Kitabı oku: «Ab 40 wird's einfach nicht schwer», sayfa 2
Wow, wow, wow, wow! Einer, der sie siezte, den hatte sie noch nicht. Einer, der eine gute Einleitung (wenn auch recht sülzig, aber immerhin bemüht) findet, der sich mit Respekt zu artikulieren verstand!
»Okay, ganz ruhig! Einen, einen habe ich noch. Mal schauen …«, flüsterte Silke und Bing – die nächste Nachricht sprang ihr regelrecht in die Augen.
Hans, der Träumer – schon der Nickname verursachte in ihr eine wohlige Wärme. Mein Gott, bin ich verkitscht, und das in meinem Alter …, dachte sie, verhaspelte sich vor Aufregung auf der Tastatur und flog aus dem Datingportal.
»Mist, verdammter!«
Fluchend grapschte sie nach der Maus und ihr Rotweinglas, inzwischen wieder gefüllt, kippte auf ihre weiße neue Hose. Salz, schnell! Fluchend wie ein Droschkenkutscher zog sie die Hose aus, rannte in die Küche und kippte die noch vorhandene halbe Packung Jodsalz auf die Hose, lief in ihr Schlafzimmer, packte in Windeseile eine schwarze Jogginghose (Karl Lagerfeld würde sich im Grabe umdrehen), schlüpfte hinein und flog beinahe zum Couchtisch. Denn Hans, der Träumer, wartete.
»Lass uns reden« im Lesezeichen öffnen, einloggen und schnell zu Hans.
»Ich heiße im realen Leben natürlich nicht ›Hans‹, aber ich bin real – ein Träumer. Hoffentlich übertrete ich jetzt nicht Regeln der Contenance, indem ich sogleich zum vertrauten ›Du‹ übergehe? Dein Profil ist sehr schön. Es hat etwas Weiches, zugleich Starkes, ist präzise, zugleich bleiben in mir viele Fragen offen. Welche Bücher liest Du gern? Malst Du auf Leinwand? Du spielst Gitarre – da schnappte ich nach Luft, denn ich spiele auch, mehr schlecht als recht allerdings (also bitte keinen Eric Clapton erwarten). Bitte verzeih mir, ich wäre kein Mann, wenn ich nicht bewundernd auf Deine ausdrucksstarken Augen sehen – und zu träumen beginnen würde. Wenn Du einen kleinen Teil Deiner geschätzten Aufmerksamkeit mir widmen würdest, so wäre das mein schönster Augenblick.«
Wow, wow, wow, wow, wow! Ein wenig gestelzt, aber mit Stil. So mochte sie es. Doch nun – immer noch war Besonnenheit von höchster Priorität, um die Elite der Elite zu finden. Zwei würde sie auswählen, damit ihr zur Not noch ein Rettungsanker zur Verfügung stünde. Die Fotos. Immer schön der Reihe nach. Zuerst Tom. Er saß auf einem Stuhl, mit dem rechten Arm auf einen Schreibtisch aufgestützt, auf dem sich einige Akten stapelten. Seine schmächtige Statur ließ den Schreibtisch massiver wirken. Eine Hornbrille saß auf dem auffällig kleinen Gesicht, eine riesige Hakennase zog die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ein Mann jedoch musste nicht schön sein; er sollte nur »wirken« – und er wirkte nicht auf sie. Nun zu Markus, dem Heimatliebenden. Ein kräftiger Mann mit schütterem ergrautem Haar und einem Achselshirt auf dem »Hilfe!« stand. Silke zoomte das Bild größer, denn schon im kleinen Modus verhieß die Zahnreihe nichts Gutes. Hinter ihm hing die legendäre Dynamofahne. No Chance. Ihm konnte sie nicht helfen. Sie wusste schon vorher, wer übrig blieb. Wahrscheinlich auch, wenn einer der Typen wie Richard Gere ausgesehen oder sie mit strahlenden Augen und umwerfenden Grübchen angestrahlt hätte: Hans, der Träumer. Er war die Elite der Elite, der Edelmann auf dieser Plattform. Wann war die Nachricht eingetroffen? Ah, ja, gestern. Okay, sie konnte ihm heute schon schreiben. Und es ging los. Gib alles, Silke, für diesen Charismatik-Bolzen! Alles!
»Hallo, Hans, auch wenn du nicht ›Hans‹ im realen Leben heißt …«
Nein, das war blöd. So vielleicht:
»Hallo, Träumer, der nicht ›Hans‹ heißt, danke für Deine bezaubernde Nachricht. Wie Du siehst, macht es mir nichts aus, wenn wir gleich die Regeln der Contenance brechen – gibt es diese heute überhaupt noch?«
Das war gut, es ließ gleich durchblicken, dass sie die eingezogene KommunikationsAsozialität kritisierte.
