Kitabı oku: «Celeste - Siehst du mich?», sayfa 3
Celeste spürte, wie Wind aufkam und die Blätter um sie herum zum Rascheln brachte. In der Luft waren die leisen Töne einer Harfe zu hören. Melinas Macht entfaltete sich. Auch wenn sie nicht als Waldnymphe geboren wurde, konnte sie doch an uralte Rituale anknüpfen.
Leises Lachen drang an ihre Ohren. Durch die herabfallenden Sonnenstrahlen sah der Moment noch magischer aus, als sich Wesen aus den Bäumen lösten. Auch wenn Celeste noch keine Dryade gesehen hatte, wusste sie, dass es diese Baumgeister gab. Sie waren mit den Nymphen verwandt, doch zogen sie es vor, lieber im Verborgenen zu leben.
Drei Frauen lösten sich von den Bäumen. Statt Händen wiesen sie Wurzeln auf, mit denen jede der Dryaden einen der gefallenen Krieger umschlang. Langsam zogen sie die reglosen Körper über den Boden, ehe sie sie fast schon liebevoll in die Arme schlossen.
Melina hielt noch immer ihre Augen geschlossen, doch Celeste sog den Anblick regelrecht in sich ein. Rückwärts bewegten sich die magischen Wesen zu ihren Bäumen zurück, aus denen sie gekommen waren. Nach und nach verschmolzen sie wieder mit den Stämmen, wobei die Krieger zusammen mit ihnen verschwanden. Sie waren schon nicht mehr zu sehen, da erklang noch einmal das glockenhelle Lachen, dann war es wieder ruhig. Melina beendete ihre Magie, dann öffnete sie ihre Augen.
Wie gebannt starrte Celeste ihre Freundin an. Das Blau ihrer Augen war nun noch dunkler und sie hätte schwören können, dass sie Sterne in ihnen erkannte. Eine bleierne Müdigkeit ergriff von ihr Besitz. Mit den Händen hielt sie sich an dem Baumstamm fest, auf dem sie saß.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Melina besorgt.
„Ich bin auf einmal so müde“, antwortete Celeste mit schwerer Zunge. Es war, als ob sich ein Nebel über ihre Gedanken legte. Sie merkte kaum, wie Melina ihren Körper auffing, ehe er auf dem Boden aufschlug.
„Ist schon gut, schlaf ein bisschen. Wenn du aufwachst, wird es dir besser gehen.“
Celeste verstand die Worte kaum noch, da versank sie auch schon in seliger Dunkelheit. Ihr Körper entspannte sich, während ihr Atem immer langsamer wurde.
London
Ian starrte in den Himmel und saugte die Geräusche um sich herum auf. Das Gezwitscher der Vögel erinnerte ihn daran, dass es Frühling war. Er hatte sich einen Mietwagen genommen und war über eine Stunde lang in den Epping Forest gefahren. Es war ein kleines Stück Grün, nicht länger als achtzehn Kilometer, aber Ian verschlug es bei jedem seiner Besuche in London hierher. Er hatte Glück, außer ihm war kaum eine Menschenseele unterwegs.
Als plötzlich wie aus dem Nichts jemand neben ihn trat, zuckte er erschrocken zusammen. Durch einen Seitenblick erkannte er die Frau wieder, die er in Griechenland getroffen hatte. Nur trug sie heute kein Kleid, sondern war dem Londoner Wetter angepasst. Ihr langer Mantel bewegte sich leicht im aufkommenden Wind.
„Möchtest du mich denn nichts fragen?“
Ian schüttelte unwillkürlich den Kopf, sagte dann aber: „Ich bin mir nicht sicher, was genau ich fragen soll.“
„Doch, das weißt du.“ Die Frau lächelte ihn aufmunternd an, doch er hielt es für besser, sich erst einmal zurückzuhalten.
Als sie seine linke Hand ergriff, widerstand er dem Reflex, vor ihr zurückzuweichen. Immerhin befand er sich zur Mittagszeit mitten in einem Wald. Dazu war er ein Mann und sie eine Frau. Doch das unbestimmte Gefühl einer Gefahr ließ sich einfach nicht unterdrücken.
Die Frau schaute sich nachdenklich seine Handfläche an, die nur wenige helle Linien aufwies. Die meisten Schnitte, die er sich selbst zuzog, verheilten schnell wieder. Aber bei einigen Geistern, die wirklich Schaden anrichteten, dauerte es länger. Und ab und zu blieb eben doch einmal eine Narbe zurück. Er hatte schon der ein oder anderen Frau erklären müssen, dass diese Narben aus der Zeit stammten, in der er seinen Eltern im Pub geholfen hatte.
