Kitabı oku: «Lords of the Left-Hand Path», sayfa 11
Gnostizismus und der linkshändige Pfad
Obgleich die Weltanschauung, die man gewöhnlich als „Gnostizismus“ bezeichnet, ihre ursprünglichsten Wurzeln im iranischen Dualismus hat, wurde ihre Gestalt letztlich durch ein Zusammenwirken philosophischer, theologischer und mythologischer Strömungen aus dem Zoroastrismus, dem Judentum, dem Platonismus, den griechisch-römischen Mysterienreligionen, der ägyptischen Magie und Philosophie sowie der ursprünglichen Form des Christentums gebildet. Tatsächlich vollzog sich die Entwicklung des Gnostizismus parallel zu der des „orthodoxen augustinischen Christentums“. Gnostizismus ist der in die philosophischen und kosmologischen Strukturen des iranischen Dualismus gepresste jüdisch-christliche Mythos, wie das orthodoxe Christentum umgekehrt derselbe Mythos, angepasst an das platonische und neuplatonische Schema, ist.
Der Punkt, an dem der Gnostizismus vom iranischen Modell abweicht, liegt in dem Glauben, dass die Welt und das physikalische Universum in ihrer gegenwärtigen Gestalt die Schöpfung eines bösen, finsteren geistigen Prinzips sind und nicht den Bereich zwischen den Kräften von Licht und Finsternis bilden. Für den Gnostiker ist die materielle Schöpfung a priori böse und muss daher das Ergebnis eines schöpferischen Aktes von Seiten eines „bösen Gottes“ sein.
Vom ersten bis zum zweiten Jahrhundert, während der Entstehungsphase der Gnosis, gab es Dutzende größerer Schulen des Gnostizismus (etwa diejenigen des Simon Magus, Basilides, Marcion, Valentinus und anderer) und gnostischer Sekten (wie die Kainiten, Barbeliten, Sethianer, Ophiten und Borborianer).2 Einer der Hauptgründe für diese erstaunliche Vielfalt an Systemen liegt darin, dass die Gnostiker nicht versuchten, ihre Lehren zu einem „orthodoxen“ System zu vereinheitlichen, sondern eher die Entstehung unterschiedlicher Denkschulen förderten. Dies führte zu deutlichen politischen und gesellschaftlichen Nachteilen gegenüber den „orthodoxen“ Christen, die danach streben, einen monolithischen Block katholischer (d. h. universaler) Lehren zu schaffen, wodurch „Häretiker“ (wie die Gnostiker) und Heiden eindeutig identifiziert und später ausgerottet werden konnten.
Dieser – letztlich erfolglose – Prozess, ketzerische und heidnische Denkschulen, wenn irgend möglich, auszuschalten, dauerte über Jahrhunderte bis in die Neuzeit an. Einige Überreste davon können heute noch in kleinen, radikalen und hasserfüllten Gruppen am Rande der Gesellschaft erkannt werden, die sich christlicher Dogmen bedienen, um religiöse Freiheit zu unterdrücken. Es gibt viele heilige Kyrills, die darauf warten, heutigen Hypatias den Märtyrertod zu bringen und ein neues Dunkles Zeitalter heraufziehen zu lassen. „Sie bekamen die Bibliothek von Alexandria – meine bekommen sie nicht“, lautet das Gebot der Stunde.
Einer der wichtigsten frühen Gnostiker – und vielleicht ein wahrer Herr des linkshändigen Pfades in der Antike – ist Simon Magus. Wir kennen seine Philosophie hauptsächlich aus den Traktaten, die von frühen „Kirchenvätern“ gegen sie geschrieben wurden. Deren Wiedergabe seiner Philosophie scheint ziemlich korrekt zu sein, insofern sie von anderen überlieferten gnostischen Texten bestätigt wird, aber die apokryphen Märchen über seine magischen Duelle mit den Aposteln und dergleichen klingen nach typisch sektiererischer Propaganda.3 Die Gestalt des Simon Magus ist vielleicht am besten aufgrund der Erzählung über ihn in der Apostelgeschichte, Kap. 8 bekannt, obwohl der dort dargestellte Simon tatsächlich ein anderer und nicht der gnostische „Magus“ gewesen sein könnte, den die Kirchenväter diffamiert haben.
