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Die Verschmelzung römisch-rechtlicher, kirchenrechtlicher und partikularrechtlicher Elemente führt im 17. Jahrhundert zum sogenannten Usus modernus pandectarum (11. Kapitel 3, S. 252.). Darunter versteht man die zeitgemäße Praxis des römischen Rechts, das von einem universitär gebildeten Juristenstand logisch nachvollziehbar gehandhabt wird. Das Merkmal der Rechtsquellenvielfalt prägt den Charakter dieser Epoche, die sich vom 16. bis zum 18. Jahrhundert erstreckt. Mit den großen Naturrechtskodifikationen im 18. und 19. Jahrhundert kam das über Jahrhunderte gewachsene europäische ius commune zunächst außer Geltung (12. Kapitel, S. 261 und 13. Kapitel, S. 281). Die Kodifikatoren des [<<22] Naturrechts hofften, das römische Recht durch eine Systematisierung des gesamten Rechtsstoffs weitgehend überflüssig machen zu können. Diese Hoffnungen waren aber bald zerronnen, und zwar nicht nur, weil die römisch-gemeinrechtliche Dogmatik tiefe Spuren in den Gesetzgebungen hinterlassen hatte. Entscheidend war vielmehr, dass diese Dogmatik zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel bei der Anwendung der neuen Gesetze wurde – ein Vorgang, den man treffend als „Pandektisierung“ charakterisiert hat. Die als neuhumanistische Gegenbewegung zur Naturrechtsschule im 19. Jahrhundert gegründete Historische Schule ließ das römische Recht wiederum einen gewaltigen Aufschwung erleben. Die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts, die nach ihrer Hauptquelle auch Pandektistik heißt, hat dann die jüngeren Kodifikationen des Zivilrechts, insbesondere das schweizerische Zivilgesetzbuch und das BGB, wesentlich beeinflusst (14. Kapitel, S. 299 bis 16. Kapitel, S. 341).
Bis zum Jahre 1900 waren noch knapp die Hälfte der veröffentlichten höchstrichterlichen Entscheidungen nach gemeinem Recht, also überwiegend nach bis zu 2000 Jahre alten Texten aus dem Corpus iuris entschieden worden. Daneben galten in Deutschland französisches, preußisches, bayerisches, sächsisches, österreichisches und dänisches Recht sowie eine ganze Fülle von Partikularrechten, darunter ganz altehrwürdige wie etwa das „Jütisch Low“ oder Teile des Sachsenspiegels.2
3. Wo stehen wir heute?
Mit Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 haben die jahrzehntelangen Bemühungen um ein einheitliches Recht einen erfolgreichen Abschluss gefunden (16. Kapitel, S. 341). Daher mag es überraschen, dass der Rechtszustand heute wieder durch eine Vielfalt von Rechtsquellen gekennzeichnet ist und das BGB nur noch eine unter mehreren bildet. Einer der Hauptgründe liegt darin, dass sich die Beziehungen von Recht und Staat [<<23] gewandelt haben: Fortschreitende Globalisierung und unzureichende Finanzierung geben Anlass, die vom Staat traditionell wahrgenommenen Aufgaben zu überdenken. In bestimmten Bereichen möchte der Staat heute nicht mehr Eigenleistungen erbringen, sondern Leistungen an Dritte abgeben und sich darauf beschränken, einen Rahmen zu gewährleisten. Diesem Wandel tragen Leitbilder wie „Gewährleistungsstaat“ oder „kooperativer Staat“ Rechnung, die frühere Modelle des Sozial- oder Interventionsstaates inzwischen weitgehend verdrängt haben. Danach soll auch die Kompetenz zur Rechtsetzung nicht mehr allein dem staatlichen Gesetzgeber vorbehalten sein. In der jüngsten Zeit mehren sich die Stimmen, die darauf hinweisen, dass es zunehmend auch privaten Dritten gestattet wird, objektives Recht zu setzen.