„Du bist einer der wenigen Sterblichen, dessen Fantasie ihm dabei helfen wird, die bevorstehende Aufgabe zu bewältigen.“ Als sie seine Hand losließ, kribbelte seine Haut an den Stellen, an denen sie ihn berührt hatte.
„Ich möchte dir aber noch ein bisschen Zeit geben. Trotzdem bin ich mir sicher, dass du dann noch mehr Fragen haben wirst. Jetzt lasse ich euch aber erst einmal allein.“ Die Frau lächelte ihn an, dann drehte sie sich um und verschwand.
Ian starrte ihr hinterher und war nicht verwundert, dass sie schon nach kurzer Zeit nicht mehr zu sehen war. Kopfschüttelnd dachte er an ihre Worte.
„Was meint sie mit ‚ich lasse euch allein‘?“, murmelte er verwundert vor sich her. Soweit er es beurteilen konnte, war er allein im Wald.
Doch dann hörte er auch schon die Melodie, die leise an seine Ohren drang. Langsam drehte er sich einmal um die eigene Achse. Ihm stockte regelrecht der Atem, als er die durchscheinende Gestalt bemerkte, die im Schatten eines Baumes stand und ihn misstrauisch beobachtete. Ihre Erscheinung verschwamm immer wieder, doch er war sich ziemlich sicher, dass es sich bei dem Geist um eine Frau handelte. Nur eben nicht um die, die er in dem Haus in Chinatown gesehen hatte. Anders als eben überkam ihn nicht das Gefühl, in Gefahr zu sein.
„Du weißt, dass es mitten am Tag ist, oder? Du bist der erste Geist, der einen Wald nicht nachts heimsucht.“ Seine Worte waren eher dazu gedacht, sich selbst zu beruhigen. Selbst in seinen eigenen Ohren klang er hörbar nervös.
Der Geist bewegte sich nicht, sondern zog einfach ein Schwert aus einer Scheide hinter dem Rücken.
„Woah!“, stieß Ian aus. Mit angehaltenem Atem und klopfendem Herzen sah er dabei zu, wie die Geisterfrau ein Fragezeichen auf den Boden malte. Er wollte es nicht zugeben, aber seine Beine fühlten sich wackelig an, als er zögernd näher heranging, um vielleicht einen besseren Blick auf den Geist zu erhaschen. Ihr Mund bewegte sich, das konnte er erkennen, aber weder hörte er etwas, noch konnte er etwas an ihren Lippen ablesen.
„Weißt du, du bist jetzt der zweite Geist, den ich deutlich sehen kann. Na ja, zumindest deutlicher. Die anderen waren bisher nur Schemen oder auch nur Lichter. Und normalerweise sehe ich euch nur nachts.“ Wieder fuhr sie mit der Schwertspitze das bereits gemalte Fragzeichen nach.
„Was genau möchtest du denn wissen?“ Er konnte die Frustration der Geisterfrau beinahe körperlich spüren. Kurz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er das hier vielleicht lieber für sich behalten sollte. Es fiel ihm ja selbst schwer, das zu akzeptieren, was er mit seinen eigenen Augen sah und was er deutlich spürte. Wie konnte ihm dann jemand anderer glauben? Selbst bei James wusste er nicht richtig, ob sein Freund ihn dann nicht für verrückt halten würde.
Der Geist deutete mit der Hand auf ihn und legte dann den Kopf schräg.
„Du möchtest wissen, wer ich bin?“ Der Geist nickte und Ian konnte das Anzeichen eines Lächelns auf dem Gesicht erkennen, das er noch immer nicht so recht zu fassen bekam. Vielmehr schien es ihm, als ob ihr Körper immer dunkler wurde und fast mit dem Schatten des Baumes verschmolz.
„Ich heiße Ian. Ian McMillan.“ Wieder bewegten sich die Lippen und wieder hörte er keinen Ton.
„Kannst du mir deinen Namen verraten?“ Die Fremde hob das Schwert, doch letztendlich konnte Ian nicht mehr sagen, was sie damit vorhatte, denn ihre Gestalt wurde nun sichtbar dunkler, bis sie vollends verschwunden war.