Simon wurde etwa im Jahre 15 u. Z. in Samaria geboren, in einer Gegend, die – aus jüdischer Sicht – für ihre nicht gesetzeskonforme Kultur bekannt war. Er war der Sohn eines angeblichen jüdischen Zauberers und wurde in Alexandria in Ägypten erzogen. Simon wurde der Schüler eines „Arabers“ mit Namen Dositheos, der ein Anhänger Johannes‘ des Täufers gewesen sein könnte. Dieser Dositheos könnte eventuell der Autor eines in der Bibliothek von Nag Hammadi gefundenen Textes gewesen sein, den man Die drei Säulen des Seth (oder Die Offenbarung des Dositheos) nennt.4 Von Simon wird gesagt, dass er weit gereist sei, sowohl nach Arabien und Persien als auch nach Ägypten und in andere Länder, überall auf der Suche nach magischen Lehren. Wie dem auch sei, als Dositheos (um 29 u. Z.) starb, übernahm Simon dessen Schule. Diejenigen, die bislang die Dositheaner waren, wurden nun zu Simonianern. Dositheos hatte eine weibliche Anhängerin namens Helena gehabt, und Simon reiste später mit seiner Hauptschülerin, einer früheren Sklavin und Prostituierten aus Tyrus, die ebenfalls unter dem Namen Helena bekannt ist, umher. Allerdings waren Simons Helena und diejenige, die Dositheos anhing, möglicherweise nicht dieselbe Person. Sicher ist allerdings, dass Simon eine Begleiterin hatte, mit der er Sexualmagie praktizierte, und dass bei einigen dieser Übungen Sperma und Menstruationsblut verwendet wurde. Solche Techniken gibt es auch im Tantrismus und in der später von Aleister Crowley praktizierten Sexualmagie.) Angesichts dieser und anderer Aspekte von Simons magischer Praxis, die mit gewissen östlichen Ideen in Verbindung stehen, ist anzunehmen, dass es sich bei den Berichten über ihn nicht nur um Propaganda seiner Feinde gehandelt hat. Man behauptete sogar, dass Simon während eines magischen Wettstreits mit den Aposteln Petrus und Paulus in Rom verstorben ist. Nach einer Darstellung soll er bei dem Versuch, in den Himmel zu fliegen, verunglückt sein (während Petrus um seinen Absturz betete).5 Nach einer anderen Überlieferung wurde er lebendig begraben und scheiterte daran, wieder von den Toten aufzuerstehen.6
Es ist gut möglich, dass Simon in den okzidentalen Zweig der „Iranischen Mysterien“ eingeweiht war; daraus würde sich die Angemessenheit seines Beinamens „Magus“ ergeben. Diese Priesterschaft hatte zu damaliger Zeit einen starken Einfluss in Mesopotamien und Kleinasien. Aber Simons eigentliche Bedeutung bestand in seiner Rolle als Bindeglied für bestimmte ältere Ideen, als eventueller Begründer neuer Richtungen und als Lehrer zukünftiger gnostischer Vordenker. So war er der Lehrer des Menander, der ein „Unsterblickeitsbad“ praktizierte, bei dem ein sichtbares Feuer in das Wasser hinunterstieg, um den Initiand mit wundersamen Kräften zu begaben. Menander wiederum war der Lehrer von Saturninus und Basilides, zwei weiteren bedeutenden Lehrmeistern.7
Simon lehrte eine Kosmologie, die eine geistvolle Synthese aus iranischem Dualismus und platonischem Idealismus darstellte. Er behauptete, dass das Eine, der ungeteilte und ewige göttliche Geist (gr. Nous), über sich und in sich selbst reflektierte, dabei den Ersten Gedanken (gr. Epinoia) und mit diesem zugleich den ersten Äon (gr. Aion) hervorbrachte, der auch Ennoia (Geisteskraft) oder Sophia (Weisheit) genannt wird. Die Einheit zerbrach, der Dualismus begann, und der Absturz in die Manifestationen nahm seinen Lauf. Hans Jonas fasst zusammen, dass „die unbestimmte und nur ex negativo beschreibbare Macht des Einen sich durch den Akt der Reflexion in ein positives Prinzip wandelt, das mit dem Gegenstand seines Denkens verbunden, ja dieses sogar selbst ist.“8 Dieser Reflexionsprozess setzt sich in einer Folge von Emanationen fort, in denen die ursprüngliche Einheit des göttlichen Geistes immer weiter schwindet.
