Kitabı oku: «Bilingualer Erstspracherwerb», sayfa 5

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Die Mehrzahl der in den Kapiteln 4 und 5 beschriebenen Studien sind nicht nur Langzeituntersuchungen, es sind auch Studien, in denen die Sprachentwicklung der eigenen Kinder beobachtet wurde. Die Tatsache, dass Eltern und beobachtende Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaftlerinnen in einer Person vereint sind, beinhaltet zweifelsohne eine Reihe von Vorteilen. Diese Personen genießen einen privilegierten und unkomplizierten Zugang zu den Kindern und haben genaue Kenntnis ihrer Lebensumstände und ihres sozialen Umfelds. Probleme betreffend Privatsphäre und Datenschutz sind einfacher zu lösen. Das Erstellen eines Lexikontagebuchs wird erleichtert, da die dafür notwendigen täglichen Beobachtungen ohnehin nur von den Eltern gemacht werden können. Die Nachteile dieser Methode dürfen jedoch nicht verschwiegen bleiben. Die Gefahr der Subjektivität ist erheblich, etwa bei der Auswahl der Einträge in das Lexikontagebuch (McLaughlin 1978, 73). Eltern tendieren zudem eher dazu, den Kindern ein größeres Wissen zuzuschreiben, als sie tatsächlich an den Tag legen (rich interpretation of data), und Kinderdaten in Kategorien der Erwachsenensprache zu fassen. Wie Deuchar und Quay (2000, 4), Garlin (2008 [2000], 45) und Yip und Matthews (2007, 7) meinen, überwiegen dennoch die Vorteile dieser Methode gegenüber ihren Nachteilen.

Als zweite grundsätzliche Erhebungsmethode kommt die Querschnittuntersuchung in Frage. Hier handelt es sich um eine Untersuchung, bei der zu einem bestimmten Zeitpunkt die sprachlichen Kompetenzen einer größeren Anzahl von bilingualen Kindern hinsichtlich spezifischer sprachlicher Phänomene erfasst werden. Die Phänomene sind meistens einige wenige oder überhaupt nur ein einzelnes. Eine Reihe von modernen Studien sind Querschnittuntersuchungen. Im Unterschied zur Forschung im monolingualen Erstspracherwerb, in der die meisten der angewendeten empirischen Verfahren entwickelt wurden, sind allerdings diesbezügliche Untersuchungen im bilingualen Erstspracherwerb ungleich aufwändiger. Während eine monolinguale Studie mit einer einzigen Gruppe von Versuchspersonen zu wissenschaftlich fundierten Ergebnissen kommen kann, sind in bilingualen Studien zumindest drei Gruppen notwendig: eine bilinguale Gruppe und je eine monolinguale Gruppe pro Sprache. Die bilinguale Gruppe muss noch dazu zweimal, also einmal pro Sprache, getestet werden. Pro untersuchtem Bereich führt eine solche Erhebung daher zu vier separaten Datensets.

Es ist bei Querschnittstudien entscheidend, dass die an der Untersuchung teilnehmenden Kinder eine möglichst homogene Gruppe in Bezug auf das Alter, den sozialen Hintergrund, das Geschlecht und weitere Faktoren bilden. Meistens wird das sprachliche Phänomen bei den Kindern mit Fragebögen oder Tests erhoben. Aufgrund der Anzahl der getesteten Kinder liefern Querschnittuntersuchungen ein genaues Bild eines momentanen Entwicklungsstadiums. Wenn eine Querschnittuntersuchung mit der gleichen Gruppe von Kindern in regelmäßigen Abständen wiederholt wird, entsteht eine Verbindung zwischen Querschnitt- und Langzeituntersuchung, die die Vorteile beider Untersuchungsverfahren kombiniert. Querschnittuntersuchungen mit altersmäßig gestaffelten Gruppen erlauben auch Rückschlüsse auf die sprachliche Entwicklung.

In der Forschung zum monolingualen Erstspracherwerb wurden in den letzten Jahren eine ganze Reihe von experimentellen Verfahren oder Testmethoden entwickelt, mit denen man die Kompetenzen der Kinder erheben kann. In vielen Erhebungen kommen vorgefertigte Fragebögen zum Einsatz, die dem Forscher oder der Forscherin die Arbeit entscheidend erleichtern. Elternfragebögen oder Elternchecklisten werden regelmäßig verwendet, um den momentanen Stand des Wortschatzes von monolingualen oder bilingualen Kindern zu erheben. Man legt den Eltern Listen von Wörtern vor und diese werden gebeten, anzugeben, welche davon ihr Kind bereits rezeptiv und/oder produktiv beherrscht. Typischerweise beherrscht ein Kind einen bestimmten Prozentsatz der Wörter auf der Liste. Der Prozentsatz wird dann mit dem prozentualen Richtwert verglichen, den Kinder ähnlichen Alters aufgrund von empirischen Untersuchungen normalerweise erreichen.