An Beispielen für private Rechtsetzung besteht kein Mangel. Zu denken wäre etwa an tradierte Formen wie Verbandssatzungen, Standesordnungen oder Allgemeine Geschäftsbedingungen, die bereits in den 1930er Jahren als „Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft“ charakterisiert wurden. Als aktuell diskutierte Erscheinungsmuster wären zu nennen: Corporate governance, lex mercatoria, lex digitalis, lex sportiva, Unidroit-Prinzipien oder das Gebiet technischer Standardisierung, wo auf nationaler und internationaler Ebene Normen von privaten Gremien jeweils erarbeitet und publiziert werden. Außerdem hat die Bedeutung des Richterrechts erheblich zugenommen, die Spezialgesetzgebungen sind deutlich angewachsen und durch Rechtsetzungsakte auf europäischer Ebene hat das Spektrum von Rechtsquellen in den letzten Jahren eine zusätzliche Ausdehnung erfahren. Unter diesen Umständen ergibt sich wie schon so oft in den vergangenen Jahrhunderten ein gesteigerter Bedarf an allgemeinen Prinzipen und sinnstiftenden Begriffen, den wissenschaftlich gebildete Juristen in Form von Dogmatik zu decken haben. Durch Abstraktion aus einer Fülle möglicher Problemlösungen müssen sie die leitenden Grundsätze herausarbeiten und so diejenigen Denkfiguren und Verständigungsmittel zur Verfügung stellen, derer die Rechtspraxis angesichts der weiter steigenden Zahl von Rechtsquellen bedarf. [<<24]
1Digesten (D.) und Codex (C.) sind jeweils in Bücher, Titel, Fragmente und Paragraphen unterteilt. Zitiert werden nacheinander die Nummern von Buch, Titel, Fragment und Paragraph (z.B.D. 1.1.1.3). Dem entspricht die Zitierweise der Institutionen (Inst.) – mit dem Unterschied, dass die Fragmente entfallen. Die Novellen (Nov.) stehen in zeitlicher Reihenfolge, ohne Einteilung in Bücher. Die größeren Novellen sind in Kapitel unterteilt (z. B. Nov. 98.2).
2Vgl. den Überblick über das vor 1900 in den verschiedenen Gebieten Deutschlands geltende Recht in der 2. Auflage, 8 f.
1. Kapitel
Das altrömische Recht
Auf dem hügeligen Gelände, das später „Rom“ heißen wird, befanden sich um 1000 v. Chr. einige Siedlungen, die überwiegend von Latinern und Sabinern bewohnt waren. Über die Anfänge dieser Siedlungen ist kaum etwas bekannt. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts geriet die dort ansässige Bevölkerung unter den Einfluss der Etrusker. Sie sind die eigentlichen Gründer der Stadt Rom. Nach der sagenhaften Überlieferung fällt die Stadtgründung in das Jahr 753 v. Chr., in Wirklichkeit steht aber nicht einmal das Jahrhundert der Gründung fest. Man vermutet, dass der Gründungsakt im Zusammenschluss verschiedener Bevölkerungsgruppen bestanden hat. Etwa zweihundert Jahre regierten in der Stadt etruskische Könige (reges), von denen insbesondere der Name der Tarquinier in Erinnerung geblieben ist. Auch der Name des legendären Gründers und ersten Königs Romulus (Rumelna, Rumele) ist etruskischen Ursprungs.
Unter der Herrschaft der Etrusker begann der eigentliche Aufstieg Roms. Die mit der Stadtbildung verbundene Konzentration der politischen Kräfte und die dadurch bewirkte Verdichtung der Staatlichkeit ermöglichte überhaupt erst die Entwicklung der einheimischen Bevölkerung zu einer Macht. Im Jahre 508 v. Chr. organisierte der römische Adel eine Revolte gegen den etruskischen König Tarquinius Superbus. Nach dessen Vertreibung übernahmen die erfolgreichen Adelsfamilien die Macht im Stadtstaat. Sie hießen Patrizier (patricii), weil sie sich wie Väter (patres) um den Staat gekümmert haben sollen. An dessen Spitze standen Beamte, die man zunächst Prätoren (praeire, vorangehen) und später Konsuln nannte. Nach dem Bericht des römischen Geschichtsschreibers Livius (59 v. Chr.–17 n. Chr.) schwor das Volk, nie wieder einen König über Rom zu dulden. Von der Königszeit grenzte sich die frühe Republik dadurch ab, dass die leitenden Beamten jährlich wechseln mussten (Annuität). Die Annuität, eine Art Rotationsprinzip, war aus Sorge vor [<<25] einer Wiederholung der Geschichte eingeführt worden. Nie wieder sollten sich einzelne Personen zum Herren (dominus, tyrannus, rex) über die römische Bevölkerung emporschwingen können.