»Ich beantworte Dir gern alle Fragen aus Deiner Nachricht. Ich lese alles, was es wert ist – bin da nicht festgelegt. Besonders mag ich historische Romane oder Biographien. Ich male meist auf Leinwand, mit Acryl und oft abstrakt. Ich spiele auch nicht Gitarre wie Jennifer Batten, also keine Sorge. Vielen lieben Dank für das Kompliment zu meinen Augen. Nun kommt der Augen-Blick (wie passend), auch ich habe Fragen an Dich. Meinst Du, ich könnte diese bald im Realen stellen?«
»Ein Wink. Gut so, mutig. Wir leben immerhin im 21. Jahrhundert«, führte sie halblaut aus, als müsste sie sich überzeugen, es richtig gemacht zu haben. Silke war guter Dinge, denn sein Foto – das war er. Mit dem gewissen Etwas, was sie fesselte. Viel konnte sie nicht erkennen, nur einen Mann mit wenig Haaren, einer Nickelbrille und schlanker Statur. Ein Intellektueller – sehr gut. Absenden. »Nachricht an Hans, der Träumer gesendet« blinkte auf. Was für ein Tag!
Die Hose! Silke rannte in die Küche. Das Salz war eingezogen. Die rote Wunde klaffte. Es kam ihr vor, als sähe die Hose sie vorwurfsvoll an.
»Für Hans, den Träumer, Hose. Ich verspreche dir, dafür hast du ein großes Opfer gebracht. Danke.«
Während sie mit ihrer Lieblingshaushose sprach, versuchte sie mit aller Kraft, die Flecken zu scheuern. Ohne Erfolg. Das Ende der Hose war besiegelt. Für ihren Traum.
2. Kapitel
Hans, der Träumer
»Leben! Das strahlen deine Bilder aus.
Leben und Sinn, ja, sogar Sinnlichkeit!«
Peter Meyer
An einem sonnigen Mittwochvormittag war es so weit. Silkes Kater Whiskey schlich ihr zuvor die ganze Zeit um die Beine, als ob er mit ihr gemeinsam aufgeregt wäre.
»Mensch, Tier, störe mich jetzt nicht! Ich muss perfekt aussehen, verstehst du? Und mach mich jetzt nur nicht mit Katzenhaaren voll!«
Rote Katzenhaare auf einer weißen Sommerjeans, welch ein Grauen. Whiskey schien zu verstehen. Beleidigt zog er sich in den Flur zurück und starrte sie aus der Ecke heraus an. Silke überprüfte ihr Make-up, puschte ihre vollen Haare immer wieder auf und stellte fest, dass sie wieder mal zugenommen hatte. Egal jetzt. Darum konnte sie sich später kümmern.
Endlich klingelte es. Sie ging betont langsam zur Tür. Whiskey schlängelte sich an ihren Hosenbeinen an ihr vorbei und während sie die Tür öffnete, sagte sie laut:
»Geh weg, du Doofer!«
»Was für eine zauberhafte Begrüßung!«, lächelte sie der Träumer an.
»Nein, nein, ich meinte Whiskey …«, stotterte Silke, peinlich berührt, auf den davonlaufenden Kater zeigend.
»Und was für ein zauberhafter Name für einen Kater!«, konterte er wieder. Das Eis war gebrochen. Silke lachte. Sie erinnerte sich an die Bemerkung des Nachbarn von gegenüber, als sie eines Abends ihr Tier ins Haus rufen wollte.
»Whiskey!? Whiskey!? Wo ist mein feiner Whiskey, ja, wo ist er denn?!«
Der Nachbar, der mit ein paar Freunden gegrillt hatte, schrie rüber:
»Bist wohl schon zum Alki mutiert, hä?«, und seine Gäste hatten sich schiefgelacht. Aber das wollte sie dem träumenden Hans vielleicht später erzählen. Sie hatten ja Zeit. Hoffentlich.
»Komm erst mal rein.« Mit einer einladenden Geste öffnete sie die Tür.
»Gern doch, sehr nett«, entgegnete er galant und trat ein. Während sie ihn in ihr Wohnzimmer führte, betrachtete sie ihn genauer. Er war einige Zentimeter größer als sie, auf jeden Fall über eins achtzig, und von sehr schlanker Gestalt. Das gefiel ihr. Wie bei vielen Männern dieses Alters musste er sich keine Mühe mehr beim Haarekämmen geben, denn da war nicht viel zu richten und wie sie an den wenigen Muzeln, die sich wie ein Kranz um seinen Kopf legten, erkennen konnte, war sein Haar rot. Was ihr aber besonders ins Auge fiel, war seine ausgesprochene Blässe, typisch für Rothaarige. Die Nickelbrille passte zu ihm. Während sie ihn musterte, betrachtete er ihr Wohnzimmer.