Der bekannteste Fragebogen, MacArthur communicative development inventories (CDI) genannt (Fenson et al. 1993; Fenson et al. 2006), enthält mehr als 600 Wörter aus verschiedenen semantischen Feldern, die den kindlichen Wortschatz wiedergeben. Er steht inzwischen in einer ganzen Reihe von Sprachen zur Verfügung. Die Eltern müssen lediglich die Wörter markieren, die ihr Kind versteht und produziert oder die es nur versteht, aber nicht aktiv produziert. Die Ergebnisse sind also nach aktivem und passivem Wortschatz klassifizierbar. Ein Fragebogen, der auf einer ähnlichen Methode beruht, aber heutzutage kaum noch zum Einsatz kommt, ist der Language development survey (LDS) (Rescorla 1989). Diese Fragebögen haben eine Reihe von Vorteilen. Sie sind vor allem dann hilfreich, wenn Kinder noch zu jung sind, um ohne Weiteres auf Vokabelfragen zu antworten. Ihr Einsatz ist nicht aufwändig und sie ermöglichen es, unter Mithilfe der Eltern in kurzer Zeit Auskunft über den Wortschatz einer repräsentativen Gruppe von Kindern zu erhalten. Sie sind standardisiert und garantieren somit größtmögliche Vergleichbarkeit. Obwohl am besten für Querschnittuntersuchungen geeignet, können sie auch in Langzeituntersuchungen angewendet werden. Allerdings sollten sie nicht die alleinige Erhebungsmethode darstellen. Überhaupt raten Junker und Stockman (2002, 392), Elternfragebögen, so wie auch andere elterliche Aufzeichnungen, in jedem Fall mit der direkten Beobachtung der Sprachproduktion zu kombinieren bzw. zu ergänzen. Elternchecklisten sind keine exhaustiven Wortschatzlisten, sondern stellen nur eine Auswahl an Wörtern zur Verfügung. Manches alltägliche Wort kann darin fehlen. Das bedeutet, dass die CDI-Elterncheckliste zum Beispiel nicht wirklich die genaue Anzahl der von einem Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt beherrschten Wörter angeben kann (De Houwer, Bornstein und De Coster 2006, 343; David und Wei 2008, 603; De Houwer 2009, 73). Gentner und Boroditsky (2009, 24) merken außerdem an, dass durch diese Methode die Erfassung von Eigennamen verhindert wird, wenn die Eltern nicht explizit auf diesen Umstand aufmerksam gemacht werden.

Um die Sprache von Kindern im Grundschulalter zu erheben, wird oft mit Bildimpulsen oder Bildergeschichten gearbeitet. Diese sind sprachunabhängig (aber meist nicht vollkommen abgekoppelt von einer typisch westlichen Kultur) und können so in jeder beliebigen Sprache abgefragt werden. Die bekannteste und verbreitetste Geschichte ist das Bilderbuch Frog, where are you? (Mayer 1969), das oft einfach Frog story genannt wird. Es eignet sich vor allem zur Analyse der Versprachlichung von temporalen Abläufen und der Strukturierung von Information. Damit wurden bereits zahlreiche Erhebungen durchgeführt (Berman und Slobin 1994; Strömqvist und Verhoeven 2004; Mulec 2013). Einige davon sind in der CHILDES-Datenbank (http://childes.psy.cmu.edu/) in einem Frog story corpus zusammengefasst.

