Kitabı oku: «Mord im Parkhotel», sayfa 4

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Sie erinnerte mich daran, dass ich in Hellers Büro fahren sollte. Ich würde mich telefonisch über den Stand der Dinge erkundigen.

»Also leidet ihr immer noch unter Personalmangel«, stellte Gaby sachlich fest, als ich ihr auf ihre Frage keine Antwort gegeben hatte.

»Was heisst hier immer noch? Wir haben nie unter Personalmangel gelitten«, sagte ich bestimmt. »Viele ziehen jetzt ihren Urlaub ein.«

Sie legte ihre Stirn in Falten. »Wann machst du welchen?«

»Keine Zeit und kein Geld.«

»Im Untertreiben warst du schon immer Weltmeister.« Gaby stellte die Kaffeetassen in die Spüle. »So, dann werde ich jetzt ein bisschen aufräumen.«

Das wollte ich aber nicht. »Du kannst ja ins Lido gehen.«

Mein Vorschlag schien ihr keinen Spass zu machen.

»Meinst du, ich möchte mich exponieren?«

Ich musste lachen. Ich ging in mein Schlafzimmer und holte ein frisches Hemd aus dem Schrank. Gaby kam hinterher. »Wer macht dir eigentlich die Wäsche?«

»Ich selbst, wer denn sonst?«

»Kannst du das?«

»Na hör mal, für wen hältst du mich eigentlich?«

»Dann bügelst du auch?«

»Selbstverständlich.«

Gaby schaute mein Hemd kritisch an. »Muss schon sagen, ich könnte es nicht besser. Hätte ich mir schon früher merken sollen.«

»Bist du deshalb gegangen, weil du mir die Hemden hast bügeln müssen?«

Gaby verzog ihren Schmollmund. »Man müsste die Männer oft sich selber überlassen.«

Ich hatte keine Lust, darauf einzugehen. Ich zog mir Kleider und Schuhe an und steckte die Zigaretten in meine Hemdtasche. »Soll ich dich in die Stadt mitnehmen?«

»Ich habe es mir doch anders überlegt«, erwiderte Gaby. »Ich möchte noch ein paar Besorgungen machen.«

»Ich dachte, du hättest kein Geld?«

Gaby strahlte mich an. »Na ja, ein bisschen habe ich schon dabei.«

Ich machte mir weiter keine Gedanken darüber und rief Conradin an, damit er mich über meinen nächsten Einsatz informieren konnte. Conradin beorderte mich in die Hertensteinstrasse, wo ich mich noch einmal mit Sophie Mahler treffen sollte. Ich meldete mich bei ihr an. Dann ging ich mit dem Gedanken, dass ich mir mit Gaby doch einiges eingebrockt hatte. Mit der Ruhe war es endgültig vorbei.

Draussen schlug mir gleich dicke schwüle Luft entgegen. Der rostige Eisengeruch der Bahnschienen. Ich warf einen Blick zur Güterabfertigung. Die Arbeiter dort trugen zu jeder Jahreszeit dieselben orangefarbenen Uniformen. Die müssten eigentlich bei dieser Hitze umkommen, dachte ich. Ich holte meinen Wagen und fuhr in die Altstadt.

Beim Barbatti in der Töpferstrasse bestellte ich einen doppelten Espresso. Heute war es ausnahmsweise ruhig in den Gassen. Es war Sonntag, und da schliefen die Leute aus. Der Tisch neben mir war mit Italienern besetzt. Sie redeten in ihrer Landessprache und spielten Scoppa. Aus der Bar an der Ecke zur Hertensteinstrasse traten vier Gestalten mit Lederhosen und ärmellosem Oberteil. Sie trugen Ketten um den Hals und Piercings im Gesicht. Mir graute vor diesem Anblick. Beim Optikergeschäft Knüsel stand eine ältere Dame mit Hut, die ihre Nase platt ans Schaufenster drückte. Man sah, dass sie eine Brille brauchte. Das kleine Hündchen an der Leine tänzelte vor dem Blumentopf und hob sein Bein. Ich überlegte mir, wie viel mehr Rechte Hunde haben. Ich wollte das Geld für den Espresso auf den Tisch legen, als mir gegenüber ein Ständer mit der Sonntagszeitung auffiel. Die Schlagzeilen schrien mir in roten Lettern entgegen. Ich erhob mich.

»Sie haben noch nicht bezahlt«, rief der Kellner mir nach.

Ich stammelte eine Entschuldigung und gab ihm das Geld. Zielstrebig holte ich eine Zeitung aus dem Gestell und faltete sie auseinander.

