Kitabı oku: «Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren», sayfa 27

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6. Heftige Faustschläge gegen Kopf und Gesicht

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Wuchtige Schläge mit der ungeschützten Faust in das Gesicht des Opfers sind potenziell lebensbedrohlich. Während uns die Film- und Fernsehindustrie vorgaukelt, dass Faustschläge unters Kinn das Opfer nur für einen Moment von den Beinen holen, haben sich die Schwurgerichte immer wieder mit Wirtshausschlägereien zu befassen, bei denen allein kraftvolle Faustschläge tödliche Folgen für das Opfer gehabt haben. Zwei solcher Fälle, die dem BGH vorlagen, dürften typisch sein. Ein wuchtiger und heftiger Schlag gegen die linke Gesichtshälfte, die eine Verletzung der linken Wangenschleimhaut, verbunden mit einer massiven Blutung hervorgerufen hatte, hatte im ersten Fall zu einem Abriss von Brückenvenen und im weiteren Verlauf zu intercranialen Blutungen geführt. Der Betreffende hatte das Bewusstsein verloren und war, im Bett liegend, verstorben. Der BGH wies darauf hin, dass die Todesfolge auf sehr unglücklichen Umständen beruhte, denn „dass ein – wenn auch heftiger – Schlag gegen den Kopf einer sitzenden Person deren Tod verursacht“, sei „eher selten“ und habe hier unter anderem auch auf den körperlichen Gegebenheiten des Tatopfers beruht (Alkoholiker) [263].

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Im zweiten Fall waren der Angeklagte und sein Zechbruder nachts in Streit geraten. Nach wechselseitigen Tätlichkeiten war der Angeklagte aufgestanden und hatte seinem knienden Kontrahenten einen heftigen Faustschlag in das Gesicht versetzt, der eine blutende Verletzung im Mundbereich hervorrief. Anschließend hatten beide ihr Gelage fortgesetzt, bis sich der Zechbruder entfernte und fortblieb. Der Angeklagte suchte in den folgenden Stunden mehrfach vergeblich nach ihm. Am nächsten Morgen wurde der Zechbruder tot in einer nahe gelegenen Böschung aufgefunden. Todesursache war eine zentrale Lähmung bei Blutung unter die harte Hirnhaut nach stumpfem Schädeltrauma infolge des heftigen Schlags in das Gesicht. Für ein vorsätzliches Tötungsdelikt fehlten, nicht zuletzt wegen des Vor- und Nachtatgeschehens, hinreichende Anhaltspunkte[264]. Im Regelfall wird also, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, nur Körperverletzungsvorsatz, nicht hingegen bedingter Tötungsvorsatz anzunehmen sein.

7. Schießen mit scharfer Munition

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Allein im Jahr 2010 ist in 145 Mord- und Totschlagsfällen (6,5%) mit einer Schusswaffe geschossen worden[265]. Die Frage nach einem (bedingten) Tötungsvorsatz drängt sich beim gezielten Schusswaffengebrauch wegen der erfahrungsgemäß[266] außergewöhnlich hohen Lebensgefährlichkeit der Schussabgabe auf einzelne Personen oder Personengruppen, aber auch bei Schüssen auf mit Personen besetzte bewegliche Ziele (Kfz) im öffentlichen Verkehrsraum geradezu auf.

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Beim Schießen mit scharfer Munition sind neben den personenbezogenen und situativen Gesichtspunkten


Schussentfernung,
Schießfertigkeiten des Täters,
Art der Schusswaffe,
die verwendete Munition,
Schießmodus, insbesondere die
Schussrichtung einerseits, das
Verhalten der Zielperson und
etwa vorhandene Deckungsmöglichkeiten anderseits, neben der
Aussagekraft der Schussverletzungen, vor allem ihrer Lebensgefährlichkeit,

objektive Indikatoren für oder gegen den bedingten Tötungsvorsatz.

