Kitabı oku: «Mein Leben – ein Leben?! (2) Das war ich auch», sayfa 4

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Der Mann sagte kein Wort. Er brachte mich ohne zu murren zur angegebenen Adresse. Dort gab ich ihm einen Heiermann und sagte: „Für die Reinigung.“ Dann ging ich ins Haus.

Oben bei Uschi merkte ich, dass mein Goldkettchen weg war. Leider bemerkte Uschi es auch. Als ich sie dann auch noch Marion nannte, war dieser Abend gelaufen und es gab richtig Ärger. Wir blieben zwar noch etliche Monate zusammen, auch die ersten drei Monate meiner Haftzeit schrieb sie noch regelmäßig und besuchte mich. Aber dann, nach weiteren drei Monaten, lernte sie einen amerikanischen Soldaten kennen und ging mit ihm in die USA. Nichts war mehr mit ihrem „geliebten Tarzan“. So hatte sie mich immer in ihren Briefen genannt.

Zu der Zeit, als mit Uschi noch alles im Lot war, verbrachten wir bis zu meiner Verhaftung turbulente Tage zusammen und fochten so manches Kämpfchen aus. Sie schien es zu mögen, wenn ich unangenehm auffiel.

Eines Abends saßen wir in einem Restaurant. Wir hatten Essen bestellt und tranken einen Aperitif. Uschi sagte auf einmal: „Siegfried, siehst du nicht, wie der Geschäftsführer guckt?“

Ich sagte: „Lass ihn doch gucken! Du siehst gut aus, also lass ihn gucken.“

„Aber er hat dem Kellner etwas ins Ohr geflüstert!“

„Ja, und? Was ist eigentlich dein Problem, Uschi?“

So ging das eine ganze Weile, bis ich mich einige Male nach dem Geschäftsführer umdrehte. Er bemerkte es, kam nach einiger Zeit zu uns an den Tisch und fragte, ob alles in Ordnung sei, weil wir doch immer zu ihm geschaut hätten.

Ich sagte: „Schauen Sie meine Gattin nicht so herablassend an!“

Worauf er entrüstet entgegnete: „Ich schaue Ihre Gattin nicht an.“

Ich dann wieder: „Ist sie es nicht wert, dass man sie anschaut?“

Er: „So habe ich das nicht gemeint.“

„Ja, wie haben Sie es denn gemeint?“ Ich verwirrte ihn total. Er fing an zu haspeln und zu stottern, woraufhin ich sagte: „Verpiss dich! Noch einmal glotzen und es setzt was.“

„Was erlauben Sie sich?“, regte er sich auf.

So ging es eine Weile weiter. Das Wortgefecht endete damit, dass er eine Ohrfeige kassierte und Uschi und ich, ohne gespeist zu haben, von dannen zogen. Immer Theater, immer Aktion.

Geschlechtsverkehr während einer Zugfahrt? Mit Uschi kein Problem. Auf meinem Schoß sitzend, einen langen Rock, der alles verdeckte, mein Lümmel in ihrer Dose und der Schaffner kontrollierte die Fahrkarten. Das machte sie richtig heiß.

In einem Nobelrestaurant in der City nebeneinander auf einer gepolsterten Bank sitzend, ihre Hand, von einer langen Tischdecke verdeckt, in meiner Hose, während ich sie mit dem Finger zum Orgasmus brachte. Und dann so stöhnen, dass alle Anwesenden aufmerksam wurden. Nun noch schnell das Sperma von den Fingern wischen – das war Uschi! Manchmal war es schön mit ihr, manchmal auch aufregend, aber meistens anstrengend und sehr, sehr stressig.

Ich wurde nach meiner Flucht aus Oberems ja immer noch gesucht, aber nun ermittelte die Kripo auch noch wegen verschiedener Einbrüche und es gelang ihnen, meinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen.

Die Polizei – meistens kamen die Grünen – kam immer wieder mal bei Uschi vorbei und suchte nach mir, aber ich hatte ein gutes Versteck, und zwar in der Couch. Man konnte sie hochklappen und sah mich trotzdem nicht, denn sie war breit, und wenn ich bis zur anderen Couchwand durchrutschte und Uschi einige Wäschestücke hinter mich legte, konnten man mich nicht sehen.

Uschi hatte nur ein Zimmer in dem Häuschen, und dieses war direkt an einem Fußballplatz gelegen. Weil sonntags immer Fußballspiele stattfanden, zogen wir es an diesen Tagen meist vor, das Haus zu verlassen.

