Kitabı oku: «Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren», sayfa 18

Yazı tipi:

IV. Unaufklärbarkeit bei Mittätern und Zweifelssatz

197

Wird das Opfer im Verlauf einer turbulenten Schlägerei von einem Beteiligten erstochen, und bleibt ungeklärt, wer das Messer (exzessiv) geführt hat und ob der jeweils Unbewaffnete billigende Kenntnis von dem Messereinsatz des anderen hatte, scheidet nach dem Zweifelssatz eine Verurteilung wegen (gemeinschaftlichen) Totschlags aus[21].

Teil 2 Der Tod und seine strafrechtliche Zurechnung › B › V. Ursachenzusammenhang bei Hinzutreten Dritter

V. Ursachenzusammenhang bei Hinzutreten Dritter

198

Ursächlich im strafrechtlichen Sinne (Kumulative Kausalität) bleibt das Täterhandeln selbst dann, wenn ein später handelnder Dritter durch ein auf den selben Erfolg gerichtetes Tun vorsätzlich zu dessen Herbeiführung beiträgt, sofern er nur dabei an das Handeln des Täters anknüpft, dieses also die Bedingung seines eigenen Eingreifens ist[22]. Umgekehrt können auch Verletzungshandlungen durch einen hinzutretenden Dritten, die einem vorausgegangenen todbringenden Gewaltangriff nachfolgen, für den Todeserfolg in seiner konkreten Gestalt unmittelbar ursächlich sein, wenn sie den Sterbevorgang beschleunigt haben[23].

Teil 2 Der Tod und seine strafrechtliche Zurechnung › B › VI. Todesverursachung durch Unterlassen

VI. Todesverursachung durch Unterlassen

199

Bei einem Tötungsdelikt durch Unterlassen muss zum Nachweis der Kausalität feststehen, dass der Tod des Opfers, so wie er konkret eingetreten ist, bei pflichtgemäßem Eingreifen „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindert worden wäre. Spricht hierfür nur eine bloße Wahrscheinlichkeit (Vermutung), kommt allenfalls noch ein versuchtes Tötungsdelikt in Betracht[24]. Lässt sich dies nicht feststellen, liegt keine vollendete Tat vor; möglich bleibt lediglich die Verurteilung wegen Versuchs. Maßgebend für die Einschätzung der Rettungschancen, die der Täter auch erkannt haben muss, ist der Zeitpunkt des Tötungsentschlusses[25]. Auch beim Vorwurf des Unterlassens liegt der erforderliche Ursachenzusammenhang vor, wenn der Tod (vielleicht nur um Stunden) früher als im Falle eines pflichtgemäßen Einschreitens eingetreten ist[26].

Anmerkungen

[1]

BGH Urt. v. 30.08.2000 –2 StR 204/00, NStZ 2001, 29; grundlegend Urt. v. 30.03.1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, 195 = NStZ 1993, 386 = StV 1993, 470.

[2]

BGH Urt. v. 06.11.2002 – 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77 = NStZ 2003, 141 mwN.

[3]

BGH Urt. v. 30.08.2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29.

[4]

BGH Urt. v. 30.08.2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29.

[5]

BGH Beschl. v. 20.09.2011 – 1 StR 326/11.

[6]

So schon BGH Beschl. v. 24.06.1982 – 4 StR 183/82, NStZ 1982, 478 mwN.

[7]

BGH Beschl. v. 06.07.2010 – 3 StR 224/10, NStZ 2010, 699; Urt. v. 10.06.2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309; Beschl. v. 20.05.2008 – 5 StR 15/08, NStZ-RR 2008, 352; Urt. v. 12.06.2001 – 5 StR 432/00, NStZ 2002, 253.

[8]

BGH Urt. v. 15.11.1996 – 3 StR 79/96, BGHSt 42, 301= NStZ 1997, 182.

[9]

BGH Beschl. v. 21.07.2010 – 5 StR 246/10, NStZ-RR 2010, 309 = StraFo 2010, 385.

[10]

BGH Urt. v. 12.11.1997 – 3 StR 325/97, NStZ-RR 1998, 102.