Tote im Vögeligärtli – geht ein Frauenmörder um?

Ich überflog die folgenden Zeilen. Das durfte doch nicht wahr sein! Daniela hatte mich hereingelegt. Hatte sie sich ihren Lohn aufbessern wollen? Für die Sonntagszeitung waren solche Berichte ein gefundenes Fressen. Mit diesem Artikel hatte Daniela den schlafenden Hund geweckt. Die Polizei würde nicht mehr in Ruhe arbeiten können. Heute Abend würde ich Daniela die Leviten lesen müssen. Wütend machte ich mich auf den Weg zu Sophie Mahler.

Diesmal musste ich schon unten klingeln. Der Türöffner surrte. Ich trat ein. War Hans Mahler zurückgekehrt?

Aus dem Aufzug kommend sah ich, dass die Tür zur Wohnung offen stand.

»Kommen Sie ruhig herein«, rief Sophie aus der Küche. »Wollen Sie auch einen Kaffee?« Sie war heute besonders nett zu mir. Ich sah dann auch schnell den Grund dafür. Einer der gepiercten Typen aus der Bar stand an der Kombination und grinste mich mit seinem Froschmaul frech an. »Das ist Roger, mein Lover«, sagte Sophie und stellte sich besitzergreifend neben ihn. »Ich dachte, dass ich mein Alibi gleich einlade.«

Ich war sprachlos. Dieser lederbezogene Kahlkopf war wirklich ein Mensch und durchwegs freundlich. Er forderte mich sogar auf, Platz zu nehmen. Der metallfarbene Knopf auf seiner Zunge fiel mir auf. Hatte er sich auch noch anderswo gestochen und verlöchert? Ich war froh, dass ich mich setzen konnte. Sophie stellte mir eine Tasse Espresso hin. Ich zündete eine meiner Zigaretten an.

»Sie rauchen ja doch im Dienst«, schmunzelte Sophie.

Ich schmunzelte zurück. Wir verstanden uns. Der Bann schien endlich gebrochen. Ich war trotzdem vorsichtig. Es hätte ja sein können, dass sie sich ihres Freundes wegen keine Blösse geben wollte.

»Wie ist Ihr voller Name?« Ich wandte mich an den Gepiercten.

»Roger Dürrenmatt. Habe aber nichts mit dem Dichter am Hut«, sagte er in breitem Berner Dialekt. Er lachte entwaffnend. Die Piercings auf dem Gesicht lachten mit, das kleine auf seiner Zunge ebenfalls. Ich musste zwanghaft immer wieder darauf schauen. Ob er damit Sophies Lust vollumfänglich befriedigen konnte? »Haben Sie die Nacht von vorgestern auf gestern in dieser Wohnung verbracht?«

»Natürlich. Soll ich noch sagen, wie?« Dürrenmatt steckte sich einen Kaugummi in den Mund.

»Ihre Intimitäten interessieren mich nicht.«

»Ich dachte, die Polypen wollen alles wissen.« Dürrenmatt schmatzte ausgiebig. Er war harmloser, als er aussah.

»Waren Sie die ganze Nacht mit Sophie zusammen?«

»Ja klar«, sagte jetzt Sophie, »und wir haben nicht einmal ein Auge zugetan.« Sie blickte Dürrenmatt verliebt an.

Ich dachte mir meine Sache. »Wann kommt Ihr Vater zurück?«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich es nicht weiss. Er hat nicht mal angerufen.«

»Hat er kein Handy?«

»Schon, aber es ist nicht eingeschaltet. Ich habe ihm schon gesimst. Er hat nicht reagiert.«

»Wie bitte, gesimst?«

Sophie zog ihre Mundwinkel frech nach oben. »Ja, das ist das Verb für SMS schicken.«

Man lernte tatsächlich nie aus. »Kann ich noch einmal den Computer Ihrer Mutter sehen?«

»Wozu? Der kann Ihnen keine Antwort geben.« Sophie schritt trotzig zum Schlafzimmer und öffnete die Tür. Ich ging ihr nach.

»In welchem Konzert war Ihre Mutter übrigens am Freitagabend?«

»Das weiss ich nicht. Sie wollte es mir nicht sagen. Aber ich denke, sie war im Kultur- und Kongresshaus. Die Musikfestwochen finden ja jetzt statt.«

»Vielleicht war das ja nur eine Ausrede, und sie hat sich mit jemandem getroffen«, sagte ich.

»Das nehme ich an«, entgegnete sie. »Ich würde auch nicht alleine hingehen.«

»Hat sie Freundinnen?«

»Ja, aber diese kenne ich nicht.«

»Was wissen Sie eigentlich über Ihre Mutter? Sie wohnen zusammen unter einem Dach und kennen sich kaum.« Langsam machte mich dieses Katz- und Mausspiel wütend.

