Kitabı oku: «Klausjäger», sayfa 4

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DREI

Im «Engel» war noch lange der Teufel los gewesen. Trotz Sankt Nikolaus’ Tod war der Klaustag gefeiert worden. Über Mitternacht hinaus und in den späten Morgen hinein. Das Unglück in der Bahnhofstrasse hatte den zeitlich geplanten Ablauf der Veranstaltung völlig aus dem Konzept gebracht.

«Es ist pietätlos», sagte Trudi, die Serviererin. Trotz ihrer Müdigkeit hatte sie der Männerschar getrotzt und bemühte sich jetzt, die letzten verbliebenen Gäste aus dem Wirtshaus zu treiben. «Da stirbt der Sankt Nikolaus, und seine Vereinskollegen wissen nichts anderes, als sich bis zur Ohnmacht zu besaufen. Heiri! Jetzt mach, dass du nach Hause kommst! Und Kari, wenn deine Frau wüsste, was für wüste Witze du hier zum Besten gegeben hast, würde sie die Scheidung einreichen.»

«Die geniesst den Klausabend wie ich auch», lallte Kari und versuchte, seine schwere Glocke umzubinden. «Die ist froh, wenn sie mich einmal im Jahr los ist … kennst du diesen schon?» Kari krümmte sich vor Lachen. «Albin und Benno spielen im Garten Wilhelm Tell …» Kari gluckste. «Albin stellt sich mit einem Apfel auf dem Kopf an einen Baum. Benno schiesst mit der Armbrust und trifft ihn im linken Auge …»

«Was ist daran so lustig?», fragte Trudi, froh darüber, dass das Repertoire an sexistischen Witzen verbraucht war.

«Benno ist sehr enttäuscht und sagt: Wenn du das noch einmal machst …», es gelang ihm kaum mehr zu sprechen, «… schaue ich dich … ha … haaa … nicht mehr an! … Ha … haaa …»

«Jetzt mach, dass du nach Hause kommst!»

Im Wirtshaus hatte sich stickiger Dunst ausgebreitet. Die Tische standen kreuz und quer. Leere Bierflaschen lagen auf dem Boden, zwei bereits zusammengekehrte Scherbenhaufen.

Trudi riss die Fenster auf. Gleich traf sie ein kalter Luftstrom. Obwohl sie die Letzten der Bastillon, wie sie die spät Heimkehrenden nannte, verabscheute, war sie sehr um sie besorgt. Es war schon vorgekommen, dass die Betrunkenen auf dem Heimweg liegen geblieben waren und nur durch die Aufmerksamkeit nüchterner Küssnachter vor dem sicheren Erfrierungstod hatten bewahrt werden können. Heute, am 6. Dezember, würde es etwas ruhiger werden. Da schliefen die Klausjäger den Rausch aus.

Heiri fand den Ausgang nicht auf Anhieb. Und Kari verwechselte den Blumentopf mit dem Pissoir. Trudi scheuchte ihn händeringend und fluchend weg. «Du Sauludi! Jetzt aber raus!»

Erst am Mittag schloss sie die Eingangstür. Bis zum Abend würde sie keinen Gast mehr hereinlassen. Es galt, die Spuren der letzten Nacht zu beseitigen: Geschirr und Gläser abzuräumen, den Dreck zu entsorgen, die Tische ordentlich hinzustellen, Möbel und Boden zu reinigen. Wieder frisch aufdecken. Bis die ersten Gäste zum Nachtessen erschienen, würde niemand mehr das Chaos erkennen, das jetzt noch herrschte. Trudi liess sich schwer atmend auf einem der Stühle nieder. Sie war die Einzige vom Servicepersonal, die geblieben war. Sogar ihren Chef hatte sie um vier zur Bettruhe geschickt. Es war jedes Jahr dasselbe. Um den Klausabend rissen sich die wenigsten. An ihr blieb letztlich alles hängen.