Simon lehrte, dass der Eine Geist, der Wahre Gott des Lichtes, nichts mit der Erschaffung des materiellen Universums zu tun hat; tatsächlich sei sich der Eine Geist nicht einmal dessen Existenz bewusst gewesen. Diese Welt, so glaubte er, war die Schöpfung eines bösen Demiurgen, den Simon mit dem Schöpfer der jüdischen Tradition identifizierte. Da Simon den Elohim Jahwe als böse ansah, schloss er daraus, dass dessen Gebote ebenso böse seien und den Menschen zum Bösen, nicht zum Guten, führen. Darin liegt also die Wurzel von Simons Libertinismus und Antinomismus: der Praxis, willentlich normative Gesetze zu brechen, um höhere spirituelle Wahrheiten zu erkennen.
In Simons System stürzte der Erste Gedanke, der Äon Epinoia, durch alle aufeinander folgenden Äone und wurde möglicherweise als menschliche Frau inkarniert. Sie ist die gesamte Geschichte hindurch von einem weiblichen Körper in den nächsten gewandert, während die herrschenden Mächte (gr. Archonten) darum kämpften, sie zu besitzen. So war sie beispielsweise die trojanische Helena. Simon glaubte, er habe die gegenwärtige Inkarnation der Epinoia in der Person seiner Gemahlin, der Hure aus Tyrus, gefunden. Weiterhin hielt er sich selbst für die Inkarnation des Göttlichen Geistes. Im irdischen Akt der Rettung und Erlösung Helenas sah er also eine Widerspiegelung der Erlösung des Ersten Objektes, Epinoia, durch den Nous.
Viele der von Simon gelehrten Gedanken, ob sie nun auf ihn zurückgehen oder nicht, wurden durch die Jahrhunderte zu Grundbegriffen des gnostischen Denkens. Hans Jonas charakterisiert seine neue Lehre als „Revolte gegen die Welt und ihren Gott im Namen absoluter spiritueller Freiheit.“9 Mit seiner mutigen Lehre erweist sich Simon Magus als wahrer Thronhalter und Prophet des linkshändigen Pfades.
Gnostische Sekten sind besonders schwer zu erforschen, da die Erschaffung unterschiedlicher Denksysteme Teil der Initiation auf den höheren Stufen gewesen ist. Ihre führenden Köpfe wurden ausdrücklich ermutigt, neue Schulen zu erfinden und hervorzubringen. Gleichwohl gibt es unter ihnen gewisse gemeinsame Charakteristika, die sie als Gnosis ausweisen. Die gnostischen Hauptlehren, denen die meisten von ihnen anhingen, lassen sich folgendermaßen beschreiben:
1. Dualismus, insbesondere eine strikte Dichotomie zwischen Geist (der gut und von Gott erschaffen ist) und Materie (die schlecht ist und von den Archonten sowohl erschaffen wurde als auch beherrscht wird).
2. Absolute Transzendenz Gottes, mit anderen Worten: Gott ist als „Vater des Geistes“ in keiner Weise mit der Materie dieser Welt verbunden.
3. Gnosis: Die „Erlösung“ des Menschen wird durch „Gnosis“ (Wissen) erlangt, die in einer Überschreitung des gewöhnlichen Verstandes erfahren wird. Es handelt sich bei ihr also nicht, wie wir gewöhnlich glauben, um ein intellektuelles Wissen, sondern um eine unmittelbare Anschauung des transzendenten Absoluten bzw. Gottes.
4. Erwähltheit: Der individuelle Gnostiker wird von der transzendenten Lichtquelle jenseits des Kosmos „erwählt“ oder „berufen“ (natürliche Ordnung).
5. Äone oder Zyklen der Existenz wirken als graduelle Schranken zwischen dieser Welt und dem Reich des transzendenten Lichtes.
Einige dieser Lehren werden in unterschiedlicher Weise auch von anderen Denkschulen wie dem Neuplatonismus oder dem Hermetismus geteilt, aber es ist diese Kombination von Prinzipien, die die gnostischen Sekten von allen anderen Schulen unterscheidet.
Gnostische Sekten stimmen darin überein, dass die materielle Welt von einer bösen Kraft beherrscht wird, und nach Auffassung der meisten ist die gegenwärtige materielle Welt die Schöpfung des bösen Demiurgen. Wenn man das gnostische Denken auf den jüdisch-christlichen Mythos der Genesis anwendet, zeigt sich überraschenderweise ein Bild, das die absolute Umkehrung des üblichen Verständnisses darstellt. Im Geiste der Gnosis wird der Elohim der Genesis (Jahwe) mit dem Demiurgen identifiziert, dem Schöpfergott dieser Welt, der also der Böse schlechthin ist.