»Es interessierte mich ganz einfach nicht. Ist das ein Verbrechen?«

»Nein, aber ich ermittle in einem Fall, in dem Ihre Mutter einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.«

»Dann suchen Sie am falschen Ort!« Das war eindeutig. Sophie kam ihrer Art von gestern wieder näher. Ich trat ins Schlafzimmer und startete den Rechner. Einer Eingebung folgend gab ich den Code Salomé ein. Sofort öffnete sich der Desktop. Sophie schaute mir über die Schultern. »Was machen Sie da?« Sie war sichtbar überrascht. »Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?« Sophie war nicht dumm.

»Nein, aber ich könnte ihn innerhalb von vierundzwanzig Stunden haben und dann wären wir wieder gleich weit.«

»Dann besorgen Sie sich ihn«, sagte Sophie schroff.

Mir passte das nicht. Ich glaubte, ihre Absichten zu kennen. »Ich kann ihn auch innerhalb Stundenfrist besorgen«, sagte ich. Ich wollte das Programm wieder schliessen, aber Sophie wehrte sich vehement.

»Lassen Sie das!«

Ich drehte mich abrupt um. »Damit Sie Zugriff zu eventuellen Beweisen haben? Sie können mich nicht in den Ermittlungen behindern, meine Liebe.«

»Ich bin nicht Ihre Liebe!«

»Entschuldigung.«

Dürrenmatt räusperte sich lautstark. »Schliessen Sie ruhig und besorgen Sie sich den Durchsuchungsbefehl.«

Ich klopfte auf den Schreibtisch. »Ich bedanke mich für die kooperative Zusammenarbeit«

»Sie sehen doch, dass Sophie leidet«, sagte Dürrenmatt.

»Wenn sie sich so miserabel fühlt, wie sie tut, dann sollte sie mich zumindest machen lassen.« Und zu Sophie: »Sie wollen doch auch, dass das Verbrechen an Ihrer Mutter geklärt wird.« Ich fuhr den Computer herunter. »Rufen Sie mich an, wenn Ihr Vater zurück ist, oder sagen Sie ihm, dass er sich bei mir melden soll.«

Ich überliess Sophie meine Visitenkarte.

Unbefriedigt verliess ich das Haus in der Hertensteinstrasse. Im Schnellimbiss gegenüber würgte ich einen Hamburger mit Pommes herunter und fühlte mich danach nicht besser. Ich musste meinen Kopf befreien. Ich konnte es nicht fassen, was da geschehen war. Salomé war tot. Weg. Fort. Für immer. Ich dachte an unsere Beziehung, die keine gewesen war. Die Affäre, die auf rein sexuellem Interesse beruht hatte. Salomé hatte mir oft gesagt, welche arbeitsintensiven Tage sie habe und dass sie sich deswegen nicht binden wolle. Anfangs war mir das recht gewesen, ich hatte sie verstanden, obwohl ich mich schon nach dem ersten intimen Treffen in sie verliebt hatte. Und nach jedem Besuch von ihr mehr. Sie war wie ein Virus gewesen, der von mir Besitz ergriff, wie eine Droge, die mich süchtig machte und deren Entzug mich schmerzte. Das ihr gegenüber zuzugeben, hätte mich in meinem Stolz gekränkt, wäre es doch gegen unsere Abmachung gewesen. Sie hatte Sex gewollt. Ich auch. Ohne Schnörkel und Emotionen. Oft hatte sie mich spontan besucht, ohne lange Voranmeldung, und war dann auch gleich zur Sache gekommen.

Ich hatte sie im Casablanca kennengelernt. Einem auf Hollywood getrimmten Restaurant, an dessen Wänden Filmutensilien jeglicher Art hingen. Von Filmrollen über Beleuchtungskörper bis hin zu Plakaten verblichener Stars und Sternchen. Dort verkehrte ich in der Regel nie. Aber ich hatte damals in der Nähe dienstlich zu tun, als ich nach Feierabend Lust auf ein Bier hatte.