Im Gegensatz zu den bisher genannten Methoden, die vor allem die Sprachproduktion erheben, wird mit Hilfe des Peabody picture vocabulary test (PPVT) spezifisch das Sprachverständnis gemessen. Es handelt sich um einen bekannten, ursprünglich von Dunn (1959) für das Englische entworfenen Test zur Ermittlung des passiven Wortschatzes. Dunn und Dunn (1981) publizierten eine modifizierte und verbesserte Version des Tests, den Peabody picture vocabulary test-Revised (PPVT-R). Inzwischen existieren noch weitere Überarbeitungen des Tests (PPVT-III; Dunn und Dunn 1997) sowie eine Reihe von Versionen für andere Sprachen. Der Test wird gern als Eingangstest verwendet, um Informationen über den passiven Wortschatz der Probanden zu bekommen und diese verschiedenen Untersuchungsgruppen zuordnen zu können. Die Testungen werden individuell mit dem Kind durchgeführt. Der Test ist rein gestisch, d. h. das Kind muss weder lesen noch schreiben, ja nicht einmal sprechen können. Dem Kind wird ein Blatt mit vier Schwarzweißzeichnungen vorgelegt, während die testende Person ein Wort sagt. Die Aufgabe besteht darin, auf dasjenige Bild zu zeigen, das die Bedeutung des Wortes am besten wiedergibt. Die Kinder können auf die Zeichnung zeigen oder die der Zeichnung entsprechende Zahl sagen. Da gleich am Beginn der Testung das vom Alter des Kindes abhängende Ausgangsniveau ermittelt wird, werden nur diejenigen Wörter gefragt, die über dem altersgemäßen Ausgangsbereich liegen. Somit vermeidet man die Testung von Wörtern, die dem Kind bereits seit Jahren bekannt sind.

In den letzten Jahren werden verstärkt experimentelle Untersuchungen zur Perzeption und Sprachverarbeitung von Neugeborenen und Säuglingen gemacht. Hier kommen selbstverständlich ganz andere Untersuchungstechniken zur Anwendung. Zumeist macht man sich das Blickverhalten oder den Saugrhythmus der Babys zunutze (Klann-Delius 2008; Johnson und Zamuner 2010; Sedivy 2010). Klann-Delius (2008, 16 ff.) unterscheidet drei experimentelle Verfahren. Schon Säuglinge können Objekte und Personen mit dem Blick erfassen und für längere Zeit fixieren. Man spricht von Präferenzparadigma, wenn dem Säugling mehrere Gesichter präsentiert werden und die Fixationsdauer zeigt, ob er das Gesicht der Mutter erkennt. In der englischsprachigen Psycholinguistik verwendet man hier den Ausdruck preferential looking ‚bevorzugte Blickzuwendung‘. Die Methode kann auch abgewandelt werden. Man kann fremde Gesichter mit verschiedenen Stimmen reden lassen, eines davon mit der Stimme der Mutter. Blickt das Baby häufiger auf dieses Gesicht, ist anzunehmen, dass es eine Präferenz für die Stimme der Mutter hat. Die Messung der Saugfrequenz eignet sich vor allem für Experimente nach dem Habituationsparadigma. Hier wird dem Baby ein Seh- oder Hörreiz dargeboten. Wenn der Reiz zum ersten Mal präsentiert wird, steigt normalerweise die Saugfrequenz, um nach einer Weile wieder zu sinken. Das Baby hat sich an den Reiz gewöhnt und nuckelt wieder still vor sich hin. Dann wird der Reiz in einem Merkmal verändert und dem Baby noch einmal dargeboten. Wenn die Saugfrequenz des Babys nun wieder merklich steigt, hat es die Merkmalsveränderung wahrgenommen. Man kann z. B. dem Baby den Konsonanten [l] mehrmals vorspielen und ihn anschließend langsam akustisch zu einem [r] transformieren. Steigt seine Saugfrequenz ab einem bestimmten Punkt, kann man annehmen, dass es die beiden Konsonanten unterscheidet. Experimente nach dem Überraschungsparadigma zeigen, wie bereits kleine Kinder Reize anhand von Vorerwartungen und Schemata verarbeiten. So reagieren Babys überrascht, wenn in einer Filmsequenz mit der Mutter plötzlich aus deren Mund eine fremde Stimme ertönt.