»Schön hast du es hier, wirklich sehr geschmackvoll«, lobte er und sah sich sehr genau um.
»Setz dich doch«, meinte sie. Jetzt wäre es angebracht, sich gemütlich zu unterhalten.
»Bitte sei nicht böse, lass mich noch einige Minuten stehen. Ich saß gerade eine Stunde im Auto«, bat er und betrachtete den Inhalt der Glasvitrine an ihrer antiken Kommode an.
»›Warum wir hemmungslos verblöden‹, ›Einigkeit und Recht und Doofheit‹ und ›Generation Doof‹ – ich habe es gewusst.« Er lächelte versonnen.
»Was hast du gewusst?«, fragte sie nach.
»Das passt. Es passt zu deiner Beschreibung im Profil. Ich bin begeistert.«
Silke stutzte. Okay, fein. Das hätten wir geklärt. Jetzt bin ich dran, dachte sie und startete.
»Na, komm, setz dich jetzt mal und wir unterhalten uns. Immerhin lasse ich dich in mein Haus und kenne noch nicht einmal deinen richtigen Namen.«
Sie wollte lächeln, aber eigentlich auch nicht, denn sie meinte das ernst. Und es saß. Er beendete abrupt seine Vitrinen-Beschau.
»Entschuldige, natürlich hast du recht. Wie unhöflich von mir. Ich bitte, es mir nachzusehen, denn ich bin geflasht.«
Sie setzte sich auf ihre Couch und deutete auf den Platz neben sich. Der Träumer folgte ihr.
»Ich heiße Peter. Peter Meyer.«
Na, das war ja schon mal ein Anfang.
»Schön, angenehm«, versuchte sie, die Situation zu entschärfen und reichte ihm die Hand.
»Möchtest du einen Kaffee?«
»Ja, sehr gern, wenn ich dich begleiten darf. So kann ich wieder ein paar Schritte gehen.«
Er lächelte sein Träumerlächeln.
»Klar, du darfst.«
Gemeinsam gingen sie in die Küche und er half ihr, als sei es das Selbstverständlichste. Es fühlte sich gut an. Silke konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann ihr jemand zum letzten Mal beim Kaffeekochen zur Hand gegangen war. Während der Kaffee lief, holte sie zwei Tassen, Milch und Zucker hervor und stellte alles auf den Couchtisch. Beim Kaffeetrinken schien der letzte Eisbrocken zu schmelzen. Eine Unterhaltung kam in Gang, so vertraut, wie sie es das letzte Mal mit Harry hatte erleben dürfen. Sie schwelgte nicht in Erinnerungen an ihren Mann, sie befand sich im Hier und Jetzt, bei Peter. Beim Träumer. Und träumte mit ihm.
Peter erzählte von sich, der Trennung von seiner langjährigen Lebenspartnerin Beate. Fast dreißig Jahre waren sie zusammen gewesen.
»Ich möchte gleich ehrlich zu dir sein. Ich bin Erwerbsunfähigkeitsrentner.«
Er sah sie erwartungsvoll an. Dachte er, sie würde in Ohnmacht fallen? Silke war so gefesselt von ihm, dass ihr das nichts ausmachte. Warum auch? Was sagten ein Beruf oder ein sozialer Stand schon über einen Menschen aus?
»Du sagst das, als sei es etwas Verwerfliches«, meinte sie und sah ihm tief in seine klaren, blauen Augen.
»Nun ja, offenbar ist es das in dieser Gesellschaft. Du glaubst nicht, wie viele Frauen sich nicht mehr meldeten, wenn ich diese Botschaft verkündete!«
Seine Augen vergrößerten sich, drückten mehr aus, als sein Mund sagte. Sie stutzte kurz. Um gleich darauf dahinzuschmelzen.
»Verstehe ich nicht!« Das war alles, was sie zunächst sagen konnte. »Warum bist du erwerbsunfähig? Magst du es mir erzählen?«
Er mochte.
