Kitabı oku: «Mord im Parkhotel», sayfa 3

Yazı tipi:

***

Am frühen Nachmittag rief mich Gaby an. Sie hatte ich am allerwenigsten erwartet. Gaby, meine verflossene grosse Liebe, die mir vor zwei Jahren einen reichen Industriellen aus Basel vorgezogen hatte. Ich hatte mich oft gefragt, wie lange diese Ehe wohl dauern würde. Immerhin war ihr Angetrauter dreissig Jahre älter als sie. Aber aus Frauen wird man nie wirklich klug und was sie dazu veranlasst, gewisse Schritte in entgegengesetzte Richtungen zu tun, bleibt wohl immer ein Geheimnis. Sie klang nicht sehr glücklich, als ich ihre Stimme auf meinem Mobiltelefon vernahm.

»Gott sei Dank habe ich dich erreicht«, meldete sie sich und seufzte tief und anhaltend.

Es beruhigte mich, dass sie sich ihre Theatralik noch immer nicht abgewöhnt hatte. Sie hatte es schon zu meiner Zeit ausserordentlich gut verstanden, ihre Probleme durch wirkungsvolle Geräusche zu unterstreichen. Und dass sie ein Problem hatte, merkte ich an ihrer Stimmlage. Schliesslich hatte ich mit dieser Frau fast sieben Jahre zusammengelebt.

»Schön, dich zu hören«, log ich und schluckte meinen Kloss herunter. »Was verschafft mir die Ehre?«

»Wie kannst du aus meiner Notlage auch noch Scherze machen?«, schniefte sie beleidigt. »Mir geht es nicht gerade gut. Ich bin von zu Hause ausgerissen.«

Das hörte sich nach verletztem Teenager an. Ich unterliess es, ihr zu sagen, dass ich damit vom ersten Tag ihrer Ehe an gerechnet hatte. »Und da bin ich dir als rettender Engel in den Sinn gekommen?«, fragte ich stattdessen.

»Ich weiss nicht, wo ich hin soll. Aber ich halte es bei Karl nicht mehr aus.«

»Jetzt alles der Reihe nach«, versuchte ich, sie zu beruhigen. »Ich nehme an, dass du ein wenig Kleingeld bei dir hast und dich irgendwo in einem Hotel absetzen kannst.«

Ich hörte sie wieder seufzen. »Das ist es ja, ich habe keinen roten Cent bei mir. Ich bin Hals über Kopf geflüchtet. Kann ich zu dir kommen?«

In meinem Kopf rasselte es. Wenn ich ihr jetzt zusagte, war es mit meiner Ruhe vorbei. Spontan dachte ich an Salomé, an ihre sinnliche Art, an ihren Duft, wenn sie am Morgen nach dem Duschen zu mir in die Küche kam und sich auf meine Knie setzte, noch feucht vom Wasser und benommen von der Nacht. Ich wusste nicht, ob ich Gaby ertragen würde. »Du kannst kommen«, sagte ich zu ihr und hörte sie entspannt aufatmen.

»Das werde ich dir ein Leben lang danken«, entgegnete sie. »Ich kann ja dann wieder für dich da sein.«

Das hatte ich nicht erwartet. »Ich meine«, korrigierte ich, »dass du vorerst bei mir wohnen kannst, bis man eine geeignete Lösung gefunden hat. Du musst wissen, dass ich auch kein Mönch gewesen bin nach deinem Abgang.«

Ich hörte Gaby kichern. »Ich werde dir bestimmt keine Umstände machen«, versprach sie, und ich glaubte ihr. »Kannst du mir einen Schlüssel hinterlegen?« Sie tönte so, als wären wir nie getrennt gewesen.

Gaby war eine Frau, der man nie böse sein konnte. Als sie mich nach sieben Jahren Freundschaft aus heiterem Himmel damit konfrontiert hatte, dass sie den Heiratsantrag eines älteren Herrn nicht habe abschlagen können, dachte ich zuerst an einen üblen Scherz oder an eine ihrer berühmten Ideen, unserer Beziehung einen neuen Kick zu geben. Als aber nach einer Woche, während der sie von mir ferngeblieben war, eine Ansichtskarte aus Las Vegas mit Honeymoon-Grüssen bei mir eintraf, wusste ich, dass sie Ernst gemacht hatte. Seither war Funkstille zwischen uns gewesen. Ich hatte noch lange unter ihrem Entschluss gelitten. Denn mit ihr hatte ich nicht nur meine Geliebte, sondern auch meine beste Arbeitskollegin verloren.

