Kitabı oku: «Celeste - Siehst du mich?», sayfa 5
Edrè
Melina schaute schwer atmend auf die leblosen Körper, die am Boden lagen. Ophir stand neben ihr und ließ den Kopf hängen. Sie selbst konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und ihr eigenes Blut tropfte unablässig auf den steinigen Boden.
„Celeste!“, schrie sie in die Leere, die sie nun umgab. Ein Schauer der Angst überfiel sie. Celeste war verschwunden. Einfach so, vor ihren Augen. Zusammen mit Azia. Ophir stieß ein Brüllen aus, doch auch er bekam keine Antwort. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken nur so umher.
Ihr rechter Knöchel schmerzte und ließ sie beinahe humpeln, als sie zu den Säulen hinüberging, die den menschlichen Weisen als Tempel dienten. Der Himmel war trüb und ein melancholisches Licht fiel auf die Nymphe hinunter, als sie zuerst zitternd einatmete, ehe sie eine Hand auf den erstaunlich warmen Stein der Säule legte. Doch nichts geschah.
Sie hatte gehofft, ein Bild zu bekommen, wohin ihre Freundin verschwunden war, doch dieses Glück blieb ihr verwehrt. Sie wollte schon enttäuscht die Hand entfernen, als sich die Hitze steigerte. Ihre Handfläche kribbelte, während ihr restlicher Körper die Hitze absorbierte. Über ihr knisterte es, doch noch ehe sie nach ihrem Schwert greifen konnte, das sich bereits sicher verstaut auf ihrem Rücken befand, wurde sie mit Wucht nach hinten geworfen. Der Aufprall raubte ihr den Atem, doch äußerlich ließ sie sich nichts anmerken.
In einer einzigen fließenden Bewegung stand sie auf, das Schwert kampfbereit in der Hand. Zugleich hielt sie Ophir mental zurück, da sie erst einmal sehen musste, mit welchem Gegner sie es jetzt aufnehmen musste.
„Bravo, schöne Frau. Es ist eine Freude, dich anzusehen.“
„Wer bist du?“, fragte sie den jungen Mann, der klatschend zwischen den Säulen stand. Ihr geflügelter Löwe knurrte, fand aber keine Beachtung.
„Ihr sterblichen Wesen habt noch immer nicht gelernt, wie man sich verhält.“ Die Worte waren vielleicht tadelnd, die Tonlage des Mannes passte jedoch überhaupt nicht dazu.
Melina musterte den Gott, der sich durch seine Worte verraten hatte. Anders als Hades war dieser hier blond. Ein Drei-Tage-Bart verdeckte ein markantes Gesicht, doch die Augen, in denen sich der Schalk abzeichnete, ruhten unablässig auf ihr.
„Na, kannst du es denn nicht erraten, Prinzessin?“
„Apollo“, wagte sie einen Versuch, der gleich mit einem erfreuten Lächeln belohnt wurde.
„Meine Schwester sagt immer, ich soll gut aussehende Kriegerinnen nicht unterschätzen, aber ich lerne wohl nie aus. Ja, du hast recht. Ich bin Apollo, Gott des Lichts, der Künste und der Musik, um nur einige meiner Titel zu nennen.“
„Hast du etwas mit Celestes Verschwinden zu tun?“
Das Lächeln verrutschte im Gesicht des Gottes und Melina war sich durchaus bewusst, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte – mal wieder. Aber sie brauchte Antworten und da der Gott ihr erschienen war, hatte sie vielleicht Glück.
„Nur indirekt. Aber keine Angst, sie ist nicht allein. Ihre Mission führt sie in eine andere Welt. Doch auch hier steht uns noch viel Arbeit bevor.“ Jetzt lächelte er sie wieder charmant an, doch erst nachdem er einen angewiderten Blick auf die Leichen der Lamien geworfen hatte.
„Um genau zu sein, steht dir noch viel Arbeit bevor.“
Misstrauisch musterte sie ihn und wartete auf eine weitere Erklärung.