Die römische Bevölkerung gliederte sich in zwei soziale Gruppen: Den Patriziern, einer relativ kleinen Gruppe von Adeligen, die über Grundeigentum verfügten, standen die zwar zahlenmäßig überlegenen, wirtschaftlich aber unterlegenen Plebejer gegenüber, die aus zugewanderten auswärtigen Flüchtlingen hervorgegangen waren. Die Rechtsordnung beruhte auf ungeschriebenem Gewohnheitsrecht, das mündlich von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde. Bald kam es zu Spannungen und schließlich zum offenen Kampf zwischen Patriziern und Plebejern. Zwar gelang es einigen plebejischen Familien, in wirtschaftlich und gesellschaftlich bedeutsame Positionen aufzusteigen. Von leitenden politischen Ämtern blieben sie aber weitgehend ausgeschlossen. Unzugänglich waren ihnen insbesondere der Senat (senex, alt, Versammlung der Alten) und die Priesterämter der Auguren und Pontifices.
Die Pontifices waren ausschließlich Patrizier. Wegen der engen Verflechtung von religiösem und weltlichem Leben hatte sich ihre Bedeutung nach Beseitigung des Königtums erheblich vergrößert. Zunehmend bewarben sich auch Politiker um das begehrte Amt des Oberpriesters (pontifex maximus). Als Hüter der Kultrituale und der Technik ihrer Anwendung hatten die Pontifices ein Monopol für die Beratung des Senats und der Privatpersonen über die Richtigkeit und Wirksamkeit kultischer Handlungen. Ihre Befugnis erstreckte sich auch auf Situationen, in denen die Anwendung einer Regel des Gewohnheitsrechts auf einen bestimmten Fall zweifelhaft war. Die Normen, nach denen sie ein Urteil fällten, hielten sie geheim. Juristische Entscheidungen waren daher kaum vorhersehbar. Unter den Plebejern regten sich zunehmend Zweifel an der Unparteilichkeit der Pontifices. Sie argwöhnten, dass juristische Entscheidungen nicht immer frei von eigenem Interesse gefällt wurden und empfanden es daher als besonders schmerzlich, dass ihnen der juristische Bereich verschlossen war. Einen Ausweg hätte die schriftliche Fixierung des Gewohnheitsrechts bieten können. Dadurch wären die grundlegenden Rechtsquellen für jeden Römer zugänglich geworden: Würden die Plebejer ihre Rechte besser kennen, so müssten sie die [<<26] Priesterschaft nicht mehr in jedem Fall um Rat fragen. Um 450 v. Chr., als die einzige Kodifikation, die es in Rom jemals gegeben hat, auf zwölf – vermutlich hölzernen – Tafeln veröffentlicht wurde, hatten die Plebejer ihren ersten großen Erfolg im Ständekampf errungen.3
1. Das Zwölftafelgesetz
Gesetze dienen der Freiheit, indem sie die Befugnisse von Einzelnen beschränken. „Es ist vorzuziehen“, schreibt bereits Aristoteles, „wenn das Gesetz regiert und nicht ein einzelner Staatsbürger“. Bis heute hat dieser Gedanke seine Gültigkeit bewahrt, alle modernen Kodifikationen lassen sich auf ihn zurückführen. Auch im alten Rom musste er auf fruchtbaren Boden fallen, da Freiheit dort seit der „Vertreibung der Könige“ zu einem Zentralbegriff der Gemeinschaftsordnung geworden war. Merkmale eines freiheitlichen Rechts sind Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit. Rechtssicherheit gewähren die Zwölf Tafeln durch ihre allgemeine, in konfliktträchtigen Bereichen bisweilen pedantisch genaue Aufzeichnung der Normen in Form von Gebotssätzen. Auch Rechtsgleichheit (aequum ius) suchen die Tafeln zu verwirklichen, was in der römischen Geschichtsschreibung als revolutionäre Tat gefeiert wurde. Das Gesetz habe, so Livius, „die Rechte aller, der Hohen und der Niedrigen, gleichgemacht“, es verhindere, dass einzelne zuviel Macht über die anderen bekommen (Römische Frühgeschichte, III, 34). Die Identifikation der „Rechte aller“ mit den Rechten aller Männer lässt Livius freilich nicht danach fragen, ob die Gleichbehandlung vor dem Gesetz für Frauen ebenfalls gelte (S. 39). Auch haben die Tafeln keineswegs alle Standesunterschiede beseitigt. So war etwa das Eheverbot zwischen Patriziern und Plebejern [<<27] zunächst bestehen geblieben. Es ist allerdings schon kurze Zeit später, nach Livius bereits 445 v. Chr., beseitigt worden (lex Canuleia).
