Kitabı oku: «Bilingualer Erstspracherwerb», sayfa 3
Der unvollständige Erwerb und der Sprachabbau manifestieren sich durch generelle Unsicherheit beim Sprachgebrauch, Wortfindungsprobleme, Häsitationsphenomene und durch verstärkten Einfluss der anderen Sprache. Zudem sind sie von Sprachmischung begleitet. Es muss jedoch unterstrichen werden, dass das Gegenteil nicht zutrifft (Bolonyai 2009, 253; Anstatt und Rubcov 2012, 75): Die Sprachmischung weist weder automatisch auf unvollständigen Erwerb und Sprachabbau hin noch führt sie automatisch zu unvollständigem Erwerb und Sprachabbau. Die Sprachmischung hat keine inhärent negative Wirkung auf eine der beiden Sprachen.
2.7 Verschiedene ‚Sprachen‘
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird mit Muttersprache die Sprache bezeichnet, die man als Kind von den Eltern erwirbt und während eines Großteils der Kindheit verwendet, in der man sich spontan ausdrücken kann, in der man denkt und sich zu Hause fühlt. Bilinguale Kinder haben in diesem Sinn also zwei Muttersprachen, aber natürlich nicht zwei Mütter. Muttersprache kann jedoch noch etwas anderes bedeuten und zwar einfach die Sprache der Mutter. Im Kontext des bilingualen Erstspracherwerbs kommt nur diese zweite Bedeutung zum Tragen. Muttersprache steht hier im Gegensatz zu Vatersprache und bezeichnet vor allem in einer Familie, in der die Konstellation eine Person → eine Sprache herrscht, einfach die Sprache, die die Mutter mit dem Kind spricht. Im Laufe dieses Buches werde ich für die anfangs erwähnte Bedeutung den Terminus Erstsprache verwenden und daher vom bilingualen, doppelten oder zweifachen Erstspracherwerb sprechen.
Bei der Besprechung der bilingualen Kommunikation in der Familie und in ihrem Umfeld habe ich bereits den Begriff der Umgebungssprache eingeführt und ihn der Familiensprache gegenüber gestellt. Die Umgebungssprache ist in der Regel die Sprache der nationalen, regionalen oder auch lokalen Gemeinschaft, in dem das zweisprachige Kind aufwächst. Selbstverständlich kann die Situation komplexer sein als hier beschrieben. Die Umgebungssprache kann auf die lokale Gemeinschaft beschränkt und die nationale Sprache eine andere sein. Die Umgebungssprache gewinnt mit zunehmendem Alter, sobald die Kinder Spielkameraden kennen lernen, den Kindergarten oder die Schule besuchen, an Bedeutung, so dass sie oft zur starken Sprache wird.
Meist ist die Schulsprache die Sprache der jeweiligen lokalen Bevölkerung, das heißt Schulsprache und Umgebungssprache sind gleich. Es gibt allerdings zahlreiche Fälle, in denen das nicht so ist. In Algerien findet der Unterricht, auch in den berbersprachigen Gebieten, während der ersten neun Jahre der Grundschule auf Arabisch statt. In den Gymnasien und auf der Universität wird jedoch auf Französisch unterrichtet. Eine vergleichbare Situation finden wir in den anderen Staaten des Maghreb sowie in Westafrika. Welche Sprache als Schulsprache anerkannt wird, ist oft Thema politischer Auseinandersetzungen und kann im Extremfall als politisches Druckmittel dienen. Im Kosovo wurde in der Zeit der Regierung von Slobodan Milošević an den Universitäten das Albanische zugunsten des Serbischen abgeschafft, obwohl die weit überwiegende Bevölkerungsmehrheit albanischsprachig war.
Die Zählsprache ist bei mehrsprachigen Individuen nicht unbedingt die starke Sprache, sondern die Sprache, in der sie Zählen und Rechnen gelernt haben, d. h. im Regelfall die Schulsprache. Zählen und Rechen sind stark fixierte und automatisierte, über die Sprache im Gedächtnis gespeicherte Operationen, die sprachlichen Verschiebungen widerstehen und sich auch in einer schwach gewordenen Sprache halten können. Jeder Leser und jede Leserin, der oder die längere Zeit im Ausland verbracht und sich Telefonnummern in einer Fremdsprache gemerkt hat, kann diese Fixierung und Automatisierung einer einmal gelernten Zahlenkombination an sich selbst beobachten: Auch nach mehreren Jahren erfolgt das Ins-Gedächtnis-rufen der Telefonnummer leichter und spontaner in der Form, in der sie damals zuerst memorisiert wurde. Überhaupt stehen Sprache und autobiografisches Gedächtnis in engem Zusammenhang (Pavlenko 2011, 243 f., 2014, 191–194; De Groot 2013, 186–89). Marian und Neisser (2000) zeigen mit einem Experiment, dass sich Personen an vergangene Ereignisse besser sprachlich zurückerinnern können, wenn das in derjenigen Sprache passiert, in der sich das Ereignis tatsächlich abspielte.
