá var hann tólf vetra er hann hafði fullt afl sitt. Þá lypti hann af jǫrðu tíu bjarnstǫkum senn. Hann sigraði marga berserki senn ok dýr eða dreka.11
Ihr Sohn hiess Trór, den wir Þórr nennen. Er war zwölf Jahre alt, als er seine volle Kraft hatte. Da hob er zehn Bärenhäute zugleich von der Erde hoch. Er besiegte viele Berserker auf einmal und Tiere und Drachen.
Durch das Prinzip der genealogischen Erzählung (die Angleichung ist hier etymologischer Natur) lassen sich Beziehungen und Abstammungen herstellen, die der Legitimierung von Macht und der Bedeutungsstiftung dienen. Im Codex Upsaliensis ist das Prinzip durch die Einfügung von der genealogischen Liste des Sturlungengeschlechts und zwei ähnlichen Listen, die aber nicht streng genealogisch funktionieren, besonders hervorgehoben.12
Im Prolog dient es der Ansippung des Nordens an Kontinentaleuropa und den christlichen Glauben bzw. die antike Gelehrsamkeit: Der kulturell und geographisch vermeintlich am Rand der Welt stehende Norden soll ins Zentrum gerückt werden. Ein solcher Zug ist auch in nicht-nordischen Werken zu beobachten, wie Ursula und Peter Dronke schreiben:
The importance Snorri attaches to Troy, and his efforts to relate the Norse names to Trojan ones, suggest rather an attempt to give his people’s ancestors the same Trojan aura as writers such as Nennius, and above all Geoffrey of Monmouth, had conjured up for the Kings of Britain.13
Wie an anderen Orten auch kann man dem Prolog bzw. der P-E einen sehr eigenständigen Gebrauch der bekannten und vielgenutzten Strategie zur Beziehungsherstellung attestieren: Es bleibt nicht bei der etymologischen Erklärung bzw. Verknüpfung von Trór mit Þórr, es werden zusätzliche weitere intertextuelle Bezüge gesucht: Mitten in die klassisch-gelehrte Stelle tritt die nordische Literatur dazu. Þórr wird dabei als typischer Held aus der Sagaliteratur beschrieben: Eben weilt der Text noch in Troja, dem Zentrum der christlichen Welt, nun ist springt er in eine altisländische Sagawelt, in der es Bärenhäute, Berserker und wilde Tiere zu überwinden gilt. Die erste Welt wird hier mit der zweiten überlagert, durch das erzählerische Überblenden erscheinen die beiden zusammengehörig zu sein. Dazu trägt auch das Personalpronomen vér (wir) bei, das den Rezipienten als Teil dieser nordischen Welt direkt miteinbezieht und ihn so in einen Kreis mit dem Verfasser stellt.
Erst nach diesem Einschub wird die genealogische Aufzählung weitergeführt, von Þórr und seiner Frau Sif aus reicht die Kette bis zu Óðinn.
Þessi Óðinn hafði mikinn spádóm. Kona hans hét Frigida, er vér kǫllum Frigg. Hann fýstist norðr í heim með mikinn her ok stórmiklu fé, ok hvar sem þeir fóru þótti mikils um þá vert ok líkari goðum en mǫnnum.14
Dieser Óðinn hatte eine ausgeprägte Sehergabe. Seine Frau hiess Frigida, die wir Frigg nennen. Er hatte grosses Verlangen in den Norden der Welt (zu gehen) mit einer grossen Armee und riesigem Besitz, und wo auch immer sie fuhren, dachte man, sie seien gross und Göttern ähnlicher als Menschen.
