Kitabı oku: «Lords of the Left-Hand Path», sayfa 9
Der linkshändige Pfad bei den Slawen
Schon immer war der slawische Geist „vertrauter“ mit dem Teufel als vielleicht jede andere Kultur Europas. Dies mag von der Tatsache herrühren, dass die Slawen bis in unsere Zeit einen Kult um Hausgeister bewahrt haben, deren Natur im Sinne von „Gut“ und „Böse“ recht zweideutig zu betrachten ist.
In seiner Einleitung zu Ouspenskys Talks with a Devil bemerkt J. G. Bennett:
Die Teufel sind den Menschen gegenüber nicht feindlich gesinnt, außer, wenn der Mensch ein Freund Gottes ist. Sie sind es, die für den technischen Fortschritt aller Art verantwortlich sind: von ihnen lernte die Menschheit die Künste des Schmiedens, des Brauens und des Destillierens; der Teufel selbst entdeckte das Feuer, errichtete die erste Mühle und baute den ersten Wagen. Die Kunst des Lesens und Schreibens war eines seiner Geschenke an die Menschheit. All dieses ward gegeben, um den Menschen von Gott unabhängig zu machen und die Verbindung zu kappen, durch die der Mensch in der Lage war, Gott beim Regieren der Welt zu helfen.32
Aus der slawischen Überlieferung sind zwei Arten von Teufeln bekannt: der eine wird Lukhavi genannt, was etwa „der Schlaue“ bedeutet, und der andere ist Chort, was einfach „der Schwarze“ bedeutet.33 Der „schlaue“ Teufel ist anscheinend urtümlicher und slawischer als der „schwarze“. Andererseits scheint die Bezeichnung „Chort“ offenbar durch die dualistischen Kulte geprägt zu sein, die im Mittelalter und auch noch danach in einigen slawischen Regionen sehr populär waren.
In der russischen Überlieferung wird der Teufel oft als Personifizierung der materiellen Welt betrachtet. In dieser Sichtweise sind beide Vorstellungen der alten Slawen enthalten, sowohl Lukhavi (der Wissen und das Geschick vermittelt, mit der Materie umzugehen) als auch Chort (der die materielle Welt als Gegensatz zur geistigen Welt verkörpert).
Diesen späteren dualistischen Aspekt verdeutlicht M. Dragomanov, der zeigt, wie Satanail – eine mittelalterliche slawische Form von Satan – bei der Erschaffung der Welt und des Menschen eine zentrale Rolle spielt. Gott weist Satanail an, in das Urmeer zu tauchen, um die Erde und den Feuerstein zu holen. Satanail gibt Gott das Material; Gott hält es in seiner Rechten und erschafft daraus trockenes Land über dem Meer. Mit der Linken reicht Gott Satanail ein Stück Feuerstein, und dieser schlägt daraus seine Engel, eine „große, wütende Schar fleischlicher Götter“.34
Nach manchen Überlieferungen erschuf Satanail die sichtbare Welt und Gott die unsichtbare, während andere meinen, dass Satanail den Körper des Menschen schuf und Gott ihm die Seele gab. Diese Vorstellungen sind deutlich von den Lehren der Bogomilen beeinflusst (siehe Seiten 134 - 136), oder sie stehen mit diesen in Verbindung.
Tatsächlich geht eine bulgarische Überlieferung davon aus, dass der Teufel – Zerzevul genannt – ein Gegenparadies erschaffen hat, das er dem von Gott geschaffenen gegenüberstellt. Triumphierend sagt Zerzevul zu seiner Schar von Teufeln:
Ho, meine Schar, habt ihr gesehen, dass wir auch ein Paradies erschaffen können, wie Gott es macht? Kommt, geht hinein, esst, trinkt von allem, was darin ist; ich verbiete euch nichts, wie der Herr dem Manne, den er mit seiner Frau hineinsetzte, etwas verbot; ich gebe euch die Freiheit, zu tun, was immer ihr wollt. Sagt dieses den Leuten: ‚Was immer einer tun möchte, lasst ihn gewähren. In meinem Paradies gibt es zu essen, zu trinken und Vergnügen, soviel sie von mir verlangen.‘35
Es sollte noch angemerkt werden, dass unter den russischen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts Ouspensky den Teufel im Besessensein von der materiellen Welt ausmachte, während Gurdjieff ihn als ein außerirdisches Wesen sah. Der Teufel der Slawen ist ein wichtiges, wenn auch gewöhnlicherweise finsteres Vorbild für das Bild der materialistischen Freizügigkeit im Satanismus des späten neunzehnten und des zwanzigsten Jahrhunderts, wie er beispielsweise bei Anton LaVey seinen Ausdruck findet (siehe Kap. 9).