Mehrsprachige werden oft gefragt, in welcher Sprache sie träumen. Eine Traumsprache im eigentlichen Sinne gibt es jedoch nicht. Mehrsprachige träumen nicht nur in einer Sprache. Im Traum sind die Sprachen so verteilt wie im täglichen Leben, und Personen, die im realen Leben eine andere Sprache sprechen, erscheinen dem mehrsprachigen Individuum im Traum ebenfalls so (Rūķe-Draviņa 1967, 38 f.). Deshalb ist es durchaus möglich, dass man sogar in einer Fremdsprache träumt oder, genauer gesagt, im Traum mit Personen in einer Fremdsprache kommuniziert.
In Bezug auf Kinder ist natürlich auch die Frage nach der Spielsprache von Bedeutung. Diese variiert je nach Spielpartner und -partnerin. Bis zu einem bestimmten Alter scheinen Kinder weniger Wert auf eine korrekte sprachliche Form zu legen, sie sind also in gewisser Hinsicht toleranter. Für sie zählt in erster Linie die effektive Kommunikation während des Spiels (Leopold 1949b, 99, 118). Aus diesem Grund stellt Spielen die ideale Erwerbsumgebung für bilinguale Kinder dar. Hinzu kommt, dass der spielerische Kontakt mit Gleichaltrigen die Einstellung und Motivation bezüglich der jeweiligen Sprache besonders günstig beeinflusst. Aufgrund seines großen Stellenwertes bei Kindern sollte das Spiel in der schwachen Sprache so stark wie möglich gefördert werden.
Da bilinguale Kinder zwei Sprachen beherrschen, taucht gelegentlich die Frage auf, ob und wie gut sie zu übersetzen vermögen. Sicher sind sie, wie alle Kinder, keine professionellen Dolmetscher oder Übersetzer, jedoch bringen sie wichtige Voraussetzungen dafür mit. Fest steht, dass Übersetzungen für sie noch keinen besonderen Stellenwert einnehmen. Spontane Übersetzungen einzelner Wörter können trotzdem verhältnismäßig früh vorkommen. Die von Cruz-Ferreira (2006, 81–86) angeführten Beispiele beginnen im Alter von 1;5. Im Alter von 1;8 sagte Emma, meine ältere deutsch-italienischsprachige Tochter, zu mir zuerst ape und nach einer kurzen Pause Biene; einen Monat später übersetzte sie Wal mit balena. Ob es sich hier wirklich um Übersetzungen handelt oder eher um Anpassungsversuche an die Sprache des Gesprächspartners, ist in diesem Stadium schwer zu sagen. In einem späteren Alter übersetzen bilinguale Kinder ganze Äußerungen. Die Übersetzungen sind zumeist der Situation angemessen, aber selten wörtlich (Leopold 1949b, 105). Deshalb sollte man besser von Übertragungen sprechen. Ronjat (1913, 81 ff.) beschreibt sehr schön, wie sein Sohn Louis im Alter von 2;2 französischsprachige Anweisungen der Verwandten an die deutschsprachige Köchin weitergibt. Louis scheint sogar Gefallen daran zu finden, dem Vater auf Französisch die deutschsprachigen Äußerungen der Mutter zu verdeutlichen. Im Alter von 11;6, während eines Urlaubs in Sardinien, verfasste meine Tochter Emma ein mit Zeichnungen und Texten ausgestattetes Tagebuch und entschied ganz von selbst, dieses durchgehend zweisprachig zu gestalten. Bilinguale Kinder mögen es allerdings gar nicht, wenn ihre beiden Sprachen von Erwachsenen auf die Probe oder zur Schau gestellt werden. Bei solchen Gelegenheiten übersetzen sie nur ungern.
