Kitabı oku: «Lords of the Left-Hand Path», sayfa 10
Der linkshändige Pfad bei den Hamiten
Der Seth-Kult
Seth ist eine ägyptische Gottheit, die gegen Ende der ägyptischen Kultur zu einem Inbegriff des Bösen geworden ist. Doch dies war nicht immer der Fall. Obwohl Seth nicht immer als „böse“ angesehen wurde, sind die Eigenschaften, die er verkörperte, über längere Zeiträume hinweg mehr oder weniger dieselben geblieben. Die Kultur und ihre Werte sind es, die sich verändert haben. Wir sind natürlich in erster Linie daran interessiert, so viel wie möglich über den Einfluss des Tempels des Seth und den Stellenwert dieser altertümlichen Gottheit für den linkshändigen Pfad in der heutigen Zeit zu erfahren.
Die Kultur am Nil hatte sich vor ihren ersten nennenswerten Berührungen mit der sumerischen Zivilisation um 3000 v.u. Z. eigenständig und unabhängig entwickelt.50 Anscheinend hatte der Einfluss der Sumerer einer damals schon sehr alten Kultur lediglich neuen Auftrieb gegeben. Die ägyptische Kultur hatte um 5000 v.u. Z. Begonnen, sich zu formen und in der vorgeschichtlichen Periode zwischen 3800 und 3200 v.u. Z. eine eigenständige Zivilisation auszuprägen. Auf diesen Grundlagen bestand die ägyptische Zivilisation in ihrer einzigartigen und kulturell unabhängigen Form, bis sie 42 v.u. Z. mit dem Tode Kleopatras ihre Unabhängigkeit an Rom verlor. Doch die Tatsache, dass das Hieroglyphenwissen von ägyptischen Priestern und Schriftgelehrten bis in das fünfte Jahrhundert u. Z. bewahrt wurde,51 zeigt, dass wir es mit einer intellektuell hoch stehenden Kultur zu tun haben, die auf ein mindestens vier Jahrtausende altes Erbe zurückblicken konnte. Die ägyptische Zivilisation ist damit die älteste kontinuierlich bestehende Kultur, die wir kennen. Die einzige Konkurrenz um diesen Anspruch wäre die chinesische Zivilisation, deren Wurzeln weitaus jünger sind (bis um 1500 v.u. Z.), die aber bis zum heutigen Tage besteht.
Es wird angenommen, dass die ägyptische Religion zu Beginn der dynastischen Periode um 3100 bis 2750 v.u. Z. in den meisten ihrer grundlegenden Aspekte eine verfeinerte und hoch komplexe Entwicklungsstufe erreicht hatte.52 Obwohl die Kultur zu dieser Zeit entlang dem Nil zwischen dem Mittelmeer und dem heutigen Assuan recht einheitlich erscheint, war das Land politisch – und vermutlich auch religiös, da die „Politik“ dieser Region stark von kultischen Institutionen beeinflusst wurde – gespalten in die nördliche Deltaregion (Unterägypten) und das übrige Niltal im Süden (Oberägypten). Es scheint, dass in frühester Zeit im Norden ein Falkengott (Heru/Horus) dominiert hat, während im Süden ein Gott regierte, der durch ein undefinierbares Tier (Suta/Seth) symbolisiert wurde.
Nach der traditionellen ägyptischen Geschichtsüberlieferung eroberte der Norden erfolgreich den Süden und vereinte das Land 3100 v.u. Z. unter Menes, dem ersten Pharao, der im Nildelta die Haupstadt Memphis gründete. Obwohl das vereinigte Land und einheitliche kosmische Prinzipien, die von den in den jeweiligen Regionen dominierenden Göttern repräsentiert werden, ein Bild zeichnen, in dem Horus und Seth zwar als polare Entsprechungen, aber trotzdem als ein Wesen dargestellt werden (siehe Abb. 3.4), gab es auch Tendenzen, Seth als den negativen, von Beginn an feindseligen Aspekt zu betrachten. Dennoch kann nicht oft genug gesagt werden, dass die Kraft und das Wesen Seths bis zum Ende der zwanzigsten Dynastie (um 1170 v.u. Z.) von den Ägyptern hoch geachtet und verehrt worden waren.