»Als junger Mann studierte ich, wollte Ingenieur werden. Doch ich schaffte es nicht. Darüber ärgere ich mich bis heute. Dann war ich viele Jahre als Optiker tätig. Irgendwann lief meine Beziehung zu Beate nicht mehr gut, um es vorsichtig auszudrücken. Sie war, mit Verlaub gesagt, eine Bestie. Ich weiß nicht, warum es so war, aber ich konnte mich nie angemessen gegen sie wehren. Sie attackierte mich, nichts war ihr recht; sie beschimpfte mich. So bekam ich Depressionen, die leider über mehrere Jahre anhielten. Aus der Beziehung zu ihr konnte ich mich nicht mehr befreien. Ich war zu schwach. Zunächst ging ich noch arbeiten, immer mal wieder. Dann aber kam der Zeitpunkt, da stellte man eine psychische Erkrankung fest und ich wurde in Erwerbsunfähigkeit geschickt. Keine gute Vita, ich weiß.«
Er senkte den Blick. Silke wurde es heiß und kalt. Sie verstand die Menschen schon lange nicht mehr, aber nun vor allem nicht das Verhalten dieser Beate. Ihr schossen Tränen in die Augen. Oh mein Gott! Sie jammerte um ihr Schicksal und dieser ehrliche und liebe Mann konnte sich gegen eine Frau nicht wehren! Gegen eine Frau! Er war in allem, was er sagte, so klar und kompetent. Und was er alles wusste! Hinter seinem Allgemeinwissen konnte sie sich nur verstecken. Ein kluger Kopf. Er wirkte traurig und sie überlegte, wie sie ihn ein wenig ablenken könnte von seinen Erinnerungen, die ihn bedrückten.
»Darf ich dir etwas zeigen?«, fragte sie ihn und lächelte ihr schönstes Lächeln.
»Ja gern«, antwortete Peter dankbar. Sie ging mit ihm auf den Dachboden, um ihm ihre gemalten Bilder zu zeigen.
»Wow! Die sehen ja wundervoll aus!«, staunte er, schritt zwischen den Bildern umher und bewunderte ausgiebig jedes einzelne, sinnierte halblaut über die Farben und die Pinselführung.
»Leben! Das strahlen deine Bilder aus. Leben und Sinn, ja, sogar Sinnlichkeit!«, rief er begeistert aus. Silke schwebte auf Wolke sieben. Er hatte sie im Sturm erobert, der Träumer.
Im Wohnzimmer angekommen, sagte Peter:
»Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich meine Gitarre hole und ein wenig spiele?«
»Nein, gar nicht!« Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Er ging kurz zu seinem Auto hinaus und kehrte mit einer außergewöhnlichen Gitarre zurück, einer Minarik Guitar. Silke kannte sich schließlich aus. Die fanden vor allem im Heavy Metal Verwendung. Hut ab! Sein Spiel war eher gewöhnungsbedürftig, passte kein wenig zur Gitarre. Als er kurz unterbrach, sah er sie erwartungsvoll an.
»Und?«
Sie schluckte.
»Gefällt es dir?«
Für den Träumer schwindelte sie.
»Ja, schöööööön! Was ist das eigentlich, was du spielst?«
Das wollte sie schon wissen.
»Ich improvisiere nur. Kennst du Estas Tonne?«
Natürlich kannte sie den. Da kippten die Spirituellen, Yoga-Tanten und Reismilchfanatiker reihenweise um. Sie nicht.
»Ja, den kenne ich.«
Wenigstens war das nicht gelogen.
»Estas ist mein großes Vorbild«, schwärmte er und seine Augen wurden wieder größer, schienen sich im Radius zu verdoppeln. Wie machte er das? Okay, das alles war ein Minuspunkt, aber eben nur einer. Jeder hatte seine Macken.
Als er endlich zu spielen aufhörte und Silkes Ohren zu rauschen begannen, der Kaffee ausgetrunken war und es draußen zu dämmern begann, schwiegen sie. Silke legte ihren Kopf an seine Schulter. Wenige Minuten später neigte Peter seinen Kopf in ihre Richtung. Sie sah zu ihm auf und ihre Lippen fanden sich. Es war besiegelt. Der Träumer und die Träumerin hatten sich gefunden. Peter blieb. Vierzehn Tage lang.