Die neurolinguistischen Hypothesen von Penfield und Roberts (1959) und Lenneberg (1967) beruhten allein auf Untersuchungen der Auswirkung von Hirnläsionen. In den letzten Jahren ermöglichen jedoch moderne Methoden der neuronalen Bildgebung die Beobachtung des intakten Gehirns (Wahl 2009, 10; Kuhl 2010, 713–715; Li 2013, 221–223). Zwei davon, die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und ereigniskorrelierte Potentiale (EKP), sind besonders bedeutsam. Dank der unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften von oxygeniertem und desoxygeniertem Blut machen fMRT-Aufnahmen die Veränderungen der Durchblutung von Hirnarealen sichtbar. Werden Kortexareale aktiviert, kommt es zu einer Erhöhung des Blutflusses aufgrund des gesteigerten Energiebedarfs. Dadurch steigt die Konzentration von oxygeniertem relativ zu desoxygeniertem Hämoglobin. Die räumliche Auflösung ist in der Größenordnung von Millimetern, also sehr präzis. Ereigniskorrelierte Potentiale sind Wellen im Elektroenzephalogramm in der Größenordnung von Millisekunden, die mit neuronaler Aktivität, wie Sinneswahrnehmungen, erhöhte Aufmerksamkeit und Sprachverarbeitung, korrelieren. Allerdings ist der Ursprung der elektrischen Veränderungen schwer neuronal zu lokalisieren, weshalb sich die beiden Methoden hinsichtlich ihrer bildgebenden Möglichkeiten ergänzen (Li 2013, 223). Während man mit der fMRT-Methode ein Hirnareal, in dem eine neuronale Aktivität stattfindet, räumlich genau bestimmen kann, ist die zeitliche Auflösung aufgrund der Langsamkeit der Blutflussveränderungen ungenau. Der zeitliche Ablauf neuronaler Aktivitäten kann besser mit der EKP-Methode erfasst werden.

Ein Maßstab, der in der Forschung zum monolingualen und auch bilingualen Spracherwerb oft eingesetzt wird, ist die durchschnittliche Äußerungslänge (engl. mean length of utterance, MLU). Sie wurde zunächst von Brown (1973) für das amerikanische Englisch entwickelt und seither auch in vielen anderen Sprachen angewendet. Die MLU kann sowohl in Morphemen (MLUm) als auch in Wörtern (MLUw) gemessen werden. Mit Morphem bezeichnet man die kleinste sprachliche Einheit mit einer Bedeutung oder grammatischen Funktion. Die MLUm wird besonders bei der Messung des grammatischen Fortschritts angewendet und hat sich dort bewährt. Warum das so ist, kann man anhand eines einfachen Beispiels verstehen. Ein Wort wie Enten besteht aus zwei Morphemen, dem Stammmorphem Ente und dem Pluralmorphem -n. Wenn nun ein Kind gelegentlich nicht nur das Wort Ente, sondern auch das Wort Enten äußert, darf man annehmen, dass es eine Möglichkeit der Pluralmarkierung erworben hat. Diesem grammatischen Fortschritt wird durch die Berücksichtigung der Morpheme Rechnung getragen. Zur Berechnung der MLUm einer Stichprobe zerlegt man ihre Äußerungen zuerst in Morpheme und dividiert anschließend die Gesamtzahl der Morpheme der Stichprobe durch die Anzahl ihrer Äußerungen. Im Folgenden aus Szagun (2006, 81) stammenden Beispiel wird die MLUm auf der Basis von sieben Äußerungen eines Kindes berechnet:


(1) Kindliche ÄußerungenAnzahl der Morpheme
*FAL: ab.1
*FAL: fal-‘n.2
*FAL: katze raus.2
*FAL: nichs ab#ge#mach-t.5
*FAL: will d-en.3
*FAL: moecht-e kein-e mau&aeus-e fang-‘n.9
*FAL: da is oben ein boes-er huhu.7
Summe:29 Morpheme
MLUm = 29/7 = 4,14

Allerdings kann der Grammatikerwerb nur bis zu einer MLUm von ca. 5,0 bis 6,0 abgebildet werden, danach verliert die MLUm an Aussagekraft (Szagun 2006, 83), da die Situationsbedingtheit der Sprache immer mehr an Einfluss gewinnt.

Selbstverständlich ist die Morphemgliederung sprachspezifisch und im Grunde nicht von einer Sprache auf eine andere übertragbar (De Houwer 1990, 15). Abgesehen davon bestehen bei vielen Sprachen unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Segmentierung in Morpheme. Die konkreten MLUm-Werte können deshalb auch vom theoretischen morphologischen Ansatz abhängig sein. Zusätzlich hängen die MLUm-Werte so wie auch die MLUw-Werte vom Sprachtyp ab. In agglutinierenden Sprachen, in denen fast jede grammatische Kategorie durch ein eigenes Morphem ausgedrückt wird, hat die Anzahl der Morpheme ein anderes Gewicht als in synthetischen Sprachen, in denen mehrere grammatische Kategorien in einem Morphem verpackt auftreten oder grammatische Kategorien durch Allomorphe ausgedrückt werden. In analytischen Sprachen ist hingegen prinzipiell die Anzahl der Wörter pro Äußerung größer als in synthetischen Sprachen.