Jahwe, der von vielen gnostischen Sekten Jldabaoth genannt wird, erschuf die Welt und die natürlichen Bestandteile des Menschen, trachtete aber danach, die Menschheit in Sklaverei und Dunkelheit zu halten, abgeschieden vom göttlichen Licht. Die Retterin der Menschheit ist die Schlange (hebr. Nachash) als Bringerin des Lichtes von jenseits des Kosmos. Insbesondere diejenigen Schulen, die die Kräfte der Schlange hervorhoben, wie die Ophiten (von griech. ophis, „Schlange“) und die Naassener (von einer griechischen Umschreibung für Nachash abgeleitet), können leicht auf einer oberflächlichen Ebene als Praktizierende des linkshändigen Pfades betrachtet werden. Ihr spirituelles Ziel besteht darin, zu Lebzeiten Gottmenschen zu werden, und ihre Identität – als spirituelle Wesenheiten – während ihrer Wanderung durch die Äonen bis hin zur letzten Quelle des Lichtes zu bewahren. Einige halten dies für eine wahrhafte imitatio Christi.
Für die gnostischen Ophiten ist die Gestalt Christi, als Sohn des Guten Gottes, mit der Schlange zu identifizieren. Die Identifikation der Schlange mit dem Messias kann ebenso auf der Basis der okkulten griechischen und kabbalistischen Wissenschaft der Gematrie vorgenommen werden. In der kabbalistischen Gematrie, in der jedem hebräischen Buchstaben ein Zahlenwert zukommt, sind die Werte für die Schlange des Paradieses, Nachash (= N.Ch. Sh. = 50 + 8 + 300 = 358) und Messias, „der Gesalbte“ oder „der König“ (= M.Sh. Y.Ch. = 40 + 300 + 10 + 8 = 358), dieselben. Zwei Begriffe mit demselben numerischen Wert werden in der Gematrie auf einer höheren Seinsebene als dem Wesen nach identisch angesehen. Die Schlange brachte der Menschheit das Wissen (Gnosis) von Gut und Böse (Genesis 3 : 1 - 7) und kann auch in Zukunft dem Menschen helfen, die Frucht des ewigen Lebens zu erlangen, ihn also wie Gott oder Christus werden lassen.
Bis auf den radikalen Dualismus werden alle fünf oben erwähnten Hauptprinzipien des gnostischen Denkens auch von der zur selben Zeit entstandenen Philosophie des intellektuellen linkshändigen Pfades des Tempels des Seth geteilt. Die Zurückweisung des Dualismus stellt also den wesentlichen Unterschied zwischen dem dar, was man gewöhnlich „Gnostizismus“ nennt, und dem, was im allgemeinen als „Hermetismus“ bezeichnet wird. Die Gnostiker haben den fundamental positiven Dualismus des Zoroastrismus übernommen, während die exakter denkenden Hermetiker das Modell des Platonismus (oder später des Neuplatonismus) bevorzugten. In mancherlei Hinsicht wurde dieses Modell von einigen ägyptischen Priesterschaften geteilt, und es ist bemerkenswert, dass die Wiege der griechisch-ägyptischen Philosophie am Nil gefunden werden kann.
Zweifellos ist es diese heterodoxe Mischung aus hellenischen, semitischen, ägyptischen und iranischen Ideen, die die orientalische Matrix der so genannten westlichen magischen Tradition ausmacht. Im späten Mittelalter und in der Renaissance wurden diese Ideen im Westen neu synthetisiert und schließlich, während des Wiederauflebens des Okkultismus im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert, wiederum erneuert. Bevor wir aber diese Heterodoxie richtig überblicken können, müssen wir erst begreifen, was mit „Orthodoxie“ gemeint ist.
Begründet wurde die christliche Orthodoxie mit der Synthese neuplatonischer Philosophie und jüdisch-christlicher Mythologie des Augustinus von Hippo.10 Obwohl er unablässig gegen die zahlreichen „Häresien“ seiner Zeit anschrieb, ist er doch zeitweise selbst ein Anhänger des Manichäismus gewesen.