[11]

BGH, aaO., unter Hinweis auf BGH Urt. v. 26.02.1997 – 3 StR 569/96, NStZ 1997, 341; BGH Urt. v. 24.01.1995 – 1 StR 707/94, NStZ 1995, 287 = BGHR StGB § 226 Todesfolge 9 – „Medizinische Rarität“.

[12]

Unter Verweis auf BGH Urt. v. 12.11.1997 – 3 StR 325/97, NStZ-RR 1998, 102.

[13]

Vgl. BGH Urt. v. 30.08.2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29 [30 f]; Beschl. v. 02.10.1985 – 3 StR 376/85, StV 1986, 200.

[14]

Vgl. BGH Urt. v. 30.03.1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, 195 [197 f] = NStZ 1993, 386 = StV 1993, 470; Urt. v. 30.08.2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29 [30].

[15]

BGH Urt. v. 21.02.2006 – 1 StR 456/05, NStZ-RR 2006, 270.

[16]

Siehe Rn. 1608.

[17]

St. Rspr; vgl. BGH Urt. v. 17.03.2005 – 5 StR 461/04, NStZ-RR 2005, 209.

[18]

BGH Urt. v. 26.06.2008 – StR 159/08, NStZ-RR 2008, 350; Steinberg, NStZ 2010, 72 [74].

[19]

BGH Beschl. v. 03.03.2009 – 3 StR 47/09, NStZ-RR 2009, 180.

[20]

BGH Urt. v. 30.03.1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, 195 = NStZ 1993, 386 = StV 1993, 470.

[21]

BGH Urt. v. 02.09.2004 – 5 StR 205/04; Bestrafung kann nur wegen der plangemäßen Körperverletzungshandlungen (z.B. Faustschlägen) in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) erfolgen. Zum Exzess s. Rn. 703 und Rn. 2020.

[22]

BGH Urt. v. 30.08.2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29; Trüg, JABl 2001, 365.

[23]

BGH Urt. v. 10.06.2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309.

[24]

BGH Urt. v. 06.03.2003 – 4 StR 493/02, NStZ 2004, 294; Beschl. v. 13.06.2002 – 4 StR 51/02, NStZ-RR 2002, 303.

[25]

BGH Beschl. v. 03.05.1984 – 4 StR 266/84, StV 1985, 229 Anm. Schünemann.

[26]

BGH Urt. v. 10.08.1984 – 1 StR 9/84, NStZ 1985, 26; Urt. v. 20.05.1980 – 1 StR 177/80, NStZ 1981, 218.

Teil 3 Grundzüge des materiellen Kapitalstrafrechts

Inhaltsverzeichnis

A. Lebenslange Freiheitsstrafe

B. Natürliche Handlungseinheit bei Tötungsdelikten

C. Dogmatischer Dissens um Mord und Totschlag

D. Tötungsvorsatz bei Mord und Totschlag

200

Vor allem die sichere Kenntnis aller rechtsdogmatischen Feinheiten und der Spruchpraxis des BGH auf dem Mord- und Totschlagssektor bewahrt den Anwalt und seinen Schützling vor verhängnisvollen Fehleinschätzungen. Die Sanktionsrahmen sind im Bereich der Tötungsdelinquenz ebenso riesig wie die Spielräume, die ein vernünftig durchdachtes Einlassungsverhalten zu eröffnen vermag. Unprofessionelle Beratung in Verkennung der Rechtslage, die einem kleinen Einbrecher schlimmstenfalls die Chance auf eine Bewährungsstrafe verbaut, kostet den Tatverdächtigen im Kapitalstrafverfahren, wenn alles schief läuft, Jahrzehnte seines Lebens.

