Kitabı oku: «Toxische Männlichkeit. Erkennen, reflektieren, verändern. Geschlechterrollen, Sexismus, Patriarchat, und Feminismus: Ein Buch über die Sozialisierung von Männern.», sayfa 4

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Was ist toxische Männlichkeit?

Toxische Männlichkeit beschreibt problematische Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen, die sozialisationsbedingt an die traditionelle Männerrolle gekoppelt und eng mit patriarchalen Strukturen und hegemonialer Männlichkeit verknüpft sind und mit denen Jungen und Männer anderen und/oder sich selbst kurzfristig, mittelfristig oder auch langfristig schaden, andere diskriminieren, ausschließen und benachteiligen.

Die bereits vorgestellten Aspekte männlicher Sozialisation bereiten den Nährboden für toxisches Verhalten von Jungen und Männern oder sind bereits toxisch. Zunächst eine gute Nachricht: Da Geschlecht vor allem eine soziale Kategorie ist, kann toxische Männlichkeit, also problematische Denk-, Verhaltens- und Präsentationsweisen, aufgrund männlicher Sozialisation auch verändert werden.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass ein Teil toxischer Männlichkeit der übergriffige und gewalttätige Umgang mit anderen ist: Aus der Unterdrückung von Emotionen und dem daraus resultierend nicht gelernten Umgang mit diesen sowie aus dem häufigen Fehlen von gewaltfreien Lösungsstrategien resultieren Wut, Frustration und Ohnmachtsgefühle. Aus der Kombination mit Aggressionen und dem Wunsch, der männlichen Rolle zu entsprechen, Privilegien zu erhalten, die andere nicht haben dürfen, um sich selber aufzuwerten sowie alles Unmännliche abzustoßen, resultieren Übergriffe und Gewalt gegen Frauen sowie gegen alle anderen.

Zudem richten sich die Aggressionen auch gegen die Männer selbst und gegen andere Männer. Vermeintlich männliche Attribute, wie Härte, andere Menschen einschüchtern, Wettkampf, sich vergleichen und sich täglich mit anderen messen sowie ein stetiges Konkurrenzdenken, stehen im Mittelpunkt. Ziel für Männer ist es, permanent der Beste zu sein, Kontrolle zu gewinnen und diese zu behalten, nicht nachzugeben und keine Fehler einzugestehen. Dies wird versucht zu erreichen durch Leistungsfähigkeit, Belästigung und Grenzen ignorierendes Verhalten, Abwertung anderer, Raumaneignung, (sexuelle) Gewalt, risikoreiches Verhalten, Objektivierung und Sexualisierung, Bedrohung und Einschüchterung auch durch das Unterbrechen von Frauen, die eigene Präsentation als Allwissender oder das Ausgeben der Ideen von Frauen als die eigenen.

Guido Zurstiege (2001, S. 202) schreibt: „Einen Schritt weiter gehen einige Vertreter sowohl der angloamerikanischen als auch der deutschen Männerforschung, die die momentan vorherrschende Männerideologie als schädlich für alle Männer ansehen.“

Toxische Männlichkeit ist zu unterteilen in strukturelle sowie in individuelle Aspekte:

Strukturell bedeutet, dass die patriarchalen Strukturen hegemoniale Männlichkeit produzieren und somit Männer in allen Lebensbereichen bevorzugen, während Frauen strukturell benachteiligt werden.

Frauen verdienen weniger als Männer und erhalten ferner seltener die Möglichkeit, in eine Führungsposition zu gelangen oder werden am Arbeitsplatz diskriminiert, beispielsweise weil sie Kinder haben oder welche bekommen könnten.

Individuell bedeutet, dass Männer individuell übergriffig werden, Frauen (und andere marginalisierte Gruppen) abwerten, andere (sexuell) belästigen und benachteiligen, gewalttätig werden, sich nicht um sich und ihre körperliche und psychische Gesundheit kümmern, Raum einnehmen, der ihnen nicht zusteht oder (Ex-)Partnerinnen mit Kindern, Care-Arbeit und Haushalt alleine lassen. Es steht die individuelle Entscheidung und Tat des Einzelnen im Fokus.