Die vier Säulen der Lehre, auf denen Augustinus‘ System beruht, sind:
1. Gott ist eine Trinität bzw. Dreifaltigkeit (Vater, Sohn und Heiliger Geist) – drei und einer gleichermaßen.
2. Gott hat einen absolut freien Willen; und auch der Mensch wird diesen eines Tages besitzen.
3. Der Mensch missachtet stets Gottes Gebote und begeht damit Sünde, durch die er sich von Gott entfernt. Alle Menschen werden in Erbsünde geboren.
4. Nur die Gnade Gottes (als dessen freiwillige Gabe) kann den Menschen erretten. Besonders charakteristisch für die orthodoxe Lehre des Christentums ist daran die Vorstellung, dass Jesus (der Sohn) die einzigartige Erscheinung der göttlichen Gnade war und dass alle Menschen durch ihn erlöst werden können.
Offensichtlich gibt es ein gewisses Grundprinzip in Augustinus‘ System, das auf irrationalen theologischen Prämissen (der Trinität) beruht und aus der neuplatonischen Lehre von den Emanationen abgeleitet ist: Der Logos emaniert aus dem Einen und bringt die Weltseele hervor. Der Mensch findet sich in einer Stellung wieder, in der er Gottes Gebote aus eigener Schuld übertreten hat; diese Schuld kann nicht Gott selbst angelastet werden, da er den Menschen insgesamt mit freiem Willen ausgestattet hat. Der Mensch begehrt also (womöglich gemeinsam mit Satan) aus freien Stücken gegen Gott auf und ist daher auf Ewigkeit von ihm getrennt. Allein durch die Gnade Gottes – als „Geschenk“ – kann der Mensch „erlöst“ werden. Wenn sich ein Mensch also Gott zuwendet, ist dies, nach orthodoxer Sicht, keine Folge selbständigen Willens und eigener Anstrengungen, sondern ein Zeichen dafür, dass die göttliche Gnade an ihm wirkt. In diesem Lehrgebäude wird der menschliche Wille mithin vollkommen entwertet, geradezu unwirklich gemacht. Wirklicher freier Wille wurde nur ein einziges Mal von Adam ausgeübt, und die Strafe für diese Übertretung kann nun bei jedem Sprössling der menschlichen Rasse wahrgenommen werden. Zweifellos handelt es sich hier um die bei weitem komplizierteste und gewundenste Ausformulierung einer Lehre des rechtshändigen Pfades, die es gibt. Eine der Hauptursachen für ihre Verschlungenheit liegt in dem historischen Faktum, dass hier versucht wurde, eine dogmatische, unveränderliche und pseudo-rationale Mischung zwischen jüdischer (semitischer) Theologie und hellenischer (indoeuropäischer) Weltanschauung zustande zu bringen. Diese Mischung kann scheinbar mit gnostischer Flexibilität gehandhabt werden; wenn sie allerdings auf Konzilien von Kirchenvätern, die Dogmen verabschieden oder zurückweisen, zur Verhandlung kommt, treten die Bruchstellen in der Systematik allzu deutlich hervor. Um die historische Entwicklung des linkshändigen Pfades im Westen zu verstehen, ist eine fundierte Kenntnis des Wesens des rechtshändigen Pfades außerordentlich hilfreich.
Oft ist es bei der Erläuterung der Philosophie des linkshändigen Pfades im Westen verführerisch, sich in Diskussionen über das jüdisch-christliche Modell des Bösen hineinziehen zu lassen. Allerdings sollte immer im Auge behalten werden, dass es sich beim linkshändigen wie beim rechtshändigen Pfad im „Westen“ wie im „Osten“ um Modelle spiritueller Arbeit oder Tätigkeit, nicht um Schematisierungen eines Gegensatzes von „Gut versus Böse“ handelt. Das Problem besteht darin, dass dieses Verhältnis aus einer rechtshändigen Perspektive als genau dieses verstanden wird: als ein Kampf zwischen Gut (= rechtshändigem Pfad) und Böse (= linkshändigem Pfad). Besonders gut kann dies anhand der psychologischen Begrifflichkeit von Anhängern des rechtshändigen Pfades erläutert werden: Das Wesen des „Wissens“ tendiert dazu, von diesen, zumal im Westen, als Glauben (gr. pistis) aufgefasst zu werden. Diejenigen, die pistis als Objekt ihres Wissens ansehen – die „wahrhaft Gläubigen“ –, werden immer dazu neigen, ad nauseam in „binären“ Begriffen von Ja/Nein, Richtig/Falsch, Gut/Böse zu denken.11 Tatsächlich aber ist nichts am linkshändigen Pfad böse. In Wirklichkeit ist vieles von dem, was Menschen im Westen gerne als angebliche Beispiele des Bösen herausstellen, das Ergebnis blinden Glaubens: Inquisition, Konzentrationslager, Gulags und anderes mehr.