Teil 3 Grundzüge des materiellen Kapitalstrafrechts › A. Lebenslange Freiheitsstrafe

A. Lebenslange Freiheitsstrafe

Teil 3 Grundzüge des materiellen Kapitalstrafrechts › A › I. Rechtstatsachen

I. Rechtstatsachen

201

Die Verurteilung eines Mandanten zu lebenslänglicher Haftstrafe wird gerade von sehr jungen Anwälten als schwere persönliche Niederlage erlebt. Nach Abschaffung der Todesstrafe durch Art. 102 GG ist die lebenslange Freiheitsstrafe die im Geltungsbereich des StGB denkbar härteste Sanktion. Bei etlichen Verurteilten dauert sie tatsächlich bis zu ihrem Tod; jeder 6. „Lebenslängliche“ stirbt noch in der Haftzeit. Im Jahre 2010 ist lebenslange Freiheitsstrafe (LL) gegen männliche Täter insgesamt 127-mal verhängt worden; auch gegen 10 als Mörderinnen verurteilte Frauen lautete das Urteil jeweils auf „lebenslänglich“[1]. Bis auf wenige Ausnahmen werden Lebenslängliche wegen Mordes gem. § 211 StGB verurteilt; andere Straftatbestände mit vergleichbarer Strafandrohung spielen praktisch keine nennenswerte Rolle[2]. Am 31.03.2010 saßen 2.000 Strafgefangene ihre lebenslange Haftstrafe ab, davon etwa 100 Frauen[3]. Dass extrem lange Haftverbüßungszeiten schwerwiegende psychische Veränderungen hervorrufen und die Wiedereingliederung hintertreiben, indem sie soziale Bindungen zerstören[4], dürfte auf der Hand liegen. Nicht zuletzt deshalb sind Rufe, die lebenslange Haftstrafe zugunsten einer zeitlich bestimmten Freiheitsstrafe abzuschaffen, nie verstummt[5].

202

Das BVerfG[6], das noch in jüngerer Zeit die Verfassungskonformität der lebenslangen Freiheitsstrafe bejaht hat, sieht die Gefahr möglicher Haftschäden zwar auch, trivialisiert sie aber eher: Langjähriger Freiheitsentzug führe „nicht zwangsläufig“ zu irreparablen Schäden. Auch anhand der – bei Weber[7] zusammenfassend dargestellten – neueren Forschungen zu Haftfolgen sei nicht belegt, dass irreparable Schäden psychischer oder physischer Art „notwendigerweise“ die Folge eines langen Freiheitsentzuges seien. Eine sachgerechte Handhabung des Strafvollzugsgesetzes könne dazu beitragen, Haftschäden zu vermeiden. Auch bei den zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen seien die Vollzugsanstalten verpflichtet, auf deren Resozialisierung hinzuwirken, sie lebenstüchtig zu erhalten und schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges – deformierende Persönlichkeitsveränderungen inbegriffen – entgegenzuwirken.

203

So könnten etwa Erprobungen vor resignativer Depression bewahren. Ohnehin könnten Verurteilte zumeist früher oder später entlassen werden, weil sich ihre Gefährlichkeit so vermindert habe, dass eine Aussetzung zu verantworten sei; die volle Verbüßung der lebenslangen Freiheitsstrafe stelle die Ausnahme dar. Gegen eine der sozialen Wiedereingliederung abträglichen Rechtsanwendung durch die Vollzugsanstalt stünde dem Gefangenen im Einzelfall der Rechtsweg offen. Auch wenn für den zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten nicht die Möglichkeit der Verlegung in ein psychiatrisches Krankenhaus nach § 63 StGB bestehe, sei nach geltendem Recht, um haftbedingten psychischen Belastungen Rechnung zu tragen, an die Verlegung eines Lebenslänglichen in eine sozialtherapeutische Anstalt zu denken. Im Falle einer Erkrankung habe der Gefangene nach § 58 StVollzG Anspruch auf Krankenbehandlung. Hier sei u.U. eine Verlegung in eine externe psychiatrische Einrichtung geboten. Ein weiteres Mittel, dem Lebenslänglichen einen „Rest an Lebensqualität“ zu gewährleisten, sieht das BVerfG[8] in Fällen, in denen der Freiheitsentzug schon über Jahrzehnte andauert, im Einräumen von Privilegien („privilegierter Vollzug“).

204

Neuere Studien bestätigen hingegen, dass lange Haftstrafen kriminalpräventiv wenig effektiv sind, zumal die Haftzeit selten für die Wiedereingliederung genutzt werde[9].