Im bilingualen Erstspracherwerb wird, weil nur wenige bilinguale Korpora morphologisch codiert sind, zumeist die MLUw als Maßstab angewendet. Die MLUw wird hier in erster Linie benutzt, um ein eventuelles Ungleichgewicht zwischen den Sprachen festzustellen. Yip und Matthews (2007, 76–81) berechnen hierzu die individuellen Unterschiede in der MLUw (MLU differentials) zwischen den beiden Sprachen (Englisch und Kantonesisch) der von ihnen untersuchten Kinder. Wenn man die Variation der MLUw auf eine Zeitachse projiziert, kann man anhand der grafischen Darstellung die Entwicklung der beiden Sprachen nachvollziehen. Bei dieser Darstellung ist nicht so sehr die Variation zwischen den beiden Sprachen relevant, sondern die Variation innerhalb einer Sprache auf der Zeitachse. Wie man an der Abbildung 4 erkennen kann, entwickeln sich z. B. die beiden Sprachen von Timmy insgesamt gesehen in etwa gleich weit, obwohl ihre jeweiligen Anfangs- und Endpunkte unterschiedlich sind. Die MLUw von Timmys Englisch macht allerdings bis 2;8 kaum Fortschritte während nach 2;9 ihre Variation in beiden Sprachen vergleichbar ist.


Abb. 4: MLU-Unterschiede bei Timmy (Yip und Matthews 2007, 76)

4 Forschungsüberblick: frühe Studien

4.1 Ronjat (1913)

Anfang des 20. Jahrhunderts entstehen die ersten Studien zur Kindersprache und zum Spracherwerb. Der Sprachwissenschaftler Maurice Grammont (1866–1946) fasst 1902 in einem Aufsatz seine Beobachtungen zur Kindersprache zusammen (Grammont 1902). Das ein paar Jahre später erschienene Buch des Ehepaares Clara (1877–1948) und William (1871–1938) Stern über die Kindersprache (Stern und Stern 1907) stellt einen Höhepunkt in der damaligen Spracherwerbsforschung dar. Nicht lange danach, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, erwacht dann das wissenschaftliche Interesse für die frühkindliche Mehrsprachigkeit. Linguisten, Mediziner, Psychologen und Soziologen machen sich zum ersten Mal Gedanken über den Erwerb zweier oder mehrerer Sprachen im Kindesalter und die daraus resultierende frühkindliche Mehrsprachigkeit. Die erste diesbezügliche Studie verdanken wir dem französischen Sprachwissenschaftler und Romanisten Jules Ronjat (1864–1925), der im Jahr 1913 seine Beobachtungen zur Entwicklung seines zweisprachig aufwachsenden Sohnes Louis veröffentlicht. Jules Ronjat bezieht sich in seinem Buch auf Grammont (1902) und Stern und Stern (1907) und vergleicht seine Daten mit denjenigen aus dem monolingualen Erstspracherwerb. Die Studie ist in vieler Hinsicht innovativ und bahnbrechend; sie stellt unter anderem die erste ausführliche Beschreibung des Versuchs dar, ein Kind gemäß der Erwerbskonstellation eine Person → eine Sprache zu erziehen. Interessant ist die Studie noch heute, weil in ihr viele der Themen und Fragestellungen zur Sprache kommen, die in der heutigen Forschung eine zentrale Rolle spielen.

Gleich nach der Einleitung, in einem mit Méthode suivie pour apprendre les deux langues betitelten Kapitel, schreibt Jules Ronjat, er habe kurz nach dem 30. Juli 1908, dem Tag der Geburt seines Sohnes, von seinem Kollegen Maurice Grammont einen Brief mit der folgenden Empfehlung erhalten:

Il n’y a rien à lui apprendre ou à lui enseigner. Il suffit que lorsqu’on a quelque chose à lui dire on le lui dise dans l’une des langues qu’on veut qu’il sache. Mais voici le point important : que chaque langue soit représentée par une personne différente. Que vous par exemple vous lui parliez toujours français, sa mère allemand. N’intervertissez jamais les rôles. De cette façon, quand il commencera à parler, il parlera deux langues sans s’en douter et sans avoir fait aucun effort spécial pour les apprendre. (Ronjat 1913, 3)