„Dein Körper schmerzt und deine Wunden müssen dringend verarztet werden. Also fasse ich mich kurz. Diese Welt liegt mir und einigen anderen durchaus am Herzen. Und das nicht nur, weil wir es toll finden, Hades beim Däumchendrehen zu beobachten. Aber die Helle, die bereits die Welten gewechselt hat, hatte Hilfe. Und zwar von jemandem oder von etwas. Nun müsste man meinen, wir Götter könnten schnell herausfinden, um wen es sich handelt. Dummerweise ist dem nicht so. Wir sind ratlos und hatten bisher keinen Erfolg.“
Melina konnte sich denken, dass den Göttern ihr Misslingen nicht besonders gefallen hatte.
„Und jetzt kommst du ins Spiel. Wir Götter erteilen dir einen Auftrag, bei dessen erfolgreicher Erledigung du einen Gefallen von uns einfordern darfst. Wenn du jedoch versagst, Prinzessin der Bergnymphen, erwartet dich eine Strafe, die jedoch noch festgesetzt werden muss.“
Nanu, wo kam denn der stahlharte Ton des noch immer freundlich lächelnden Gottes her? Melina spürte, dass dieser Gott genauso kaltherzig und mächtig war, wie es die alten Legenden von ihm behaupteten.
„Und wenn ich mich weigere?“
„Dann, liebe Melina, sitzen wir noch heute über dich zu Gericht. Als Nymphe bist du ein Geschöpf Gaias, das ist dein Glück. Wärst du ein gewöhnlicher Mensch, würde ein Fingerschnippen genügen. Aber so müssen wir eben auf ein paar Tricks zurückgreifen.“
Melina blinzelte nur ein einziges Mal, doch mit einem Mal stand der Gott direkt vor ihr. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand tippte er ihr auf die Stirn. Ihr Blick wurde magisch von seinen Augen angezogen und für einen kurzen Moment schmeckte sie die Macht, die er ausstrahlte, auf der Zunge. In seinen klaren blauen Augen spiegelte sich ihr Bild wider, sodass sie das Zeichen der Sonne sah, das sich auf ihre Stirn einbrannte. Der Schmerz war überwältigend, doch er hielt nur ein paar Sekunden an und die göttliche Macht des Mannes vor ihr verhinderte, dass sie einfach umkippte. Ophir wollte sie beschützen, wurde aber mit einer einzigen Handbewegung des Gottes daran gehindert.
„Dieses Zeichen ist ein Geschenk, das ich schon seit Jahrhunderten nicht mehr vergeben habe, also nutze es weise. Zum einen verrät es mir, was du herausgefunden hast, zum anderen erlaubt es dir ab sofort, Lügen zu erkennen. Seine Fähigkeiten variieren, je nachdem, wie stark deine Nymphenfähigkeiten sind.“
Der Gott lachte, als sie ihn mit einem herablassenden Blick bedachte. „Du hast Mut, das muss ich dir lassen.“
Melina schalt sich innerlich. Sie war für diesen Gott nichts weiter als ein kleines Insekt, das er zerquetschen konnte, wenn ihm danach war. „Verzeih mir mein Verhalten, doch es kommt nicht oft vor, dass ein Gott mir sein Zeichen einbrennt und mich auf eine Mission schickt.“
Apollo lachte sichtlich amüsiert, doch seine Körperhaltung sagte ihr, dass auch er zu einem gewissen Teil angespannt war.
„Wie gesagt, ich habe dieses Geschenk schon lange nicht mehr vergeben. Ich erwarte Großes von dir, Melina, Prinzessin der Bergnymphen. Und nun entschuldige mich, da kommt jemand, der nach dir sehen möchte, und ich habe andere Dinge zu tun, als mich mit einem Chimären zu streiten.“
Mit diesen seltsamen Worten hörte Melina wieder das Knistern über sich, und dann war der Gott auch schon verschwunden. Und sie blieb allein mit ihrem Reittier und den toten Lamien zurück.
Kapitel 4
London
Celeste wachte unter einer angenehm warmen Decke in einem weichen Bett auf. Hinter ihrer Stirn hämmerte ein bohrender Kopfschmerz und ihre Wunden brannten wie Feuer.
Fast erwartete sie, beim Öffnen der Augen Melina über sich gebeugt zu sehen, stattdessen starrte sie auf eine seltsam aussehende Lampe. Der Schirm war stechend pink, wohingegen eine kleine Glaskugel dort saß, wo sonst die Stofflappen hingen, die mit magischen Flammen für Licht sorgten. Und dieser Umstand brachte ihren Verstand dazu, sich an das Geschehene zu erinnern.