Ian trat an die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte. Die Melodie war ebenfalls verschwunden. Über sich hörte er eine Krähe und in einiger Entfernung das Lachen eines Paares, das nach ihrem Hund rief. Doch er blieb einfach stehen. Was fühlte er? Angst, Neugier und auch Faszination. Konnte er glauben, was er gerade gesehen hatte? Oder sollte er es lieber ignorieren?
Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich losreißen konnte und sich auf den Rückweg zu seinem Mietwagen machte. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu den beiden weiblichen Wesen zurück, die ihm viel Stoff zum Nachdenken gegeben hatten.
Edrè
„Celeste, du musst langsam aufwachen.“
Sie spürte eine warme Hand an ihrem Gesicht, doch nur mit Mühe konnte sie sich aus der angenehmen Atmosphäre ihres Schlafes herausziehen. Immer wieder wollte ihr Unterbewusstsein abdriften, doch die Stimme hinderte sie daran. Erst nach einiger Zeit merkte Celeste, dass es Melina war, die die ganze Zeit mit ihr sprach.
Als sie schließlich flatternd ihre Lider öffnete, sah sie sich einer besorgten Bergnymphe gegenüber, die ihr einen Becher Wasser an die Lippen hielt. Ohne einen Laut des Widerwillens von sich zu geben, schluckte sie die Flüssigkeit zusammen mit den Kräutern hinunter. Ihr Hals kratzte und ihr Nacken war steif, doch ansonsten ging es ihr gut.
„Was ist passiert?“, fragte sie.
„So genau weiß ich das nicht. Anfangs dachte ich, dass meine Magie dir Energie genommen hat und du deshalb so müde wurdest. Ich habe so etwas noch nie gemacht, wenn ein Mensch in der Nähe war. Aber du warst mit einem Mal so tief eingeschlafen, dass sich sogar dein Herzschlag extrem verlangsamt hat. Ich wusste, dass irgendetwas nicht stimmt.“
„Ich habe seltsam geträumt und dann habe ich deine Stimme gehört.“
Noch immer sah Melina sie besorgt an. „Kannst du aufstehen und ein paar Schritte gehen? Ich möchte sichergehen, dass dein Kreislauf nicht zusammengebrochen ist.“
Nachdem Melina ihr geholfen hatte, sich aufzusetzen, stand sie aus eigener Kraft heraus auf. Nachdem sie ein paar Mal tief eingeatmet hatte, fühlte sie sich auch schon wesentlich besser. Nur ein paar Schritte von ihnen entfernt saß Azia auf einem Ast. Die Augen des Adlers waren unablässig auf Celeste gerichtet. Sie warf ihr ein beruhigendes Lächeln zu, ehe sie Melinas Bitte nachkam und einmal im Zickzack durch die Bäume lief.
Sie hörte, wie ihre Freundin erleichtert ausatmete, während Azia einen hohen Ton ausstieß. Sie wusste, dass auch das Tier sich große Sorgen gemacht hatte.
Es dauerte nicht allzu lang, da war Celeste wieder ganz und gar die Dunkle, deren Ausbildung ihr ein ums andere Mal das Leben rettete. In einiger Entfernung hörten sie erneut Geräusche, die nicht in den Wald passten.
„Wir sollten aufbrechen“, sagte sie an Melina gewandt. Sie erkannte, dass die Bergnymphe ihr anfangs widersprechen wollte, doch dann siegte die Logik. Es war anzunehmen, dass noch mehr Monster im Wald unterwegs waren. Und Celeste musste dringend den Tempel erreichen und das am besten lebendig.
Thalia wischte mit den Fingerspitzen über eine flache goldene Schale, in der sich dunkler Sandbefand. Sie mochte den daraus aufsteigenden Geruch, verriet er ihr doch, dass selbst in diesem kleinen Teil der Außenwelt Leben entstehen konnte. Leise murmelte sie Worte aus alten Gebeten, die sie vor langer Zeit in alten Büchern gefunden hatte. Die Hellen flogen aufgeregt um sie herum, nur die Weise Danae wich nicht von ihrer Seite.
Als sie spürte, wie die einzelnen Sandkörner sich von allein bewegten, zog sie ihre Hand zurück und stellte die Schale auf den Boden vor sich. Nachdem sie sich selbst auf dem kalten Stein niedergelassen hatte, kristallisierte sich ein Frauengesicht aus dem Sand.