Der Fortbestand der Seth-Verehrung in Ritual und magischer Symbolik zeigt sich deutlich an der Doppelkrone des Pharaos, die aus der roten Krone Nordägyptens und der weißen Krone des Südens gefertigt ist, und an den Zeptern von was und tcham , die eindeutig symbolische Repräsentationen des Seth-Tieres sind. Diese Zepter waren Zeichen der göttlichen Macht, die von den Göttern und ihren inkarnierten Vertretern, den Pharaonen, eingesetzt werden konnte.
In der „orthodoxen“ Religion Ägyptens scheinen zwei Konzepte oder Prinzipien vorherschend gewesen zu sein: die Regelung des kosmischen/ackerbaulichen Zyklus, erfahrbar im jährlichen Ansteigen des Nils, der dadurch den materiellen Wohlstand sicherte; und die Fortsetzung des Lebens des Einzelnen in einem transzendenten Jenseits. Für die Behauptungen Herodots (II, S. 123), dass die Ägypter an irgendeine Form der Reinkarnation oder Metempsychose geglaubt hätten, scheint es nicht den geringsten Beweis zu geben.53
Abb. 3.4. Vereinigung von Seth und Horus
Beim Versuch, die historische Entwicklung der ägyptischen Religion zu begreifen, kann es leicht zu Missverständnissen kommen, wenn die Unterteilung in rechtshändigen und linkshändigen Pfad zu früh oder zu strikt vorgenommen wird. In vielerlei Hinsicht war die frühe Religion Ägyptens der sumerischen oder der alten indoeuropäischen Religion ähnlich, in denen die strenge moralische Spaltung von „Gut“ gegen „Böse“ fehlte. Doch bereiteten die Ägypter, ähnlich den Zoroastriern in Persien, dieser Trennung im Laufe der Zeit den Weg.
Die Wurzeln einer Urform des rechtshändigen Pfades im Westen finden wir im kosmischen und agrarischen Kultus, den die Ägypter um den regelmäßigen Anstieg des Nil errichtet haben und der möglicherweise auch mit der extremen Isolation und Xenophobie Ägyptens und seiner Kultur zusammenhängt. Diese religiöse und mythische Tradition fand schließlich im Osiriskult ihren Ausdruck. Dieser Kult verkündete und entwickelte die Vorstellung von regelmäßigen und in sich geordneten Zyklen der Existenz und von einer Auferstehung des Leibes in einem transzendenten Reich, wobei vermutlich eine Parallele zu den natürlichen Zyklen des Nil gezogen wurde. Zur Zeit des Neuen Reiches (und der Ptolemäischen Periode), als der Osiriskult seinen höchsten Entwicklungsstand erreicht hatte, bildete sich ein exklusiver Kult des rechtshändigen Pfades heraus, der auf der Idee basierte, das menschliche Handeln mit den Kreisläufen der Natur in Einklang zu bringen. Diese Kreisläufe wurden reihum von der Gemeinschaft der ägyptischen Göttinnen und Götter symbolisiert.