Trudi genehmigte sich eine Tasse starken Kaffee. Der würde sie die nächsten Stunden wach halten, bis ihre Kolleginnen eintrafen. Und während sie aufräumte, würde sie ihren Gedanken nachhängen können. Nie zuvor hatte es einen Toten an einem Klausumzug gegeben. Früher war es auch ruhiger gewesen. Die Klausjäger hatten sich geziemter benommen, einige unter ihnen hatten sich nach den Besuchen in den Wirtshäusern noch einmal zusammengefunden, um mit dem «Sächsizügli» durchs Dorf zu ziehen. Heute wussten sie nicht, wie viel sie trinken wollten. Bier reichte längst nicht mehr. Schnäpse mussten es sein. Die Klaren von der übelsten Sorte. Trudi hatte auch heuer die Flaschen aus dem Keller geholt, die über das Jahr dort unten verstaubten. Ihr Chef hatte dem wohlwollend beigepflichtet. Am Ende hatten sie den billigsten Fusel aufgetischt. Die Männer wussten ja nicht mehr, was sie konsumierten.

Jemand klopfte. Trudi warf einen Blick durchs geöffnete Fenster und sah die Putzmaschine der Gemeinde das Unterdorf hinabfahren. Trudi winkte Markus zu, der das Gefährt steuerte. Markus sah lädiert aus. Er hatte erst um halb sechs den «Engel» verlassen. Er hatte weniger getrunken als seine Kollegen. Trudi hatte ihn im Auge behalten und ihm nur noch Wasser ausgeschenkt. «Du musst einen kühlen Kopf bewahren», hatte sie ihm gesagt. Er habe ja Frühdienst.

Wieder klopfte es, diesmal heftiger.

Trudi erhob sich. Auf dem Weg zur Tür schloss sie die Fenster. Sie drehte den Schlüssel, öffnete und sah sich zwei Männern gegenüber. Der eine trug eine Polizeiuniform, der andere eine Lederjacke.

«Louis Camenzind ist mein Name.» Der mit der Lederjacke schwenkte einen Ausweis vor ihrer Nase. «Kantonspolizei Schwyz. Wir sind wegen des gestrigen Vorfalls hier. Haben Sie Zeit, uns ein paar Fragen zu beantworten?»

«Zeit?» Trudi wandte sich um. Sie ging zurück zum Tisch, wo sie gesessen hatte. Sie rückte zwei Stühle zurecht und fuhr mit dem Ärmel über die Tischplatte. «Sehen Sie irgendwo Zeit?»

Louis blieb unbeeindruckt stehen. «Hatten Sie letzte Nacht Dienst?»

Trudi hob die Augenbrauen. «Seit dreissig Jahren halte ich jeweils an den Klausabenden die Stellung hier. Niemand sonst will sich während Stunden mit Besoffenen abgeben. Ich kenne jeden Stammgast beim Namen. Ich sage Ihnen, am Klausabend sind es ein paar hundert. Sie fragten mich nach meiner Zeit? Fragen Sie mich, was Sie wissen wollen.» Sie musterte den Mann, der wie ein Asiat aussah. Der Schwyzer Dialekt passte nicht zu ihm, sein Name noch weniger. Jetzt arbeiten die Asylsuchenden schon bei der Polizei, dachte Trudi und befingerte ihre Bluse, die einst frischer gewesen war.

«Konrad Gross», sagte Louis, «erinnern Sie sich, ob er hier war, bevor er sich in die Parade beim Start an der Seebodenstrasse stellte?»

«Nein, Konrad kam selten hierher. Er nahm das Amt des Sankt Nikolaus sehr ernst. Zudem ist er … war er … Bezirksrichter. Der liess sich nicht einfach so volllaufen. Der hatte seine Prinzipien. War auch Vorbild für viele.»

«Sie sagten selbst, dass Sie viele Klausjäger gut kennen.»

«Ich kenne sie beim Vornamen und weiss, wie sie sich aufführen, wenn sie ein paar zu viel hinter die Binde gekippt haben. Wenn jemand so lange im Service arbeitet wie ich, bekommt er mit der Zeit einen psychologischen Tiefblick.»

«Erinnern Sie sich daran, wie Gross’ Tod hier aufgefasst wurde?»