3 Fragestellungen, Hypothesen und Methoden
3.1 Fragestellungen
Sprache kann aus vielen Blickwinkeln betrachtet werden. Ein Blickwinkel, der in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewann, ist die Betrachtung der Sprache als Abbild oder Spiegelbild der psychischen und mentalen Zustände eines Individuums. Diese Sichtweise bewog viele Linguisten und Linguistinnen dazu, von der Sprachstruktur Rückschlüsse auf die kognitiven Strukturen der Sprecher und Sprecherinnen anzustellen und dadurch in die Psychologie und später auch in die Neurologie vorzudringen. Noam Chomsky, der einflussreichste Linguist des zwanzigsten Jahrhunderts, unterstrich in seinen Arbeiten wiederholt, dass die Sprachwissenschaft ein Teilgebiet der Psychologie bzw. der Kognitionsforschung sei (Chomsky 1972, 1; Siebert-Ott 2001, 27). Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnte man von den Brückendisziplinen Psycholinguistik und Neurolinguistik sprechen. Das Hauptinteresse der Psycholinguistik galt lange Zeit dem Spracherwerb und der Kindersprache schlechthin. Eine wiederholt aufgeworfene Frage war diejenige nach den universellen Charakteristiken und Eigenschaften der Kindersprache, die auf allen Kindern gemeinsame mentale Strukturen und Entwicklungsprozesse hinweisen könnten. Diese Charakteristiken stehen im Gegensatz zu partikulären Erscheinungen, die auf strukturelle Gegebenheiten der jeweiligen Einzelsprache zurückzuführen sind und keine allgemeine mentale Basis haben. Noam Chomsky ging sogar soweit, von einer Universalgrammatik zu sprechen. Nach dieser Annahme hätten alle Sprachen eine Reihe von gemeinsamen grundlegenden Eigenschaften. Diese wären der direkte Ausdruck eines angeborenen Sprachinstinkts. Das war der Punkt, an dem man sich der wenigen existierenden Studien über bilinguale Kinder entsann und darin Anhaltspunkte für universelle Prozesse und Mechanismen des Spracherwerbs suchte. Die daraufhin einsetzende Welle von Forschungsarbeiten über den bi- und multilingualen Spracherwerb bezweckte, diese Prozesse und Mechanismen zu erschließen, entwickelte jedoch bald eine Eigendynamik, durch die sich ein viel weiteres Feld an Fragestellungen eröffnete. In den folgenden Seiten werde ich diese Fragestellungen kurz vorstellen.
Eine von Eltern wie von Wissenschaftlern oft gestellte Frage ist natürlich, ob es Unterschiede zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Spracherwerb gibt. Der Vergleich mit den Sprachkompetenzen einsprachiger Kinder bewegt Eltern, Lehrpersonen und andere Beteiligte in besonderem Maße. Aber auch in der Forschung ist er gegenwärtig. Schon Ronjat (1913) und Leopold (1939–1949) gehen zum Beispiel wiederholt auf die Frage ein, wie ihre Kinder gegenüber gleichaltrigen einsprachigen Kindern im Hinblick auf das Sprachvermögen einzustufen sind. Das hat damit zu tun, dass man damals von der impliziten Annahme ausging, die Bilingualität sei ein gegenüber der monolingualen Norm abweichendes Phänomen, das einer speziellen Rechtfertigung bedürfe. Heutzutage ist der Aspekt des Vergleichs natürlich noch immer präsent, er dient jedoch nicht zur generellen Beurteilung von Bilingualität, sondern als empirische Methode, um im Spracherwerbsprozess die spezifisch bilingualen Phänomene aus den allgemeinen Erscheinungen herausfiltern zu können. Nur wenn man den monolingualen Spracherwerb mit betrachtet, kann man zum Beispiel erkennen, ob bestimmte Äußerungen eines bilingualen Kindes durch Einfluss der anderen Erstsprache entstanden sind oder eine im monolingualen Spracherwerb ganz normale Erscheinung darstellen. Ähnliches gilt für die Frage nach dem Ablauf und den Entwicklungsphasen frühkindlicher Zweisprachigkeit. Diese ist auch in der Forschung zum Erstspracherwerb ein wichtiges Thema.
Das Thema des sprachlichen Inputs und seines Einflusses ist in vielen Studien gegenwärtig. Es geht nicht nur um die Validität der durch Ronjat (1913) bekannt gewordenen Konstellation eine Person → eine Sprache, also des Prinzips der strikten Inputtrennung, sondern beispielsweise auch darum, wie viel Input nötig ist, um eine gelungene Zweisprachigkeit sicher zu stellen. Mit der Quantität und Qualität des Inputs ist die Frage nach der Ausgewogenheit der Kompetenzen in den beiden Sprachen und nach der eventuellen Dominanz einer der beiden Sprachen verbunden. Des Weiteren tritt hier die Problematik zu Tage, wie sich ein plötzlicher Abbruch oder Wechsel des Inputs auf die bilinguale Kompetenz auswirkt.