Vom Fenster aus konnten wir ganz gut sehen, wer das Haus betrat. Einmal kam die Polizei, schellte und ich versteckte mich in der Couch. Meine Schuhe hatte ich aber neben dem Sessel stehen lassen und zwei Kaffeegedecke standen auf dem Tisch. Die Bullen kamen zu zweit – sie kamen grundsätzlich mindestens zu zweit – und einer nahm im Sessel Platz. Der andere schaute in den Schrank und vermutete, nachdem er darin nichts gefunden hatte: „Dann liegt er wohl in der Couch.“

„Sicher liegt er da“, sagte Uschi. „Ihr müsst nur nachschauen.“

Einer der Polizisten forderte sie auf: „Du sagst uns Bescheid, wenn er auftaucht, nicht wahr?“

„Sicher“, bestätigte Uschi. „Sicher sage ich euch Bescheid.“

Situationen wie diese wiederholten sich oft und manchmal fragte ich mich, nach welchen Kriterien man bei der Polizei und auch bei der Justiz eingestellt wurde. Bei der Justiz weiß ich es mittlerweile. Wer das erfährt, fällt vom Glauben ab! Aber das ist jetzt nicht das Thema, ich schweife wieder ab. Aber es gibt so vieles, über das ich berichten muss, dass die Erinnerungen nur so hervorsprudeln.

Nun aber wieder zurück zu Uschi.

Wie bereits erwähnt, fuhren wir sonntags meistens zu meiner Mutter. Ich hatte dort noch immer ein Zimmer, aber aus Platzgründen wohnte während meiner Abwesenheit mein älterer Bruder Heinz oder mein jüngerer Bruder Helmut darin. Wenn Uschi und ich kamen, schliefen wir im Wohnzimmer oder einer meiner Brüder schlief dort und wir in meinem Zimmer.

Meine Mutter mochte Uschi nicht und auch Marion wurde von ihr nur geduldet. Meine Mutter mochte überhaupt keine der Frauen, die ich ihr vorstellte. Immer hatte sie etwas zu mäkeln.

Eines Tages saßen wir gemeinsam im Wohnzimmer und aßen ein Stück Kuchen, den ich wie immer, wenn wir meine Mutter besuchten, mitgebracht hatte. Da sagte meine Mutter wie aus heiterem Himmel: „Die mit den langen blonden Haaren war hier und hat gesagt, dass sie ein Kind von dir bekommt. Sie hatte auch schon ein dementsprechendes Bäuchlein.“

Und schon ging das Gekeife los. „Woher weiß die Chinesin, wo deine Mutter wohnt?“ Marion hatte leicht verengte, schräg gestellte Augen, was ihr einen chinesischen Ausdruck verlieh. „Du warst bestimmt schon mit ihr hier. Du betrügst mich!“

Ich wusste aus Erfahrung, dass jedes Wort der Verteidigung bei Uschi nur noch mehr Theater hervorrief. So entgegnete ich: „Komm mit.“

Wir gingen in mein Zimmer. Dort wurde gerangelt und es gab einige leichte Hiebe. Das Ganze endete damit, das Uschi und ich im Bett lagen und eine Nummer schoben.

Im Übrigen stellte sich heraus, dass Marion in die Trickkiste gegriffen und sich ein Kissen untergeschoben hatte, als sie meiner Mutter von ihrer Schwangerschaft vorgelogen hatte. Auf diesem Weg wollte sie mich zurückgewinnen.

Bei meiner Mutter hatte ich auf dem Kleiderschrank einen gepackten Koffer liegen, in den ich von der Zahnbürste bis hin zu Schuhen und Mantel alles eingepackt hatte, was ich für eine eventuelle Flucht brauchte. Ein aufgebohrter Trommelrevolver befand sich auch darin.

Eines Sonntags ging ich mit Uschi zum Tanzen. Die Stimmung war großartig. Uschi zog ihre Stöckelschuhe aus, wir beide tanzten und die Leute standen im Kreis um uns herum und klatschten. Uschis Dekolleté rutschte immer tiefer – sie hatte „Mördertitten“, das muss ich einfach sagen – und die Leute feuerten sie an. Sie war einfach nur noch glücklich und ich war zufrieden. Gegen vier Uhr am Morgen fuhren wir zu meiner Mutter, hatten guten Sex und schliefen entspannt ein. Auf einmal wurde ich unsanft geweckt. Fünf Polizisten standen in dem kleinen Zimmer, zwei von ihnen mit gezogener Pistole.