Mit einem Ruck setzte sie sich auf, wobei ihr auffiel, dass ihr Hemd falsch zugeknöpft war. Seltsam, dass ihr ein solch winziges Detail ins Auge stach, obwohl sie sich anscheinend in einer anderen Welt befand. Der logische Teil in ihr rechnete einfach den Tempel, die Stimme des Gottes und ihr Erwachen in einer fremd aussehenden Umgebung zusammen. Normalweise würde sie jetzt wahrscheinlich erst einmal in Panik verfallen, doch dazu blieb ihr gar keine Zeit.
Das Rauschen, das sie zuvor wahrgenommen hatte, stammte anscheinend von Wasser. Jetzt wurde es ausgestellt. Nach einem kurzen Moment öffnete sich auch schon eine Tür zu ihrer Linken und ein Mann mit nassen Haaren, nackter Brust und einem Handtuch um die Hüften kam ins Zimmer gelaufen. Celeste hatte sich umgedreht und war nun so sprachlos, dass sie die angemessene Panik einfach vergaß.
Auch er schaute sie völlig überrumpelt an, ehe seine Wangen sich rot verfärbten und er rückwärts stolperte, bis er hinter sich die Tür schließen konnte. Dabei blitzte eine dunkle Erinnerung an sein Gesicht vor ihr auf und allein auf Grund der Tatsache, dass sie sich darauf konzentrierte, pochte ihr Kopf nur umso mehr. Da sie also noch lebte und ihre Waffe nirgendwo zu sehen war, schloss Celeste vorerst einfach wieder ihre Augen.
Sie hörte lautes Rumpeln und Flüche, als der Mann sich wahrscheinlich irgendwo stieß, dann war eine Zeitlang alles still, bis sich schließlich die Tür erneut öffnete und der Mann – diesmal angezogen – wieder erschien. Die Röte von vorhin war verschwunden, doch noch immer machte er ein verlegenes Gesicht, was ihm durchaus stand, wie sie zugeben musste.
„Also, tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Ich bin kein Mörder und auch kein Perverser, wenn du das denken solltest.“
Verwirrt runzelte sie die Stirn, was erneut einen stechenden Schmerz hinter ihren Augen auslöste. Für einen kurzen Moment sah sie Sterne. Celeste atmete bewusst ruhig ein und aus, um die Übelkeit zu bekämpfen, die der Schmerz in ihr auslöste.
„Hast du Schmerzen? Deinem Blick nach zu urteilen tut dir der Kopf weh, oder? Ich kann dir was geben, wenn du möchtest.“
„Was geben?“, wiederholte sie die unbekannten Worte mit erschreckend schwacher Stimme.
Jetzt war es der Mann, der verwirrt die Stirn runzelte. „Solch einen Akzent habe ich ja noch nie gehört. Wo kommst du denn her? Machst du in London Urlaub? Kannst du dich an irgendetwas erinnern, was vor dieser Gasse passiert ist?“
Gasse? Celeste war restlos verwirrt. Zudem fühlte sie sich bei diesem Gespräch ohne ihre Waffe äußerst unwohl. Sie war ihr Schutzschild, ihr Anker zu ihrer Welt, ihrem Zuhause. Auch wenn sie instinktiv ahnte, dass von dem Mann im Moment keine Gefahr drohte, fühlte sie sich ohne ihren Dolch doch nackt.
Da sie nicht weiter im Bett liegen wollte, schwang sie die Füße über den Rand und hielt einen Moment inne, um den Schwindel vorüberziehen zu lassen. Dabei nahm sie in Gedanken Kontakt zu Azia auf. Sie hatte es schon einmal unbewusst getan, aber keine Antwort erhalten. Jetzt aber spürte sie den leichten Widerhall, als der Adler antwortete.
Der Mann schwieg verwirrt, vielleicht dachte er auch, sie habe sich den Kopf zu sehr gestoßen. Was durchaus zutreffend sein konnte. Immerhin wurde sie von einem Gott mehr oder weniger entführt. Woher wusste sie also, dass bei ihrer Ankunft nichts dergleichen vorgefallen war? Ihr Blick fiel auf ein Fenster.
„Könntest du es bitte öffnen?“, fragte sie.