«Lange Zeit wusste niemand, was sich auf der Bahnhofstrasse abgespielt hatte», sagte Trudi. «Sie müssen wissen, dass die Klausjäger, wenn sie in der Parade mitlaufen, schon einiges intus haben. Als der Umzug stoppte, kehrten sie in die Wirtshäuser ein, um sich weiter zu betrinken. Aufwärmen, nennen sie es. Sie warteten also hier auf den Weitermarsch. In den letzten Jahren kam das nie vor. So lange wie gestern mussten sie auch nie warten, bis es weiterging. Ich meine, gestern ging ja gar nichts mehr. Robi hielt Türwache. Aber er stand lange dort. Die Klausjäger, die sich auf der Strasse aufhielten, kehrten nach und nach hier ein oder im ‹Adler› gegenüber.»

«Wann ungefähr erfuhren Sie, dass es auf der Bahnhofstrasse einen Toten gegeben hatte?»

«Keine Ahnung, welche Uhrzeit da war. Irgendwann kam Lukas zurück und teilte uns mit, dass man Konrad mit dem Leichenwagen abgeholt habe. Wir glaubten zuerst an einen Scherz. Lukas kann man nicht immer ernst nehmen. Seine Witze sind manchmal gewöhnungsbedürftig. Als aber der Präsident der Sankt Niklausengesellschaft persönlich hier auftauchte und uns über das Unglück informierte, wusste ich, dass es bitterer Ernst war.»

«Wie reagierten Ihre Gäste auf diese Hiobsbotschaft?», fragte Louis.

«Sie konnten sie nicht nachvollziehen. Bei einem gewissen Alkoholpegel verzögert sich wohl alles. So auch die Auffassungsgabe jedes Einzelnen, der hier anwesend war. Man wollte es nicht wahrhaben. Aber dann hatte man Grund, sich endgültig ins Elend zu saufen.»

«Es klingt so, als hätten Sie für die Klausjäger nicht sehr viel Sympathie übrig», sagte Louis.

«Man kann nicht alle in denselben Topf werfen. Es gibt aber Männer, die jeglichen Respekt verlieren, wenn sie betrunken sind. Zum Glück ist das nicht die Regel, sonst hätte ich diesen Job schon längst an den Nagel gehängt.» Trudi strich sich mit der Hand übers Gesicht. «Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Und aufgefallen? Nein, eigentlich nicht. Vielleicht sollten Sie mit Werner Gwerder reden. Er ist Präsident der Sankt Niklausengesellschaft.»

«Von ihm kommen wir gerade», sagte Louis.

«Ach so? Warum stellen Sie mir denn diese Fragen? Ich nehme an, die Antworten wussten Sie bereits.» Trudi schmollte. «Ich habe zu tun.»

«Noch eine letzte Frage: Wo halten sich die Klausjäger gewöhnlich auf?»

Trudi setzte ein zynisches Lächeln auf. «Sie beginnen ihre Pintenkehre oft im ‹Adler› und setzen sie Richtung ‹Rössli› und ‹Hirschen› fort. Manche sind auch im Oberdorf. Immer mit viel Rauch und Schwall. Sie hängen sich dann wieder ihre Treichel um und gehen unter lautem Gebimmel zur nächsten Beiz.» Trudi erhob sich. «Sie entschuldigen mich. Sie sehen ja, was hier los ist. Bis um fünf sollte ich die Gaststube auf Vordermann bringen.»

«Bekommen Sie keine Hilfe?»

«Doch, doch …» Sie begleitete die beiden Polizisten zur Tür. Sie sah ihnen nach, als sie beim Kreisel über die Strasse gingen. Lange schaute sie auf den Kreisel mit den Fotos vom Dorf, von Iffelen und den Bezirkswappen auf den Tafeln, auf die mickrigen mit Lämpchen beleuchteten Buchsbäume, die den Kreisel bildeten, und dachte, dass Küssnacht den hässlichsten Kreisel im Kanton besass.

***

Nach dem Umzug im April hatte es einige Wochen gedauert, bis Valérie sämtliche Kartons ausgepackt und Geschirr und Kleider verräumt hatte. Im Sommer hatte sie endlich Zeit gefunden, ihre neue Wohnung in der Rubiswilstrasse so einzurichten, dass sie sich wohl darin fühlte. Zwar kam sie mit ihren Nachbarn noch immer nicht klar. Sie grüssten sie kaum, wenn sie ihnen im Hausflur begegnete. Sie gaben ihr damit wohl zu verstehen, dass eine Zürcherin in der Schwyzer Siedlung nichts verloren hatte. Vor allem Frau Annen vom zweiten Stock liess es sie mit ihren abfälligen Bemerkungen wissen. Es war kein Zufall mehr, dass sie immer dann ins Treppenhaus gelangte, wenn Valérie nach Hause kam oder die Wohnung verliess. Bis jetzt hatte Valérie es nicht für angebracht gehalten, der Dame mit der Igelfrisur ihren Dienstausweis zu zeigen. Diese Genugtuung würde sie sich für eine passendere Gelegenheit aufheben.