Sie hatte an der Bar gesessen. Mir fiel gleich auf, dass sie viel älter war als alle anderen Gäste, was sie aber überhaupt nicht zu stören schien. Im Gegenteil, sie genoss es. Und sie genoss auch die Blicke der jungen Männer, die wohlwollend auf ihr ruhten. Das machte mich neugierig. Ich setzte mich abseits an einen der kleinen runden Tische und liess die Dame an der Bar nicht aus den Augen. Seit Gabys unüberlegtem Entscheid, mich wegen eines reichen Alten zu verlassen, hatte ich mich nie mehr für eine Frau interessiert. Ich wurde zu einem Arbeitssüchtigen und schuftete in zahlreichen Überstunden, die ich nie kompensieren wollte. Meine Gemütsverfassung war auf dem Sinkflug bis zu jenem Abend im März, wo sich mein Testosteronspiegel ganz eindeutig wieder zu regen begann.

Sie trug ihre schwarzen Haare offen. Sie reichten ihr bis zu den Schultern. In ihrem Blick bemerkte ich etwas Melancholisches und etwas Abtrünniges zugleich. Und ich dachte mir, dass die Frau genau wusste, was sie wollte. Sie nippte an einem Cocktail. Ihre vollen, sinnlichen Lippen umschlossen den farbigen Strohhalm. Ich erkannte klar die Zeichen ihrer Erotik, die sie ohne Scheu zutage brachte. Sie erregte mich, ich konnte kaum noch ruhig sitzen. Das sah sie und schmunzelte. Ihre Augen waren dunkel und schimmerten. Aber das Melancholische verloren sie nicht.

»Kennen wir uns?« Sie erhob sich mit dem Glas in der Hand. Ohne zu zögern, setzte sie sich zu mir an den Tisch.

»Das könnte sich ändern«, erwiderte ich. Etwas Vernünftigeres fiel mir im Augenblick nicht ein.

»Sind Sie allein in der Stadt?«, fragte sie.

»Ich bin mit meiner Arbeit fertig«, versicherte ich und prostete ihr zu. »Ich heisse Andy.«

Sie lachte. Zwei hübsche Grübchen kamen an ihren beiden Wangenseiten zum Vorschein. »Mein Name ist Salomé.«

Ich reagierte überrascht auf ihren Namen. Der klang in meinen Ohren ein bisschen zu prosaisch. »Ein biblischer Name! Arbeiten Sie beim Theater?« Es war der gewagte Versuch, eine handfeste Konversation anzufangen.

Sie lachte. »Ich bin Krankenschwester.« Dann eine Pause. »Bist du nun enttäuscht?« Wieder lachte sie.

»Dann passen wir ja zusammen«, sagte ich und erzählte ihr von meinem Job bei der Kriminalpolizei. Danach fragte sie mich über alles Mögliche aus. Erst später wurde mir bewusst, dass ich über sie gar nichts erfahren hatte. Sie wirkte geheimnisvoll, gab mir aber ganz konkrete Zeichen, dass ich ihr nicht gleichgültig war. Ihre Augen sprachen Bände, ihre Stimme schwang in einem Timbre, das mich elektrisierte und erregte. Was für eine Frau!

Zwischen uns war an diesem Abend schon alles klar. Sie schaute auf ihre Uhr und glitt vom Barhocker. »Ich muss gehen.«

Als sie unter der Tür stand und mit ihrem Mobiltelefon ein Taxi bestellte, fühlte ich einen unbeschreiblichen Stich im Magen, einen warmen Schmerz, der sich in mir ausbreitete und in meine Lenden strömte. Ich sah ihr zu, wie sie in ihre Jacke schlüpfte. Plötzlich war Salomé neben mir. Dann packte sie mich um den Hals und zog meinen Kopf in ihre Richtung, küsste mich. Ich rang nach Luft. Sie hatte mich überrascht. Sie lächelte, als sie mich wieder losliess. »Wenn du mir deine Adresse sagst, werde ich morgen Abend zu dir kommen.«

Natürlich hatte ich sie ihr gegeben.