War Jesus ein Meister des linkshändigen Pfades?
Die Frage scheint absurd zu sein, aber die Kunst des linkshändigem Pfades besteht darin, die richtigen Fragen zu stellen. Könnte es sein, dass der spirituelle Lehrer, den man Jesus nennt, zu seiner Zeit eigentlich ein „virtueller Satanist“ gewesen ist – jemand, dessen Lehren von bedenkenlosen Anhängern derart verzerrt worden sind, dass seine eigentlichen Lehren mit all ihren Zielen und Zwecken unter einem tiefen Schlamm widersprüchlicher Lehren und Dogmen verborgen sind? Ich kann diese Frage hier kaum vollständig beantworten, aber ich glaube doch, einige so provokante wie stichhaltige Argumente vorbringen zu können, die dafür sprechen, dass Jesus nicht derjenige war, zu dem die in seinem Namen gegründete Institution ihn später gemacht hat. Um eine Antwort auf diese Frage anzudeuten, werde ich Belege sowohl aus christlicher als auch aus nichtchristlicher Literatur anführen.
Das Kriterium dafür, ob jemand ein Herr des linkshändigen Pfades genannt werden kann, besteht, wie wir uns erinnern, darin, dass eine Person ein magisches (willentliches) System evolutionärer Selbstvergöttlichung – für sich selbst oder andere – lehrte, das die antinomistische Bejahung von etwas einschließt, das innerhalb der jeweiligen Kultur des Individuums als verboten oder tabuisiert (etwa „satanisch“) angesehen wird. Es mag schockierend sein, aber bei objektiver Betrachtung erfüllt Jesus die meisten dieser Kriterien.
Die Untersuchung von Morton Smith ist die wohl größte Einzelfundgrube an Informationen hinsichtlich der mutmaßlichen wahren Natur des „Nazareners“. Smith berichtet, was nichtchristliche Zeitgenossen über Jesus mitgeteilt haben.12 Die für uns entscheidenden Aspekte dieser Überlieferungen bestehen darin, dass von ihm gesagt wurde, er sei der illegitime Sohn eines römischen Soldaten (namens Panthera) und einer Prostituierten gewesen, dass er als Experte für Magie gegolten habe und durch seine Praktiken zu einem „Sohn Gottes“ geworden sei, und dass er seine Anhänger gelehrt habe, die jüdischen Gesetze zu verachten und sexuelle Freizügigkeit zu pflegen. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass weltanschauliche Gegner aus Propagandagründen oft die wildesten, unbegründeten Geschichten verbreiten. Allerdings gibt es hier – überraschenderweise – ziemlich eindeutige Belege in den Berichten der Evangelien selbst.
Ein interessanter Hinweis auf die Idee, dass von Jesus (zumindest von Außenstehenden) geglaubt wurde, er sei ein „böser“ Gott oder „Gottessohn“, findet sich in Form eines bekannten Graffitos (aus der Zeit um 200 u. Z.) auf dem Palatin in Rom in graphischer Form dargestellt.
Die in den Wandputz eines Schulraumes geritzte Zeichnung zeigt eine gekreuzigte Figur mit Eselskopf und einen Mann, der die Arme vor ihr erhebt. Darunter gibt eine Inschrift (in schlechtem Griechisch) an: „Alexamenos betet zu Gott.“ Die eselsköpfige Gestalt ist, in diesem kulturellen Kontext, mit Seth-Typhon zu identifizieren, der zu dieser Zeit in der griechisch-ägyptischen Mythologie ein Gott des Bösen war. Zumindest von einigen könnte Jesus mit Seth-Typhon gleichgesetzt worden sein. Vielleicht wurde er als „Sohn“ dieses Gottes angesehen? Auch dies ist gut möglich, zumal der jüdische Gott Jahwe, der in griechischen Manuskripten in unklarer Form als „Iao“ erscheint, von den Äyptern selbst mit Seth-Typhon identifiziert wurde. Dies erscheint auch deshalb passend, da Seth für die hochgradig xenophoben Ägypter als „Gott der Ausländer“ galt und die Juden im damaligen Ägypten die größte fremde Bevölkerungsgruppe stellten. Darüber hinaus war das ägyptische (koptische) Wort für Esel gerade „io“ oder „eio“, was sehr ähnlich klang wie die griechische Wiedergabe von „Yah“!13 Und ein Beleg, der innerhalb des Evangeliums selbst auf diesen symbolischen Zusammenhang verweist, ist der Einzug Jesu auf einem Esel in Jerusalem, den er seinen Jüngern dort zu stehlen befohlen hatte (Matthäus 21 : 1 - 7).