Das ägyptische Wort für „ein Gott“ war Neter (pl. Neteru). Erik Hornung widmete diesem und anderen Begriffen für „Gott“ im Ägyptischen eine ganze Untersuchung. Die Herkunft des Wortes ist unklar.54 Doch aus seiner Bedeutung folgerte Hornung:
In der ständigen Wandlung ihres Wesens und ihrer Erscheinung gleichen die ägyptischen Götter den Tempeln des Landes, die in ähnlicher Weise niemals abgeschlossen und fertig sind, sondern stets ‚im Bau‘. […]
[Die ägyptischen Götter] … sind eher Formeln als Gestalten, in ihrer Welt fühlt man sich manchmal in die Welt der Elementarteilchen versetzt. […] Ein Gott verbindet sich mit einem anderen und ist ein neues Wesen mit neuen Eigenschaften, um im nächsten Augenblick in einer Vielzahl von Wesenheiten aufzutreten. Was er eigentlich ist, bleibt verborgen, aber seine leuchtende Spur ist sichtbar, seine Reaktion mit anderen deutlich, seine Wirkung spürbar. Er ist materiell und geistig, eine Kraft und eine Gestalt, er erscheint in wechselnden Formen, die eigentlich einander ausschließen, aber wir wissen, dass da etwas ist und seine Wirkung entfaltet.55
Doch einen gab es, der aufgrund seines Wesens gegen die anderen Neteru stand, und das war Seth. Wie wir bereits sehen konnten, reicht der Seth-Kult bis zu den Anfängen der ägyptischen Kultur zurück, vor allem in Oberägypten. Von Anbeginn und die ganze Geschichte hindurch stand Seth offenbar für:
1. den Gegensatz zu bestimmten natürlichen Abläufen,
2. das Draußen (Wüsten, fremde Länder etc.),
3. Kraft oder Macht (physisch oder magisch),
4. die Störung der natürlichen Ordnung durch eine Aktivierung dieser Faktoren.
Diese Eigenschaften wurden anfangs als notwendig für das Gleichgewicht im gesamten Kosmos betrachtet, doch mit der Zeit wurden diese Faktoren zu programmatischen Musterbeispielen für das Böse aus ägyptisch-osirianischer Sicht. Jedoch galt Seth nicht so sehr als böse wie ihm überwältigende Macht zugeschrieben wurde. Über die ägyptischen Götter und das Böse schreibt Hornung:
Die Götter Ägyptens können schrecklich, gefährlich und unberechenbar sein, aber nicht böse. Das gilt, wenigstens ursprünglich, selbst für Seth, den Mörder des Osiris. Kampf, ständige Auseinandersetzung, auch Verwirrung und In-Frage-Stellen der gesetzten Ordnung, wie Seth sie als eine Art trickster betreibt, gehören zu den notwendigen Bedingungen des Seins, zu der begrenzten Unordnung, die für lebendige Ordnung unerlässlich ist.56
In vielen Diskussionen darüber, wie und warum Seth zum Inbegriff des Bösen in Ägypten wurde, ist womöglich überbetont worden, dass der Konflikt zwischen der Priesterschaft des Osiris und der jenigen von Amun und Seth stark von dem überlagert gewesen ist, was wir heute als „politische Faktoren“ bezeichnen würden. Zum Beispiel ist es richtig, dass Seth der Hauptgott des zuvor bezwungenen Oberägyptens war und dass er als Gott der fremden Kräfte des semitischen Volkes der Hyksos galt, die von etwa 1700 bis 1550 v.u. Z. in Ägypten eingedrungen waren und das Land beherrschten.
Doch ebenso richtig und für unsere Untersuchung von größerer Bedeutung ist das folgende: Was Seth in seinem Wesen repräsentiert, wurde nahezu immer mit Misstrauen betrachtet – die menschliche Seele als Widerpart des natürlichen Vehikels, des Körpers, dargestellt als eine Kraft von außen, die der Menschheit eine Macht gibt, die sie umgebende natürliche Ordnung zu stören. Seth war der Gott des Außenseiters, des Fremden, und diese Qualität repräsentiert er im Pantheon und in der Gesellschaft Ägyptens. Von allen Göttern war Seth möglicherweise der einzige, der wirklich unsterblich war.57 Seth hat die Kraft und den Willen, „gegen Gesetz und Ordnung“ des Universums zu handeln.58 Hierin liegt der Kern, warum der Seth-Kult als Vorläufer des linkshändigen Pfades im Westen betrachtet wird.