Insgesamt waren sie mit neun Polizisten angerückt, zwei befanden sich in der Küche und zwei warteten draußen vor der Treppe mit zwei Schäferhunden.

Uschi und ich lagen nackt im Bett. Zwei Polizisten rissen uns die Bettdecke weg und legten mir Handschellen an. Als dies erledigt war, konnten sich die Beamten angenehmeren Dingen zuwenden. Uschi und ich wurden eingehend ge- und bemustert. Uschi schien ihnen zu gefallen.

„Deck dich zu!“, rief ich ihr zu. „Denn Gucken kostet Geld.“

Sie zog die Decke über ihren Körper, als einer der Polizisten befahl: „Stehen Sie auf! Wo ist die Waffe?“

Uschi schaute ganz verdattert. „Was für eine Waffe?“, fragte sie. Dabei zog sie sich an, während ich noch immer nackt und mit auf dem Rücken gefesselten Händen mitten im Raum stand.

„Gebt mir meine Sachen“, bat ich. „Ich will mich anziehen.“

Die Handschellen wurden geöffnet und vorne wieder geschlossen. Jetzt konnte ich mir Unterhose, Hose und Strümpfe anziehen. Um mein Hemd, die Weste und das Jackett anzuziehen, wurde zunächst eine Hand von den Handschellen befreit, ich zog mich ein Stück weiter an, die Handschellen wurden wieder geschlossen, und dann vollzog sich das gleiche Prozedere mit der anderen Hand. So ging es hin und her, bis ich vollständig bekleidet war.

Ich wurde langsam sauer, zumal ich mitbekam, wie die Bullen sich gegenseitig beglückwünschten, als ob sie ein gefährliches Raubtier erlegt hätten. Als viele Jahre später meine Frau dies zum ersten Mal erlebte, war sie völlig perplex. Als sie mir diesen Sachverhalt später schilderte, sagte sie: „Die haben sich auf die Schulter geklopft und gegenseitig zu ihrem Erfolg gratuliert. Ja, bist du denn ein Raubtier, das man wieder eingefangen hat?“ In dieser Zeit verlor sie das Vertrauen in die Exekutive und hat es bis heute, ebenso wie ich, nicht zurückgewonnen.

Die Situation bei meiner Mutter wurde nun langsam kritisch, denn die Polizisten wollten meine Pistole haben. Sie fragten abwechselnd meine Mutter, Uschi und mich: „Wo ist die Waffe?“

„Was für eine Waffe?“, fragte ich gespielt ahnungslos.

„Wir stellen die Wohnung deiner Mutter total auf den Kopf, wenn du die Waffe nicht herausgibst.“

Bei dieser Streitmacht, mit der sie angerückt waren, war mir klar, dass sie den Worten auch Taten folgen lassen würden, wenn ich nicht mit der Waffe rausrückte. „Okay, ich gehe sie holen“, sagte ich.

Sofort sprang einer der Männer auf mich zu. „Du bleibst hier. Sag uns, wo sie ist, dann holen wir sie selbst.“

„Ich weiß nicht, wo sie ist. Meine Mutter hat den Koffer weggepackt und in ihr Schlafzimmer gehe ich nicht.“

„Nun gut, dann soll deine Mutter den Koffer holen.“

„Ich sagte: „Mutti, holst du bitte den Revolver aus dem Koffer, den ich für mich gepackt habe?!“

Meine Mutter ging durch den Raum. Zwei Polizisten folgten ihr. Als diese allerdings mit ins Schlafzimmer gehen wollten, versperrte meine Mutter ihnen den Weg und sprach: „Von Ihnen kommt mir keiner in mein Schlafzimmer!“ Nach einigem Hin und Her ging meine Mutter allein in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab, während zwei oder drei Polizisten ungeduldig vor der Tür standen und warteten.

Nach einigen Minuten ging die Tür wieder auf und meine Mutter kam mit ausgestrecktem Arm, den Revolver in der Hand, aus dem Schlafzimmer, die Mündung der Pistole auf die Polizisten gerichtet.

Meine Herren, da sah man aber, wie schnell so ein Bulle hüpfen kann!

„Frau Massat, machen Sie keinen Unsinn! Geben Sie uns die Waffe. Machen Sie sich nicht unglücklich“, sagte einer der Männer.

Ich konnte förmlich sehen, wie ihm der Zapfen in die Hose rutschte. Ich bildete mir ein, seinen Angstschweiß riechen zu können.

