Kitabı oku: «Bilingualer Erstspracherwerb», sayfa 2

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Bei der Unterscheidung zwischen bilingualem Erstspracherwerb und frühem Zweitspracherwerb berücksichtige ich in diesem Abschnitt bewusst nicht die Sprachkompetenzen, zu denen die beiden Erwerbssituationen führen. Auf der einen Seite kann früher Zweitspracherwerb selbstverständlich zu einer gelungenen Zweisprachigkeit führen. Auf der anderen Seite führt der Kontakt zu zwei Sprachen von Geburt an nicht automatisch zu Zweisprachigkeit. Abgesehen davon können sich aufgrund von veränderten Inputbedingungen die Sprachkompetenzen nicht vollständig entwickeln oder wieder abgebaut werden. Wie ich in Abschnitt 2.6 darstellen werde, kann die später erworbene Zweitsprache die Fähigkeiten in der Erstsprache gefährden (Chumak-Horbatsch 2008). Der unvollständige Erwerb der Erstsprache gepaart mit dem Sprachabbau kann so weit führen, dass die Erstsprache fast vollkommen aufgegeben wird, weshalb man von Sprachsubstitution (z. B. Francis 2011) sprechen kann. Yip (2013, 120) erwähnt als ein anderes Beispiel für Sprachsubstitution den Fall von adoptierten Kindern, die in ihrer neuen Familie mit einer neuen Sprache konfrontiert sind und ihre ursprüngliche Erstsprache aufgeben müssen (Ventureya und Pallier 2004; Footnick 2007; Pallier 2007, 161–165; Gauthier und Genesee 2011).

2.4 Bilinguale Kommunikation in der Familie und in ihrem Umfeld

Neben der Anzahl der involvierten Sprachen und dem Zeitpunkt des Einsetzens des Spracherwerbs dient als ein weiteres Kriterium zur Differenzierung und Charakterisierung frühkindlicher Bilingualität die kommunikative Praxis in der Familie und der umgebenden Gemeinschaft. In der Tat kann die zweisprachige Kommunikation in der Familie und im unmittelbaren Umfeld des Kindes höchst unterschiedlich ablaufen. In vielen Fällen treffen die Eltern bewusst oder unbewusst vorab eine Entscheidung hinsichtlich des sprachlichen Umgangs mit ihren Kindern. Wir können diesbezüglich zumindest sieben Konstellationen oder Sprachverteilungen in der bilingualen Kommunikation unterscheiden (Carpene 1999, 228; Romaine 1999, 253 f.; Barron-Hauwaert 2004, 163–178; De Houwer 2009, 87, 132–145; Müller et al. 2011, 48–52):

1. eine Person → eine Sprache (a): Die Eltern haben unterschiedliche Erstsprachen. Jeder Elternteil wendet sich nur in seiner Erstsprache an das Kind. Eine der beiden Sprachen ist auch diejenige der umgebenden Sprachgemeinschaft.

2. eine Person → eine Sprache (b): Die Eltern haben unterschiedliche Erstsprachen. Jeder Elternteil wendet sich nur in seiner Erstsprache an das Kind. Die Sprache der umgebenden Gemeinschaft ist jedoch verschieden von den Erstsprachen der Eltern. Diese Konstellation führt meist zu Trilingualität.

3. eine Person → eine Sprache (c): Die Eltern haben die gleiche Erstsprache. Diese ist auch die Sprache der umgebenden Gemeinschaft. Ein Elternteil wendet sich jedoch in einer von ihm sehr gut beherrschten Zweitsprache, d. h. in einer Fremdsprache, an das Kind. Diese Konstellation könnte man – wenngleich nicht ganz passend – artifizielle Bilingualität nennen.

4. Familiensprache ≠ Umgebungssprache (a): Die Eltern haben die gleiche Erstsprache. Die Sprache der umgebenden Gemeinschaft ist jedoch eine andere, von der die Eltern nur unzureichende Kenntnisse haben. Die Eltern sprechen mit dem Kind ihre Erstsprache. Das Kind erwirbt die Umgebungssprache durch andere Bezugspersonen.

5. Familiensprache ≠ Umgebungssprache (b): Die Eltern haben unterschiedliche Erstsprachen. Eine der beiden Sprachen ist diejenige der umgebenden Sprachgemeinschaft. Beide Elternteile sprechen mit dem Kind diejenige Sprache, die nicht Umgebungssprache ist.