‚Es gibt nichts, was man ihm beibringen oder ihn lehren müsste. Es genügt, dass man, wenn man ihm etwas sagen möchte, ihm das in einer der Sprachen sagt, die er erwerben soll. Der wichtige Punkt ist jedoch: Jede Sprache sollte durch eine unterschiedliche Person vertreten sein. Sie zum Beispiel sollten mit ihm immer Französisch sprechen, seine Mutter Deutsch. Tauschen Sie nie die Rollen. Auf diese Weise wird er, wenn er zu sprechen beginnt, die Sprachen sprechen, ohne einen Zweifel zu haben und ohne eine spezielle Anstrengung zu ihrem Erwerb gemacht zu haben.‘

Jules Ronjat befolgt diesen Ratschlag. Die Familie lebt in Vienne (an der Rhône südlich von Lyon). Der Vater spricht Französisch mit dem Sohn, die Mutter Deutsch. Wenn die ganze Familie beisammen ist, zum Beispiel bei Tisch, unterhält man sich auf Deutsch, außer es sind Personen anwesend, die des Deutschen nicht mächtig sind. Wendet sich Louis bei solchen Gelegenheiten an seinen Vater, tut er dies immer auf Französisch. Einmal verwendet Jules Ronjat bei Tisch das deutsche Wort Approbation mit einer deutschen Aussprache. Louis kennt es nicht und fragt seinen Vater Qu’est-ce que c’est, approbation? ‚Was ist das, Approbation?‘ mit der korrekten französischen Aussprache (Ronjat 1913, 73).

Die Familie ist verhältnismäßig wohlhabend und kann sich Hauspersonal leisten. Louis wird teils von deutschsprachigen teils von französischsprachigen Kindermädchen betreut und wächst zu einem fließenden Sprecher beider Sprachen heran. In einem Brief vom 27. Oktober 1923 berichtet Jules Ronjat, dass sein Sohn beide Sprachen gleichermaßen in der alltäglichen Konversation verwendet; in technischen Belangen zieht er allerdings Französisch vor, während er als Literatursprache Deutsch bevorzugt (Vildomec 1971, 25).

Der dem Buch zu Grunde liegende Untersuchungszeitraum umfasst die ersten 52 Lebensmonate des Kindes. Zumindest in dieser Zeit genießt Louis ebenso viel Input auf Deutsch wie auf Französisch. Dies wird von Ronjat (1913, 7–10) genau dokumentiert. Die Familie hat neben den Kindermädchen auch noch deutschsprachige Köchinnen. Außerdem bekommt sie regelmäßige Verwandtenbesuche aus Deutschland. Zu den Anfängen der Sprache seines Sohnes schreibt Ronjat (1913, 75):

Du 13e au 16e mois il n’a presque que des mots du vocabulaire commun issus d’onomatopées ou donnés en Ammensprache. Mais dès le 16e se manifestent nettement l’existence des deux collections et leur usage distinct [...].

‚Vom 13. bis zum 16. Monat hat er fast nur Wörter des gemeinsamen Wortschatzes, die von Onomatopöien oder der Ammensprache herrühren. Aber ab dem 16. Monat zeigt sich deutlich das Bestehen zweier Wortsammlungen und ihre getrennte Verwendung.‘

Obgleich sowohl der Vater als auch die Mutter beide Sprachen beherrschen, wird es Louis erst um den 28. Lebensmonat klar, dass er sich an seine Eltern und an bestimmte andere Personen in beiden Sprachen wenden kann. Ungefähr mit drei Jahren entwickelt sich bei ihm das Bewusstsein, zwei Sprachen zu sprechen, und bald danach kann er diese auch benennen. Insgesamt gesehen kann Jules Ronjat bei seinem Sohn keine Anzeichen für eine Behinderung der intellektuellen Fähigkeiten durch die Bilingualität feststellen und versucht in seinem Buch, ein damals gängiges Vorurteil zu entkräften. Ich werde noch auf diese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit verbreitete Meinung zu sprechen kommen, dass sich die Bilingualität negativ auf die intellektuelle Entwicklung auswirken könnte. Die intellektuellen und kognitiven Auswirkungen der Bilingualität stellen noch heute ein zentrales Thema der Forschung dar.