3. Kapitel
14 Tage – Er
»Der Kaffee ist fertig, klingt das net unglaublich lieb.«
Peter Cornelius
Die ersten Tage vergingen wie im Rausch. Silke ging zur Arbeit, hatte Mühe, sich zu konzentrieren und beeilte sich, nach Hause zu kommen, wo jemand auf sie wartete. Jemand, der mit ihr träumen wollte. Peter erwies sich als großartiger Hausmann. Sie musste nichts mehr tun, außer sich ihm und ihren gemeinsamen Interessen zu widmen. Die erste Woche war berauschend schön. Als sie zum ersten Mal miteinander schliefen, eröffneten sich ihr neue Welten. Er war zärtlich und auf seltsame Weise besonders. Peter hatte beinahe etwas Feminines an sich, etwas Fragiles. Sie mochte keine Muskelprotze oder zu großen Männer. Die machten ihr Angst. Er spielte mit ihr und sie spielte mit ihm, mit ihrer Erotik. Jene, die sie wiederentdeckte. Manchmal dauerte es ihr fast zu lange. Sie war solch eine Ausdauer seit Jahrzehnten nicht mehr gewohnt. Silke erlebte himmlische Orgasmen, oft mehrere nacheinander und manche Male musste sie sich anstrengen, noch genügend Luft zu bekommen. Wenn ein Orgasmus besonders intensiv war, verdrehte sie ihre Augen und Peter lachte.
»So etwas habe ich noch nie gesehen! Ich dachte, du stirbst!«
Nur mit Harry, mit Harry vollzog sich in diesen Tagen eine Veränderung, ein unerwarteter Rückzug. Sie sah ihn nicht mehr im Spiegel. Auch Martina ließ sich nicht mehr blicken. Was war geschehen? Machte sie etwas falsch?
Peter brachte sie zum Lachen. Er hatte eine herrlich erfrischende Art und lag mit Silke auch hier auf einer Wellenlänge. Er konnte unglaublich witzig, dabei aber auch eloquent sein. Dieser Mann war eine Offenbarung! Als sie am Dienstag der zweiten Woche nach Hause kam, grub Peter ihr Beet um. Dabei zuckte sein Kopf hin und her. Sie stand hinter ihm und wusste nicht, was das war, bis sie seine Ohrstöpsel sah. Ach, er hörte nur Musik. Was glaubte sie denn? Dass er spastische Anfälle hatte? Er war psychisch krank, nicht körperlich. Was hatte er, wie hieß diese Krankheit gleich? Es fiel ihr nicht mehr ein. Vielleicht, weil es ihr nicht wichtig war. Er erzählte ihr, mehrfach in der Psychiatrie gewesen zu sein. Aber jetzt, nachdem er sich endgültig auf die Flucht vor Beate begeben hatte, ginge es ihm immer besser. Sie hörte Beates Namen in seinen Berichten so oft, dass sie glaubte, sie selbst hätte mit ihr gelebt, sie selbst hätte das alles durchgestanden. Welch eine schreckliche Frau musste das sein, die ihren Mann so behandelte?
»Hey, du bist aber wieder fleißig«, sagte sie und tippte ihm zart auf die Schulter. Er erschrak und drehte sich zu ihr um, richtete sich aus der hockenden Stellung auf und riss sich die Ohrstöpsel aus den Ohren.
»Musst du mich so erschrecken?«, sagte er in ungewohnt scharfem Ton. Silke zuckte zusammen und sah ihn aufmerksam an. Seine Augen, sie waren wieder so groß. Was war das nur bei ihm mit diesen Augen?
»Entschuldige, aber wie sollte ich mich sonst bemerkbar machen?«, entgegnete sie.
»Schon gut, hast ja recht. Ich war nur so erschrocken. Hach, morgen habe ich bestimmt eine Schreckblase an den Lippen und du, du musst mich pflegen. Das wird der Vorteil sein«, lachte er, zog sich die Handschuhe aus, nahm Silkes Gesicht in beide Hände und küsste sie zärtlich auf den Mund. Sie schmolz dahin. Alles war vergessen, der scharfe Ton, die Bauchschmerzen, die sie trotz dieser unvergleichlich schönen Woche seit Neuestem hatte.
»Das mache ich doch gern, mein Liebling«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Und noch mehr. Er nahm sie an die Hand und zog sie hinter sich her ins Haus. Im Korridor küssten sie sich leidenschaftlich und rissen sich die Sachen vom Leib. Er drehte sie um, sie stand mit dem Gesicht zur Wand. Dann ging er auf die Knie und streichelte langsam ihre Beine hinauf, zu ihrer Mitte, um sie dort bewusst oberflächlich zu berühren. Er wusste, wie rasend sie das machte. Dann stellte er sich leise hinter sie und berührte von hinten ihren Busen, streichelte die längst aufgerichteten Knospen. Silke stöhnte und wand sich.
»Mehr, mehr«, bettelte sie.
»Immer schön langsam, du geiles Weib!«, flüsterte er ihr ins Ohr und knabberte an ihrem Ohrläppchen, dabei mit der rechten Hand von ihrer Brust hinabgleitend zum Bauch. Sie wusste es, sie wusste, was kommen würde und stöhnte laut.
»Na, bist du heiß?«, raunte Peter ihr zu.