6. Familiensprache ≠ Umgebungssprache (c): Die Eltern haben die gleiche Erstsprache. Diese ist auch die Sprache der umgebenden Gemeinschaft. Beide Elternteile kommunizieren mit ihrem Kind in einer von ihnen sehr gut beherrschten Zweitsprache. Diese Sprachverteilung ist ebenfalls der artifiziellen Bilingualität zuzuordnen.

7. Andere kontextuelle Verteilung der Sprachen: Die Eltern sind entweder bilingual oder haben unterschiedliche Erstsprachen mit guten Kenntnissen der Sprache des jeweiligen Partners. Die umgebende Sprachgemeinschaft kann ein- oder auch mehrsprachig sein. Die Eltern wenden sich in beiden Sprachen an das Kind, richten sich dabei jedoch weder nach dem Kriterium eine Person → eine Sprache noch nach dem Kriterium Familiensprache ≠ Umgebungssprache, sondern nach anderen kontextuellen Faktoren, wie Situation, Thema, weitere Gesprächspartner und so fort.

Es kann durchaus passieren, dass die implizit oder explizit anfangs festgelegte kommunikative Sprachverteilung modifiziert wird, beispielsweise weil sich im Lauf der Jahre die äußeren Umstände der Familie verändert haben oder weil sich die Verteilung als schwer durchführbar herausgestellt hat. Anzumerken ist außerdem, dass hier ausschließlich von bilingualen Familien die Rede ist. Im Falle der Trilingualität ist die Sprachverteilung selbstverständlich komplexer.

Eltern mögen vielleicht eine bewusste Entscheidung über die Verteilung der Sprachen im Umgang mit ihren Kindern treffen, hinsichtlich der Zweisprachigkeit an sich haben sie jedoch in den wenigsten Fällen eine Wahl. Wenn man von der artifiziellen Bilingualität absieht, ist in den anderen Konstellationen die Zweisprachigkeit im Grunde vorgegeben. Nur spezielle individuelle und gesellschaftliche Umstände, wie beispielsweise starker sozialer Druck seitens eines Elternteils, der Verwandtschaft und der umgebenden Sprachgemeinschaft, können dazu führen, dass in der Konstellation eine Person → eine Sprache (a) der andere Elternteil auf seine Sprache verzichtet. Das kann ein großes Opfer darstellen und unter Umständen bedeuten, dass ein Kind mit der Verwandtschaft dieses Elternteils gar nicht kommunizieren kann.

Alle oben beschriebenen Konstellationen haben gemeinsam, dass jeder Sprache ein bestimmtes Anwendungsgebiet zugeordnet wird. Es handelt sich daher um eine Trennung des Inputs nach Personen oder sprachlichen Bereichen. Die Trennung nach Person oder nach Familien- und Umgebungssprache erscheint auf den ersten Blick eindeutiger. In der alltäglichen Kommunikation kommt es jedoch häufig zu einer anderen kontextuellen Verteilung der Sprachen, da eine vollkommene Inputtrennung nach Person oder nach Familien- und Umgebungssprache im Grunde unmöglich ist. Die letzte der oben beschriebenen Sprachverteilungen ist daher in der Praxis sehr verbreitet. Fest steht, dass beide Konstellationen, eine Person → eine Sprache und Familiensprache ≠ Umgebungssprache, Vor- und Nachteile besitzen. Wenn zu rigide angewandt, haben beide den Nachteil, dass sie eine gewisse Künstlichkeit in der Kommunikation erzeugen. In größeren Familien, die neben Eltern und Kindern noch nahe Verwandte umfassen, kommt es vor, dass sich nicht alle Mitglieder an solche kommunikative Regeln halten können oder wollen.