Trennung oder Nichttrennung des sprachlichen Inputs werden häufig mit der Frage in Beziehung gesetzt, wann, warum und in welcher Form Sprachmischung stattfindet. Die Sprachmischung gehört zur Natur der Bilingualität (Bolonyai 2009, 259). Sie zeichnet erwachsene fließende Sprecher und Sprecherinnen von zwei Sprachen genauso aus wie Kinder, die gerade im Begriff sind, zwei Sprachen zu erwerben. Die Sprachmischung bei bilingualen Erwachsenen wird im Allgemeinen wohlwollend und als Ausdruck ihrer ausgezeichneten Kompetenzen in beiden Sprachen gewertet. Ganz anders sehen Lehrpersonen, besorgte Eltern und Laien die Sprachmischung in der frühkindlichen Zweisprachigkeit. Das vermeintlich unsystematische und gegen alle Regeln verstoßende Mischen der Kinder wird als nachteilige Auswirkung des bilingualen Erstspracherwerbs interpretiert. In der neueren linguistischen Forschung wird Sprachmischung hingegen als nützliche Strategie gesehen, mit deren Hilfe sich bilinguale Kinder und Erwachsene effektiver ausdrücken können (Bolonyai 2009, 253 f.). Die Sprachmischung wird durch die Interaktion mehrerer Faktoren verursacht. Einer davon ist sicherlich die Sprachmischung in der Sprache der Personen, mit welchen die bilingualen Kinder Kontakt haben. Die Frage, ob Sprachmischung im Input die Ursache für Sprachmischung bei bilingualen Kindern sein kann, ist allerdings empirisch kaum zu beantworten, da es keine empirische Studie gibt und auch nie geben wird, in der die sprachliche Umgebung von bilingualen Kindern vollkommen frei von Sprachmischung ist. Wie wir in Abschnitt 2.4 gesehen haben, ist Mischung im elternsprachlichen Input die Regel und unvermeidlich. In vielen Fällen findet sie zudem unbewusst statt. Man kann sich höchstens fragen, ob die Intensität der Sprachmischung im Input mit derjenigen der bilingualen Kinder korreliert.
Die Sprachmischung hängt zudem mit der Frage nach der Beziehung zwischen den beiden sich im Kind entwickelnden Sprachen zusammen. Diese Frage monopolisierte die Forschung ab den 1970er Jahren. Drei Optionen (Müller et al. 2011, 97–119; Patuto 2012, 57; Yip 2013, 123) wurden im Laufe der Jahrzehnte diskutiert: ein einziges, hybrides Sprachsystem in der Anfangsphase des Spracherwerbs; antithetisch dazu zwei vollkommen getrennte Sprachsysteme von Anfang an; sozusagen als Synthese getrennte Sprachsysteme mit beschränkter Interaktion. Während in den 1970er Jahren und Anfang der 1980er Jahre vor allem die erste Option ins Auge gefasst wurde, fand ab Mitte der 1980er Jahre die zweite Option die meisten Befürworter. Man diskutierte über den Zeitpunkt, ab dem bilinguale Kinder zwei getrennte und autonome Sprachsysteme aufbauen. Heute steht in erster Linie die dritte Möglichkeit zur Debatte (Serratrice 2013, 87). Dem ist allerdings hinzuzufügen, dass gebrauchsbasierte und konstruktivistische Spracherwerbstheorien den Begriff des Systems als geeignete Kategorie zur Beschreibung der frühkindlichen Sprache prinzipiell in Frage stellen.