Auch wenn es zwischen den vorchristlichen indoeuropäischen Wurzeln des Westens und denen des Ostens signifikante Unterschiede gibt, so sind doch ebenso grundlegende Gemeinsamkeiten vorhanden. Zudem ist es wahrscheinlich, dass die Vorstellungen des Ostens durch die nordiranischen Nomadenstämme, wie etwa die Skythen und die Sarmaten, die Welt der Hellenen, der Slawen und der Germanen mitbeeinflusst haben. Diese Verbindungen bestanden seit der Zeit um 700 v.u. Z. bis in das sechste Jahrhundert unserer Zeit. Indoiranische Einflüsse strömten nach Europa und, während der hellenistischen Periode von etwa 300 v.u. Z. bis 200 u. Z., auch in Regionen des Nahen Ostens ein.
Die Gemeinsamkeiten zwischen den westlichen und den östlichen Wurzeln der indoeuropäischen Welt machen deutlich, dass wir, hätte die westliche Wurzel ihre Entwicklung entlang ihrer eigenen Linie fortgesetzt, heute eine etablierte Tradition des linkshändigen Pfades im Westen hätten – oder dass der linkshändige Pfad, falls er nicht selbst Teil der etablierten Kultur wäre, von dieser zumindest toleriert, wenn nicht gar unterstützt würde.
Doch die historische Entwicklung der westlichen Welt spiegelt ein gespaltenes Erbe. Die Ideologien des Nahen Ostens – oder die wahre südliche Tradition – drangen in Form des Christentums in den Norden vor und bildeten schließlich eine problembeladene Symbiose mit der ursprünglichen Kultur Europas. Nahezu jede Erscheinungsform „ketzerischen“, „abartigen“ oder „diabolischen“ religiösen Verhaltens in Europa, von den Anfängen des Christentums bis in unsere Zeit hinein, kann auf ursprüngliche Impulse zurückgeführt werden, die aus der vielfältigen vorchristlichen Kultur Europas stammen.
Es versteht sich fast von selbst, dass man, um die Entwicklung des linkshändigen Pfades im Westen verstehen zu können, auch das Wesen der nahöstlichen oder südlichen Tradition in ihren Ausprägungen sowohl des rechtshändigen als auch des linkshändigen Pfades erfassen muss. In diesen Kulturen entwickelten und verbreiteten sich die moderne Geisteshaltung und die Symbolik, die oft mit dem Wort „Satanismus“ umschrieben werden.
Der linkshändige Pfad bei den Semiten
Zum vollen Verständnis dessen, was in Westeuropa als „Satanismus“ bezeichnet wird, ist keine Kultur des Altertums – eventuell mit Ausnahme der iranischen/zoroastrischen – wichtiger als die der Semiten im Allgemeinen und die der Hebräer im Besonderen. Eine vollständige Betrachtung dieses Gebietes ist in diesem Rahmen nicht möglich,36 des Weiteren würde solch eine Untersuchung nur zeigen, dass die hebräische Tradition aus philosophischer Sicht wenig an Ursprünglichem zu bieten hat. Ihre hauptsächliche Bedeutung ist historischer Natur. Die Hebräer schmiedeten eine Synthese aus verschiedenen theologischen und mythischen Strömungen – aus Mesopotamien, Ägypten, Kanaan und dem Iran – und ihrer eigenen, primitiven semitischen Religion.37 Doch da die hebräische Religion, soweit wir Aufzeichnungen darüber haben, relativ monolithisch ist, liefert sie wenige Beweise für die Entwicklung oder Existenz von etwas Autochthonem, das mit dem linkshändigen Pfad verwandt ist. Dennoch hinterlässt die hebräische und später (seit 586 v.u. Z.) jüdische Religion der an sie anknüpfenden christlichen sowie der islamischen Welt und den Gnostikern, bei denen die jüdische Mythologie oft zur Darstellung ihrer (oft dem linkshändigen Pfad zuzuordnenden) Vorstellungen diente, eine genaue Formen- und Begriffslehre für eine gesamte „Symbollehre des Bösen“.