Trotz der großen Zahl zugänglicher Dokumente bleibt die ägyptische Tradition heute eine der auf philosophischer Basis am schwierigsten verständlichen. Dies liegt zum einen Teil an der konkreten Ausdrucksweise der (vorhellenischen) ägyptischen Philosophie, und zum anderen an den späteren Bestrebungen, die Wirkungsweise von Seth zu verdunkeln und zu verunglimpfen. Doch zu einem Großteil liegt es an bestimmten Eigenarten der rituellen Götterverehrung in Ägypten. Im Gegensatz zu den Neigungen der Sumerer und der Indoeuropäer, bestimmte Prinzipien oder Funktionen mit spezifischen Götterformen zu identifizieren, tendieren die Ägypter dazu, nahezu alle Funktionen mit praktisch jeder Götterform oder jedem Götternamen zu identifizieren. Dadurch hatten sie es einfach, alle wichtigen Symbole und Funktionen Seths zu bewahren und später auf andere Götter wie Amun-Ra, Thoth und Anubis zu übertragen. In dieser späteren Zeit schien das allerwichtigste zu sein, den Gebrauch des eigentlichen Namens Seths oder des Bildnisses des „Seth-Tieres“ zu vermeiden.
Schon zur Zeit der vierzehnten Dynastie wurde der Beiname „Anhänger des Seth“ abwertend gebraucht. Ein Schriftgelehrter namens Kenhirkhopeshef (der um 1191 v.u. Z. starb), beschrieb auf einem Papyrus die „Zeichen der Anhänger des Seth“. Der Papyrus ist in schlechtem Zustand – daher die Lücken im Text – doch die Beschreibung ist deutlich genug:
Der Gott in ihm ist Seth … er ist ein Mann des Volkes. Er stirbt den Tod der Fallenden … Kraft … er ist zügellosen Herzens am Tag des Gerichts … unzufrieden in seinem Herzen. Wenn er Bier trinkt, dann tut er dies, um Streit und Aufruhr zu erzeugen. Die Röte im Weißen seines Auges ist dieser Gott. Er ist einer, der trinkt, was er verabscheut. Seine Größe wird von den Frauen geliebt – seine Größe, sie zu lieben. Obwohl er von königlichem Geblüt ist, ist er dem Wesen nach ein Mann des Volkes … Er wird nicht in den Westen absteigen, sondern wird in die Wüste gesetzt, zur Beute räuberischer Vögel … Er trinkt Bier, um Aufruhr und Streit zu erzeugen … Er wird die Waffen des Krieges ergreifen – Er wird nicht unterscheiden zwischen einer verheirateten Frau und … Wie er jeden Mann, der sich ihm widersetzt, bedrängt … Raserei steigt auf in ihm, und er wird in die Unterwelt gesetzt.59
Dieser Beschreibung können wir verschiedene Hinweise, beispielsweise auf die antinomistische Natur einiger der alten Seth-Praktiken, entnehmen. Wenn die antike Literatur sich auf Menschen als „Anhänger des Seth“ bezieht, dann geschieht das meistens, um deren die allgemeine Ordnung störendes Verhalten als Hauptmerkmal hervorzuheben.60
Während der Abenddämmerung der ägyptischen Kultur, von der zweiundzwanzigsten Dynastie bis in die ptolemäische und die römische Epoche hinein, vollzog der Osiriskult nahezu eine „Inquisition“ gegen den Sethkult. Bildnisse und Tempel des Gottes wurden zerstört und Feste zelebriert, bei denen Krokodile gefoltert wurden, die man für eine Verkörperung Seths hielt. Die einzige philosophische Zufluchts für die Prinzipien des Seth-Kultes waren die hellenisierten gnostischen Sekten in Ägypten.