Wenn man vom Input spricht, sollte man die in Abschnitt 2.5 angesprochene artifizielle Bilingualität nicht vergessen, also eine kommunikative Konstellation, in der sich die Eltern – beide oder nur ein Elternteil – konsequent in einer von ihnen sehr gut beherrschten Zweitsprache, also in einer Fremdsprache, an das Kind richten. Sie ist, wie wir gesehen haben, in der heutigen Zeit gar nicht so selten anzutreffen, wie Akinci, De Ruiter und Sanagustin (2004) zeigen. Die Entwicklung des Wortschatzes stellt im monolingualen wie auch im bilingualen Erstspracherwerb ein zentrales Forschungsthema dar. Im bilingualen Erwerb stellt sich zusätzlich die Frage nach den interlingualen Synonymen oder Äquivalenten. Verfügen bilinguale Kinder über Wörter in beiden Sprachen, die jeweils die gleiche Bedeutung haben? Wie und ab wann werden diese erworben? Werden diese Bedeutungen von den Kindern als gleich empfunden oder besteht die Übereinstimmung nur in der Erwachsenensprache? Die Beantwortung dieser Fragen hat Auswirkungen auf die eben angesprochene Diskussion über ein hybrides Sprachsystem, denn die Existenz von Äquivalenten ist zweifelsohne ein Indiz für zwei getrennte Sprachsysteme.
Wenn Sprecher und Sprecherinnen unterschiedlicher Sprachen regelmäßig und für längere Zeit interagieren, spricht man von Sprachkontakt. Die Einsicht, dass sich dieser Kontakt nicht nur innerhalb einer Gesellschaft, sondern im Grunde auch innerhalb eines Individuums abspielen kann, finden wir schon in Weinreich (1953). Hinter jeder Form des gesellschaftlichen Bilingualismus steht ein bestimmtes Maß an individueller Bilingualität. Romaine (1996, 573) unterstreicht daher, dass „[...] the bilingual individual is the ultimate locus of language contact“ ‚[...] das bilinguale Individuum ist der eigentliche Ort des Sprachkontaktes‘. Das Aufeinandertreffen von zwei Sprachen führt immer zu Sprachkontaktphänomenen, beispielsweise zu Sprachmischung.
Bis heute beschäftigt sich die Kontaktlinguistik vornehmlich mit dem Sprachkontakt auf der gesellschaftlichen Ebene. Dessen Rolle bei Sprachwandel und Grammatikalisierung ist gut erforscht. Seine Wichtigkeit ist unumstritten und bedarf keiner besonderen Ausführungen mehr. Dazu gibt es eine Vielzahl historischer und aktueller Beispiele (z. B. Heine und Kuteva 2005). Länger andauernder Sprachkontakt kann zu einer gegenseitigen Beeinflussung von Sprachen und einer Reihe von gemeinsamen Merkmalen führen. Wenn diese strukturellen und lexikalischen Gemeinsamkeiten mehrere genetisch nur entfernt oder gar nicht verwandte Sprachen betreffen, die aber geografisch benachbart sind, spricht man von Sprachbund. Die Entstehung des Balkansprachbundes (Albanisch, Bulgarisch, Mazedonisch und Rumänisch) ist nur durch den Bilingualismus (und die Bilingualität) erklärbar, zu der die ursprüngliche nomadische Lebensform, die periodischen Wanderungen der Hirten und die gemeinsamen Handelsplätze der Balkanvölker führten (Schaller 1975, 109–120). Intensiver Sprachkontakt kann so weitreichende strukturelle Veränderungen beinhalten, dass er zur Bildung eines Pidgin, sprich zu einer Handels-, Verkehrs- oder Mischsprache führt. Wenn diese Sprache an die nächsten Generationen weitergegeben und dadurch deren Erstsprache wird, kann man von der Entstehung einer neuen Sprache sprechen. Diese wird üblicherweise Kreolisch genannt.
Erst in den letzten Jahren stellt man sich verstärkt die Frage, wie der kontaktinduzierte Sprachwandel letztlich durch das sprachliche Verhalten von Individuen hervorgerufen wird und welche Parallelen zwischen dem gesellschaftlichen Sprachkontakt und dem individuellen Sprachkontakt existieren. Inwiefern sind die Erkenntnisse der Kontaktlinguistik auf den individuellen Sprachkontakt und die Bilingualität übertragbar und umgekehrt? Uns interessiert vor allem die Frage, wie diese Erkenntnisse für die Erforschung der frühkindlichen Bilingualität fruchtbar gemacht werden können. Ein Ergebnis dieses Austausches liegt schon vor: Die Beschreibung und Systematisierung der Sprachmischung speist sich aus beiden Richtungen. Yip und Matthews (2007, 227–254) widmen den Parallelen zwischen frühkindlichen und individuellen Sprachkontakterscheinungen auf der einen Seite und gesellschaftlichen Sprachkontakterscheinungen und Sprachwandel auf der anderen Seite ein ganzes Kapitel. Sie stellen im Englischen der von ihnen untersuchten Kinder Phänomene fest, die auf den Einfluss des Kantonesischen zurückzuführen sind. Ähnliche Phänomene kann man in chinesisch-englischen Kontaktsprachen, wie dem Chinese pidgin English oder dem Singapore colloquial English, beobachten.