Es wird sich zeigen, dass in der semitischen Weltsicht, obwohl sie ursprünglich keine streng dualistische war, Vorstellungen von Sünde und Errettung oder Befleckung und Reinigung eine überaus große Rolle spielten. Dies führte zu einer Art von De-facto-Dualismus, der sich sogar als beständiger erwies als der zoroastrische, obwohl die semitische Religion sicher nur sekundär von den Mythen und der Theologie des iranischen Mazdaismus beeinflusst worden war.
Um die semitische Mentalität voll verstehen zu können, müssen wir geschichtlich bei einem nichtsemitischen Volk anfangen: bei den Sumerern. Die Ursprünge der bereits heterogenen Sumerer lagen entweder im Norden oder im Osten Mesopotamiens (des heutigen Irak),38 und um 4500 v.u. Z. ließen sie sich in den Regionen um die Flussmündungen von Euphrat und Tigris nieder. Ihre großartige Zivilisation sollte in ihrer authentischen sumerischen Form bis um 1750 v.u. Z. andauern und dann bis nach der Eroberung Babylons 539 v.u. Z. durch Kyros II. von Persien in einer „semitisierten“ Form fortsetzen. Der Frühling der sumerischen Zivilisation war zwischen 3200 und 2360 v.u. Z. Die Sumerer mit ihrem Nachfolger, dem semitischen System, in einen Topf werfen zu wollen, wäre eine grobe Vereinfachung.39 Die Sumerer scheinen in ständiger Furcht vor Naturkatastrophen und gesellschaftlichen Umbrüchen gewesen zu sein. Diese Haltung stand im Gegensatz zu den ägyptischen Vorstellungen von geordneten Abläufen in einer sicheren Umgebung und war zurückzuführen auf die ackerbaulichen Bedingungen in den jeweiligen Flusssystemen: der Nilregion einerseits, die von regelmäßigem Hochwasser geprägt ist, welches das Tal flutet, und Mesopotamien andererseits, das von Sturm und Regen abhängig ist, die Wasser in die Täler von Euphrat und Tigris bringen. Wie dem auch sei: die Sumerer schienen ursprünglich keine echte Vorstellung von einer dem gesamten Kosmos innewohnenden Gottheit gehabt zu haben. Stattdessen glaubten sie, dass alles durch die ME bestimmt sei (eine festgeschriebene göttliche Ordnung).
Das „Böse“ als solches wurde als Störung dieser göttlichen Ordnung verstanden, etwa in Form von Tod und Krankheiten. Die Einführung des Todes geht nicht auf das Konto eines Übeltäters, sondern auf das des Erdgottes En-Ki persönlich, der gewisse Kräuter aß, anstatt ihre Bestimmung festzulegen. Damit hatte En-Ki ein „kosmisches Verbrechen“ begangen, weil er „nicht im Einklang mit dem Prinzip, in das er inkarniert war, gehandelt hatte.“40
In der sumerischen Religion wurden die Götter als Formen oder Prinzipien betrachtet, die innerhalb der göttlichen Ordnung zusammenwirken. Die Aufgabe des Menschen war, „den Göttern zu dienen“, oder in anderen Worten: der göttlichen Ordnung zu dienen. Dennoch war die Vorstellung selbstverständlich, dass die Götter selbst – und nicht der Mensch – ursprünglich für die Störungen der göttlichen Ordnung verantwortlich waren. So wird Gilgamesch (der vermutlich älteste Held in der Literaturgeschichte), als er in seinem Bestreben, Unsterblichkeit zu erlangen, gegen den Tod kämpft, von den Sumerern nicht als jemand gesehen, der gegen die Götter aufbegehrt und daher „böse“ ist, sondern eher als jemand, der versucht, die ursprüngliche göttliche Ordnung wiederherzustellen. Gilgamesch wird im Wesentlichen als ein göttlicher Held und nicht als ein böser Übeltäter betrachtet. Wer sich mit dem ursprünglichen Material der Sumerer und der Religion Mesopotamiens beschäftigt, wird dabei auf eine Ambivalenz stoßen, die an die hinduistische Tradition erinnert.41