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Tragfähige Feststellungen zur Frage, auf welche Körperregion der Angeklagte gezielt hat, werden sich mitunter ohne eine möglichst genaue und widerspruchsfreie Festlegung von Schussentfernung und Schussrichtung unter Berücksichtigung der Körpergröße der Beteiligten und des Schusskanals (ggf. nach einer Tatrekonstruktion) nicht treffen lassen[267].

a) Vorgeblich unabsichtliche Schussabgabe

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In der Absicht, mit Waffengewalt an den Film einer Radarfalle zu gelangen, hatte sich der Angeklagte unbemerkt dem Messwagen genähert, und, nachdem er gegenüber dem Messbeamten eine Panne vorgetäuscht und seine Waffe durchgeladen hatte – irritiert durch eine plötzliche Seitwärtsbewegung und den lauten Ausruf des Beamten – aus 30 –50 cm Abstand auf den Beamten geschossen. Die Kugel durchdrang dessen Brustkorb; er war sofort tot. Die Einlassung des Angeklagten, der Schuss habe sich womöglich dadurch versehentlich gelöst, dass er ins Stolpern geraten, den Halt verloren oder sich heftig erschrocken haben, hat das LG mit tragfähigen Gründen als widerlegte Schutzbehauptung gewertet und dabei dem hohen Abzugswiderstand der Tatwaffe von 2,2 kg sowie dem Umstand besondere Bedeutung beigemessen, dass der Angeklagte im Umgang mit Schusswaffen erfahren war[268]. Mehr „Verständnis“ mit seiner fragwürdigen Einlassung, er sei bei dem Mitschwenken mit dem Schießarm versehentlich gegen die Hecke geraten, fand ein vielfältig vorbestrafter geübter Schütze, der aus naher Distanz mehrere Schüsse auf einen fahrenden Pkw abgefeuert und dabei hauptsächlich die Reifen getroffen, mit einem Schuss aber die Oberkörper der Fahrzeuginsassen nur um Haaresbreite verfehlt hatte. Das LG Göttingen verneinte bedingten Tötungsvorsatz, weil es die Version vom Missgeschick des Angeklagten als nicht widerlegbar erachtete, was revisionsrechtlich (wohl gerade noch) hinzunehmen war[269].

b) Unkontrollierte Schussabgabe

aa) Umgebaute Handfeuerwaffe ohne Zielgenauigkeit

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Der Angeklagte hatte bei einem Raubüberfall auf ein Ladengeschäft eine umgebaute Gaspistole benutzt, von der er annahm, ohne dies jedoch ausprobiert zu haben, dass ein zielgenaues Schießen kaum möglich sein würde. Er hatte mit ausgestrecktem Arm aus vier bis sechs Metern Entfernung zunächst auf den Rumpf der Nebenklägerin gezielt, hatte dann im letzten Moment den Arm noch abgesenkt und geschossen. Das Tatopfer wurde am Oberschenkel getroffen. Als die Nebenklägerin schreiend aus dem Laden lief, floh der Angeklagte ohne Beute. Die Verurteilung wegen versuchten Mordes hatte keinen Bestand, weil der Tötungsvorsatz nicht tragfähig begründet war. Das SchwurG hatte sich primär auf das Ergebnis eines waffentechnischen Sachverständigengutachtens gestützt, wonach eine gezielte Schussabgabe mit der vom Angeklagten hergestellten Waffe mangels jeglicher Stabilisierung weitgehend zufällig war, hatte aber das Absenken der Waffe nicht berücksichtigt, dass das Willenselement in Frage stellen musste[270].