»Ich bin nicht nur heiß, ich will …«
Sie kam nicht weiter, denn jetzt ließ er seine Finger langsam zu ihren Schamlippen gleiten und rieb ihre Klitoris. Sie konnte es kaum noch ertragen. Seine andere Hand berührte ihren Po, erst sanft, dann fester. Er holte aus und schlug auf ihre Pobacke.
»Na, meine kleine, heiße Stute, auf zum Galopp, oder?«
Ehe sie antworten konnte, schob er einen Finger in sie hinein, bewegte ihn darin und rieb dabei mit der anderen Hand ihre Klitoris weiter. Ihr Atem wurde immer schneller, bis sie aufschrie. Sie hechelte, schrie. Und wieder von Neuem das süße Spiel.
»Soll ich zwei Finger nehmen?«, fragte er, höchst erregt. Sie spürte sein steifes Glied an ihrem Hintern.
»Ja, nimm zwei.« Peter lachte laut auf.
»Ich bin aber kein Bonbon!« Darauf konnte sie nicht eingehen, sie war zu erregt.
»Oh, wie schön nass du bist, du tropfst ja regelrecht. Sicher könntest du auch squirten.«
Äh, was bitte? Sie wusste es nicht. Es war ihr auch gerade egal. Hauptsache, es war nichts Brutales. Ihr Bauch, verdammt noch mal. Was war mit dem los? Peter war perfekt, der Sex mit ihm war der Hammer! Warum also dieser bohrende Zweifel?
»Fick mich!«, bettelte sie. »Steck mir deinen Schwanz rein, jetzt!«
»Oh, du schmutziges Weib! Ja! Das tu ich«, keuchte er, drehte sie zu sich um und küsste sie, knetete ihre Brüste und sie hob ihr rechtes Bein an.
»Was sagtest du vorhin, ich könnte auch squir…, was?«, fragte sie ihn, als sie verschwitzt auf ihrer Couch lagen, sich aneinanderschmiegten und streichelten.
»Das heißt Squirting. Kennst du das nicht?«
Peter lächelte.
»Würde ich es kennen, müsste ich nicht fragen.«
»Stimmt, mein Schatz. Also, was viele nicht wissen: Auch eine Frau kann ejakulieren. Bei der weiblichen Ejakulation fließt etwa ein Teelöffel voll Flüssigkeit aus der Harnröhre. Manche Frauen aber ejakulieren viel mehr – das wird auch Squirten, also Spritzen genannt. Ich könnte mir vorstellen, dass du zu diesen Frauen gehörst, du bist immer so schnell erregt und extrem nass.«
Er grinste sie an. Oh, là, là! Da musste sie so alt werden, um derartig ausgefallene Sachen zu erfahren?
»Hm, das klingt sehr technisch. Muss man aus einem Liebesakt eine technische Beschreibung machen? Ist das heute modern? Für mich hat Sex etwas mit Gefühl, mit Hingebung zu tun – mit Liebe.«
»Muss ich dich an dein Vokabular beim Akt erinnern? Das war nicht von Gefühl oder Liebe geprägt, sondern von purer Geilheit. Frag mich danach noch einmal, ob die Beschreibung des Squirtings modern ist …«
Peter kniff sie liebevoll in den Arm.
»Ich widerspreche dir. Mein Vokabular hat nichts mit ›modern‹ zu tun, sondern mit Vertrauen. Ich vertraue dir, darum benutze ich dieses Vokabular. Einen Mann, dem ich nicht vertraue, lasse ich auch nicht in meine geheimen sexuellen Wünsche und Begierden eintauchen, dem gebe ich mich nicht so hin«, erklärte sie ernst und küsste ihn auf die Wange. Sie lagen noch lange so da und erzählten sich aus ihrem Leben und von ihren Träumen, bis sie einschliefen.
Silke erwachte von einem eigenartigen Geräusch. Lief da jemand auf dem Dachboden auf und ab? Das konnte doch nicht sein! Sie schaute auf die Seite neben sich. Peter war nicht da. Angestrengt horchte sie nach oben. Wieder hörte sie oben etwas. Den Bademantel übergeworfen, der neben ihr auf dem Fußboden lag, tastete sie nach dem Lichtschalter. Licht beruhigte sie. Nachdem sie sich im Wohnzimmer orientiert hatte, stand sie auf, schlüpfte in ihre Hausschuhe und ging langsam die Treppe zum Dachboden hinauf.
»Peter? Hallo? Bist du es?«
Das war vielleicht blöd! Wer sollte es sonst sein? Es kam keine Antwort. Noch einmal rief sie ihn beim Aufstieg und kam auf dem Boden an. Da stand er, vollständig angezogen, mit ernstem Gesicht und starrte auf eines ihrer gemalten Bilder; ›Tränen auf Eis‹.