Die Kultur der Sumerer machte einen seltsamen Wandel durch. Von etwa 2800 v.u. Z. an sickerten semitische Völker (die später als Akkader identifiziert wurden) von Norden und Westen nach Sumer ein und begannen, Kultur, Sprache und Religion von den unteren gesellschaftlichen Schichten ausgehend zu „semitisieren“.42 Von 2350 bis 2150 v.u. Z. regierten akkadische Könige in Mesopotamien, bis ihre Herrschaft durch das Vordringen der Gutäer aus dem Iran beendet wurde. Die Gutäer beherrschten die Akkader bis 2050 v.u. Z., als die Sumerer eine Renaissance erlebten und die Macht wiedererlangten. Doch um 1950 v.u. Z. erlangte eine andere semitische Volksgruppe, die Assyrer, die Kontrolle über die Region. Die semitische Kultur und Sprache herrschten in Mesopotamien bis zur Eroberung durch die Perser im Jahre 539 v.u. Z. vor.
In hohem Maße wurden die Semiten Mesopotamiens – die Akkader, Assyrer und Babylonier – in ihrer Religions- und Kulturform „sumerisiert“. Sie übernahmen die sumerische Schrift (Keilschrift), äußere kultische Formen und die Mythologie. Die alten sumerischen Mythen wurden gewissermaßen semitisiert. Doch die Semiten waren ein wesentlich anders geartetes Volk, das die sumerischen Formen mit seinen eigenen Begriffsinhalten ausfüllte.
Die optimistische Anthropogenese der Sumerer – nach welcher der Mensch von den Göttern erschaffen wird – wird dahingehend uminterpretiert, dass die Menschheit aus dem Blut einer bösen Wesenheit geschaffen wird: Kingu. So ist der Mensch in der semitischen Version „durch seinen eigenen Ursprung verflucht.“43 Hier haben wir eine Grundidee, die der „Erbsünde“ sehr nahe kommt. Diese eher pessimistische Anthropogenese erfordert eine neue Form des Kultes mit persönlichen Gebeten und Bußpsalmen. Hier hören wir die Büßer um Vergebung der Sünden und Befreiung von Verfehlungen beten.44 Doch wäre es falsch, die Semiten Mesopotamiens nur als Vorläufer der hebräischen Religionsvorstellungen zu sehen. Der babylonische Blickwinkel auf die menschliche Existenz war weit optimistischer als der der Hebräer.
Ein weiteres wichtiges semitisches Volk im Nahen Osten waren die so genannten Kanaaniter. Sie bewohnten die Küstenregion des östlichen Mittelmeeres seit etwa 3000 v.u. Z. Offensichtlich hatte es eine Anzahl mutmaßlich semitischer Stadtansiedlungen in dieser Region gegeben, die der Reihe nach von halbnomadischen „Barbaren“ erobert wurden. Die Hebräer oder Israeliten, die um 1250 v.u. Z. in dieses Territorium eindrangen, waren eine von vielen ethnischen Gruppen unter diesen Siedlern. Das meiste, was wir über die Zivilisation wissen, die im Alten Testament Kanaan genannt wird, stammt aus Texten, die in Ras Shamra (Ugarit) an der syrischen Küste gefunden wurden. Nach dieser Quelle scheinen die Kanaaniter gespaltener Meinung darüber gewesen zu sein, was als „böse“ zu gelten habe. Letztendlich sahen sie die Welt in einem ewigen Kampf zwischen den Mächten des Lebens (repräsentiert durch Ba’al und seine Schwester Anath) und denen des Todes (repräsentiert durch Mot). Dieses schien eine allgemein anerkannte und akzeptierte Tatsache gewesen zu sein.45