***

Im Büro traf ich endlich auf Conradin. Er warf Akten auf mein Pult. »Übermorgen wird die Leiche freigegeben«, sagte er. »Sie befindet sich in der Rechtsmedizin und ich möchte, dass du heute Abend noch dahin fährst und sie ihn Augenschein nimmst. Ein paar Informationen haben wir schon.« Er wies auf das Papierpaket auf meinem Schreibtisch. »Sieh dir die Akten durch.« Er taxierte mich mit einem trüben Blick. »Was ist los, Andy? Ich vermisse deine Geistesgegenwart«, sagte er. »Dein Desinteresse an dem Fall gibt mir zu denken. Gibst du schon auf?«

Darüber hatte ich mir noch zu wenig Gedanken gemacht. Und der Zeitpunkt, um mir dies an den Kopf zu werfen, schien verfrüht. Was sollte ich ihm sagen? Dass mir das Klima zu schaffen machte, dass ich schon lange Urlaub nötig hatte? Dass es mir im Grunde beschissen ging? Er hätte sich nur über mich lustig gemacht. Noch ehe ich ihm antworten konnte, war er schon wieder aus meinem Blickfeld verschwunden.

Nina trat ins Büro. Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu. Sie kannte Conradin besser als ich und liess sich schon gar nicht mehr von ihm einschüchtern. Das Wissen, dass der Leiter des Ermittlungsdienstes während des Sommers ohne sie aufgeschmissen war, verlieh ihr eine gewisse Gleichgültigkeit. Sie galt als Mädchen für alles und ersetzte Conradins und manchmal sogar Korners Sekretärin, wenn diese im Urlaub weilten.

»Die Tote scheint ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Einwandfreier Lebenswandel, tadelloser Leumund. Vielleicht hat man sie verwechselt.« Nina setzte sich hin.

Ich nahm den Papierstapel auf, überflog die Zeilen. Ihre Eltern lebten in Bern. Ihr Vater war Arzt im Ruhestand. »Wenn du mir einen Gefallen tun könntest«, sagte ich zu Nina, die unverzüglich aufschaute. »Benachrichtige die Eltern in Bern.«

Sie öffnete erstaunt ihren Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Vielleicht hatte sie gerade das Gleiche sagen wollen wie Conradin und entsann sich eines Besseren. Ich verschwieg ihr, dass ich unter Druck stand. Sie merkte es bestimmt selber. Flüchtig lächelte sie. »Wenn ich dir irgendwie hilfreich unter die Arme greifen kann, lasse es mich wissen.« Sie schien tatsächlich Fühler zu besitzen, die jede noch so geringe Kleinigkeit genauestens registrierten.

Ich legte das Porträt der Toten auf den Tisch. »Wenn man irgendwie veranlassen könnte, dass ein Bild der Toten in den Medien veröffentlicht wird ...« Ich musste mich räuspern. »Man müsste die Gesellschaft da draussen aus den Socken heben. Irgendjemand muss sie ja gekannt oder gesehen haben.«

Nina nickte schweigend. Ich hatte sie wohl überfordert. »Ich glaube nicht, dass Korner damit einverstanden wäre«, sagte sie, weil sie wie ich genau wusste, wie delikat es war, in Korners Medienpläne einzugreifen. Wenn er die Idee als hilfreich erachtete, würde er früh genug Marcel Jenny den Auftrag erteilen, um die Zeitung zu orientieren. »So ist das hier mit dieser Hierarchie«, endete sie.

»War ja auch nur ein lauter Gedanke«, sagte ich.

»Hat es persönliche Gründe?« Nina stützte ihren Kopf in die Hände und schaute mich ungeniert eindringlich an. »Ich darf wohl nicht annehmen, dass dich Conradin aus dem Konzept bringt.« Sie hatte mich wieder einmal durchschaut. Ich überlegte mir, wie ich darauf reagieren sollte. Eigentlich konnte ich gar nicht darüber sprechen, weil ich selbst nicht wusste, was genau geschehen war. Es stand etwas im Raum, als wäre es erstarrt, und hinderte mich daran, meine Gedanken zu Ende zu denken. Ich spürte nur, dass es mir meine ganzen Energien aus meinem Körper zog. Aber das hätte niemand verstanden, auch eine Nina Buholzer nicht. Also schwieg ich.

***

Am späten Nachmittag fuhr ich nach Zürich. Ich mochte diese Stadt nicht besonders, die wie eine alte Glucke zwischen Zürichsee und Limmat lag und mich immer wieder herausforderte. Sie erinnerte mich an die grossen Weltstädte New York und Tokio, ein Moloch, der den Moder der Zeit gnadenlos ausstiess. Der heisse August schien hier in der City noch unheilvoller zu sein als ausserhalb. Die Hitze flimmerte wie eine Fata Morgana über den aufgeweichten Asphalt. Die Strasse zum Universitätsspital war verstopft. Ich kam nur mühsam voran.