Zur Beschreibung des Sprachverhaltens von bilingualen Erwachsenen verwendet Grosjean (2008) den Begriff des language mode (Grosjean 2013, 14–17). Er ist zum Teil für die alltägliche Kommunikation von bilingualen Kindern ebenfalls passend (Yip 2013, 125 f.). Das sprachliche Verhalten bewegt sich zwischen zwei Extremen, dem monolingualen Modus und dem bilingualen Modus. In jeder Situation gibt es eine durch kontextuelle Faktoren bestimmte Basissprache. Wenn das Kind mit Sprechern und Sprecherinnen nur einer Sprache interagiert, befindet es sich im monolingualen Modus. Eine Sprache ist voll aktiviert, die andere hingegen nur minimal. In Präsenz von Sprechern und Sprecherinnen beider Sprachen werden beide Sprachen aktiviert, das Kind befindet sich im bilingualen Modus. Zwischen diesen beiden Modi gibt es je nach Situation verschiedene Abstufungen. Wichtig ist, dass im monolingualen Modus eine der beiden Sprachen kognitiv unterdrückt wird. Das könnte ein Grund sein, warum bei Experimenten, in denen die kognitive Inhibition von Interferenzen getestet wird, bilinguale Kinder und Jugendliche bessere Ergebnisse erzielen als monolinguale Vergleichspersonen (Abschnitt 9.3).

Die auf den französischen Sprachwissenschaftler Maurice Grammont (1866–1946) zurückgehende Sprachverteilung eine Person → eine Sprache hat eine lange Tradition, wird jedoch in den letzten Jahren immer wieder in Frage gestellt (Lippert 2010, 65–82). Ein gewichtiger Nachteil der Konstellation ist, dass diejenige Sprache, die nicht Umgebungssprache ist, im Hinblick auf die Häufigkeit und Intensität des sprachlichen Inputs zu kurz kommen kann, besonders wenn sie von einem Elternteil gesprochen wird, der in der Familie weniger präsent ist. Yamamoto (2001) untersucht die Kommunikation in englisch-japanischsprachigen Familien, die in Japan leben. In den Familien von 46 Kindern sprachen die Eltern gemäß der Strategie eine Person → eine Sprache; acht dieser Kinder erwarben kein Englisch. In den Familien von 54 Kindern wurden die Sprachen nicht streng nach Elternteil getrennt. Jeder Elternteil sprach in beiden Sprachen zu seinem Kind und wechselte die Sprache je nach Situation und Kontext. Nur vier dieser Kinder erwarben kein Englisch. Lipperts (2010) Untersuchung der Strategie eine Person → eine Sprache bei elf in Rom lebenden deutsch-italienischsprachigen Familien zeigt die Schwierigkeiten beim Erhalt des Deutschen und den graduellen Übergang der Kinder zur Einsprachigkeit.

Ungünstig ist bei dieser Verteilung der Sprachen ebenfalls, dass die Familienmitglieder in Situationen, in denen sie alle beisammen sind, etwa beim gemeinsamen Abendessen, zu einem dauernden Wechseln der Sprachen gezwungen sind. Die rigide Sprachtrennung nach der Strategie eine Person → eine Sprache kann gelegentlich zu einem künstlichen Verhalten der Eltern führen, besonders wenn diese auch in zwiespältigen Situationen auf der Trennung der Sprachen bestehen. Wenn einer der beiden Elternteile nicht beide Sprachen beherrscht, kann die unflexible Anwendung dieser Strategie außerdem dazu führen, dass dieser Elternteil in vielen Situationen von der Konversation ausgeschlossen ist (De Houwer 2009, 314).

Es kann vorkommen, dass Kinder anfangs die Künstlichkeit der Sprachverteilung nach Person nicht durchschauen und dadurch zu falschen Rückschlüssen hinsichtlich des kommunikativen Verhaltens verleitet werden. Berühmt ist folgende Frage, die Leopolds Tochter Hildegard im Alter von vier Jahren an ihre Mutter richtete (Leopold 1949b, 59):

(1) Mother, do all fathers speak German? ‚Mama, sprechen alle Väter deutsch?‘

Ebenfalls bemerkenswert ist der von Tracy (2007, 7) geschilderte Fall eines Jungen namens Malte, der bilingual aufwuchs. Sein Vater sprach mit ihm Deutsch, seine Mutter vorwiegend, aber nicht ausschließlich, Englisch. Er selbst verstand beide Sprachen ausgezeichnet, wollte jedoch nie Englisch sprechen und antwortete seiner Mutter daher immer auf Deutsch. Bei Tonbandaufnahmen kam zufällig heraus, dass er bereit war, Englisch zu sprechen, wenn er bei Rollenspielen für eine weibliche Puppe sprechen sollte. Er war der Meinung, nur Frauen sprächen Englisch.