Über die Entstehungsgeschichte der Zwölftafelgesetzgebung weiß man nicht viel. Livius zufolge soll eine Kommission aus Rom nach Griechenland gereist sein, um das eigene Recht nach dem Vorbild der um 600 v. Chr. entstandenen athenischen Gesetze aufzuzeichnen. Wahrscheinlich hatte sich in der antiken Welt herumgesprochen, dass die Athener soziale Spannungen durch Gesetzgebung erfolgreich zu entschärfen wussten. Bis heute sind die Gesetze des Solon wegen ihrer Weisheit und die des Drakon wegen ihrer Strenge sprichwörtlich geblieben. Soziale Spannungen bilden aber nicht den einzigen Grund für den Erlass dieser Gesetze. Sie können – zumindest auch – als das Ergebnis eines durch die griechische Erfindung des Alphabets in Gang gebrachten Veränderungsprozesses betrachtet werden. Aus Griechenland stammt der Gedanke, das Recht aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen bequem zugänglich zu machen. Die römischen Geschichtsschreiber zeigen sich in eigentümlicher Weise blind für den Anteil des Mediums der Schrift an der Entstehung ihrer Rechtskultur. Dagegen gibt es mehrere Beispiele aus der griechischen Literatur, wo die Rolle der Schrift, insbesondere auch für die Gesetzgebung, gewürdigt wird. So enthält etwa das Stück „Die Hilfeflehenden“ des Euripides eine Stelle, die wegen ihrer Parallelen mit dem Bericht des Livius hier wiedergegeben sei:
„Nichts ist dem Volke so verhaßt wie ein Tyrann. Dort gelten nicht als Höchstes die gemeinsamen Gesetze; einer schaltet als Gesetzesherr ganz unumschränkt; und das ist keine Gleichheit mehr. Doch wurden die Gesetze schriftlich festgelegt, genießt der Arme wie der Reiche gleiches Recht.“4
Die auf dem Forum in Rom aufgestellten Tafeln sind der Nachwelt nicht erhalten geblieben. Vermutlich sind sie bereits 390 v. Chr. vernichtet worden, als die Gallier bei einem Eroberungsversuch große Teile der Stadt in Flammen aufgehen ließen. Heute sind nur noch Bruchstücke erhalten. [<<28] Unter den Fragmenten des Gesetzes unterscheidet man zwischen unmittelbaren und mittelbaren Resten. Die ersteren sind Bruchstücke aus dem Gesetzestext selbst, die dessen wirklichen Wortlaut bringen. Die antiken Quellen hierfür sind u. a. Cicero, Festus, Gellius, der ältere Plinius, die Juristen Gaius und Ulpian. Daneben gibt es zahlreiche mittelbare Quellen, die lediglich Angaben über den Inhalt des Gesetzes machen. Über die Anordnung dieses Materials bestehen viele Fragen, die sich wohl niemals abschließend klären lassen.
2. Zum Inhalt des Zwölftafelgesetzes
Mehr als jede spätere literarische Quelle vermitteln die Zwölf Tafeln Einblicke in das Leben der altrömischen Periode. Cicero (106 – 43 v. Chr.) preist sie als „das starke und getreue Bild der Vergangenheit“. In ihnen sei die gesamte „Staatsordnung mit ihren Interessen und Teilen abgebildet“. Früher habe man den Text der Tafeln „wie ein unentbehrliches Lied“ (carmen necessarium) in der Schule auswendig gelernt, was nun aber, im ersten vorchristlichen Jahrhundert, nicht mehr üblich sei. Auch sagt man, dass ihr „wuchtig lapidarer Ausdruck“ seinesgleichen in der späteren Gesetzessprache nicht mehr wiederfand (Wieacker).