Teil 3 Grundzüge des materiellen Kapitalstrafrechts › A › II. Tötungsdelikte mit „Lebenslang“ als Strafandrohung

II. Tötungsdelikte mit „Lebenslang“ als Strafandrohung

205

Die Liste der Tötungsdelikte, für die das Strafgesetz – ohne §§ 6-8 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) – im Höchstmaß lebenslängliche Freiheitsstrafe androht, ist mittlerweile beachtlich lang:


Mord § 211 StGB
Totschlag im besonders schweren Fall § 212 Abs. 2 StGB
Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge § 176b StGB
Vergewaltigung mit Todesfolge § 178 StGB
Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen mit Todesfolge § 179 Abs. 6 i.V.m. § 176b StGB
Erpresserischer Menschenraub mit Todesfolge § 239a Abs. 3 StGB
Geiselnahme mit Todesfolge § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 3 StGB
Raub mit Todesfolge § 251 StGB
Räuberischer Diebstahl mit Todesfolge § 252 i.V.m. § 251 StGB
Räuberische Erpressung mit Todesfolge § 255 i.V.m. § 251 StGB
Brandstiftung mit Todesfolge § 306c StGB
Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie mit Todesfolge § 307 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 StGB
Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge § 308 Abs. 1 und 3 StGB
Missbrauch ionisierender Strahlen gegenüber einer unübersehbaren Zahl von Menschen mit Todesfolge § 309 Abs. 2 und 4 StGB
Herbeiführen einer Überschwemmung mit Todesfolge § 313 i.V.m. § 308 Abs. 3 StGB
Gemeingefährliche Vergiftung mit Todesfolge § 314 i.V.m. § 308 Abs. 3 StGB
Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer mit Todesfolge § 316a Abs. 3 StGB
Angriff auf den Luft- und Seeverkehr mit Todesfolge § 316c Abs. 3 StGB

206

Hinzu gekommen sind noch die Tatbestände des Nachstellens mit Todesfolge (§ 238 Abs. 3 StGB), des Freisetzens von Giften mit Todesfolge (§ 330a Abs. 2 StGB) und des Einschleusens mit Todesfolge (§ 97 Abs. 1 AufenthG)[10].

207

Für Mord (§ 211 StGB) und den besonders schweren Fall des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB) ist zwingend auf „Lebenslang“ zu erkennen; die Strafandrohung ist „absolut“. Bei allen übrigen Tatbeständen besteht die Wahlmöglichkeit zwischen „LL“ und zeitiger Freiheitsstrafe; die „Lebenslange Freiheitsstrafe“ wird also nur fakultativ angedroht.

Teil 3 Grundzüge des materiellen Kapitalstrafrechts › A › III. Absolute Strafandrohung und die Rechtsfolgenlösung des BGH

III. Absolute Strafandrohung und die Rechtsfolgenlösung des BGH

208

Am 21.06.1977 hatte das BVerfG[11] auf einen Vorlagebeschluss des LG Verden über die Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord zu entscheiden. Zu prüfen war, ob die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe für jeden Fall der „heimtückischen Tötung“ und der „Tötung zur Verdeckung einer anderen Straftat“ mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu vereinbaren sei. Das damalige Ergebnis: Die absolut angedrohte lebenslange Freiheitsstrafe sei nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn dem Richter von Gesetzes wegen die Möglichkeit offen bleibe, in Härtefällen auf eine zeitige Freiheitsstrafe zu erkennen. Dass auch in Grenzfällen keine unverhältnismäßig hohe Strafe verhängt werden müsse, könne zum Beispiel durch eine restriktive Interpretation der betreffenden Mordmerkmale sichergestellt werden. Welchen Weg man rechtlich beschreite, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen, bleibe der Entscheidung des BGH überlassen.

209

Mit Beschluss vom 19.05.1981 hat sich der Große Senat für Strafsachen des BGH[12] hinsichtlich exzeptioneller Konstellationen in Heimtückefällen für die sog. Rechtsfolgenlösung entschieden. Liegen außergewöhnliche Umstände vor, die das Ausmaß der Täterschuld erheblich mindern, tritt auf der Rechtsfolgenseite des Mordes an die Stelle lebenslanger Freiheitsstrafe der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Zu der Frage, in welchen Fällen solche außergewöhnlichen Umstände anzunehmen sind, hat der Große Senat für Strafsachen des BGH ausgeführt: „Eine abschließende Definition oder Aufzählung der in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der absoluten Strafdrohung des § 211 Abs. 1 StGB führenden außergewöhnlichen Umstände ist nicht möglich. Durch eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation motivierte, in großer Verzweiflung begangene, aus tiefem Mitleid oder aus ‚gerechtem Zorn‘ aufgrund einer schweren Provokation verübte Taten können solche Umstände aufweisen, ebenso Taten, die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben.“