Die konkrete Sprachverteilung stellt immer einen Mittelweg dar zwischen der vollkommenen Trennung nach Person auf der einen Seite und Fehlen einer solchen Trennung auf der anderen. Hélot (2007, 74) erwähnt, dass die Hälfte der von ihr in Irland untersuchten bilingualen Eltern, die bewusst die Sprachverteilung eine Person → eine Sprache gewählt haben, erklärt, diese Regelung nicht systematisch einzuhalten. Vielen bilingualen Personen fällt es in der Tat schwer, monolingual zu agieren. Andere Untersuchungen über bilinguale Erwachsene haben gezeigt, dass nicht Sprachtrennung, sondern Sprachmischung der Normalfall ist, obwohl viele Erwachsene sich derer nicht bewusst sind oder diese sogar zu vermeiden suchen (Goodz 1989, 1994; Lanza 1997). Hélot (2007, 64) berichtet von einer Mutter, die erklärte, nach der Strategie eine Person → eine Sprache vorzugehen und ausschließlich Französisch mit ihrem Kind zu sprechen. Im Laufe der Audioaufnahmen stellte sich allerdings heraus, dass diese regelmäßig englische Wörter in ihren Äußerungen verwendete. Die Erklärung der Mutter reflektierte mehr ihr Wunschdenken als die Realität (Chumak-Horbatsch 2008, 18 f.). In der bilingualen Kommunikation ist es nahezu unmöglich, eine der beiden Sprachen aus dem Repertoire zu verbannen (Cruz-Ferreira 2006, 237–243).

Die Fokussierung auf die strikte Sprachtrennung nach Person übersieht außerdem die Lage in vielen nicht-westlichen Gesellschaften, in denen eine kontextuelle Sprachverteilung nach Situation, Thema, weiteren Gesprächspartnern und so fort als vollkommen natürlich angesehen wird. In Indien ist Mehrsprachigkeit nicht nur weitverbreitet, sondern wird von der Gesellschaft begrüßt und durch bildungspolitische Maßnahmen des Staates unterstützt. Nairs (1991) Studie schildert eindrucksvoll die Umgebung eines indischen Kindes. Neben den Eltern lebten in dem großen Haus die Großeltern, ein Onkel, eine Tante sowie das Hauspersonal. Der Vater sprach Bengali, die Mutter Malayalam, beide hatten in Großbritannien einen Teil ihrer Ausbildung absolviert und kommunizierten untereinander auf Hindi und Englisch. Weitere im Haus verwendete Sprachen waren Punjabi und Oriya, wobei sich die Sprecher und Sprecherinnen häufig gemischtsprachiger Äußerungen bedienten. Das hauptsächlich Hindi und Englisch sprechende Kind verbringt die meiste Zeit mit der Großmutter, in dessen Zimmer es auch schläft. Trotz dieser für westliche Begriffe bedenklichen Situation stellte sich heraus, dass die Entwicklung beider Sprachen bei dem Kind ähnlich derjenigen von monolingualen Kindern war. Yip und Matthews (2007, 11, 258) beschreiben die Rolle des Hauspersonals beim Spracherwerb und unterstreichen ebenfalls, dass in asiatischen Gesellschaften die durch Verwandte und Hauspersonal erweiterte Familie zur Tradition gehört und dadurch die Sprachverteilung ganz anders gestaltet sein kann.

Die Konstellation Familiensprache ≠ Umgebungssprache kann ihrerseits zur Folge haben, dass das Kind mit der Umgebungssprache erst verspätet in Kontakt kommt. Zudem kann bei dieser Konstellation die Gefahr bestehen, dass die Umgebungssprache einen erheblichen Druck auf die Sprache der gesamten Familie ausübt. Auf lange Sicht erscheint es in der Tat unmöglich, in der Kommunikation innerhalb der Familie die Umgebungssprache gänzlich zu vermeiden oder ein Kind von der Umgebungssprache fernzuhalten. Der autobiografische Roman von Hugo Hamilton The speckled people (2003) beschreibt das bilinguale und dann trilinguale Heranwachsen des Autors im Dublin der 1950er Jahre. Die Mutter war Deutsche und hatte einen irischen Ingenieur geheiratet. Der Vater, ein militanter irischer Nationalist, bestand darauf, dass seine Kinder Deutsch und Gälisch sprechen sollten. Das Englische verbot er ihnen. Nur beim Spielen mit anderen Kindern außerhalb des Hauses hatten sie Gelegenheit, Englisch zu erwerben. Doch auch dieses strenge und unnachgiebige Verbot konnte nicht verhindern, dass das Englische seinen Weg in die Familie fand und Hugo Hamilton zu einem bekannten, auf Englisch schreibenden Schriftsteller wurde.