Meine Mutter schaute den Mann entsetzt an. Sie wusste überhaupt nicht, was er meinte. Sie hielt den Revolver am Griff und wollte ihn nur abgeben.

Endlich merkte dieser Mensch, dass meine Mutter ihn gar nicht bedrohen wollte und riss ihr den Revolver aus der Hand.

So endete meine Flucht und der Abstecher in die Freiheit fand ein jähes Ende. Ich landete wieder im Gefängnis – wo ich nach Meinung des Jugendamtes und der Polizei auch hingehörte.

Ich kam in Haft, und zwar in die mir bestens bekannte Untersuchungshaftanstalt. Mit jeder neuen Verhaftung wurde es schlimmer. Von dort ging es wieder mit dem Transporter Richtung Oberems. In der dortigen Auswahlanstalt holte ich mir meinen Arrest ab.

Der Gefängnisarzt

Von der Auswahlanstalt für die Läger in Oberems (deswegen, weil es noch eine Auswahlanstalt in Hagen – früher Duisburg-Hamborn – gibt, wo alle Gefangenen hinkommen, die einen deutschen Pass haben und die zu einer Strafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden sind) wurde ich in einen alten Gefängnisbau ganz im Westen unserer Republik verbracht. In diesen Altbau kam ich auch nach meiner letzten Verhaftung, als ich mich mit der verhaftenden Polizei prügelte. Dies war am 30. Dezember 2002, ein Tag vor Silvester.

Es war derselbe Bau wie früher, nur die Kübel waren weg. Es war eine einzige Katastrophe. Dort rettete mich nur der Arzt. Ich weiß heute gar nicht mehr, wie er hieß, nur an seinen Gefängnisnamen erinnere ich mich. Unter den Gefangenen wurde er „Luftschlange“ genannt. Er hatte für die meisten von uns immer denselben Spruch parat: „Was haben Sie? Magenschmerzen? Hat meine Frau auch. Drei Gelonida. Der Nächste! Was haben Sie? Kopfschmerzen? Hat meine Frau auch. Drei Gelonida.“ So ging es in fast jeder Sprechstunde zu. Wenn jemand allerdings ernsthaft krank war, wurde ihm auch geholfen.

Ich bekam eine große Einzelzelle, es gab fließendes Wasser, aber keine Toilette. Jedem Morgen musste der Kübel geleert werden.

Zur Zugangsuntersuchung wurde ich dem Arzt vorgeführt. In der Regel war bei jeder Untersuchung auch ein Sanitätsbeamter anwesend, so auch hier. „Sind sie gesund?“ Er schaute in meine Krankenakte. „Aha, Sie waren in Oberems, dann sind Sie ja topfit.“

„Ja, ja“, sagte ich, „topfit.“

Dies war meine erste Begegnung mit dem Gefängnisarzt.

Ich wurde zur Zellenarbeit für eine Firma eingeteilt, die Nadeln und andere Kleinteile verpackte. Das bedeutete, ich hatte täglich nur eine Stunde Freigang auf dem Hof, ansonsten war morgens und abends Kübeln angesagt, da ging ich gerade mal dreißig Meter über den Flur bis hin zur Spülzelle und zurück. Arbeiten und Schlafen, mehr gab es zu der Zeit für mich nicht. Ich empfand das als eine absolute Katastrophe. Ich kann mich zwar sehr gut mit mir selbst, mit Büchern oder irgendwelchen anderen Arbeiten beschäftigen, aber ich bin auch ein Mensch, der viel Sport treibt und gern an der frischen Luft ist.

Meine Zelle war verhältnismäßig groß, etwas größer sogar als eine normale Einzelzelle. Ich konnte dort zumindest ein paar sportliche Übungen machen.

Die Arbeit war Mist, ich musste Druckknöpfe zusammenfügen, Sicherheitsnadeln und Nähnadeln packen oder sortieren, alles in allem ein stupider Arbeitsvorgang. Der einzige Vorteil war, ich konnte meinen Gedanken nachhängen.

Im Sommer trug ich beim Kübeln oder Essenfassen nur ein Unterhemd. So konnten die Mitgefangenen sehen, dass ich sehr gut trainiert war. Über den Sport fand ich sehr schnell Kontakt zu anderen Inhaftierten. Wir fachsimpelten über Liegestütze und Ähnliches. Manch einem gefiel es mit Sicherheit nicht, dass ich auf einmal so interessiert gefragt wurde, während das allgemeine Interesse für denjenigen nachließ.