Abb. 4.3. Graffito auf dem Palatin Hügel in Rom (ca. um 200 u. Z.)
Andere Stellen in den Evangelien bringen die antinomistische Natur von Jesu Lehren und Taten, zumindest aus der Sicht des religiösen und kulturellen Establishments des damaligen Judentums, zum Ausdruck. Jesus wies die Befolgung des Gesetzes zurück. In den ihm zugeschriebenen Worten sagt er: „Denkt nicht, dass ich gekommen bin, um Frieden über die Erde zu bringen: Nicht den Frieden bringe ich, sondern das Schwert. Deshalb bin ich gekommen, auf dass sich einer gegen seinen Vater erhebe“ (Matthäus 10 : 34 - 35). Jesus war ein Sozialrevolutionär, der alles Familiäre und Stammesgebundene, wie es die Juden bislang kannten, missachtete. Im Gegensatz zum orthodox-jüdischen Glauben an die zukünftige Rettung des gesamten Volkes lehrte Jesus die Erlösung des Einzelnen hier und jetzt: „Das Königreich Gottes ist in Dir selbst“ (Lukas 17 : 21). Er vollbrachte nicht nur selbst Wunder und magische Taten, sondern ermahnte seine Jünger auch, ihm nachzueifern: „Wahrlich, ich sage Euch, wer an mich glaubt, wird dieselben Werke tun wie ich; und er wird noch größere Werke tun“ (Johannes 14 : 12).
Als Jesus von den Pharisäern angeklagt wurde, Dämonen durch die Macht Belzebubs – des Herrn der Dämonen – ausgetrieben zu haben, versucht er lediglich, sie durch scheinbar logische Formeln zu verwirren (Matthäus 12 : 24 - 27).
Der vielleicht interessanteste und zwingendste Beleg ist allerdings von komparativer Natur. Angenommen, Jesus war in irgendeiner Weise eine historische Person, die ungefähr solche Dinge vollbrachte, wie sie in manchen Erzählungen der Evangelien widergespiegelt werden – was für eine Art von Mensch wäre er dann gewesen? Er entspricht hervorragend dem Typus eines Magiers seiner Zeit und seiner Umgebung. Angenommen, dass Jesus wirklich ein Magier war, gibt es irgendwelche Berichte über sein magisches Wirken in seiner Zeit und Umwelt? In der Tat ist einiges in den griechisch-ägyptischen magischen Papyri überliefert!14 Smith behandelt diese Belege sehr detailliert. Was sich in diesen zeigt, ist das klare Bild eines jüdischen Magiers in hellenistischem Umfeld; eines Magiers, der, neben anderem, behauptete, der Sohn eines Gottes zu sein, der Zauberformeln sprach, um Wunder zu wirken, und der zwar keine Geister oder Dämonen aussandte, die magische Werke verrichten sollten, aber einen göttlichen Geist in sich trug oder in sich aufnahm und mit diesem etwas bewirken konnte.