„Was? Du meinst das Fenster? Wieso?“
Doch trotz dieser Fragen öffnete er es und Azia konnte in einem schnellen Sturzflug in den kleinen Raum fliegen. Sie kam schließlich auf dem Bett zur Ruhe, wo sie den Mann wie eine davonrennende Maus anschaute. Wachsam und bereit, zuzuschlagen.
„Das ist ein Vogel. Ein Adler, oder?“
Seine Stimme war etwa zwei Oktaven höher gegangen und auch wenn es vielleicht kleinlich war, fühlte sich Celeste schon besser, da er sichtlich verwirrt war. Warum sollte es auch nur ihr so gehen? Schweigend sah Celeste zu, wie er sich auf ein gepolstertes Möbelstück sinken ließ, die Augen schloss und tief durchatmete.
„Okay, fangen wir noch mal von vorne an. Ich heiße Ian. Vor Kurzem habe ich dich im Wald als Geist gesehen. Na ja, zumindest dachte ich zu dem Zeitpunkt, dass du ein Geist bist. Gestern Nacht führte mich die Melodie zu dir in eine dunkle Gasse. Du bist jetzt schon die zweite seltsame Frau, der ich begegne, und so langsam muss ich gestehen, dass ich Antworten brauche. Also fangen wir bei den kleinen Dingen an. Wie heißt du?“
„Celeste.“
„Okay, schön, das ist ein Anfang“, antwortete Ian erleichtert.
„Wo ist meine Waffe?“
„Du meinst den Dolch? Ich habe ihn versteckt, falls ein Zimmermädchen reinkommt.“ Er kramte in einem Schubfach in der Kommode, die direkt neben ihm stand, dann hielt er die Waffe triumphierend hoch.
„Ich wollte nicht, dass man das Ding und dich bewusstlos in meinem Bett findet und mich für alle Zeiten hinter Gitter bringt.“
„Was bedeutet das?“, fragte Celeste verwirrt. Natürlich gab es tausend andere Fragen, die sie stellen musste.
Als er ihr die Waffe reichte und sie das vertraute Gewicht in ihren Händen spürte, fühlte sie sich fast wieder einer Dunklen würdig. Dabei stieg ihr sein Geruch in die Nase. Eine Mischung aus Meer und Mann. Azia entspannte sich etwas, doch noch immer war sie angespannt, während sie Ian nicht aus den Augen ließ.
„Was meinst du?“
„Hinter Gitter bringen, was bedeutet das?“
„Ich habe irgendwie das Gefühl, du kommst von einem anderen Planeten“, rutschte es Ian erstaunt heraus.
Celeste bemühte sich darum, nicht das Gesicht zu verziehen, als sie sagte: „Ich komme aus einer anderen Welt.“
Wieder schloss er die Augen. Es kostete ihn einiges an Kraft, nicht zu hyperventilieren. Immerhin bekam man so etwas nicht jeden Tag gesagt. Und schon gar nicht von einer fremden Frau, die recht haben könnte. Immerhin hatte die andere fremde Frau ihm geraten, auf seinen Instinkt zu vertrauen. Und der sagte ihm, dass etwas an Celeste merkwürdig war.
„Sie kommt aus Edrè, um genau zu sein“, hörten sie eine Stimme.
Ian schreckte zurück, als sich mitten im Raum eine Frau materialisierte. Es war die Fremde aus Griechenland und besagtem Wald, die ihn jetzt aufmunternd anlächelte. Auch jetzt veränderte sich ihr Aussehen alle paar Sekunden. Mal war sie alt, mal jung. Hatte sie in einem Augenblick dunkle kurze Haare, wuchsen ihr im nächsten lange blonde.
„Edrè wiederum ist eine Spiegelung deiner Erde, wie du sie kennst. Ihr beide habt eine Aufgabe zu erfüllen, also bin ich hier, um das ganze Kennenlernen und Fragenstellen zu beschleunigen.“
„Welche Göttin bist du?“, fragte Celeste mehr neugierig als ängstlich. Immerhin hatte die Frau es selbst gesagt, sie wurde gebraucht. Also ging Celeste davon aus, nicht gleich wegen so einer Frage zu Staub zermalmt zu werden.
„Göttin?“, japste Ian.