»Was machst du hier mitten in der Nacht?«
Besorgt sah sie ihn an. Sah diese extrem weit aufgerissenen Augen. Vielleicht sollte sie ihn damit beim »Supertalent« anmelden?
»Ich sehe mir dein Bild an, was sonst?«
Seine Stimme klang kalt. Silke fror, obwohl es auf dem Dachboden noch ungewöhnlich warm war für diese Uhrzeit.
»Warum jetzt?«
»Ich konnte nicht schlafen. Irgendetwas stört mich daran.«
»Woran bitte?«
Silke ahnte es. Ihr Bauchgefühl, es war bisher noch immer ein verlässlicher Indikator gewesen. Oder übertrieb sie?
»An dem Bild. Es hat etwas Aggressives. Hat dir das schon mal jemand gesagt? Deine Farben hier …«
Er deutete auf die Mitte des Bildes, auf dem Eisblau in ein Nachtblau verlief, aus dem Auge heraustropfend.
»Es ist mein Bild, es sind meine Gefühle, es ist mein Werk. Was hast du damit zu tun!? Was daran ist bitte schön aggressiv?«
Das ging ihr zu weit. Er ging ihr zu weit.
»Kümmere dich nicht um mich. Ich sagte dir auch nur meine Meinung, nicht mehr und nicht weniger, Beate!« Beate? Silke zuckte zusammen. Irgendetwas stimmte nicht. Mit ihm nicht.
Ein Schwert waren seine Worte; nicht mehr und nicht weniger. Scharf, böse. Und seine Haltung unterschwellig angriffslustig. Sie konnte seine Anspannung spüren.
»Gut, dann gehe ich jetzt wieder schlafen. Viel Spaß noch, Jens«, sagte sie, leise, aber bestimmt; verstimmt. Wenn sie Beate war, hieß er eben Jens. Aber ob er es überhaupt bemerkte? Peter drehte sich zu ihr und bevor sie sich anschickte, den Dachboden zu verlassen, sah sie es wieder. Als ob seine Augäpfel aus den Augenhöhlen treten würden. Sie fror. Wieder. Und ging nach unten. Bis zum Morgen lag sie wach. Ein Gefühl von Angst beschlich sie und sie schalt sich.
»Er hat eben seine Anwandlungen, wird ja nicht grundlos in Rente sein. Wer weiß, was er durchmachen musste, der arme Kerl«, sprach sie sich selbst zu.
Viele andere Ausreden fand sie für sein Verhalten. Sie wechselten sich ab mit dem lauten Grummeln in ihrem Bauch und mit dem ungekannten Gefühl Angst.
Peter schlief in dieser Nacht überhaupt nicht und war am Morgen hellwach. Irgendwann musste sie noch einmal eingenickt sein, in einen sehr leichten Schlaf. Als sie Geräusche in der Nähe hörte, schreckte sie auf.
»Guten Morgen, mein Schatz, möchtest du einen Kaffee?«, tönte es gut gelaunt aus der Küche.
»Ja, gern!«, rief sie ihm zu. Und schluckte schwer.
Dieser Tag verlief ruhig, aber Peter wirkte immer noch seltsam angespannt. Er musste ständig etwas zu werkeln haben. Einmal rannte er zum Beet, obwohl es wie aus Kannen schüttete, dann kam er durchnässt ins Haus, ging wortlos ins Schlafzimmer, zog sich um und verkündete fröhlich:
»Einmal im Monat in den Regen gehen, das ist ein Muss. Vielleicht wachsen meine Haare nach!« Er lachte über seinen eigenen »Witz« und erklärte Silke, dass ihre Lampenschirme dringend geputzt werden müssten und er sie morgen von der Arbeit abholen wolle, um mit ihr shoppen zu gehen.
»Mir ist aufgefallen, dass wir ruhig mal unter Leute gehen sollten, mein Schatz!«, schmetterte er überdreht.
Silke wurde immer unruhiger. Das Ganze gefiel ihr nicht. Am nächsten Tag holte er sie tatsächlich von der Arbeit ab und lud sie zum Essen ein. Im Restaurant plapperte er unentwegt, was er noch alles vorhatte. Im Kaufpark drängelte er sie in die Parfümerie Douglas.