Später traf ich Dr. Metzler in den Räumen der Rechtsmedizin. Ich hatte meinen Besuch angemeldet und er empfing mich mit ein paar makabren Anekdoten über Leichen aus seinem pathologischen Witzvorrat. »Willkommen in der Katakombe der Seelenlosen«, schloss er zynisch ab. Er schüttelte mir die Hände. Mich fror heute zum ersten Mal. Der Geruch von Formaldehyd, von medizinischem Konservierungsmittel, hing schon im Korridor penetrant in der Luft und schnürte mir fast die Kehle zu. Mein Beruf brachte es mit sich, von einem ins andere Extrem zu kommen. Trotzdem spürte ich ein Unwohlsein in mir aufsteigen. Dr. Metzler schritt mir voraus in den Kühlraum. Da lagen sie nebeneinander in sterilen Säcken mit Reissverschluss, in grauen Folien: die Opfer von Unfällen und Morden. Alle waren mit Zettel versehen. Wie auf der Post. Im hinteren Teil des Raumes stand ein Mann in grüner Schürze und beschäftigte sich damit, eine Leiche zu waschen. Ich überlegte mir, weshalb die Toten alle aufgebahrt und nicht einzeln verstaut waren.

»Alles Körper aus den vergangenen achtundvierzig Stunden«, beantwortete Dr. Metzler meine diesbezügliche Frage. Zielstrebig ging er auf die letzte Leiche zu. »Die anderen sind bereits schubladisiert.« Er hatte eine harte Sprache, was wohl an seiner jahrelangen Arbeit in dieser fast okkulten Welt lag. Ich hatte mir einmal sagen lassen, dass Gerichtsmediziner einen gewissen Hang zum Sadismus haben und ihre Urängste, was den Tod betrifft, durch ihren trockenen Humor wettmachen.

»Sie meinen, dass diese hier alle aus Zürich sind?«

Dr. Metzler nickte. »Ausser zwei. Ein Drogentoter, ein Opfer einer Messerstecherei, zwei Verkehrsunfälle. Gestern war Vollmond. Da spielen die Leute verrückt. Sie können sich nicht vorstellen, was dann hier unten los ist. Die fragwürdigen Todesfälle gelangen immer zuerst zu mir.« Er zog ein grünes Tuch vom leblosen Körper.

Die Frau wirkte schmal und zerbrechlich. Ihre Hüftknochen hoben sich scharf von ihren übrigen Konturen ab. Das fiel mir zuerst auf. Mir wurde übel. Neben ihrer schwach behaarten Scham erkannte ich eine bogenförmige Narbe. Ein Unfall mit dem Fahrrad, als sie sieben gewesen sei, hatte sie mir erzählt. Ein Nagel habe ihr dieses Muster verpasst. Ich erinnerte mich, wie es mir den ganzen Unterleib zusammengezogen hatte, während sie davon erzählte.

Ich spürte, wie ich zu schwanken begann, wie die Linien der Toten in weisse Fetzen zerflossen, wie Blitze durch meinen Kopf jagten und eine Bestie ihren Rachen aufriss, mich aufleckte und verschlang. Mir kam das ganze Mittagessen hoch, und noch ehe ich etwas dagegen unternehmen konnte, übergab ich mich mit einem Schwall über die halbe Leiche. Dann gähnte ein Loch in meinem Bewusstsein. Das Einzige, woran ich mich im Hinfallen noch erinnern konnte, war eine Entschuldigung, die ich vor Salomé stammelte. Dann wurde es schwarze Nacht.

Ich kam zu mir, als ich auf einem fahrbaren Bett ausserhalb des Leichenraumes lag. Eine Krankenschwester beugte sich über mich, sodass ich den Ansatz ihrer Brüste im weissen Kittel sehen konnte. Wenigstens funktionierte mein Verstand noch richtig.