Einer von ihnen wollte sich wohl unbedingt an mir reiben. Es begann harmlos mit der Frage: „Wie viele Liegestütze machst du?“

Ich antwortete: „Korrekte, also runter mit der Brust bis auf den Boden und die Arme gestreckt schaffe ich hundertzwanzig Liegestütze.“

Abends nach Einschluss ging es los. Es wurde von Tür zu Tür geschrien: „Du spinnst! Das schaffst du niemals!“

Wegen dieser Geschichte bekamen wir uns so in die Haare, dass dieser Mithäftling mich, während wir zur Freistunde ausrückten, schlagen wollte. Es kam aber nicht dazu, denn ich war schneller. Ich versetzte ihm einen Faustschlag aufs Auge und erwischte auch seine Nase. Er blutete, und als er sich die Nase putzte, konnte ich anschließend sehen, wie sich sein Auge schloss. Ich erhielt sieben Tage Arrest, während er ohne Strafe davonkam. Und das, obwohl der Streit von ihm ausgegangen war.

Wer sich in Arrest befand, wurde in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen vom Arzt aufgesucht. Während meines Arrests fragte mich der Arzt, wie es mir ginge, ob ich gesund sei – das Übliche eben. Dabei kamen wir ins Erzählen.

Nach sieben Tagen kam ich wieder in meine Zelle und auf der Abteilung war Ruhe.

Eine Woche später spielte sich Folgendes ab: Nach der Freistunde – es war drückend warm – dreht ich den Wasserhahn auf, stellte mich auf den Stuhl und kletterte in das auf Kipp stehende Oberteil des Fensters. Unten konnte ich das Fenster nicht öffnen, nur oben ließ es sich ein Stück aufklappen. Und dort legte ich mich hinein. Ich trug nur meine Turnhose und mein Körper fing einige Sonnenstrahlen ein. Unten im Hof lief die Nachmittagsfreistunde und es dauerte nicht lange, bis ich im Oberlicht entdeckt wurde. Die Beamten bekamen dies natürlich auch mit, und ruck, zuck standen zwei von ihnen bei mir in der Zelle.

„Was machen Sie da?“

Ich dachte, was das für eine doofe Frage sei, sagte aber: „Ich sonne mich.“

„Aha, und warum läuft das Wasser?“, wurde ich gefragt.

„Nun“, antwortete ich, „wenn ich die Augen zumache, in der Sonne liege und das Wasser plätschern höre, dann denke ich, ich liege in Spanien am Strand.“

Jetzt wurden die Beamten sauer und unisono hieß es: „Komm da runter, aber etwas zügig!“

Es dauerte wohl alles etwas lange und schon bekam ich wieder eine Meldung, wurde von der Zelle verlegt und erhielt zudem auch noch sieben Tage Arrest.

Zuerst die Verlegung: eine Gittertür, dahinter ein langer Gang auf der einen Seite, große Fenster mit Blick auf den Innenhof. Auf der anderen Seite Türen, die dort, wo sonst der Spion war, ein mit Gitter versperrtes Viereck hatten – circa zwanzig mal zwanzig Zentimeter groß. Hinter der Tür befand sich ein an der Zellenwand befestigtes Bett und auf der anderen Seite ein ebenfalls befestigter Spind. Hinter dem Bett, also an der gegenüber der Tür liegenden Wand, gab es noch einen kleinen Tisch und einen Hocker. Tagsüber waren die Türen zu diesen Hühnerkäfigen offen und ich konnte mich mit den anderen Gefangenen auf dem Gang bewegen. Wir durften dort essen und bis zum Einschluss Schach oder andere Spiele spielen. Für einen Hundezwinger war dieses Räumchen viel zu klein, deswegen nenne ich es Hühnerkäfig. Hier bekam jeder einmal Platzangst, so auch ich. Manches Mal hatte ich das Gefühl, die Wände würden mich erdrücken.