Dieser kurze Überblick über einige nichthebräische Religionsvorstellungen verdeutlicht, dass die polytheistischen semitischen Religionssysteme nicht ausdrücklich von einer bösen Natur der Welt oder der Menschheit ausgingen. Dennoch weisen die Belege aus Mesopotamien darauf hin, dass die damals dort ansässigen Semiten zu der Vorstellung neigten, dass es eine „Erbsünde“ gebe. Gleichzeitig ist es schwierig, auf die frühen sumerischen oder semitischen Kulturen die Zweiteilung in „linkshändigen“ und „rechtshändigen“ Pfad anzuwenden. Dies rührt wahrscheinlich daher, dass wir vom philosophischen Verständnis dieser Völker zu maßgeblichen Themen zu wenig wissen. Gilgamesch ragt als einzigartige, heroische Wesenheit heraus, die, besessen von Selbst-Bewusstsein, Unsterblichkeit herbeisehnt. Dies würde ihn zumindest in Teilen als eine Leitfigur des linkshändigen Pfades auszeichnen. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die vielfältigen und ambivalenten Überlieferungen der Religionen des frühen Mesopotamiens und des Nahen Ostens, wie die alten indoeuropäischen oder die ägyptischen Traditionen die Saat für das in sich trugen, was sich später zur Dichotomie des rechtshändigen/linkshändigen Pfades entwickeln sollte. Aus der Sicht orthodoxer Lehren wie des Judentums, des Christentums und des Islam sind die Religionssysteme der Kanaaniter und Babylonier (ebenso wie das der Ägypter) grundsätzlich „sündig“ (sie mögen zwar im wesentlichem nicht dem linkshändigen Pfad zuzurechnen sein, doch waren sie, mit anderen, zumindest offen für die Werte des linkshändigen Pfades). Dieses Zulassen einer Vielzahl religiöser Facetten war an sich schon aus orthodoxer, monotheistischer Sicht Grund genug für eine Verdammung. Doch machte erst die hebräische Synthese eine solche Dichotomie möglich.
Die hebräisch-orthodoxe Synthese des rechtshändigen Pfades
Die hebräische oder israelitische Synthese der primitiven Glaubensvorstellungen semitischer Nomaden mit Elementen aus den Traditionen der Ägypter und Kanaaniter sowie der Babylonier und Iraner fand über einen längeren Zeitraum von etwa 1750 bis 500 v.u. Z. statt. Hebräische Nomaden waren in der Region um Hebron weitgehend sesshaft geworden, während die Israeliten (oder, genauer gesagt, die Aramäer) sich etwas später in der Region von Sichem ansiedelten. Diese Stämme lebten in den Randbezirken der städtisch geprägten und offenbar indigenen kanaanitischen Gesellschaft. Die Aramäer begannen vermutlich zwischen 1750 und 1250 v.u. Z., gewisse Eigentümlichkeiten der kanaanitischen Religion zu übernehmen. Um 1250 v.u. Z. kam eine dritte Welle hebräischer Siedler in diese Region. Diese setzten sich wahrscheinlich aus hebräischen Stämmen, die für einige Jahrhunderte in Ägypten ansässig gewesen waren, und womöglich auch aus Ägyptern und Angehörigen anderer nichthebräischer Völker zusammen, die äußerlich während des Exodus unter Führung eines (ehemaligen) ägyptischen Priesters, der als Moses in die Überlieferung eingegangen ist, hebraisiert wurden. Eine bedeutsame Synthese altertümlicher hebräischer, kanaanitischer und ägyptischer Weltanschauungen fand in diesem kulturellen Zusammenhang zwischen 1200 und 600 v.u. Z. statt. Das Königreich Israel wurde 587 v.u. Z. von den Babyloniern zur Gänze erobert. Von da an bis 538 v.u. Z. lebten die Israeliten innerhalb Babyloniens im Exil, in der so genannten Babylonischen Gefangenschaft. Zu dieser Zeit übernahmen sie babylonische – besonders aber auch iranische – Glaubensvorstellungen, die zum wichtigsten katalytischen Element in der Entwicklung der hebräischen oder jüdischen „Philosophie des Bösen“ wurden.