»Wie ist denn das passiert?« Ihre Stimme wirkte beruhigend. »Sind Sie immer so zart besaitet?«

Ich wollte ihr widersprechen, unterliess es aber. Der peinliche Zwischenfall im Leichenschauraum wollte mir indes nicht aus dem Sinn. Sie lag tatsächlich da: meine Salomé. Jetzt bestand kein Zweifel mehr. Ich wusste es, seit ich sie im Park gesehen und verzweifelt versucht hatte, dies zu verdrängen. Wie konnte ich diese Frau vergessen, wo ich jeden Winkel ihres so liebeshungrigen Körpers ausgekostet und genossen hatte? Hatte jemand über die Liaison zwischen uns erfahren, und hatte sie deshalb sterben müssen? Ich fühlte mich mitschuldig. Diese Erkenntnis veränderte meinen momentanen Zustand nicht zum Positiven. Salomé hatte mir nie gesagt, dass sie verheiratet war, dass sie eine Tochter hatte. Ich war ihr heimlicher Geliebter gewesen, stellte ich nüchtern fest, daher ihre Ausrede, sie habe viel zu arbeiten. Sie hatte mich benutzt und im Glauben sein lassen, dass ich ihre grosse Liebe sei. Vielleicht war ich sie ja auch gewesen. Ich war ihr deswegen nicht böse. Ich hatte sie letztendlich besessen, wie sie wohl kaum ein anderer Mann besessen haben konnte. Sie hatte sich mir geöffnet, wenn auch nur im Ausdruck ihres Körpers. Ein grosser Kloss machte sich in meinem Hals bemerkbar. Nie mehr würde ich ihre warme, zärtliche Nähe spüren. Nie mehr ihre weichen Brüste liebkosen. Nie mehr zwischen ihre Schenkel sinken. Nie mehr.

»Geht es wieder?« Dr. Metzler stand plötzlich vor mir. »Können wir weitermachen?«

Ich versuchte, aufzustehen. Eigenartigerweise ging es fast von alleine. Ich kehrte mit Dr. Metzler in den Leichenraum zurück.

Den zweiten Blick auf die tote Salomé ertrug ich mit Fassung. Sie lag da, als schliefe sie den Schlaf der Gerechten. Ich hatte sie oft im Schlaf betrachtet, nachts, wenn ich wach war. Im fahlen Schein der Strassenbeleuchtung, der durch die Lamellen gefallen war, sahen ihre Gesichtszüge genauso unwirklich aus wie jetzt. Und wenn sie sich seufzend auf die Seite gedreht hatte und ihr Haar über die Wangen gerutscht war, war ich oft versucht, sie an mich zu ziehen und sie nie mehr loszulassen. »Was haben Sie herausgefunden?«

»Sie ist stranguliert worden«, sagte Dr. Metzler. »Die Male am Hals deuten darauf hin. Wahrscheinlich zwei parallel verlaufende Kordeln oder dünne textile Seile, die mit einer ungebändigten Kraft zugezogen wurden. Direkt über dem Kehlkopf. Der ist zusätzlich noch eingedrückt. Muss ein ganz brutaler Mensch sein, der ihr dies hier angetan hat. Zudem hat sie einen Genickbruch.«

Daniel hatte also Recht gehabt.

»Scheint so, als wollte der Mörder auf Nummer sicher gehen«, fuhr Dr. Metzler fort. »Oder er agierte aus voller Aggression heraus. Der Tod dürfte zwischen zehn und zwölf Uhr nachts aufgetreten sein. Der Fundort ist nicht der Tatort zugleich. Ich habe Kratzspuren an ihren Beinen entdeckt, die von spitzen Steinen herrühren.«

Ich erinnerte mich an die schwarzen Strümpfe, die noch völlig ganz gewesen waren. Hinten hatte ich nicht nachgesehen. Oder vielleicht hatte man ihr die Strümpfe im Nachhinein angezogen. Ich fragte mich schon die ganze Zeit, weshalb sie bei dieser Hitze überhaupt Strümpfe getragen hatte. »Hat man sie vergewaltigt?«

»Nein, es gibt keine Zeichen von sexueller Gewalt. In ihrer Vagina ist auch kein Sperma vorhanden. Das heisst, ich habe vermehrt Vaginalsekrete festgestellt und winzig kleine Spuren von Latex, die von einem Präservativ stammen könnten. Es ist nicht auszuschliessen, dass sie unmittelbar vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr hatte. Aber auf jeden Fall hat der Mann keine Spuren hinterlassen. Und aus Erfahrung ziehen sich Vergewaltiger keine Kondome über.«

Ich musste mich kurz auf dem Schragen abstützen. Ich erinnerte mich an das farbige Präservativ in Salomés Handtasche. Wenn sie mit mir zusammen gewesen war, hatte sie nie Präservative mitgebracht. Hatte sie ihren Mörder gekannt? »Hat sie sich gewehrt?« Sie musste sich verteidigt haben, anders konnte ich es mir nicht vorstellen. So schnell hätte sie nicht aufgegeben.