Als ihr das beim ersten Mal passiert war, hatte sie vor Schreck die Schale fallen lassen. Es hatte sie über einen Monat gekostet, das heilige Ritual zu wiederholen, denn das Gesicht war spürbar beleidigt gewesen.
„Was bedrückt dich, Thalia?“, hörte sie auch schon die bekannte Stimme zu ihr sprechen.
Nervös sah sie sich noch einmal um. Sie konnte nicht vorsichtig genug sein. Wenn ihr Bruder wüsste, was sie hier unten in seinem Schloss trieb, hätte er sie vermutlich bereits vor die Tür gesetzt. Und im Grunde genommen konnte sie ihm das nicht einmal verdenken. Immerhin hatte sie sich lange schwer damit getan, welche Kräfte sie entwickelt hatte.
„Ich fühle mich nicht gut“, antwortete sie auf die Frage hin.
„Was meinst du? Sind deine gesundheitlichen Beschwerden zurückgekommen?“
Thalia schüttelte den Kopf, wusste aber nicht, ob ihr Gesprächspartner das sehen konnte. Als Kind war sie ständig krank gewesen. Es schien fast so, als ob ihr Körper nicht bereit wäre, um in der Welt zu verweilen. Dadurch war sie zeit ihres Lebens isoliert gewesen. Nur durch ihre Familie hatte sie den Kontakt zur Außenwelt nicht verloren.
„Ich meine, ich fühle mich unwohl bei dem Gedanken, dass ich Celeste nicht die ganze Wahrheit gesagt habe.“
Das Gesicht im Sand bewegte sich, Thalia konnte genau sehen, dass die Frau die Stirn runzelte.
„Das verstehe ich. Aber die Gründe dafür habe ich dir erklärt. Manchmal ist es für euch Sterblichen gut, nicht immer alles zu wissen. Eure Ängste beherrschen euch zu sehr. Und deine Nichte hat eine Aufgabe vor sich.“
„Kann ich denn nichts tun, um ihr zu helfen?“
„Das machst du schon, indem du meinen Anweisungen folgst.“
Thalia spürte, dass das Gespräch sich langsam dem Ende zuneigte. Sie konnte es an der Ungeduld in der Stimme hören.
„Ich danke dir, dass du erschienen bist.“
Der Kopf im Sand neigte sich leicht zur Seite, dann verschwand er. Zurück blieb eine ebene Fläche in der Schale. Ihre Knochen schmerzten, als Thalia schließlich aufstand und zum einzigen Fenster im Raum ging, das ihr einen magischen Blick auf die Außenwelt gewährte.
Ihr Blick schweifte in die Ferne, über die Häuser und die Menschen hinweg. Auch wenn sie sich rein technisch gesehen unterhalb der Erde befand, hatte sie bereits einen Großteil ihres Lebens vor dieser Scheibe aus magischem Glas verbracht, die ihr mehr verriet als ein tatsächlicher Blick aus einem der höher gelegenen Stockwerke. Die Sorge verknotete sich in ihrem Magen und hinterließ ein Gefühl des Versagens bei ihr.
Celeste lachte auf, als sie von Ophir auf den Rücken geworfen wurde und sein Fell sie im Gesicht kitzelte. Bevor er jedoch seine Zunge hervorholen konnte, stemmte sie die Hände gegen seinen riesigen Kopf.
„Oh nein, du Riesenkatze. Du weißt genau, dass ich es nicht leiden kann, wenn du mich abschleckst.“
Der geflügelte Löwe über ihr prustete voller Unwillen, ließ aber erst einmal von ihr ab. Als Celeste sich wieder aufsetzte, fiel ihr Blick auf Azia. Ihr Adler saß auf einem Felsen, den Kopf aufmerksam zur Seite gelegt. Doch ihr Blick verriet jedem, was sie jetzt wohl gern machen würde.
„Ach komm schon, Azia. Du musst nicht eifersüchtig sein.“
Als der Adler sich sichtlich beleidigt einfach umdrehte, war es diesmal Melina, die sich ihr Lachen nicht verkneifen konnte. Schließlich stand Celeste wieder auf und streckte ihren schmerzenden Körper der Sonne entgegen, die nun ungehindert zu sehen war. Auch wenn sie langsam wieder unterging. Es hatte sie fast den ganzen Tag gekostet, den restlichen Teil des Waldes zu durchwandern.