Die Zwölf Tafeln bilden die wichtigste Quelle des alten ius civile (S. 56). Unter ius civile verstehen die Römer jenen Bereich der Privatrechtsordnung, der allein für den römischen Bürger gilt. Weil die römischen Bürger seit alters her auch „Quirites“ hießen, wurde das ius civile auch als ius Quiritium bezeichnet. Der deutsche Übersetzungsbegriff für ius civile ist „Zivilrecht“. Daneben sind in der modernen Fachsprache die Begriffe „Bürgerliches Recht“ und „Privatrecht“ (ius privatum) geläufig (zu den Unterschieden vgl. 21. Kapitel 1, S. 456.). Die Zwölf Tafeln suchen ein Recht umfassend darzustellen, das bislang weitgehend ungeschrieben war. Sie stehen an der Schwelle des Übergangs von der Mündlichkeit zu Denkformen der Schrift. Allerdings bezeichnet dieser Übergang keine Epochenschwelle, sondern eine kulturelle Transformation. Die bloße Aufzeichnung von Texten macht eine Kultur nicht schon zur Schriftkultur. Die vielen Spruchformeln und rituellen Elemente der in [<<29] den Zwölf Tafeln erwähnten Rechtsinstitute lassen vermuten, dass sich das geschriebene Wort hier nur in geringem Maße strukturierend auf das Recht auswirkt. Es handelt sich um verschriftlichte Mündlichkeit, deren Einfluss über das Ende der Antike hinaus bis ins Mittelalter und die Neuzeit reicht (S. 77.). Das römische Recht hat sich von der in den Zwölf Tafeln aufgezeichneten mündlichen Tradition zunächst also nicht abgesetzt, sondern diese in einzigartigem Umfang aufgenommen und weitergeführt. Die Folge war, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit über lange Zeit nebeneinanderstanden. Erst in der klassischen Epoche hat letztere eindeutig das Übergewicht erlangt.
Die Zwölf Tafeln enthalten Vorschriften über den Ablauf des gerichtlichen Verfahrens, der Vollstreckung sowie über diejenigen Rechtsgebiete, die wir heute als Privat- und Strafrecht so sorgfältig voneinander abgrenzen. Um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. bildete das Bauerntum mit Viehzucht und Ackerbau die wirtschaftliche Grundlage der römischen Bevölkerung. Dementsprechend enthält das Zwölftafelgesetz eine beträchtliche Zahl von Regeln aus den Bereichen des Familien-, Erb- und Nachbarrechts. Von Handelsgeschäften und anderen schuldrechtlichen Verträgen ist in den erhaltenen Fragmenten dagegen nur sehr wenig die Rede. Dies mag auf die damals noch wenig entwickelten wirtschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen sein. Erwähnt werden allerdings bereits die für die spätere Rechtsentwicklung wichtigen Libralakte und die Stipulation. Keine Regelung haben die Ordnung des Gemeinwesens und jener Teil des Rechts erfahren, welcher die Verhältnisse der Rechtsgemeinschaften als Träger hoheitlicher Gewalt betrifft. Die Beschränkung des Rechtsstoffs auf eine Zusammenfassung der Normen, die für das Recht des einzelnen Bürgers – des sog. kleinen Mannes – maßgebend waren, lässt an den Zweck des Gesetzes erinnern: Es sollte vor allem den sozial Schwachen Schutz vor Willkür bei der Rechtsfindung bieten. Der folgende Überblick über den damaligen Rechtszustand muss auf einige Beispiele aus dem Vermögens-, Familien-, Straf- und Deliktsrecht beschränkt bleiben. [<<30]
2.1 Vermögensrecht
Es gab einmal eine Zeit, in der Geld aus Vieh, Reis, Salz, Tabak oder ähnlichen nützlichen Dingen bestanden hat. Das lateinische Wort für Geld (pecunia) bezeugt, dass auch in Rom das Vieh (pecus) einmal Verrechnungseinheit gewesen ist. Der sich entwickelnde Handelsverkehr erzwingt indes schon bald eine Befreiung der Geldform aus ihrer Abhängigkeit vom Gebrauchsgut. Insbesondere der Handel über See sucht nach einem festen, beweglichen, dauerhaften, nicht verderblichen, zum Transport geeigneten Äquivalent und findet es im Metall. Am Anfang steht das ungemünzte, lediglich nach Gewicht bemessene Barrengeld. Im Wort für das englische Pfund klingt noch heute an, dass Geld ursprünglich eine Gewichtseinheit gewesen ist. Den entscheidenden Schritt in die Zukunft bedeutet der Übergang von den Metallbarren zu den kleinen Münzen aus Erz oder Kupfer (aes). Gegenüber dem alten Barrengeld hat die Münze den Vorteil, dass sie sich stückeln und relativ leicht transportieren oder thesaurieren lässt.