bb) „Blinde“ Schussabgabe aus Verärgerung

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Nach den Urteilsfeststellungen gab der – zur Tatzeit aufgrund Alkoholisierung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigte – Angeklagte nachts aus Verärgerung über ein ihm erteiltes Lokalverbot aus einer Maschinenpistole von der Straße aus neun Schüsse auf die verschlossene Tür einer Gastwirtschaft ab, in der, weil noch Licht brannte, auch noch Gäste zu vermuten waren. Fünf Projektile durchschlugen die Außentür und trafen die dahinter stehende Sichtschutzwand; von einem Querschläger oder Holzsplitter wurde ein Gast am Fuß, ein anderer an der Wange getroffen; beide erlitten leichte Verletzungen. Alsbald nach Schussabgabe entfernte sich der Angeklagte unerkannt. Die Annahme eines Tötungsvorsatzes hatte das LG darauf gestützt, der Angeklagte habe gewusst, dass sich hinter der Eingangstür Personen aufhalten konnten; er, der die Todesgefahr erkannt habe, habe nicht darauf vertrauen können, dass Personen nicht tödlich verletzt würden. Der BGH hat das auf Totschlag lautende Urteil aufgehoben. Die Erwägungen des Tatgerichts legten eher die Feststellung eines Gefährdungsvorsatzes oder von grober Fahrlässigkeit nahe als die Annahme, der Angeklagte habe in hinreichend konkretisierter Form die tödliche Verletzung einer oder mehrerer Personen für möglich gehalten und gebilligt[271].

cc) Distanzschüsse aus der Hüfte auf Personengruppe

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Bei dem deutlich minderbegabten Angeklagten, einem erfahrenen Schützen, der wegen Störung seiner Nachtruhe mit einer BAK von max. 2,18 ‰ aus einer Distanz von etwa 25 m mit einem halbautomatischen Selbstladegewehr auf eine Gruppe von 4 Frauen schoss, hatte das LG nur bedingten Körperverletzungsvorsatz festzustellen vermocht. Nach Auffassung des BGH, der das Urteil aufhob und die Sache zurückverwies, hatte das SchwurG zu hohe Anforderungen an das Willenselement gestellt. Der Angeklagte habe es dem Zufall überlassen, ob das Geschehen einen tödlichen Ausgang nehme oder nicht. Wer im Umgang mit Schusswaffen und deren Wirkungen vertraut sei und deshalb wisse, dass aufgrund eines unklaren Trefferbildes die von ihm abgefeuerten Projektile ohne Weiteres die im Einwirkungsbereich der Schüsse befindlichen Personen treffen können, wisse auch um deren mögliche tödliche Wirkung[272].

c) Gezieltes Schießen auf Einzelpersonen

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In einem anderen Fall hat der BGH[273] die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes beanstandet, in dem Schüsse mit großkalibriger Waffe aus naher Entfernung in das Gesäß des Opfers abgegeben worden waren. Dem Täter sei es darum gegangen, Geld einzutreiben und dem Opfer lediglich einen „Denkzettel“ zu verpassen, was denknotwendig ein Überleben des Opfers voraussetze. Bei einem von hinten auf das Gesäß gezielten Schuss müsse der Schütze nicht in gleicher Weise wie bei Schüssen auf Kopf, Brust, Bauch oder Unterleib befürchten, lebenswichtige Organe zu treffen, durch deren Verletzung tödliche Folgen hervorgerufen werden können. Auch der Umstand, dass der Angeklagte den Tatort mit einer Waffe und 11 Schuss Munition verlassen habe, ohne weitere Schüsse abzugeben, spreche gegen Tötungsvorsatz.

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Bei einem gezielten Schuss aus einer Pistole (P 38), den ein auf frischer Tat überraschter Einbrecher aus einer Distanz von 8 – 10 m abgab, um seiner drohenden Festnahme und der Aufdeckung seiner Verstrickung zu entgehen, lag Tötungsvorsatz nahe, auch wenn es nur zu einem Trümmerbruch des Oberschenkelknochens gekommen war. Der BGH[274] hat jedoch einen beendeten Mordversuch angenommen, von dem der Täter strafbefreiend zurückgetreten war.