Valérie liebte ihre Privatsphäre, und sie lächelte über das Rätsel, das sie ihren Mitbewohnern aufgab. Hauptsache, sie hatte nun auch für Colin eine Bleibe. Es zeichnete sich allmählich ab, dass ihr Sohn doch noch zu ihr ziehen durfte. Dafür verantwortlich war der neue Anwalt, Raphael Kälin, den Valérie in Schwyz kennengelernt hatte. Ihr neuer Rechtsvertreter scheute sich nicht davor, sich mit Willy Lehmanns zwielichtiger Vergangenheit auseinanderzusetzen und seine schmutzigen Geschäfte zu entlarven. Sie bildeten keine gute Voraussetzung für sein alleiniges Sorgerecht. Willys Eltern hatten endlich eingesehen, dass sie für die Erziehung ihres Enkels zu alt waren. Colin wurde jetzt während der Abwesenheit des Vaters von einer Russin betreut, die kaum Deutsch sprach, geschweige denn verstand. Für Valérie war das die Gelegenheit, Colin zu sich zu holen. Ob er selbst es wollte, darüber würde sie heute Abend mit ihm sprechen, und ob es möglich war, Kurt Schramm vom Kinderpsychologischen Dienst davon zu überzeugen.

Der erste Schritt war getan. Ein neu möbliertes Zimmer stand bereit. Sie hatte ein kleines Vermögen dafür ausgegeben. Heute würde Colin es zum ersten Mal beziehen. Valérie hatte im «Mythen Center» eingekauft. Bresaola mit Parmesan und Zitronenöl sollte es geben, dazu Toast und Rimus – Colins Leibgericht. Die Extravaganz im Essen hatte er von Willy.

Sie räumte noch die letzten Dinge auf, bevor sie zum Bahnhof Schwyz in Seewen fuhr. Um achtzehn Uhr wollte Colin dort ankommen.

Der Zug hatte Verspätung. Valérie wartete auf dem Perron und fror. Der beginnende Winter war nicht ihre Jahreszeit. Mit Willy hatte sie zwar manche Freitage im Engadin verbracht und war dort auch Ski gefahren, später hatte sie zu Snowboarden gewechselt, bis sie dem Ansturm der Menschenmasse auf den Pisten überdrüssig geworden war.

Eine gelb blinkende Lampe über den Schienen kündete die Einfahrt des Zuges aus Arth-Goldau an. Bald darauf hielt der Interregio mit quietschenden Bremsen an. Valérie ging den Perron entlang und blickte in die hell erleuchteten Abteile. Sie erkannte ihren Sohn am dunklen Haarschopf, trotz der Schirmermütze, die er in sein Gesicht gezogen hatte. Es war diese Bewegung, wenn er, wie jetzt, die Stöpsel aus den Ohren nahm, sie in seine Jackentasche schob, den Reissverschluss hoch- und die Schultern einzog. Grösser war er geworden. Bald ausgewachsen. Ein junger Mann von sportlicher Statur. Vom letzten Frühling hatte sie ihn anders in Erinnerung. Da war er viel mehr Kind gewesen. Die Türflügel prallten gegen die Waggonwände. Colin sprang über die Treppe, direkt in Valéries Arme. Sie spürte seine Kraft und lachte. Jetzt war er ein Mann.

«Bonsoir, maman», sagte er in seiner Muttersprache, was Valérie ein warmes Gefühl vermittelte. Er drückte unaufgefordert drei Küsse auf ihre Wangen. Offensichtlich freute er sich auf das Wiedersehen.