Nach einer berühmten Formulierung des römischen Juristen Paulus (S. 87) liegt „der Ursprung des Kaufens und Verkaufens im Tausch; früher gab es nämlich noch keine Münze“ (D. 18.1.1). Diese Feststellung verweist auf die gemeinsame Wurzel von Kauf und Tausch, bei denen es sich jeweils um zweiseitige Geschäfte handelt (S. 72). Davon zu unterscheiden sind einseitige Formen des Besitzwechsels wie Raub oder Geschenk, die nach allgemeiner Meinung am Anfang der Rechtsentwicklung stehen.5 Anders als beim Kauf wird beim Tausch keine Kaufpreiszahlung vereinbart. Von Kauf pflegen wir daher nur zu sprechen, wenn Ware gegen Geld umgesetzt wird. Der altrömische Kauf ist ein Barkauf, bei dem die Leistungen Zug um Zug ausgetauscht werden (vgl. § 320 BGB). [<<31]
2.1.1 Die Libralakte
Die ältesten römischen Geldgeschäfte sind die Libralakte, die auch als Geschäfte „durch Erz und Waage“ (per aes et libram) bezeichnet werden. Sie weisen zurück in eine Zeit, in der das römische Geld noch nicht aus Münzen, sondern aus Kupferbarren bestand, deren Wert sich nach der Höhe des Gewichts gerichtet hat. Die Libralakte werden in Form eines Rituals vollzogen, bei dem der Geldgeber dem Nehmer vor mindestens fünf Zeugen und dem Waagehalter (libripens) eine bestimmte Geldsumme zuwiegt. Formale Voraussetzungen sind ferner Gebärden und das Aussprechen bestimmter Worte oder Sätze, deren Inhalt – je nach Art und Alter des jeweiligen Geschäftstyps – divergiert.
Die Libralakte geben Aufschluss über die Eigenarten eines Rechts, das auf struktureller Mündlichkeit beruht. Zu seinen Merkmalen gehören die Verwendung von Spruchformeln oder Gebärden und die Hinzuziehung von Zeugen. Der Gebrauch von Spruchformeln soll den Rechtsakt aus dem formlosen, unverbindlichen Fluss bloßen Gesprächs herausheben. Das Erfordernis von Zeugen dient der Absicherung mündlich getroffener Vereinbarungen. Die Zwölf Tafeln erwähnen mit mancipatio und nexum die beiden das altrömische Vermögensrecht beherrschenden Libralgeschäfte. Sie sagen aber nichts über ihre Handhabung in der Praxis. Wir sind hier auf die Überlieferung späterer Autoren angewiesen. Die wichtigste Quelle, welche Rückschlüsse auf die ursprüngliche Gestalt dieser Geschäfte zulässt, sind die im 2. Jahrhundert n. Chr. von dem römischen Juristen Gaius verfassten Institutionen (S. 84, 88).
Mancipatio
Ihre vielseitige Verwendbarkeit und der Umstand, dass die mancipatio im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung eine besondere Anpassungsfähigkeit bewiesen hat, lassen diesem Institut eine exemplarische Stellung im Bereich der altrömischen Geldgeschäfte zukommen. Bei Gaius (I, 119) findet sich die folgende Beschreibung der mancipatio:
Es ist aber die Manzipation eine den römischen Bürgern eigentümliche Rechtsform, wie schon gesagt, eine Art symbolischen Verkaufs und geht so [<<32] vor sich: Unter Zuziehung von wenigstens fünf mündigen römischen Bürgern als Zeugen und außerdem eines anderen von gleicher Rechtsfähigkeit, der die eherne Waage hält, des sogenannten Waagehalters, spricht der, welcher zu mancipium empfängt, indem er das Erz mit der Hand erfaßt, so: Ich behaupte, daß dieser Sklave nach quiritischem Recht mein ist, und er ist mir gekauft durch dieses Kupfer und die kupferne Waage. Dann stößt er mit dem Kupfer an die Waage und gibt dieses Kupfer demjenigen, von dem er zu mancipium empfängt, gleichsam anstatt des Kaufpreises (est autem mancipatio, ut supra quoque diximus, imaginaria quaedam venditio: quod et ipsum ius proprium civium Romanorum est; eaque res ita agitur: adhibitis non minus quam quinque testibus civibus Romanis puberibus et praeterea alio eiusdem condicionis, qui libram aeneam teneat, qui appellatur libripens, is, qui mancipio accipit, aes tenens ita dicit: Hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio isque mihi emptus esto hoc aere aeneaque libra; deinde aere percutit libram idque aes dat ei, a quo mancipio accipit, quasi pretii loco).