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Mit den Worten: „Du musst sterben!“, hatte der Täter in einem anderen Fall seine Ex-Freundin unter Vorhalt einer Schusswaffe aufgefordert, aus ihrem Fahrzeug zu steigen. Bei ihrem Versuch, sich vom Fahrersitz in den Fond zu flüchten, hatte er zwei Schüsse abgegeben. Einer ging fehl, der andere traf den linken Fuß der Geschädigten, während sie noch auf dem Beifahrersitz stand. Unter diesen Umständen, so der BGH, entbehre der vom Tatgericht herangezogene Erfahrungssatz jeder Grundlage, wonach jeder erwachsene Mensch wisse, dass bei einem gezielten Schuss auf einen Menschen dieser „prinzipiell“ tödlich getroffen werden könne. Im Übrigen sei auch kein Erfahrungssatz existent, wonach Schmerzensschreie eines durch einen Schuss in den Fuß getroffenen Opfers die Annahme nahelegen würden, die geschädigte Person habe möglicherweise tödliche Verletzungen erlitten[275].

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Wohl zu Recht hat der BGH bemängelt, dass das SchwurG selbst bei einem gezielten Nahschuss in den Oberbauch des Opfers fehlenden Tötungsvorsatz für möglich gehalten habe. Es sei „nicht ersichtlich“, worauf das LG seine Feststellung stütze, der Angeklagte habe sich bei Abgabe des Schusses über die Möglichkeit, außer einer Körperverletzung „auch den Tod der Geschädigten herbeiführen zu können, keinerlei Gedanken“ gemacht[276]. Wegen Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung und Außerachtlassens eines Erfahrungssatzes hat der BGH die Verurteilung eines kampfsporterfahrenen Angeklagten nur wegen gefährlicher Körperverletzung aufgehoben, der in angetrunkenem Zustand (1,78 ‰) auf seinen Vater geschossen hat, als dieser sich anschickte, ihm einen zweiten Schlag ins Gesicht zu versetzen. Das Projektil hatte die Leber des Vaters durchschlagen. Das SchwurG hatte die Annahme, es sei ihm nur um das Abwehren, nicht ums Töten des Vaters gegangen, aus der Äußerung des Angeklagten geschlussfolgert, der Vater solle ihn in Ruhe lassen, sowie aus dessen Bereitschaft, Konflikten mit dem Vater aus dem Wege zu gehen und der glaubhaften Beteuerung, seinen Vater niemals töten zu wollen. Der BGH vermisste eine Gesamtwürdigung, die auch das Wissen um die Gefährlichkeit der Schussabgabe und die schweren Verletzungsfolgen einzubeziehen hatte[277].

d) Beschießen eines fahrenden Kfz

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Schüsse mit einer Pistole aus einem Fluchtfahrzeug auf ein Verfolgerfahrzeug lassen nicht ohne Weiteres auf einen Tötungsvorsatz schließen und rechtfertigen nur die Verurteilung wegen (versuchten) Eingriffs in den Straßenverkehr, wenn in der Absicht geschossen wurde, das Verfolgerfahrzeug fahruntauglich zu machen und auf diese Weise dessen Fahrer an einer weiteren Verfolgung zu hindern[278]. Wer als sicherer Schütze aus relativ kurzer Entfernung auf die Reifen eines mit nur mäßiger Geschwindigkeit vorbeifahrenden Pkw schießt, um die Insassen zu erschrecken, nimmt nicht unbedingt die Tötung oder Verletzung der Insassen durch ein Projektil oder Geschossteile in Kauf, wohl aber einen durch den Beschuss ausgelösten Unfall und seine Verletzungsfolgen für die Insassen[279]. Hat der Täter mit einer 9 mm-Pistole hingegegen dergestalt auf ein Fahrzeug geschossen, dass das Geschoss unmittelbar unter dem Fahrzeugfenster einschlug und die dahintersitzende Person sicherlich im Oberkörperbereich getroffen worden wäre, wäre das Geschoß nicht zufällig von einer Verstrebung abgeprallt, liegt die Annahme, der Täter habe mit bedingten Tötungsvorsatz gezielt auf einen Menschen geschossen, äußerst nahe[280].