Einige Papyri beschreiben magischen Vorgehensweisen, um einen Geist zu erlangen, der einen zu einem Gottessohn werden lassen soll. Einer dieser Papyri fordert den Magier auf, sich zu reinigen, ein hohes Dach zu besteigen und sich die Augen mit einer „schwarzen Isisbinde“ zu verschleiern. In einem bestimmten Augenblick des Rituals wird die Binde entfernt, und ein Falke wird abwärts fliegen, der einen Stein als erstes Zeichen, dass sich der Geist in dem Magier manifestiert hat, fallen lässt. Dieser Geist oder daimon wird, von einem äußerlichen Standpunkt aus, mit dem Magier identifiziert, so dass dieser in den Worten des Papyrus „als Gott verehrt wird, seitdem er einen Gott als Freund hat.“15 Ein anderer Papyus (PMG IV: 154 - 221) teilt dazu mit:
Es wird dieses Zeichen göttlicher Begegnung geschehen – Du aber, geschützt durch Deine göttliche Seele, wirst Dich nicht fürchten müssen. Wenn ein Falke zu Dir nieder fliegt und Dich mit seinen Flügeln streift, bedeutet dies, dass Du Dich erheben sollst. Stehe nun auf, kleide Dich in weiße Gewänder, verbrenne ungemahlene Weihrauchkörner in einem irdenen Räuchergefäß und sage dabei:
Ich bin Deiner heiligen Gestalt beigesellt worden,
Ich habe Kraft durch Deinen heiligen Namen erlangt.
Ich habe Deine göttliche Erscheinung empfangen,
Herr, Gott der Götter, Meister, Dämon.
Wenn Du dies getan hast, kehre als Herr einer gottähnlichen Natur zurück, die Du durch diese göttliche Begegnung erhalten hast.16
Die Parallelen zwischen diesen magischen Ritualen und der Geschichte von der Taufe Jesu (Markus 1 : 9 - 11), bei der er einen „heiligen Geist“ in Form einer vom Himmel fliegenden Taube empfängt, ist bemerkenswert. Nach diesem Ereignis war er fähig, magische Werke allein durch das „gesprochene Wort“ auszuführen, d. h. insbesondere durch das Aufsagen eines Zauberspruches oder „Mantras“.
Ein Magier, der einen Geist oder Dämon „besaß“, wurde im Griechischen jener Zeit gewöhnlich als magos (pl. magoi) bezeichnet und oftmals als „göttlicher Mensch“ angesehen. Ein solcher Magier war mehr als ein gewöhnlicher goês (Zauberer), der lediglich über Geister außerhalb seiner selbst gebieten konnte. Zur Zeit Jesu glaubten manche offenbar, dass er den Geist des hingerichteten Johannes‘ des Täufers in sich aufgenommen habe und mit ihm magische Taten vollbringe. Es ist jedoch der „Heilige Geist“ – der Geist eines Gottes, den der Mensch Jesus angerufen und verinnerlicht hat bzw. zu dem er sogar „geworden“ ist –, der eigentlich seine Wunder wirkt.
Aufgrund seiner „göttlichen Natur“ kann ein Magier allein durch sein „Wort“ (oder durch seinen zielgerichteten, bewussten Willen) Veränderungen in der Wirklichkeit herbeiführen. Die Papyri sind voll von Zaubersprüchen wie etwa Ablanathanalba, durch die der Magier seinen Willen verrichtet. Sogar im Markus-Evangelium (5 : 41) ist ein solches Wort überliefert, als Jesus ein kleines Mädchen allein durch den (wahrscheinlich aramäischen) Spruch talitha koumi heilt.
Zu jedem Wunder Jesu kann eine Parallele in der magischen Literatur seiner Zeit gefunden werden. Sogar die magische Gewalt seines Namens wurde über seinen Tod hinaus betont, zumal man magischen Praktiken mit dem Geist (oder „Namen“) eines hingerichteten Verbrechers besondere Kräfte zuschrieb. Dies wird zweifellos dadurch erhärtet, dass Jesus seine Jünger ausdrücklich dazu aufforderte, indem er ihnen sagte, dass er dadurch immer unter ihnen sei (Johannes 14 : 23 und 15 : 4 - 9; Matthäus 18 : 20 und 28 : 20).
Jesus war ein vergöttlichter Mensch – so wie jeder Magier. Für viele Magier jener Zeit war Selbstvergöttlichung (und, damit einhergehend, Unsterblichkeit) das höchste Ziel magischer Kunst und Praxis. Jesu eigene Bekundungen seiner Göttlichkeit korrespondieren mit den Worten der magischen Papyri, in denen der Magier seine göttlichen Eigenschaften benennt:
JESUS: „Ich bin der Sohn Gottes.“ (Johannes 10 : 36)
MAGISCHER PAPYRUS: „Ich bin der Sohn … “ (PGM IV:535)
MAGISCHER PAPYRUS: „Ich bin der Sohn des lebendigen Gottes.“ (DMP XX:33)
JESUS: „Ich bin … der vom Himmel Gekommene.“ (Johannes 6 : 51)
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