***

Später brachte mich ein Gang die Reuss entlang auf andere Gedanken. Trotz der gnadenlosen Hitze machte ich mich auf den Weg von der Seebrücke über den Rathausquai bis zum Nölliturm. Sonnenschirme an der Reuss, welche bunte Farbtupfer in den blauen Himmel malten. Junge Leute auf den eng bestuhlten Terrassen. Sonnenhungrige am Ufer des Flusses, fast nackt. Sie schien es nicht zu stören, dass das Thermometer bereits wieder hoch hinaufgeklettert war. 38 Grad im Schatten zeigte es an. Der Schweiss rann mir den Nacken herunter. Ich wusste nicht, wo ich beginnen sollte. Die Hitze lähmte meinen Verstand. Bei der Geissmattbrücke kehrte ich um. Ich wählte jetzt den Weg durch den Löwengraben. Mein Hemd war völlig durchtränkt. Überall in den Geschäften sah ich die Auslagen der neuesten Herbstmode. Dicke flauschige Jacken, lange Boucléröcke in den Farben Camel und Rost. Wollene Strumpfhosen. Rosarot schien der letzte Schrei zu sein und wurde wohl nur von ganz mutigen Damen getragen. Ich musste plötzlich an den rosaroten Strampler meiner jüngeren Schwester denken, den sie als Baby getragen hatte. In der Weggisgasse herrschte Hochbetrieb. Eine Horde Asiaten nahm den schmalen Durchgang ein, der zur Eisengasse führte. Ich fragte mich, was da so sehenswert sein sollte. Wieder kam ich mir wie ein Fremder in der eigenen Heimat vor. Bis ich spätestens an der Spitze des Völkerauflaufes den Grund erkannte. Ein goldfarben besprayter Pantomime vollführte seine Künste. Ich überlegte mir, was ich bei seinem allfälligen Hitzekollaps unternehmen würde. Eine Cardiopulmonale Reanimation? Doch schien mir, als gäbe es hitzebeständigere Menschen, als ich es war. Das Kopfsteinpflaster unter meinen Füssen war mit zahlreichen Kaugummis verklebt. Eine leere Coladose lag einsam zwischen zwei Blumentöpfen, aus denen dichtes Schilfrohr wucherte.

***

Der Geruch von angebratenen Zwiebeln schlug mir wie eine Faust entgegen, als ich am Nachmittag heimkehrte. Es roch hier immer nach abgestandener Luft, hier unten beim Eingang zum Treppenhaus. Im Winter konnte man die Feuchtigkeit spüren, den Moder vergangener Tage. Der Hauswart war ein alter Mann und kaum noch fähig, irgendetwas für die Sauberkeit des Hauses zu unternehmen. Heute fiel mir zum ersten Mal auf, wie tief hier die Lebensqualität in den letzten Jahren gesunken war. Die Wände zum Keller waren schimmlig, die graue Farbe löste sich. Auf der untersten Stufe hatte jemand eine Flüssigkeit ausgeleert und nicht wieder aufgewischt. In der Ecke bei den Briefkästen lagen Zeitungen und Reklameprospekte. Ein Kinderwagen stand da mit kaputten Rädern. Vielleicht hätte ich mich schon lange mit dem Gedanken auseinandersetzen sollen, von hier auszuziehen. Im obersten Stockwerk, wo ich wohnte, war es erträglicher. Hier störte mich niemand, und an die intimen Geräusche um mich hatte ich mich gewöhnt.

Gaby sass im Wohnzimmer auf dem Boden; ausser einem schmalen Slip und dem Büstenhalter trug sie nichts. Sie wühlte entschlossen in der Schuhschachtel, die ich von Salomés Schlafzimmer entwendet hatte. Gaby war vertieft in ihre Sache und hörte mich nicht. Meine Werkzeugkiste stand auch da, jedes Teil nach aussen gelegt: Hammer, Nägel, Schraubenschlüssel, Abdichtungen, Kupferdrähte. Ich war nicht sicher, ob ich wütend sein sollte. Als Gaby mich entdeckte, schaute sie mich mit dem Lächeln eines Unschuldsengels an. »Hallo. Ich glaube, ich habe gefunden, wonach wir suchen.« Sie klang wie früher. Wie in den Tagen, an denen wir uns an knifflige Fälle herangemacht hatten.

»Und was zum Teufel hast du mit meiner Werkzeugkiste zu tun?«

»Ich brauchte sie, um die Agenda aufzuknacken«, sagte sie und richtete sich voll auf. Sie hatte immer noch einen schönen Körper. Ein bisschen mollig, ein bisschen weich, vielleicht vor Sehnsucht ausgehungert, sonst hätte sie sich am Vorabend nicht an mich herangemacht. Ich wollte sie nicht mehr berühren.

»Mit dem Hammer?«

»Kann ich etwas dafür, wenn bei dir die Zange zuunterst liegt?«

Wir lachten beide. Ich half ihr beim Aufräumen.

»Wo ist die Agenda?« Meine Neugierde war plötzlich da. Aber auch ein etwas komisches Gefühl. Das schlechte Gewissen, das mich plagte, weil mir bewusst war, wichtiges Beweismaterial unterschlagen, zumindest für mich behalten zu haben.