Bis zu Beginn der 1960er Jahre wurde Zweisprachigkeit in der pädagogischen Literatur sehr negativ bewertet (Leopold 1949a, 187; Adler 1977, 40; McLaughlin 1978, 77 f., 168 f.; Hakuta 1986, 16–33, 59–65; Lebrun und Paradis 1984, 9 f.; Kielhöfer und Jonekeit 1995, 9, 19; Döpke 1997, 95). Vor allem zwei vermeintliche Nachteile der Bilingualität wurden unterstrichen: Zweisprachige Kinder würden erstens öfter stottern als einsprachige und hätten zweitens eine verspätete kognitive Entwicklung, was zu einer verminderten Intelligenz führen könnte. Einige frühe Studien setzten in der Tat Zweisprachigkeit mit Stottern in Verbindung. Pichon und Borel-Maisonny (1937) stellten fest, dass 14 % ihrer stotternden Patienten zweisprachig waren. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Travis, Johnson und Shover (1937). Die Ansicht, dass Zweisprachigkeit nachteilige Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung haben kann, beruht ebenfalls auf frühen Studien aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Ein bekanntes Beispiel für eine solche Studie ist diejenige von Saer (1923). In ihr wurden ein- und zweisprachige Kinder aus Wales mittels Tests bezüglich ihrer Intelligenz untersucht. Die einsprachigen Kinder wiesen einen höheren Intelligenzquotienten auf. In späteren Jahren wurde jedoch klar, dass bei Miteinbeziehung des sozioökonomischen und regionalen Hintergrundes und der Verabreichung nicht-verbaler Tests diese Ergebnisse hinterfragt werden müssen und ihre Schlussfolgerungen nicht haltbar sind.
3.2 Hypothesen
In den letzten Jahrzehnten wurde in der Forschung eine Reihe von Hypothesen und Erklärungsmodellen vorgeschlagen. Einige davon betreffen speziell den bilingualen Erstspracherwerb, andere stammen aus affinen Forschungsbereichen, haben jedoch bedeutende Auswirkung auf den bilingualen Erstspracherwerb.
Eine Hypothese des letzteren Typs ist die critical period hypothesis. Die Hypothese betrifft den Spracherwerb im Allgemeinen und stellt, obwohl selbst nur eine Annahme, eines der Hauptargumente für die Nativismushypothese dar, also für die Annahme, die sprachliche Entwicklung des Menschen wäre in ihren wesentlichen Zügen durch eine angeborene Sprachfähigkeit bestimmt. Die Hypothese hat zwei unterschiedliche Ausformungen (Pallier 2007, 155). Sie kann einerseits ganz allgemein bedeuten, dass die Menschen in den ersten Lebensjahren effizientere Sprachlerner sind. In ihrer zweiten, spezifischeren Form kann sie bedeuten, dass die altersbedingte Abnahme der neuronalen Plastizität für die abnehmende Spracherwerbsfähigkeit verantwortlich ist. Die beiden Ausformungen der Hypothese müssen deshalb unterschieden werden, weil eine kritische Periode in der ersten Ausformung auch dann bestehen kann, wenn ihre Erklärung durch die abnehmende neuronale Plastizität falsch ist.