Individuelle und strukturelle Anteile bedingen sich dabei gegenseitig und existieren in einer Wechselwirkung: Patriarchale Strukturen erschaffen eine hegemoniale, toxische individuelle Männlichkeit, jedoch sind es wiederum eben diese individuellen Anteile von Männern und die daraus hervorgehenden bewussten Entscheidungen – beispielsweise Männer in Einstellungsverfahren zu bevorzugen und Frauen zu benachteiligen –, die strukturelle patriarchale Bedingungen (re-)produzieren. Durch gesellschaftliche Vorstellungen und die tägliche (Re)Produktion von Geschlechterstereotypen, eingebettet in eine patriarchale Gesellschaft, wird männliches Verhalten, das dazu dient, Ambivalenzen und Unsicherheiten auszuhalten und zu kompensieren und von den mit Männlichkeit einhergehenden Privilegien zu profitieren, toxisch.

Simmel (1985, S. 201 in Döge/Meuser 2001, S. 11 f.) bringt es auf den Punkt: Er verweist auf den Zusammenhang zwischen Herren und Sklaven in Bezug auf Geschlechterverhältnisse. Es gehört „zu den Privilegien des Herrn, dass er nicht immer daran zu denken braucht, dass er Herr ist, während die Position des Sklaven dafür sorgt, dass er seine Position nie vergisst.“

Da toxische Männlichkeit Denk- und Verhaltensmuster von Männern negativ prägt und einen enormen gesellschaftlichen Schaden anrichtet, wird dringend eine psychologische und therapeutische Auseinandersetzung mit dem Thema benötigt. In den USA veröffentlichte im Jahr 2018 der nordamerikanische Psychologenverband „American Psychological Association“ (APA) erste Richtlinien für die Auseinandersetzung mit problematischen männlichen Geschlechterstereotypen (vgl. APA 2018). „Die Psychologen warnen darin: ‚Beschränkte Vorstellungen von Männlichkeit, die Aggressivität, Homophobie und Frauenfeindlichkeit betonen, können Jungs dazu veranlassen, einen Großteil ihrer Energie in schädliches Verhalten umzulenken, wie Mobbing, Spott gegenüber Homosexuellen oder sexuelle Belästigung – und nicht in gesunde schulische und außerschulische Aktivitäten.‘ Männlichkeit sei dann schädlich, so die Psychologen, wenn sie die eigene Stärke überhöht, Frauen und andere Männer, die nicht den Rollenklischees entsprechen, hingegen abwertet. Die Geschlechterforschung hat dafür den Begriff ‚toxische Männlichkeit‘ geprägt, was letztlich meint, dass die Art und Weise, wie Männlichkeit definiert und ausgelebt wird, allen schadet: Frauen, der Gesellschaft – aber vor allem auch Männern selbst. Männlich zu sein heißt in diesem Weltbild: keine Schwäche zeigen, Emotionen im Griff haben. Wut ist erlaubt, Fürsorge und Verletzlichkeit haben wenig Platz, stattdessen muss Männlichkeit immer wieder neu unter Beweis gestellt werden, körperlich und geistig, im ewigen Kräftemessen des Leistungskapitalismus – im Job wie im Privaten. Ein Mann muss risikobereit sein, mutig und stark.“ (Dörr 2019)

Robert Connell (vgl. 2000, S. 98) hat das Verhalten von Männern gegenüber anderen in vier Kategorien eingeteilt: Hegemonie (Männer, die Zugang zur patriarchalen Macht besitzen – dies sind in der Regel weiße heterosexuelle Männer), Unterordnung (Männer, die die hegemoniale Männlichkeit untergraben könnten, wie Männer mit vermeintlich weiblichen Eigenschaften oder homosexuelle Männer), Komplizenschaft (Männer, auch wenn sie nicht der aktuellen Norm männlicher Vorstellung entsprechen, profitieren von der patriarchalen Dividende – sie gehen aber daraus resultierend teilweise Kompromisse mit Frauen ein) sowie Marginalisierung (Männer, die zwar vom Patriarchat profitieren, selber aber auch Diskriminierungen beispielsweise aufgrund ihrer Hautfarbe erleben (Schwarze Menschen/People of Color).

Der Begriff „Toxische Männlichkeit“

Der Begriff, der heute in feministischen und soziologischen wie psychologischen Kontexten Bestandteil akademischer Auseinandersetzungen bezüglich geschlechterspezifischen Verhaltens und Gewalt ist, hat seine Idee in der mythopoetischen Männerbewegung der 1980er- und 1990er-Jahre. Terry A. Kupers führte den Begriff der toxischen Männlichkeit in einem an TherapeutInnen und PsychologInnen gerichteten Aufsatz ein, um die problematischen Verhaltensweisen von Männern im System von Gefängnissen zu benennen (vgl. Kupers 2005, S. 713 – 724).