Wie uns die angeführte Stelle sagt, handelt es sich bei der mancipatio nicht um einen eigentlichen Kauf, sondern um eine Art des symbolischen Verkaufs (imaginaria quaedam venditio). Gaius hat diesen Verkauf (venditio) deshalb als symbolisch (imaginaria) bezeichnet, weil zu seiner Zeit das alte Barrengeld längst nicht mehr in Umlauf und durch gemünztes Geld vollständig ersetzt worden war. Die Zahlung des Preises erfolgte nicht mehr durch die tatsächliche Zuwägung des Kupfers, sondern durch Anschlagen der Waage mit einem Geldstück (mancipatio nummo uno). Doch hat uns Gaius auch darüber informiert, welchen Zweck die Waage ursprünglich zu erfüllen hatte. Danach beruhte die mancipatio anfänglich auf einer wirklichen Wägung des als allgemeines Tauschmittel anerkannten Kupfers. Die Zuwägung bildet die frühzeitliche Form einer Bezahlung des Kaufpreises (vgl. Gaius I, 120 – 122).
Das Anschlagen der Waage ist also der geschichtliche Überrest eines ursprünglich umfassenderen Vorgangs. Die vorstehende Textstelle erwähnt aber noch eine weitere Gebärde, und zwar den rituellen Ergreifungsakt, der dem Geschäft seinen Namen verliehen hat: Der Zahlende ergreift unter öffentlicher Autorität die zu erwerbende Sache oder Person und spricht die Formel: „Ich behaupte, dass dieser Sklave [als Beispiel] nach quiritischem Recht mein ist“ (hunc ego hominem ex [<<33] iure Quiritium meum esse aio). Sodann wird das Kupfer dem Gegner mit der Waage zugewogen, was im zweiten Teil der Spruchformel seinen Ausdruck findet: „Und er ist mir gekauft durch dieses Kupfer und die kupferne Waage“ (isque mihi emptus esto hoc aere aeneaque libra, Gaius I, 119). Den Quellen lässt sich entnehmen, dass das Wort mancipium auf die Handanlegung des Erwerbers (manu capere) zurückzuführen ist. Von einem gewöhnlichen Kaufgeschäft unterscheidet sich die mancipatio durch die besondere Einseitigkeit des Erwerbsrituals. Die Rolle des Veräußerers beschränkt sich auf die schweigende Duldung des Aktes und die Annahme des dargewogenen Geldes. In dieser Form gewinnt die mancipatio mit der Zeit die Bedeutung eines Barkaufs. Sie verschafft dem Erwerber die mancipium-Gewalt, die allerdings nur an Sklaven und bestimmten Sachgütern (res mancipi) ausgeübt werden darf (Gaius I, 120).
Wie dem Anschlagen der Waage mit einem Geldstück in früherer Zeit eine wirkliche Zahlung in rohem Kupfer zu Grunde lag, so dürfte auch der zweite Gestus: der Ergreifungsakt, anfänglich auf einer realen Handlung beruht haben. Ursprünglich wird der Erwerber den Gegenstand nicht nur der Form halber, sondern zur Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft mit der Hand ergriffen haben. Mit ihrem eigentümlichen Ritual hätte die mancipatio damit Elemente aufbewahrt, deren Formalisierung in eine Zeit zurückweist, in der zur Durchführung von Austauschgeschäften noch kein allgemein anerkanntes Äquivalent vorhanden war, in der ein Erwerb aus eigener Kraft stattfand und in der die Gewalttat den eigentlichen Geltungsgrund für einen Besitzwechsel bildete.