»Unter ihren Fingernägeln habe ich Hautpartikel gefunden und Blutspuren. Sie muss sich wohl stark gewehrt haben. Ich habe die Blutgruppe bestimmt. Sie befindet sich im Protokoll. Aber ohne Gegenvergleich kann ich unmöglich zu diesem Zeitpunkt eine Analyse machen. Zudem hat sie Kaviar und Blinis gegessen und dazu Champagner getrunken.«

Ich schluckte leer. Mir hatte sie immer erzählt, dass sie solche Dinge nicht ausstehen könne, dass sie diese Art zu speisen widerwärtig finde. Ich begriff nicht, wie ich mich in dieser Frau so getäuscht haben konnte.

Dr. Metzler machte ein ernstes Gesicht. »Heute ist alles möglich«, sagte er. »Ich kann Ihnen sogar sagen, wann genau sie dies gegessen hat.«

»Können Sie mir auch sagen, wo?« Es sollte ironisch klingen, war aber der vergebliche Versuch, meiner Stimme einen gefassteren Ton zu verleihen.

Dr. Metzler grinste und schlug mir kameradschaftlich auf die Schultern. Er hatte keine Ahnung von meiner Beziehung zu der Toten.

»Ich habe noch etwas anderes herausgefunden«, sagte Dr. Metzler. »Sie hat wahrscheinlich in ihrer Panik Wasser gelassen.«

»Wie meinen Sie das?«

»In ihrem Höschen waren Spuren von Urin, auch am unteren Teil des Kleides.«

Ich musste mich wieder abstützen. Ihr Tod war ein Kampf gewesen. Ich wehrte mich gegen innere Krämpfe, die vielleicht verhinderten, dass ich meinen Verstand verlor.

»Wollen Sie eine Beruhigungspille?« Dr. Metzler zog mich zur Seite.

»Es geht schon wieder«, entgegnete ich, obwohl ich mir dessen nicht sicher war.

Meine Arbeit sah ich bereits vor mir. Ich würde in nächster Zukunft sämtliche Hotels in Luzern und Umgebung von Vierstern an aufwärts auskundschaften, um zu erfahren, ob Kaviar und Blinis auf der Speisekarte standen. Was, wenn Salomé privat zum Essen eingeladen gewesen war? Ich würde die berühmte Stecknadel im Heuhaufen suchen. Ich bemerkte den Irrsinn dieser Gedanken, die Ironie, die mir meine eigene Unzulänglichkeit brutal vor Augen führte. Ich musste noch einmal zu ihrer Tochter nach Luzern fahren. Vielleicht war in der Zwischenzeit auch der Ehemann aus dem Ausland zurückgekehrt. Ich war ganz sicher, dass Sophie mehr über ihre Mutter wusste, als sie zugeben wollte.

***

Es dämmerte, als ich mit dem Gutachten des IRM unter dem Arm zu meinem Wagen zurückkehrte. Ich musste wohl eine ganze Weile bewusstlos gewesen sein. Dr. Metzler hatte mir vor dem Weggehen eine Kalziumspritze verabreichen wollen, was ich verweigerte. Ich fühlte mich miserabel, aber immerhin so gut, dass ich klar denken konnte. Zudem befand sich in meinem Wagen Aspirin für besondere Fälle. Auf dem Parkplatz zündete ich eine Zigarette an. Jetzt konnte mich nichts mehr aufhalten, so schnell wie möglich aus Zürich hinauszufahren. Ich hatte Sehnsucht nach meiner Stadt, nach meiner Wohnung, nach meinem Bett. Den Tag liess ich noch einmal Revue passieren, als ich mich langsam in den Verkehr einordnete. Die Luft hatte noch immer über dreissig Grad. Mein Kopf fühlte sich an, als führten unbekannte Mächte in ihm einen Krieg gegeneinander, als kämpfte der Verstand gegen das Irrationale, das Wissen gegen das Erahnen.

***

Ich hatte kaum die Tür zu meiner Wohnung aufgeschlossen, als auch schon das Mobiltelefon klingelte. Ich musste an Gaby denken. Aber es war nicht Gaby, sondern Daniela Schneider, die Kollegin aus meiner Schulzeit, die jetzt bei der Luzerner Zeitung arbeitete. Ich wusste nicht, wen ich lieber erwartet hätte. Aber diese hier hatte mir wirklich gerade noch gefehlt.

»Hey Andy, wie geht es dir?«

Nicht sehr passend für meine momentane Gemütslage. Ich war skeptisch. Was hatte sie so früh im Park gesucht? »Hallo Daniela«, sagte ich müde und nahm ein kühles Bier aus dem Kühlschrank. Es war das erste Bier seit Tagen. Ich hatte versucht, es mir abzugewöhnen, weil sich Salomé über meinen Bauchansatz lustig gemacht hatte. Salomé. Catherine. Was spielte es eigentlich noch für eine Rolle? Ich nahm einen langen Schluck aus der Dose und hörte mir Daniela an.