Der Begriff toxisch kommt aus dem Englischen und bedeutet giftig. „Toxische Männlichkeit“ beschreibt also eine „giftige Männlichkeit“. Giftig impliziert hierbei, dass Männlichkeit für andere, aber auch für den Mann selbst giftig ist. Schädliches und tödliches Gift ist per se nicht Teil des Menschen/des Mannes (oder der gesellschaftlichen Strukturen), es entsteht durch männliche Sozialisation und durch patriarchale Strukturen – und kann ausschließlich durch aktives Handeln abgebaut werden, da das Gift der Sozialisation und der patriarchalen Strukturen permanent wirkt und sich nicht eigenständig zersetzt. Der Begriff der toxischen Männlichkeit ist eine „zielführende Krücke“, unter der alle problematischen Denk- und Verhaltensweisen toxischer Männlichkeit subsumiert und mittlerweile allgegenwärtig im öffentlichen Diskurs thematisiert werden. Durch den Begriff wurde ein schwer zu fassendes Problem diskutierbar und thematisierbar – es wurde fassbar.

Es wird in dem Zusammenhang von schädlichem Verhalten von Männern auch von „toxic masculinity“ gesprochen oder auch von „kritischer Männlichkeit“. Während ersteres die englische Original-Bezeichnung darstellt, ist der Begriff „kritische Männlichkeit“ ebenfalls nur ein Oberbegriff und stellt wie toxische Männlichkeit nur eine Krücke dar. Denn: Die Männlichkeit an sich kann niemals kritisch sein, höchstens der Umgang mit ihr. Aber auch hier geht es darum, durch Begrifflichkeiten nur schwer fassbare soziologische Erkenntnisse in Worte zu fassen, damit sie in die Öffentlichkeit transportiert und thematisiert werden können. Jedoch fehlt hier aus semantischer Sicht die Benennung der problematischen Anteile männlicher Sozialisation, der für andere Menschen und die Männer selber schädlich ist. Semantisch sinnvoller wäre beispielsweise die Formulierung „kritische Männerforschung“.

Es wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob es eine nicht toxische Männlichkeit überhaupt geben kann. Das grundsätzliche Problem besteht vor allem darin, dass bestimme Fähigkeiten nur dem einen oder nur dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden. Durchsetzungsfähigkeit ist beispielsweise zunächst keine problematische Eigenschaft, doch durch die Zuschreibung an Männer wird sie Frauen abgesprochen, beziehungsweise werden durchsetzungsstarke Frauen als unangenehm und hysterisch bewertet, Männer hingegen als selbstsicher und zielorientiert. Toxisch wird das Verhalten, wenn beispielsweise Durchsetzungsfähigkeit als Mittel eingesetzt wird, durch welches andere Menschen oder der Mann selber kurz-, mittel- oder langfristig zu Schaden kommen, andere benachteiligt oder patriarchale Strukturen (re)produziert werden.

2. Wo zeigt sich toxische Männlichkeit?

Toxische Männlichkeit zeigt sich in allen Lebensbereichen – individuell sowie strukturell. Damit einzelne Aspekte im vorliegenden Buch schneller gefunden werden können, sind die Bereiche untergliedert in:

•Männer als Gewalttäter

•Männer im öffentlichen Raum

•Männer am Arbeitsplatz

•Männer und Sexualität

•Männer in der Familie und Partnerschaft

•Männer und ihre Gesundheit

Diese Einteilung wird auch im Kapitel mit den Lösungsansätzen für den eigenen Umgang mit toxischer Männlichkeit für eine einfachere Orientierung beibehalten.

2.1 MÄNNER ALS GEWALTTÄTER

Gewalt ist ein männliches Phänomen. Bedingt durch die männliche Sozialisation und patriarchale Strukturen sind es fast ausschließlich Männer, die gewalttätig werden – gegenüber anderen Männern, gegenüber allen marginalisierten Menschen und gegenüber Frauen. Zu beachten ist, dass sich das Risiko, Gewalt zu erfahren, erhöht, wenn sich unterschiedliche Diskriminierungsformen miteinander verschränken und somit potenzieren (Intersektionalität1). Beispielsweise potenziert sich das Risiko einer Frau, Gewalt zu erleben, wenn sie zudem Schwarz und lesbisch ist und eine Beeinträchtigung hat.