e) Fehlgegangene Schüsse auf Unbeteiligte

aa) Gemeingefährliche Schießübungen auf Gegenstände

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Zu Unrecht hatte das LG Gera einen Luftgewehrschützen wegen versuchten Totschlags verurteilt, der aus dem geöffneten Wohnzimmerfenster auf einen Kaugummiautomaten gezielt und dabei beinahe einen Fußgänger getroffen hatte, der sein Fahrrad schob. Die These des LG, so der BGH, der Angeklagte habe „billigend in Kauf“ genommen, „dass die abgefeuerte Munition das von ihm anvisierte Ziel verfehlen und im öffentlichen Straßenraum etwa auftauchende Personen verletzen würde“, belege nicht, dass der Täter den konkreten Erfolgseintritt auch akzeptiert und er sich innerlich mit ihm abgefunden habe. Habe der Angeklagte, dessen Primärziel es gewesen sei, den Kaugummiautomaten zu treffen, begründeten Anlass gehabt, darauf zu vertrauen, und habe er darauf vertraut, es würde nichts geschehen, könne (als Schuldform) wohl nur bewusste Fahrlässigkeit, nicht hingegen bedingter Tötungsvorsatz angenommen werden[281]. Schießt der Täter aus seinem Fenster auf einen vor seinem Haus verlaufenden Betonweg und wird ein Unbeteiligter von abgesplitterten Projektilteilen oder abgesprengtem Bodenmaterial getroffen, liegt die Annahme eines bedingten Verletzungs- oder gar Tötungsvorsatzes fern, wenn der Schütze gerade Person keinesfalls treffen wollte. Auch hier ist vielmehr von bloß (bewusst oder unbewusst) fahrlässiger Tatbegehung auszugehen[282].

bb) Der glücklose Kunstschütze („Armbrust-Fall“)

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Im bereits dargestellten[283]Armbrust-Fall war die Freundin des Angeklagten zu Tode gekommen, weil er im angetrunkenen Zustand allen Warnungen zum Trotz und offenbar um den anwesenden Kameraden mit seinen Schießkünsten zu imponieren, auf sie gezielt und geschossen hatte. Der BGH hat die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes mit Recht beanstandet. Zwar läge bedingter Tötungsvorsatz bei jeder Form des Schießens auf einen Menschen mit einer scharfen Waffe, insbesondere auch für einen gezielten Armbrust-Schuss mit einem Jagdpfeil, nicht fern. Jedoch sei nach den Gesamtumständen durchaus anzunehmen, dass der Angeklagte darauf vertraute habe, seine Freundin nicht zu treffen. Hierfür spräche vor allem, dass dem Angeklagten, der sich mit seiner Freundin Gedanken über eine gemeinsame Zukunft gemacht habe, der eingetretene Erfolg „unerwünscht“ gewesen sei. Auch sei ein Fehlschuss, der sie getroffen habe, nicht geeignet gewesen, seinen Freunden zu „imponieren“. Schließlich könne der Angeklagte alkoholbedingt seine Treffsicherheit überschätzt und deshalb auf einen glücklichen Ausgang vertraut haben[284].

cc) Unbeabsichtigte Tötung einer Passantin

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Schießt der Täter auf einen Polizeibeamten, trifft das Projektil aber bei dem Schusswechsel einen unbeteiligten Passanten, den der Schütze innerhalb des Schussfeldes nicht wahrgenommen hat, handelt er in Bezug auf die getroffene Person – ohne bedingten Tötungsvorsatz nur fahrlässig[285].