Bevor ich überhaupt ausgeräumt hatte, ging es allerdings wieder ins Loch. Nach drei Tagen besuchte mich der Arzt, mit dem ich ein gutes und langes Gespräch hatte. Er meinte: „Man hätte dich für das, was du getan hast, nicht bestrafen, sondern dich loben sollen, weil du dir einen kleinen Urlaub gönnen wolltest. Und da du nicht rauskannst, hast du dir den Urlaub ins Gefängnis geholt, finde ich gut!“

Er verschrieb mir Milch und Obst und nachdem ich aus dem Arrest kam, zeigte ich ihm, wie ich Liegestütze machte. Er holte mich außerhalb der Sprechzeiten zu sich ins Arztzimmer und ich spielte mit ihm Schach. Beim zweiten Mal untersuchte er mich nach „Sackratten“, also Filzläusen. Dazu zog ich mich nackt aus und meine Geschlechtsteile wurden unter einer starken Lampe einer genauen Untersuchung unterzogen. Dies geschah nur einmal, der Arzt wollte wohl wissen, wie es bei mir um die Reinlichkeit bestellt war.

Mir wurde nun dieselbe Arbeit zugeteilt wie zuvor, jedoch wurde ich diesmal im Betrieb untergebracht und sollte dort mein Pensum schaffen. Wegen meiner starken Sehbehinderung auf dem rechten Auge sorgte der Arzt dafür, dass ich nur ein halbes Pensum schaffen musste. Somit konnte ich es etwas langsamer angehen lassen und musste nicht mehr den ganzen Tag pujacken. In den Betriebsräumen unter dem Dach war es im Sommer höllisch warm und zum Ausgleich dafür im Winter eisig kalt.

Einmal in der Woche ging ich zum Arzt und es wurde jedes Mal ein Plauderstündchen daraus – im wahrsten Sinne des Wortes. Dieser Arzt war derjenige, der das Feld bestellte. Er pflanzte die Saat des Selbstbewusstseins, die Kraft des Wortes – des gesprochenen sowie des geschriebenen – mehr zu schätzen als die reine Körperkraft. Ich erkannte, dass beides zusammen ein Ganzes ergab.

Der Arzt war ein reiner Kopfmensch und beneidete mich zumindest ein kleines bisschen um meine körperliche Fitness. Es machte ihm Spaß zu sehen, wie ich alles aufsog, was er zum Besten gab. Er sagte: „Massat, du bist ein Schwamm, ein riesengroßer Schwamm, und du kannst noch jede Menge Wissen aufsaugen. Mach weiter so!“

Ich habe mich stets an diese Empfehlung gehalten und stehle auch heute noch mit den Augen und den Ohren.

Wir sprachen zum Beispiel darüber, ob ein Mensch einen Gedanken ganz für sich allein hat. Unser Fazit war: Kein Mensch hat einen Gedanken ganz für sich allein und es hat noch nie jemand ganz für sich allein eine originelle Idee gehabt. Jede neue Idee ist das Kristallisationsprodukt tausend verschiedener Ideen, die mehrere Menschen haben oder hatten. Einer von ihnen findet dann plötzlich zur rechten Zeit das rechte Wort und den richtigen Ausdruck für die neue Idee. Sobald nun das Wort da ist, erinnern sich Hunderte von Menschen, dass sie diese Idee schon lange vorher im Kopf gehabt haben.

Wenn im Kopf eines Menschen ein Plan entsteht, der Gedanke, etwas Bestimmtes zu unternehmen, heranreift, darf man sicher sein, dass zahlreiche Menschen in seiner Nähe den gleichen oder einen ähnlichen Plan haben. Wer nun letztendlich seinen Plan, seinen Gedanken verwirklicht, unterscheidet sich von den ewigen, den dauernden Plänemachern, die erst viel zu spät hinterherschreien: „Das war meine Idee! Das hätte ich auch gekonnt.“

In diesem Zusammenhang ist auch das Bedauern zu sehen, das die meisten Menschen erst am Ende ihres Lebens empfinden und das sie zu folgenden Gedanken führt:

Der Mensch!

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

Der Mensch trinkt sein Gewohnheitsbier.

Spielt Lotto, Toto oder Skat,

ist krank, wenn er die Masern hat.

Kriegt Kinder, eins bis sieben Stück,

verspielt sein Leben, verspielt sein Glück.

Und dann auf seinem Sterbebett,

da sagt der Mensch:

„Ach, hätt ich, hätt ...“

Wer mein erstes Buch bereits gelesen hat, wird sagen: „Dieses Gedicht kenne ich ja schon!“ Richtig, Sie haben recht. Aber es passt auch hier so gut, dass ich es mir und Ihnen noch einmal ins Gedächtnis rufen wollte.

Der Arzt war sehr daran interessiert zu erfahren, wie die Gefangenen mit ihrer Sexualität im Gefängnis umgingen. Dieses Thema beschäftigte aber auch Frauen. Ich sprach einmal mit einer Richterin über dieses Thema, teilweise auch mit Sozialarbeiterinnen. Seit im Männergefängnis Frauen als Wärterinnen tätig waren, kam es auch zu Gesprä-chen mit ihnen.