Als sie Melinas Reittier genug gestreichelt hatte, schirmte sie ihre Augen vor den Sonnenstrahlen ab und schaute den Berg hinauf. Nur wenige kannten den Pfad, der zum Tempel hinaufführte. Und noch weniger hatten das Glück, eine Bergnymphe zur Freundin zu haben, die einen begleitete.
Doch bevor sie sich an den Anstieg machte, drehte sie sich noch einmal um. Ihr Blick schweifte durch den dichten Wald, bis er links von ihr an einer aus Stein gemauerten Hütte hängen blieb.
„Und du bist dir sicher, dass es die Weise Danae war, die du bei deiner Tante angetroffen hast?“, fragte Melina.
„Ja.“ Ihre Freundin musste gar nicht aussprechen, dass das ein weiteres dunkles Zeichen war. „Lass uns in der Hütte nachschauen“, sagte Celeste.
Um sie herum waren nur die Bewohner des Waldes als Geräusche zu hören, daher zog keiner der beiden eine Waffe. Doch trotz allem gingen sie langsam und vorsichtig auf das Zuhause der Weisen zu. Celeste umrundete das Gebäude und fand auf der Rückseite ein klaffendes Loch vor. Melina pfiff durch die Zähne, als auch sie die Zerstörung sah.
„Ein Monster?“
„Ja, ich denke schon“, antwortete Celeste.
Als sie durch das Loch die Hütte betrat, schlug ihr sofort der Geruch nach verbranntem Holz entgegen. Blutspuren befanden sich auf dem Boden und an den Wänden. Doch die rote Lebensessenz war bereits so getrocknet, dass sie keinerlei Geruch mehr abgab. Tiefe Kratzspuren im Stein verriet ihnen, dass das Monster große Krallen und viel Kraft besessen haben muss.
„Sie wurde also von einem Monster überfallen, getötet und wahrscheinlich verschlungen“, fasste Melina das Offensichtliche zusammen.
Celeste nickte zustimmend, bevor sie einen Bilderrahmen aufhob, der beim Kampf zerbrochen war. Das Foto war angesengt, doch sie konnte noch eine junge Frau erkennen, die lächelnd in die Kamera sah. Das musste die Weise sein, bevor sie in den Wald gezogen war, um hier ihre Gebete ungestört sprechen zu können. Denn seit Celeste denken konnte, hatte noch niemand Danae lächeln gesehen.
„Warum ist ihre Seele dann bei deiner Tante gelandet? Warum hat sie dich dorthin gelockt?“, sprach Melina ihre Gedanken laut aus.
Celeste sah ihre Freundin ratlos an. „Ich weiß es nicht. Mir ist bereits durch den Kopf gegangen, dass man mich in eine Falle locken könnte. Aber wozu? Um Lösegeld von meiner Familie zu erpressen? Um mich zu töten? Wer hätte etwas davon?“
„Vielleicht deine Rivalen in deiner Einheit?“
Celeste schüttelte den Kopf. „Sie würden sich nicht solch einen Plan ausdenken. Jeder Konflikt wird immer sofort angesprochen und gelöst. Außerdem hätten sie dann mit Thalia Kontakt aufnehmen müssen, um die Falle aufzustellen.“
Melina fuhr mit den Fingerspitzen über die tiefen Kratzspuren an der Wand neben ihr. „Dein Gefühl sagt dir, dass du den Worten deiner Tante glauben kannst. Und es sagt dir, dass du so schnell wie möglich zum Tempel gelangen solltest.“
„Ja.“
„Dann solltest du darauf vertrauen. Es kam seit Jahrzenten nicht mehr vor, dass eine Weise eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Wir haben in kürzester Zeit bereits zwei Monster getroffen. All das sind Hinweise, die wir nur noch entschlüsseln müssen.“
Da Celeste ihrer Freundin nur zustimmen konnte, verließen sie den Ort, an dem ein Leben so gewaltsam beendet wurde. Das Haus würde irgendwann verfallen und der Wald würde sich jeden Millimeter Boden zurückerobern. So verlangte es das Gesetz der Natur.
Azia hatte unterdessen auf dem Felsen auf sie gewartet, genauso wie Ophir, der sich dicht an Melinas hochgewachsene Gestalt schmiegte, als diese sich neben ihn stellte. Celeste nahm in Gedanken Kontakt mit Azia auf, die nur widerwillig auf ihren Arm flog. Es brauchte ein paar Streicheleinheiten und ein Stück Fleisch aus ihren Vorräten, doch dann entspannte sich der Adler endlich.