In diesem magischen Kontext der hellenisierten Kultur Ägyptens erreichte Seth seinen womöglich höchsten philosophischen Entwicklungsstand. In dem in Paris befindlichen Papyrus PGM IV wird Seth als „Herrscher über die Götter“ und sogar als „Schöpfer der Götter“ bezeichnet. Zu einem gewissen Grad lässt sich dies mit der altägyptischen magischen Tradition erklären, Götter mit bestimmten Eigenschaften zu identifizieren, doch scheint hier mehr dahinter zu stehen. Es scheint, dass eine gnostische Sekte, die sich die Sethianer nannten, während der ersten etwa vier Jahrhunderte unserer Zeitrechnung eine große Synthese aus griechischer Philosophie, ägyptischer Religion und Magie, jüdischer Mythologie und Theologie sowie anderen Elementen des iranischen und anderer magisch-religiöser Systeme der östlichen Mittelmeerregion vollzog.61 Der altägyptische Gott Set (gr. Σηθ = Seth) wurde, vor allem in gnostischen Sekten, mit Seth (hebr. Šet) identifiziert – oder ging in die hebräische Mythologie über. Doch müssen wir an dieser Stelle nicht in die hebräische Überlieferung eintauchen. Es wird deutlich, dass die Gnostiker den „klassischen“ Mythos vom Konflikt zwischen Osiris und Seth als eine Analogie der Spaltung zwischen dem bösen Demiurgen Ildabaoth (Jahwe Elohim in der Genesis) = Osiris und dem guten (schlangenartigen) Gott des Lichtes = Seth-Typhon interpretierten. Daher könnte man die gnostische Sekte der Sethianer in der Tat als eine hellenisierte philosophische Wiederbelebung des altägyptischen Sethkultes betrachten. Tatsächlich werden die Gnostiker insgesamt in den überlieferten Texten der „orthodoxen“ ägyptischen Religion als „Söhne des Typhon (= Seth)“ bezeichnet. An diesem gnostischen Nachspiel zur Geschichte des Sethkultes sehen wir deutlich, dass die ursprüngliche philosophische Bedeutung von Seth als Widersacher der natürlichen, unveränderlichen Zyklen der Existenz, der von außen in die Natur eintritt, um seine Kraft zu erproben und die natürliche Ordnung zu stören, von den hellenistischen ägyptischen Gnostikern der ersten Jahrhunderte dieser Zeitrechnung entweder weitergeführt oder wiederbelebt wurde.
Es gibt Theorien, dass der Kult und die Gestalt des Seth Wesen und Benennung des hebräischen und später christlichen Satan beeinflusst haben. Dies ist aufgrund der Einflüsse denkbar, die in der Zeit, als die Hebräer in Ägypten ansässig waren, in die hebräische Überlieferung eingesickert sein könnten, sowie dadurch, dass sie, vermutlich um 1250 v.u. Z., von einem ägyptischen Priester namens Mesy – Moses – aus Ägypten geführt wurden. Das ägyptische Wort Msy, das „Sohn“ bedeutet, ist beispielsweise auch in Re-Msy oder Ramses, „Sohn des Re“, zu finden.62
Während der Name Seth wahrscheinlich keine etymologische Verbindung zum semitischen śtn (hebr. śātān, arab. šaytān) aufweist, wurden die Namen in früher Zeit von den Hebräern jedoch zweifellos miteinander assoziiert. In der synkretistischen Welt des Hellenismus, wie sie in den Griechisch-Ägyptischen Magischen Papyri widergespiegelt wird, scheint Seth-Typhon nicht nur mit Eigenschaften Satans verbunden worden zu sein, sondern ebenso mit Aspekten des „Einen Gottes“ der Hebräer, Jahwe. Dies rührt daher, dass die Verfasser der Papyri sich für Jahwe (in römischen Buchstaben zu YHVH transkribiert; gr. Iao) als Ausdruck roher kosmischer Gewalt auf physischer Ebene interessierten und nicht so sehr für die theologische Rolle, die er in der orthodoxen hebräischen Überlieferung spielt. Iao war „Schöpfer dieser Welt“ – und damit kann sein Name weitere magische Transformationen in dieser bewirken. Die Neigung von menschlichen Gemeinschaften, die Götter ihrer Nachbarn zu „diabolisieren“, scheint sich als Grundhaltung durch die ganze Geschichte zu ziehen und die Ursache für fortwährende Schwierigkeiten bei religionsgeschichtlichen Untersuchungen zu sein.