Die Frage nach der Sexualität war eine Frage des Alters und der sexuellen Orientierung. Ausgehend von meinem damaligen Alter und meinen sexuellen Fantasien gebe ich hier das wieder, was ich damals dem Doktor erzählte:

Im Gefängnis verloren die Gefangenen oft ihr seelisches Gleichgewicht, vor allen Dingen auch deshalb, weil sie sexuell ausgehungert waren. Wir Inhaftierten waren wie besessen von einem quälenden Verlangen nach Frauen, der Sanftheit und der Liebe eines Weibes. Bei dem Gedanken an die weichen, süßen, geheimnisvollen, herrlichen Tiefen einer Frau hätte man wahnsinnig werden können. Man stellte sich ihre glatten Schenkel vor, rund und warm, und es war, als läge man auf ihr und spürte das Fleisch ihres Gesäßes, ihrer festen Hinterbacken in den Händen und eine weiche wogende Brust unter sich. Es war zum Verrücktwerden, zum Davonlaufen, zum Abhauen! Von diesen Gedanken, aus diesen Überlegungen heraus wurden viele Fluchtpläne geschmiedet, wurden Gedanken gewälzt: Wie schaffte man es zur nächsten Stadt, zu seiner Frau, zu seiner Freundin? Wenn ich es geschafft hätte, wenn ich rausgekommen wäre, hätte ich die Frau meines Herzens geliebt, sie angebetet, alles für sie getan, weil sie auf das heiße drängende Gefühl reagiert hätte. Und ich wäre glücklich gewesen, solange sie da gewesen wäre …

Das waren in etwa die Träume und Gedanken, die ich im Gefängnis hatte. Die anderen Inhaftierten sicher auch. Ich schrieb ja bereits, dass wir im Gefängnis leicht unser seelisches Gleichgewicht verloren. Und was blieb uns am Schluss übrig?

Feuchte Träume hatte ich genug, also griff ich zur Selbsthilfe, hing meinen Träumen nach und fand eine – wenn auch nur kurz anhaltende – Entspannung.

In diesem Zusammenhang möchte ich eine Erzählung des Doktors zu Papier bringen. Es ist eine Geschichte aus dem Gerichtssaal:

Ein Bauer wurde verurteilt, weil man eine Brennerei bei ihm entdeckt hatte. Er besaß alles, was man benötigte, um Schnaps zu brennen, aber weiter fand man nichts bei ihm. Keinen gebrannten Schnaps, nichts! Lediglich die Vorrichtung, um Schnaps zu brennen, war vorhanden. Der Amtsrichter verurteilte den Bauern zu einer Geldstrafe von 5.000 DM.

Der Bauer fragte: „Wofür werde ich verurteilt? Ich habe keinen Schnaps gebrannt.“

„Ja“, sagte der Richter. „Sie haben keinen Schnaps gebrannt, aber Sie besitzen die Vorrichtung dafür.“

Der nunmehr Verurteilte erhob sich daraufhin und fragte den Amtsrichter, ob er ihn etwas fragen dürfe.

„Nur zu“, sagte dieser.

Der Bauer fragte darauf den Amtsrichter, ob dieser schon wegen Vergewaltigung verurteilt worden sei. Ein entrüstetes Nein des Amtsrichters war die Folge. Er wollte wissen, wie der Bauer dazu komme, so etwas zu fragen. „Das wird noch Folgen für Sie haben!“, drohte er.

Nun entgegnete der Bauer: „Was wollen Sie eigentlich? Sie haben doch die Vorrichtung dafür, eine Vergewaltigung zu begehen, ebenso wie ich eine Vorrichtung dafür habe, Schnaps zu brennen. Ich werde verurteilt und Sie nicht. Ist das gerecht?“

In zweiter Instanz wurde der Bauer freigesprochen.

Einmal brachte mir der Arzt den „Kaukasischen Kreidekreis“ von Bertolt Brecht mit, um dann eine Woche später mit mir darüber zu diskutieren. Es ging um den selbstherrlichen Richter Azdak, der trotz aller Willkür ein salomonisches Urteil über die Mütterlichen spricht und dieses auch präzisiert. „Wie er es schlichte, wie er es richte …“, sagte Bertolt Brecht.