Die zwei Frauen und die zwei Tiere legten das erste Stück des Weges zu Fuß zurück, denn ansonsten konnten sie den Eingang zu einem Geheimgang leicht übersehen. Nacheinander schlüpften sie durch den schmalen Spalt, der in das Innere des Berges führte.
Zum Glück konnte Ophir sich so strecken, dass auch sein massiger Körper hindurchpasste. Azia hatte bequem auf Celestes Schulter Platz genommen und sah den geflügelten Löwen hochmütig an. Erst als Ophir seine messerscharfen Zähne zeigte, drehte sich der Adler weg.
Stickige Luft und magische Fackeln an den Wänden begrüßte sie, während sie langsam weiterliefen.
„Ich weiß immer noch nicht, warum dieser Tempel nicht aus der Luft erreicht werden kann. Es wäre so leicht, einfach hinzufliegen“, murrte Melina, die es selten lassen konnte, sich über die Menschen aufzuregen.
„Genau deswegen. Es wäre zu einfach“, antwortete Celeste. Doch auch Celeste musste gestehen, dass ihr ein anderer Weg lieber gewesen wäre.
Zu ihren eigenen Gefühlen bezüglich der massigen Wände und der Enge kam noch Azias Angst hinzu, die ein Geschöpf der Luft war und nur Celeste zuliebe mitreiste. Sie konnte sich auch nicht auflösen und die Gänge einfach so passieren. An fast jeder Ecke wartete eine Falle auf ungeschickte Reisende. Melina und Celeste wechselten sich dabei ab, diese zu entschärfen, damit sie ungehindert passieren konnten.
„Wirst du deinem Bruder sagen, dass du mich zum Tempel begleitet hast?“, fragte Celeste, um sich von der beklemmenden Umgebung abzulenken. Sie zuckte auch nicht zusammen, als hinter ihr vergiftete Pfeile aus der Decke geschossen kamen.
„Nein. Ich habe ihn seit Tagen nicht mehr gesehen. Er schließt sich mit seinen Beratern ein, um über die nächsten Schritte auf dem politischen Parkett zu beratschlagen. Als Anführerin der Garde liegt es in meinem Aufgabenbereich, mich um seine und um die Sicherheit der unseren zu kümmern.“
Celeste hegte gemischte Gefühle für den Prinzen der Bergnymphen. Er war zwar der Zweitgeborene des Königspaares, doch schon früh hatte Melina sich dagegen ausgesprochen, eines Tages zu regieren. Vielleicht hätte der Prinz dann eine andere Kindheit gehabt. Doch so wurde er seit seiner Geburt darauf vorbereitet, den Platz seiner Eltern einzunehmen.
Wie viele Nymphen hegte er ein gewisses Desinteresse den Menschen gegenüber. Doch die Anführer der Häuser und die Generäle der Dunklen konnte er nicht einfach ignorieren. Und dieser Umstand missfiel dem Prinzen zunehmend. Dazu kam, dass seine Schwester, die jederzeit Anspruch auf den Thron erheben konnte, mit einer Dunklen befreundet war. Sie verstand zum Teil seine Beweggründe und doch gefiel ihr nicht, wie er sich ihr gegenüber verhielt.
Als der Gang vor ihnen mit einem Mal endete, blieben sie verwirrt stehen.
„Das ist neu“, murmelte Melina, während sie mit der Handfläche das Gestein abtastete, das ihnen den Weg versperrte.
Das Gefühl einer nahenden Bedrohung überkam Celeste, noch bevor Ophir vor ihr anfing zu knurren.
„Wir sollten …“ Zu mehr kam die Dunkle nicht, denn der Boden unter ihnen öffnete sich, sodass sie in die Dunkelheit hinabstürzten. Ein Schrei entwich ihrer Kehle, doch ihr Glück war, dass sie kein normaler Mensch war. Bevor sie unten aufschlug, löste sie ihren Körper auf. Erst am Boden verfestigte sie sich wieder. Azia kam mit kräftigen Flügelschlägeln direkt über ihr in der Luft zum Stehen. Mit einem dumpfen Aufprall landete auch Ophir neben ihr, mit Melina auf seinem Rücken.
„Jetzt würde ich behaupten, das war doch eine Falle“, sagte die Bergnymphe, als sie sich kampfbereit umsah.