210

Diesem Grundgedanken folgend, hat der BGH in der Folgezeit mehrfach solche Strafrahmenverschiebungen im Heimtücke-Bereich bestätigt, sofern die Tat den Stempel des Außergewöhnlichen trug[13], so etwa beim Heimtückemord durch die Ehefrau, die vom Ehemann schwer misshandelt worden war und die sich in einer ausweglos erscheinenden Situation befand[14] sowie beim Heimtückemord am gewalttätigen und körperlich überlegenen Erpresser[15].

211

Hingegen hat der BGH bei einem Habgiermord eine Strafrahmenverschiebung abgelehnt[16]. Ob bei dem täterbezogenen Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ überhaupt eine Strafrahmenverschiebung in Betracht kommen kann, hat der BGH im Fall eines NS-Täters offen gelassen, bei dem sich die „Außergewöhnlichkeit“ des Sachverhalts aus der Zeitspanne von 60 Jahren ergeben hat, die zwischen den Mordtaten und deren Aburteilung verstrichen war. Jedenfalls für NS-Morde hat der BGH eine Absenkung des Strafrahmens ausgeschlossen[17].

Teil 3 Grundzüge des materiellen Kapitalstrafrechts › A › IV. Urteil und Vollstreckungsdauer

IV. Urteil und Vollstreckungsdauer

1. Zusammentreffen mehrerer lebenslanger Freiheitsstrafen

212

Beim Zusammentreffen mehrerer lebenslanger Freiheitsstrafen wird gem. § 54 Abs. 1 S. 1 StGB auf nur eine lebenslange Strafe als Gesamtstrafe erkannt. Das Gleiche gilt, wenn „Lebenslang“ als Einzelstrafe neben einer gesamtstrafenfähigen Zeitstrafe verwirkt ist.

2. LL und rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung

213

Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen rechtfertigen es in aller Regel nicht, von der Verhängung einer lebenslangen zugunsten einer zeitigen Freiheitsstrafe abzusehen[18].

3. Besondere Schuldschwere, § 57a StGB

214

Die Bestimmung des § 57a StGB ist eine Eigentümlichkeit des Kapitalstrafrechts. Sie ist im Zuge des 20. StrÄndG[19] am 01.05.1982 in Kraft getreten[20]. Sie ermöglicht – bei günstiger Sozialprognose und Einwilligung des Verurteilten die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe frühestens nach einer Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren (§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB). Der Gesetzgeber hat zwar im Grundsatz an der lebenslangen Freiheitsstrafe festgehalten, hat zugleich aber eine Regelung geschaffen, mit der ein konkreter Zeitpunkt für eine mögliche Aussetzung des Strafrestes unter Berücksichtigung des Unrechts- und Schuldgehalts der zugrunde liegenden Taten festgelegt wird. Eine nach 15 Jahren eingreifende „Entlassungsautomatik“ selbst bei günstiger Kriminalprognose sollte dadurch vermieden werden[21]. Mit einer Gesetzesinitiative des Freistaates Bayern war sogar die Anhebung der Mindestvollstreckungszeit bei der lebenslangen Freiheitsstrafe auf 20 Jahre angestrebt. Sie ist im Plenum gescheitert[22]. Gem. § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB kommt eine Aussetzung des Strafrestes einer lebenslangen Freiheitsstrafe nur dann in Betracht, wenn nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet.

215

Die Strafaussetzung ist zu versagen, wenn (und solange) die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet, wenn auch nicht zeitlebens. Ist die durch die besondere Schwere der Schuld bedingte Zeit verbüßt, kommt die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nur in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB). Bei der Entscheidung sind die in § 57 Abs. 1 S. 2 StGB angeführten Umstände zu berücksichtigen (§ 57a Abs. 1 S. 2 StGB)[23]. Die Bewährungszeit ist dann verbindlich vorgeschrieben und beträgt 5 Jahre. In der Regel wird der Betreffende zugleich der Bewährungshilfe unterstellt.