»Kannst du mir ein paar Informationen zuspielen wegen dem Mord heute Morgen?«

»Wer hat denn gesagt, es sei Mord?«

»Ach hör mal, wenn Conradin anwesend ist, muss es sich doch um Mord handeln. Zudem habe ich dich gesehen, auch wenn du mir ausgewichen bist. Du fällst mir immer auf.«

Ich hörte sie lachen. Ich erwiderte nichts. Ich war nicht in der Stimmung, um überhaupt darauf einzugehen.

»Oder ist sie aus dem Drogenmilieu und hat sich den goldenen Schuss verpasst?«, bohrte Daniela weiter.

»Inwieweit bist du schon aufgeklärt?« Ich setzte mich mit dem Bier ins Wohnzimmer. Unsinnigerweise fiel mir auf, dass ich ausnahmslos von Frauen umgeben war.

»Ich bin dran«, versicherte mir Daniela, »aber aus deinen Dienstkollegen werde ich nicht schlau. Und bevor ich mit irgendwelchen Spekulationen an die Öffentlichkeit gelange, möchte ich es von dir persönlich erfahren, capito?«

Oh, was für eine überhebliche Art. Ich hätte ihr am liebsten den Mund gestopft.

»Das finde ich fair von dir«, sagte ich sarkastisch. Ich kannte ihre Maschen. »Können wir uns morgen treffen? Ich habe einen langen Tag hinter mir.« Ich verschwieg ihr, dass dieser Tag der absolute Wahnsinn gewesen war.

»Ich auch«, entgegnete sie und schniefte. »Ich möchte den Bericht am Montag in der Zeitung haben, bevor die Konkurrenz vorgreift. Wer ist die Frau?«

Salomé!

»Ich kann dir nichts dazu sagen. Es ist noch zu früh für irgendwelche Informationen, die uns nur unnötig in unseren Recherchen behindern würden.«

Meine Geliebte!

»Heisst sie Catherine Mahler?«

Das sass. Ich schwieg. Daniela schwieg. Ich hätte am liebsten das Gespräch abgebrochen. »Wer hat dir das gesagt?«

Daniela kicherte. »Jemand hat es mir ins Ohr geflüstert.«

»Dann weiss ich nicht, weshalb du mich anrufst«, sagte ich genervt.

»Ich recherchiere auch, auf meine Art.«

»Verdammt, warum kann die Presse nicht einfach warten?«

»Hey, jetzt hör aber auf. Ich möchte bloss ein paar Fragen beantwortet haben.« Sie war hartnäckig. »Was ist los, Andy?«

Ihre Fragerei störte mich. »Ich möchte heute in Ruhe gelassen werden. Ich habe einen langen Tag hinter mir.«

»Ich höre, du wirst langsam alt«, sagte sie mit einem sarkastischen Unterton und kicherte.

»Noch bist du ein halbes Jahr älter als ich«, fiel ich prompt herein. Ich versuchte, sie mir vorzustellen, wie sie in abgewetzten Jeans barfuss auf ihrem Designersofa sass. Eine Frau mit Gegensätzen, vergleichbar mit heissem Kaffee und Eiscrème. Und immer noch mit einem Bein im Backfischalter. Ich hatte sie erst vor zwei Wochen in der Stadt getroffen. Da hatte sie mir verraten, dass sie wieder solo sei und dies in vollen Zügen geniesse. Wahrscheinlich gab es den Mann noch gar nicht, der sie aushielt.

»Ja, aber biologisch gesehen bist du schon weit über die Grenze deines potenziellen Hochs. Ich stehe dagegen erst am Anfang«, fuhr sie fort.

Ich tappte wieder einmal voll in die Venusfalle. »Du mit deiner Männchen-Weibchentheorie.« Manchmal brachte sie es sogar zustande, meine schlechte Laune zu vertreiben. Sie war tatsächlich wie Kaffee und Eis.

»Soll ich zu dir kommen?«

Mein Verstand riet mir zur Vorsicht: Man hüte sich vor dreiunddreissigjährigen Singlefrauen. Zudem hatte ich es satt, immer als Seelentröster ausgenutzt zu werden. Und ich kannte ihre Absichten ganz genau. Sie wollte mich schon lange als Trophäe in ihrer immensen Sammlung haben. »Nein, ich brauche jetzt dringend Schlaf.« Und die Bewusstheit, wie weit mich meine Gedanken an Salomé bei Verstand hielten. Aber das sagte ich nicht.