Natürlich lassen sich nur schwer umfängliche Aussagen darüber treffen, inwiefern die antiken Sethianer sich den wesentlichen Fragen des linkshändigen Pfades angenähert haben. Die Forschung dazu ist in den letzten Jahren weit vorangekommen, nicht zuletzt auch durch die Arbeit moderner Sethianer wie Don Webb und seiner Schüler. Angesichts der allgemeinen Merkmale des Gottes selbst erscheint es wahrscheinlich, dass das, was die alten Sethianer praktiziert haben, dem, was wir heute als den linkshändigen Pfad bezeichnen, eng verwandt ist. Einer der Gründe, warum die Sekte so verfolgt wurde, war vermutlich, dass sie einen Weg aufzeigte, mit dem nicht allein die Pharaonen einen gottgleichen Status erreichen konnten.
Abb. 3.5. Seth als Initiator auf den linkshändigen Pfad befreit den Initianten von den Fesseln der Sklaverei
KAPITEL 4
Das erste Jahrtausend
Zu Beginn jener Epoche, die wir als das christliche Zeitalter ansehen, waren die religiösen und philosophischen Kulturen des Mittelmeerraumes sowie des Nahen Ostens in großer Dynamik und Veränderung begriffen. Politisch und militärisch waren die Römer zur bestimmenden Macht jenes Teils der Welt geworden, aber im Reich der Philosophie behielt das griechische Denken weiterhin die höchste Geltung. Gleichwohl hatten religiöse Systeme aller Art – sowohl dualistische als auch nichtdualistische – aus dem Osten – insbesondere aus dem persischen Kulturraum – einen kontinuierlichen Einfluss auf die Entwicklung und Ausbildung westlicher Sekten.
Unter den philosophischen Schulen war der Neuplatonismus die bedeutendste, die man etwa von 244 u. Z. an datieren kann, als ihr Hauptexponent Plotin in Rom zu Einfluss gelangte. Diese Philosophie, die wesentlich auf dem System des platonischen Idealismus beruhte, sollte einen entscheidenden Einfluss auf alle Schulen der „Mystik“ – auf die jüdische Kabbala und den islamischen Sufismus ebenso wie auf verschiedene christliche Traditionen – ausüben. Das hellenische Denken bildete auch die Grundlage der Rezeption persischer Denksysteme; und aus dieser Synthese von Ost und West entstanden mannigfache Sekten, darunter der Mithrakult, die „hermetische“ Philosophie und verschiedene gnostische Schulen.
Einige dieser Sekten und Kulte, etwa der Mithraismus oder verschiedene ägyptische Kulte, stießen damals unter intellektuell geschulten und philosophisch gebildeten römischen Politikern auf große Zustimmung, während andere (vor allem solche, die mit dem Judentum verbunden waren) als „paradox und heruntergekommen“ verabscheut wurden.1 Dies soll hier nur erwähnt werden, um, in bescheidenem Maße, einen Ausgleich zu dem, insbesondere in Hollywood propagierten, populären Klischee zu liefern, nach dem hochgebildete und moralisch überlegene Juden und Christen von barbarischen und grausamen Römern umgeben waren.
Es war dieses kulturelle Milieu, in dem das Christentum – das in seiner frühesten Phase nichts anderes als eine jüdische Häresie war – seinen Ursprung hatte. Die frühe christliche Lehre kann als ein System angesehen werden, das sich während des dritten und vierten Jahrhunderts aus einer komplexen Synthese jüdischen, griechischen (neuplatonischen) und persischen Denkens entwickelte. Seit diesen ersten Anfängen übernahm und adaptierte das Christentum Elemente aus verschiedensten – theologischen und gesellschaftspolitischen – Systemen, die es zu ersetzen strebte.
Da hier wahrlich nicht der Ort ist, um alle Details dieses Prozesses zu behandeln, beschränke ich mich auf einen der wesentlichsten Aspekte dieser Entwicklung: auf die Stellung und die Natur des „Bösen“. Viele Ansätze hat es gegeben, um eine „christliche Philosophie“ hervorzubringen. Dies ist womöglich ein begrifflicher Widerspruch, insofern Philosophie ein System unabgeschlossener Forschung impliziert, während für das christliche Denken die letztendlichen Schlüsse immer schon vorgegeben sind und ein philosophischer Jargon lediglich verwendet wird, um auf diejenigen überzeugender zu wirken, die sich von einer solchen Rhetorik beeindrucken lassen. Diese Ansätze wurden offensichtlich durch ein beständiges Streben völlig vereitelt, zwei vollkommen entgegengesetzte philosophische Kosmologien und Konzepte des „Bösen“ in die christliche bzw. wesentlich jüdische Weltsicht hineinzumengen.