Wenn wir das hebräisch-jüdische Material (d. h. die kanonischen und die apokryphen Bibeltexte dieser Tradition) betrachten, müssen wir berücksichtigen, dass es sich bei diesen Mythen nicht um fortlaufende und zusammenhängende Erzählungen handelt, sondern um Fragmente von Mythen und Legenden, die ohne oder mit bestenfalls geringer Bemühung um textliche Folgerichtigkeit zusammengestückelt wurden. Das erste Beispiel davon finden wir in der Genesis, wo in 1 : 2 - 4 eine vollständige und schlüssige Version des Schöpfungsmythos erzählt wird und dann an späterer Stelle (Genesis 2 : 4 - 25) eine davon ziemlich abweichende, aber ebenso schlüssige und vollständige Version auftaucht. Die erstgenannte ist sicherlich die ältere Version, die andere wurde später (wahrscheinlich nach der Babylonischen Gefangenschaft) hinzugefügt. Dies ist eine typische Eigenart der hebräischen Mythologie, die jedoch angesichts populärer Mutmaßungen, es würde sich um einen in sich stimmigen und einheitlichen „offenbarten“ Text und nicht um das über Jahrhunderte hinweg unter verschiedenen geschichtlichen und kulturellen Einflüssen entstandene Werk mehrerer Autoren handeln, meist aus dem Blickfeld gerät.46
Die einzigen ursprünglichen Vorstellungen, die die antiken Hebräer, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, vom „Bösen“ gehabt haben mögen, liegen verschüttet unter den Schichten dessen, was sie aus anderen Kulturen übernommen haben. Es ist wahrscheinlich, dass die hebräischen Einwanderer aus Ägypten eine theologische und rituelle Struktur mit sich gebracht haben, die in hohem Maße vom ägyptischen Denken beeinflusst war. Man hat darüber spekuliert, dass Moses vom Gedankengut der monotheistischen Reformen des Pharaos Echnaton geprägt gewesen sei, und es ist weiteres möglich, dass die Vorstellungen der Hebräer davon, wer oder was gegen den göttlichen Plan opponiert, vom etablierten Seth-Kult während der neunzehnten Dynastie (1300 - 1200 v.u. Z.) beeinflusst gewesen sind. Der „Exodus“ der semitischen Stämme aus Ägypten ereignete sich höchstwahrscheinlich gegen Ende dieser Dynastie. Die monotheistische Reform der hebräischen Religion durch Moses führte natürlicherweise zu einem Glaubensmodell, nach dem der „Eine Gott“, den Moses „Jahwe“ nannte, von einer anderen kosmischen Kraft herausgefordert werden konnte. Vor diesen Reformen stellte der hebräische Polytheismus das „Böse“ (d. h. Krankheit und Tod) als ein Produkt der „Flickschusterei“ der kosmischen Realität dar, wie es auch die Kanaaniter taten. Im mosaischen Monotheismus (womöglich gepaart mit dem Wissen um das Prinzip, das durch Seth repräsentiert wird) wurde so der potentielle Grundstein für diesen kosmischen Gegenpol gelegt. Tatsächlich hat es jedoch Jahrhunderte gebraucht, um ein Bewusstsein für all die Konsequenzen zu entwickeln, die diesem Potential innewohnen.
Archäologisches Belegmaterial deutet darauf hin, dass die Hebräer, die mit der dritten Einwanderungswelle in die Levante gekommen sind, weit davon entfernt waren, alles und jeden im „Verheißenen Land“ zu zerstören, um es für „Gottes auserwähltes Volk“ zu säubern (Josua 1 - 18). Vielmehr ließen sich die Hebräer von dem kanaanitischen „Land, wo Milch und Honig fließen“ und dem moabitischen Gott Ba’al Peor verführen (Numeri 25). Von der Zeit des Exodus bis zur Babylonischen Gefangenschaft weist die hebräische Religion eine kontinuierliche Assimilation kanaanitischer Mythen und Kultformen auf; zugleich hat es vonseiten der so genannten Propheten wiederholt Widerstände gegen diese fortwährende Tendenz gegeben.