In der alltäglichen Praxis bilingualer Familien trifft man die Konstellation Familiensprache ≠ Umgebungssprache seltener an als die Verwendung beider Sprachen innerhalb des Familienverbandes, sei sie nun gemischt oder nach Personen getrennt. Deprez (1994) untersucht die Kommunikationsbedingungen in 532 bilingualen Familien, die in Frankreich leben und neben Französisch eine zweite Sprache verwenden: In 14,33 % der Familien wird nur Französisch, in 8,33 % wird nur die zweite Sprache, in allen anderen Familien werden beide Sprachen gesprochen. Dies wird von Hélot (2007, 66 f.) bestätigt: Drei Viertel der von ihr befragten Familien wendeten die Strategie eine Person → eine Sprache an. Die Mehrzahl der 93 von Barron-Hauwaert (2004, 180) befragten Familien mehrsprachiger Kinder wendet die Strategie eine Person → eine Sprache an.

Vor allem dann, wenn es darum geht, eine Minderheitensprache an die nächste Generation weiterzugeben, wäre allerdings die Verteilung Familiensprache – Umgebungssprache wirksamer. Dies kann man zumindest aus De Houwers (2007) Befragung von 1778 bilingualen Familien in Belgien schließen. In den Familien wurde Niederländisch und eine von 73 anderen Sprachen gesprochen (Arabisch, Englisch, Französisch, Türkisch, usw.). Das Ziel der Befragung war herauszufinden, wie erfolgreich diese 73 Sprachen (Sprache X) jeweils an die Kinder weitergegeben wurden. Dabei wurde zwischen fünf Sprachverteilungen im Input der Eltern unterschieden (2007, 419): 1. Beide Elternteile sprechen nur die Sprache X; 2. ein Elternteil spricht nur die Sprache X, der andere die Sprache X und Niederländisch; 3. beide Elternteile sprechen die Sprache X und Niederländisch; 4. ein Elternteil spricht nur die Sprache X, der andere nur Niederländisch; 5. ein Elternteil spricht die Sprache X und Niederländisch, der andere nur Niederländisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest ein Kind in der Familie die Sprache X erwirbt, nahm von der ersten zur fünften Sprachverteilung deutlich ab (2007, 419): In der ersten Sprachverteilung lag sie bei 96,92 %, in der der zweiten bei 93,42 %, in der dritten bei 79,18 %, in der vierten bei 74,24 % und in der fünften nur noch bei 35,70 %. Zumindest im Hinblick auf die Weitergabe der Sprache, die nicht Umgebungssprache ist, war demnach die Strategie eine Person → eine Sprache (Sprachverteilung 4) weniger erfolgreich als die Strategie Familiensprache – Umgebungssprache (Sprachverteilung 1).

Die Beispiele von Studien zum bilingualen Erstspracherwerb, die ich in den Kapiteln 4 und 5 besprechen werde, betreffen zum Großteil die Konstellation eine Person → eine Sprache. Der 1961 in Paris geborene Sänger und Musiker Manu Chao ist hingegen ein beeindruckendes Beispiel für die erfolgreiche Anwendung des Prinzips Familiensprache ≠ Umgebungssprache. Seine Eltern, ein galicischer Journalist und eine baskische Künstlerin, waren wegen des Regimes von General Franco nach Frankreich emigriert. In der Familie, die ein bedeutender Treffpunkt lateinamerikanischer Intellektueller, Schriftsteller und Musiker war, wurde konsequent Spanisch gesprochen. Außerhalb der Familie, auf den Straßen der Pariser Vororte, wo Manu Chao und sein jüngerer Bruder ihre späteren Bandmitglieder kennenlernten, fand die Kommunikation natürlich auf Französisch statt. Manu Chao beherrscht heute beide Sprachen fließend. An seinen in ganz unterschiedlichen Sprachen verfassten Songs kann man darüber hinaus sein reges Interesse für die sprachliche Vielfalt erkennen.