In der zweiten, spezifischeren Form wurde die Hypothese zuerst von den Neurologen Penfield und Roberts (1959) entwickelt und später durch Lenneberg (1967) in der Linguistik bekannt gemacht. Laut Lenneberg (1967, 150–154, 178–182) sind bis zum Alter von zwei Jahren die Sprachfähigkeiten gleichmäßig auf beide Hirnhälften verteilt und verlagern sich bis zur Pubertät langsam in die linke Hemisphäre. Wenn dieser Prozess der Lateralisierung abgeschlossen ist, ist auch das Zeitfenster geschlossen, in dem ein erfolgreicher Erstspracherwerb möglich ist. Dies betrifft wohlgemerkt lediglich die grammatischen Fähigkeiten, denn der Wortschatz kann auch danach erweitert werden. Die Hypothese beruht auf Untersuchungen über die Auswirkung von Läsionen des Gehirns. Läsionen in der linken Hemisphäre führen bei Erwachsenen zumeist zu einer Sprachstörung (Aphasie). Das Gehirn von Kindern besitzt jedoch eine außerordentliche Plastizität und Flexibilität. Bis zum Alter von zehn Jahren kann sich das Gehirn nach Läsionen der linken Hemisphäre reorganisieren und die Sprachfunktionen in die andere Hemisphäre verlagern. Damit versuchte Lenneberg (1967, 142–150) zu erklären, warum Läsionen des Gehirns bei Kindern nicht die permanente und vollkommene Auswirkung auf die Sprachfähigkeit haben wie bei Erwachsenen. Die Hypothese in dieser spezifischen Ausformung und Formulierung ist zweifelsohne überholt. In den letzten Jahren machte die Hirnforschung beachtliche Fortschritte. Nicht überholt ist jedoch die Hypothese in ihrer allgemeinen Ausformung, d. h. die generelle Annahme einer sensiblen Phase (Szagun 2006, 248–255), während der wir Menschen eine erhöhte Sensibilität für sprachliche Erfahrung besitzen. Im Unterschied zu Lenneberg (1967) wird heutzutage der Altersbereich zwischen vier und sieben Jahren als derjenige gesehen, in dem diese Sensibilität graduell abnimmt (Chilla, Rothweiler und Babur 2013, 50). Außerdem geht man heute davon aus, dass es für die einzelnen sprachlichen Fähigkeiten (phonologische, grammatische, semantische) unterschiedliche optimale Erwerbsperioden gibt. Wahrscheinlich liegt das kritische Zeitfenster für den Erwerb der phonologischen Eigenschaften vor demjenigen für den Erwerb anderer sprachlicher Domänen. Sogar innerhalb der einzelnen Domänen wurden unterschiedliche Zeitfenster festgestellt. Beispielsweise vollzieht sich das perceptual narrowing oder perceptual tuning (Abschnitt 6.2) für Unterschiede in der Tonhöhe zwischen dem sechsten und achten Lebensmonat, während es für Vokale zwischen dem sechsten und elften und für Konsonanten zwischen dem achten und elften Monat eintritt (Liu 2013, 141).
Die threshold hypothesis, auf Deutsch als Schwellenhypothese bekannt, wurde zuerst von Cummins (1976) vorgeschlagen und in Cummins (1977, 1979) zu einem Modell ausgebaut. Obwohl sie heute wahrscheinlich in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr haltbar ist, besitzt sie angesichts der intensiven Diskussion über die Möglichkeiten zur Verbesserung der sprachlichen Kompetenzen und schulischen Leistungen von Migrantenkindern noch immer Aktualität. Sie betrifft die Auswirkungen der Zweisprachigkeit auf die kognitive Entwicklung. Gemäß der Hypothese hängt die kognitive Entwicklung bilingualer Kinder von den Kompetenzen in den jeweiligen Sprachen ab. Die Abbildung 1 stellt die Hypothese bezogen auf die Kompetenzen eines einzelnen bilingualen Kindes dar.

Abb. 1: Schwellenhypothese (Cummins 1979, 230)
Es werden zwei Schwellen angenommen, ein „lower threshold level of bilingual competence“ und ein „higher threshold level of bilingual competence“. Unterhalb der unteren Schwelle bewegen sich die Kompetenzen in beiden Sprachen auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Zweisprachigkeit, egal ob ausgeglichen oder unausgeglichen, hat negative Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung. Sprachkompetenzen, die in einer der beiden Sprachen mit denjenigen von Muttersprachlern vergleichbar sind, werden der dominanten Zweisprachigkeit zugeordnet und sind zwischen der unteren und der oberen Schwelle angesiedelt. Die Zweisprachigkeit hat weder negative noch positive Auswirkungen. Nur im Falle von ausgewogen bilingualen Kindern, deren Kompetenzen in beiden Sprachen ein hohes Niveau erreichen und daher über der oberen Schwelle liegen, sind kognitive Vorteile gegenüber monolingualen Kindern feststellbar. Cummins (1979, 230) betont ausdrücklich, dass die Schwellen nicht absolut definiert werden können:
The threshold cannot be defined in absolute terms; rather it is likely to vary according to the children’s stage of cognitive development and the academic demands of different stages of schooling.
‚Die Schwelle kann nicht absolut definiert werden; sie variiert wahrscheinlich eher gemäß dem Stadium der kognitiven Entwicklung der Kinder und den akademischen Anforderungen der verschiedenen Schulstufen.‘
Der enge Bezug der Schwellenhypothese zu dem in der damaligen skandinavischen Linguistik entwickelten Begriff des Semilingualismus oder doppelten Semilingualismus (Hansegård 1968; Skutnabb-Kangas und Toukomaa 1976; Toukomaa und Skutnabb-Kangas 1977) wird von Cummins (1979) unterstrichen. Sprachliche Kompetenzen, die unterhalb der unteren Schwelle liegen, werden von ihm mit Semilingualismus beschrieben.