Gaby reichte mir die Agenda. »Schaue dir die Einträge vergangener Tage an.« Sie blätterte mir vor der Nase die Seiten um. »Da zum Beispiel, vor ihrem Tod, hat sie KKL hingeschrieben. 17.00 zum Apéro. Kein Name. Aber hier, sieben Seiten vorher steht: 19.30 Mad Max. Und einen Tag später: Ich war mit Mad Max im Bett. Hätte ich es nicht getan, hätte er mich umgebracht. Habe seine Augen gesehen. Da ist noch etwas, was mir aufgefallen ist. Am letzen Donnerstagabend ein Eintrag: 21.00 bei Andy.« Gaby schaute mich prüfend an. »Kennst du die Tote?«

Es klang ironisch. Trotzdem fiel ich darauf herein. »Jetzt spinnst du«, entgegnete ich.

Gaby lächelte verheissungsvoll. »Ehrlich gesagt, finde ich es sonderbar, dass du mit dem Fund da nicht auf direktem Weg zu Conradin gehst.«

Ich lachte. Sie lachte.

»Spitzfindig wie früher«, sagte ich und riss ihr die Agenda aus der Hand. Ich fühlte mich von ihr ertappt. Ich blätterte weiter, schaute mir die diversen Notizen an. Aufs Jahr verteilt waren es viele Termine, stets am Abend, auch unter der Woche, die Salomé eingetragen hatte. Aber aus den Namen, die hier standen, wurde ich nicht schlau. 25. Juni: Fantasmo um 19.00, dahinter ein Fragezeichen. Und am 17. und 18. Juli: Poseidon. Am 19. Juli: Hammer. Dazwischen immer wieder Andy. Die Zeiten, die da angegeben waren, hätten mit meinen Daten übereinstimmen können. Da war Salomé bei mir gewesen. Mir lief es kalt und heiss den Rücken hinunter.

Gaby machte mich auf die letzten Seiten der Agenda aufmerksam. Unter Memory ein paar stichworthaltige Eintragungen: Hammer liebt mich. Testament geändert. – Mad Max, 25, sein Pseudo sagt alles! – Andy: Sex mit ihm ist das Allergrösste. – Poseidon: einzigartig!!! Fantasmo: Ich möchte ihn endlich treffen.

Ich musste mich setzen. Der Hamburger lag mir plötzlich schwer im Magen.

»Soll ich dir etwas zum Trinken holen?« In Gabys Stimme schwang ein besorgter Ton mit. »Was ist los mit dir? Du kannst mir doch nichts vormachen, Andy. He, ich kenne dich doch.« Sie berührte meine Wangen. »Macht dich dieser Fall denn so verrückt?«

Ich wusste nicht, ob ich ihr die Wahrheit hätte sagen sollen. Ich klappte die Agenda zu. »Wovon redest du?«

»Ich werde den Verdacht nicht los, dass du die Tote gekannt hast.« Sie gab nicht auf.

Ich schüttelte den Kopf. Wollte sie mich verhören? Sie war neugierig und zäh, und wenn sie sich etwas in ihren hübschen Kopf gesetzt hatte, so verfolgte sie es bis zum bitteren Ende. Sie kannte mich. Und es fiel mir schwer, sie anzulügen. Sie schien meine Gedanken zu erraten.

»Hör auf!«, herrschte ich sie an. »Was soll das?«

»Ach«, sagte sie, »es ist so ein Gefühl.«

»Du mit deinem Gefühl.« Jetzt wurde ich wütend.

Aber sie fuhr hartnäckig fort: »Du kannst mir alles sagen, ich kann schweigen.« Sie holte ein Glas Orangensaft und stellte es vor mich hin. Während ich trank, wurde mir plötzlich klar, wie unwirklich sich das Ganze anfühlte. Ich stand nicht mehr ausserhalb eines Falles, sondern mittendrin. Die Perspektiven hatten sich verändert.

»Willst du dich hinlegen?« Gaby machte sich offensichtlich Sorgen um mich. Sie fühlte instinktiv meinen Puls. Aber ich war nicht krank.

»Okay, ich habe die Frau gekannt.« Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Am liebsten hätte ich losgeheult, um mich vom tiefen Schmerz der letzten beiden Tage zu befreien. »Ich habe sie sogar geliebt.« Und wie ich sie geliebt hatte. Diese Mischung aus zärtlicher Hingabe und wilder Leidenschaft. Ich war süchtig nach ihr gewesen. Süchtig nach ihrer Unersättlichkeit.

Gaby sagte nichts. Sie wusste zu schweigen, wo Worte zu früh oder zu spät kamen. Diese Eigenschaft hatte ich ihr schon früher hoch angerechnet. Trotz ihrer quirligen Art besass sie ein erstaunliches Feingefühl.