Bei der Analyse der von seinem Sohn beherrschten Laute unterstreicht Ronjat (1913, 12, 14, 16, 36) an mehreren Stellen, dass dieser von Anfang an über zwei separate Lautsysteme verfügt. Der Zeitpunkt, an dem zwei getrennte Sprachsysteme erkennbar sind, wird später in der Psycholinguistik ebenfalls eine intensiv diskutierte Frage darstellen. Für eine länger anhaltende, stabile Übertragung von Lauten der einen Sprache auf die andere kann Jules Ronjat keine Indizien finden. Louis besitzt in beiden Sprachen eine mit monolingualen Kindern vergleichbare Aussprache. Ronjat (1913, 57 ff.) stellt sich auch die Frage, ob sein Sohn im Vergleich zu monolingualen Kindern etwas später eine korrekte Aussprache erworben habe, und kommt zu dem Schluss, dass die leichte, ca. fünfmonatige Verspätung wahrscheinlich individueller Natur ist und nicht auf die Bilingualität zugeführt werden kann. In der Tat ist man heute der Ansicht, dass sowohl im monolingualen als auch im bilingualen Erstspracherwerb eine erhebliche Variation bezüglich der Zeit besteht, in der Kinder zu sprechen beginnen (Meisel 2004, 95).

Bezüglich Wortschatz und Syntax kann Ronjat (1913, 36) ebenfalls keine konstanten Unregelmäßigkeiten feststellen:

On verra [...] que les emprunts authentiques de langue à langue en matière de vocabulaire et de syntaxe se réduisent en somme à peu de chose et n’affectent pas la correction générale du langage, que de bonne heure notre sujet a pu s’exprimer très convenablement dans les deux langues à peu près comme le fait dans une seule la moyenne des enfants monoglottes (nés dans des milieux cultivés) dont les parents s’occupent assidüment, et que de très bonne heure il a pu faire, non certes des traductions, mais d’exactes transmissions de messages d’une langue dans l’autre.

‚Man wird sehen [...], dass sich insgesamt die wirklichen Entlehnungen von einer Sprache in die andere, die den Wortschatz und die Syntax betreffen, auf wenig beschränken und nicht die allgemeine Korrektheit der Sprache beeinträchtigen, dass unser Subjekt früh lernte, sich in beiden Sprachen sehr passend auszudrücken, ungefähr so wie es in einer Sprache die (in einem kultivierten Milieu geborenen) monolingualen Kinder tun, mit denen sich die Eltern gewissenhaft beschäftigen, und dass er sehr früh, sicherlich keine Übersetzungen, aber doch genaue Übertragungen von Mitteilungen von einer in die andere Sprache machen konnte.‘

Natürlich verwendet Louis gelegentlich in einem französischen Satz ein deutsches Wort und vice versa, aber ab dem 43. Lebensmonat werden solche Erscheinungen sehr selten (Ronjat 1913, 60). Manchmal behilft sich Louis mit zwar interessanten, aber zielsprachlich falschen Lehnübersetzungen: z. B. tuyau statt chambre à air für ‚Fahrradschlauch‘ oder Moos statt Schaum für ‚Schaum‘.

4.2 Leopold (1939–1949)

Die nächste wichtige Arbeit nach Ronjat (1913) ist die über die Grenzen des bilingualen Erstspracherwerbs hinaus bekannte Studie Werner F. Leopolds (1896–1984) über die zweisprachige Entwicklung seiner Töchter Hildegard und Karla, wobei das Hauptgewicht auf den Betrachtungen zur ersten Tochter liegt. Werner F. Leopold war 1925 in die Vereinigten Staaten emigriert, hatte dort eine deutschstämmige Amerikanerin geheiratet und notierte ab der achten Woche nach der Geburt Hildegards im Jahre 1930 systematisch seine Beobachtungen. Zwischen 1939 und 1949 veröffentlichte er diese in einem vierbändigen Werk, das als ein Meilenstein nicht nur der Bilingualitätsforschung, sondern auch der Psycholinguistik im Allgemeinen angesehen werden kann. Einige wichtige Aspekte seiner Untersuchung werden in Leopold (1953, 1954) zusammengefasst. Werner F. Leopold war, wie Jules Ronjat, Sprachwissenschaftler. Im Vorwort des ersten Bandes dankt er dem bekannten amerikanischen Linguisten Leonard Bloomfield (1887–1949) für die Durchsicht des Manuskriptes.