Eng mit der Schwellenhypothese verbunden ist die developmental interdependence hypothesis oder Interdependenzhypothese, die in ihren Grundzügen schon in Toukomaa und Skutnabb-Kangas (1977) zu finden ist und in Cummins (1979) genauer erläutert wird. Sie besagt, dass das Kompetenzniveau, das ein Kind in der Zweitsprache erreicht, zum Teil von dem Niveau abhängt, das das Kind in der Erstsprache zu dem Zeitpunkt aufweist, an dem der intensive Kontakt mit der Zweitsprache beginnt. Wenn der Wortschatz und die Strukturen der L1 durch die Sprachgemeinschaft außerhalb der Schule in vielerlei Hinsicht unterstützt werden, erreicht das Kind in der Regel ein hohes Niveau in der L2, ohne negative Auswirkungen auf die L1 und die Kognition im Allgemeinen. Dagegen kann intensiver Kontakt mit einer L2 in den ersten Schuljahren, bevor die L1 ein angemessenes Niveau erreicht, eine erfolgreiche sprachliche und kognitive Entwicklung in Frage stellen. Die Hypothese ist für die sprachliche Erziehung und Bildung von Migrantenkindern von großer Bedeutung. Die Schwellenhypothese kann zusammen mit der Interdependenzhypothese eine Erklärung liefern, warum Kinder einer sprachlichen Minderheit, die nur in der Mehrheitssprache unterrichtet werden, in ihrer Sprachkompetenz häufig Probleme aufweisen und bezüglich der schulischen Leistungen unter der Klassennorm liegen. Deshalb wird als wichtiges Erziehungsprinzip für Migrantenkinder vorgeschlagen, mit der Erziehung in der Zweitsprache erst dann zu beginnen, wenn ihre Erstsprache die entscheidende Schwelle der Sprachkompetenz erreicht hat. Die beiden Hypothesen von Cummins (1976, 1977, 1979) werden oft mit den Begriffen Submersion und Immersion in Verbindung gesetzt. Mit Submersion bezeichnet man eine schulische Situation, in der Kinder, deren erstsprachliche Kompetenzen noch nicht vollständig entwickelt sind, ausschließlich in einer Zweitsprache unterrichtet werden. Sie werden in der L1 sozusagen ‚untergetaucht‘. Im Falle der Immersion hingegen ist die Erstsprache in der Regel die Sprache der Mehrheit und besitzt ein hohes Prestige (z. B. Englisch in der kanadischen Provinz Ontario); der Unterricht findet ausschließlich (totale Immersion) oder teilweise (partielle Immersion) in einer Zweitsprache (Französisch in Ontario) statt.
In den 1980er Jahren erreichte die Debatte für und wider hybrides Sprachsystem am Anfang des Spracherwerbs ihren Höhepunkt. Rein chronologisch gesehen wurde zuerst eine Hypothese zur getrennten Entwicklung formuliert. In der Tat finden wir die erste Formulierung der independent development hypothesis in Bergman (1976, 88, 94). Die Forscherin nimmt an, dass sich die beiden Sprachen im Kind unabhängig voneinander entwickeln und ihr Erwerb den jeweiligen monolingualen Erwerb widerspiegelt. Der einzige Faktor, der eine getrennte und unabhängige Entwicklung gefährden kann, ist der gemischtsprachige Input. De Houwer (1990) stellt zwar Bergmans (1976) Daten infrage, da diese von einem Mädchen stammen, das erst ab dem siebenten Lebensmonat mit der zweiten Sprache (Spanisch) in Kontakt gekommen war, ist aber prinzipiell der gleichen Ansicht. Die von De Houwer (1990, 2005, 2009, 277–287) vertretene separate development hypothesis ist faktisch eine Weiterentwicklung von Bergman (1976), beschränkt sich jedoch auf die morphosyntaktische Entwicklung. Gemäß De Houwers (1990, 2005, 2009, 277–287) Hypothese sind die morphosyntaktischen Strukturen der beiden Sprachen von Anfang an getrennt und entwickeln sich getrennt weiter. Die beiden Sprachen werden als Systeme angesehen, die zum Großteil in sich abgeschlossen sind und nicht interagieren.