Die Macht, Länder einzunehmen, ist an Reichtum bzw. militärische Fähigkeiten gebunden, die offensichtliche Übermacht in diesen Belangen lässt Óðinn (der das voraussah) und sein Gefolge Göttern gleichen und macht sie zu den Herrschern über die Gebiete des Nordens. Von ihnen wiederum stammen die grossen zeitgenössischen Geschlechter ab. So wird Macht in zwei Richtungen gleichzeitig legitimiert: Aus dem Narrativ herausführend, verbinden sich die aktuellen nordischen Herrschersippen mit Óðinn, innerhalb der Erzählwelt der Edda erreicht Óðinn so eine Anbindung an die geltende historische Realität. Abermals zeigt sich der Text um Kontinuität bemüht und stellt die Asen in Anlehnung an euhemeristische Tradition nicht als Götter dar, sondern lässt sie nur in der Sicht der Menschen als solche aussehen. Was hier als eine Art passiver und unbeabsichtigter Vorgang geschildert wird, wird in Gylfaginning zur aktiven und bewussten Strategie.15
Anders als andere zeitgenössische Texte ist der Edda-Prolog in der Beurteilung der Heiden neutral und ohne Polemik, er legitimiert das Heidentum als Vorgänger des Christentums und nicht als dessen Gegner.16
Von der allgemeineren Erzählung der asischen Herrschaftsübernahme geht der Prolog zum Schluss über in eine exemplarische Darstellung: Explizit werden nun Óðinn und seine Leute als Æsir bzw. Asen, die aus Asía stammen, bezeichnet. Sie reisen durch Schweden und der dortige König Gylfi lädt sie zu sich ein. Auf den ersten Blick erscheint erzähllogisch nicht ganz klar, weshalb Gylfi bereits an dieser Stelle eingeführt wird – nach der kurzen Episode wird er erst wieder in Gylfaginning erwähnt. Der Prolog führt jedoch nochmals die Grösse der Asen vor:
En sá tími fylgði ferð þeira, hvar sem þeir dvǫlðust í lǫndum, þá var þar ár ok fríðr, ok trúðu menn at þeir væri þess ráðandi, því at ríkis menn sá þá ólika flestum mǫnnum ǫðrum at fegrð ok viti.17
Und solches Glück folgte ihrer Reise, wo auch immer sie sich aufhielten in den Ländern, war dort gute Ernte und Frieden, und die Menschen glaubten, dass sie die Urheber wären, weil mächtige Männer sahen, dass sie anders als die meisten Menschen waren in Schönheit und Weisheit.
Damit ist Gylfis Eintritt in die Erzählung erklärt: Die Macht der Asen wird durch die Anerkennung mächtiger Menschen legitimiert. Gylfi gehört als König in die Kategorie der mächtigen Männer. So bestätigt der Prolog Gylfi bereits vor seinem eigentlichen Auftritt in Gylfaginning als rechtmässige Gegenfigur für die Asen.
Der Schluss des Prologs im Codex Upsaliensis beleuchtet nochmals das Thema Sprache:
Þeir æsirnir tóku sér kvánfǫng þar innan lands ok urðu þær ættir fjǫlmennar um Saxland ok um norðrhálfuna. Þeirra tunga ein gekk um þessi lǫnd, ok þat skilja menn at þeir hafa norðr hingat haft tunguna í Noreg ok Danmǫrk, Svíþjóð ok Saxland.18
Die Æsir nahmen sich Ehepartner dort im Land, und diese Geschlechter wurden dort zahlreich rund um Sachen und um die Nordhälfte. Deren Sprache alleine ging durch diese Länder, und die Menschen verstehen, dass sie die Sprache hierher in den Norden nach Norwegen und Dänemark, Schweden und Sachsen gebracht haben.
Das Adverb hingat (hierher) macht deutlich, dass sich der Verfasser als dem Norden zugehörig ansieht und so auch den Rezipienten da verortet – parallel zur Funktion des Pronomens vér (wir), wie oben beschrieben. Das Potenzial von Sprache tritt nochmals in den Vordergrund: Die Asen bringen ihre Sprache und damit auch ihre herausragende Kultur in den Norden. Durch das Einheiraten und die Weitergabe der Sprache wird diese Kultur vererbt und das ausgezeichnete Wesen weitergegeben. Indem die Sprache gesprochen wird, wird das Wissen der grossen Vorfahren überliefert. Wie der gesamte Prolog in U ist auch diese Feststellung äusserst knapp gehalten. Man ist versucht, die ausführlicheren Erzählungen anderer Edda-Prologe oder aus der Heimskringla als vertiefte Argumentation dazu zu lesen. So wird z.B. in der Heimskringla Óðins herausragender Umgang mit Sprache hervorgehoben:
[…] at hann talaði svá snjallt ok slétt, at ǫllum, er á heyrðu, þótti þat eina satt. Mælti hann allt hendingum, svá sem nú er þat kveðit, er skáldskapr heitir. Hann ok hofgoðar hans heita ljóðasmiðir, því at sú íþrott hófsk af þeim í Norðrlǫndum.19
[…] dass er so eloquent und einschmeichelnd sprach, dass alle, die zuhörten, dachten, das Gesagte sei einzig wahr. Er sprach ganz in Reimen, so wie nun das gesagt wird, was Dichtung heisst. Er und seine Tempelpriester heissen Liederdichter, weil diese Fertigkeit bei ihnen im Norden angefangen hatte.
Ob diese expliziten Zusammenhänge zwischen Óðinn und der Dichtersprache auch für den Prolog von Codex Upsaliensis als intertextuelles Hintergrundwissen angenommen werden können, lässt sich nicht sagen. Es entspricht aber der allgemeinen Tendenz des Handschriftenverfassers, nicht immer alles auszuformulieren und explizit zu machen. Diese uneindeutige Art eröffnet gerade vielfältige Sinndimensionen und macht eine Lektüre so interessant.