»Aber dann verrate mir, verflixt noch mal, was du heute herausgefunden hast. Ich brauche einen Aufhänger. Zwei Zeilen nur, die würden genügen. Ist sie vergewaltigt worden?«

»Nein.« Sie hatte den Liebesakt vor ihrem Tod gewollt.

»Aber hat man sie brutal ermordet?«

»Nein.« Ihr Mörder war mehr als brutal gewesen: Er war bestialisch.

»Hey Andy, jetzt mache mal einen Punkt. Warum muss ich dir die Würmer aus der Nase ziehen?«

»Du bist unmöglich«, sagte ich. Langsam belustigte mich diese Konversation. »Schreib, dass sie stranguliert worden ist.«

»Als ob das nicht brutal wäre«, motzte sie. »Wo?«

»Ich kann dir nicht mehr sagen, weil ich es selbst noch nicht weiss. Und wenn ich es wüsste, würde ich es mir lange überlegen.«

»Du hast dich überhaupt nicht verändert«, sagte Daniela zynisch. »Der einsame Wolf in seinem Revier. Hast du Angst, dass ich dir von deinem Kuchen ein Stück abschneiden könnte? Oder tappt die Polizei wie üblich im Dunkeln?«

Langsam verlor ich meine Geduld. »Der Mord ist noch keine vierundzwanzig Stunden alt. Ich kann dir auch nicht mehr sagen. Ich glaube, damit ist unser Gespräch beendet.« Sie nervte allmählich. Mir fiel indes fast das Mobiltelefon aus der Hand. Ich ging zurück in die Küche, dorthin, wo mein Rechner auf dem Tisch stand, direkt neben der Kaffeemaschine.

»Bist du noch da?« Danielas Stimme wieder.

»Ja, halbwegs«, entgegnete ich gähnend. »Ich lasse dich jetzt.«

Eigentlich hätte das anders formuliert werden müssen, dass sie mich nun gefälligst in Ruhe zu lassen habe. Daniela begriff es trotzdem.

Ein Geräusch aus dem Schlafzimmer schreckte mich auf. Ich dachte an Nachbars schwarzen Kater, der ab und zu über die Balkonbrüstung in meine Wohnung schlich. Ich hatte ihm einmal eine Scheibe Schinken spendiert, seither besuchte er mich regelmässig. Und die Balkontür liess ich im Hochsommer immer offen stehen, sodass er einfach Zutritt hatte. Ich kümmerte mich nicht weiter darum. Ich stellte den Rest des Bieres in den Kühlschrank zurück, wohl wissend, dass ich ihn anderntags ausschütten würde, weil das Getränk dann schal geworden war, als ich in meinem rechten Augenwinkel einen Schatten an der Küchentür wahrnahm. Reflexartig drehte ich mich um. »Was zum Teufel ...«, entfuhr es mir.

Unter der Tür stand Gaby in meinem Pyjamaoberteil und mit meiner Pistole in den Händen, mit der sie wie ein Profi aus einem Fernsehkrimi auf mich zielte. Ihre Beine waren braun gebrannt. Sie trug die Haare länger, sonst hatte sie sich kaum verändert. Sie war immer noch auf eigenartige Weise schön.

»Die ist geladen!«

Keine Reaktion.

»Wie bist du hier hereingekommen?« Ich hatte mich von meinem Schrecken schnell erholt.

»Die Tür stand offen und du warst am Telefon.« Sie kicherte. »Du bist sehr fahrlässig. Lässt einfach dein Schiesseisen auf dem Bett liegen.«

»Waren meine Zigaretten auch da? Die habe ich nämlich vermisst.«

Gaby schmunzelte. »Du bist doch immer noch der Gleiche.«

Hatte ich dasselbe heute nicht schon einmal gehört? Sie zog mein Pyjamaoberteil verführerisch über ihre Schenkel. Üblicherweise hätte sich bei mir bei einem solchen Anblick der Testosteronspiegel um ein Zehnfaches erhöht. Aber heute wäre ich am liebsten im Boden versunken. Ich musste wohl wie ein grünes Männchen auf Gaby wirken, denn sie blickte mich skeptisch an.