Über den Ergreifungsakt gibt aber noch ein weiterer Umstand Aufschluss, der mit dem altrömischen Eigentumsprozess zusammenhängt (legis actio sacramento in rem), aus dem sich später die rei vindicatio entwickelt hat. Noch heute sprechen wir von Vindikation oder Vindikationsanspruch, wenn ein Kläger sein Eigentum herausverlangt (§ 985 BGB). Begriffe wie vindicare (herausverlangen) oder vindex (Retter, Befreier) sind ein Kompositum aus vis (Gewalt) und dicere (sprechen, behaupten). Nach dem Bericht des Gaius (IV, 16) müssen Kläger und Beklagter jeweils sagen, die Sache gehöre ihm (meum esse). Der Kläger vindiziert, indem er die an die Gerichtsstätte (in iure) gebrachte, streitbefangene Sache [<<34] ergreift, mit dem Stab berührt (vindicta) und feierlich die Formel ausspricht: „Ich behaupte, dass dieser Sklave [als Beispiel] nach quiritischem Recht mein ist“ (hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio). Gewalt (vis) im Sinne der vindicatio ist also bloße Scheingewalt, sie darf durch Berührung und Aussprechen der Formel nur behauptet (dicta), nicht aber tatsächlich ausgeübt werden (Heumann-Seckel, S. 626). Wem die Sache wirklich zusteht, entscheidet nicht die Gewalt, sondern das Recht. Wieder liegt es nahe anzunehmen, dass den rechtlichen Handlungen ein Szenario zum Vorbild dient, wo derjenige, der einen Anspruch auf die Sache zu haben glaubt, diese nicht nur der Form halber, sondern tatsächlich sich nehmen wird (1. Kapitel 3, S. 47.).
Der Manzipationserwerber bedient sich derselben Formel wie der Kläger im Eigentumsprozess. Bei der mancipatio erklärt der Veräußerer durch Schweigen jedoch sein Einverständnis mit der Ergreifung. Dagegen streitet der Beklagte bei der vindicatio mit dem Kläger, indem er die contravindicatio vollzieht: Auch er berührt die Sache mit dem Stab (vindicta) und spricht die Formel. Auf Befehl des Gerichtsherrn müssen beide die Sache dann loslassen. Der Kläger fragt anschließend den Beklagten, warum er vindiziere (herausverlange). Dieser antwortet, weil er Eigentümer sei. Schließlich behaupten die Parteien unter Eid (sacramentum), der andere habe jeweils zu Unrecht vindiziert. Letztlich geht es darum zu beweisen, wem die Sache eher gehört als dem Gegner. Die Entscheidung fällt der Gerichtsherr. Sie betrifft nur das Verhältnis der Beteiligten. Ob die Sache möglicherweise einem Dritten gehört, wird nicht erörtert.
Der Eigentümer kann seine Sache im Rahmen eines Eigentumsprozesses von jedem herausverlangen, bei dem er sie findet, ohne dass es darauf ankäme, ob der augenblickliche Besitzer für den Erwerb bezahlt hat, ob sie dem Eigentümer gestohlen wurde oder sonst abhanden gekommen ist oder ob er sie freiwillig aus der Hand gegeben hat. Wer eine Sache im Wege der mancipatio erworben hat, muss daher jederzeit damit rechnen, dass ein Dritter nachträglich als Eigentümer auftritt und sie im Eigentumsprozess herausverlangt. Bei solchen Rechtsproblemen, die wir heute unter dem Stichwort „gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten“ erörtern, zeigt sich eine weitere Besonderheit der mancipatio. [<<35]
Die modernen Regelungen über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten dienen dem Schutz des Rechtsverkehrs: Ist der Veräußerer einer Sache nicht Eigentümer und nicht zur Verfügung befugt, so kann im Grundsatz dennoch Eigentum erworben werden (§§ 932 ff. BGB). Dagegen macht die mancipatio den Erwerber nur dann zum Eigentümer, wenn es auch der Veräußerer gewesen ist. Entsteht nachträglich ein Streit über das Eigentum an der Sache (vindicatio), so ist der Manzipationserwerber gezwungen, sich gegenüber dem von dritter Seite geltend gemachten Eigentumsherausgabeanspruch zu verteidigen. Zur Unterstützung kann er sich hier der Gewährschaftshilfe (auctoritas) seines Veräußerers (auctor) bedienen. Hintergrund ist der Gedanke, dass der auctor über das bisherige Schicksal der Sache meist besser unterrichtet ist als der Erwerber. Unterlässt dieser die Hilfeleistung oder gelingt dem Dritten der Nachweis der Unrechtmäßigkeit des Besitzes, dann haftet er dem Erwerber für den doppelten Betrag der Manzipationssumme. Die Gewährschaft (auctoritas) führt also zu einer Verstärkung der Rechtsposition des Manzipationserwerbers und dient insoweit auch dem Schutz des Rechtsverkehrs. Dieser Bestimmung der auctoritas ist der moderne Begriff ‚Autorität‘ entsprungen, worauf noch zurückzukommen ist (S. 81).