Die Familie lebt in der Stadt Evanston im Bundesstaat Illinois. Auch bei ihr herrscht in der Kommunikation mit dem Kind der Grundsatz eine Person → eine Sprache: Werner F. Leopold spricht Deutsch mit Hildegard, seine Frau Marguerite Englisch. Im Gespräch miteinander verwenden die Ehepartner interessanterweise ihre jeweilige Erstsprache. Zweimal, von Juni bis September 1931 und von Juni 1935 bis Januar 1936, hält sich die Familie in Deutschland auf. Wie sich Leopold (1939, 13) erinnert, wechselte die Mutter während des ersten Aufenthaltes in Deutschland in ihrer Kommunikation mit Hildegard zum Deutschen. 1936 kommt die zweite Tochter, Karla, zur Welt. Auch sie wird bilingual erzogen.

Die Studie zeichnet sich durch außergewöhnliche Genauigkeit und großen Reichtum an Daten aus. Die Qualität der Aufzeichnungen ist so hervorragend, dass sie in den nachfolgenden Jahrzehnten wiederholt zu Vergleichszwecken herangezogen wurden. Von Hildegards achter Lebenswoche bis zu ihrem sechsten Lebensjahr führte Werner F. Leopold akribisch Tagebuch über die sprachliche Entwicklung. Insbesondere registrierte er fast alle Wörter, die Hildegard bis zu ihrem zweiten Lebensjahr produzierte. Der erste Band des Werkes enthält auf mehr als hundert Seiten den gesamten Wortschatz Hildegards, gefolgt von einer Chronologie der dort vermerkten Wörter. Aufgrund der damit verbundenen Arbeitsanstrengung nimmt Leopold (1949b, 136) allerdings von systematischen Aufzeichnungen über die zweite Tochter Abstand. Alle vier Bände enthalten jedoch zahlreiche Anmerkungen, Vergleiche und Fußnoten bezüglich der Daten von Karla. Die Einträge und Angaben betreffen vor allem Hildegards bilinguale Entwicklung bis Ende 1936. Die Einträge ab dem Jahr 1937 umfassen nur noch wenige Seiten. Der letzte Tagebucheintrag stammt aus dem Jahr 1946.

Der Wortschatz Hildegards bleibt bis zur Mitte des zweiten Lebensjahres verhältnismäßig ausgewogen (Leopold 1939, 161). Die Anzahl der aktiven deutschen und englischen Wörter ist bis 1;5 in etwa gleich, die Anzahl der neu erworbenen Wörter ist bis 1;3 in den beiden Sprachen ebenfalls vergleichbar. Danach wächst das englische Lexikon allerdings sprunghaft. Das Mädchen erwirbt monatlich fast dreimal so viele englische als deutsche Wörter, und die englischen Wörter zeichnen sich durch eine größere Permanenz aus, so dass der Wortschatz um 1;11 viermal so viele aktive englische als rein deutsche Wörter enthält.

Der zweite Band (Leopold 1947) ist dem Lautsystem gewidmet. Leopold (1947) geht von Jakobsons (1969 [1941]) Konstanten in der Reihenfolge des Lauterwerbs aus und weist nach, dass diese mit Ausnahme von Details von seinen Daten bestätigt werden. Auch Leopold (1947) ist der Meinung, dass sich das Lautsystem nach phonologischen statt nach phonetischen Kriterien entwickelt. Im Unterschied zur Phonetik, die die konkreten Eigenschaften der Laute untersucht, beschäftigt sich die Phonologie mit der Stellung und Funktion der Laute im System einzelner Sprachen. Eines ihrer zentralen Aufgabengebiete besteht in der Ermittlung der Phoneme, d. h. der kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten einer Sprache. Die Sprachen der Welt enthalten zusammen etwa 600 Konsonanten und 200 Vokale. Jede Sprache hat ein für sie charakteristisches Inventar von Konsonanten und Vokalen, die in diesem Fall Phoneme genannt werden. Bilinguale Kinder stehen vor der Aufgabe, im Laufe ihres Spracherwerbs zwei Phoneminventare erwerben zu müssen, im Falle von Hildegard die Inventare des Deutschen und Englischen. Aufgrund der phonologischen Nähe der beiden Sprachen tritt in den ersten beiden Jahren keine Phonemkollision ein. Die Phoneme, die nur für eine der Sprachen charakteristisch sind, werden erst später erworben. Leopold (1954, 25) kann in dieser Zeit nur wenige lautliche Erscheinungen ausmachen, die auf die Bilingualität seiner Tochter zurückzuführen sind. Die festgestellten Lautvereinfachungen und -ersetzungen sind zumeist auch im monolingualen Erwerb nachweisbar.

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