Der Einfluss der Kanaaniter auf die Auffassung der Hebräer vom „Bösen“ zeigt sich in der Annahme eines kosmischen Konfliktes zwischen den Kräften des Lebens (Ba’al) und denen des Todes (Mot). Das hebräische Wort für den Tod ist mot. Die Vorstellung von einer kosmischen Rebellion jüngerer Götter gegen ältere ist ebenfalls in der kanaanitischen Mythologie angelegt,47 in der Ba’al sich nicht nur in ständigem Kampf gegen den Tod (Mot) befindet, sondern auch versucht, den älteren Gott El zu stürzen. El (pl. Elohim) ist ein „Name Gottes“, der auch ins Hebräische übernommen wurde (siehe El Schaddai). Die Pluralform kann im Hebräischen verwendet werden, um die Größe von etwas anzuzeigen, ohne damit zwangsläufig einen Plural zu implizieren.
Soweit babylonische Einflüsse beteiligt sind, kamen diese mutmaßlich eher indirekt, über die kanaanitische Theologie vermittelt, als direkt von den Babyloniern zu den Hebräern. Dies verhielt sich so bis zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft, seit der die hebräische – nun jüdische – Theologie sich zwei großen direkten Einflüssen öffnete: dem babylonischen Wissen und der iranischen Kosmologie und sonstigen Lehre.
Während der Babylonischen Gefangenschaft entwickelte sich eine gelehrte Priestertradition innerhalb des Judentums. Die Einstellung dieser priesterlichen Tradition gegenüber „dem Bösen“ war zwiespältig: zum einen galt dieses als Folge der Lüsternheit der „Söhne Gottes“ (heb. Bene Elohim) nach den Töchtern der Menschen (Genesis 5 : 1 - 7). Die daraus resultierende Vermischung göttlicher und menschlicher Naturen habe dazu geführt, dass die „Söhne Gottes“ den Menschen verbotenes göttliches Wissen offenbart hätten. In der „henochischen“ Literatur gibt es Listen von (dämonischen) Engeln und Kategorien „verbotenen Wissens“, das diese der Menschheit offenbart haben sollen (I Henoch 8). Wie Neil Forsyth beobachtet, verbindet so „der Mythos die Ursprünge der Kultur mit den Ursprüngen des Bösen in der Welt. […] Wollust ist die Ursache für die Grenzüberschreitung zwischen Göttern und Menschen, mit dem Ergebnis, dass Menschen verbotene Mysterien erlernen, und dieses führt in der Folge die Erde ins Verderben.“48 Dieser Mythos vom Ursprung verbotenen Wissens, das zum Einströmen des „Bösen“ führt, weist Parallelen zum besser bekannten Mythos von Eden auf.
Darum wird das Böse mit beidem in Verbindung gebracht: mit Wissen und mit der fleischlichen Existenz. Das eine ist ein Übel des Geistes, das andere ein Übel des Fleisches. Diese beiden Pole werden sich als ständige Merkmale der Schulen des linkshändigen Pfades in der westlichen Welt erweisen.
Auch wenn der hebräische Mythos vom Garten Eden und die ganze Kosmologie in Genesis 1 - 2 letztlich semitisch-sumerischen Ursprungs sind, sollten auch die Übereinstimmungen mit der iranischen Mythologie nicht unerwähnt bleiben.49 Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Grundstrukturen des Edenmythos von einem Fundament kanaanitisch-babylonischer Traditionen in die jüdische Überlieferung übernommen wurden und dass später einige Interpretationen der Mythen durch abstrakteres iranisches Gedankengut „erhellt“ worden sind, die – zusammen mit hellenistischen Vorstellungen – die Basis der geheimen jüdischen Traditionen (Kabbala etc.) geformt haben. Diesen Aspekten werden wir uns in Kapitel 4 im Zusammenhang mit der Gnosis noch detaillierter zuwenden. Auf jeden Fall sehen wir wieder einmal einen anderen Weg, auf dem „das Böse“, in Form göttlichen Wissens, der Menschheit präsentiert wird. Von diesen Mythen kann gesagt werden, dass sie nur in den Überlieferungen der nichtzoroastrischen iranischen Religionssysteme (wie dem Mithraismus) oder von einigen der unzähligen gnostischen Sekten (z. B. den Ophiten) als Teile des linkshändigen Pfades betrachtet werden können.