2.5 Artifizielle Bilingualität

Zwei der im vorhergehenden Abschnitt besprochenen Konstellationen möchte ich getrennt behandeln, da sie heutzutage eine nicht zu unterschätzende Verbreitung haben, jedoch in der Forschung bislang wenig berücksichtigt wurden. Es handelt sich um die artifizielle Bilingualität, also um eine kommunikative Konstellation, in der sich die Eltern – beide oder nur ein Elternteil – konsequent in einer von ihnen sehr gut beherrschten Zweitsprache an das Kind richten. In der Regel ist das eine prestigeträchtige und international einsetzbare Sprache. In dem gerade beschriebenen Szenario sind die Erstsprache der Eltern und die Umgebungssprache identisch, und die Eltern verwenden eine damit nicht in Zusammenhang stehende Zweitsprache. Man sollte jedoch daneben Fälle berücksichtigen, in denen die Umgebungssprache für die Eltern eine Zweitsprache darstellt, die sie sehr gut beherrschen. Wir finden solche Fälle beispielsweise in Südtirol, wo gelegentlich italienischsprachige Eltern die Entscheidung treffen, mit ihren Kindern Deutsch zu sprechen.

Es handelt sich um eine Konstellation, die bei Eltern, Linguisten und Linguistinnen oft Skepsis weckt und zweifelsohne die Gefahr der Unnatürlichkeit in sich birgt. Sie findet allerdings in der heutigen Zeit immer mehr Verbreitung. Genaue Angaben darüber gibt es nur wenige: 435 der insgesamt 6236 von Akinci, De Ruiter und Sanagustin (2004) erfassten französischen Schüler und Schülerinnen erklärten, zu Hause Englisch zu sprechen, obwohl sie und ihre Eltern in den meisten Fällen in Frankreich geboren waren. Wahrscheinlich ist die Situation in anderen europäischen und außereuropäischen Staaten vergleichbar. Die Konstellation darf daher nicht unterschätzt werden. Sie wirft zweifelsohne eine Reihe von Fragen auf, nicht zuletzt diejenige, ob nicht-erstsprachlicher Input ebenfalls zu einer gelungenen Bilingualität führen kann.

Saunders (1982, 1988) beschreibt detailliert die ersten dreizehn Jahre seines eigenen Experiments mit der artifiziellen Bilingualität. Die Familie lebt zuerst in Hobart, der Hauptstadt der zu Australien gehörenden Insel Tasmanien, und später in Melbourne und Sydney. Beide Elternteile sind englischer Muttersprache, der Vater, George Saunders, hat Germanistik studiert und spricht fließend Deutsch, die Mutter hat nur mäßige Deutschkenntnisse. Sie haben zwei Söhne, Thomas und Frank, und eine Tochter namens Katrina. George Saunders sieht einen Vorteil in der Tatsache, dass Deutsch nicht seine Erstsprache ist: Er ist mit dem Deutschen emotionell nicht so verbunden und toleriert daher leichter Fehler und Unregelmäßigkeiten seiner Kinder. Die Frage nach der Erstsprache des Vaters hat die Kinder übrigens nie besonders interessiert. Für sie ist es einfach eine Tatsache, dass der Vater Deutsch spricht.

In der Familie herrscht die kommunikative Konstellation eine Person → eine Sprache; der Vater spricht Deutsch, die Mutter Englisch, die Eltern sprechen miteinander Englisch und die Kinder untereinander auch Englisch. Für die Kinder bleibt der Vater jahrelang der einzige deutschsprachige Gesprächspartner. Ganz selten haben sie Kontakt mit anderen deutsch-englischsprachigen Personen und nie mit monolingualen Sprechern und Sprecherinnen des Deutschen. 1984, im elften Jahr des Experiments, verbringt die Familie sechs Monate in Deutschland. Erst da haben die Kinder zum ersten Mal Kontakt mit monolingualen Sprechern und Sprecherinnen des Deutschen.

Wie bei anderen bilingualen Kindern kommt es aufgrund der Konstellation eine Person → eine Sprache zu bemerkenswerten Rückschlüssen der Kinder: Frank äußert beispielsweise im Alter von 4;5 folgende Meinung (Saunders 1988, 82):

(2) Mummies don’t speak deutsch. ‚Mamas sprechen nicht deutsch.‘

Da das Deutsche des Vaters für die Kinder den Standard darstellt, sind sie anfangs über andere Varietäten des Deutschen erstaunt, die sie beispielsweise bei Filmen oder im Fernsehen hören (Saunders 1988, 137).