dd) Gefährdung Dritter durch Schießen in Notwehr

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Der BGH[286] hatte sich mit der Frage zu befassen, wie (durch Notwehr gerechtfertigte) Schüsse auf einen Angreifer zu beurteilen sind, die ihr Ziel verfehlen und versehentlich einen unbeteiligten Dritten treffen. Das LG war der Auffassung, dem nicht angreifenden und unbeteiligten Nebenkläger gegenüber habe der Angeklagte nicht bedingt vorsätzlich, wohl aber objektiv pflichtwidrig gehandelt. Für ihn sei vorhersehbar gewesen, anstelle des Angreifers den Nebenkläger zu treffen, weil er um die Zielungenauigkeit seiner Waffe bei Distanzschüssen gewusst habe. Auch für den BGH, der das Urteil aufgehoben hat, stand bedingter Tötungs- oder Verletzungsvorsatz ersichtlich nicht zur Diskussion. Nicht einmal die Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung hatte Bestand, weil, was eine Pflichtwidrigkeit ausschlösse, zur Abwehr des Angreifers womöglich nur die schnelle Abgabe zweier notwendigerweise unkontrollierter Schüsse Erfolg versprochen hatte[287].

8. Beibringung toxischer Substanzen (Giftanschlag)

a) „Betäuben“ mit Schlaftabletten

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Der Angeklagte hatte seiner Ehefrau, die sich mit Trennungsabsichten trug, 18 Schlaftabletten Lendormin 0,25 mg in den Kaffee gemischt, um sie „um jeden Preis“ am Verlassen der Wohnung zu hindern. Durch das Aufkochen des Gemischs hatte sich ein Großteil des Wirkstoffs verflüchtigt, sodass außer Müdigkeit keinerlei Folgen eintraten. Das LG hatte einen Tötungsvorsatz verneint, weil es nicht ausschließen wollte, dass sich der Angeklagte der tödlichen Folgen seines Handelns nicht bewusst gewesen sei. Der BGH hat diese Bewertung beanstandet. Der affektive Zustand, den das LG ihm zugutegehalten habe, könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beibringung von Schlaftabletten mit Hilfe der Kaffeezubereitung ein mehraktiges, länger hingezogenes Geschehen darstelle, das der Planung und Beherrschung des verhältnismäßig komplexen Ablaufs bedurfte. Auch dürfe nicht außer Betracht bleiben, dass der Angeklagte kurze Zeit danach seine Ehefrau tatsächlich – wenn auch mit anderen Mitteln – vorsätzlich getötet habe[288].

b) Ruhigstellen eines Säuglings mit Tramadol

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Die Angeklagte verabreichte ihrem wenige Monate alten Säugling über einen längeren Zeitraum erhebliche, sich steigernde Dosen des opiatähnlichen Schmerzmittels Tramadol, um ihn ruhig zu stellen. Sie war selbst, was sich in körperlichem Verfall und Verwahrlosung manifestierte, massiv abhängig von Medikamenten und mit der Versorgung des Kindes überfordert. Die suchterzeugende, lebensgefährdende Wirkung des Medikaments für den Säugling war der Angeklagten bekannt. Ihr damaliger Lebensgefährte hatte sie auf die Gefährlichkeit ihres Handelns hingewiesen und ihr die Warnhinweise des Beipackzettels gezeigt. Obwohl sie sich einsichtig zeigte, verabreichte sie dem Säugling auch weiterhin hohe Dosen des Mittels. Das Kind verstarb wenig später an einer Atemlähmung aufgrund einer Tramadol-Intoxikation. Das LG hat, vom BGH unbeanstandet, einen Verletzungsvorsatz der Angeklagten sowie Fahrlässigkeit hinsichtlich des Todeseintritts bejaht, einen Tötungsvorsatz der Angeklagten, deren Steuerungsfähigkeit aufgrund der Auswirkungen ihrer massiven Abhängigkeit im Tatzeitraum möglicherweise dauerhaft erheblich vermindert war, aber nicht festgestellt. Es sei ein Gewöhnungseffekt eingetreten und die Angeklagte habe subjektiv den Eindruck gewinnen können, dass die Tramadol-Verabreichung für das Kind nicht tödlich sei. Bei den kinderärztlichen Untersuchungen des Kindes, zuletzt eine Woche vor dessen Tod, waren Auffälligkeiten nicht festgestellt worden[289].