»Ist dir nicht gut?«

Ich sah, wie ihr Körper nach vorne sackte. Theatralik wie gewöhnlich. Sie legte die Pistole auf den Küchentisch. Hätte ich nicht auf Gaby zugehen und sie in die Arme nehmen sollen? Männer sind dazu da, die Frauen zu trösten, vor allem, wenn mir wieder einmal brutal vor Augen geführt wurde, wozu sie fähig sind. Warum dachte ich jetzt voreingenommen an einen Mörder? Vielleicht war es auch eine Mörderin. »Willst du etwas trinken?« Ich öffnete den Kühlschrank wieder und suchte nach einer Flasche Mineral. »Ich kann dir Cola anbieten.«

Gaby näherte sich mir und stiess die Kühlschranktür zu. »Ist schon gut«, sagte sie milde. »Ich weiss, dass du einen anstrengenden Tag hinter dir hast. Ich habe es gehört. Ich will dich ja nicht auch noch zusätzlich belasten. Du gehst jetzt schön in dein Bett, und ich schlafe auf dem Sofa im Wohnzimmer. Und sage nichts, tue es einfach.«

Ihr Vorschlag beruhigte mich. Ich zog Gaby an mich und küsste sie in ihr Haar. »Danke.«

Nachts spürte ich plötzlich, wie sich ein warmer Körper von hinten an mich schmiegte und anfing, sich langsam ganz rhythmisch an meinen Oberschenkeln zu bewegen.

Ich ignorierte dies.

Sonntag, 3. August 2003

Als ich am Morgen erwachte, war Gaby schon auf und machte sich in der Küche an der Kaffeemaschine zu schaffen. Sie lachte mir fröhlich entgegen. Ich stellte verärgert fest, dass sie wieder mein Pyjamaoberteil trug. Wie in alten Tagen. Ob sie vorhatte, sich jetzt wieder in mein Nest zu setzen? Ich sagte nichts.

»Hast du die Maschine noch immer nicht repariert?« Sie verzog ihren Mund.

Ich setzte mich. »Sie läuft ja noch.«

»Typisch Mann«, sagte Gaby. »Solange alles einigermassen funktioniert, braucht man sich ja nicht darum zu kümmern. Deine Kaffeemaschine macht einen Lärm wie ein Presslufthammer.«

»Ich habe mich daran gewöhnt.«

»Eben, da haben wir’s. Der Mann ist ein ausgesprochenes Gewohnheitstier.«

»Sag mal, hat dir das Karl beigebracht?« Es lag mir auf der Zunge, sie auf gestern Abend anzusprechen und auf den Vorfall in der Nacht. Ich schaute ihr zu, wie sie meine Tasse unter den Filter stellte und den Hebel drückte und liess meine Frage sein. Sie war ja auch zu banal. Es zischte und rasselte wirklich wie auf einer Baustelle, bevor der Kaffee in die Tasse tröpfelte. An seinem Aroma war nichts auszusetzen. Feinster italienischer Espresso. Ich genoss ihn und rauchte dazu meine Zigarette.

»Komm, lass Karl aus dem Spiel. Der ist jetzt weit weg.« Gaby nahm ihre Kaffeetasse und setzte sich mir gegenüber. »Lieb von dir, dass ich eine Zeit lang bei dir wohnen darf.«

Das erste nette Wort, seit ich wach war. Ich zog kräftig an der Zigarette, sagte aber nichts.

»Ich möchte dir wirklich nicht auf den Geist gehen. Im Gegenteil, wenn ich dir behilflich sein kann, so sage es mir. Es würde mir Spass machen, wieder mit dir durch die Gegend zu ziehen. Ich könnte mich dabei ein wenig ablenken.«

Ich trank den Kaffee aus. Ich zündete mir eine zweite Zigarette an. »Dieser Fall hier ist sehr heikel«, sagte ich dann, und ich berichtete über die Tote im Park, von meinen bisherigen Abklärungen und dem Besuch im IRM. Dass Catherine Mahler, alias Salomé, meine Geliebte gewesen war, verschwieg ich. Man sollte nicht noch mehr Öl ins Feuer giessen. Obwohl vielleicht gerade die Tatsache, dass Catherine Mahler fremdgegangen war, mehr Licht ins Dunkel gebracht hätte. Beziehungskonflikte oder Eifersuchtsdramen machten einen hohen Prozentsatz der Tötungsdelikte aus. Und Gaby hätte gewiss viel Verständnis aufgebracht.

»Vielleicht solltest du nochmals mit der Tochter der Toten reden. Ich könnte mir in der Zeit ihren Ehemann vorknöpfen«, schlug Gaby vor.

Es ärgerte mich, dass ich mich ihr gegenüber über meinen Fall geäussert hatte.

»Weisst du, dass wir immer gut recherchiert haben?«

Ich wusste es. Wir hatten Detektivarbeit im Duo-Pack geleistet.

»Wann ist der Rapport?«

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