»Ich weiss nicht, was passiert ist«, fuhr ich fort und kämpfte gegen die Tränen. Nicht nur ihr Tod, sondern auch die Tatsache, dass ich mich in dieser Frau so geirrt hatte, setzte mir sehr zu. Wut wechselte sich mit Scham ab, Traurigkeit mit abgrundtiefer Enttäuschung. Vielleicht hätte ich mich ihrer mehr annehmen müssen, sie ausfragen. Aber sie hatte immer den Anschein hinterlassen, als wäre sie überglücklich. »Was habe ich bloss falsch gemacht?«

»Hör auf damit. Du weisst genau, dass das nicht stimmt. Du bist zu gutmütig. Da liegt der Unterschied. Was immer dir diese Frau bedeutet hat, sie hat es nicht verdient, dass du ihr nachtrauerst.«

»Du hast sie nicht gekannt.«

»He, he, jetzt aber Schluss! Ich glaube, dass ich die Frauen besser kenne als du. Ich bin schliesslich vom gleichen Schlag. Sie können hinterhältig und intrigant sein und ihre Moral vergessen.«

Ihre Unverblümtheit erstaunte mich. »Aber nicht Salomé. Irgendetwas gefällt mir nicht an dieser ganzen Geschichte.«

»Salomé?«

»Catherine. Bei mir war sie Salomé.«

Mir entging Gabys entgeisterter Blick nicht. »Das weist auf schizophrene Züge hin«, sagte sie.

»Vielleicht hat sie etwas verbergen wollen«, entgegnete ich.

»Natürlich, ihr Doppelleben. Ob ihr Mann von diesen Dingen gewusst hatte?« Sie verdrehte ihre Augen wieder mit dieser angeborenen Theatralik.

»Dann hätte er ein Motiv«, sagte ich.

»Das ist zu einfach.«

»Das reale Leben ist einfacher als man glaubt.«

»Das würde ich nicht sagen.« Gaby nahm mir das leere Glas aus der Hand und stellte es zurück in die Küche. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Frauen es gibt, die ihr Haushaltsgeld mit heimlichen Jobs aufbessern. Ich rede vom horizontalen Gewerbe. Die Moral ist nicht mehr dieselbe wie vor ein paar Jahren, vor allem bei den Dreissig- bis Vierzigjährigen. Die verkaufen sich. Die wollen Spass und glauben, damit ihr Selbstwertgefühl aufzubessern. Sie wollen sicher sein, dass sie noch begehrt sind, wenn der Mann zu Hause schlappmacht, einen Bierbauch ansetzt und nach Feierabend seine Ruhe haben will. Nicht die Frauen, die Männer lassen sich gehen, wenn sie erst einmal verheiratet sind. Und dann angeln sich die frustrierten Frauen junge Liebhaber, rassige Hengste, ungebundene Söhne der Prärie.«

Ich schwieg. Was erzählte sie mir da? Warum ereiferte sie sich so? Sie, die sich mit einem um dreissig Jahre älteren Mann eingelassen hatte? Einer, der ihr Vater hätte sein können. Und auf einmal tat sie so, als verstünde sie etwas von den Neigungen gewisser Frauen. Ich dachte gleichwohl an Salomé. Sie war auch fast sieben Jahre älter als ich. Vielleicht hatte sie noch Jüngere gehabt, Mad Max zum Beispiel. 25 hiess es in der Agenda.

Gaby räusperte sich. Sie reichte mir ein Taschentuch. Sie hatte bemerkt, dass meine Wangen nass waren. Nicht einmal bei Gabys Wegzug vor zwei Jahren hatte ich geweint.

»Du brauchst dich nicht zu schämen.« Und nach einer Weile: »Sie muss wohl eine aussergewöhnliche Frau gewesen sein.«

Nach einem doppelten Whisky und zwei Valium ging ich früh zu Bett. Mit dem Gedanken, dass ich es versäumt hatte, Daniela anzurufen, schlummerte ich ein. Die Kombination von Alkohol und Medikamenten wirkte wie ein Hammer. Ich schlief tief und traumlos, fühlte mich aber am Morgen keine Spur besser.

Montag, 4. August 2003

Pünktlich um acht kam ich auf dem Polizeirevier an. Conradin war schon da, Julien Roduit, wenn auch ziemlich verschlafen, Leo Meier, auch aus meiner Abteilung, Willy Balmer und Daniel Betschard vom Kriminaltechnischen Dienst. Untersuchungsrichter Heller und Korner waren nicht anwesend, was mich erstaunte.

»Setzen Sie sich«, sagte Conradin. »Wir werden den Rapport heute in zwei Etappen durchführen. Anweisung von oben. Sie dürfen demzufolge auch mitdenken.« Das klang zynisch. Aber meine Zweifel waren damit beseitigt.