Die erste dieser beiden philosophischen Positionen ist die des Neuplatonismus, die wir im folgenden Modell finden:
Im christlichen Sprachgebrauch wurde die Dreiheit der schöpferischen Prinzipien als Trinität von „Vater, Sohn (Logos) und Heiligem Geist“ neu benannt. Wir erkennen hier ein hierarchisches Stufenmodell, d. h. insbesondere eines, das vom graduellen Abstieg oder der Ableitung des höchsten Seins (= des Guten oder des Einen) ausgeht, bis es schließlich ins „Dasein“ tritt. Der Ursprung des Bösen liegt nun dort, wo ein Mangel an Sein eintritt. Das Gute ist Einheit und reines Sein; das Böse besteht hingegen in einem negativen Zustand, einem Seinsmangel. Jeder Schritt nach unten auf der Stufenleiter des Seins ist ein Abstieg in das „verhältnismäßig Böse“. Eine Möglichkeit, sich dieses vorzustellen, könnte darin bestehen, sich eine in den nächtlichen Himmel leuchtende Taschenlampe vorzustellen, deren Strahl in dem Maße schwächer und diffuser wird, in dem die Dunkelheit, die als das „Böse“ wahrgenommen wird, wächst, bis kein Licht mehr erkennbar ist. Nach diesem Modell existiert das Böse nicht auf reale Weise – es ist, per definitionem, ein Fehlen von Realität.
Diese negative Konzeption des Bösen als eines Mangels an Sein war womöglich diejenige, die vom orthodoxen Christentum übernommen und weitergeführt wurde, allerdings gab es daneben immer auch ein anderes Konzept (sowohl innerhalb des orthodoxen Denkens als auch in vielen christlichen Häresien). Dieses bestand in der Idee eines positiven Bösen; es nimmt die reale Existenz einer Macht der Dunkelheit an, die mit dem „Bösen“ identifiziert wird. Historisch wurde dieses Modell in den iranischen Systemen entworfen und fortgebildet, die auf dem Denksystem des Propheten Zoroaster beruhen.
Abb. 4.1. Das neuplatonische System
Die einfachste Darstellung dieses Systems würde so aussehen: Licht und Finsternis sind gleichermaßen real und führen einen beständigen Kampf um die Vorherrschaft über die Erde und den Menschen, die als Mischungen aus Licht und Finsternis angesehen werden. Dieses Denksystem fand einen radikalen Vorkämpfer in dem Propheten Mani (ca. 216 - 276 u. Z.), der christliche, buddhistische und persische Ideen miteinander verband. Ein solcher Dualismus sollte zum Eckstein vieler Häresien werden, die das orthodoxe Christentum jahrhundertelang bekämpfte. Die Wurzel des Problems oder zumindest ein Teil desselben liegt in dem Grad, in dem das so genannte orthodoxe Christentum und seine Schriftsteller vom iranischen Dualismus beeinflusst sind. Man muss sich nur vor Augen führen, dass Augustinus von Hippo zeitweise Manichäer gewesen oder dass der hebräische Paradiesmythos womöglich stark von persischem (iranischem) Denken beeinflusst ist, um zu bemerken, warum es so natürlich erscheint, dem Bösen Realität zuzuschreiben. Obwohl der Theologe aus einer „philosophischen“ Perspektive das Böse wohl für einen Mangel an Sein halten würde, wurde der Glauben an ein Böses mit positiven Kräften auf den meisten anderen Ebenen doch zu attraktiv, um ihm dauerhaft zu widerstehen.
Abb. 4.2. Das dualistische System