Lange war es her. Luzern, in der Nähe des KKL: Dort hatte sie ihn zum letzten Mal gesehen, nachdem er ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, auf weitere Treffen mit ihr zu verzichten. Willy war auch vor Ort gewesen. Colin hatte gar nicht anders reagieren können. Jetzt waren Monate vergangen. Die Wogen hatten sich geglättet. Colin hatte selbst herausfinden müssen, wer von den Elternteilen unvoreingenommen zu ihm stand.

Willy Lehmann war es nicht.

Valérie hängte sich bei ihrem Sohn unter. Er hatte nichts dagegen einzuwenden. Er schulterte seine Tasche und kehrte mit seiner Mutter zum Wagen zurück, den sie in der blauen Zone abgestellt hatte.

«Und, wie geht’s dir in der Lehre?» Im Sommer hatte Colin ihr mitgeteilt, dass er sich gegen Vaters Wunsch, das Gymnasium zu besuchen, hatte durchsetzen können. Jetzt absolvierte er eine Lehre als Informatiker in einem renommierten IT-Unternehmen in Zug.

«Es ist streng, aber macht mir extrem Spass. Endlich kann ich mich ohne schlechtes Gewissen dem Framework widmen.» Colin schmunzelte. «Oder den Bytes … Ich hätte es nicht ausgehalten, noch weiter die Schulbank zu drücken. Das Gymi kam für mich definitiv nicht in Frage.»

Valérie schloss den Wagen auf. «Du musst auch in der Lehre zur Schule», sagte sie und staunte über Colins neu errungenen Wortschatz. Es machte den Anschein, dass er im letzten halben Jahr auch gelernt hatte, die Dinge beim Namen zu nennen, weg von diesem Wortscheuen, der er gewesen war.

«Es ist nicht dasselbe.» Colin schwang sich auf den Beifahrersitz. «Zudem sind es nur zwei Tage pro Woche. Jetzt habe ich endlich meinen Kopf frei. Ich hoffe, dass sich auch die Situation mit Dad regelt und ich von ihm wegziehen kann.»

Valérie erwiderte nichts darauf. Das hatte noch Zeit. Zuerst sollte Colin sein Zimmer sehen und sich akklimatisieren.

Sie startete den Motor.

«Wow, ist das eine geile Kiste!», entfuhr es Colin. «In drei Jahren werde ich meinen Führerausweis machen. Du wirst mir doch den Flitzer hier auch mal ausleihen?» Er fuhr mit den Fingern über die Armaturen. «Cooles Design. Gefällt mir ehrlich besser als der 911er von Dad. Wie viele PS hat er?»

«Das möchtest du nicht wissen.»

«Komm maman, sag schon. Zweihundertachtzig?»

«Über dreihundert.» Valérie sah ihren Sohn von der Seite her an. Sie erkannte nur das Profil, das sich gegen das Rechteck des Fensters abzeichnete. Seine gerade Nase, den schön geformten Mund, der sich zu einem lauten «Wow» verzog.

«Haben deine Polizeikollegen nichts dagegen einzuwenden?»

«Die sind froh, eine wie mich zu haben.» Valérie lachte. «Die Einzige mit einem schnellen Wagen.»

«Du machst richtige Verfolgungsjagden?»

«Nicht immer ist ein Gejagter vor mir.»

«Maman, pass auf, dass die Bullen dir den Ausweis nicht entziehen.»

Wie befreiend es war, mit ihrem Sohn zu schäkern. Ob ihre Liebe doch über alles gesiegt und sie Colins Zuwendung endlich zurückerobert hatte?

Auf der Rückfahrt erzählte Valérie über ihre Arbeit bei der Kantonspolizei, wie schwierig es am Anfang gewesen sei, sich in einem gut eingespielten Team zu integrieren. Wie sehr sie sich habe bestätigen müssen und wie oft sie bei ihrer Arbeit an die Grenzen gekommen sei, weil sie mehr leistete als alle andern. «Aber jetzt ist alles im Lot», endete sie, fragte sich jedoch gleichzeitig, ob es wirklich so war.

Die Rubiswilstrasse lag nicht ganz im Dunkeln. Überall an den Fenstern hingen Leuchtsterne, Lämpchen, und auf den Balkonen standen beleuchtete Christbäume. Die Bewohner lieferten sich einen Wettbewerb darin, wer am meisten von dem vorweihnachtlichen Kitsch präsentieren konnte.