„Tja, jetzt ist die Katze wohl aus dem Sack.“ Bei Celestes verwirrtem Gesichtsausdruck lachte die Göttin erheitert auf.
Azia gab einen hohen Laut von sich, was ihrer Verärgerung Ausdruck verleihen sollte. In Gedanken rief Celeste den Adler zur Ruhe, denn sie wollte keinesfalls, dass die Göttin aus einer Laune heraus ihrer Gefährtin etwas antat.
Doch die Frau lächelte nur freundlich. „Ich kann euch noch nicht sagen, wer ich bin. Es besteht die Gefahr, dass ihr in falsche Hände geratet und die Falschen diese Information bekommen. Ich bin eine von wenigen, die sich dazu verpflichtet haben, das Gefüge der Welten zu erhalten. Wenn in Edrè jemand einschläft, egal ob Mensch, Dunkler oder Nymphe, dann erscheint er in dieser Welt. So wird eine Verbindung aufrechterhalten, die dringend nötig ist.
Manche Bewohner Edrès sind sehr stark, sodass sie von den Menschen hier gesehen werden. Meistens nachts, da zur Mitternachtsstunde der Schleier, der die beiden Welten trennt, viel dünner ist. Für euch sind es dann Geister. Manche Schlafende halten sich an einem Ort zu lange auf und bringen so die Ordnung durcheinander.
In diesem Fall gibt es Menschen, die durch ihr Blut dafür sorgen können, dass die schlafenden Seelen in ihre Körper zurückkehren. Geschieht dies nicht, kann es passieren, dass die Seele auf ewig hier gefangen bleibt und die leere Hülle, die einst ein Körper war, stirbt.“
Entsetzen breitete sich in Celestes und Ian aus. Endlich verschwand das Lächeln der unbekannten Göttin.
„Gebt mir eure Hand.“
„Warum?“, fragte Celeste automatisch.
„Ich werde euch Informationen geben, um die Welt des anderen zu verstehen. So kommst du auf der Erde zurecht, ohne über jede Kleinigkeit zu stolpern. Danach beantworte ich weitere Fragen. Außerdem wird so dein Kopfschmerz geheilt.“ Die Frau zwinkerte ihr tatsächlich zu.
Unschlüssig blieb Celeste auf dem Bett sitzen, den Dolch noch immer in der rechten Hand haltend. Doch eine Wahrheit sickerte durch ihre Gedanken, die ihr Herz zu einem Klumpen formte und einen bitteren Geschmack in ihrem Mund hinterließ. Sie hatte gar keine andere Wahl, als der Bitte nachzukommen. Sie musste darauf vertrauen, dass die Göttin sie nicht töten wollte.
Ian kam anscheinend zu dem gleichen Ergebnis, denn er ging zeitgleich zur Göttin und reichte ihr die Hand. Fast erwartete sie wieder, von Magie umgeben zu sein wie bei ihrem Erlebnis im Tempel inmitten der Steinsäulen, doch es passierte nichts weiter, als dass sie schläfrig wurde, kurz die Augen schloss und diese nach gefühlten fünf Sekunden wieder öffnete.
Nur konnte das nicht stimmen, denn der Raum war dunkel, die Sonne war bereits untergegangen, obwohl es gerade noch morgens gewesen war.
„Was zum …?“, entfuhr es Ian irritiert.
„Keine Sorge, es hat zwar etwas gedauert, aber nun solltet ihr ohne Hilfe zurechtkommen. Ich kann euch nur begrenzt helfen, also passt auf, dass euch nichts passiert.“ Und mit diesen fröhlich gesprochenen Worten verschwand die Göttin.
„Na ja, mit einem hatte sie recht, meine Kopfschmerzen sind verschwunden.“
Ian schaute sie an, als seien ihr zwei Köpfe gewachsen. Sie konnte es dem Mann nicht verdenken. Ein Blick auf das Bett zeigte ihr, dass Azia die ganze Zeit auf sie gewartet hatte. Der Adler war unruhig, deshalb gab sie ihm die Erlaubnis, einen kurzen Rundflug zu machen. Durch ihre mentale Verbindung sollte Azia alles wissen, was nun auch Celeste wusste.
„Ich weiß, dass das alles ziemlich verwirrend ist. Das war jetzt meine zweite Begegnung mit einem Gott. Oder vielleicht die dritte, wenn man die Stimme im Portal mitzählt.“ Als sie sprach, fiel ihr etwas auf. Sie hatte Portal gesagt.