Projiziert auf meine damalige Situation muss ich sagen, dass so mancher Anstaltsleiter, Flügelverwalter oder ADL2 sich so verhielt wie der selbstherrliche Richter Azdak, nur kam dabei in den wenigsten Fällen ein salomonisches Urteil heraus.

Die Bediensteten vergaßen nach einigen Jahren, dass sie es im Gefängnis mit Menschen zu tun hatten und nicht mit Brettern oder irgendwelchen Eisenplatten, die einfach weggestapelt wurden. Jede Entscheidung, die getroffen wurde, konnte gravierenden Einfluss auf das sogenannte Vollzugsziel haben, konnte einen Inhaftierten um Jahre zurückwerfen, kostete wertvolle Lebensjahre.

Die Justizvollzugsanstalten sind für mich ebenso ein rotes Tuch wie die Jugendämter, um die es ja im ersten Teil meiner Trilogie hauptsächlich ging. Willkür, wo ich ging oder stand – Ausnahmen bestätigen nur die Regel –, im Allgemeinen sieht man ähnliche Personen Erzieherinnen/Erzieher, Justizvollzugsbeamtinnen/Justizvollzugsbeamte, Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter, harte Augen, harte Herzen. Reden können sie alle, vor allen Dingen über Empathie, über soziales Miteinander, über soziale Kompetenz. Sie aber selbst besitzen nichts davon! Sie nennen sich Sozialarbeiter und wissen noch nicht einmal, was „sozial“ überhaupt bedeutet. Wie gesagt, und das möchte ich noch einmal betonen: Ausnahmen bestätigen die Regel.

Ich konnte mich sehr gut auch mit anderen Gefängnisärzten unterhalten, so zum Beispiel während einer anderen Haft mit einem Perser/Iraner. Er war ein gottesfürchtiger Mann, der etwas für seine Patienten tat, wenn sie Hilfe brauchten. Ich kann das beurteilen, denn ich war zu der Zeit sechzehn Monate lang Lazarettkalfaktor und hatte meine Zelle im Revier. Aber dazu später mehr.

Ich schreibe dies deshalb, weil ich, anders als die meisten Gefangenen, eine Sicht und einen Einblick in das Innere dieses Mikrokosmos hatte. Ich wusste und weiß mich in jeder Hinsicht zu wehren. Beamtinnen und Beamte offenbarten mir ihre Schwierigkeiten im privaten wie im beruflichen Bereich. Einige Beamte begleitete ich von den Anfängen ihres Dienstes bis hin zu ihrer Pensionierung. Ich bin beileibe nicht stolz darauf. Leider ist es so, aber genau deswegen kann ich mir ein Urteil erlauben, und zwar ein fundiertes.

Ich weiß, ich müsste systematischer vorgehen. Aber manchmal überkommt es mich, wenn ich an die vielen Ungerechtigkeiten denke und dann den Mist höre, den sie verzapfen, nur weil sie das Glück hatten, in ihrer Jugend nicht mit ihren Taten aufgefallen zu sein oder weil sie einen milden Richter hatten und nun vor der Tür standen und nicht hinter ihr.

Genug davon.

In diesem alten Gefängnisbau hatte ich irgendwann das Negative fast verdrängt, den Raum, in dem ich mich – wenn das Bett heruntergeklappt war – kaum drehen konnte. Ich musste seitwärts gehen, damit ich zwischen der Wand und dem Bett durchkam. Die Kübel, die Enge, überall Enge, keine fünfzig Meter freies Gehen ohne Türen oder Mauern, sogar der Freistundenhof war weniger als fünfzig Meter lang.

Entspannung fand ich nur in Büchern. Wenn ich las, vergaß ich darüber zum Teil sogar die Situation, in der ich mich gerade befand.

Wir Inhaftierten sprachen über Entspannung. Nicht über die körperliche – die fand ich in meinen Übungen, die ich mindestens fünf Mal in der Woche absolvierte. Als ich in der kleinen Kopfzelle lag, machte ich meine Übungen auf dem Flur und hatte auch bald viele Mitstreiter. Nein, ich meine die herbeigesehnte, die totale geistige Entspannung, die ich aber nur zum Teil fand. Wenn ich mir diese vollkommene, die totale Entspannung als einen Raum vorstelle, so muss ich sagen, dass es sicherlich viele Türen gab, durch die ich diesen Raum betreten konnte. Ich fand zumindest für eine gewisse Zeit meine Entspannung in der Literatur, denn das Lesen war eine dieser Tü-ren.

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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
321 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783954883417
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