216

Das BVerfG hatte in seinem richtungweisenden Urteil zur Lebenszeitstrafe vom 21.06.1977[24] das Gebot menschenwürdigen Strafvollzuges und die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Verpflichtung hervorgehoben, dem lebenslänglich Verurteilten die Chance auf Rückkehr in die Freiheit zu erhalten. Die Verfassungshüter erlegten dem Gesetzgeber auf, die Voraussetzungen einer Vollstreckungsaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe sowie das insoweit anzuwendende Verfahren zu normieren. Bis dahin war der Verurteilte auf den Gnadenweg beschränkt, der unabhängig von der Aussetzungsmöglichkeit gem. §§ 57, 57a StGB nach wie vor beschritten werden kann. Bei gnadenweiser Aussetzung wurde früher üblicherweise die lebenslange Haftstrafe unter Aussetzung des Strafrestes – in eine zeitige Freiheitsstrafe umgewandelt[25]. § 57a StGB kennt diese Umwandlungslösung nicht. Ausgesetzt wird vielmehr der gesamte, nur durch das Lebensende begrenzte Strafrest[26].

217

Nicht nur an Stammtischen wird seitdem der Irrglaube kolportiert, „Lebenslängliche“ kämen in Deutschland praktisch automatisch nach 15 Jahren frei[27]. Wahr ist hingegen, dass, obwohl über die tatsächliche Verbüßungsdauer bei lebenslanger Freiheitsstrafe keine offizielle Statistik existiert[28], zuverlässigen Quellen zufolge Lebenslängliche in Deutschland im statistischen Durchschnitt erst nach rund 20 Jahren (bedingt) entlassen werden[29] und damit einen unrühmlichen europäischen Spitzenrang einnehmen. Es sind in Einzelfällen drakonische Mindestverbüßungszeiten von 25, 30 oder 40 bis hin zu 50 Jahren festgelegt worden. Bemerkenswerterweise hat die damalige Gesetzesnovellierung im Vergleich zur Gnadenpraxis zu einer Verlängerung der Verbüßungsdauer geführt[30]. Dem BVerfG lagen jedenfalls schon Verfassungsbeschwerden mit Vollstreckungszeiten von mehr als 30[31] oder sogar 35[32] Jahren vor. Das OLG Hamm hatte über eine Zeitspanne von 40 Jahren für einen NS-Mörder zu entscheiden[33]. Einer Studie des KrimZ[34] zufolge hatte ein Lebenslänglicher beinahe 50 Jahre im Strafvollzug verbracht, als er 2008 im Alter von 71 Jahren verstarb. Ein weiterer verstarb im Alter von 87 Jahren nach einer Vollzugsdauer von 48 Jahren.

218

Von 91 Strafgefangenen, deren lebenslange Freiheitsstrafe im Jahr 2008 beendet wurde, wurden 63 nach Aussetzung des Strafrestes gem. § 57a StGB bedingt in Freiheit entlassen. Dies entsprach einem Anteil von 3,2 % der am Stichtag 31. März 2008 einsitzenden Gefangenen mit lebenslanger Strafe. Weitere 16 ehemalige Gefangene wurden aus Deutschland ausgewiesen oder sonst ausländischen Behörden überstellt, zehn verstarben im Vollzug, darunter begingen zwei Suizid. Die Hälfte der 2008 aus dem Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe Entlassenen hatte mehr als 16 Jahre verbüßt. Durchschnittlich waren diese Gefangenen 18 Jahre im Justizvollzug. Bei den Entlassenen handelte es sich weit überwiegend um Männer im Lebensalter von durchschnittlich 49 Jahren, die wegen Tötungsdelikten verurteilt worden waren; sie besaßen fast alle die deutsche Staatsangehörigkeit. Die genannten Unterbringungszeiten betreffen allerdings nur die damals tatsächlich Entlassenen. Für weiterhin inhaftierte, zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte, gab es keine statistischen Angaben über deren bisherige Verbüßungsdauer[35].