Diese Information war einfach so in ihrem Kopf aufgetaucht. Sie wusste nun, dass der Tempel ein Portal war, das durch niedere Götter genutzt wurde, um die Welten zu wechseln. Die Weisen hatten deren Energie gespürt und den Ort für heilig erklärt.
Ian wurde weiß im Gesicht. „Ich muss mich glaube ich setzen.“ Nachdem er seinen Worten nachgekommen war, kam wieder etwas Farbe in sein Gesicht.
Celeste nutzte die Gelegenheit, um ihn in Ruhe zu mustern. Er hatte helles, fast blondes Haar, das so lang war, dass es vorn nach oben stand. Sein Gesicht war markant, doch seine Augen waren neben seinem kurzen Bart wohl das auffälligste an ihm. Er hatte breite Schultern, wirkte aber nicht zu muskulös. Und was ihr erst jetzt auffiel, war, dass sie ihn aus einem Traum kannte.
Sie hörte laute Hupgeräusche durch das noch immer offene Fenster und in ihren Gedanken tauchte automatisch das Bild eines Autos auf.
„Also, bei mir scheint es funktioniert zu haben. Ich weiß, was ein Auto ist.“
Endlich lenkte er seine Aufmerksamkeit zurück zu ihr und sie musste dem Drang widerstehen, sich mit der Hand durch die Haare zu fahren. Nur um zu schauen, ob sie noch saßen und nicht zu zerzaust waren, was natürlich nicht sein konnte nach den letzten Ereignissen und einer Nacht in einem richtigen Bett.
„Und ich weiß, dass du eine Dunkle bist und was genau du machst. Ich muss gestehen, mir schwirrt noch regelrecht der Kopf, aber wenn diese Göttin mit ihren Informationen recht hat, die sie uns eingetrichtert hat, dann müssen wir schnell den Geist finden, der sich auf die Erde geflüchtet hat. Aber eine Frage stellt sich mir noch: Woher wissen wir, ob die Helle noch hier in London ist?“
„Es muss so sein, sonst hätte die Göttin uns an einen anderen Ort geschickt.“ Als ihr Magen lautstark knurrte, errötete Celeste. Die Farbe breitete sich von ihren Wangen über ihren Kopf bis hin zu ihrem Dekolleté aus. Als Ian lachte, fiel ihr auf, dass er eine angenehm dunkle Stimmfarbe hatte. So etwas fiel ihr sonst bei keinem Mann auf.
„Ich denke, wir sollten erst einmal etwas essen. Du hast sicherlich seit gestern nichts mehr zwischen die Zähne bekommen.“
„Deine Sprache ist wirklich seltsam, wusstest du das?“
Ian grinste breit als Reaktion auf ihre Worte. „Nein, um ehrlich zu sein, bist du die Erste, die das sagt. Und um noch ehrlicher zu sein, habe ich das Gleiche über dich gedacht.“
Sie konnte nicht anders, als in sein Lachen miteinzustimmen. Es war schön, sich einmal von den Sorgen abzulenken. Und etwas in ihrem tiefsten Inneren gierte geradezu danach, Zeit mit diesem fremden Mann aus einer anderen Welt zu verbringen, um ihn besser kennen zu lernen. Denn diese kurze Begegnung hatte gereicht, um ihr Interesse zu wecken.
„Was hältst du von Pizza?“
Sofort tauchte wieder ein Bild zu dem Begriff auf, doch sie wusste nicht, ob so etwas überhaupt schmeckte.
„Ich kann es mal probieren.“
„Was, in eurer Welt gibt es keine Pizza?“, fragte Ian erstaunt.
Celeste schüttelte lächelnd den Kopf.
„Okay, das wusste ich nicht. Scheint so, dass ich nur die wichtigen Dinge mitbekommen habe. Dann musst du jetzt unbedingt eine probieren. Bevor wir aber losgehen, muss ich mich noch einmal duschen und umziehen. Heute Morgen war ich mir sicher, dass du noch ein wenig schlafen würdest. Ich habe mir sogar Sorgen gemacht, ich müsse dich zu einem Arzt bringen, weil ich es nicht geschafft habe, dich zu wecken. Ich konnte keine schweren Verletzungen finden und auf deine Kratzer habe ich eine Salbe aufgetragen. Also bin ich in dieser überaus peinlichen Situation zurück ins Bad geflüchtet und habemeine alten Sachen angezogen.“
Wieder musste sie lachen, was Ian mit einem Grinsen quittierte, ehe er im Badezimmer verschwand. Es juckte sie in den Fingern, diese Dusche auch auszuprobieren.