Häusliche Gewalt und Femizide

Die Zahlen der kriminalstatistischen Auswertung des Bundeskriminalamts (vgl. 2018) zur Gewalt in Partnerschaften sind erschreckend: 2017 wurden 138.893 Menschen statistisch erfasst, die in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner misshandelt, gestalkt, bedroht oder getötet wurden. Darunter waren 113.965 Frauen (82 %). Im Jahr 2018 stieg diese Zahl auf 114.393 an (vgl. Suhr 2019). Die Dunkelziffer wird laut ExpertInnen um einiges höher sein.

Die Bundesfamilienministerin Giffey verwies zudem auf die hohe Zahl an getöteten Frauen: 147 Frauen sind 2017 von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018b), also an ca. jedem zweiten bis dritten Tag eine Frau. 2018 ermordeten Partner oder Ex-Partner 122 Frauen (vgl. Suhr 2019). 2019 starben durch männliche (Ex-)Partner 135 Frauen (vgl. One Billion Rising 2019). Die Zahl der Femizide sowie häuslicher Gewalt ist Anfang 2020 noch einmal im Kontext der Ausgangsbeschränkungen aufgrund des Corona-Virus gestiegen. Es ist wichtig zu benennen, dass die Gewalt sich nicht nur auf die Partnerin erstreckt, sondern meist auch Kinder mit einschließt – selbst beim Femizid töten die mordenden Männer oftmals auch ihre Kinder oder versuchen dies. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächlichen Zahlen viel höher sind. Wenn Totschlag dazu gerechnet wird, dann tötet allein in Deutschland jeden Tag ein Mann eine Frau.

Anmerkung: Viele Männer ermorden ihre Ex-Partnerin, da sie es nicht ertragen, dass sich ihre ehemalige Partnerin von ihnen getrennt hat – nach der Devise: „Es wird sich nicht von Männern getrennt, sondern Männer trennen sich von Frauen.“ Männliche Geschlechtervorstellungen spielen hierbei eine große Rolle: Männer müssen die Macht in allen Lebensbereichen, so auch in der Partnerschaft und Familie innehaben. Sie entscheiden, ob und wann eine Beziehung vorbei ist. Trennen sich Frauen von ihrem Partner, kollidiert dies mit dem „männlichen Kontrollanspruch“, was in den schlimmsten Fällen darin endet, dass Männer ihre Ex-Partnerin ermorden – nach dem Motto: „Wenn ich sie nicht haben kann, dann darf sie auch niemand anderes haben.“

All dies sind dann Fälle, die in der Presse als Familiendrama oder Beziehungstat deklariert werden, um patriarchale Strukturen und Gewalt an Frauen zu verschleiern und zu verharmlosen. Im Januar 2020 wurde verkündet, dass die Deutsche Presse-Agentur (DPA) verharmlosende Begriffe, die den Opfern eine Mitschuld suggerieren, nicht mehr verwenden wird: Darunter fallen die Begriffe Beziehungsdrama, Familientragödie, Familiendrama und Ehetragödie. Froben Homburger (DPA-Nachrichtenchef) twitterte (Frauensicht.CH 2020): „Drama und Tragödie rücken Mord und Totschlag in die Nähe eines schicksalhaften Geschehens, in dem Opfer- und Täterrolle zu verschwimmen scheinen: Ist der Täter nicht auch irgendwie Opfer (etwa einer zerrütteten Beziehung) – und hat das Opfer daher nicht auch Anteil an der Tat?“ Auch Begriffe wie Sex-Täter oder Sex-Attacken werden verboten, da durch die Verwendung dieser Begriffe vermittelt wird, dass sexualisierte Gewalt etwas mit Sex und natürlichen Bedürfnissen zu tun habe, wodurch verschleiert wird, dass es sich dabei um Gewalt handelt. Es stellt sich die Frage, was ein „Sextäter“ getan hat? Hat er Sex gehabt? Es wird deutlich, dass die Gewalt an Frauen durch derartige Formulierungen unsichtbar gemacht wird.

Ein weiterer Aspekt, der die Täter bei Gewalt gegen Frauen unsichtbar macht, ist die Verwendung des Passivs: Es wird in den Medien geschrieben, dass Frauen von Männern getötet, angegriffen oder vergewaltigt werden – jedoch nicht, dass Männer Frauen getötet, angegriffen oder vergewaltigt haben. Die Täterschaft wird durch das Passiv relativiert und heruntergespielt – die Wirkung auf Lesende ist eine andere als bei der Verwendung des Aktivs.