Auch Celeste ließ ihren Blick schweifen und erstarrte. Vor ihnen befand sich eine Steinbrücke, die an den Seiten von Efeu berankt war. Unter der Brücke strömte ein Fluss hindurch. Sogar Fische konnte sie durch das glasklare Wasser schimmern sehen. Es roch nach Frühling und sie sah einzelne Vögel umherfliegen. Sie folgte dem Flusslauf mit den Augen und erkannte nicht weit von ihnen entfernt eine steile Felswand. Ein Wasserfall füllte den Fluss mit frischem Wasser.
Doch was Celeste eine Gänsehaut bescherte, war die Stille. Denn obwohl sie all das sahen, hörten sie nichts.
„Wo sind wir hier?“, fragte sie in der Hoffnung, dass Melina eine Antwort hatte.
Doch die Bergnymphe konnte nur mit den Schultern zucken. Zumindest konnten sie miteinander sprechen.
Neben dem Fluss erstreckte sich eine Wiese wellenartig in ein Tal hinab. In der Ferne sahen sie einen Palast, doch Celeste konnte nicht einschätzen, wie weit er wirklich entfernt war.
Als kleine fliegende Schuppentiere sich von der Wiese erhoben, fragte Celeste angespannt: „Kannst du deine Kräfte benutzen?“
„Ja, wenn auch etwas langsamer als sonst. Wie sieht es bei dir aus?“
Auch Celeste versuchte die Kraft in ihrem Körper anzuzapfen und stellte beruhigt fest, dass ihre Kräfte anders als im Gebiet der Waldnymphen einsatzbereit waren. „Ja.“ Misstrauisch beäugte sie die kleinen Flugwesen, die sie nun sichtbar aufgeregt umflogen. Azia startete aus der Luft immer wieder Scheinangriffe, doch die kleinen Wesen ließen sich davon nicht beirren.
„Das sind Drachen“, flüsterte Melina ehrfürchtig, als sie eine Hand austreckte und sich eine der fliegenden Echsen darauf niederließ.
Intelligente Augen saßen auf einem länglichen Kopf. Die Flügel sahen so aus, als ob die kleinste Berührung ein Loch hineinreißen konnte. Der Schwanz war genauso lang wie der schmale Körper. Mit ihm hielt das kleine Wesen Melinas Handgelenk umschlungen. Als das kleine Wesen eine Flamme ausstieß, lachte die Bergnymphe erfreut auf.
Nur Celeste hielt sich noch zurück, da sie den kleinen Wesen nicht traute. Erst als einer der Drachen direkt vor ihrem Gesicht mit schlagenden Flügeln anhielt, streckte sie vorsichtig die Hand aus, um ihn zu streicheln. Die Haut fühlte sich wie eine Rüstung an, sie war hart und angenehm warm. Sogar die Farbe der Schuppen war unterschiedlich und bei näherer Betrachtung glitzerten sie im Licht der unecht wirkenden Sonne am Firmament.
„Was sind Drachen?“, fragte sie.
„Das sind Wesen, von denen wir Nymphen annahmen, dass sie eine Erfindung sind. Fabelwesen sozusagen. Sie wurden von Hephaistos erschaffen, dem Gott des Feuers.“
Als ob die Drachen beweisen wollten, dass sie eben nicht nur Fabelwesen waren, kamen nun immer mehr angeflogen, bis auch Azia ihre Versuche, sie zu vertreiben, aufgab und auf Celestes Schulter Platz nahm. Von Ophir hielten die fliegenden Wesen wohlweislich Abstand, denn der Löwe machte nicht den Anschein, dass er eines dieser Wesen in seiner unmittelbaren Umgebung dulden würde.
Als dann doch ein lautes Geräusch die Luft durchschnitt, zuckten Melina und Celeste zusammen. Die Drachen flogen eilig davon, um sich im hohen Gras ihrer Wiese zu versteckten. Die beiden Frauen zogen kampfbereit ihre Schwerter.
Adrenalin durchströmte Celestes Körper, als ein Streitwagen mit vier schwarzen Pferden auf sie zugerast kam. Ein hochgewachsener Mann in feinster Seide gehüllt hielt die goldenen Zügel. Da der Wagen nicht anhielt, sprangen sie zur Seite, bevor sie unter die Hufe oder die Räder kommen konnten. In einiger Entfernung wendete das Gespann, bis es dann schließlich doch stehen blieb.