Im Unterschied zu Werner F. Leopold spricht der Vater in der Gegenwart von monolingualen englischsprachigen Kindern zuerst deutsch dann englisch mit seinen Kindern. Er ist der Meinung, dass die alleinige Verwendung des Englischen in solchen Situationen den deutschsprachigen Input zu drastisch reduzieren würde und außerdem den Kindern den falschen Eindruck vermitteln könnte, das Deutsche sollte man in der Öffentlichkeit vermeiden (Saunders 1988, 107). In der Tat haben die Kinder nie Scheu, in der Öffentlichkeit, beispielsweise im Kindergarten oder vor Schulkameraden, deutsch zu sprechen. Genauso wenig Scheu haben sie dann in Deutschland, mit ihrer Mutter öffentlich englisch zu sprechen. Interessanterweise betrachten die Kinder Deutsch zumindest eine Zeitlang als ihre eigene Sprache. Frank, der zweite Sohn, betrachtet es sogar fast als sein Eigentum (Saunders 1988, 136).

Die monolingualen Freunde der Kinder, Verwandte, Lehrer und Lehrerinnen und die monolinguale Umgebung im Allgemeinen stehen der Bilingualität in der Familie positiv gegenüber. Sie sind neugierig und wollen manchmal sogar die deutsche Übersetzung einer Äußerung hören (Saunders 1988, 106). Gelegentlich versuchen sie sogar, selbst ein paar deutsche Wörter zu sagen (Saunders 1988, 117). Ein paar Schwierigkeiten haben die Kinder dennoch zu überwinden (Saunders 1988, 119 f.). Es gibt zudem bei den beiden Söhnen eine je fünfmonatige Phase im Alter von 3;5 bzw. im Alter von 2;7, in der sie wenig Lust zeigen, mit ihrem Vater deutsch zu sprechen.

Wie das Experiment von Saunders (1982, 1988) zeigt, können Kinder auch in einer solchen kommunikativen Situation erfolgreich bilingual aufwachsen. Sicher ist jedoch, dass diese Art der Bilingualität von den Eltern neben exzellenten Sprachfähigkeiten ein nicht alltägliches Maß an Konstanz, Kohärenz und Einsatz erfordert. Um beispielsweise seine Kinder die deutsche Rechtschreibung zu lehren, übte der Vater mit ihnen vier- bis fünfmal pro Woche.

2.6 Semilingualität, unvollständiger Spracherwerb und Sprachabbau

Die in diesen Abschnitt zur Sprache kommenden Konzepte und Termini betreffen vor allem den Zweitspracherwerb, tauchen jedoch oft auch in Diskussionen über den bilingualen Erstspracherwerb auf.

Der Spracherwerb ist bei Schuleintritt in seinen Kernbereichen weit fortgeschritten, aber hinsichtlich Grammatik, Wortschatz und vor allem Lesen und Schreiben noch lange nicht abgeschlossen. Die Sprachkompetenzen müssen in der Schule zumindest bis zum Alter der Pubertät weiterentwickelt werden. Lesen und Schreiben sind elementare Fähigkeiten, die zur Entwicklung allgemeiner kognitiver Fähigkeiten beitragen und erst eine sprachliche Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Beim Erwerb der Lese- und Schreibkompetenzen wird nicht nur eine bestimmte Sprache mit ihrer Schrift, sondern Sprache und Schrift als solche werden erworben.

Bei Kindern, die sprachlichen Minderheiten angehören, passiert es jedoch häufig, dass die Weiterentwicklung der Erstsprache bei Schuleintritt abrupt unterbrochen wird und die Alphabetisierung in der gerade erst im Aufbau befindlichen Zweitsprache stattfindet. Das Ergebnis sind meistens geringere sprachliche, aber auch geringere allgemeine kognitive Fähigkeiten sowohl in der Erstsprache als auch in der Zweitsprache. Dieses zweifache sprachliche Defizit wurde in der Vergangenheit mit den in der skandinavischen Linguistik entwickelten Begriffen Semilingualismus oder doppelter Semilingualismus (Hansegård 1968; Skutnabb-Kangas und Toukomaa 1976; Toukomaa und Skutnabb-Kangas 1977) charakterisiert. In diesem Buch ziehe ich, im Sinne der gehandhabten terminologischen Praxis, die Bezeichnung Semilingualität vor. Zwei der in Abschnitt 3.2 besprochenen Hypothesen, die Schwellenhypothese und die Interdependenzhypothese (Toukomaa und Skutnabb-Kangas 1977; Cummins 1979), stehen mit diesem Begriff in Zusammenhang.