Valérie fuhr auf den Parkplatz.

«Dort befindet sich bestimmt deine Wohnung.» Colin zeigte auf das Hochparterre. «Dunkel wie ein Drachenrachen.»

«Du hast recht. Ich hatte noch keine Zeit, mich der Weihnachtsbeleuchtung zu widmen. Aber im Wohnzimmer gibt es einen Adventskranz und Kerzen auf dem Küchentisch.» Valérie stieg aus.

«Ich finde sowieso, dass es Verschwendung ist», erwiderte Colin und schlug die Autotür zu. «Du hast doch sicher Zimtsterne für mich gebacken.»

«Na ja …» Sollte sie zugeben, dass sie die Zimtsterne in der Bäckerei Haug auf dem Hauptplatz erstanden hatte? «Ich habe sie zumindest selbst gekauft.»

Auf dem Weg zur Eingangstür kam ihnen prompt Frau Annen entgegen. Auf Valéries Höhe riss sie nicht wie üblich den Kopf zur Seite; diesmal blieben ihre Blicke an Colin hängen. Valérie konnte ihre schmutzigen Gedanken förmlich riechen. Provokativ zog sie ihren Sohn an ihre Seite und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

Frau Annen blieben die Wörter, hätte sie denn welche von sich geben wollen, im Hals stecken.

Morgen würde es das ganze Quartier wissen, war sich Valérie sicher: «Die Lehmann hat einen Loverboy.»

Valérie tischte in der Küche die Teller auf. Sie hatte das Nachtessen vorbereitet, bevor sie zum Bahnhof fuhr.

«Das ist ja geil … mein Lieblingsessen.» Colin strahlte, und Valérie war zufrieden.

«Du möchtest also von deinem Vater weg.»

«Ja», sagte Colin mit vollem Mund. «Dein Einverständnis würde natürlich einiges erleichtern.»

Solange sich Colin dagegen gewehrt hatte, von den Grosseltern oder von Willy wegzuziehen, war es auch für Valérie schwierig gewesen, sich vor Gericht durchzusetzen. Die Meinung eines über Zwölfjährigen gewichtete da sehr viel.

«Wie meinst du das?»

«Ich halte es bei Dad nicht mehr aus.»

«An mir soll es nicht liegen.» Valérie hatte sich beim Kauf der Möbel viel Mühe gegeben und sich beraten lassen, was junge Leute von heute so mochten. «Das Zimmer für dich steht bereit.»

«Maman, ich glaube, du verstehst da etwas falsch.»

«Ach! Und warum sollte ich?»

«In Zug, wo ich die Lehre mache, gibt es eine coole WG. Mein Oberstift lebt auch dort. Insgesamt teilen sich zwei Jungs und ein Mädchen die Wohnung … mit mir wären es dann drei Jungs.»

Valérie spürte einen schmerzhaften Stich unter der Brust.

«Ein Mädchen ist auch dabei?», fragte sie lapidar. Colin sollte nicht merken, wie schockiert sie war. «Wie alt ist es?»

«Ja … also, eigentlich ist sie schon eine Frau. Auf jeden Fall älter als wir Jungs. Ich glaube, so neunzehn.»

«Aha!» Valérie hing der Unterkiefer runter.

«Nicht das, was du denkst.» Colin lachte verschmitzt.

«Was denke ich denn?»

«Egal. Hauptsache, ich hätte von dort aus einen kurzen Weg zur Arbeit.»

«Aber jetzt fährst du noch immer von Zürich her?»

«Mir bleibt nichts anderes übrig.»

«Von Schwyz aus hättest du einen ähnlich langen Weg.»

«Maman! Du bist meine einzige Chance … wenn du einverstanden bist, wäre alles einfacher.»

«Das kommt nicht in Frage.» Valérie schob den Teller von sich. Der Appetit war ihr vergangen. «Du bist erst fünfzehn.»

«Dann muss ich wohl bei Dad bleiben.» Colin senkte seine Augenlider und konzentrierte sich hauptsächlich auf die Mahlzeit.

Valérie erhob sich. «Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.»

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Yaş sınırı:
18+
Litres'teki yayın tarihi:
21 şubat 2025
Hacim:
391 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783960410980
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Seriye dahil "Valerie Lehmann"
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