Es ärgerte mich, dass ich keine Zeit für Kaffee und Zigarette hatte. Auch Nina war in ihrer Sitzposition. Computer und Mensch waren fast zusammengewachsen. Ein nicht mehr wegzudenkendes Duo. Wie es schien, hatte sie die Arbeit von Conradins Sekretärin übernommen, die gute Seele.

»Haben wir schon etwas Neues, was uns in den Ermittlungen weiterbringt?« Conradin sah mich an.

Aber ich glaubte kaum, ihn befriedigend informieren zu können. Was sollte ich ihm sagen, dass ich in meiner Arbeit gehemmt war und den Fall delegieren wollte, dass Catherine Mahler vom Donnerstagabend bis zum Freitagmorgen bei mir zu Besuch gewesen war? Dass sie mir gesagt hatte, dass sie am Freitag zum Friseur gehen wolle, dass sie mich angelogen hatte und gar nicht Krankenschwester war? Dass ich im Grunde ein Versager war und nicht der Polizist, für den er mich hielt? »Ich habe ihre Agenda gefunden. Es macht den Anschein, dass die Tote mehrere Liebhaber hatte.« Es fiel mir schwer, dies zu sagen. »Ich werde versuchen, die Männer ausfindig zu machen.«

Ein Raunen ging durch das Büro.

»Also hat die Frau doch Dreck am Stecken«, sagte Conradin und warf Willy einen verschwörerischen Blick zu. »Es gibt auch weisse Westen über den schwarzen oder den Wolf im Schafspelz. Dunkle geheime Seiten, kriminelle Energien, die man auf den ersten Blick nicht sieht.«

Diese Äusserungen hielt ich für fehl am Platz. Sie machten das Opfer offensichtlich zum Täter. Was wollte Conradin damit bezwecken? Hatte er vielleicht selber ein Problem damit? Ich machte auf den Durchsuchungsbefehl aufmerksam, und Conradin versprach mir, diesen vom Untersuchungsrichter umgehend anzufordern. Über Dr. Metzlers Bericht brauchte ich mich nicht zu verausgaben.

„Die pathologischen Befunde habe ich eingesehen“, sagte Willy und räusperte sich. „Sie können den Autopsiebericht selber durchsehen.“

Dr. Metzler hatte die Leiche geöffnet. Er hatte Salomés Körper geschändet. Er hatte ihre intimsten Stellen sorgfältig untersucht. Kurz machte sich wieder ein Schwindel bemerkbar, den ich aber schnell wieder in den Griff bekam.

„Etwas hätte ich noch gern gewusst“, sagte Conradin und schaute mich eindringlich an. „Weshalb ist die Agenda der Ermordeten nicht in meinem Besitz?“

Ich wusste darauf keine Antwort.

„Kannst du mir diese Verzögerung begründen?“

„Ich arbeite daran“, erwiderte ich.

„Ich möchte, dass dieses Buch, oder was auch immer es ist, unverzüglich ins Labor kommt.“ Conradins Augen versprachen nichts Gutes. „Ich nehme an, dass solche Dinge in Zukunft nicht mehr vorkommen.“

Das war eine klare Rüge.

„Wir sprechen uns noch“, sagte er, mich mit verkniffenem Blick fixierend. Dann wandte er sich Julien zu.

„Ich habe Hans Mahler aufgespürt“, sagte dieser. Ich stellte fest, dass er zündrote Augen hatte. Wen er wohl diesmal anvisiert hatte? „Er war seit letztem Mittwoch in Nairobi und befindet sich jetzt auf dem Rückflug.“

„Was hat die Spurensicherung ergeben?“, fragte Willy. Er und Conradin arbeiteten eng zusammen. Man nannte sie die siamesischen Zwillinge der Kripo. Soviel ich wusste, waren sie auch privat befreundet, eine undurchsichtige Freundschaft allerdings, welche bei den Mitarbeiterinnen unausgesprochene delikate Fragen im Raum stehen liess, weil die beiden ledig und ungebunden waren. Für mich waren es bloss zwei karrieresüchtige Männer, die einander jagten. Conradin wäre mit Sicherheit verheiratet gewesen, hätte er die Frau gefunden, die sich mit seinem Job voll identifizieren könnte. Bei Willy war ich mir nicht so sicher.

Daniel berichtete von den Untersuchungen im Sempacherpark. Ich wusste, wie wenig man zurzeit damit anfangen konnte. „Zudem gibt es Fingerabdrücke auf den Schuhen der Toten, die nicht von ihr sind“, fuhr er fort.

Er hat ihr die Schuhe ausgezogen, durchfuhr es mich.

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