Wie Romaine (1995, 261–265) erklärt, ist der Begriff allerdings umstritten und wird von Forschern wie Tove Skutnabb-Kangas und Jim Cummins abgelehnt, da er primär in Zusammenhang mit ethnischen Minderheiten verwendet wurde und eine politische Bedeutung mit pejorativer Konnotation annahm. Die Semilingualität ist in der Tat in erster Linie auf politische und soziale, weniger auf individuelle oder kognitive Gründe zurückzuführen. Denken wir hier zum Beispiel an die Kinder lateinamerikanischer Einwanderer in den USA. Besonders in den 1960er und 1970er Jahren waren diese Kinder von Anfang an mit einem mehrheitssprachlichen Schulunterricht konfrontiert, obwohl ihre erstsprachlichen Kompetenzen noch nicht zur Genüge entwickelt waren. Diese Art des Spracherwerbs und -unterrichts wird manchmal Submersion genannt.

In einer Situation wie der gerade beschriebenen, in der die Erstsprache eine Minderheitensprache ist, können Faktoren wie der Druck der mehrheitlich anderssprachigen Umwelt, der assimilatorische Unterricht in der im wahrsten Sinne des Wortes dominanten Sprache und das geringe soziale Prestige der Minderheit und ihrer Sprache und Kultur die Fähigkeiten in der Erstsprache ernsthaft gefährden (Chumak-Horbatsch 2008; Bolonyai 2009). Lambert (1974) schlug diesbezüglich die Unterscheidung zwischen subtraktiver und additiver Bilingualität vor und wies auf die entscheidende Rolle der sozialen Gegebenheiten hin. Die Bilingualität dieser Kinder ist gefährdet, am Ende des Prozesses steht in vielen Fällen die Monolingualität, weshalb manche Autoren in diesem Zusammenhang auch von Sprachsubstitution (z. B. Francis 2011) sprechen.

Statt von Semilingualität wird in der heutigen Literatur zumeist von unvollständigem Spracherwerb und Sprachabbau gesprochen (Bolonyai 2009; Köpke und Schmid 2013). Chilla, Rothweiler und Babur (2013, 66 f.) verwenden auch den Terminus Sprachverlust. Die Begriffe unterscheiden sich insofern von demjenigen der Semilingualität, als sie sich lediglich auf den Zustand der Erstsprache beziehen. Aufgrund eines stark reduzierten Inputs können die Kompetenzen in der Erstsprache ernsthaft in Frage gestellt werden. Wenn diese Reduktion des Inputs vor der Pubertät eintritt, nimmt man an, dass der Erwerb der Erstsprache nicht abgeschlossen und daher unvollständig ist. Tritt eine starke und lang anhaltende Reduktion des Inputs im Erwachsenenalter ein, wird davon ausgegangen, dass eine schon vollständig erworbene Erstsprache allmählich wieder abgebaut wird. Der Abbau einer Sprache kann auch ein kollektives Phänomen sein und eine Sprache in einer mehrsprachigen Gesellschaft betreffen. Ich beziehe mich hier jedoch auf das individuelle Phänomen, bei dem durch reduzierten Input die Kompetenzen in der Erstsprache vermindert werden und im Extremfall sogar verloren gehen. In der englischsprachigen Literatur hat sich dafür der Terminus first language attrition (Kaufman und Aronoff 1991; Francis 2005; Schmid und Köpke 2013) durchgesetzt, den man mit dem deutschen Erstsprachabbau wiedergeben kann. Beide Phänomene, unvollständiger Erwerb und Sprachabbau, können gelegentlich auch im bilingualen Erstspracherwerb vorkommen. Allerdings ist hier die in der Theorie klare Trennlinie zwischen unvollständigem Erwerb und Sprachabbau nicht einfach zu ziehen (Bolonyai 2009, 256; Köpke und Schmid 2013, 17 f.). Die Entwicklung der Kompetenzen in einer der beiden Sprachen kann durch stark verminderten Input unterbrochen werden. Genauso gut ist vorstellbar, dass bestimmte schon voll entwickelte Kompetenzen wieder abgebaut werden.

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