Melina stellte sich an Celestes Seite, bereit, sich zu verteidigen. Ophir und Azia hielten auf Anweisung Abstand, doch auch sie waren nervös.
Hasserfüllte Augen musterten die beiden Frauen und es kostete Celeste alle Selbstbeherrschung, nicht erneut zusammenzuzucken, als er das Wort an sie richtete: „Wer seid ihr, dass ihr es wagt, in mein Heiligtum einzudringen?“
„Wenn ihr uns sagt, wo genau wir hier sind, können wir darauf vielleicht eine Antwort geben“, erwiderte Celeste.
Als der Mann eine Peitsche in die Hand nahm und mit dieser nach ihr schlug, war sie nur eine Sekunde zu langsam. Das Ende erwischte sie mitten im Gesicht, sodass eine blutige Wunde unterhalb ihres rechten Auges entstand. Ihre Wut verleitete sie beinahe dazu, zum Gegenangriff überzugehen, doch ihr jahrelanges Training brachte sie zur Vernunft. Nachdem sich der rote Schleier vor ihren Augen entfernt hatte, sah sie, dass der Fremde sie nachdenklich musterte.
„Du blutest“, stellte er erstaunt fest.
Celeste wischte mit dem Handrücken über ihre Wange und wich dem Blick des Mannes nicht aus, als sie antwortete: „Ist das jetzt eine Frage oder eine Feststellung?“
Melina zischte neben ihr. Auch die Bergnymphe war sich der Gefahr bewusst, in der sie schwebten. Sie hätte wahrscheinlich weniger aufmüpfig geantwortet, doch Celeste konnte nun einmal nicht aus ihrer Haut.
Als der Fremde den Kopf in den Nacken legte und anfing zu lachen, sahen sich die beiden Frauen irritiert an.
„Dein loses Mundwerk ist köstlich. Es kann dich eines Tages das Leben kosten, aber ich muss sagen, dass sich schon lange kein Sterblicher mehr so frech mit mir unterhalten hat.“
Diesmal sagte Celeste nichts. Der Mann stieg von seinem Streitwagen ab, wodurch zu erkennen war, dass er mindestens zwei Köpfe größer war als Melina, die schon eine beachtliche Größe besaß.
„Ihr seid hier in der Unterwelt, in der es seit Ewigkeiten keine toten oder lebendigen Sterbliche mehr gegeben hat.“
„Ich bin eine Bergnymphe und keine Sterbliche“, rutschte es nun Melina heraus.
Das brachte ihr auch sogleich einen interessierten Blick ein. „Ja, jetzt, da du es sagst, sehe ich das auch. Und deine Freundin kommt anscheinend auch aus Edrè.“ Der Mann schüttelte den Kopf, so, als habe er zuvor etwas vergessen oder als ob er einen lästigen Gedanken abschütteln wollte. „Mein Name ist übrigens Hades.“
„Hades, der Gott der Unterwelt?“, fragte Celeste überrascht. Sie war in ihrem ganzen Leben noch keinem Gott begegnet und nun musste sie ausgerechnet dem Gott des Todes begegnen.
Der Mann lächelte sie an, doch in seinem Gesicht war keinerlei Freude zu erkennen. „Ja, genau. Und jetzt sagt mir, warum ihr hier seid.“
„Wir wissen es nicht genau. Es war nicht unsere Absicht, in euer Reich einzudringen“, erwiderte Melina.
Der Gott schaute sie nachdenklich an. „Ich glaube dir. Dann wurdet ihr wohl von jemandem hierher gebracht. Und zwar von jemandem, der euch nicht besonders wohlgesinnt ist.“
„Wie kommt ihr darauf?“, fragte Celeste.
„Weil jeder, der die Kraft zu solche einer Tat besitzt, weiß, dass ich Eindringlinge normalerweise ohne zu fragen aus meinem Reich tilge.“
„Und ich nehme an, sie sind dann nicht mehr dazu in der Lage, Fragen zu stellen oder zu beantworten“, erwiderte Melina trocken.
„Ja, genau.“
„Was hat euch diesmal davon abgehalten?“, forderte Celeste ihr Schicksal heraus. Ihr war durchaus bewusst, dass sie hier erst einmal festsaßen. Das hieß, entweder konnten sie Hades überreden, ihnen zu helfen, oder sie wären hier unten gefangen. Und niemand konnte sagen, ob der Gott nicht doch seinen Gewohnheiten treu blieb und sie tötete.
„Dein Blut.“