Doch dann drang ein kaum hörbarer Ton an ihr Ohr. Sie legte den Kopf schief und versuchte zu ergründen, ob sie es sich nur eingebildet hatte oder nicht. Anscheinend war der wiederkehrende Ton auch durch die Wände hörbar, denn Ian kam aus dem Bad, die Stirn in Falten gelegt und die Augen suchend auf das Fenster gerichtet.
„Du hörst es auch?“, fragte Celeste.
„Ja. Wenn auch nur ganz leise.“
Als hätten sie sich abgestimmt, verließen sie in stiller Übereinkunft das Zimmer und folgten dem Ton, der langsam, aber sicher lauter wurde. Sie liefen eine viel befahrene Straße entlang und Celeste nahm sich einen Moment, um die Autos, Fahrradfahrer und Menschen zu bewundern, doch der Jagdtrieb in ihr war bereits erwacht.
„Meinst du, das ist der Geist, den wir suchen?“, fragte Ian sie.
„Nein, das wäre zu einfach. Aber wenn wir den Ton bis in dein Hotelzimmer hören konnten, dann hat es etwas zu bedeuten.“
Mittlerweile waren es mehrere Töne, die zu einer aufreibenden Melodie aneinandergereiht wurden. Ein Kribbeln in ihrem Nacken sagte ihr, dass sie vorsichtig sein sollten.
„Hast du eine Waffe?“
Ian warf ihr einen schiefen Blick zu. „Nein. In meiner Welt brauche ich so etwas nicht. In der Regel reicht mein Blut, um die Geister zurückzuschicken.“ Bei diesen Worten schwirrten ihm die Worte der Göttin wieder durch den Kopf.
„Wirken denn deine Kräfte hier überhaupt, wenn diese Geister nur Schlafende aus deiner Welt sind?“
„Ich denke schon.“
Ihre Worte klangen nicht sehr überzeugend, doch Ian beließ es erst einmal dabei. Immerhin würden sie es wohl noch früh genug herausfinden.
Die Melodie war nun so laut, dass der Geist nicht weit entfernt sein konnte. Sie liefen über die Tower Bridge, wobei sie sich an einer Gruppe Touristen vorbeiquetschen mussten. Dahinter führte links eine Treppe hinunter und sie folgten einem Weg, der an mehreren Restaurants vorbeiführte. Ein Durchgang brachte sie nach vorn zum Wasser.
„Siehst du das auch?“, fragte Ian.
„Ja. Ich nehme an, diesen bläulichen Nebel siehst du zum ersten Mal, oder?“
Ian nickte zustimmend. Eine bedrohliche Stimmung machte sich in der Luft breit und selbst die Menschen hinter ihnen, die trotz der leicht kühlen Temperaturen draußen saßen und aßen, wurden immer leiser oder verstummten sogar mitten in ihren Unterhaltungen.
„Was ist das?“, fragte Celeste. Während sich ihre Macht in ihrem Innersten aufbaute und sich ihre Hand im Schatten einer Lampe, die ansonsten den Rest ihres Körpers beleuchtete, in schwarzen Rauch auflöste, starrte Ian sie an. Doch sie hatte keine Zeit, sich darum Sorgen zu machen, dass sie ihn eventuell verängstigen könnte. Denn der Nebel wurde immer dichter und verfestigte sich.
Ian beugte sich nach vorn, um besser sehen zu können. Das war sein Fehler. Der Nebel streckte seine Klauen nach ihm aus. Sein Herz setzte einige Schläge aus, als dieses kalte Etwas ihn berührte. Doch als er kopfüber nach unten in die Tiefe gerissen wurde, schlug es ein Crescendo in seiner Brust. Er öffnete seinen Mund zu einem Schrei, doch kein Ton kam über seine Lippen, als er die Wasseroberfläche auf sich zurasen sah.
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