»Mein Schatz, welches Parfüm möchtest du gerne haben? Such dir eins aus!«
Wie großzügig. Sie verdiente zwar nicht viel, aber durch den Wegfall der Kredite für ihr Haus stand ihr genug zur Verfügung, um selbstständig zu sein. Sie brauchte keinen Mann, der ihr – grundlos mitten in der Woche – ein Parfüm kaufte. Oder war sie den Feministenpredigerinnen aufgesessen? Sie wollte ihren Frieden. Irgendetwas an seinem Verhalten seit der vorigen Nacht auf dem Dachboden alarmierte sie. Nur nichts Falsches sagen! Sie schnupperte sich durch, bis sie nicht mehr wusste, welches Parfüm wie roch, und griff nach dem billigsten. Peter war nicht dumm.
»Das Billigste also, dachte ich mir. Meine Traumfrau!«, meinte er laut und theatralisch. »Wie wäre es mit diesem hier?« und hielt ihr Chanel No. 5 vor die Nase. Frieden, einfach nur Frieden.
»Oh! Das ist ein himmlischer Duft«, rief sie aus. Neben ihr stand eine junge Frau, die sie pikiert fixierte und sicher dachte: Tussi. Wohlhabende, verwöhnte Tussi. Silke atmete tief durch. In Ordnung. Bin ich das eben heute. Nur heute. Für den Frieden. Peace, yes!
»Ja, Liebling, das nehme ich sehr gern«, flüsterte sie ihm zu und er grinste wie ein Honigkuchenpferd. Als sie den Laden verließen, glühten Silkes Wangen. Ihr war speiübel.
»Meine liebste Silke, brauchst du noch etwas?«
Peter sah sie an. Mit diesen tellergroßen Augen. Also doch Supertalent.
»Nein, ich habe alles, was ich brauche«, versuchte sie glücklich strahlend von sich zu geben.
»Natürlich, ich bin ja auch bei dir!«, und er lachte sein Ich-lache-über-mich-selber-am-lautesten Lachen.
»Hihi, das stimmt, Peter.«
Sie sprach seinen Namen aus. Und dann auch noch so trocken, dass sie selbst erschrak. Vielleicht hatte er es nicht bemerkt?
»P-e-t-e-r?«, wiederholte er gedehnt, »seit wann das?«
Er blieb abrupt stehen und glotzte, ja, glotzte, sie an. Ohne zu lächeln.
»Na, so heißt du schließlich.«
»Ja, sicher, aber du sprichst ihn mit keiner positiven Schwingung aus!«
Er sah sie an. Mit diesen schrecklichen Augen. Immer wieder. Herrje! Man konnte doch nicht ständig seinen Partner mit diesen schrecklich abgedroschenen Kosenamen ansprechen! Schatzi, Mausi, Hasi, Mausebär, Blubsibär – wie albern. Allein bei Schatz drehten sich im Discounter mindestens zehn Männer auf einmal um. Und Tiernamen, nun ja, die kommen nicht mal bei Franzosen an, geschweige denn bei den Deutschen. So verrückt schienen nicht mal Deutsche zu sein, dass sie sich tierisch fühlten.
Aus ihren Gedanken, die Silke amüsierten, holte sie ihr Fettschwanzmaki. Nun war es so weit, er bekam doch einen Tiernamen. Silke begann lauthals zu lachen. Es erwischte sie. Sie bückte sich, hielt sich mitten im Kaufcenter den Bauch und hockte sich auf eine Bank, um ihrem Lachrausch zu frönen. In ihrer ganzen inneren Anspannung sah sie nun dieses Tierchen vor sich, über das sie kürzlich eine Doku gesehen hatte: Fettschwanzmaki. Riesengroße Augen, flauschiger Schwanz. Sie blickte auf und in Peters Gesicht. Ihr Lachen erreichte den Höhepunkt. Er stand vor ihr, der Schritt vor ihren Augen. Flauschiger Schwanz. Ihre Augen tränten. Hoffentlich war ihre Schminke nicht verlaufen. Wenigstens daran dachte sie, wenn schon nicht an das arme, jetzt hilflos vor ihr stehende Peterlein.
»Ich würde zu gern in dein Lachen einstimmen«, sagte er gereizt und Silke fiel auf, wie gestelzt er manchmal sprach, der Möchte-gern-Intellektuelle, der nicht mal sein Studium zu Ende gebracht hatte. Woher kam plötzlich ihr Sarkasmus? Der war es nicht allein. Sie fühlte Abscheu vor ihm in sich aufsteigen.
»Das glaube ich allerdings nicht«, entgegnete sie, sich langsam beruhigend, und holte einen Spiegel aus ihrer Handtasche, hielt ihn sich vors Gesicht, tupfte die verlaufene Mascara unter den Augen weg, legte schnell Puder nach und sah Peter nicht mehr an. Um sich – und vor allem ihm – einen erneuten Lachanfall zu ersparen.