Sexuelle Gewalt

Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (vgl. 2004, S. 29) wurde fast jede siebte Frau (13 %) in Deutschland bereits vergewaltigt, hat eine versuchte Vergewaltigung erlebt oder sexuelle Nötigung – einige davon mehrfach. 40 % der befragten Frauen gaben an, sexuelle oder körperliche Gewalt seit ihrem 16. Lebensjahr erfahren zu haben, 58 % sexuelle Belästigung, 42 % psychische Gewalt und 25 % körperliche oder sexuelle Gewalt (oder beides) durch den aktuellen oder Ex-Partner. Täter bei sexueller Gewalt sind bis zu 99 % männlich und weniger als 1 % weiblich, bei sexueller Belästigung sind 97 % männlich und 2 % weiblich (vgl. TERRE DES FEMMES b). 94 % aller Vergewaltigungsopfer sind Mädchen oder Frauen (vgl. Britzelmeier 2016). Die vermeintlich hohen Zahlen von Falschbeschuldigungen liegen gerade einmal bei 3 % (vgl. TERRE DES FEMMES b).

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (vgl. 2018a) konstatiert, dass bei Vergewaltigungen und sexueller Nötigung in Partnerschaften die Opfer zu fast 100 % Frauen sind. Amnesty International kommt zu dem Ergebnis, dass jede fünfte Frau körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt hat (vgl. Van Aaken 2001). Davon angezeigt wird aber laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (vgl. 2004, S. 19) nur ein Bruchteil – in Deutschland beträgt die Zahl der Anzeigen gerade einmal 8 %. Da viele Frauen mehrfach vergewaltigt werden, bedeutet dies, dass weniger als 5 % aller Sexualstraftaten überhaupt angezeigt werden, nur jede 13. der überhaupt bekannten und angezeigten Vergewaltigungen endet mit einer Verurteilung (vgl. TERRE DES FEMMES b). Das sind weniger als 1 %. Bei einer EU-Umfrage sagten 77 % der Befragten aus, dass der Täter kein Unbekannter gewesen war (vgl. Britzelmeier 2016).

Das Ausmaß ist viel höher

Diese Zahlen spiegeln bei Weitem nicht das wirkliche Ausmaß der (sexuellen) Gewalt gegen Frauen wider. Es fehlen Vergewaltigungen im Kontext von Prostitution, von Pornografie sowie von Gewalt unter der Geburt. Es fehlen Situationen, die beispielsweise durch K.-o.-Tropfen oder unter Narkose herbeigeführt wurden und die im Nachhinein für Frauen oftmals gar nicht einordbar sind, da sie sich nicht richtig an das Erlebte erinnern können. Auch fehlen detaillierte Erinnerungen an Missbrauchserfahrungen aus der Kindheit, die meist weitestgehend abgespalten wurden. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass Vergewaltigung in der Ehe erst seit 1997 in Deutschland als Straftatbestand eingestuft wird und 2004 (!) den rechtlichen Status des Offizialdelikts2 erhielt (vgl. Mundlos 2013, S. 176). Viele ältere Generationen von Frauen sind damit aufgewachsen, dass sie „eheliche sexuelle Pflichten“ zu erfüllen hätten und ordnen dies bei Befragungen auch dementsprechend ein. Geprägt durch Pornografie ist das heutige Sexualleben viel gewalttätiger als noch vor 20 Jahren. Junge Mädchen berichten, dass Analsex, Cumshots3 oder Deep Throats4 beispielsweise zum „Standard-Programm“ gehören und von ihnen erwartet werden. Ebenso, dass Frauen von Männern gewürgt werden oder dass Männer, ohne dass Frauen dies wissen, kurz vor dem Samenerguss heimlich das Kondom abziehen (Stealthing). All diese Formen von sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen sind nicht in den Befragungen und Fragebögen berücksichtigt. Die Soziologin Mundlos schlägt vor, dass Frauen am Ende ihres Lebens unter Berücksichtigung einer eindeutigen Definition von sexueller Gewalt befragt werden. Die Definition muss den Frauen vorher mitgeteilt werden. So kann ein valides Ergebnis erzielt werden. Nur dann ist es möglich, tatsächliche Zahlen zu sexueller Gewalt zu erheben.

Abschließend ist anzumerken, dass auch die Zahlen zu sexueller Belästigung fragwürdig sind. Es wird keine Frau geben, die noch keine sexuelle Belästigung und keinen Sexismus erlebt hat. Das wäre ungefähr so, als wenn behauptet würde, dass nur ein gewisser Prozentsatz Schwarzer Menschen Rassismus erfahren hätte.

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352 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783949104046
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